Die Unschuld
Der Mensch im Zwielicht der Willensfreiheit
Hellmuth Kiowsky
IV.
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Extract
17. Schuld und Verantwortung
Das Schuldverständnis Schopenhauers gleicht dem christlichen Gedanken von der Erbsünde, einer der Menschheit vererbten moralischen Last. Doch ist der Ursprung der Schuld ein anderer. Das mit der Existenz verbundene Leiden beruht nach der Lehre Schopenhauers auf der Verwerflichkeit des absoluten Willens. Den Lebewesen gelingt ihre Erhaltung nur durch egoistisches Streben, das sich im höher entwickelten Leben im Verlangen nach Individualität ausdrückt. Dadurch entstehen Konflikte in den Interessenbereichen, und die Menschen begehen unmoralische Handlungen. Zwar ist das Streben auf Kosten anderer Substanzen zu leben, unter dem Aspekt des sich objektivierenden Willens das „Natürliche“, aber in den Augen des „moralischen’“ Menschen etwas Verwerfliches. Dass die Welt nicht imstande ist, diesen unvollkommenen Zustand aufzuheben, ist der eigentliche Grund für Schopenhauers Pessimismus, denn das überall zu verspürende Leiden verwehrt es, die Welt optimistisch zu sehen.
Der Urheber des Leidens ist der absolute Wille, und weil der Mensch ein jeweils spezifisch gewollter Wille, d.h. für sein Dasein selbst verantwortlich ist,1 ist er am Leiden der Welt mitschuldig. Das Dasein an sich ist schon eine Schuld, so Schopenhauer,2 welches als ein „Pensum zum Abarbeiten und daher, in der Regel, als ein steter Kampf gegen die Noth anzugehen ist. Bei der Zeugung wird diese Schuld ,kontrahiert‘ und mit dem Tode gesühnt; denn „dass unser Daseyn selbst Schuld implizirt, beweist der Tod“.3
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