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Das Spiel mit der Liebe: Liebesentwürfe in der Gegenwartsliteratur im Lichte spieltheoretischer Konzepte

von Nienhaus Kristina (Autor:in)
©2021 Dissertation 334 Seiten

Zusammenfassung

Das Verständnis von Liebe und Partnerschaft hat sich unter den Bedingungen der Spätmoderne verändert: Durch Digitalisierung, Globalisierung und die gesellschaftliche Akzeptanz von alternativen Lebensmodellen erscheint der Möglichkeitsraum der Liebe unendlich ausgedehnt. Auf diese Veränderung reagiert auch die Literatur. Der vorliegende Band verbindet spieltheoretische Ansätze (von Kant bis Baudrillard) mit (post-)modernen Liebeskonzeptionen (vor allem von Niklas Luhmann, Roland Barthes und Eva Illouz), um einen Blick auf die Auseinandersetzung mit den Geschlechterbeziehungen in der Gegenwartsliteratur zu werfen. Er geht der These nach, dass die Liebe unter den Bedingungen der Spätmoderne ein Phänomen ist, das sich mit Schlüsselkategorien der Spieltheorie adäquat erfassen lässt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • Verwendete Siglen
  • 1. Einleitung
  • 2. Das Spiel beginnt
  • 2.1 Die Spieltheorie
  • 2.1.1 „Eine Utopie erfüllter Menschlichkeit“ – Start des Spielbegriffs
  • 2.1.2 „[D]er Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen“ – Kant und Schiller
  • 2.1.2.1 Stofftrieb und Formtrieb ergeben den Spieltrieb
  • 2.1.2.2 Die Freiheit als zentrales Element in Schillers Kunstverständnis
  • 2.1.2.3 Der Schein als die Essenz von Kunst
  • 2.1.3 „[S]pielen ist experimentieren mit dem Zufall“ – Novalis
  • 2.1.4 „Die Deutungen allein bestimmen die Bedeutungen nicht“ – Wittgenstein
  • 2.1.4.1 Die Philosophischen Untersuchungen
  • 2.1.4.2 Das Sprachspiel
  • 2.1.5 „[D]aß Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist […]“ – Lyotard
  • 2.1.5.1 Spielen bedeutet Kämpfen
  • 2.1.6 „Das Spiel im Diskurs der Wissenschaften“ – Derrida
  • 2.1.7 „[J]egliche Realität wird von der Hyperrealität des Codes und der Simulation aufgesogen“ – Baudrillard
  • 2.1.7.1 Die Ordnung der drei Simulakra
  • 2.1.7.2 Das Ende der bekannten Realität
  • 2.2 Spiel und Literatur: Von der Aufklärung zur Postmoderne
  • 3. Wie sich die Liebe heute darstellt
  • 3.1 Ausgewählte Konzepte für den Diskurs über die Liebe
  • 3.1.1 „Keine Logik hält die Figuren zusammen“ – Roland Barthes
  • 3.1.2 „Aktivität wird als Passivität, Freiheit als Zwang getarnt“ – Niklas Luhmann
  • 3.1.3 „Die eigene sexuelle Attraktivität und Leistungsfähigkeit zur Schau […] stellen“ – Eva Illouz
  • 4. Das Spiel als Perspektive auf die Liebesbeziehungen der Gegenwartsliteratur
  • 4.1 Literatur als Spiel
  • 4.1.1 Autoren als Spieler – Rezipienten als Mitspieler
  • 4.2 Liebe und Leben in der Gegenwartsliteratur
  • 4.2.1 Liebe als Sozialexperiment
  • 4.2.1.1 Dieter Wellershoff Der Liebeswunsch
  • 4.2.1.1.1 Wellershoff und Simulation
  • 4.2.1.1.2 Was erzählt wird, ist passiert. Oder nicht?
  • 4.2.1.1.3 Zum Scheitern verurteilte Liebeswünsche
  • 4.2.1.1.4 ‚Wahlverwandtschaften‘ ohne Wahl
  • 4.2.1.2 Daniel Glattauer Gut gegen Nordwind
  • 4.2.1.2.1 Das virtuelle Spielfeld ist abgesteckt
  • 4.2.1.2.2 Die Spielbewegung führt zum Voranschreiten der Beziehung
  • 4.2.1.2.3 Die Perspektive dreht sich
  • 4.2.1.2.4 Der Spielverderber beendet das Spiel
  • 4.2.2 Zwischenfazit
  • 4.2.3 Liebesartefakte: Liebe – Kunst – Spiel
  • 4.2.3.1 Undine Gruenter Der verschlossene Garten
  • 4.2.3.1.1 Der Hortus conclusus als begrenztes Spielfeld
  • 4.2.3.1.2 Das Konzept einer Liebe als Lebensplan
  • 4.2.3.1.3 Der plötzliche Moment der Liebesmöglichkeit
  • 4.2.3.1.4 Die Gegenspieler – Aufschub und Eile
  • 4.2.3.1.5 Die Liebeswahl mündet in die Einsamkeit
  • 4.2.3.2 Peter Stamm Agnes
  • 4.2.3.2.1 Liebe und Kontingenz
  • 4.2.3.2.2 Stoppt die Kommunikation, stirbt die Liebe
  • 4.2.3.2.3 Die Mischung von Fiktion und Realität
  • 4.2.4 Zwischenfazit
  • 4.2.5 Liebe auf der Flucht – nomadische und beheimatete Liebeswünsche
  • 4.2.5.1 Judith Kuckart Wünsche
  • 4.2.5.1.1 In der Rolle einer anderen
  • 4.2.5.1.2 Wenn eine Figur fehlt, gerät das Spiel ins Stocken
  • 4.2.5.1.3 Spielen nur die anderen in der Vergangenheit?
  • 4.2.5.1.4 Liebe steht auf dem Spiel
  • 4.2.5.2 Peter Stamm Ungefähre Landschaft
  • 4.2.5.2.1 Das Spielfeld wird verlassen – oder nicht? / Begrenzte Grenzenlosigkeit
  • 4.2.5.2.2 So viele Spieler aber kein Partner
  • 4.2.5.2.3 Die Figuren bewegen sich nur, wenn sie sich bewegt
  • 4.2.6 Zwischenfazit
  • 5. Schluss
  • 6. Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Verwendete Siglen

A Stamm, Peter: Agnes. Roman. 21. überarb. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer 2014.

FP Wellershoff, Dieter: Fiktion und Praxis (1969). In: Keith Bullivant und Manfred Durzak (Hg.): Dieter Wellershoff. Werke 4. Essays, Aufsätze, Marginalien. Kiepenheuer & Witsch: Köln 1996f. S. 202-217.

LW Wellershoff, Dieter: Der Liebeswunsch. Roman. 8. Aufl. München: btb 2002.

N Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind. Roman. 41. Aufl. München: Goldmann 2008.

UL Stamm, Peter: Ungefähre Landschaft. Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer 2013.

VG Gruenter, Undine: Der verschlossene Garten. Roman. München: Carl Hanser Verlag 2004.

W Kuckart, Judith: Wünsche. 4. Aufl. Köln: Dumont 2013.

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1. Einleitung

Mit seiner literarischen Figur „Wolken“ versucht Roland Barthes in den Fragmenten einer Sprache der Liebe die Verdüsterung der Stimmung eines Liebenden in Worte zu fassen.1 Die Wolken werfen Schatten, die sich auf eine Beziehung legen und diese in einem anderen Licht erscheinen lassen. Sie können alles verändern und das, obwohl sie selbst in ihrer Beschaffenheit mehr Schein als Sein sind. Wolken sind nicht das einzige einprägsame Bild, das Barthes für seine Fragmente gefunden hat, doch gelingt es mit diesem sehr gut, die Liebe, um die es Barthes geht, und das Spiel zusammenzuführen. Das Spielerische manifestiert sich beispielsweise im Blick auf die Wolken, die der Künstler Gerhard Richter 1970 als Gemälde auf Leinwand bannte. Die Wolke als Motiv eröffnete Richter die Entwicklung von Themenkomplexen wie dem Zufälligen und der „Anti-Komposition“2, wie es auch Mark Godfrey, Kurator der Londoner Tate Modern-Gallery, beschreibt. Das sich stetig verändernde Erscheinungsbild der Wolke erfordere beim Künstler demnach eine „grundlegende Vorstellung von Form.“3 Richters Wolken zeigen „seine Huldigung der Grenzen von Organisation und Kontrolle“4, was den Spielcharakter der Werke noch einmal hervorhebt. Weiß, hell, luftig, auf hellblauem Grund – Abbilder eines Phänomens, das sich in der Natur groß, dunkel und bedrohlich oder klein, hell und fein am Himmel zeigt, und doch in seiner gesamten Erscheinung nur Illusion ist. Unzählige Wassertropfen vereint zu einem Gebilde, das nach mehr aussieht als bloßer Schein in luftiger Höhe. Das Spielerische lässt sich aber nicht nur an den bildenden Künsten verdeutlichen. Auch in der Literatur ist das Spiel immanent. Wie viele spieltheoretische Ansätze stecken in den Texten der Autorinnen und ←15 | 16→Autoren von Gegenwartsliteratur? Und gibt es spezielle Voraussetzungen, die diese begünstigen?

Ziel eines Romans, bewusst oder nicht, sei es, das Interesse des Lesers zu erregen und zu behalten, schrieb der niederländische Kulturhistoriker John Huizinga, der den Ursprung der gesamten menschlichen Kultur im Spiel verortete. Das „Substrat“, um dies zu erreichen sei stets eine Empfindung oder eine „Situation des menschlichen Lebens.“5 Huizinga stellte in seinem Werk Homo Ludens bereits 1930 fest: „Nun gibt es aber gar nicht allzuviel solcher Situationen oder Fälle. Im allerweitesten Sinne genommen, sind es größtenteils Situationen des Kampfes oder der Liebe, oder beides durcheinander.“6 Verhält es sich nicht sogar so, dass die Liebe mit all ihren Facetten, seien sie positiver oder negativer Natur, durch spieltheoretische Ansätze noch deutlicher analysierbar wird?

Die Künste waren immer schon Spielformen der Gegenwart. In der Literatur eröffnen Autoren nach den künstlerischen Spielregeln neue Lebenswelten und zeigen Möglichkeiten und Spielausgänge auf. In der gegenwärtigen Zeit, in der vermehrt Computer- und Strategiespiele einen großen Anteil der menschlichen Lebensgestaltung einnehmen,7 behauptet das Spiel, auch als ←16 | 17→handlungsbestimmendes Element in der Gegenwartsliteratur, einen Simulationsraum für kulturelle Prozesse; große Themen wie Liebe, Tod und Einsamkeit werden durchgespielt. In der Postmoderne manifestiert sich schließlich der gedankliche Ansatz, dass Realität nicht nur Wirklichkeit, sondern auch deren Simulation, deren nachgebildete Kopie bedeuten kann. Ein künstliches Spiel, das auch die Gegenwartsliteratur für ihre (Liebes-)Geschichten in sich aufnimmt. Das Handeln der Protagonisten gleicht oft Spielzügen.

Fast über alle Standes-, Länder-, Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg ist es heute möglich, seine Liebe auszuleben. Umso mehr fällt bei dieser postmodernen Liebe – als einem Spiel, in dem alles möglich ist – die große desolate Einsamkeit der Liebenden auf. Die dem Spiel und der Kunst als Grundvoraussetzung immanente Freiheit endet in den Texten oftmals in einem Liebes-Dilemma. Die literarischen Spieltheorien bieten daher ein optimales Instrument, um die Liebeskonzeptionen der Gegenwartsliteratur zu analysieren. Als Fundament dieser Untersuchung soll der Weg der literarischen Spieltheorien nachgezeichnet werden, der von seinen Anfängen über die ästhetische Autonomie bei Immanuel Kant und Friedrich Schiller die philosophischen und soziologischen Überlegungen von Novalis, Wittgenstein, Lyotard, Derrida und Baudrillard einbezieht. Zu einer Entwicklung der Grundlagen für eine Liebeskonstruktion ziehe ich die Überlegungen von Roland Barthes, Niklas Luhmann und Eva Illouz heran. Ich beziehe mich in dieser Arbeit auf die Geschlechterliebe (‚Eros‘, abgegrenzt von ‚Philia‘ und ‚Agape‘), nicht auf andere Formen von Liebesbindungen, wie beispielsweise die Liebe zwischen Eltern und Kindern oder auch spirituelles oder religiöses Liebesempfinden.

Dem Philosophen Roland Barthes zufolge sind die Gefühle und das Verhalten der Menschen, wenn es um die Liebe geht, kulturell geprägt. Die Lektüre von Romanen und die Geistesgeschichte sind für ihn die Grundlagen für den Diskurs über die Liebe. Trotzdem bleibt für Barthes der Liebende ein Einsamer und der Gesellschaft enthoben. Die nicht reale Welt, der Wahn, nimmt für ihn ←17 | 18→den Platz der Realität ein. Was andere für wahr halten, erscheint ihm als bloße Illusion.8 Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann beschreibt die Liebe nicht als Gefühl, sondern als Code. Diese Liebescodes haben durch ihre Abstraktheit die Eigenschaft, Vergleiche zu ermöglichen. So kann die Liebe beispielsweise mit den Codes von Geld oder von Macht verglichen werden. Er beschreibt so die Positionierung der Liebe in der Gesellschaft als „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium.“9 Er kommt unter anderem zu dem Schluss, dass heute die „Alternative des Abbrechens und Alleinbleibens“10 eine erwägenswerte Option darstellt. Für Eva Illouz ist die Liebe aktuell ein „entzaubertes Phänomen.“11 Die israelische Soziologin beschreibt die Liebe in Zeiten der Massenmedien und analysiert das Verhältnis der Geschlechter im Kapitalismus. Illouz meint, die Liebe sei dem Markt sehr ähnlich. Was knapp sei und sich entziehe, begehrten Frauen und Männer immer am meisten.12 Sie sieht die „Frauen als Verliererinnen moderner Paarungskultur.“13 Die Sexualität, vor allem die der Männer, sei heute oft von Liebe und Gefühlen abgekoppelt.14 Die sexuelle Freiheit sei vom Kapitalismus kolonialisiert worden. In diesem Zusammenhang sieht Illouz die hervorstechende Flüchtigkeit, der die heutigen sexuellen, aber auch romantischen Beziehungen unterliegen.15

Es soll demnach im Folgenden auf existierende Theorien zurückgegriffen werden, die dann in ihrem Zusammenwirken bei der Analyse der verschiedenen Romantexte auf ihre Brauchbarkeit geprüft und weiterentwickelt werden. ←18 | 19→Das theoretische Wissen wird so auf die Gegenwartsliteratur bezogen und angewandt. Es wird aufgezeigt, wie sich Literatur als Spiel positioniert, Autoren werden zu Spielemachern, Rezipienten agieren als Mitspieler und auch die Protagonisten sollen in ihrer Rolle im Spiel untersucht werden. Entscheidungen der Figuren sollen als Spielzüge aufgezeigt und die Strategien dahinter betrachtet werden. Die spieltheoretischen Theoreme nutze ich, um in Verbindung mit den postmodernen Liebestheorien die unterschiedlichen Konzeptionen von Liebe in der Gegenwartsliteratur zu analysieren. Fragestellungen wie Liebe als Kommunikation, Liebesbeziehungen als Möglichkeit der Konstituierung des Subjekts in der Wirklichkeit und die Liebe als postmodernes Spiel werden untersucht. Die Liebe in der Gegenwartsliteratur wird anhand einer Roman-Auswahl detailliert analysiert. Strukturiert in verschiedene Gruppen werden unterschiedliche Liebeskonstruktionen betrachtet.

Die Liebe als Sozialexperiment wird sich in den Romanen Der Liebeswunsch von Dieter Wellershoff und Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer zeigen. Die Texte führen vor Augen, wie vielfältig die sozialen Konstrukte der Liebe sein können. Paarkonstellationen werden in vielfachen Varianten durchgespielt, Grenzen werden überschritten; experimentelle Spielanordnungen mit immer anderen Figuren besetzt. Gleichzeitig geht Glattauer einen Schritt weiter, indem er seine Liebeskonstruktion der realen Welt enthebt und zur rein virtuellen Liebe erweitert. Die Liebe läuft hierbei Gefahr, sich zu ihrer bloßen Simulation zu wandeln.

Liebeskünstler: Liebe – Kunst – Spiel beinhaltet neben Peter Stamms Text Agnes den Roman Der verschlossene Garten von Undine Gruenter. Gequält durch wahnhafte Liebe oder die Angst vor dem Verlust der geliebten Person versuchen die Liebeskünstler, ihre Gefühle durch ihre Werke (hier Literatur und Architektur/Gartenbau) zu kanalisieren. Die Verwechslung von Kunst und Leben aber kann tödlich enden. Bei Gruenter beispielsweise lässt sich beobachten, dass eine der realen Welt derart abgekehrte Liebeskonstruktion, wie sie im verschlossenen Garten gelebt wird, einen ebenso simulativen Charakter entwickelt wie eine Liebe, die bloß im virtuellen Raum stattfindet. Stamms Figur Agnes hingegen lässt sich von einer fiktiven Geschichte derart dominieren, dass sie die vermeintlich heilbringende Abkehr von der Realität mit dem tatsächlichen Tod bezahlen muss.

Judith Kuckarts Wünsche und Peter Stamms Ungefähre Landschaft sind die Texte, die zum Thema Liebe auf der Flucht – nomadische und beheimatete Liebeswünsche untersucht werden. Das bisherige Lebensumfeld wird verlassen, um im Spiel mit Identität, Fremdheit, Aufbruch und Verwurzelung Liebeskonstellationen zu durchleben. Wenn eine Figur aus der heimischen Konstruktion entfernt ←19 | 20→wird, bringt dies das Spiel zu Hause ins Stocken. Eine Rückkehr zum einstigen Spielverlauf bleibt den Ausgebrochenen verwehrt. Die Bewegung spielt hier eine wichtige Rolle und auch hier ist die künstlich erschaffene Parallelwelt zur eigentlich realen Lebenswelt der Figuren im heimischen Umfeld Thema.

Werden in diesen Romanen vorrangig heterosexuell-normative Formen von Liebesbindungen beschrieben, heißt es selbstverständlich nicht, dass abseits dieser konventionellen Beziehungen kein Untersuchungspotenzial zu finden ist. Die übergeordnete spieltheoretische Perspektive führte hinsichtlich der drei Analyse-Hauptkapitel jedoch zur gegebenen Romanauswahl, um die Liebe als Sozialexperiment, die Liebeskünstler und die Liebe auf der Flucht entsprechend in den Blick zu nehmen. Es ergeben sich Fragestellungen zu Aspekten der postmodernen Liebesthematik, der systemtheoretischen Gesellschaftsauffassung und dem spieltheoretischen Einfluss auf die Gegenwartsliteratur. Die auf die Literaturwissenschaften fokussierte Betrachtung soll ein gesellschaftlich relevantes Thema mit Hilfe der künstlerisch komponierten Texte ausgewählter Gegenwartsautorinnen und -autoren erhellen helfen. Zudem bietet die spieltheoretische Perspektive ein Forschungsgebiet an der Grenze zwischen Genderforschung und literaturwissenschaftlicher Ästhetik-Untersuchung. Aspekte von Kunst und Geschlecht, aber auch Liebe und Postmoderne oder Geschlecht und Gesellschaft sind Fragestellungen, die hieraus resultieren. Es eröffnet sich damit auch eine Perspektive, den aktuellen spieltheoretischen Einfluss auf die Gegenwartsliteratur neu in den Blick zu nehmen und zu bewerten.


1 Barthes, Roland: Fragmente einer Sprache der Liebe. Übersetzt von Hans-Horst Henschen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2014. (= Suhrkamp Taschenbuch. Bd. 1586). S. 254. Barthes selbst bezeichnet die einzelnen „Redebruchstücke“, die er in seinen Fragmenten zusammenfasst, als Figuren. Diese Bezeichnung solle nicht im rhetorischen, sondern im choreographischen Sinne verstanden werden. Die Figuren sollen den Liebenden in Aktion darstellen, konkretisiert Barthes. (Ebd. S. 15ff.) Auf die Figuren wird im Kapitel 3.1.1 genauer eingegangen.

2 Godfrey, Mark: Beschädigte Landschaften. In: Mark Godfrey; Nicholas Serota (Hg.): Gerhard Richter. Panorama. Retrospektive. München: Prestel 2012. S. 73-89. Hier S. 83.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. In engster Zusammenarbeit mit dem Verfasser aus dem Niederländischen übertragen von H. Nachod. Mit einem Nachwort von Andreas Flitner. 24. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2015. S. 147.

6 Ebd.

7 Siehe hierzu beispielhaft Thomas Lackner, der in seinem Buch Computerspiel und Lebenswelt. Kulturanthropologische Perspektiven unter anderem davon spricht, dass sich die virtuellen Spielräume ausweiten und beginnen, auch im Alltagsraum das menschliche Handeln und Denken zu beeinflussen. Vgl. Lackner, Thomas: Computerspiel und Lebenswelt. Kulturanthropologische Perspektiven. Bielefeld: transcript Verlag 2014. (= Edition Kulturwissenschaften, Bd. 53). S. 39. Auch in dem Aufsatz Digitale Kultur und ästhetischer Transfer von Bettina Schlüter wird dies deutlich. Sie beschreibt, wie sich Computer- und Videospiele bereits seit Jahren in der Gesellschaft etablieren und sich so verschiedene Vereinigungen und Organisationen, wie zum Beispiel im populären Segment des E-Sports, bilden: „Diese Gruppierungen agieren international, nutzen Formen medial vernetzter Kommunikation und haben sich längst eigene Aktionsräume geschaffen, die allein schon in ihrer Quantität – nicht selten auch Professionalität – einen gewichtigen Faktor innerhalb der Alltagsrealität, der Freizeitgestaltung, der Arbeitswelt, der Kreativwirtschaft und auch der Kunst darstellen.“ Schlüter, Bettina: Digitale Kultur und ästhetischer Transfer. Zum Kunstcharakter von Computerspielen. In: Jochen Koubek; Michael Mosel; Stefan Werning (Hg.): Spielkulturen. Glückstadt: Werner Hülsbusch 2013. S. 79-91. Hier S. 80. Die Spiele hätten sich „als Gegenstand kultur-, literatur- und medienwissenschaftlicher – und eben auch ästhetischer – Reflexion etabliert.“ (Ebd.) Im Jahr 2008 ist der Verband ‚G.A.M.E.‘ (Games Art Media Entertainment) in den deutschen Kulturrat aufgenommen worden. ‚Der Tagesspiegel‘ titelte seinen Bericht diesbezüglich Computerspiele werden Hochkultur und schreibt: „Gaming ist Kunst: Der Deutsche Kulturrat nimmt den Verband der Computerspiele-Entwickler als neues Mitglied auf. Somit ist die Spielebranche im Kulturbetrieb angekommen.“ Computerspiele werden Hochkultur. https://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturrat-computerspiele-werden-hochkultur/1301568.html. Letzter Zugriff: 21.02.2020. Und vgl. Schlüter (2013): Digitale Kultur. S. 79.

8 Barthes (2014): Fragmente. S. 13ff.

9 Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. 12. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012. S. 21. Und vgl. weiterführend u.a. Luhmann, Niklas: Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Ders.: Soziologische Aufklärung. Bd. 2. Opladen: Westdt. Verlag 1975. S. 170-192.

10 Luhmann (2012): Passion. S. 197.

11 Illouz, Eva: Ist die Liebe tot? In: DIE ZEIT. Nr. 25/ 2013. https://www.zeit.de/2013/25/eva-illouz-liebe-tot. Letzter Zugriff: 20.05.2020.

12 Klopp, Tina: „Wir lieben nach den Regeln des Marktes“. Gespräch mit Eva Illouz. In: ZEIT ONLINE. 08.12.2011. https://www.zeit.de/lebensart/partnerschaft/2011-12/interview-eva-illouz-liebe. Letzter Zugriff: 20.05.2020.

13 Harms, Ingeborg: Gefangen im Rollenspiel. Neue Chancen für die Liebe von heute? Die Soziologin Eva Illouz sucht sie im Megabestseller „Shades of Grey“. In: DIE ZEIT. Nr. 26/ 2013. https://www.zeit.de/2013/26/sachbuch-eva-illouz-neue-liebesordnung. Letzter Zugriff: 20.05.2020.

14 Ebd.

Details

Seiten
334
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631856406
ISBN (ePUB)
9783631856413
ISBN (MOBI)
9783631856420
ISBN (Hardcover)
9783631843062
DOI
10.3726/b18492
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Jean Baudrillard Friedrich Schiller Jean-François Lyotard Niklas Luhmann Eva Illouz Sozialexperiment Liebesartefakte Roman Dieter Wellershoff Stamm
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 334 S.

Biographische Angaben

Nienhaus Kristina (Autor:in)

Kristina Nienhaus, geb. Hochwald, studierte Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Anglistik und Amerikanistik. Sie promovierte am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn. Neben ihrer Tätigkeit an der Paderborner Fakultät für Kulturwissenschaften arbeitete die gelernte Journalistin für verschiedene Print- und TV-Medien.

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