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Europäisches Beihilferecht und Advance Pricing Agreements

Neue Rahmenbedingungen für die steuerrechtliche Beihilfekontrolle

von Philip Schumacher (Autor:in)
©2021 Dissertation 222 Seiten

Zusammenfassung

Steuerflucht von Großunternehmen ist ein großes Problem unserer Zeit. Die Kommission hat ihr den Kampf angesagt und u.a. Irland aufgefordert, von Apple rund 13 Milliarden Euro an Steuern nachzufordern. Dabei hat sie das Beihilferecht erstmals auf verbindliche Steuerabsprachen, sog. Advance Pricing Agreements, angewendet. Ob das Beihilferecht dafür überhaupt passt und wie das Verständnis seiner Voraussetzungen im Einzelfall ggf. angepasst werden muss, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Der Autor entwickelt dazu eigene Modelle für eine modernere Beihilfekontrolle.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Advance Pricing Agreements (APAs)
  • I. Terminologie und Inhalt
  • II. APAs in Deutschland
  • 1. Rechtsgrundlage
  • a. Auskunft zu einer konkreten Rechtsfrage nach § 89 Abs. 2 AO
  • b. Verbindliche Zusage im Nachgang an eine Außenprüfung nach §§ 204 ff. AO
  • c. Tatsächliche Verständigung
  • d. Doppelbesteuerungsabkommen
  • 2. Antragsvoraussetzungen
  • III. Inhalt
  • IV. Der Fremdvergleichsgrundsatz
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Arten des Fremdvergleichs
  • a. Tatsächlicher und hypothetischer Fremdvergleich
  • b. Innerer und äußerer Fremdvergleich
  • c. Direkter und indirekter Fremdvergleich
  • 3. Verrechnungspreismethoden
  • a. Verhältnis der Methoden
  • b. Anwendung der Methoden
  • aa. Traditionelle geschäftsvorfallbezogene Methoden (Standardmethoden)
  • (1) Preisvergleichsmethode
  • (2) Wiederverkaufspreismethode
  • (3) Kostenaufschlagsmethode
  • bb. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden
  • (1) Nettomargenmethode
  • (2) Gewinnaufteilungsmethode
  • c. Probleme bei der Bestimmung der richtigen Methode
  • V. Sinn und Zweck von APAs
  • 1. Der Fremdvergleichsgrundsatz –​ konzeptionelle Schwäche und unterschiedliche Sichtweisen der nationalen Steuerbehörden
  • 2. Ex-​Post-​Sachverhaltsbetrachtung durch die nationalen Steuerbehörden
  • 3. Mögliche Lösung: APAs?
  • a. Vorteile
  • b. Nachteile
  • 4. Zwischenergebnis
  • VI. APAs als Mittel zur Gewinnverlagerung für multinationale Unternehmen?
  • VII. Ergebnis
  • C. Die Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union
  • I. Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung
  • 1. Art. 113 AEUV
  • 2. Art. 114 AEUV
  • 3. Art. 115 AEUV
  • 4. Kompetenzergänzungsklausel, Art. 352 AEUV
  • 5. Zwischenergebnis und Betrachtung
  • II. Harmonisierungsgrade der Unternehmensbesteuerung und der indirekten Steuern
  • 1. Harmonisierungsentwicklungen im Bereich der Unternehmensbesteuerung
  • 2. Vergleich zu indirekten Steuern
  • 3. Schädlicher Steuerwettbewerb
  • a. Pro Steuerwettbewerb –​ Effizienzsteigerung und Gefahr von Steuerkartellen
  • b. Pro Steuerharmonisierung –​ Race to the bottom und Gefahr der Unterversorgung mit staatlichen Leistungen
  • III. Gewinnverlagerung bzw. aggressive Steuerplanung
  • 1. Luxemburg Leaks
  • a. Sachverhalt
  • b. Konsequenzen
  • 2. Die Kommissionsentscheidungen zu APAs –​ der Fall Apple
  • IV. Die Rolle der Grundfreiheiten und des Beihilferechts bei der Unternehmensbesteuerung
  • 1. Die Rolle der Europäischen Grundfreiheiten bei der Überprüfung von Steuergesetzen und APAs
  • 2. Das Verhältnis der Europäischen Grundfreiheiten und des Europäischen Beihilferechts
  • 3. Zwischenergebnis
  • D. Die Vereinbarkeit von APAs mit dem Europäischen Beihilferecht
  • I. Grundsätzliches
  • 1. Einordnung in den Kontext des Unionsrechts
  • 2. Bedeutung des Beihilferechts
  • a. Inhaltliche Dimension –​ Zwischen Notwendigkeit und Verzerrung des Wettbewerbs
  • b. Zeitliche Dimension –​ Vom reinen Abwehrmechanismus zum Gestaltungsinstrument der europäischen Finanzpolitik
  • II. Formelle Komponente –​ Kontrollverfahren, Folgen und Rechtsschutz
  • 1. Das Kontrollverfahren und seine Folgen
  • a. Repressivkontrolle bestehender Beihilfen
  • b. Präventivkontrolle neuer Beihilfen
  • c. Förmliches Prüfverfahren
  • d. Rechtsfolgen
  • 2. Rechtsschutzmöglichkeiten
  • a. Rechtsschutz vor der Unionsgerichtsbarkeit
  • aa. Klage eines Mitgliedstaates gegen die Nichtgenehmigung durch die Kommission
  • bb. Klage eines Unternehmens gegen die Nichtgenehmigung durch die Kommission
  • cc. Klage der Kommission wegen Nichtbeachtung des Kommissionsbeschlusses durch den betroffenen Mitgliedstaat
  • b. Rechtsschutz vor der nationalen Gerichtsbarkeit
  • III. Materielle Komponente –​ Die Voraussetzungen des Verbotstatbestandes des Art. 107 Abs. 1 AEUV
  • 1. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln stammende Zuwendung
  • a. Abstrakte Voraussetzungen
  • b. Bedeutung für steuerliche Beihilfen
  • aa. Bedeutung für steuerliche Beihilfen in Gesetzesform
  • bb. Bedeutung für steuerliche Beihilfen durch APAs
  • (1) Entwurf eines Alternativszenarios
  • (2) Korrektur durch Ausführungen in Unicredito Italiano?
  • (3) Zwischenergebnis
  • 2. Gewährung eines selektiven Vorteils
  • a. Vorteil
  • aa. Abstrakte Voraussetzungen
  • bb. Bedeutung für steuerliche Beihilfen in Gesetzesform und durch APAs
  • b. Selektivität
  • aa. Abstrakte Voraussetzungen
  • (1) Materielle Selektivität
  • (2) De iure und de facto Selektivität
  • bb. Bedeutung für steuerliche Beihilfen
  • (1) Steuerliche Beihilfen auf Gesetzesebene
  • (a) Festlegung eines Referenzrahmens
  • (b) Abweichung vom Referenzrahmen
  • (aa) Abgrenzbarkeit einer Gruppe von Unternehmen
  • (bb) Vergleichbarkeit mit einer anderen Gruppe von Unternehmen
  • (c) Rechtfertigung
  • (2) Steuerliche Beihilfen durch APAs
  • (a) Festsetzung des Referenzrahmens
  • (aa) Die Kommissionsentscheidung(en)
  • (bb) Das Körperschaftssteuerrecht oder das Recht, das nur auf multinationale Unternehmen Anwendung findet
  • (cc) Festsetzung allein durch gesetzliche Regelungen oder zusätzliche Einbeziehung der Gerichts-​ und Verwaltungspraxis
  • α) Gleichwertigkeit der drei Gewalten
  • β) Gegenstand der Kontrolle
  • γ) Ausreißerkontrolle
  • δ) Konsequente Anwendung von P Oy
  • ε) Zwischenergebnis
  • (b) Abweichung vom Referenzrahmen
  • (aa) Abweichung
  • α) Einführung des Fremdvergleichsgrundsatzes in das Europarecht als integraler Bestandteil von Art. 107 Abs. 1 AEUV
  • αα) Einführung durch Urteil zu belgischen Koordinationszentren
  • ββ) Einführung durch die Entscheidung Hornbach-​Baumarkt?
  • γγ) Einführung durch Art. 4 Schiedskonvention?
  • δδ) Zwischenergebnis
  • β) Der Fremdvergleichsgrundsatz als Teil des nationalen Rechts
  • αα) Der Fremdvergleichsgrundsatz als Völkergewohnheitsrecht und allgemeiner völkerrechtlicher Rechtsgrundsatz
  • ββ) Der Fremdvergleichsgrundsatz als Teil eines völkerrechtlichen Vertrags
  • γ) Zwischenergebnis
  • (bb) Abgrenzbarkeit
  • (cc) Vergleichbarkeit
  • α) Vergleichbarkeit von multinationalen verbundenen Unternehmen und nationalen Einzelunternehmen
  • β) Zwischenergebnis
  • (c) Rechtfertigung
  • d. Ergebnis zum Tatbestandsmerkmal der Selektivität bei steuerlichen Beihilfen durch APAs
  • 3. Auswirkungen der Maßnahmen auf Handel und Wettbewerb
  • a. Verfälschung des Wettbewerbs
  • aa. Abstrakte Bedeutung
  • bb. Bedeutung für steuerliche Beihilfen in Gesetzesform
  • cc. Bedeutung für steuerliche Beihilfen durch APAs
  • (1) Konkurrenzverhältnis von Apple zu nationalen Einzelunternehmen?
  • (2) Schlussfolgerungen
  • b. Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten
  • aa. Abstrakte Bedeutung
  • bb. Bedeutung für steuerliche Beihilfen in Gesetzesform
  • cc. Bedeutung für steuerliche Beihilfen durch APAs
  • 4. Zwischenergebnis
  • E. APAs als verbotene Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV –​ Probleme und Lösungen
  • I. Kompetenzkonflikt zwischen europäischen Prüfkompetenzen und nationaler Steuersouveränität
  • 1. Hinnahme der faktischen Kompetenzverlagerung
  • 2. Bereichsausnahme für APAs
  • 3. Einbeziehung der Mitgliedstaaten durch Beteiligung des Rats
  • 4. „The authority to get it wrong within limits”
  • a. APAs als Ermessensausübung
  • b. Bewertung
  • 5. Einrichtung eines internationalen Steuergerichtshofs
  • 6. Anwendung unterschiedlicher Kontrollmaßstäbe
  • a. Richterliche Kontrollmaßstäbe bei Beihilfen auf Gesetzesebene
  • b. Kontrollmaßstäbe bei Beihilfen durch APAs
  • c. Bewertung
  • 7. Unterschiedliche Aufgreif-​ und Eingriffsschwellen
  • a. Methodik
  • b. Praktische Umsetzung
  • aa. Bestehende Institution: Das Gemeinsame EU-​Verrechnungspreisforum
  • bb. Neuschaffung einer zentralen EU-​Verrechnungspreiskontrollinstitution
  • cc. Verhältnis zum Informationsaustausch nach der EU-​Amtshilferichtlinie
  • dd. Der Prozess des Medianwertabgleichs
  • c. Anforderung an die rechtliche Umsetzung
  • d. Bewertung
  • II. Fehlende Rechtssicherheit für Unternehmen
  • 1. Rechtsfolgenbeschränkung durch ex-​nunc-​Unwirksamkeit von APAs
  • 2. Großzügigeres Verständnis des Vertrauensschutzes
  • a. Ausgangssituation
  • b. Anwendung im Fall von APAs
  • c. Mögliche Änderung, Realisierbarkeit und Bewertung
  • 3. Austausch der Nachforderungsschuldner
  • a. Ausgangssituation
  • b. Mögliche Änderung und Realisierbarkeit
  • c. Bewertung
  • aa. Bedenken
  • bb. Vorteile
  • (1) Risikofreie Beihilfegewährung der Staaten
  • (2) Charakteränderung des Beihilferechts
  • (3) Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes
  • F. Gesamtergebnis
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

a.A. Andere Ansicht

a.F. Alte Fassung

Abl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft /​ Europäischen Union

Abs. Absatz

AEAO Anwendungserlass zur Abgabenordnung

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

APA Advance Pricing Agreement

AO Abgabenordnung

AOE Apple Operations Europe

AOI Apple Operations International

Art. Artikel

ASI Apple Sales International

AStG Außensteuergesetz

AStV Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten

ATAD Anti Tax Avoidance Directive

BEPS Base Erosion Profit Shiftig

BFH Bundesfinanzhof

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BMF Bundesministerium für Finanzen

Buchst. Buchstabe

BvD Bureau van Dijk

BVerfG Bundesverfassungsgericht

BVerfGE Bundesverfassungsgericht –​ Entscheidungen der amtlichen Sammlung

bzgl. bezüglich

bzw. beziehungsweise

CbCR Country by Country Reporting

CIT Niederländischer Corporate Income Tax Act

DBA Doppelbesteuerungsabkommen

d.h. das heißt

ders. /​ dies. derselbe /​ dieselbe

ECOFIN Der Rat „Wirtschaft und Finanzen“

EG Europäische Gemeinschaft

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EMEIA Europa, mittlerer Osten, Indien und Afrika

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 14→

endg. endgültig

engl. englisch

EStG Einkommenssteuergesetz

EU Europäische Union

EuG Gericht der Europäischen Union

EuGH Gerichtshof der Europäischen Union

EUV Vertrag über die Europäische Union

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWG-​Vertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

f. /​ ff. folgende /​ fortfolgende

FG Finanzgericht

FS Festschrift

GA Generalanwalt /​ Generalanwältin

GG Grundgesetz

ggf. gegebenenfalls

GRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union

GrEStG Grunderwerbsteuergesetz

G20 Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie-​ und Schwellenländer

Hs. Halbsatz

i.E. im Ergebnis

IFA International Fiscal Association

IGH-​Statut Statut des Internationalen Gerichtshofs

i.H.v. in Höhe von

i.V.m. in Verbindung mit

ITL Luxemburgisches Einkommenssteuergesetz

JTPF Gemeinsames EU-​Verrechnungspreisforum

KMU kleine und mittlere Unternehmen

Kommission Europäische Kommission

KStG Körperschaftssteuergesetz

lit. litera

Mio. Millionen

Mrd. Milliarden

m.w.A. mit weiteren Anmerkungen

m.w.N. mit weiteren Nachweisen

NGO Nicht Regierungs-​Organisation

NJW Neue Juristische Wochenzeitung

Nr. Nummer

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

←14 |
 15→

OECD–​MA OECD Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung

o.g. oben genannt

Parlament Europäisches Parlament

Rat Rat der Europäischen Union

Rn. Randnummer

Rs. Rechtssache

S. Seite

sog. sogenannte

TCA Taxes Consolidation Act 1997

Tz. Teilziffer

Unterabs. Unterabsatz

u.U. unter Umständen

v.a. vor allem

Var. Variante

VerfahrensVO Verordnung (EU) 2015/​1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

vgl. vergleiche

VwGO Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz

WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

z.B. zum Beispiel

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A. Einleitung

Steuervermeidung, Steuerflucht oder Steuerhinterziehung (im Folgenden: aggressive Steuerplanung) durch Gewinnverlagerung 1 ist ein Problem globalen Ausmaßes. Dies geschieht mithilfe von geschickter Gestaltung von Verrechnungspreisen. Verrechnungspreise sind solche Preise, die bei Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen vereinbart werden und die mangels marktüblichem Interessengegensatz verhältnismäßig frei bestimmt werden. Sie werden so bestimmt, dass die unterschiedlichen nationalen Steuerbesonderheiten dazu genutzt werden können, die effektive Steuerlast des Gesamtunternehmens zu minimieren. Das fehlende Steueraufkommen schädigt die Volkswirtschaft. Nach Berechnung des Ökonomen Zucman im Zuge der Enthüllungen der sog. Paradise Papers, musste Deutschland allein 2017 auf 17 Mrd. Euro aus Unternehmensbesteuerung verzichten.2 Prozentual gesehen sind das 32,2 Prozent der Gesamteinnahmen aus Unternehmensbesteuerung. Frankreich weist ein Minus von 24,7 Prozent auf, Großbritannien von 19,8 Prozent und die Liste ist lang.3

Neben dem monetären Schaden gibt es noch eine weitere, gesellschaftspolitische Komponente. Eine Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 20134 hat ergeben, dass sich 74 Prozent aller Befragten „voll und ganz dafür“ sowie 20 Prozent „eher dafür“ aussprachen, dass die EU schärfere Regeln einführen sollte, um Unternehmen daran zu hindern, ihre effektive Steuerbelastung zu ←17 | 18→senken.5 Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich; es leuchtet nicht ein, warum der Finanzhaushalt eines Staates vorwiegend aus Steuern der Bürger gespeist werden sollte und Unternehmen ihren Anteil nicht entrichten. Ein derartiges Verhalten sorgt für gesellschaftlichen Unfrieden.

Die EU versucht diesem Handlungsauftrag der Bürger Europas nachzukommen. Im Nachgang an die Enthüllungen der sog. Luxemburg Leaks hat sie damit begonnen, verbindliche nationale steuerliche Vorabbeurteilungen von Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen unter Anwendung von Verrechnungspreisen, sog. APAs, dahingehend zu überprüfen, ob mithilfe der APAs Gewinnverlagerung betrieben und dadurch die effektive Steuerbelastung von Unternehmen unzulässig verringert wurde. Die zuständige EU-​Wettbewerbskommissarin Vestager hat im Zuge der Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens wegen APAs der Niederlande zugunsten von IKEA ausgeführt:

„Alle Unternehmen, ob nun groß oder klein, multinational oder nicht, sollten ihren gerechten Steueranteil zahlen. Es geht nicht, dass Mitgliedstaaten es bestimmten Unternehmen gestatten, weniger Steuern zu zahlen, indem sie ihre Gewinne künstlich woanders hin verlagern dürfen.“6

Die Möglichkeiten der EU zur Bekämpfung von aggressiver Steuerplanung mithilfe von Gewinnverlagerung sind indes begrenzt. Die Steuersouveränität, also das Recht auf autonome Festsetzung der Steuerbelastung, liegt bei den Mitgliedstaaten. 7 Als gekorenes Völkerrechtssubjekt und nach Maßgabe des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV benötigt die EU immer eine Ermächtigungsgrundlage, um tätig werden zu können. Im Bereich ←18 | 19→der Unternehmensbesteuerung erschöpfen sich diese in einigen Harmonisierungskompetenzen.8 Allerdings übertragen ihr die Europäischen Verträge weitere Kompetenzen, die zwar nicht steuerrechtsspezifisch sind, aber steuerrechtliche Relevanz gewinnen können.9

Das ergibt sich aus der Schutzverantwortung der EU für den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt, einem Grundpfeiler der Gemeinschaft. Ihre Organe, vor allem die Kommission, haben die Aufgabe, das Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen. Klassische Gefahren sind Einfuhrbeschränkungen für Waren und Dienstleistungen oder sonstige Handelshemmnisse, welche den in den Europäischen Grundfreiheiten garantierten Rechten entgegenstehen. Darüber hinaus sind staatliche Subventionen von Unternehmen eine Gefahr für den Binnenmarkt, da sie den Wettbewerb verfälschen können und deshalb vom Europäischen Beihilferecht untersagt werden. Beides, Handelshemmnisse und Subventionen, können durch eine zu geringe Besteuerung von Unternehmen erfolgen. An dieser Stelle besteht der Schnittpunkt zum Steuerrecht. Um der Binnenmarktverfälschung vorbeugen zu können, benötigt die EU einen Zugriff auf die nationale Besteuerung, den sie jedoch nicht hat. Ihr verbleibt daher allein der Rückgriff auf die beiden genannten, am Binnenmarkt ausgerichtete Eingriffskompetenzen –​ Grundfreiheiten und Beihilferecht.

Details

Seiten
222
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631840924
ISBN (ePUB)
9783631840931
ISBN (MOBI)
9783631840948
ISBN (Paperback)
9783631834855
DOI
10.3726/b17804
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Fremdvergleichsgrundsatz Staatliche Steuersouveränität Unternehmensinterne Verrechnungspreisgestaltung Künstliche Intelligenz im Beihilfeverfahren Steuerflucht Apple/Irland Verrechnungspreismethoden
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 222 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Philip Schumacher (Autor:in)

Philip Schumacher wurde 1991 in Hamburg geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg, Malaysia und Indonesien und promovierte an der Universität Jena.

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Titel: Europäisches Beihilferecht und Advance Pricing Agreements
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