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Die Italienische Kommunistische Partei und die deutsche Frage 1947–1973

von Francesco Sebastian Leone (Autor:in)
©2022 Dissertation 320 Seiten

Zusammenfassung

Die deutsche Frage löste in Italien sowohl in der Politik als auch in der öffentlichen Meinung immer harsche Gegensätze aus. Für die starke und sowjettreue Italienische Kommunistische Partei galt sie als eine der zentralen Problematiken in der europäischen Nachkriegszeit. Dennoch erfuhr die Haltung der italienischen Kommunisten gegenüber der deutschen Frage eine tiefgreifende Entwicklung, die in den gegensätzlichen, paradigmatischen Reaktionen zum Mauerbau und -fall versinnbildlicht sind. Jene Entwicklung, die ihre Wurzeln in der allmählichen Veränderung der deutschlandpolitischen Vorstellungen der italienischen Kommunisten in den 1950er und 1960er Jahren hatte, steht im Zentrum dieses Buches und wird anhand der Analyse deutscher und italienischer Parteiquellen und -presse rekonstruiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungen
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Frage- und Problemstellung
  • 1.2 Quellenlage
  • 1.3 Untersuchungszeitraum, Gliederung und Aufbau der Arbeit
  • 1.4 Forschungsstand
  • 2. Vorgeschichte: Die Italienische Kommunistische Partei und Italiens Außenpolitik zwischen 1943 und 1948
  • 2.1 Italien und die Großmächte. Juli 1943 bis März 1944
  • 2.2 Die Lage der italienischen Kommunisten am 8. September
  • 2.2.1 Die Resistenza und die antifaschistischen Parteien bis März 1944
  • 2.2.2 Die Wende von Salerno
  • 2.3 Italien, die internationale Politik und die IKP von April 1944 bis April 1945
  • 2.4 Die neue Partei
  • 2.5 Die Resistenza als Fundament des kommunistischen Deutschlandbilds
  • 2.6 Italienische Außenpolitik (1945-1948) und die Haltung der IKP
  • 3. Die ersten Jahren des Kalten Krieges
  • 3.1 Vor der Entstehung der Republiken: Die Haltung der IKP zur deutschen Frage 1946 bis 1949
  • 3.2 Die Gründung der deutschen Staaten
  • 3.3 Der „Friedenskampf“ der italienischen Kommunisten
  • 4. Die Opposition gegen die deutsche Wiederbewaffnung
  • 4.1 Die friedliche Lösung der deutschen Frage: „Nur Potsdam löst die deutsche Frage“
  • 4.2 Das Problem der deutschen Wiederbewaffnung in den frühen 50er Jahren
  • 4.3 Die Opposition gegen die deutsche Wiederaufrüstung und die EVG (1950-1951)
  • 4.4 Die „campagna contro il riarmo tedesco“ und der Aufbau des Netzwerkes zur friedlichen Lösung der deutschen Frage (1952-1953)
  • 5. Der Umbruch nach Stalins Tod
  • 5.1 Die kommunistische Kampagne gegen die EVG nach Stalins Tod
  • 5.2 Deutschland- und Europavorstellungen der italienischen Kommunisten zwischen 1954 und 1955
  • 5.3 Von dem Kampf für die Wiedervereinigung zum Kampf für die „Anerkennung der Realität“
  • 5.4 Der Kampf gegen die deutsche Wiederaufrüstung nach dem Scheitern der EVG: Die Haltung zur Westeuropäischen Union
  • 5.5 Exkurs: Die Reaktionen auf den 17. Juni
  • 6. Beziehungen der IKP zu deutschen Parteien 1949 bis 1956
  • 6.1 Zur SED und KPD
  • 6.2 Zur SPD
  • 7. Die deutschlandpolitischen Vorstellungen in der Chruschtschow-Ära
  • 7.1 Die Umbruchsjahre 1955/56
  • 7.1.1 Die IKP und die Theorie des Polyzentrismus
  • 7.1.2 Die IKP und die Aufstände in Polen und Ungarn
  • 7.2 Der Kommunismus nach 1956
  • 7.3 Die internationale Politik der italienischen Kommunisten nach 1956
  • 7.3.1 Leitlinien
  • 7.3.2 Deutschlandbilder nach 1956
  • 7.4 Die „politische“ Aktivität des Centro Thomas Mann
  • 8. Die Haltung zu den Berlin-Krisen 1958 bis 1961
  • 8.1 Die Krise von 1958 und die neue Genfer Konferenz: Neue Hoffnungen
  • 8.2 Die italienischen Kommunisten und der Mauerbau
  • 8.3 Centrosinistra und internationale Entspannung: die IKP in den 1960er Jahren
  • 8.4 Nach dem Mauerbau. Kommunistische Deutschlandpolitik in den 1960er Jahren
  • 8.5 Die Organisationen für die Anerkennung der DDR: das Comitato Italia-RDT
  • 8.6 Wachsendes Interesse an der BRD in den frühen 1960er Jahren
  • 8.7 Exkurs zur Südtirolfrage
  • 9. Beziehungen der IKP zu deutschen Parteien 1956 bis 1965
  • 9.1 Zur SED
  • 9.2 Zur SPD
  • 10. Unterstützung der Ostpolitik
  • 10.1 Die italienischen Kommunisten nach Togliattis Tod
  • 10.2 Die Deutschlandfrage und die kommunistische Weltbewegung
  • 10.3 Die Haltung zur Großen Koalition
  • 10.4 Der Dialog zwischen der IKP und der SPD
  • 10.5 Die Folgen des Prager Frühlings
  • 10.5.1 Reaktionen auf den Prager Frühling
  • 10.5.2 Folgen für den Dialog mit der SPD
  • 10.6 Reaktionen auf die Ostpolitik
  • 10.7 Die italienische Anerkennung der DDR
  • 11. Schlussbetrachtung
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Abkürzungen

ADN

Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst

AdsD

Archiv der Sozialen Demokratie

ANPI

Associazione Nazionale Partigiani d'Italia

ANPPIA

Associazione Nazionale Perseguitati Politici Italiani Antifascisti

APC

Archivio del Partito Comunista Italiano

BArch

Bundesarchiv

BDJ

Bund Deutscher Jugend

BRD

Bundesrepublik Deutschland

CDU

Christlich Demokratische Union

CED

Comunità europea di difesa/ Communauté européenne de défense

CGIL

Confederazione Generale Italiana del Lavoro

CLN

Comitato di Liberazione Nazionale

CP

Communist Party

ČSSR

Československá socialistická republika

CSU

Christlich-Soziale Union

DC

Democrazia Cristiana

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DzD

Dokumente zur Deutschlandpolitik

EDC

European Defence Community

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

FG

Fondazione Gramsci

FDP

Freie Demokratische Partei

FES

Friedrich-Ebert-Stiftung

FGCI

Federazione Giovanile Comunista Italiana

FIR

Federazione internazionale dei Resistenti/ Fédération Internationale des Résistentes

FTT

Freies Territorium Triest

IKP

Italienische Kommunistische Partei

Kominform

Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien

Komintern

Kommunistische Internationale

KP

Kommunistische Partei

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

KpdSU

Kommunistische Partei der Sowjetunion←9 | 10→

KPI

Kommunistische Partei Italiens

NATO

North Atlantic Treaty Organization

NCS

National Security Council resolution

ND

Neues Deutschland

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

PA-AA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin

PCd’I

Partito Comunista d‘Italia

PCF

Parti communiste français

PCI

Partito Comunista Italiano

PCUS

Partito Comunista dell’Unione Sovietica

PNF

Partito Nazionale Fascista

PSDI

Partito Socialista Democratico Italiano

PSI

Partito Socialista Italiano

PSIUP

Partito Socialista Italiano di Unità Proletaria

PSU

Partito Socialista Unificato

RBI

Radio Berlin International

RDT

Repubblica Democratica Tedesca

RFT

Repubblica Federale Tedesca

SAPMO

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

UEO

Unione europea occidentale

UNO

United Nations Organization

URSS

Unione delle Repubbliche Socialiste Sovietiche/

WEU

Westeuropäische Union

WFR

Weltfriedensrat

ZK

Zentralkomitee

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Vorwort

Das vorliegende Werk wurde als Dissertation an der Universität Trier im Februar 2020 verteidigt. Prof. Dr. Christian Jansen, der die Arbeit aufmerksam betreut und mich von Anfang an persönlich und wissenschaftlich unterstützt hat, gilt meine tiefe Dankbarkeit. Prof Dr. Lutz Raphael hat nicht nur das Zweitgutachten erfasst, sondern auch im Laufe der Forschung viele aufschlussreiche Hinweise und Anregungen geliefert: Auch ihm bin ich sehr dankbar. An der Universität Trier unterstützten mich außerdem PD Dr. Massimiliano Livi und Dr. René Moehrle sehr bei der Vollendung dieser Arbeit. Für den immer anregenden Austausch im Rahmen der Doktorandenkolloquien sowie während der Disputatio bedanke ich mich außerdem bei Prof. Dr. Ursula Lehmkuhl und PD Dr. Eva Bischoff.

Für viele anregende Gespräche danke ich den Kolleginnen und Kollegen auf beiden Seiten der Alpen Dr. Giovanni Bernardini, Dr. Costanza Calabretta, Jacopo Ciammariconi, Dr. Michele Di Donato, Dr. Laura Di Fabio, Dr. Gabriele D’Ottavio, Marius Hirschfeld, Dr. Teresa Malice, Michael Malchereck, Dr. Gregorio Sorgonà, Daniele Toro und Dr. Julian Traut. Bei den Kolleginnen und Kollegen der Società Italiana di Storia Contemporanea dell’Area di Lingua Tedesca und der Arbeitsgemeinschaft für die Neueste Geschichte Italiens bedanke ich mich ebenfalls für die Anregungen und den immer reizvollen Austausch. Insbesondere möchte ich mich hier bei Prof. Dr. Stefano Cavazza und Prof. Dr. Andrea D’Onofrio bedanken. Eine Dissertation zu verfassen ist kein einfaches Unterfangen, umso mehr wenn dies in einer Fremdsprache geschieht: Marius Hirschfeld hat den Text umfassend und akribisch lektoriert und mir wichtige Hinweise gegeben. Unterstützt in diesem Sinne haben mich ebenfalls Nathalie Beßler, Davide Masuzzo, Robin Simonow und Marius Hafke.

Finanziert wurde die Promotion durch Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der FAZIT-Stiftung, die auch die Publikationskosten übernahm. Hier gilt mein Dank vor allem Annette Martinez. Dank eines Stipendiums des Deutschen Historischen Instituts konnte ich darüber hinaus in Rom meine Recherchen führen. Besonders bedanke ich mich hier bei Prof. Dr. Martin Baumeister, Prof. Dr. Alexander Koller, PD Dr. Lutz Klinkhammer.

Für die Unterstützung und die Hilfe im Istituto Gramsci – Archivio del Partito Comunista Italiano bedanke ich mich bei Giovanna Bosman und Cristiana Pipitone. Für die Aufnahme in die Reihe „Italien in Geschichte und Gegenwart“ danke ich – neben meinem Doktorvater – Prof. Dr. Günther Heydemann und ←11 | 12→Prof. Dr. Thomas Kroll, sowie Dr. Hermann Ühlein für die Hilfe und das Verständnis während des Publikationsverfahrens.

Meinen Eltern gilt mein besonderer Dank.

Annabella Raucci unterstützte mich schon vor Beginn der Promotion. Unsere Töchter Clara und Laura wurden während der Fertigstellung der Dissertation und des Buches geboren und haben den Prozess sehr beschleunigt. Ohne Annabella, Clara und Laura wäre dieser Band nie zustande gekommen.

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1. Einleitung

Am 18. Januar 1973 nahm die italienische Republik diplomatische Beziehungen mit der Deutschen Demokratischen Republik auf.1 Obwohl die Entscheidung erst erfolgte, nachdem die Bundesrepublik Deutschland mit der DDR knapp einen Monat zuvor den Grundlagenvertrag unterzeichnet hatte, handelte es sich bei der italienischen Entscheidung keinesfalls nur um eine Anpassung an die Außenpolitik der westdeutschen Alliierten. Vielmehr war sie das Resultat der Übereinstimmung aller wichtigen politischen Kräfte, wie die Tatsache zeigt, dass die italienische Regierung schon vor den westlichen Siegermächten diesen Schritt ging. Dennoch war es die Italienische Kommunistische Partei (Partito Comunista Italiano)2, also keine Regierungspartei, sondern die stärkste Oppositionskraft, die über die Anerkennung der DDR am meisten jubelte.3 Die Italienische Kommunistische Partei, die größte kommunistische Partei im Westen, betrachtete die Aufnahme diplomatischer Beziehungen quasi als einen eigenen Erfolg, denn sie hatte sich in dieser Frage bereits seit den Jahren 1955/56 bemüht, stark für die Anerkennung plädiert und schließlich aktiv die Ostpolitik ←13 | 14→der westdeutschen Regierung unterstützt, deren Resultate, insbesondere der Moskauer Vertrag im August 1970 zwischen der BRD und der Sowjetunion, als „Anerkennung der aus dem Zweiten Weltkrieg erwachsenen europäischen Realität“ gelobt wurden.

Die nahezu einhellige Übereinstimmung in der Frage der Anerkennung der DDR blieb eine Ausnahme in der italienischen Debatte über die deutsche Frage. Diese löste nämlich sowohl bei den italienischen Parteien als auch in der öffentlichen Meinung immer harsche Gegensätze aus. Von Italien aus betrachtet war die deutsche Frage nämlich eine brisante Frage der internationalen Politik. Denn es ging um die politische Lage und die Zukunft eines der wichtigsten Alliierten der italienischen Regierung, der BRD. Außerdem hatten auch Erinnerungen an die Vergangenheit großes Gewicht in der Debatte. Die Kriegserinnerungen und die weitverbreiteten deutschfeindlichen Gefühle von Teilen der italienischen Öffentlichkeit prägten die Wahrnehmung der deutschen Frage.

Die internationale Auseinandersetzung zwischen den Blöcken, die in Deutschland zur doppelten Staatsgründung führte, war in Italien von der Konfrontation zweier politischer Kräfte gekennzeichnet, nämlich der Regierungsparteien und der Kommunisten. Beide vertraten mehr oder weniger linientreu die Positionen ihrer „Schutzmächte“, auch in außenpolitischen Fragen. Die deutschlandpolitischen Vorstellungen der italienischen Parteien spiegelten also die Außenpolitik der USA und der Sowjetunion wider, vor allem in der ersten Phase der Kalten Krieges. Die italienischen nationalen Interessen wurden sowohl von den NATO-treuen Regierungsparteien als auch von den UdSSR-treuen Kommunisten im Lichte und im Rahmen der Entscheidungen der zwei Großmächte interpretiert, vor allem während des ersten Jahrzehnts der Nachkriegszeit. Die IKP handelte besonders linientreu und fungierte in dieser Phase vor allem als Sprachrohr der Sowjetunion in Italien. Sie stellte die deutsche Frage als Themenkomplex dar, der den gesamten Kampf zwischen „Friedensmächten“ (die Sowjetunion und ihre Verbündeten) und „Kriegsmächten“ (dem Westen) symbolisierte. Während die DDR zur „Front des Friedens“ zählte, war selbstverständlich die BRD ein Vasallenstaat der „Front des Krieges“. Keinesfalls sei mit einer Änderung der Machtkonstellation in Bonn sowie mit einer Wende der westdeutschen Politik zu rechnen. Die einzige Lösung, so die Kommunisten, sei eine Wiedervereinigung und Neutralisierung des deutschen Gebiets. Besonders heftig nutzte in diesem Rahmen die IKP ihre Propaganda, vor allem über Presseaktionen, jedoch auch mithilfe von Demonstrationen und Veranstaltungen, die von der Partei direkt oder indirekt, also durch parteinahe oder von der Partei kontrollierte Organisationen, einberufen wurden, um die Thesen der Partei zu verbreiten. Keinesfalls begrenzte sich die Propaganda auf brisante Themen von politischer Aktualität. ←14 | 15→Ihre Schemata betrachteten die BRD auch als Erbe des Dritten Reiches und nutzten die Erinnerungen an Krieg und deutsche Besatzung, um in der italienischen öffentlichen Meinung die deutschlandpolitische Haltung der IKP zu rechtfertigen.

Nichtdestotrotz veränderte sich dieses Muster seit Mitte der 1950er Jahre, als die IKP immer mehr begann, eine autonome Deutschlandpolitik auszuarbeiten und nicht nur die sowjetischen Positionen zu wiederzuholen. Die deutsche Frage wurde nun immer zentraler in den Diskussionen der Entscheidungszentren der Partei, seit 1961 sogar durch ein festes für Deutschland verantwortliches Gremium, das vor allem die Propagandakampagnen plante. Die Beziehungen der IKP mit der SED, bisher sehr schwach und formell, wurden ausgebaut, und zwar bilateral, also ohne Einmischung der sowjetischen Schutzmacht. Dieser Prozess betraf ebenfalls die Wahrnehmung der BRD. Nach dem Mauerbau, als die Lage der deutschen Frage unverrückbar schien, entwickelte die IKP ein kritisches Interesse für die westdeutsche Politik und begann, Westdeutschland in einer immer komplexeren, flexibleren und offeneren Weise zu betrachten. Darüber hinaus kam es zu einem Deutschland betreffenden Dialog und sogar zu einer Zusammenarbeit mit nichtkommunistischen Kräften, vor allem mit den Sozialisten, jedoch auch mit Teilen der Democrazia Cristiana und mit anderen Regierungsparteien, vor allem zugunsten der Anerkennung der DDR. Als die westdeutsche Ostpolitik zustande kam, war die Zeit also reif für eine Unterstützung ihrer Ziele seitens der IKP.

Die vorliegende Arbeit zeigt vor allem die Entwicklung der IKP auf, die in weniger als 20 Jahren sich langsam von einer linientreuen kommunistischen Partei zu mehr Offenheit entwickelte und schließlich die Außenpolitik der größten westlichen sozialdemokratischen Partei offen unterstützte.

1.1 Frage- und Problemstellung

Ziel dieser Studie ist eine Darstellung der Deutschlandpolitik der IKP zwischen 1947 und 1973. In Zentrum stehen dabei die deutschlandpolitischen Positionen der italienischen Kommunisten und ihre Entwicklung innerhalb des Untersuchungszeitraums, die Strategien der Partei, der parteiinterne Entscheidungsprozess, die Deutschland betreffende Parteipropaganda sowie der Einfluss der Beziehungen der IKP zu den deutschen Parteien auf die Entwicklung der politischen Positionen.

In erster Linie wird in einer traditionellen entscheidungsanalytische Perspektive gefragt, wie sich die deutschlandpolitischen Positionen der IKP entwickelten, welche Kontinuitäten sie kennzeichneten, wann es zu Wendepunkten und ←15 | 16→Brüchen kam und welche Folgen sie hatten. Damit verknüpft ist die Frage nach den Ursachen jener Entwicklungen, insbesondere mit Blick auf das Verhältnis der IKP zur Sowjetunion. Die Deutschlandfrage gilt also auch als eine Fallstudie, um dieses Verhältnis zu untersuchen. Es stellt sich dabei die Frage, ob die Entwicklung der Haltung zur Deutschlandfrage von Kurswechseln der UdSSR verursacht wurde; ob die Positionen der IKP von der Deutschlandpolitik der Sowjetunion abwichen und, wenn ja, in welchem Maß und aus welchen Gründen; ob die autonome deutschlandpolitische Aufstellung der italienischen Partei ihren Entfremdungsprozess von der Sowjetunion antizipierte oder ob sie eine Konsequenz dieses Prozesses war. Oder ob sogar der politische Transfer auch in die andere Richtung wirkte und die IKP die deutschlandpolitischen Positionen der Sowjetunion beeinflusste, wie im Fall der Konferenz der Kommunistischen Parteien in Karlovy Vary 1967, als die flexiblere Linie der italienischen Kommunisten die UdSSR teilweise zwang, ihre bisher harten deutschlandpolitischen Positionen abzumildern. Nicht nur das Verhältnis zur Sowjetunion scheint bezüglich der Frage der Kontinuitäten und der Umbrüche wichtig, denn innerparteiliche Angelegenheiten sind hier ebenfalls zu betrachten. Welche Rolle spielten die innerparteilichen Dynamiken und die Diskussionen der verschiedenen Parteiflügel, die sich vor allem ab Mitte der 1960er Jahre bildeten, in der Evolution der Haltung zur Deutschlandfrage? Und weiter: Wie wirkte sich der generationelle Wechsel der 1960er Jahre auf jene Entwicklung aus? Insbesondere wird gefragt, ob der Aufstieg einer jüngeren und nicht von der politischen Kultur des Kominform geprägten Generation der Parteifunktionäre an die Spitze der Partei die Entwicklung der deutschlandpolitischen Positionen der Partei verursachte.

Eine weitere Ebene der Arbeit untersucht die deutschlandpolitischen Vorstellungen der Partei im Rahmen des italienischen Systems und des Verhältnisses der IKP zu den anderen italienischen Parteien. Auch in diesem Fall ist die Deutschlandfrage als eine Fallstudie zu betrachten, um jene Verhältnisse zu analysieren. Aus der Perspektive der deutschen Frage sind dies nämlich Annährungs- und Kooperationsprozesse zwischen entgegengesetzten Parteien, die von der normalen Dynamik des italienischen politischen Systems abwichen. So zum Beispiel bezog die Zusammenarbeit zugunsten der Anerkennung der DDR Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten und Sozialkatholiken ein.

Details

Seiten
320
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631861271
ISBN (ePUB)
9783631861288
ISBN (Hardcover)
9783631861257
DOI
10.3726/b18736
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Februar)
Schlagworte
Deutschlandpolitik Italien Bundesrepublik Deutschland IKP Kalter Krieg Deutsche Teilung Deutschland Deutsche Demokratische Republik SED Kommunismus
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 320 S.

Biographische Angaben

Francesco Sebastian Leone (Autor:in)

Francesco Leone studierte Politikwissenschaft an der Universität Rom – La Sapienza. Seine Promotion erfolgte an der Universität Trier. Derzeit ist er an der Universität Mannheim tätig.

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