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Johann Wolfgang Goethe: Märchen

Eine Spiegelung der Tätigkeit Goethes als Weimarer Baumeister und Freimaurer

von Almut Constanze Nickel (Autor:in)
©2023 Monographie 110 Seiten

Zusammenfassung

Ausgehend von Erkenntnissen über das Römische Haus im Weimarer Park geht die Arbeit der Frage nach, inwiefern Goethes Baupraxis in einem freimaurerischen Bezugsrahmen steht. Über den gleichen Ansatz wird das «Märchen» von 1795 erschlossen. Die Studie untersucht Motivik und Figurenrepertoire dieser Erzählung und erklärt den ihnen unterlegten maurerischen Sinn aus einschlägigen Lebensmomenten des Dichters. Erweiternd untersucht die Verfasserin Goethes Rezeption der «Falkennovelle» von Giovanni Boccaccio. Da Goethes Rückgriff eine Reminiszenz seiner Begegnung mit Lili Schönemann enthält, kann er als Zeugnis der dichterischen Verarbeitung seines Bruchs mit der Verlobten aus der Frankfurter Jugendzeit gelten. Der Text des «Märchens» gewinnt dadurch eine bislang ungekannte Plausibilität im Kontext der von Goethe geleiteten Weimarer Bauprojekte.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorbemerkung
  • I. Zur Textgeschichte und Rezeption des Märchens
  • II. Zum Motivrepertoire
  • Das Schlangenmotiv
  • Motive aus der Offenbarung des Johannes
  • Der Fährmann
  • Artischocken
  • Der Alte mit der Lampe
  • Die Lilie und der Jüngling
  • Die Vier Könige: Quatuor Coronati
  • Der Tempel und die Brücke
  • Die Irrlichter
  • III. Das Märchen – Zum Textverständnis in seiner weiteren biographischen und literaturgeschichtlichen Bedeutung
  • Goethes Tabelle
  • Die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. Vom Falken-Fragment zum Habicht im Märchen: Goethes Boccaccio-Rezeption
  • Figuren der Rahmenhandlung: Die Baroneß, Der Geheimerat, Der Alte
  • Über Märchen und das Märchen
  • IV. Schluß
  • Anmerkungen
  • Literatur
  • Register

Vorbemerkung

Der folgende Aufsatz ist die erweiterte Fassung eines Kapitels aus meiner Monographie Goethes Römisches Haus. Ein Freimaurertempel (2018, 2. Aufl. 2020).1

Die interdisziplinär angelegte Studie fragte ausgehend von Goethes Bautätigkeit in Weimar nach der Relevanz, die der Freimaurerei für eine Deutung der darin enthaltenen Lebensspuren zukommt. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand dabei das Römische Haus (1791-98) im Weimarer Park und seine Baugeschichte mit dem besonderen Bildprogramm. Bereits im Giebelfeld der als Prostylos ausgeführten Westfassade fällt ein freimaurerisches Motiv sui generis ins Auge: Gezeigt wird ein Putto an der Weltkugel, den ein Genius mit Lorbeeren bekränzt. Im Gebäudeinneren verweisen Sphingen auf ägyptische Mysterienkulte, Relieffolgen um Hermes, Orpheus und Prometheus stellen Verbindungen mit der maurerischen Bildwelt her. Im Blauen Zimmer finden sich Darstellungen von Putti bei der Ausführung des Logenzeremoniells. Bauplatzwahl, Ostausrichtung, besondere Merkmale in der Raumaufteilung und der Ausstattung des Römischen Hauses blieben an Vorgaben für Logengebäude orientiert.

Hiervon ausgehend wurden neben der Parkarchitektur die Herzogliche Bibliothek mit dem Turmanbau und die Fürstengruft untersucht. Fünf Jahrzehnte entwickelten Goethe und Carl August das Weimarer Bauprogramm, das durch einen Kreis vertrauter Künstler ausgeführt wurde. Weil Goethe die bis dahin entwickelte Symbolsprache durch private Reminiszenzen ergänzte, blieb das Ensemble mit seinem dichten Zeichen- und Verweissystem für Außenstehende schwer verständlich. Die künstlerischen Besonderheiten und eine schwierige Quellenlage haben die inhaltliche Erfassung trotz vorhandener Ansätze weitgehend verhindert.

Mit den folgenden Ausführungen sowohl zur Goethe-Forschung als auch zur Geschichte Weimars wird die Bautätigkeit Goethes und Carl Augusts als Zeugnis eines auf maurerischen Idealen gegründeten Lebensbundes erkennbar. Und zeitgleich mit dem Römischen Haus entstand Goethes Märchen. Die Dichtung ist trotz dieser Koinzidenz und obwohl sie analog zum Baugeschehen im Park einen Tempelbau schildert bisher nicht auf das Römische Haus bezogen worden. Die folgenden Ausführungen mögen zeigen, in welchem Ausmaß der vielschichtige Text in diesen Rahmen eingebettet ist.2

I. Zur Textgeschichte und Rezeption des Märchens

Goethes Mährchen (zur Fortsetzung der Unterhaltung deutscher Ausgewanderten)3 erschien im Erstdruck in Schillers Zeitschrift Die Horen und bildete das Ende zu der nach dem Vorbild Boccaccios angelegten Novellensammlung. 1829 veröffentlichte Goethe die Dichtung in der Ausgabe Letzter Hand unter Zusatz des Artikels Das Mährchen4. Seit Erscheinen hat das „Rätselmärchen“ (C. Lucerna)5 die Vorstellung von Lesern über Generationen angeregt. Schon zeitgenössische Interpreten konnten sich der Faszination des merkwürdigen Textes nicht entziehen, denn „Es fühlt ein Jeder, daß noch etwas drin steckt, er weiß nur nicht, was.“ (Goethe zu Riemer, 21. März 1809).6

Goethe hat das Märchen in Art eines Gesellschaftsspiels als Rätsel ausgegeben (G. Oesterle)7 und die Verwirrung darüber scherzhaft befördert (An Schiller, 15. und 23. Dezember; An Goethe, 17. und 25. Dezember 1795).8 Schiller bezeichnet das Märchen als „Produktion einer sehr fröhlichen Stimmung“, „bunt und lustig genug“, um allgemein zu gefallen.9 Und es ist in der Tat ein Merkmal des Märchens, Scherz und Ernst dicht beieinander zu behandeln. Wie andere Beiträge für die Horen erschienen die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten anonym. Auch später legte Goethe Wert darauf, daß die Verfasserschaft zunächst nicht aufgelöst wurde. Als der Verleger Friedrich Cotta nach dem Sinn des Märchens fragte, antwortete Schiller kryptisch: Der Schlüssel des Märchens liege im Märchen selbst.10 Die „18 Figuren dieses Dramatis sollen, als soviel Rätsel, dem Rätselliebenden willkommen sein.“, schrieb Goethe in einem Schlüsselbrief an Schiller.11 Ein Distichon von 1796 variiert dies: „Mehr als zwanzig Personen sind in dem Märchen geschäftig. / »Nun, was machen sie denn alle?« Das Märchen mein Freund.“, sowie weiter: „Was mit glühendem Ernst die liebende Seele gebildet, Reizte dich nicht, dich reizt Leser mein Kobold allein.“12 Wiederholend auch an anderer Stelle: „Mehr als zwanzig Personen sind in dem Märchen geschäftig, Nun, und was machen sie denn alle? Das Märchen, mein Freund.“.13 Durchaus auf das Märchen beziehbar heißt es noch in den Zahmen Xenien: „Warum erklärst du’s nicht und läßt sie gehn? / Geht’s mich denn an, wenn sie mich nicht verstehn?“14

Details

Seiten
110
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631859025
ISBN (ePUB)
9783631859032
ISBN (MOBI)
9783631859049
ISBN (Paperback)
9783631846544
DOI
10.3726/b21097
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Oktober)
Schlagworte
Goethe Palladio Vitruv Quatuor Coronati Lili Schönemann Boccaccio Weimar Freimaurerei Architektur und Baugeschichte Märchen
Erschienen
Peter Lang – Berlin · Bruxelles · Chennai · Lausanne · New York · Oxford. 2023. 110 S.

Biographische Angaben

Almut Constanze Nickel (Autor:in)

Almut Constanze Nickel studierte Deutsche Philologie, Komparatistik und Geschichte an den Universitäten Marburg und Kassel. Sie promovierte mit einer Studie über das literarische Nachtstück. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Goethe und Weimar, Stoff- und Motivforschung, Literatur und andere Künste.

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Titel: Johann Wolfgang Goethe: Märchen