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Die latente Testamentsvollstreckung

von Julian Klinger (Autor:in)
©2021 Dissertation 240 Seiten

Zusammenfassung

Die Publikation beschäftigt sich mit dem Sonderproblem der Latenz im Recht der Testamentsvollstreckung. Es handelt sich um Situationen, in denen ein Testamentsvollstrecker ernannt ist, der das Amt auch ausüben möchte, es jedoch nicht kann, sei es, weil er das Amt zeitweise nicht ausüben darf oder weil er in seiner Rechtsmacht (zeitweise) beschränkt ist, so dass es bezüglich des Amtes zu einer Schwebelage kommt. Es wird insbesondere analysiert, ob die Wirkungen der Testamentsvollstreckung (§§ 2205, 2209, 2211 Abs. 1, 2212 und 2214 BGB) in der Latenzzeit einer aufschiebend bedingten oder befristeten Testamentsvollstreckung zum Tragen kommen und, falls ja, auf welcher Grundlage. Zudem werden die weiteren Rechtsfolgen einer aufschiebend bedingten Ernennung eines Testamentsvollstreckers untersucht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • § 1 Anlass und Gegenstand der Untersuchung
  • § 2 Ziel der Untersuchung
  • § 3 Lösungsmethode
  • § 4 Aufbau der Untersuchung
  • Kapitel 1 Grundlagen der Testamentsvollstreckung
  • Kapitel 2 Die Wirkungen der Testamentsvollstreckung
  • § 1 Zuweisung von Rechtsmacht an den Testamentsvollstrecker (§§ 2205, 2209 BGB)
  • I. Rechtsmacht und materielle Zuständigkeit
  • II. Besitzrecht und Realakte
  • III. Verfügungsmacht
  • IV. Verpflichtungsmacht
  • § 2 Die Verdrängungswirkung des § 2211 Abs. 1 BGB
  • § 3 Die Abschirmwirkung des § 2214 BGB
  • § 4 Die Surrogation
  • § 5 Entstehung von Sondervermögen
  • I. Allgemeines
  • II. Systematisierende Ansätze in der Literatur
  • III. Sondervermögen bei angeordneter Testamentsvollstreckung
  • § 6 Beginn, Dauer und Ende der Wirkungen der Testamentsvollstreckung
  • I. Beginn
  • II. Dauer
  • III. Ende
  • § 7 Fazit
  • Kapitel 3 Die Latenzfälle der Testamentsvollstreckung
  • § 1 Latenzfälle im BGB
  • § 2 Fallgruppen eines latenten Testamentsvollstreckeramtes
  • I. Latenzfall 1: Bedingungen und Zeitbestimmungen
  • II. Latenzfall 2: Ämterkonkurrenz und konkurrenzähnliche Situationen
  • § 3 Abgrenzungen
  • I. Amtsvakanz
  • II. Der vermeintliche Testamentsvollstrecker
  • III. Potenzielle Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers
  • Kapitel 4 Latente Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers
  • § 1 Rechtsgrundlagen für eine Beschränkung der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers
  • I. Verwaltungsanordnungen des Erblassers nach § 2216 Abs. 2 BGB
  • II. Beschränkungen der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers nach § 2208 BGB
  • 1. Die Beschränkungsmöglichkeiten gemäß § 2208 BGB
  • 2. Beschränkung der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers nach § 2208 Abs. 1 S. 1 BGB
  • a) Normzweck und Inhalt einer Beschränkung nach § 2208 Abs. 1 S. 1 BGB
  • b) Verfügungsmacht (§ 2205 S. 2 BGB) als Recht im Sinne von § 2208 Abs. 1 S. 1 i.Vm. §§ 2203 – 2206 BGB?
  • § 2 Wirkungen einer Verfügungsbeschränkung nach § 2208 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2205 S. 2 BGB
  • § 3 Pattsituation wegen § 2211 Abs. 1 und § 2208 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2205 S. 2 BGB
  • § 4 Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Erblassers
  • I. Strukturelle wechselseitige Abhängigkeit von Verwaltungsaufgabe und Verfügungsbefugnis?
  • II. Verstoß gegen § 137 BGB?
  • III. Verkehrsschutz?
  • IV. Zwischenergebnis
  • § 5 Kooperative Verwaltung durch Erbe und Testamentsvollstrecker
  • I. Kooperative Verwaltungszuständigkeiten im BGB
  • II. Kooperative Verwaltungszuständigkeiten von Erbe und Testamentsvollstrecker in den §§ 2197 ff. BGB
  • 1. Der Meinungsstand in der Rechtsprechung und Literatur
  • 2. Das Rechtsverhältnis des Testamentsvollstreckers zum Erben
  • 3. Kooperation im Rahmen der Ordnungsmäßigkeit und Effektivität der Verwaltung
  • 4. Kooperation bei unentgeltlichen Verfügungen i.S.v. § 2205 S. 3 BGB
  • 5. Kooperation im Rahmen von Verwaltungsanweisungen
  • 6. Das Prinzip „Übergang statt Untergang“
  • 7. Mittestamentsvollstrecker, § 2224 BGB
  • 8. Zwischenergebnis
  • III. Dogmatische Konstruktion einer kooperativen Verwaltungszuständigkeit
  • 1. Aufgeteilte Verfügungsmacht
  • 2. Erben-Mittestamentsvollstrecker (§ 2224 BGB)
  • 3. Zusammenwirken über § 185 Abs. 1, Abs. 2 Fall 1 BGB?
  • 4. Zusammenwirken über §§ 177, 180, 182 ff. BGB (analog)
  • IV. Zusammenfassung
  • Kapitel 5 Latenzfall 1: Bedingungen und Zeitbestimmungen
  • § 1 Allgemeines zur bedingten oder befristeten Ernennung eines Testamentsvollstreckers
  • I. Zulässigkeit
  • II. Definitionen
  • III. Der Grundsatz der Eigenanordnung
  • § 2 Der Meinungsstand zur Rechtslage in der Schwebezeit bis zum Bedingungseintritt
  • I. Hartmann
  • II. Reimann
  • III. Grotheer
  • IV. Rechtsprechung
  • V. Stellungnahme
  • 1. Zum Ansatz Hartmanns und Grotheers
  • 2. Zum Ansatz Reimanns
  • 3. Erblasserwille: Auslegungsvarianten
  • § 3 Auslegungsvariante 1: (echte) Bedingungen und Zeitbestimmungen 121
  • I. Keine Vorwirkungen einer bedingt oder unter einer Zeitbestimmung angeordneten Testamentsvollstreckung in der Schwebezeit
  • 1. Suspensivwirkung einer aufschiebenden Bedingung
  • 2. Kein Verwaltungsrecht des Testamentsvollstreckers in der Schwebezeit
  • a) §§ 2205, 2209, 2211 Abs. 1, 2214 BGB analog?
  • b) Anwendung der §§ 160, 161 BGB?
  • c) Analoge Anwendung des § 161 BGB?
  • d) Anwartschaftsrecht des Testamentsvollstreckers?
  • 3. Fazit
  • II. Folgen für den Beginn der Testamentsvollstreckung bei Bedingungseintritt
  • 1. Konstituierung des Nachlasses
  • 2. Verwaltungsobjekt und Verwaltungskompetenz
  • 3. Besitz und Herausgabe des Nachlasses
  • 4. Dauer der Testamentsvollstreckung
  • a) Abwicklungsvollstreckung
  • b) Verwaltungsvollstreckung
  • (i) Grundsatz der 30-jährigen Höchstfrist (§ 2210 S. 1 BGB)
  • (ii) Verlängerungsoptionen (§ 2210 S. 2 BGB)
  • 5. Publizität der Testamentsvollstreckung
  • a) Testament
  • b) Testamentsvollstreckerzeugnis
  • c) Grundbuch
  • (i) OLG Köln Beschluss vom 3. November 2014 (Az. 2 Wx 304/14)
  • (ii) Literatur
  • (iii) Zeiser
  • (iv) Litzenburger
  • (v) Stellungnahme
  • d) Erbschein
  • e) Europäisches Nachlasszeugnis
  • f) Handelsregister
  • III. Ergebnis
  • § 4 Auslegungsvariante 2: gestufte Testamentsvollstreckung
  • I. Die Modelle einer „gestuften Testamentsvollstreckung“
  • II. Die Erben-Mittestamentsvollstreckung (§ 2224 BGB)
  • 1. Dogmatische Konstruktion in der Latenzzeit
  • 2. Wirkungen und Folgen der Erben-Mittestamentsvollstreckung in der Latenzzeit
  • 3. Zwischenergebnis
  • III. Das Zustimmungsmodell (§§ 177, 180, 182 ff. BGB analog)
  • 1. Dogmatische Konstruktion in der Latenzzeit
  • 2. Die Ausgestaltung des latenten Verwaltungsrechts des Testamentsvollstreckers
  • IV. Das Ende der Latenzphase
  • 1. Unbeschränktes Verwaltungsrecht des Testamentsvollstreckers
  • 2. Erstellung eines weiteren Nachlassverzeichnisses
  • V. Dauer der Testamentsvollstreckung
  • VI. Der Nachweis des Amtes in der Latenzphase
  • 1. Testamentsvollstreckerzeugnis
  • 2. Grundbuch
  • 3. Erbschein
  • 4. Europäisches Nachlasszeugnis
  • VII. Ergebnis
  • § 5 Sonderfall: Kombination von Testamentsvollstreckung und Einsetzung eines Nacherben
  • I. Grundsätzliche Wertungen
  • II. Denkbare Kombinationen
  • 1. Testamentsvollstreckung während der Vorerbschaft (Konstellation 1)
  • a) Testamentsvollstreckung für den Vorerben
  • b) Nacherbenvollstreckung (§ 2222 BGB)
  • 2. Die Testamentsvollstreckung gilt für die Vor- und für die Nacherbschaft (Konstellation 2)
  • 3. Die Testamentsvollstreckung gilt nur für die Nacherbschaft und tritt nach Eintritt des Nacherbfalls in Kraft (Konstellation 3)
  • § 6 Ergebnisse
  • Kapitel 6 Latenzfall 2: Ämterkonkurrenz und konkurrenzähnliche Situationen
  • § 1 Überblick
  • § 2 Bevollmächtigung und Testamentsvollstreckung
  • I. Vollmachten mit Bezug auf den Nachlass
  • II. Konkurrierende Vollmacht
  • 1. Meinungsstand
  • 2. Stellungnahme
  • 3. Regelungsmöglichkeiten
  • III. Fazit
  • § 3 Gesetzliche Vertretung und Testamentsvollstreckung
  • I. Elterliche Sorge (§ 1626 BGB)
  • II. Vormundschaft (§§ 1773 ff. BGB)
  • III. Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB)
  • IV. Betreuung (§§ 1896 ff. BGB)
  • V. Fazit
  • § 4 Gesetzlicher Vertreter oder Ergänzungspfleger als Testamentsvollstrecker (Personenidentität)
  • I. Fallkonstellationen
  • II. Allgemeines zur Erforderlichkeit einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 BGB
  • 1. § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB
  • 2. § 1909 Abs. 1 S. 2 BGB
  • III. Gesetzlicher Vertreter als Testamentsvollstrecker
  • 1. (Rechtliche) Verhinderung nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB
  • 2. Verhinderung nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB
  • a) Reichsgericht
  • b) Frühere obergerichtliche Rechtsprechung
  • c) BGH
  • d) Stellungnahme: abstrakter Interessengegensatz vs. konkrete Gefährdung
  • (i) Vermögensverzeichnis (§ 1640 BGB)
  • (ii) Entlassungsantrag (§ 2227 Abs. 1 BGB)
  • (iii) Zeitpunkt der Bestellung eines Ergänzungspflegers
  • IV. Testamentsvollstrecker als Ergänzungspfleger bei Entzug der Vermögenssorge nach § 1909 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 1638 Abs. 1 oder § 1803 Abs. 1 BGB
  • V. Bedürfnis für eine gestufte Testamentsvollstreckung?
  • § 5 Nachlasspflegschaft und Testamentsvollstreckung
  • I. Die Fälle der Nachlasspflegschaft
  • II. Nachlasspflegschaft in der Zeit der Amtsvakanz
  • 1. Meinungsstand
  • 2. Exkurs: Das Modell der Geschäftsführung ohne Auftrag als Alternative zur Nachlasspflegschaft?
  • a) Erbe als Geschäftsführer?
  • b) Erbe als Geschäftsherr?
  • c) Testamentsvollstrecker als Geschäftsführer?
  • d) Fazit
  • § 6 Nachlassverwaltung und Testamentsvollstreckung
  • § 7 Insolvenz und Testamentsvollstreckung
  • I. Nachlassinsolvenz
  • II. Erbeneigeninsolvenz
  • § 8 Exkurs: Ruhen des Amtes bei Aufgabenerledigung
  • Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

←16 | 18→

Einleitung

§ 1 Anlass und Gegenstand der Untersuchung

Anlass zu dieser Untersuchung gibt die erbrechtliche Gestaltung, einen Testamentsvollstrecker unter einer aufschiebenden Bedingung zu ernennen.1 Diese Gestaltung kommt beispielsweise dann zum Tragen, wenn der Erblasser einen Testamentsvollstrecker nur für die Erbteile noch minderjähriger Erben ernennt. In diesem Fall wird vorgeschlagen, die Aufgaben des Testamentsvollstreckers in folgender Weise zu bestimmen:

„Der Testamentsvollstrecker hat die Aufgabe, die Erbteile minderjähriger Erben während der Dauer der Minderjährigkeit zu verwalten. Erbe ist auch ein Ersatzerbe, auch der Nacherbe. Die Testamentsvollstreckung setzt sich im Falle der Erbteilung an den Surrogaten, die dem minderjährigen Erben zugeteilt werden, fort, solange die Minderjährigkeit besteht.“2

Es stellt sich dann aber die Frage: Was soll in den Zeiten gelten, in denen kein minderjähriger Erbe vorhanden ist?

Jede kautelarjuristische Gestaltung setzt aufgrund des in der Kautelarjurisprudenz geltenden Vorsichtsprinzips3 zwingend die Verbindung mit einer sie tragenden Theorie voraus. Denn eine Rechtsgestaltung ist nicht rechtssicher, wenn sie nicht theoriesicher ist.4 Bei der Ernennung eines Testamentsvollstreckers unter einer aufschiebenden Bedingung entstehen Situationen der Latenz, die in ihrer ganzheitlichen Betrachtung wissenschaftlich noch nicht behandelt ←17 | 19→worden sind.5 Der Kautelarpraxis fehlt insoweit also das theoretische Fundament.

Ähnlich ist die Lage bei Konkurrenz- bzw. konkurrenzähnlichen Situationen, in denen der Testamentsvollstrecker auf eine andere Person trifft, die ebenfalls mit einer auf den Erben oder den Nachlass bezogenen Rechtsmacht ausgestattet ist. Denkbar ist das beispielsweise bei dem Aufeinandertreffen des Testamentsvollstreckers mit einem vom Erblasser Bevollmächtigten, den gesetzlichen Vertretern des Erben oder einem Insolvenzverwalter. Die Frage ist dann, ob das Amt des Testamentsvollstreckers latent ist und, sollte dies zutreffen, welche Folgen sich für die Testamentsvollstreckung und deren Wirkungen ergeben.

Latenz ist ein abstrakter Begriff und muss als solcher konkretisiert werden, damit deutlich wird, welche rechtliche Bedeutung er in dieser Untersuchung hat. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird mit dem Begriff Latenz ein Zustand beschrieben, in dem eine Sache vorhanden, aber (noch) nicht in Erscheinung getreten ist.6 Die Latenzzeit ist eine Schwebelage, ein Zustand der Unklarheit, der Unsicherheit und der Unentschiedenheit. Der Begriff der Latenz bezeichnet etwas Verborgenes oder dem Vorhandensein von etwas zeitweise oder grundsätzlich nicht Sichtbarem.7 In der Regel handelt es sich um eine Zwischenlage, also eine Lage, bei der „etwas im Gange“, aber noch nicht abgeschlossen ist.8

In dieser Untersuchung beschreibt das Wort Latenz eine Situation, in der ein Testamentsvollstrecker ernannt ist, der das Amt auch ausüben möchte, es jedoch nicht kann, sei es, weil er das Amt zeitweise nicht ausüben darf oder weil er in seiner Rechtsmacht (zeitweise) beschränkt ist, so dass es bezüglich des Amtes zu einer Schwebelage kommt.

§ 2 Ziel der Untersuchung

Mit dieser Untersuchung soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob die wesentlichen Wirkungen der Testamentsvollstreckung (§§ 2205, 2209, 2211 ←18 | 20→19 Abs. 1, 2212, 2214 BGB)9 in den Zeiten der Latenz gelten und, wenn ja, auf welcher Grundlage.

§ 3 Lösungsmethode

Zur Lösung der Aufgabe geht die Arbeit wie folgt vor: Da das Gesetz innerhalb des von ihm geregelten Bereichs keine explizite Regel parat hält, ist die Lösung der Aufgabe aus dem System des Gesetzes und den bisherigen Erkenntnissen der Rechtswissenschaft zu entwickeln. Hierzu werden zunächst die Grundsätze, Prinzipien und Wirkungen der Testamentsvollstreckung beschrieben. Im zweiten Schritt werden die Konstellationen der latenten Testamentsvollstreckung in Fallgruppen systematisiert und von anderen Sachverhalten abgegrenzt. Die dogmatische Erörterung der Einzelprobleme erfolgt in Schritt drei. Hier werden die in Schritt eins gewonnenen Erkenntnisse innerhalb der jeweiligen Fallgruppe angewandt und es wird das Endergebnis entwickelt.

§ 4 Aufbau der Untersuchung

Das erste Kapitel beleuchtet die Grundlagen und Prinzipien der Testamentsvollstreckung, wie sie in den §§ 2197 ff. BGB geregelt sind, unter Berücksichtigung der Interessen des Erblassers, des Erben und des Testamentsvollstreckers.

Das zweite Kapitel stellt die Wirkungen der Testamentsvollstreckung dar. In § 1 werden die Bestandteile der Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers erläutert. Dazu spiegelbildlich wird in § 2 die Verdrängung des Erben aus seiner Rechtsmacht (§ 2211 Abs. 1 BGB) dargestellt. § 3 hat die Wirkung des § 2214 BGB (Abschirmwirkung) zum Inhalt. In § 4 werden das Verwaltungsobjekt und die hierauf bezogene Thematik der Surrogation beschrieben. Gegenstand von § 5 ist die Frage, ob und in welchem Umfang mit der Ernennung des Testamentsvollstreckers ein Sondervermögen entsteht. In § 6 geht es um den zeitlichen Rahmen der Testamentsvollstreckung.

Das dritte Kapitel veranschaulicht die Fallgruppen eines latenten Testamentsvollstreckeramtes (Latenzfälle). Abgegrenzt werden diese Fallgruppen von denjenigen Konstellationen, in denen das Amt des Testamentsvollstreckers ebenfalls in der Schwebe sein kann, die sich jedoch von den Latenzfällen unterscheiden.

Im vierten Kapitel wird untersucht, ob der Erblasser die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers latent ausgestalten kann, indem er die Rechtsmacht ←19 | 21→(insbesondere die Verfügungsmacht) des Testamentsvollstreckers beschränkt, und wie sich eine Beschränkung der Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers auswirkt. Dies ist erforderlich, um die Wirkungen und die möglichen Gestaltungen der Testamentsvollstreckung in der Latenzzeit zu analysieren. Geprüft werden in § 1 die Rechtsgrundlage, in § 2 die Wirkungen und in § 3 die Folgen einer Beschränkung der Rechte des Testamentsvollstreckers. In § 4 und § 5 wird die Frage erörtert, ob und, wenn ja, auf welcher Grundlage die Eigenverwaltung des Erben und die Fremdverwaltung des Testamentsvollstreckers zu einer kooperativen Verwaltung kombiniert werden können. Das Rechts- und Konkurrenzverhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe wird dabei besonders berücksichtigt.

Das fünfte Kapitel enthält die Analyse der Frage, ob die Wirkungen der Testamentsvollstreckung in der Latenzzeit der aufschiebend bedingten oder befristeten Testamentsvollstreckung zum Tragen kommen und, falls ja, auf welcher Grundlage. Zudem werden die weiteren Rechtsfolgen einer aufschiebend bedingten Ernennung eines Testamentsvollstreckers sowie Besonderheiten bei der Einsetzung eines Nacherben untersucht.

Im sechsten Kapitel werden die Wirkungen der Testamentsvollstreckung in den Zeiten untersucht, in denen der Testamentsvollstrecker im Rahmen der Verwaltung des Nachlasses auf eine weitere Person trifft (§ 1 bis § 3 und § 5 bis § 7), die mit Wirkung für den Nachlass tätig wird. In § 4 wird der Sonderfall erörtert, dass der Testamentsvollstrecker mit einem weiteren Funktionsträger, der für den Erben oder den Nachlass tätig wird, personenidentisch ist. Zuletzt behandelt § 8 den Zeitraum nach der Erledigung aller Aufgaben des Testamentsvollstreckers.

1 Siehe nur Bengel/Reimann, HbTV, 6. A. (2017), § 2 Rn. 7, 92; Ruby, ZEV 2007, 18, (20 f.); Winkler, Der Testamentsvollstrecker, 22. A. (2016), Rn. 55.

2 Bengel/Reimann, HbTV, 6. A. (2017), § 2 Rn. 92.

3 Siehe etwa Bergschneider, Verträge in Familiensachen, 5. A. (2014), S. 38 f.

4 Kant hat dargelegt, dass sich Theorie und Praxis wechselseitig beeinflussen (siehe: Werke in zwölf Bänden, Band 11, Frankfurt am Main 1977, S. 127 ff.). Ihm wird der Satz zugerechnet: „Theorie ohne Praxis ist leer und Praxis ohne Theorie ist blind“ (siehe etwa Arnold, Logik des Entwerfens, 2018, S. 25). Es handelt sich hierbei um eine Umwandlung folgender Originalaussage Kants: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (siehe Kritik der Vernunft in: Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden, Band 3, Frankfurt am Main 1977, S. 97). Ferner macht Muscheler darauf aufmerksam, dass eine theorielose Praxis durchaus nicht so praktisch ist, wie manche Praktiker meinen (siehe Erbrecht (2010), Bd. II, Rn. 2721.).

5 Vgl. DNotI-Report 2013, 24 ff.

6 Dudenredaktion (o. J.): „Latenz“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/683074/revisions/1787754/view (Abrufdatum: 19.04.2019).

7 Vgl. Dudenredaktion (o. J.): „latent“ auf Duden online. URL https://www.duden.de/node/652883/revisions/1759136/view (Abrufdatum: 19.04.2019). Siehe dort auch zur Herkunft: „lateinisch latens (Genitiv: latentis), 1. Partizip von: latere = verborgen sein.“

8 Siehe etwa bei § 274 HGB (Latente Steuern).

9 Siehe hierzu Kapitel 2.

←20 | 22→

Kapitel 1 Grundlagen der Testamentsvollstreckung

Dem Erblasser stehen verschiedene Gestaltungsmittel zur Verfügung, um sicherzustellen, dass die Herrschaft über sein Vermögen über seinen Tod hinaus10 seinem Willen entsprechend ausgeübt wird. Er kann insbesondere durch letztwillige Verfügung einen Testamentsvollstrecker ernennen (§ 2197 Abs. 1 BGB). „Testamentsvollstrecker ist die durch Testament oder in einem Erbvertrag ernannte natürliche oder juristische Person, die den im Testament oder Erbvertrag enthaltenen Willen des Erblassers, sei es in Form der Abwicklungsvollstreckung oder der Verwaltungsvollstreckung, mit Zugang der Annahmeerklärung beim Nachlassgericht notfalls gegen den Willen der Erbbeteiligten zu vollziehen hat.“11

Das BGB regelt das Recht des Testamentsvollstreckers12 in den §§ 2197 bis 2228 BGB. Es unterscheidet zwei Testamentsvollstreckertypen: den Abwicklungsvollstrecker und den Verwaltungsvollstrecker.13 Soweit der Erblasser nichts anderes bestimmt, hat der Abwicklungsvollstrecker die letztwilligen Verfügungen auszuführen und, wenn mehrere Erben vorhanden sind, die Auseinandersetzung unter ihnen zu bewirken (§§ 2203, 2204 BGB). Zur Erfüllung dieser Aufgaben hat der Abwicklungsvollstrecker das Recht zur Verwaltung des Nachlasses (§ 2205 BGB). Er vollstreckt einen auf sonstige Verfügungen bezogenen Erblasserwillen.14 Der Verwaltungsvollstrecker (§ 2209 BGB) hat dagegen die Aufgabe, den Nachlass unabhängig von sonstigen Aufgaben zu verwalten.15 Er vollstreckt einen auf ihn und seine Verwaltungsaufgaben bezogenen Erblasserwillen.16 Der Verwaltungsvollstrecker setzt die vermögensrechtliche Herrschaft des Erblassers über den Tod hinaus fort. Bei der Verwaltungsvollstreckung ist die Verwaltung des Nachlasses Selbstzweck, bei der Abwicklungsvollstreckung ←21 | 23→dagegen Mittel zum Zweck.17 Das bestimmende Merkmal der Verwaltungsvollstreckung ist daher die Aufgabenzuweisung und nicht die Dauer, wie es die im Jahr 2001 eingeführte amtliche Überschrift „Dauervollstreckung“18 vermuten ließe, auch wenn die Funktion dieser Form der Testamentsvollstreckung naturgemäß eine gewisse Dauer der Tätigkeit erfordert.19 Der Abwicklungs- und der Verwaltungsvollstrecker haben – auch wenn sie unterschiedliche Zwecke verfolgen – eines gemeinsam: Ihre Rechtsmacht unterscheidet sich nach dem gesetzlichen Regelbild nicht; die in § 2205 BGB geregelten Befugnisse gelten vielmehr für beide Vollstreckertypen gleichermaßen.20

Das Recht des Testamentsvollstreckers (§§ 2197 bis 2228 BGB) beruht auf folgenden Prinzipien und Leitgedanken:21

Der Testamentsvollstrecker ist sowohl bei der Abwicklungs- als auch bei der Verwaltungsvollstreckung Verwalter fremden Vermögens.22 Er wird nicht zum (vorläufigen) materiellen Rechtsinhaber.23 Durch die Ernennung eines Testamentsvollstreckers wird die rechtliche Zugehörigkeit des Nachlasses in der Weise aufgespalten,24 dass der Erbe als Rechtsnachfolger zwar Träger der Nachlassrechte und -verbindlichkeiten wird, der Testamentsvollstrecker jedoch die tatsächliche und rechtliche Herrschaft über den Nachlass ausübt.25

←22 | 24→

Der Erbe ist, solange und soweit der Testamentsvollstrecker Verwaltungsmacht besitzt, aus seiner Rechtsmacht verdrängt, obwohl er Rechtsinhaber ist (Verdrängungsprinzip)26. Der Testamentsvollstrecker hat das grundsätzlich unbeschränkte Recht, über die Nachlassgegenstände zu verfügen.27

Es gilt das Prinzip der Privatheit, das heißt, der Gesetzgeber des BGB hat die Testamentsvollstreckung rein privat ausgestaltet.28

Der Wille des Erblassers ist innerhalb der gesetzlichen Schranken–auch ohne explizite Anordnung – die oberste Richtschnur für Inhalt und Umfang der Aufgaben und Befugnisse (§§ 2203 bis 2206 BGB) des Testamentsvollstreckers.29 Der Erblasser kann die in den §§ 2203 bis 2206 BGB bestimmten Rechte des Testamentsvollstreckers beschränken (siehe § 2208 BGB).

Die Zweite BGB-Kommission war bestrebt, die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers in sachlicher und zeitlicher Hinsicht so weit wie möglich auszudehnen, damit dieser seine Verwaltungsaufgaben möglichst effektiv erledigen kann.30

Die Kontroll- und Mitspracherechte des Erben sind im Gegensatz zur Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers relativ schwach ausgeprägt.31 Als Ausgleich hat der Gesetzgeber das Interesse des Erben anerkannt, von einer Haftung verschont zu bleiben.32 Der Testamentsvollstrecker kann daher nur Nachlassverbindlichkeiten begründen, für die der Erbe die Haftung beschränken kann.33

Die Nachlassgläubiger dürfen durch die Testamentsvollstreckung weder schlechternoch bessergestellt werden als bei der Erbenselbstverwaltung.34

Auf der Grundlage der vorgenannten Prinzipien und Leitgedanken sind bei der Anwendung der §§ 2197 ff. BGB insbesondere folgende nachlassbezogene ←23 | 25→Interessen des Erben, des Erblassers und des Testamentsvollstreckers zu berücksichtigen:35

Der Erbe hat ein Interesse, die Fremdverwaltung des Nachlasses durch möglichst ausgedehnte Mitsprache- und Kontrollrechte beeinflussen zu können (Mitverwaltungsinteresse36). Ferner wird der Erbe daran interessiert sein, dass der Nachlass zumindest erhalten bleibt, besser noch vermehrt wird (Nachlasserhaltungs- und mehrungsinteresse37).

Details

Seiten
240
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631841792
ISBN (ePUB)
9783631841808
ISBN (MOBI)
9783631841815
ISBN (Paperback)
9783631833605
DOI
10.3726/b17840
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Dezember)
Schlagworte
Bedingungen Verfügungsbeschränkungen Kooperative Verwaltungszuständigkeit Ämterkonkurrenz Gestufte Testamentsvollstreckung Schwebelagen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 240 S.

Biographische Angaben

Julian Klinger (Autor:in)

Julian Klinger studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wurde an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und ist als Rechtsanwalt tätig.

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Titel: Die latente Testamentsvollstreckung
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