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Der Einfluss von Johannes Cassian auf die Benediktsregel – ex oriente lux

Eine Untersuchung im Bereich der Institutionenlehre

von Mark-Oliver Baumgarten (Autor:in)
©2024 Dissertation 374 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit widmet sich der aktuellen Fragestellung, wie ethische Prinzipien rechtlich normiert werden können. Die Institution des Klosters bietet dafür einen aufschlussreichen Untersuchungsgegenstand, da Mönche innerhalb eines Klosters nach klar definierten Werten in einer Gemeinschaft leben. Das Kloster, als historisch gewachsene Institution, hat seinen Ursprung im Osten und wurde im Laufe der Zeit im Westen übernommen. Eine Schlüsselfigur dieses wichtigen Kulturtransfers ist Johannes Cassian. Seine Spiritualität, Gebetspraxis und Ethik haben die Herausbildung und Entwicklung des Klosters im Abendland entscheidend mitgeprägt. Dieser Einfluss spiegelt sich auch bei Benedikt von Nursia, der sich bei der Ausarbeitung seiner berühmten "Regula Benedicti" für das Kloster Montecassino auch von Johannes Cassian hat inspirieren lassen. Das benediktinische Kloster gewann beträchtliche Anziehungskraft und strahlte nach aussen, so dass es als Modell für andere Institutionen diente. Einzelne Prinzipien der "Regula Benedicti" finden sich auch im modernen Verfassungsrecht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Teil I. Allgemeines
  • 1. Einleitung
  • 2. Zur wissenschaftlichen Fragestellung
  • 3. Begriffliches: Institution – Institut
  • 3.1. Allgemeines
  • 3.2. In der Rechtssprache
  • 3.2.1. Die Institution
  • 3.2.2. Das Institut
  • 3.2.3. Die klassische Rechtssprache
  • 3.3. Die Ambivalenz und Austauschbarkeit der Begriffe
  • 3.4. Das Kloster als Institut
  • 4. Methode
  • Teil II. Die Autoren
  • 1. Entwicklungsstränge zur Entwicklung des Mönchtums
  • 1.1. Vom Heros zum Mönch
  • 1.2. Das Mönchtum wird attraktiv
  • 1.3. Vom Osten in den Westen – ex oriente lux
  • 2. Johannes Cassian (360–435) und Benedikt von Nursia (480–547)
  • 2.1. Zwei Menschen, die das abendländisches Mönchtum nachhaltig prägen
  • 2.2. Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Erfahrungen, ein gemeinsames Ziel
  • Teil III. Zum Institutionenbegriff bei Johannes Cassian
  • 1. Biographisches
  • 1.1. Kontext seines Lebens
  • 1.2. Biographie
  • 1.2.1. Jugend und Palästina
  • 1.2.2. Die Jahre in der Sketis und Euagrios Pontikos
  • 1.2.3. Konstantinopel
  • 1.2.4. Rom
  • 1.2.5. Marseille
  • 1.2.6. Warum nach Westen?
  • 2. Das schriftliche Werk des Johannes Cassian
  • 2.1. Hintergrund und Entstehungsgeschichte
  • 2.2. De institutis coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis (420–424)
  • 2.2.1. Entstehung und Absicht
  • 2.2.2. Inhalt
  • 2.2.3. Wirkungsmacht und Rezeption
  • 2.3. Collationes Patrum (425–430)
  • 2.3.1. Entstehung und Absicht
  • 2.3.2. Inhalt
  • 2.3.3. Wirkungsmacht und Rezeption
  • 2.4. De incarnatione Domini contra Nestorum (430)
  • 2.4.1. Entstehung und Absicht
  • 2.4.2. Inhalt
  • 2.4.3. Wirkungsmacht und Rezeption
  • 2.5. Johannes Cassian, Pelagius und Augustinus
  • 3. Institutionenbegriff bei Johannes Cassian
  • 3.1. Ausgangslage
  • 3.2. Begriffsumschreibung
  • 3.2.1. Einleitende Bemerkungen
  • 3.2.2. Allgemeines
  • 3.2.2.1. Quellen
  • 3.2.2.2. Tradition
  • 3.2.2.3. Mönchsarten
  • 3.2.2.4. Vorbild
  • 3.2.2.5. Inneres und Äusseres
  • 3.2.2.6. Koinonia
  • 3.2.3. Äusserliche Begriffselemente
  • 3.2.3.1. Kleidung
  • 3.2.3.2. Verbindlichkeit der Regel
  • 3.2.3.3. Struktur und Tagesablauf (Gebetszeiten, Lesung, Arbeit, Mahlzeit, Schlafen)
  • 3.2.3.4. Armut und Eigentumsverzicht
  • 3.2.3.5. Stabilitas
  • 3.2.3.6. Funktionen / Ämter
  • 3.2.3.7. Gleichheit / Rangordnung
  • 3.2.3.8. Mönchspriester
  • 3.2.3.9. Gastfreundschaft
  • 3.2.3.10. Aufnahme / Novizen
  • 3.2.3.11. Anleitung / Unterweisung (des jüngeren durch einen erfahrenen Mönch)
  • 3.2.3.12. Geistlicher Vater
  • 3.2.3.13. Lesung / Meditation / Weiterbildung
  • 3.2.3.14. Dienst
  • 3.2.3.15. Arbeit
  • 3.2.3.16. Handwerk
  • 3.2.3.17. Werkzeug
  • 3.2.3.18. Schlafen / Bett
  • 3.2.3.19. Sanktionen
  • 3.2.3.20. Austritt
  • 3.2.4. Innerliche Begriffselemente
  • 3.2.4.1. Askese und Einübung der Tugend durch Vermeidung der acht Hauptlaster
  • 3.2.4.1.1. Gaumenlust (gastrimargia)
  • 3.2.4.1.2. Unkeuschheit (fornicatio)
  • 3.2.4.1.3. Habgier (filargyria)
  • 3.2.4.1.4. Zorn (ira)
  • 3.2.4.1.5. Traurigkeit (tristitia)
  • 3.2.4.1.6. Trägheit (acedia)
  • 3.2.4.1.7. Ruhmsucht (cenodoxia)
  • 3.2.4.1.8. Stolz (superbia)
  • 3.2.4.2. Discretio
  • 3.2.4.3. Gebet
  • 3.2.4.4. Gebetszeiten
  • 3.2.4.5. Äussere Haltung beim Gebet
  • 3.2.4.6. Innere Haltung beim Gebet
  • 3.2.4.7. Reines Herz
  • 3.2.4.8. Demut
  • 3.2.4.9. Gottesfurcht / Gottesliebe / Nächstenliebe
  • 3.2.4.10. Pünktlichkeit
  • 3.2.4.11. Beharrlichkeit
  • 3.2.4.12. Kein Eigenwille
  • 3.2.4.13. Gehorsam
  • 3.2.4.14. Dienen
  • 3.2.4.15. Kein Murren
  • 3.2.4.16. Keuschheit
  • 3.2.4.17. Schweigsamkeit
  • 3.2.4.18. Masshalten
  • 3.2.4.19. Fasten
  • 3.2.4.20. Kranke
  • 3.2.4.21. Alte und Kinder
  • 3.2.4.22. Freude
  • 3.2.4.23. Frieden
  • Teil IV. Zum Institutionenbegriff von Benedikt von Nursia
  • 1. Biographisches
  • 1.1. Kontext seines Lebens
  • 1.2. Biographie
  • 1.2.1. Die Benediktsvita
  • 1.2.2. Jugend, Rom und Subiaco
  • 1.2.3. Montecassino
  • 2. Werk
  • 2.1. Hintergrund und Entstehungsgeschichte
  • 2.2. Regula Benedicti (540)
  • 2.2.1. Entstehung und Absicht
  • 2.2.2. Inhalt
  • 2.2.3. Wirkungsmacht und Rezeption
  • 3. Institutionenbegriff bei Benedikt
  • 3.1. Ausgangslage
  • 3.2. Begriffsumschreibung
  • 3.2.1. Einleitende Bemerkungen
  • 3.2.2. Allgemeines
  • 3.2.2.1. Quellen
  • 3.2.2.2. Tradition
  • 3.2.2.3. Mönchsarten
  • 3.2.2.4. Vorbild
  • 3.2.2.5. Inneres und Äusseres
  • 3.2.2.6. Koinonia
  • 3.2.3. Äusserliche Begriffselemente
  • 3.2.3.1. Kleidung
  • 3.2.3.2. Verbindlichkeit der Regel
  • 3.2.3.3. Struktur und Tagesablauf (Gebetszeiten, Lesung, Arbeit, Mahlzeit, Schlafen)
  • 3.2.3.4. Armut und Eigentumsverzicht
  • 3.2.3.5. Stabilitas
  • 3.2.3.6. Funktionen / Ämter
  • 3.2.3.7. Gleichheit / Rangordnung
  • 3.2.3.8. Mönchspriester
  • 3.2.3.9. Gastfreundschaft
  • 3.2.3.10. Aufnahme / Novizen
  • 3.2.3.11. Anleitung / Unterweisung (des jüngeren durch einen erfahrenen Mönch)
  • 3.2.3.12. Geistlicher Vater
  • 3.2.3.13. Lesung / Meditation / Weiterbildung
  • 3.2.3.14. Dienst
  • 3.2.3.15. Arbeit
  • 3.2.3.16. Handwerk
  • 3.2.3.17. Werkzeug
  • 3.2.3.18. Schlafen / Bett
  • 3.2.3.19. Sanktionen
  • 3.2.3.20. Austritt
  • 3.2.4. Innerliche Begriffselemente
  • 3.2.4.1. Askese und Einübung der Tugend durch Vermeidung der acht Hauptlaster
  • 3.2.4.1.1. Gaumenlust (gastrimargia)
  • 3.2.4.1.2. Unkeuschheit (fornicatio)
  • 3.2.4.1.3. Habgier (filargyria)
  • 3.2.4.1.4. Zorn (ira)
  • 3.2.4.1.5. Traurigkeit (tristitia)
  • 3.2.4.1.6. Trägheit (acedia)
  • 3.2.4.1.7. Ruhmsucht (cenodoxia)
  • 3.2.4.1.8. Stolz (superbia)
  • 3.2.4.2. Discretio
  • 3.2.4.3. Gebet
  • 3.2.4.4. Gebetszeiten
  • 3.2.4.5. Äussere Haltung beim Gebet
  • 3.2.4.6. Innere Haltung beim Gebet
  • 3.2.4.7. Reines Herz
  • 3.2.4.8. Demut
  • 3.2.4.9. Gottesfurcht / Gottesliebe / Nächstenliebe
  • 3.2.4.10. Pünktlichkeit
  • 3.2.4.11. Beharrlichkeit
  • 3.2.4.12. Kein Eigenwille
  • 3.2.4.13. Gehorsam
  • 3.2.4.14. Dienen
  • 3.2.4.15. Kein Murren
  • 3.2.4.16. Keuschheit
  • 3.2.4.17. Schweigsamkeit
  • 3.2.4.18. Masshalten
  • 3.2.4.19. Fasten
  • 3.2.4.20. Kranke
  • 3.2.4.21. Alte / Kinder
  • 3.2.4.22. Freude
  • 3.2.4.23. Frieden
  • Teil V. Vergleich zwischen Johannes Cassian und Benedikt
  • 1. Das Koinobion
  • 1.1. Bei Johannes Cassian
  • 1.2. Bei Benedikt von Nursia
  • 1.3. Fazit
  • 2. Äusserliche Begriffselemente
  • 3. Innerliche Begriffselemente
  • 4. Benedikt verweist auf Johannes Cassian
  • 5. Neue Elemente bei Benedikt
  • 5.1. Allgemeine Elemente
  • 5.2. Spezielle Elemente
  • 5.2.1. Verbindlichkeit der Regel für alle Mönche – Gleichheit vor dem Gesetz
  • 5.2.2. Das Verhältnismässigkeitsprinzip
  • 5.2.3. Das Gleichbehandlungsgebot
  • 5.2.4. Das Willkürverbot
  • 5.2.5. Das Differenzierungsprinzip
  • 5.2.6. Die Entscheidbegründungspflicht
  • 5.2.7. Das strafrechtliche Legalitätsprinzip
  • 5.2.8. Das strafrechtliche Verschuldensprinzip
  • 5.2.9. Das strafrechtliche Besserungsprinzip
  • 5.2.10. Institutionelle Selbstkontrolle
  • 5.2.11. Externe Institutsaufsicht
  • 5.3. „Liberté, Egalité, Fraternité“
  • 5.4. „Verklösterlichung“ der säkularen Welt
  • Teil VI. Ergebnisse
  • Im Einzelnen
  • Anhang 1: Tabelle: Textvergleich Johannes Cassian – Benedikt
  • Anhang 2: Tabelle: Vergleich Rechtsprinzipien Regula Benedicti – Schweizer Recht
  • Literaturverzeichnis

Teil I. Allgemeines

1. Einleitung

Johannes Cassian und Benedikt von Nursia haben das westliche Mönchtum und Klosterwesen geprägt. Der erstere verfasst in den 420er Jahren1 zwei grosse Werke über das östliche Klosterwesen und erklärt dieses einer interessierten lat. Leserschaft. Er beschreibt die Institution des Koinobitenklosters und die spirituelle Ausrichtung des Mönchs. Das Leben als Mönch beruht auf den Grundpfeilern (i) Gebet, (ii) Arbeit und (iii) Schriftlesung. Der letztere verfasst um 540 eine Regel für ein Kloster, einen normativen Text über das Leben als Mönch in einem Koinobitenkloster mit Fokus auf Tagesablauf, Gebet, Arbeit, Lesung, Kompetenzen des Führungspersonals und Sanktionen. Er stellt bestimmte Rechtsprinzipien auf, die auf ethischen Grundwerten beruhen und die spirituelle Ausrichtung der Mönche ermöglichen. Das Kloster ist als eine Gegenwelt zur säkularen konzipiert. Im Kloster gibt es Gleichheit, Gleichbehandlung, Verbot der Willkür, Sicherheit usw. Es herrscht ein Zusammenleben auf völlig anderen ethischen und freiheitlichen Grundlagen, als wie sie in der säkularen Welt existieren. Von Anfang an ist die Institution des Klosters attraktiv, und es gibt sie bis heute. Das Kloster ist nicht nur eine Welt für sich, abgeschottet von der Aussenwelt, sondern erzeugt Strahlkraft nach aussen und wird zu einem Modell für andere Einrichtungen. Schliesslich übernimmt der moderne Rechtsstaat wichtige Prinzipien wie Gleichheit, Gleichbehandlung oder Willkürverbot in die eigene Gesetzgebung und verschafft diesen über seine Rechtsprechung für alle Menschen Nachachtung – Prinzipien, die ursprünglich für das Klosterleben entwickelt und dort in die Praxis umgesetzt worden sind und im Kloster seit über 1.600 Jahren gelebt werden.

Der Oströmer Johannes Cassian bringt dem Westen das Klosterwesen. Seine Lebensgeschichte ist beeindruckend: Aufgewachsen in Kleinskytien am Schwarzen Meer, Mönch in Bethlehem und Ägypten, Kleriker in den Metropolen Konstantinopel und Rom, bekannt mit Patriarchen und Päpsten, schliesslich Klostergründer in Marseille und Schriftsteller. In Bezug auf das Kloster ist er der Überbringer christlicher Theorie und Praxis aus dem griech. Osten, dem Morgenland, in den lat. Westen, dem Abendland. Aus abendländischer Sicht bringt er das Licht aus dem Osten – ex oriente lux. Er ist damit ein „Entwicklungshelfer“. Johannes Cassian denkt griech., schreibt aber auf Lat.2 Er überwindet die Sprach- und Kulturbarrieren im Römischen Reich. Er ist sowohl im Westen (katholische Welt) als auch im Osten (orthodoxe Welt) anerkannt. Er ist ein Mensch, der verbindet.

Benedikt lebt in Italien und reist nicht in andere Provinzen. Er lebt zu einer Zeit, als die Ostgoten in Italien die politische und militärische Führung stellen und mit dem Kaiser zunehmend in Konflikt geraten, was zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt. Er gründet mehrere Klöster im Tal des Aniane und das berühmte Kloster Montecassino. Das Kloster ist für Benedikt die Heimat, sein Zuhause. Dafür schreibt er seine Klosterregel, die (auch, aber nicht nur) auf den Vorstellungen des Johannes Cassian beruht. Benedikt lässt sich bei der Abfassung seiner Klosterregel nicht nur durch Johannes Cassian inspirieren, sondern bewegt sich auf einer bereits reichhaltigen Tradition. V.a. die Magisterregel dient ihm teilweise als Vorlage.3 Benedikts Regel prägt das Klosterwesen im Abendland.

Viele Lebensdaten und Zeitpunkte der Abfassung bestimmter Schriften sind nicht gesichert. Für die Datierung hat die Geschichtswissenschaft zwar weitere Hinweise und geschichtliche Zusammenhänge und Ereignisse hinzuzuziehen. Wann genau Johannes Cassian z.B. die Inst. verfasst, ist nicht eindeutig geklärt; ebenso wenig, wann genau Benedikt seine Regel niederschreibt. Die Denk- und Arbeitsprozesse ziehen sich wohl über einen mehr oder weniger langen Zeitraum hin. Ein klares Veröffentlichungsdatum gibt es nicht. Texte können ja auch frühzeitig oder in verschiedenen Versionen in Zirkulation geraten. Der Autor dieser Arbeit übernimmt die gemeinhin tradierten Lebensdaten und Zeitpunkte.

Johannes Cassian verfasst seine Werke auf Lat. Er ist der einzige lat. Autor, der Aufnahme in die griech. Apophthegmata Patrum gefunden hat, und zwar bereits gegen Ende des 5. Jhdt.,4 also zu einer Zeit, in der westliche Autoren im Osten nicht sonderlich beachtet werden, da es eine eigene reichhaltige griech. Literatur gibt.5 Aus diesem Grund sind griech. Übersetzungen von lat. Autoren im Osten nicht gefragt, wie Chadwick bemerkt.6 Die Schriften des Augustinus, ein Zeitgenosse von Johannes Cassian, werden z.B. erst im 13. Jhdt. ins Griech. übersetzt.7 Was hingegen Johannes Cassian schreibt, ist für den Osten von Interesse, so dass seine Texte bereits im 5. Jhdt. auf Griech. vorliegen und weithin gelesen werden – ein Zeichen dafür, dass er von den östlichen Mönchen von Anfang an als einer von ihnen angesehen wird.8 Dahlman ist in ihrer philologischen Untersuchung von 2018 zur Ansicht gelangt, dass Johannes Cassian die Inst. ursprünglich sogar auf Griech. verfasst und dann ins Lat. übersetzt habe.9

Es ist in der Forschung die Frage gestellt worden, ob Benedikt von Nursia nicht eher eine fiktive Gestalt sei, da ausser der Benediktsvita, verfasst um das Jahr 595 von Papst Gregor, keine Belege für seine Existenz vorhanden seien.10 Aber es ist, wie Vollmann-Profe zu Recht entgegnet, wenig wahrscheinlich, dass jemand den Gründer eines echten Klosters erfinde, wenn dieser unter den ersten Lesern noch bekannt gewesen sein könne und zudem sein Kloster (d.h. Montecassino) unweit vom Ort der „Erfindung“ (d.h. Rom) gelegen sei.11 Doch ist auch Gregors Autorenschaft der Benediktsvita seit dem Zeitalter des Humanismus immer wieder angezweifelt worden, weil man dem hochgebildeten Autoren das vermeintlich niedrige Sprachniveau der Dialoge, deren 2. Buch die Benediktsvita enthält, so viel schlichte Naivität punkto Wundererzählungen nicht hat zumuten mögen.12 Gregors Autorenschaft ist von Clark mit Publikationen von 1987 und 200313 bestritten worden, was eine breite Diskussion ausgelöst hat. Die neueste Forschung bestätigt hingegen Gregors Autorenschaft.14

Der Verfasser dieser Arbeit ist promovierter Jurist beider Rechte und Anwalt und selber christlich-orthodoxer Konfession. Die vorliegende Untersuchung bietet ihm die Herausforderung, sich mit dem Kloster als einer Institution auseinanderzusetzen, die die Entwicklung im lat. Westen nachhaltig geprägt hat und im griech. Osten erfunden worden ist. Es handelt sich dabei um einen entscheidenden Ethik- und Wissenstransfer aus dem Osten in den Westen. Gleichzeitig ist das Kloster bis heute ein verbindendes institutionelles Element zw. Osten und Westen. Für diese institutionenrechtliche Untersuchung hat der Verfasser dieser Arbeit lat. und griech. Originaltexte studiert, insb. die Texte der beiden genannten Autoren, welche das abendländische Klosterwesen entscheidend beeinflusst haben. Dabei berücksichtigt er Gestalt und Gehalt des Klosters, forma et materia, setting and content. Die Arbeit ist ein Beitrag aus rechtlich-spiritueller Sicht.

2. Zur wissenschaftlichen Fragestellung

In dieser Arbeit wird untersucht, (i) was der Begriff der Institution des Johannes Cassian in seinem Werk beinhaltet, (ii) welchen Einfluss der Begriff auf Benedikt von Nursia bei der Abfassung seiner Klosterregel hat und (iii) ob und, falls ja, wie Benedikt von Nursia die Institution des Klosters normativ weiterentwickelt. Die normative Ordnung einer Gemeinschaft folgt einem bestimmten ethischen Wertemassstab. Es geht in dieser Arbeit um das Verhältnis von Recht und Spiritualität am Bsp. des Klosters als Institution für das spirituelle Leben. Die Arbeit untersucht die Institution des Klosters aus rechtlich- normativer und spirituell-ethischer Perspektive. Dabei beschränkt sie sich auf die Entwicklung im Abendland.15

3. Begriffliches: Institution – Institut

3.1. Allgemeines

Es gibt die beiden Begriffe „Institution“ und „Institut“. Sie werden z.B. in den romanischen Sprachen, im Dt. und Engl. verwendet. Die Begriffe werden nicht in allen Sprachen gleichermassen voneinander abgegrenzt. So kann der eine wie der andere Begriff sowohl Charakteristika einer Organisation, eines Verhaltens oder einer Rechtsfigur beinhalten. Umgangssprachlich wird im Dt. der Begriff „Institut“ für eine organisatorische Einrichtung i.S. eines Gebäudes verwendet (z.B. das „Rechtswissenschaftliche Institut der Universität Zürich“). Der Begriff „Institution“ kann im Dt. sowohl für eine Organisation benutzt werden als auch für ein typisiertes Verhalten, wie es bei den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (allerdings uneinheitlich) der Fall ist.16 Im Engl. wird der Begriff „institute“ mehrheitlich für Ausbildungsorganisationen und Forschungszentren verwendet, „institution“ für Verhaltensformen, wobei dies im Finanzmarktrecht nicht zutrifft, wie erläutert werden wird.17 Im Franz. wird der Begriff „institut“ für eine zweckbestimmte Einrichtung und Organisation, v.a. im Bildungs- und Forschungsbereich gebraucht, „institution“ für Verhaltensformen, Bräuche und Organisationen.18

3.2. In der Rechtssprache

3.2.1. Die Institution

Die Rechtswissenschaft kennt ebenfalls beide Begriffe. Allerdings wird der Begriff der „Institution“ nicht so häufig, und stattdessen werden andere Begriffe verwendet wie jene der „Anstalt“, der „Stiftung“, der „Körperschaft“ oder der „Gesellschaft“. Eine Anstalt stellt eine Zusammenfassung persönlicher und sächlicher Mittel (Gebäude und Personal) zur dauerhaften Erfüllung bestimmter Aufgaben dar. Sie ist eine dauernden wirtschaftlichen oder ideellen Zwecken gewidmete Einheit. Der Anstaltsbegriff ist von Stiftungen und Körperschaften abzugrenzen: Stiftungen stellen eine Vermögenswidmung mit Rechtspersönlichkeit dar, die von eigens ernannten Organen verwaltet wird. Körperschaften wiederum sind mitgliedschaftlich verfasste Zusammenschlüsse von Personen, privatrechtliche Körperschaften wie Aktiengesellschaften oder Genossenschaften oder öffentlich-rechtliche Körperschaften wie z.B. die Schulgemeinde oder die politische Gemeinde. Eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist eine Verwaltungseinheit, zu der ein Bestand von Personen und Sachen durch Rechtssatz technisch und organisatorisch zusammengefasst ist und die für eine bestimmte Verwaltungsaufgabe dauernd den Anstaltsbenützern zur Verfügung steht.19 Es wird unterschieden zw. selbständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten und unselbständigen öffentlich-rechtlichen Anstalten. Erstere haben eigenes Vermögen und Rechtspersönlichkeit und sind selber Träger von Rechten und Pflichten.20 Letztere sind organisatorisch aus der Zentralverwaltung (vielfach nur rein buchhalterisch)21 ausgegliedert, verfügen über eine gewisse Autonomie, sind mit persönlichen und sachlichen Mitteln ausgestattet und zur dauernden Erfüllung einer Aufgabe des Trägergemeinwesens bestimmt, haben aber keine eigene Rechtspersönlichkeit. Ein Spital kann rechtlich organisiert sein als privatrechtliche Stiftung, als privatrechtliche Handelsgesellschaft (z.B. als Aktiengesellschaft) oder als selbständige oder unselbständige öffentlich- rechtliche Anstalt.

3.2.2. Das Institut

Regelmässige Verwendung findet hingegen der Begriff „Institut“ – und zwar sowohl für eine Organisation als auch für eine Rechtsfigur.

Für eine Organisation ist der Institutsbegriff v.a. im Finanzmarktrecht üblich, an prominenter Stelle im Schweizer FINIG (Finanzinstitutsgesetz), welches die Anforderungen an die Tätigkeit der Finanzinstitute festlegt. Art. 2 FINIG definiert als „Finanzinstitute“ (unabhängig von der Rechtsform), z.B. Vermögensverwalter, Fondsleitungen oder Wertpapierhäuser. Auch das deutsche Finanzmarktrecht bezeichnet gem. § 1 Abs. 1 und 1a KWG bestimmte Unternehmen als „Institute“, nämlich Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute. Interessant ist festzuhalten, dass in der engl. Rechtssprache „Finanzinstitute“ nicht als „financial institutes“, sondern als „financial institutions“ bezeichnet werden – so die inoffizielle Übersetzung des Schweizer FINIG (Financial Institutions Act), in Analogie dazu die engl. Übersetzung des KWG (Banking Act), das „Kreditinstitute“ mit „credit institutions“ bzw. „Finanzdienstleistungsinstitute“ mit „financial services institutions“ übersetzt.22 Dies entspricht auch der offiziellen Diktion in der Europäischen Union, wie sich aus einem sprachlichen Vergleich der einschlägigen Richtlinien- und Verordnungstexte ergibt: „Finanzinstitute“ sind „financial institutions“.23

Demgegenüber gibt es den Begriff des Rechtsinstituts. Darunter ist eine Rechtsfigur zu verstehen. Diese umfasst die Summe der Rechtsgrundsätze, die durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zur rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Lebenssachverhalts entwickelt worden sind. Rechtsinstitute sind z.B. das Eigentum,24 der Besitz,25 das Verlöbnis,26 die Errungenschaftsbeteiligung,27 das Testament,28 die Patientenverfügung29 oder der Vertrag.30 Ein Rechtsinstitut ist nicht zu verwechseln mit einem Finanzinstitut.

3.2.3. Die klassische Rechtssprache

In der klassischen juristischen Literatur wird der Begriff „institutiones“ für Lehr-, Instruktions- bzw. Einführungsbücher verwendet, wie sich bei den Institutionswerken der römischen Rechtsgelehrten Gaius und Florentinus und bei Kaiser Justinian zeigt.31 Die Justinianischen Institutionen („Institutiones Iustiniani“) sind ein Bestandteil des von Kaiser Justinian 533 und 534 in Kraft gesetzten Corpus Iuris Civilis (CICiv.).32 Der CICiv. ist ein Gesetzeswerk und besteht aus vier Teilen: (i) den Justinianischen Institutionen, (ii) dem Codex,33 (iii) den Digesten („Digesta“) bzw. Pandekten („Πανδέκται” [zu ergänzen: „βίβλοι“])34 und (iv) den Novellen („Novellae leges“, Nov.).35 Bei den Justinianischen Institutionen handelt es sich um eine Schriftensammlung zur Einführung in die Digesten. Diese sind als das massgebliche Lehrbuch des römischen Rechts konzipiert und abgefasst worden, haben Gesetzeskraft und treten an die Stelle der als Einführungslehrbuch konzipierten Institutionen des Gaius („Gaii Institutiones“),36 die Mitte des 2. Jhdt. erschienen sind.37 Die Institutionen und der Codex sind auf Lat. verfasst, die Digesten auf Lat. und Griech. und die Novellen hauptsächlich auf Griech. Nur den Westen betreffende Nov. wurden auf Lat. erlassen bzw. Nov. mit Geltung im Westen und Osten zweisprachig.38 Lat. bleibt nicht nur im Westen, sondern auch im griech. geprägten Osten des Römischen Reichs die Rechts- und Verwaltungssprache bis ins 7. Jhdt.39 Allerdings nimmt die Kenntnis des Lat. im Osten in der breiten Bevölkerung, so z.B. bei den Mönchen, aber auch bei führenden Gesellschaftsschichten und den Beamten ab.40 Der CICiv. bleibt weitgehend in Kraft bis zur Osmanischen Eroberung des Reiches am 29. Mai 1453 (sog. Fall von Konstantinopel).41

3.3. Die Ambivalenz und Austauschbarkeit der Begriffe

Die begriffliche Ambivalenz ist bereits im Lat. angelegt. Das Verb „instituere“ bedeutet nicht nur „hineinstellen“, sondern auch „einrichten“, „errichten“, „beginnen“, „einführen“, „anordnen“, „unterweisen“, „unterrichten“ und „lehren“. Aus dem Verb leiten sich zwei Nomina ab: (i) „institutio“, das „Einrichtung“, „Anordnung“, „Anweisung“, „Unterweisung“ und „Unterricht“ bedeutet, und (ii) „institutum“, das „das Erschaffene“, „Unternehmung“, „Vorhaben“, „Absicht“, „Plan“, „Einrichtung“, „Sitte“, „Brauch“, „Anordnung“, „Anweisung“ und im Pl. „Grundsätze“ und „Lehrmeinungen“ bedeutet.42

Die Ambivalenz der beiden Begriffe „Institution“ und „Institut“ zeigt sich auch in den Übersetzungen von Johannes Cassians Werk „De institutis coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis“. Guy übersetzt den Titel ins Franz. mit „Institutions Cénobitique“ und Egrons mit „Les institutions des cénobites et les remèdes aux huit principaux vices“, während Ramsey dies mit „The Institutes of the Cenobia and the Remedies for the Eight Principal Vices“ ins Engl. übersetzt.43 Johannes Cassian selber verwendet den Institutsbegriff, welcher von Ramsey wiedergegeben wird, während Guy und Egron dafür den Institutionenbegriff gebrauchen. Dasselbe zeigt sich nicht nur im Titel, sondern auch an anderer Stelle, z.B. bei der Übersetzung des ersten Satzes des ersten Buches der Inst. „De institutis ac regulis monasteriorum dicturi …“ ins Franz. „Ayant à parler des institutions et règles des monastères …“ bzw. ins Engl. „As we start to speak of the institutes and rules of monasteries …“.44

Benedikt verwendet – anders als Johannes Cassian – nicht den Instituts-, sondern den Institutionenbegriff, wenn er vom Kloster als Einrichtung spricht. Im Prolog 45–46 seiner Regel beschreibt er seine Absicht für das Kloster, eine Institution („institutio“) als eine Schule für den Dienst des Herrn zu errichten: „Constituenda est ergo nobis dominici scola servitii. In qua institutione …“.45

Wenn Johannes Cassian für das Kloster den Begriff „Institut“ verwendet, Benedikt hingegen jenen der Institution, und auch in den heutigen Sprachen keine eindeutige Unterscheidung vorgenommen wird, können wir beide Begriffe im Hinblick auf die Bezeichnung einer organisatorischen Einheit und gebäulichen Einrichtung, die für einen ganz bestimmten Zweck organisiert, geregelt und auf Dauer angelegt ist, als deckungsgleich und austauschbar betrachten.

3.4. Das Kloster als Institut

Wer sich spirituell weiterentwickeln möchte, kann das für sich alleine tun. Es ist aber einfacher und zielgerichteter (zumindest am Anfang), wenn man sich zu diesem Zweck mit anderen Gleichgesinnten zusammentut. So entsteht eine Gemeinschaft. Schliessen sich Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen, entstehen im Laufe der Zeit Gewohnheiten, Traditionen sowie Denkmuster, die sich verfestigen. Die Menschen einigen sich auf ethische Werte, nach denen sie zusammenleben möchten. Während eine Gemeinschaft sich am Anfang noch wenige Regeln gibt, nehmen diese im Zuge eines Verdichtungsprozesses der Institution in quantitativer und qualitativer Hinsicht bis zu einem gewissen Grade zu. Die Regeln erhalten Normcharakter für die Mitglieder der Gemeinschaft (Innenwirkung) und bilden Unterscheidungsmerkmal oder Abgrenzungskriterium nach aussen (Aussenwirkung). Im Entstehungsprozess des Mönchtums und im Verdichtungsprozess des Koinobitentums erweisen sich Johannes Cassian und Benedikt von Nursia als wesentliche Impulsgeber für den lat. Westen.

Johannes Cassian bringt zu Beginn des 5. Jhdt. das Mönchtum in Form des Koinobitentums vom griech. geprägten Osten des Römischen Reiches in den lat. geprägten Westen und erarbeitet dafür sowohl in institutioneller als auch in spiritueller Hinsicht die theoretischen und praktischen Grundlagen. Darauf aufbauend, erstellt Benedikt im zweiten Viertel des 6. Jhdt. eine Klosterregel, die die wesentlichen Elemente von Johannes Cassian detailliert umsetzt und normiert, indem er dem spirituellen Wachstum und dem Zusammenleben der Mönche Rechnung trägt. Damit entsteht das Koinobitenkloster als eine klar konturierte Institution, in der Mönche gemeinschaftlich zusammenleben, um sich spirituell weiterzuentwickeln.

Die Institution des Klosters findet im Westen Anklang. Die Klosterregel des Benedikt wird zusammen mit der Benediktsvita, die Papst Gregor d. Gr. um 595 verfasst, im lat. Westen verbreitet und setzt sich im Laufe der Zeit als die massgebende Klosterregel im Abendland durch. Sie wird durch die Synoden von Aachen (816–819), angeregt durch die Klosterreformen von Benedikt von Aniane (vor 750–821) und mit Unterstützung durch Kaiser Ludwig den Frommen (778–840), Sohn und Nachfolger Kaiser Karls d. Gr. (747–814), zunächst im Frankenreich und dann im gesamten lat. Abendland zur alleinigen Mönchsregel verbindlicherklärt.46

Das Konzept des Instituts des Koinobitenklosters zeichnet sich dadurch aus, dass das Leben des Individuums und der Gemeinschaft im Kloster nach bestimmten ethischen und spirituellen Werten ermöglicht wird und erfolgen soll. Dabei bilden die ethischen Prinzipien (z.B. individuelle Armut, Gebet, Demut, Gleichheit, Gehorsam) im Wesentlichen den Content. Zudem muss die Gemeinschaft entsprechend organisiert werden (z.B. Führung, Ämter, Tagesablauf, Arbeit, Strafen). Dies bildet im Wesentlichen das Setting. Dafür braucht es gewisse verbindliche Regeln. Die Klosterinstitution entwickelt mit der Zeit eine klare Kontur nach innen und nach aussen. Die Kontur der Klosterinstitution verfestigt sich und wird perpetuiert. Die Institution des Klosters hat nicht nur unmittelbare Wirkung nach innen auf das Leben der Mönche, sondern auch Strahlkraft nach aussen und dient dem Staat und privaten Organisationen als Modell für ihre Einrichtungen.

Natürlich sind Johannes Cassian und Benedikt von Nursia nicht die einzigen, die die Klosterinstitution mitentwickelt haben. Viele weitere Personen wären zu nennen wie etwa Antonios, Pachomios, Basileios, Euagrios Pontikos, Hieronymus, Augustinus, Martin, Honorat und Columban. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf Johannes Cassian und Benedikt von Nursia, die beide wesentliche Treiber und Impulsgeber im Prozess der Ausbildung und Konturierung der Klosterinstitution im Westen sind: Johannes Cassian als Überbringer östlicher spiritueller Mönchstradition in den Westen und Benedikt als Verfasser einer Klosterregel, die sich später zur wichtigsten im Westen entwickelt.

Da die Entstehung des Mönchtums und des Klosters vor dem Hintergrund damals aktueller politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher, religiöser und anderer Entwicklungen erfolgt, müssen die beiden Autoren Johannes Cassian und Benedikt von Nursia in ihrem jeweiligen biographischen und historischen Kontext gesehen werden. Ihr Schrifttum zum Klosterleben soll miteinander nach einheitlichem Massstab vergleichbar gemacht werden, um Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Weiterentwicklungen festzustellen und auszuwerten. Die Klosterinstitution konturiert sich nach innen und wirkt nach aussen. Die Institution erhält Modellcharakter für andere Organisationen. Gewisse Prinzipien (Content) und organisatorische Massnahmen (Setting), beides Teilbereiche des Institutionenbegriffs, werden vom Staat und privaten Organisationen rezipiert.

4. Methode

Johannes Cassian und Benedikt von Nursia leben im 5. und 6. Jhdt. Ihre persönlichen Lebensumstände sowie die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten kaum unterschiedlicher sein. Um ihr Schrifttum besser zu verstehen, müssen die Autoren im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Das zeigt sich an den Wohnorten, der Mobilität, den Kontakten, dem Klerikertum oder dem Schrifttum. Aus diesem Grunde werden ihre Biographien und der jeweilige Kontext dargestellt. Trotz Unterschieden gibt es eine grosse Gemeinsamkeit: das Koinobitenkloster. Beide sind Gründer und Vorsteher von Klöstern. Sie haben sich mit der Frage, was ein Koinobitenkloster ist und wie ein solches zu organisieren und zu führen ist, auseinandergesetzt.

Sowohl Johannes Cassian als auch Benedikt schreiben auf Lat. Johannes Cassian schreibt für eine grössere interessierte Leserschaft, während Benedikt eine Klosterregel für die Mönche eines bestimmten Klosters verfasst. Johannes Cassians Schrifttum ist als Abhandlung (Inst.) und in Dialogform (Coll.) verfasst und umfangreich. Benedikts Klosterregel ist ein normativer und kurzer Text.

Für den Vergleich des Schrifttums von Johannes Cassian und Benedikt verwendet der Autor dieser Arbeit ein einheitliches Themenraster, welches wie folgt aufgebaut ist:

  1. (i) allgemeine Themen wie Quellen oder Tradition,
  2. (ii) äussere Themen wie Kleidung, Klosterämter, Arbeit oder Sanktionen und
  3. (iii) innere Themen wie Tugendlehre, Gebetshaltung, Beharrlichkeit, Gehorsam oder Schweigsamkeit.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Lehre der Laster wichtig, da die Laster mit bestimmten den Tugenden vermieden bzw. bekämpft werden.

Mit dem Themenraster werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar gemacht. Die jeweiligen wesentlichen Aussagen beider Autoren werden im Einzelnen kurz wiedergegeben und erläutert, zunächst für Johannes Cassian, dann für Benedikt. Im Anschluss daran folgt eine Auswertung. Die Klosterinstitution hat Strahlkraft nach aussen. Gewisse Rechtsprinzipien der RB finden sich schliesslich im modernen Recht. Dies wird am Schluss herausgearbeitet.

Den Anhang zu dieser Arbeit bilden:

  1. (i) eine synoptische Vergleichstabelle der Texte von Johannes Cassian und Benedikt, die nach dem gleichen Themenraster aufgebaut ist (Anhang 1), und
  2. (ii) eine tabellarische Gegenüberstellung der Verfahrens- und Rechtsprinzipien der RB mit dem Schweizer Recht (Anhang 2).

Während im Haupttext dieser Arbeit die Texte von antiken Autoren in der Originalsprache mitsamt Übersetzung in eine moderne Sprache wiedergegeben werden, wird in der Textvergleichstabelle auf die Übersetzung bewusst verzichtet, um diese nicht zu überladen. Die neusprachlichen Übersetzungen finden sich im Haupttext an entsprechender Stelle.

Details

Seiten
374
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783034347952
ISBN (ePUB)
9783034347969
ISBN (Hardcover)
9783034347945
DOI
10.3726/b21376
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (April)
Schlagworte
Johannes Cassian Benedikt Ethik Recht Normierung Institutionenlehre Kloster Klosterregel Spiritualität Hesychasmus Kirche Verfassung Patristik Spätantike rechtlich-spirituelle Sicht östlich-mystische Gebetspraxis Kulturtransfer
Erschienen
Lausanne, Berlin, Bruxelles, Chennai, New York, Oxford, 2024. 374 p.

Biographische Angaben

Mark-Oliver Baumgarten (Autor:in)

Mark-Oliver Baumgarten wurde 1967 in Freiburg i.Ue. geboren. 1995 erwarb er den Doktor beider Rechte an der Universität Basel und erhielt die Zulassung zur Advokatur. Zusätzlich erlangte er 1998 den LL.M. an der University of Pennsylvania Carey Law School. 2022 folgte seine Promotion zum Doktor der Philosophie in theologischen Studien an der Universität Luzern. Seit 1996 ist der Autor als Rechtsanwalt in Zürich tätig

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Titel: Der Einfluss von Johannes Cassian auf die Benediktsregel – ex oriente lux