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Textlinguistische und phonematisch-graphematische Untersuchung der Achtvermerke im Schweidnitzer Proskriptionsbuch aus dem 14. und 15. Jahrhundert.

von Piotr A. Owsiński (Autor:in)
©2024 Monographie 430 Seiten

Zusammenfassung

Diese Studie untersucht die Verbindung zwischen Sprach- und Textsortengeschichte. Einerseits thematisiert sie die synchrone Untersuchung der historischen Textsorte PROSKRIPTION, andererseits fokussiert sie sich auf die phonematisch-graphematische Analyse des in den einzelnen Achtvermerken in Schrift festgehaltenen Deutsch des 14. und 15. Jahrhunderts. Dabei wird sowohl eine makro- als auch eine mikroanalytische Herangehensweise angewandt, um die Frage zu beantworten, ob sich die (spät)mittelalterliche Proskription im Schweidnitzer Stadtbuch als Text ansehen lässt. Anschließend erfolgt eine eingehende Erkundung der Struktur und des Aufbaus der Proskriptionseinträge, um herauszufinden, welche spezifischen Komponenten dieser Einträge wesentlich für die Entstehung eines solchen Textes sind. Schließlich widmet sich die Studie der phonematisch-graphematischen Analyse des gesamten Korpus, um daraus Schlüsse über den Entwicklungsstand der deutschen Sprache sowie über sprachgeographische und dialektologische Merkmale ziehen zu können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Danksagung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Zielsetzung und Hauptthesen zu der vorliegenden Studie
  • 2. Theoretische Untersuchungsgrundlagen
  • 3. Methodologischer Rahmen
  • 4. Proskription im Stadtbuch als Textsorte – textlinguistische Analyse
  • 5. Zu ausgewählten Eigentümlichkeiten der sprachlichen Ebene der Proskriptionen
  • 6. Phonematisch-graphematische Analyse des Textes des Schweidnitzer Proskriptionsbuches
  • 7. Auswertung der durchgeführten Analyse und Schlussgedanken
  • 8. Ausblick
  • Verzeichnis von Bildern, Grafiken und Schemata
  • Literatur

Danksagung

Für die finanzielle Unterstützung der Veröffentlichung der vorliegenden Studie bedanke ich mich bei der Fakultät für Philologie der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Dank gebührt aber vor allem dem ganzen Stab der Experten, meiner Freunde und meiner Arbeitskolleg/innen, die mir eine riesengroße Hilfe während der Arbeit an diesem Buch geleistet haben.

Für unschätzbare Hilfe, wertvolle Unterstützung, grenzlose Geduld sowie alle sachlichen und methodologischen Hinweise und Ratschläge sei Frau Dr. Magdalena Zofia Feret von der Jan-Kochanowski-Universität in Kielce und Herrn Univ.-Prof. Dr. Andrzej S. Feret von der Jagiellonen-Universität in Krakau gedankt, die sich mit den Details der Forschung der historischen Textsorten vertraut machen wollten und sich auch damit einverstanden erklärten, die Sprachkorrektur der vorliegenden Studie vorzunehmen.

Für die konstruktiven Anmerkungen und Verbesserungshinweise gilt mein besonderer Dank für meine Gutachterinnen Frau Univ.-Prof. Dr. Anna Just von der Universität Warschau sowie Frau Prof.ssa Federica Masiero von der Universität Padua.

Für alle Worte der Ermunterung, jedwede Hilfe und Beratung in den Bereichen der Sprachgeschichte, Textlinguistik, (Sozial)Geschichte des Mittelalters und des Lateins möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Józef Grabarek (†), Herrn Prof. Dr. Mateusz Goliński von der Universität Breslau und Herrn Dr. habil. Krzysztof Pawłowski von der Jagiellonen-Universität in Krakau bedanken.

Frau Dr. Anna Paluch will ich ein besonderes Dankeschön für ihre mit dem Recht zusammenhängenden Hinweise sowie für die zahlreichen, unendlichen und inspirierenden Diskussionen sowie Hunderte von E-Mails bzw. SMS aussprechen.

Für die Motivation und das positive Wort danke ich auch meinen Arbeitskolleginnen vom Institut für Germanische Philologie der Jagiellonen- Universität in Krakau: Frau Dr. Agnieszka Vogelgesang-Doncer, Frau Dr. Magdalena Duś, Frau Dr. Joanna Janicka, Frau Mag. Dorota Paluch und Frau Mag. Sabine Lipińska.

Einleitung

Wir – polnische Germanisten – können nicht warten, dass wieder ein finnischer Germanist nach Polen in die polnischen Archive kommt und uns zeigt, was es für wichtige sprachhistorische Quellen in den polnischen Archiven gibt, die einen interessanten Einblick in die Geschichte der deutschen Sprache im polnischen Raum geben.

Józef Wiktorowicz1

Eingangs ist unzweideutig in den Vordergrund zu schieben, dass die vorliegende Studie als Antwort auf den im oben angeführten Zitat aus einem der Beiträge von Wiktorowicz (2015: 163–164) enthaltenen Appell konzipiert wurde. Damit ist auch der Standpunkt von Just (2021: 144) übereinstimmend, die in einem ihrer Aufsätze zum Thema der sog. sichergestellten Sammlungen aus dem Bestand der Nationalbibliothek und der Universitätsbibliothek in Warschau auf das riesige Potenzial für die wissenschaftliche Untersuchung im handschriftlichen, in den Archiven verborgenen Material hinweist. Prompt gibt sie allerdings zu, dass das Suchen, Finden, Lesen, Ordnen und Interpretieren des archivalischen Schrifttums leider zu keinen einfachen Unterfangen gehören: „Die Auswertung des Materials bedeutet einen ungeheuren Arbeits- und Zeitaufwand, darüber hinaus die Fähigkeit handschriftliche – oft nur mühsam lesbare – Schriftstücke zu lesen. Auch die Menge des Materials stellt eine schwer überwindbare Hürde dar“ (Just 2021: 144).

Im Nachfolgenden wurde vor allem der Versuch unternommen, zu zeigen, dass die Sprachgeschichte mit der Textsortengeschichte faktisch fest verkoppelt ist, was auch Schenker (1977: 141–148), Schank (1984: 761) und Steger (1998: 286) betonen, für die die Geschichte der Sprache mit der Sozialgeschichte miteinander vernetzt ist und die Textsorten bzw. Texttypen durch den Filter der sprachgeschichtlichen Ausführungen beobachtet werden sollen. Ihre Betrachtungsweise des so angerissenen Problems rührt von der frühesten, nicht künstlich gesteuerten, in der Textsorte bzw. im Texttyp stattfindenden Konkretisierung der durch die Evolution determinierten, allgemeinen Sprechfähigkeit des Menschen und dessen Typisierungskraft unter den pragmatischen Bedingungen her, die mit der Zeit in facto als Keim der Kulturweiterentwicklungen, -veränderungen und -differenzierungen anzusehen sind. Der Sprachwechsel ist also nicht nur im Sinne des konkreten Zeichenwandels zu verstehen, sondern auch im Sinne der Veränderung eines pragmatischen Musters.

Im Einklang damit steht die Konstatierung von Czachur (2007a: 16), dass es sich bei den Analysen einzelner Textsorten einerseits um die Erfassung, Aufdeckung und Untersuchung der Kontinuität und des Wandels mit der Einbeziehung des extralingualen Kontextes, andererseits um die äußeren Faktoren handelt, die mit der Basis und dem Grund jener Prozesse zu assoziieren sind. Somit müssen die Sozialgeschichte und die Sprachgeschichte ineinander integriert werden, damit die wissenschaftliche Beschreibung eines Phänomens sowie dessen Erklärung an Präzision und Vollständigkeit gewinnen können. Solch ein Standpunkt stützt sich auf die Feststellung, dass die Textsorten als Kommunikationsschemata stets in den Kategorien der Antwort auf die konkreten gesellschaftlich- kommunikativen Bedürfnisse einer gegebenen Gesellschaft angesehen werden müssen. Aus diesem Grund soll die Textsortengeschichte auch den soziopragmatischen Aspekt mitberücksichtigen (Czachur 2007a: 16), weil sie die vergangenen Sprachentwicklungsstufen sowie deren Umgestaltungen mit der gleichzeitigen Rekonstruktion der Sprachgebrauchssituationen und des Sprachbewusstseins der Mitglieder eines Sprachkreises (Linke 1989: 9–18) schildern soll. So kann man zum Schluss kommen, dass die textlinguistisch orientierten Untersuchungen vor dem Hintergrund der Sozialgeschichte und der Pragmatik durchgeführt werden sollen, was darauf zurückzuführen ist, dass die Texte als Mittel der Kommunikation zwecks der Erfüllung der kommunikativen Aufgaben in den Interaktionen zwischen den sich der Sprache in einem bestimmten kommunikativen Kontext bedienenden Sprachbenutzer entstehen und funktionieren. In den Textsortenanalysen historischer Orientierung lässt sich aber auch der kognitive Ansatz keineswegs stillschweigend übergehen, denn die konkreten, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Gebrauch befindenden Texte führen zur Veränderung der Muster, nach denen sie gebildet werden (Fix 2000: 450).

Konkret bedeutet dieser Anspruch die Notwendigkeit, die historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in die Textsortenanalyse einzubeziehen, da sie kommunikative Möglichkeiten eröffnen oder auch verschließen und Kommunikationsbedürfnisse erzeugen und steuern. (Czachur 2007a: 15)

Wird die Geschichte der Textsorten als Widerspiegelung der Sozialgeschichte betrachtet, so muss schließlich die Perspektive von Wiktorowicz (2003: 70) miteinbezogen und angenommen werden, der behauptet, dass sich die Texte als Erzeugnisse und Resultate des sozialen Handelns anerkennen lassen. Im Lichte des kommunikativen Handlungsmusters der Textsorten werden also nicht nur die Entwicklung und die Struktur der Textsorten in den wissenschaftlichen Vordergrund gerückt, sondern auch die Umwandlungen in ihrer Form und Funktion oder sogar ihr Untergang und letztendlich ihr Verschwinden, das infolge deren Ersetzung durch andere Textsorten erfolgen kann (Schank 1984: 765).


1 Hierbei handelt es sich um den finnischen Germanisten Prof. Dr. Dr. h.c. Ilpo Tapani Piirainen (1941–2012), dessen wissenschaftliche Interessen u. a. um die Geschichte des Fnhd. auf dem Gebiet Schlesiens/Śląsk und in der Slowakei kreisten, und der eine ganze Reihe von Publikationen zur fnhd. Sprache in den Breslauer oder Liegnitzer Archivalien veröffentlichte. Eine detaillierte Auflistung der Publikationen von Piirainen ist u. a. bei Meier (2015: 143–179) sowie auf der Internetseite der Slowakischen Zeitschrift für Germanistik https://wp.sung.sk/wp-cont​ent/uplo​ads/2020/07/SZfG​_201​6_2-133.pdf (09.02.2023) erreichbar.

Die heutigen polnischen Ortsbezeichnungen werden in der vorliegenden Arbeit nur bei ihrer ersten Erwähnung neben den deutschen Benennungen angegeben.

1. Zielsetzung und Hauptthesen zu der vorliegenden Studie

Das vorliegende Buch versteht sich als Versuch der synchronen Untersuchung der historischen Textsorte PROSKRIPTION aus einer der nach dem Magdeburger Recht gegründeten Städte auf dem einstigen Kolonialboden, der infolge des langwierigen Prozesses des mittelalterlichen Landesausbaus zu einem der von der deutschsprachigen Bevölkerung bewohnten Gebiete Mitteleuropas wurde. Gleichzeitig wird darauf nicht verzichtet, die Veränderungen im Aufbau und in der Struktur der konkret realisierten, im Schweidnitzer Achtbuch schriftlich fixierten Proskriptionsaufzeichnungen im Hinblick auf ihre Evolution während der Zeit des Gebrauchs des unter die Lupe genommenen Stadtbuches zu erfassen. Bei solch einer Herangehensweise an die historischen Quellen kanzelarischen Schrifttums sowie bei der eventuellen späteren Ausdehnung des Untersuchungsumfangs durch die Einbeziehung der späteren Proskriptionseinträge aus Schweidnitz oder überhaupt der Proskriptionseintragungen aus Schlesien wird es endlich möglich, die diachrone Dimension der gewählten Fragestellung zu bestimmen, was zwangsläufig zur Antwort auf die Frage nach der ganzheitlichen Entwicklung solch einer Textsorte zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auf einem geographischen Gebiet führen wird. Im Zusammenhang damit ist das Postulat von Steger (1984: 191) nicht zu ignorieren, der mit Recht darauf beharrt, „[…] bei Texttypen, die über einen längeren Zeitraum verwendet werden und die in ihrem Verwendungszweck (Grundzweck) im Ganzen stabil bleiben […], ihre Formgeschichte im Längsschnitt zu beschreiben“. Sein Appell betrifft wiederum nicht nur die Mittel der Ausdrucksebene, wie etwa Morphologie, Syntax oder Lexik (Steger 1984: 191), sondern auch „[…] deren Textkonstitution mit solchen Merkmalen wie Gesamtintention, reguläre intentionale und thematische Binnenablaufmuster und deren Steuerung, Begründungs- und Erklärungsverfahren sowie auf formal- und wirkungsästhetische Mittel und deren jeweilige Vertextungskonvention oder -normen“ (Czachur 2007a: 16; vgl. auch Steger 1984: 191).

Es ist unbestreitbar, dass die Thematik der Proskriptionen, der Proskriptionspraxis an sich sowie deren Entwicklung im Rahmen sowohl der sprachwissenschaftlichen Erforschung als auch der deutschen und polnischen Geschichtsschreibung nicht allzu häufig aufgegriffen wurde. Die Expansion der (spät)mittelalterlichen Proskription aus dem ausgehenden 13. und 14. Jahrhundert verbindet sich mit der bereits oben erwähnten deutschen Ostsiedlung, die zum einen die geographische Ausdehnung der Grenzen des deutschsprachigen Gebietes bedeutet, zum anderen sich auf die Verbreitung der okzidentalen wirtschaftlichen sowie gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung bezieht. Darunter findet sich vor allem der Fortschritt in allen möglichen Bereichen des Lebens, d. h. in der Innenpolitik und Wirtschaft sowie im Rechtswesen und Alltagsleben, was den einschneidenden Einfluss auf die sich infolge der Integrationsprozesse unter den Siedlern aus den unterschiedlichen Teilen des deutschsprachigen Gebietes entwickelnde Sprache ausübte, die in der Graphie der diversen (nieder)geschriebenen Archivalien kanzelarischer Herkunft Widerhall fand. Aus diesem Grund lassen sich die Proskriptionen als Reflex des sich damals rasch entwickelnden Rechtswesens und generell der Justiz ansehen, die mit der Reaktion der Gesellschaft auf die (Gewalt)Kriminalität innerhalb der Stadtmauern sowie mit dem Ausbau der Stadtselbstverwaltung gleichzusetzen sind. Die Evolution der städtischen Selbstverwaltungsstrukturen drückt sich geradeso in der Entwicklung und im Ausbau des Wesens und der Bedeutung der Stadtkanzlei aus, in der das konkrete soziale Handeln (außer der Proskription auch u. a. Testamente oder differente Verträge) in Form von Stadtbuchvermerken verewigt und dauerhaft verwahrt wurde, damit es den künftigen Stadtgesellschaftsmitgliedern sowie der Stadtbehörden zur Verfügung stehen konnte.

Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Entwicklung des Rechtswesens sowie der angedeuteten deutschen Ostkolonisation verfolgt die vorliegende Arbeit zwei Hauptforschungsziele. Das eine betrifft die Untersuchung der Evolution des Proskriptionstextes im verfügbaren archivalischen Material in seiner historischen Kontinuität. Hierfür werden die konkreten Proskriptionsvermerke sowohl der Makro- als auch Mikroanalyse unterzogen. Dadurch kann es wiederum möglich sein, zu prüfen und zu beurteilen, ob sich die (spät)mittelalterliche Proskription im Amtsbuch aus der nach dem Magdeburger Stadtrecht lokalisierten Stadt als Text ansehen lässt. Weiterhin wird jedoch der Versuch unternommen, den Grund der Entstehung einer Proskription aufzudecken, was mit der Funktion des entstehenden Textes im Zusammenhang steht. Gemeint ist an dieser Stelle das soziale Handeln der Exklusion eines vorher eine Straftat begehenden und der Justiz entkommenden Straftäters, die nach der gültigen und wirksamen Bekanntgabe im öffentlichen Raum der Stadt vor dem Publikum deren Bewohner ins Stadtbuch einzuschreiben war. Somit wird das relevante soziale Handeln in ein sprachliches Handeln transponiert, das als mit der Zeit etablierter Buchvermerk seine Funktionen und Kriterien zu erfüllen hat, damit er im ausgebauten kanzelarischen Diskurs funktionieren kann.

Im zweiten Schritt wird das Schwergewicht auf die Struktur und den Aufbau des Proskriptionseintrags verlagert, um erkunden zu können, welche von den einzelnen Bestandteilen der Proskriptionseintragung für die Entstehung solch eines Textes konstitutiv sind und welche nur als optionale Elemente erscheinen. Anhand der Analyse jeder einzelnen Achteintragung wird es möglich, eine alle Konstituenten enthaltende SUPERPROSKRIPTION rekonstruieren zu können. So entsteht also ein PROSKRITPION-Textem, im Spiegel dessen die konkreten, im Stadtbuch physisch realisierten Proskriptionseintragungen beobachtbar sind, wodurch die von der definierten angenommenen Norm abweichenden Realisierungen festgestellt werden können. Anschließend wird auf die Frage der Kriterien der Textualität eingegangen, wodurch die textinternen Merkmale hinterfragt werden, dank denen der Proskriptionstext als kohäsive, kohärente, informative, intentionale und akzeptable Satzfolge im situativen Kontext zu begreifen ist, die im intertextuellen Verhältnis zu anderen Texten steht. Aus diesem Grund stellt die vorliegende Publikation einen Hintergrund dar, im Rahmen dessen – nach der Zielsetzung der Studie im vorliegenden Kapitel – eingangs der theoretische Hintergrund der textlinguistischen Untersuchung vorgestellt wird, indem auf die Evolution der textlinguistischen Ideen sowie den Forschungsstand der textlinguistischen und sprachgeschichtlichen – mit besonderer Berücksichtigung der phonematisch-graphematischen – Untersuchung eingegangen wird, denen der Querschnitt durch die Fragen der Aufgaben und Ziele der Textlinguistik folgt. Endlich wird die Aufmerksamkeit auf die Definitionen des Textes und der Textsorte aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Subkapitel 2.2 gelenkt. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu den Stadtbüchern unter den Amtsbüchern möge man vom Allgemeinen zum Besonderen übergehen, sodass das Wesen und die Merkmale der Amtsbücher zunächst ganz generell beschrieben werden. In Subkapitel 2.3 ist die Einteilung der Amtsbücher vorzufinden, wobei die Stadtbücher samt deren Beschreibung aus bibliologisch-kodikologischer Sicht, ihrer Klassifizierung im 19. und 20. Jahrhundert sowie Funktionen im Vordergrund stehen. In Subkapitel 2.4 werden die Proskription, die Proskriptionspraxis sowie der Prozess des Proskribierens selbst im Kontext einer die soziale Ordnung störenden und dadurch im Gegensatz zum in der Gesellschaft gültigen Gerechtigkeitssinn stehenden Straftat umrissen, die gleichzeitig der sich von der Proskription unterscheidenden Praxis der Verbannung gegenübergestellt werden. Kapitel 3 beinhaltet die Beschreibung des methodologischen Rahmens für die Konstruktion der Forschungsmatrix der Textsorte PROSKRIPTION. In den weiteren Passus des betreffenden Kapitels befinden sich die bibliologisch- kodikologischen Feststellungen, denen die historische Einbettung des Untersuchungsgegenstandes folgt.

Die empirische Analyse der archivalischen Quellen wurde in den drei nächsten Kapiteln durchgeführt, geschildert und beschrieben, wobei Kapitel 4 von den Ausführungen eröffnet wird, die mit der makrostrukturellen Durchforschung zusammenhängen. Im Fokus des Subkapitels 4.4 steht der Versuch, die Proskriptionsvermerke im Schweidnitzer Achtbuch nach den Textualitätskriterien zu prüfen, wodurch die textinternen und intertextuellen Relationen aufgedeckt werden konnten. Da man es mit einem (spät)mittelalterlichen Schriftdenkmal zu tun hat, verwundert es wenig, dass die sprachlichen Relikte im Bereich der Morphologie und Syntax sowie der Semantik im weitesten Sinne im Text der explorierten Proskriptionseintragungen vorzufinden waren, die in Kapitel 5 dargeboten und beschrieben wurden.

Kapitel 6 thematisiert ein anderes Hauptforschungsziel der Arbeit, und zwar es wird der phonematisch-graphematischen Untersuchung des Korpus gewidmet, die die Schlüsse zum Entwicklungsstand des Deutschen sowie zu den sprachgeographischen und dialektologischen Erscheinungen formulieren ließ. Dank solch einem Schritt und einer solchen Vorgehensweise wird es möglich, den Einblick in die Ausdrucksseite der Texte zu gewinnen. In erster Linie handelt es sich nämlich um die kleinsten, die Bestandteile jedes Textes bildenden Einheiten (Buchstaben bzw. Laute), was sich – im Fall der historischen Texte – in der Untersuchung ihrer phonematisch-graphematischen Ebene im Kontext der Beziehungen der graphischen Zeichen zu deren phonischen Entsprechungen manifestiert. Anhand der Analysen solcher Art können die Schlussfolgerungen zum bereits oben erwähnten Sprachevolutionsstand mit der Berücksichtigung der sprachgeographischen und mundartkundlichen Schattierung formuliert werden. Auf diese Art und Weise kann eine gewisse Klammer entstehen, innerhalb deren die ältesten und traditionellsten Untersuchungen der lautlichen Seite der Texte unter Beachtung deren schriftlicher Manifestationen mit den neuesten Trends in der linguistischen Forschung [= Text(sorten)linguistik] in Kapitel 4 zu konfrontieren sind. Dadurch kann wiederum ein vervollständigtes und komplexes Bild der auf Deutsch verfassten Proskriptionsvermerke skizziert werden.

Abschließend, in Kapitel 7, werden die Ergebnisse der Analyse im Lichte der unten formulierten Arbeitsthesen ausgewertet, wobei es sowohl auf die textlinguistische als auch phonematisch-graphematische Analyse eingegangen wird. Hierbei werden auch Schlussfolgerungen gezogen, die von der Auswertung der Analyseresultate herrühren. In Kapitel 8 krönt der Ausblick das Ende des Buches.

Von der obigen Zielsetzung rühren die Arbeitsthesen her, deren Fragen im Laufe der schrittweise fortschreitenden Erforschung des Schweidnitzer Proskriptionsbuches zu beantworten sind.

In der vorliegenden Untersuchung wird nämlich in erster Linie davon ausgegangen, dass die Proskriptionsvermerke Texte sind. Aus der makrostrukturellen Sicht könnte die Frage danach gestellt werden, welche von den einzelnen Bestandteilen eines ins Proskriptionsbuch aus Schweidnitz eingeschriebenen Eintrags absolut notwendig – d. h. textsortenkonstitutiv – sind und welche nur einen fakultativen Charakter aufweisen und somit ohne Schaden für den Text der Proskription weggelassen werden dürfen. Aufgrund dessen wird der Versuch unternommen, zu prüfen, ob es möglich ist, die erwähnten obligatorischen Textpassagen, ohne die der Proskriptionstext nicht entstehen kann, zu unterscheiden und zu nennen, weil sie als absolutes Minimum für dessen Entstehung bilden.

Daneben wird in der mikrostrukturellen Analyse nachgewiesen, dass sich die Proskriptionstexte nach den Textualitätskriterien bewerten lassen. Als Ausgangsposition dient hierfür also die Annahme, dass sie als kohäsive, kohärente, intentionale, akzeptable und im situativen Kontext eingetauchte Satzfolgen innerhalb des kanzelarischen Diskurses funktionieren. Dank solch einer Annahme wird es möglich, die oben erwähnte Gruppe von Aufzeichnungen im Schweidnitzer Proskriptionsbuch mit dem textlinguistischen Instrumentarium zu messen sowie die erbrachten Untersuchungsergebnisse mithilfe der terminologischen Nomenklatur aus dem Bereich der Kriterien der Textualität zu schildern und zu beschreiben, was zur Erreichung des ersten Hauptforschungsziels verhelfen soll. An dieser Stelle wird auch geprüft, welche Faktoren der außersprachlichen Realität darüber entscheiden, dass jedes konkrete Textualitätskriterium von jedem Achtvermerk erfüllt wird. Was die Makrostruktur des Textes der Schweidnitzer Proskriptionsvermerke anbelangt, so wird geprüft, ob die konkreten Bestandteile der Proskriptionseintragungen als feste Elemente wahrzunehmen sind und ob sie irgendwelchen Umwandlungen in ihrer historischen Kontinuität unterliegen.

Ferner werden Textthema, thematische Beschränkungen und Themenentfaltung analysiert. In Erwägung wird die Tatsache gezogen, ob die Schweidnitzer Proskriptionstexte als Informations- oder Deklarationstexte zu klassifizieren sind, was bestimmt mit der rechtlichen Regelung der Proskriptionspraxis selbst im Zusammenhang steht und von dem Recht abhängig ist, nach dem eine konkrete Stadt gegründet wurde.

Unter Berücksichtigung der Entstehungszeit und des Entstehungsortes des zu analysierenden Stadtbuches wird weiterhin angenommen, dass die in Schrift festgehaltene deutsche Sprache ihrem fnhd. Evolutionsstand entspricht, was als mit dem dritten Hauptziel korrespondierende Annahme der vorliegenden Studie zu betrachten ist. Um dieser Frage nachforschen zu können, soll nach den fnhd. Sprachinnovationen im Text der Stadtbucheintragungen gesucht werden. Im Nachhinein wird es möglich, deren Durchführungsgrad zu bestimmen, wozu auch die Sprachgeographie und die Verteilung bestimmter sprachlicher Neuerungen vor dem Hintergrund der dialektologischen Beobachtungen verhelfen können. Im Anschluss daran wird der Versuch unternommen, die mundartlichen Erscheinungen im (nieder)geschriebenen Text der Schweidnitzer Proskriptionen aufzuspüren, was dem Stand der Dinge im Fall der Krakauer Vogtbücher ähneln würde, in denen – im Unterschied zur dortigen städtischen Hauptkanzlei – die dialektalen Einflüsse feststellbar sind (Wiktorowicz 2011a: 66).

2. Theoretische Untersuchungsgrundlagen

Im vorliegenden Kapitel werden die theoretischen Untersuchungsgrundlagen zusammen mit dem Forschungstand der betreffenden Bereiche der Sprachwissenschaft gesammelt und präsentiert. Darauf folgen wiederum die für die Vollständigkeit des Umrisses des gesamten Forschungsstands unentbehrlichen Ausführungen aus dem Gebiet der Buchwissenschaft und Kodikologie, die mit den Amts-, Stadt- und Proskriptionsbüchern im Zusammenhang stehen.

2.1 Zum Forschungsstand

Bei der Darstellung des Forschungsstands werden die Forschungsergebnisse sowohl der textlinguistischen als auch der sprachhistorischen Analysen angeführt, mit besonderer Berücksichtigung der phonematisch-graphematischen Untersuchungen, wobei diese hauptsächlich aus der Feder der polnischen germanistischen Sprachforscher aus den unterschiedlichen akademischen Zentren Polens stammen. Der Grund solch einer Vorgehensweise liegt vor allem in der Tatsache, dass sich die textlinguistische Perspektive in den sprachhistorischen Untersuchungen polnischer Germanisten eher als Rarität darstellt. Im Nachfolgenden überwiegt deswegen die Darstellung der phonematisch-graphematischen Untersuchungen, auf die jedoch nicht ausführlich genug eingegangen werden konnte, weil ihre vollständige Beschreibung den Rahmen der vorliegenden Publikation sprengen würde.

2.1.1 Textlinguistische Untersuchungen und Entwicklung der textlinguistischen Untersuchungsperspektive

Die endgültige Verselbständigung der Textlinguistik als Wissenschaftsdisziplin war möglich, nachdem sich deren Gegenstand mehr oder weniger genau hatte bestimmen lassen. Zum Untersuchungsobjekt wurde der Text erstmals von den Prager Strukturalisten – u. a. von Methesius (1882–1945) mit seiner Thema-Rhema-Gliederung (1979: 90–98) und seinen Nachfolgern, die seine Ideen weiterentwickelten (Daneš 1968: 125–141; Beneš 1973: 42–62) – sowie von Bachtin (1895–1975) erhoben, der die Notwendigkeit der Untersuchung des Textes als Ganzen betonte (Bachtin 1986). Einen intensiveren Aufschwung nahmen die textlinguistischen Untersuchungen in den 1970er Jahren innerhalb der germanistischen Linguistik, was die folgenden Arbeiten der Pioniere und Hauptvertreter der „neueren“ Sprachbetrachtungsweise bezeugen: Hartmann (1968b, 1972), Isenberg (1974, 1976, 1977), Dressler (1970, 1973), Brinker (1971, 1973, 1979), Schmidt (1972), Kallmeyer/Klein/Meyer-Hermann/Netzer/Siebert (1974), Harweg (1968, 1974), Gülich/Raible (1975a, 1975b), Große (1976), Gülich/Heger/Raible (1979). Die 1980er und 1990er Jahre sowie die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts lassen sich als Blütezeit der textlinguistisch orientierten Forschung in Deutschland ansehen, während deren auch die die bisherigen Leistungen der Textlinguisten resümierenden Publikationen sowie Abrisse und Kompendien erschienen, u. a. Beaugrande/Dressler (1981), W. Heinemann/Viehweger (1991), Vater (1992), Brinker (2000, 2010), Holly (2001a, 2001b), W. Heinemann/M. Heinemann (2002), Adamzik (2004).

In diesem Kontext sind die Leistungen der polnischen Wissenschaftler keinesfalls zu verschweigen, deren Forschungsinteressen bereits in den 1970er Jahren eben um den Text kreisten. Dies steht wiederum im offensichtlichen Widerspruch zur Feststellung von Mazur (2000: 153), dem zufolge es im slawischen Sprachraum außer der Prager Schule keine andere textlinguistische Schule im engeren Sinne gebe. In Bezug auf die Zeit der Formulierung seiner Schlussfolgerung lässt sich heute zweifelsfrei behaupten, dass sein Urteil zumindest einem starken Aktualitätsverlust unterlag.

Die ersten textlinguistischen Forschungen wurden im Bereich der Polonistik betrieben. Den Anstoß dazu gaben die Forschungen von M. R. Mayenowa […]. Die von […] [ihr] begründete Forschungsrichtung wurde später unter der Federführung von T. Dobrzyńska weiterentwickelt […]. Zur Konstituierung der Textlinguistik in Polen haben maßgeblich auch die pragmatisch ausgerichteten Forschungen von K. Pisarkowa […] beigetragen. In den 80er Jahren trugen dazu die Forschungen von S. Gajda […] bei.

Neben dem Institut für Literaturforschungen der Polnischen Akademie der Wissenschaften [Instytut Badań Literackich PAN], wurden (und werden) diese Forschungen sehr intensiv auch an dem Lehrstuhl für Textologie und Grammatik des Gegenwärtigen Polnisch [Zakład Tekstologii i Gramatyki Współczesnego Języka Polskiego] an der Maria-Curie-Skłodowska Universität in Lublin unter der von J. Bartmiński und B. Boniecka betrieben. […] Die ersten Forschungen zur Textlinguistik beschäftigten sich sehr stark mit Fragen der Textkohärenz und wurden im Rahmen des transphrastischen Ansatzes durchgeführt. Dieser Ansatz galt auch relativ lange als theoretischer Hintergrund für empirisch ausgerichtete Untersuchungen. Im Vordergrund der meisten Arbeiten stand die Frage nach der Textkohärenz. Im Vordergrund des Interesses polonistischer Textlinguistik standen auch sehr lange literarische Texte. Im Prinzip erst zu Beginn der 90er Jahre wurde die Aufmerksamkeit auf Gebrauchstexte gelenkt […].2 (Grucza 2008a: 12–13)

Details

Seiten
430
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631912652
ISBN (ePUB)
9783631912669
ISBN (Hardcover)
9783631906156
DOI
10.3726/b21434
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (April)
Schlagworte
Proskriptionstext als Textsorte Schweidnitzer Proskription in deutscher Sprache Makro- und Mikrostruktur des Proskriptionstextes Ostmitteldeutsch in Schweidnitz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2024. 430 S., 28 s/w Abb.

Biographische Angaben

Piotr A. Owsiński (Autor:in)

Piotr A. Owsiński arbeitet am Institut für Germanische Philologie an der Jagiellonen-Universität in Kraków, Polen. Seine Hauptinteressen liegen in den Bereichen deutsche Sprachgeschichte, historische Grammatik, Graphematik der mittel- und frühneuhochdeutschen Texte, historische Phonologie und Morphologie, Textlinguistik, Fremdwortforschung, Übersetzung, Onomastik sowie Fachsprachen.

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Titel: Textlinguistische und phonematisch-graphematische Untersuchung der Achtvermerke im Schweidnitzer Proskriptionsbuch aus dem 14. und 15. Jahrhundert.