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Arbeitsbuch Tobias O. Meißner

Aufsätze und Materialien

von David Röhe (Band-Herausgeber:in)
©2022 Konferenzband 224 Seiten

Zusammenfassung

Tobias O. Meißner zeigt mit seinen Romanen, wie sich die vermeintlich engen Grenzen der Genreliteratur dehnen lassen. Durch Brechung und Verfremdung entfaltet er das innovative Potential, das Konvention und Tradition mit sich bringen. Dabei zeichnen sich seine Werke nicht nur durch einen innovativen Umgang mit dem gegebenen Genre aus, sondern präsentieren eine ernsthafte Auseinandersetzung mit philosophischen und ästhetischen Themenkomplexen, die im Genre gemeinhin nicht vermutet wird. Seine Science-Fiction-, Fantasy- und Horrorromane sind gleichzeitig unterhaltsam und sperrig, brutal und reflektiert, handlungsgetrieben und formal komplex.
Der Band enthält auch eine unveröffentlichte Kurzgeschichte von Tobias O. Meißner, ein Interview mit ihm sowie eine Chronologie der Textentstehung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort (David Röhe)
  • „Die Texte sind auch nur Musik“ – Intro (Tobias O. Meißner)
  • „Eigentlich hasse ich Musik“ (Tobias O. Meißner)
  • „Als sich ins Blau und das Weiß des Tages abends blutigrotes Endlicht mischte.“ Tobias O. Meißner und sein Debütroman Starfish Rules (1997) (Kai U. Jürgens)
  • Progressive Rock. Tobias O. Meißners Roman HalbEngel (1999) (Christoph Rauen)
  • Der Flügelschlag des Schmetterlings. Tobias O. Meißners „Verhörroman“ Todestag (2000) (Theresa Homm)
  • „niemals mehr aufzuwachen / damit alles eins ist“ – Polarität und Streben nach Einheit als zentrale Gestaltungsmittel in Tobias O. Meißners Roman Neverwake (2001) (Sina Röpke)
  • „Wenn einer von uns Spielern stürzt, dann fällt er und fällt er und fällt …“1. Tobias O. Meißner Weltspiel Hiobs Spiel (2002–2018) (Hans-Edwin Friedrich)
  • „Das Gegenteil von Nichts. Versteht ihr das?“1 Kunst, Gewalt und Zufall in Tobias O. Meißners Das Paradies der Schwerter (2004) (David Röhe)
  • Eine Amazone emanzipiert sich. Zur Bedeutung klassischer Amazonenbilder in Tobias O. Meißners Roman Klingenfieber (2013) (Malte Domrös)
  • „[D]‌er Donnerhall am Ende“. Interview mit Tobias O. Meißner
  • Chronologie der Textentstehungen (Tobias O. Meißner)
  • Bibliographie
  • Reihenübersicht

David Röhe

Vorwort

„Wie kommt man aus diesem ganzen Kunst-Kommerz-Schlamassel wieder raus, ohne verrückt oder total depressiv zu werden?“

– Tobias O. Meißner

Tobias O. Meißner ist ein Autor mit vielen Genre-Gesichtern. Einzig eine grundsätzliche Tendenz zur Phantastik lässt sich für die meisten seiner Romane diagnostizieren und selbst hier gibt es Ausnahmen.1 Man mag verlockt sein, seine Schaffensphase grob in zwei Großbereiche zu gliedern: Erstens Starfish Rules (1997), HalbEngel (1999), Todestag (2000), Neverwake (2001), die Hiob-Reihe (2002–2018) und Das Paradies der Schwerter (2004). Diese Romane entziehen sich einer Ad-hoc-Zuordnung in ein Genre, aktualisieren aber gleichzeitig unentwegt diverse Genrekonventionen. Mit dem Auftakt der Mammut-Reihe Die dunkle Quelle (2005) bei Piper und der zweiten Auflage von Das Paradies der Schwerter (2006) als Taschenbuch setzt dann zweitens eine Fokussierung auf die Fantasyliteratur ein, der Meißner über viele Jahre treu bleiben wird. Piper wird zu seinem neuen Hausverlag und ermöglicht die Publikation von fünf weiteren Mammut-Büchern (2006–2011), der dreiteiligen Dämonen-Reihe (2008–2011), Barbarendämmerung (2012), Klingenfieber (2013), der Sieben Heere-Reihe (2015–2018), Dungeon Planet (2018) und Evil Miss Universe (2019). Was auf den ersten Blick wie eine Hinwendung zur Massenliteratur erscheinen mag, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Realisierung lang angelegter literarischer Ambitionen.2

Meißner gehört zu jenen Autoren, die nicht bereit sind, die Ansprüche eines nach Lesefutter hungernden Publikums unkritisch zu befriedigen, und hatte mit dieser Einstellung von Anfang an einen schweren Stand auf dem deutschen Fantasy-Markt. Literaturkritik und Feuilleton tun sich ihrerseits wiederum schwer, Literatur ernstzunehmen, die Genre- und Pulp-Motive aufgreift und Populärkultur auf eine Weise verarbeitet, die eine genuine Nähe zu den ←7 | 8→gegebenen Stoffen suggeriert. Diese problematische Lage hatte sich nach Evil Miss Universe so weit verschärft, dass der Piper Verlag, der sich lange um den Autor und damit die deutsche Fantasy verdient gemacht hat, keine Vorschüsse mehr zahlen konnte, die ein unabhängiges Schriftstellerleben ermöglichen würden.

Grundlage für dieses Buch ist also ein Widerspruch, der gleichzeitig zu irritieren vermag, wohl aber auch reizvoll ist: Wo die Forschung zu Tobias O. Meißners Schaffen gerade erst am Anfang ist (es ist bisher nur schlaglichtartig zu seinen Texten publiziert worden)3, so betrachtet Meißner selbst seine hauptberufliche Schriftstellerkarriere als beendet. Zu seinen diesbezüglichen Begründungen erhält der Autor an unterschiedlichen Stellen in diesem Buch Gelegenheit, sich zu äußern. Als Wissenschaftler gilt es, sich nun zu fragen, ob dieser besondere Moment in der Karriere eines Künstlers überhaupt von Bedeutung ist. Ich wage, diese Frage zunächst ausweichend zu beantworten:

Einerseits ist das bestehende Œuvre Anlass genug, die Zukunft zunächst Zukunft sein zu lassen und sich intensiv dem zuzuwenden, was an Romanen bereits vorliegt. Allein Meißners Debütroman Starfish Rules präsentiert ein (Verwirr-)Spiel aus unterschiedlichsten Motiven, Anspielungen und Zitaten, das geradezu zum Entwirren auffordert – das Ergebnis kann nicht vorhergesagt werden. Und auch die Romane HalbEngel, Todestag, Neverwake und die Hiobs-Spiel-Reihe stellen große Fragen an die Leser, die Kunst und die Literaturwissenschaft. Dass sich Meißner nicht verführen lässt, vorschnell Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu liefern, macht den großen Reiz seiner Romane aus. Ob der Verkauf dieser Bücher ausreicht, davon auch zu leben, ist für den Wissenschaftler zunächst unerheblich.

Andererseits muss das Scheitern auf dem Buchmarkt als Ereignis im literarischen Feld trotzdem Beachtung finden, steht Meißner doch in keiner Weise unter dem Verdacht, mangelndes Talent sei hier als Ursache zu vermuten – im Gegenteil. Wo möglicherweise das Problem liegt, lässt sich erahnen, wenn man ←8 | 9→versucht, Meißners Romane den etablierten Feldern der U- oder E-Literatur zuzuordnen. Ein solcher Versuch wird in den meisten Fällen nämlich scheitern, was für die Vermarktung eines gegebenen Romans in Deutschland schwerwiegende Probleme mit sich bringen kann. Jeder, der es hierzulande wagt, jene Grenze zwischen Anspruch und Trivialität infrage zu stellen oder gar frontal zu attackieren, kann sowohl von Seiten des Publikums als auch des Feuilletons mit Abwehrreaktionen rechnen. Dazu Christopher Ecker, ein Autor, der vor einem ähnlichen Problem steht: „Ich glaube, dass es sich bei der negativen Bewertung von Phantastik um ein typisch deutsches Problem handelt […]. Wer so etwas schreibt, kann keine ernst zu nehmende Literatur fabrizieren, denkt und schreibt das ominöse ‚man‘ (Heidegger) […]. Was ist denn bitteschön ‚Science-Fiction‘? Was ‚Phantastik‘? Was ‚Literatur?‘“4 Und um die Phantastik geht es hier letztendlich – sie dient heute als erstes Kriterium, einen gegebenen Text aus dem Bereich der ‚ernsten‘ Literatur auszuschließen. Vergessen scheint die einzigartige Tradition, die phantastische, wunderbare und grauenerregende Stoffe speziell in der deutschen Literaturgeschichte haben. Meißners Situation ist symptomatisch für die Lage der Unterhaltungs- und vor allem Genreliteratur in Deutschland, die – wenn sie sich bemüht, einem gewissen ästhetischen Anspruch gerecht zu werden – oftmals abgestraft wird.

Dieses Buch möchte der dargelegten Lage begegnen, indem zunächst Meißners frühe Romane (mit einer prospektiven Ausnahme, s. u.) einer genaueren Untersuchung unterzogen werden. Den Auftakt macht allerdings die bislang unveröffentlichte Kurzgeschichte Eigentlich hasse ich Musik, der Tobias O. Meißner ein Intro vorangestellt hat: Die Texte sind auch Musik – Ambivalenzen begleiten den Leser also weiter durch dieses Buch.

Kai U. Jürgens widmet sich i. F. dem Weltentwurf in Meißers Debütroman Starfish Rules; einen besonderen Fokus legt er auf die Bedeutung, die der Autor Cordwainer Smith alias Paul Myron Anthony Linebarger einerseits als Figur in Starfish Rules hat, andererseits aber auch, welche Rolle Linebargers Kurzgeschichten und Romane als Prätexte von Starfisch Rules spielen. Christoph Rauen arbeitet das Selbstverständnis des Künstlers in HalbEngel heraus und geht dabei zusätzlich auf die Diskursordnung und Perspektivierung des Erzählens ein. In Todestag sieht Theresa Homm den Tötungswunsch des Satirikers am konkreten Beispiel angeführt. Sie arbeitet Bezüge zur populären Krimikultur à la Tatort heraus und vergleicht die im Roman präsentierten Kritiken mit ←9 | 10→den Positionen von Karl Kraus. Sina Röpke untersucht das Verhältnis von Körperlichkeit und Virtualität in Neverwake und zeigt auf, welche Rolle Polarität und deren Aufhebung für Gestaltung, Struktur und Thema des Cyberpunkromans spielen. Ausführlich stellt Hans-Edwin Friedrich die Reihe Hiobs Spiel vor und präsentiert eine Analyse von Weltenbau, Form und Liebeskonzept. Außerdem geht er auf Prätexte und Poetik ein; im dargestellten Zitatismus sieht er den Versuch einer Überwindung von postmoderner Beliebigkeit. In meinem Beitrag zu Das Paradies der Schwerter geht es mir in erster Linie darum, die Selbstreferentialität des Romans herauszustellen. Diese unterscheidet ihn von den anderen Spielromanen Meißners (Neverwake und Dungeon Planet) und markiert eine spezifische Haltung zur Ästhetisierung von Gewalt. Abschließend wagt Malte Domrös einen Ausblick auf die Fantasy, indem er nachweist, dass das Amazonenbild in Klingenfieber eine Verkehrung der antiken Vorbilder darstellt. Auf dieser Grundlage steht dann auch der geschlechtsspezifische Emanzipationsdiskurs, der den Roman durchzieht.

Den Abschluss bildet ein ausführliches Interview mit Tobias O. Meißner und eine freundlicherweise vom Autor bereitgestellte Chronologie der Textentstehung, die viele intertextuelle Bezüge aufklärt, die sich rein aus der Publikationsreihenfolge nicht ergeben.

Herzlich möchte ich dem Literaturhaus Schleswig-Holstein und dem Deutschen Literaturfonds e.V. für ihre freundliche Unterstützung danken, insbesondere Alisa Woronow. Der Literaturworkshop, der die Grundlage für dieses Buch darstellte, wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Weiter gilt mein Dank den Studierenden meines Meißner-Seminars, im Besonderen Annika Guske und Malte Domrös, die das Interview mit Tobias O. Meißner in leitender Funktion vorbereitet und durchgeführt haben, sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Meißner-Oberseminars. Ferner möchte ich Domenica Psiuk, Victor Sebelefsky und Vivian Röhe danken, die die redaktionelle Bearbeitung dieses Bandes mit ihren Durchsichten und Kommentaren begleitet haben. Mein ganz besonderer Dank gilt Tobias O. Meißner. Für seine Beiträge in diesem Buch, für seine Offenheit, für eine Einladung zu einem Blaubeerkuchen in Steglitz und viele interessante Gespräche; und – vor allem – für seine Bücher.

Tobias O. Meißner

„Die Texte sind auch nur Musik“ – Intro

Den sehr lebendigen und konstruktiven Workshop an der Universität Kiel im Januar 2020 kann ich als Höhepunkt und gleichzeitig voraussichtlichen Abschluss meiner Romanautorenlaufbahn bezeichnen. Hiobs Spiel werde ich noch fortsetzen, und auch ansonsten bezeichne ich mich weiterhin als Schriftsteller und schreibe privat weiter, vor allem an meinem Filmblog Der Filmbetrachter (derfilmbetrachter.de) sowie an Konzepten für die Filmbranche selbst, aber für meinen Ausstieg aus der Buchbranche gibt es mehrere Gründe ökonomischer, persönlicher und auch interessebedingter Natur.

Details

Seiten
224
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631863190
ISBN (ePUB)
9783631863206
ISBN (Hardcover)
9783631846827
DOI
10.3726/b18771
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 224 S.

Biographische Angaben

David Röhe (Band-Herausgeber:in)

David Röhe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsche Fantasy- und Science-Fiction-Literatur, Phantastik- und Gattungstheorie.

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Titel: Arbeitsbuch Tobias O. Meißner
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