Interpassives Mittelalter?
Interpassivität in mediävistischer Diskussion
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Edited By Silvan Wagner
Interpassivität und Mediävistik: Eine Einleitung
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Die Ältere Deutsche Philologie begreift sich nicht zuletzt als Importwisseschaft:1 Ihre Stärke liegt – vor allem seit der kulturwissenschaftlichen Wende – ← 9 | 10 → nicht primär im Entwerfen und Anwenden eigener Theorien,2 sondern vor allem in der kritischen Übernahme von Theorien aus Nachbarwissenschaften, die originär nicht für die Anwendung auf mittelalterliche Gegenstände konzipiert wurden. Die Produktivität dieser grundsätzlichen interdisziplinären Orientierung der Älteren Deutschen Philologie liegt dabei gerade in der sich daraus ergebenden Spannung zwischen Theorie und Anwendbarkeit auf den konkreten mittelalterlichen Text: Kaum eine Theorie kann hier unverändert angewendet werden, und gerade in dieser notwendigen Modifikation steckt ein kritisches Potenzial sowohl für die Ältere Deutsche Philologie als auch für die jeweils in Anspruch genommene Nachbarwissenschaft.3
← 10 | 11 → Dies gilt nicht nur für die germanistische Ausrichtung der Mediävistik, sondern mutatis mutandis für alle mediävistischen Disziplinen: Wenn die Mediävistik sich der fruchtbaren theoretischen Irritation verweigert, läuft sie Gefahr, eigenen impliziten Axiomen aufzusitzen, deren Gültigkeit lediglich in der langen Geschichte ihrer Tradition besteht. Eines dieser impliziten Axiome der Mediävistik ist der interaktive mittelalterliche Mensch, sei es der moralisch lernende Literaturrezipient, der mit den Füßen betende Pilger, der Christus imitierende Gläubige, der murmelnd lesende Gelehrte, der höfisch feiernde Vasall usw. usf. Freilich ist die Arbeit mit solchen Axiomen notwendigerweise Bestandteil einer Wissenschaft, die sich einem in weiten Bereichen nicht mehr empirisch fassbaren Gegenstand widmet; doch müssen diese interpretationsleitenden...
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