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Ausländische Beweissicherungsverfahren im inländischen Prozess

Ein Anwendungsfall der Substitution im Internationalen Zivilprozessrecht

von Andreas Holzgreve (Autor:in)
©2018 Dissertation 228 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor dieser Arbeit untersucht umfassend die zentralen Auswirkungen ausländischer Beweissicherungsverfahren auf den Prozess im Inland (Hemmung der Verjährung, entgegenstehende Rechtshängigkeit, Verwertbarkeit der Ergebnisse). Dogmatisch handelt es sich um eine Frage der internationalprivatrechtlichen Substitution. Zunächst ermöglicht die Darstellung exemplarisch ausgewählter europäischer Beweissicherungsverfahren einen Überblick über deren Diversität. Die Arbeit behandelt sodann die internationale Zuständigkeit und erarbeitet die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen, die ein ausländisches selbständiges Beweisverfahren erfüllen muss, um im Inland berücksichtigt werden zu können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Gliederung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • § 1 Einführung
  • § 2 Die Struktur der Beweissicherungsverfahren
  • A. Das selbständige Beweisverfahren gem. §§ 485 ff ZPO (Deutschland)
  • I. Rechtsgrundlage und Zulässigkeit
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Zulässigkeit
  • 3. Verjährung
  • 4. Besondere Voraussetzungen
  • a. Erneute Begutachtung
  • b. Ausforschungsverbot, Unzumutbarkeit, Zeugnisverweigerungsrecht
  • c. Antrag gegen unbekannten Gegner
  • d. Nebenintervention und Streitverkündung
  • II. Zuständigkeit
  • 1. Bei anhängiger Hauptsache
  • 2. Bei nicht anhängiger Hauptsache
  • 3. Eilzuständigkeit
  • 4. Rechtshängigkeit
  • III. Beweisaufnahme und Verfahren
  • IV. Verwertung
  • V. Verwertungshindernisse und Besonderheiten
  • VI. Ergänzung durch § 411a ZPO
  • B. Die mesure d’instruction à futur gem. Art. 145 CPC (Frankreich)
  • I. Rechtsgrundlage und Zulässigkeit
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Zulässigkeit
  • 3. Verjährung
  • 4. Besondere Voraussetzungen
  • a. Erneute Begutachtung
  • b. Ausforschungsverbot, Unzumutbarkeit, Zeugnisverweigerungsrecht
  • c. Antrag gegen unbekannten Gegner
  • d. Nebenintervention und Streitverkündung
  • II. Zuständigkeit
  • 1. Zuständigkeit
  • 2. Rechtshängigkeit
  • III. Beweisaufnahme und Verfahren
  • IV. Verwertung
  • V. Verwertungshindernisse und Besonderheiten
  • C. Die vorsorgliche Beweisführung gem. § 158 chZPO (Schweiz)
  • I. Rechtsgrundlage und Zulässigkeit
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Zulässigkeit
  • 3. Verjährung
  • 4. Besondere Voraussetzungen
  • a. Erneute Begutachtung
  • b. Ausforschungsverbot, Unzumutbarkeit, Zeugnisverweigerungsrecht
  • c. Antrag gegen unbekannten Gegner
  • d. Nebenintervention und Streitverkündung
  • II. Zuständigkeit
  • 1. Bei anhängiger Hauptsache
  • 2. Bei nicht anhängiger Hauptsache
  • 3. Rechtshängigkeit
  • III. Beweisaufnahme und Verfahren
  • IV. Verwertung
  • V. Verwertungshindernisse und Besonderheiten
  • D. Die Sicherung von Beweisen gem. §§ 384 ff öZPO (Österreich)
  • I. Rechtsgrundlage und Zulässigkeit
  • 1. Rechtsgrundlage
  • 2. Zulässigkeit
  • 3. Verjährung
  • 4. Besondere Voraussetzungen
  • a. Ausforschungsverbot, Unzumutbarkeit, Zeugnisverweigerungsrecht
  • b. Antrag gegen unbekannten Gegner
  • c. Nebenintervention und Streitverkündung
  • II. Zuständigkeit
  • 1. Bei anhängiger Hauptsache
  • 2. Bei nicht anhängiger Hauptsache und Eilzuständigkeit
  • 3. Rechtshängigkeit
  • III. Beweisaufnahme und Verfahren
  • IV. Verwertung
  • V. Verwertungshindernisse und Besonderheiten
  • E. Rechtsvergleichendes Ergebnis zu § 2
  • § 3 Die internationale Zuständigkeit für das Beweissicherungsverfahren
  • A. Nach Europäischem Zivilprozessrecht
  • I. Grundsätzliche Zuständigkeit des Hauptsachegerichts
  • II. Die Zuständigkeit nach der EuGVVO
  • 1. Die EuGVVO und das LugÜ
  • 2. Das Verhältnis zur EuBVO
  • 3. Die Anwendbarkeit der EuGVVO: die Beweissicherung als einstweilige Maßnahme iSv Art. 35 EuGVVO?
  • a. Die generelle Anwendbarkeit der EuGVVO
  • b. Art. 35 EuGVVO
  • 4. Ergebnis zu II.
  • III. Der Rechtshilfeweg nach der EuBVO
  • 1. Rechtshilfe nach der EuBVO
  • 2. Anwendbarkeit der EuBVO auf Beweissicherungsmaßnahmen
  • 3. Verfahren und Durchführung der Beweissicherung nach der EuBVO
  • 4. Grenzen
  • 5. Exkurs: das HBÜ, die Durchsetzungs-RL und das deutsche autonome Recht
  • 6. Ergebnis zu III.
  • IV. Ergebnis zu A.
  • B. Nach inländischem Internationalen Zivilprozessrecht
  • I. Anwendungsbereich
  • II. Doppelfunktion des § 486 ZPO
  • III. Erfordernis einer realen Verknüpfung iSv Art. 35 EuGVVO
  • IV. Ergebnis zu B.
  • C. Sonderfall: Gerichtsstandsvereinbarung
  • D. Ergebnis zu § 3
  • § 4 Die Substitution ausländischer Beweissicherungsverfahren im Inland
  • A. Überblick über die Auswirkungen im inländischen Prozess
  • B. Eine Frage der Substitution
  • I. Internationalprivatrechtliche Substitution
  • II. Abgrenzung zur Qualifikation
  • III. Abgrenzung zur Vorfrage
  • IV. Abgrenzung zur Transposition
  • V. Abgrenzung zur Anpassung
  • VI. Abgrenzung zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen
  • C. Methode der Substitution
  • D. Funktionale Vergleichbarkeit bei verfahrensgebundenen Handlungen
  • E. Rechtsfolge
  • I. Einzelfallbezogene Gleichstellung
  • II. Fehlende Substitutionsfähigkeit
  • F. Ergebnis zu § 4
  • § 5 Die Auswirkungen im Einzelnen: generelle Substitutionsfähigkeit
  • A. Hemmung der Verjährung
  • I. Anwendbares Recht
  • II. Substitution eines ausländischen Beweisverfahrens
  • III. Positive Anerkennungsprognose erforderlich?
  • IV. Internationale Zuständigkeit erforderlich?
  • V. Ergebnis zu A.
  • B. Entgegenstehende Rechtshängigkeit
  • I. Gegenüber einem weiteren Beweissicherungsverfahren
  • II. Gegenüber einer Hauptsache
  • III. Ergebnis zu B.
  • C. Verwertbarkeit und Beweiskraft
  • I. Grundsätzliche Beachtlichkeit nach der lex fori processualis
  • II. Verwertung als anerkennungsfähige Entscheidung iSv § 328 ZPO bzw. Art. 36 EuGVVO
  • III. Verwertung gem. §§ 364, 369 ZPO nach den Regeln über die Rechtshilfe
  • IV. Verwertung gem. § 493 Abs. 1 ZPO bzw. § 411a ZPO wie ein inländisches selbständiges Beweisverfahren
  • 1. § 493 Abs. 1 ZPO
  • 2. § 411a ZPO als Alternative oder als Ergänzung?
  • V. Verwertung als Urkundenbeweis gem. §§ 415 ff ZPO
  • VI. Lösung durch die Gleichstellung mit dem inländischen Beweissicherungsverfahren und ihre Grenzen
  • 1. Gleichstellung, aber nicht uneingeschränkt
  • 2. Der Filter der funktionalen Vergleichbarkeit
  • 3. Verwertungsverbote und die freie Beweiswürdigung als Korrektiv
  • VII. Ergebnis zu C.
  • D. Kosten
  • I. Kosten der Hauptsache
  • II. Umfang der Kostenerstattung
  • III. Ergebnis zu D.
  • E. Ergebnis zu § 5
  • § 6 Funktionale Vergleichbarkeit und Verwertungshindernisse im Einzelfall
  • A. Die abstrakte und die konkrete Beurteilung
  • I. Rechtsquellen und Systematik
  • II. Abstrakte funktionale Vergleichbarkeit
  • III. Konkrete Verwertungshindernisse im Einzelfall
  • IV. Ergebnis zu A.
  • B. Funktionale Vergleichbarkeit von Beweissicherungsverfahren
  • I. Zielsetzung und Bedeutung des selbständigen Beweisverfahrens
  • II. Gerichtliches und kontradiktorisches Verfahren
  • III. Beibringungs- und Untersuchungsgrundsatz
  • IV. Hemmung der Verjährung
  • V. Zulässige Beweismittel
  • VI. Ergebnis zu B.
  • C. Verfahrensrechtlicher ordre public und Verwertungshindernisse im Einzelfall
  • I. Maßstab und prozessuale Berücksichtigung
  • 1. Eigenständige Verwertungshindernisse
  • 2. Berücksichtigung von Amts wegen?
  • 3. Präklusion?
  • II. (Internationale) Zuständigkeit
  • III. Rechtsmissbrauch
  • IV. Ausforschungsverbot
  • V. Rechtliches Gehör
  • VI. Parteiöffentlichkeit
  • VII. Rechtswidrige Beweiserlangung im Übrigen
  • 1. Allgemeines und Grenzen
  • 2. Persönlichkeitsrecht und Geschäftsgeheimnisse
  • 3. Menschenwürde
  • 4. Aussageverweigerungsrechte
  • VIII. Ergebnis zu C.
  • D. Einfluss der Beweiswürdigung
  • E. Berücksichtigung trotz Unverwertbarkeit?
  • F. Ergebnis zu § 6
  • § 7 Wesentliche Ergebnisse und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Abkürzungsverzeichnis

aA andere Ansicht

ABGB Österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch

ABl Amtsblatt der Europäischen Union

abl. ablehnend(e)

Abs. Absatz

AcP Archiv für die civilistische Praxis

aE am Ende

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

aF alte Fassung

allg. allgemein(e)

allgM allgemeine Meinung

Anm. Anmerkung

Art. Artikel

Az. Aktenzeichen

BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht

BB Der Betriebs-Berater

BeckEuRS Beck online Rechtsprechung des EuGH, EuG und EuGöD

BeckRS Beck online Rechtsprechung

Beschl. Beschluss

BGB Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. Bundesgesetzblatt

BGH Bundesgerichtshof

BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BT-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVerfG Bundesverfassungsgericht

bzgl. bezüglich

bzw. beziehungsweise

C.civ. Code civil (französisches Zivilgesetzbuch)

chZPO Schweizerische Zivilprozessordnung

CPC Code de procédure civile (französische Zivilprozessordnung)

DB Der Betrieb

ders. derselbe

dies. dieselbe(n)

DS Der Sachverständige

dZPO Deutsche Zivilprozessordnung ← 19 | 20 →

EG Europäische Gemeinschaft

EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche

Einl. Einleitung

ERA Europäische Rechtsakademie

EuBVO Beweisaufnahme-Verordnung

EuGH Gerichtshof der Europäischen Union

EuGVVO Brüssel Ia-Verordnung

EuR Europarecht

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EvBl Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen

EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f folgende(r)

FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

ff fortfolgende

Fn. Fußnote(n)

GA Generalanwalt

GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GRUR Int Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil

GVG Gerichtsverfassungsgesetz

hM herrschende Meinung

HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung

Hrsg. Herausgeber

IBR Zeitschrift IBR Immobilien & Baurecht

IHR Internationales Handelsrecht

insb. insbesondere

IntGesR Internationales Gesellschaftsrecht

IPR Internationales Privatrecht

IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

IPRspr Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts

iRd im Rahmen des/der

iSd im Sinne des/der

iSv im Sinne von

iVm in Verbindung mit

JM BaWü Justizministerium Baden-Württemberg

JuS Juristische Schulung

JW Juristische Wochenschrift ← 20 | 21 →

JZ Juristenzeitung

Kap. Kapitel

krit. kritisch

LG Landgericht

Lit Literatur

lit. litera

LMK beck-fachdienst Zivilrecht - LMK

Ls. Leitsatz

LugÜ Lugano-Übereinkommen

LZ Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

MedR Medizinrecht

MDR Monatsschrift für Deutsches Recht

mwN mit weiteren Nachweisen

nF neue Fassung

NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJW Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht

Nr. Nummer(n)

NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht

NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht

NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

OLG Oberlandesgericht

OLGRspr Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte

OLGZ Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen

öZPO Österreichische Zivilprozessordnung

RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Rev.crit.DIP Revue critique de droit international privé

RG Reichsgericht

RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RIW Recht der internationalen Wirtschaft

RIW/AWD Recht der internationalen Wirtschaft / Außenwirtschaftsdienst

RL Richtlinie

Rn. Randnummer(n)

RPflG Rechtspflegergesetz

Rs. Rechtssache

Rspr Rechtsprechung ← 21 | 22 →

S. Seite(n)

sog. sogennant(e/es/er)

StPO Strafprozessordnung

str. strittig

UAbs. Unterabsatz

Urt. Urteil

v. vom

VersR Versicherungsrecht

vgl. vergleiche

VO Verordnung

WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

z.B. zum Beispiel

ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZPO Deutsche Zivilprozessordnung (auch „dZPO“)

zust. zustimmend

ZZP Zeitschrift für Zivilprozess

ZZPInt Zeitschrift für Zivilprozess International

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§ 1 Einführung

„Wer seine Sache nicht beweisen kann, der darf auch nicht klagen“1. In derartiger Absolutheit ist diesem Zitat des französischen Komödiendichters Molière zwar nicht zuzustimmen, doch in der Tat genügt es nicht, materiellrechtlich einen Anspruch zu haben, wenn man diesen nicht beweisen und somit prozessual durchsetzen kann. Vor Erhebung einer Klage sollte man also – soweit möglich – sichergehen, dass man die für die Tatbestandsmerkmale des geltend gemachten Anspruchs erforderlichen Tatsachen auch beweisen kann.

Dies kann insbesondere dann Probleme aufwerfen, wenn ein Beweismittel zu dem Zeitpunkt, in dem man eine Klage erwägt oder sogar schon eingereicht hat, zwar noch vorhanden ist, aber bis zur Hauptsacheverhandlung nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Man denke hier zum Beispiel an einem schwerkranken Zeugen, der bis zur Hauptverhandlung zu versterben droht. Für solche Fälle ermöglicht es die ZPO, die Beweisaufnahme in einem selbständigen Beweisverfahren gem. §§ 485 ff ZPO vorzuziehen und deren Ergebnis dann im späteren Hauptsacheprozess zu verwerten.

Interessant wird nun ein entsprechendes internationales Beispiel, von denen es in einem globalisierten Handels- und Wirtschaftsverkehr unzählige gibt: Ein deutscher Mittelständler verkauft eine Fertigungsanlage an einen französischen Automobilhersteller und aufgrund eines Defektes dieser Anlage kommt es zu einem Brand, der die Fabrik des französischen Automobilherstellers schwer beschädigt. Der Automobilhersteller wird nun die Fabrik möglichst schnell reparieren wollen, um den Produktionsausfall möglichst gering zu halten. Dabei würde er allerdings die Beweise beeinträchtigen, die auf die defekte Anlage als Brandursache schließen lassen. Da ein Schadensersatzprozess gegen den deutschen Mittelständler erst Monate oder Jahre später beginnen würde, wird der Automobilhersteller, um die Beweise für den Prozess zu sichern, vor Ort eine mesure d’instruction à futur gem. Art. 145 CPC, das französische Äquivalent zum selbständigen Beweisverfahren, beantragen. Dieses Beispiel ist auf zahlreiche grenzüberschreitende Sachverhalte übertragbar. So könnte es sich statt einer Fertigungsanlage auch um ein Schiff handeln, das in einer deutschen Werft gewartet wurde und dann auf seinem Weg nach Südamerika aufgrund eines defekten ← 23 | 24 → Motors in einem französischen Hafen strandet2. Auch hier wird der Reeder das Schiff möglichst schnell reparieren wollen, um die Ausfälle gering zu halten, und deshalb die Beweise für einen Gewährleistungsprozess vor Ort sichern. Wenn nun im Anschluss an diese Fälle aber der Hauptsacheprozess in Deutschland durchzuführen ist – was keinesfalls ungewöhnlich wäre (sei es aufgrund des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten gem. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO3 oder aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung) – stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse der französischen mesure d’instruction à futur im deutschen Hauptsacheprozess verwertet werden können.

Dieser Frage soll die vorliegende Untersuchung nachgehen. Verfahren, wie das deutsche selbständige Beweisverfahren oder die französische mesure d’instruction à futur, die die isolierte Beweisaufnahme vor dem eigentlichen Hauptsacheprozess ermöglichen, können als Beweissicherungsverfahren bezeichnet werden4. Es wird sich zeigen, dass derartige Verfahren nicht ausschließlich zur Sicherung eines Beweises, sondern teilweise auch ohne Gefährdung des Beweismittels eingeleitet werden können. Dennoch wird im Folgenden der Begriff Beweissicherungsverfahren verwendet werden, da der Fokus der Untersuchung auf den Verfahren liegt, die vor der Hauptsache durchgeführt werden, um ein Beweismittel für selbige zu erhalten. Lediglich an den insoweit relevanten Stellen wird dann auch auf die vorgezogene Beweisaufnahme zu anderen Zwecken eingegangen.

Die Frage nach der Verwertbarkeit ausländischer Beweissicherungsverfahren im inländischen Prozess ordnet sich in den größeren Kontext der Beweisaufnahme im Ausland ein. Die Beweisaufnahme im Ausland ist zu unterscheiden von der Beweisbeschaffung aus dem Ausland, bei der die Parteien selbständig Beweismittel aus dem Ausland im Inland verfügbar machen, also etwa Dokumente einer ausländischen Tochtergesellschaft ins Inland holen, insbesondere um Prozessnachteile zu vermeiden5. Ebenso wenig geht es hier um den völkerrechtlich problematischen Fall, dass ein inländisches Gericht selbständig im Ausland Beweise erhebt, also etwa einen ausländischen Sachverständigen beauftragt, einen deutschen Sachverständigen ins Ausland schickt oder einen ausländischen Zeugen ← 24 | 25 → vorlädt6. Vielmehr handelt es sich bei der Beweisaufnahme im Ausland um eine gerichtliche Beweisaufnahme im Ausland durch ein ausländisches Gericht.

Die ganz allgemeine Problematik der Verwertbarkeit von Beweisen aus dem Ausland wurde in der Literatur bereits ausführlich (wenn auch nicht erschöpfend) erörtert7 und soll hier deshalb nur insoweit untersucht werden, wie sie speziell Beweissicherungsverfahren betrifft. Besonders auf die Verwertbarkeit ausländischer Beweissicherungsverfahren wird bisher in der Literatur nur vereinzelt eingegangen, etwa in der Arbeit von Dörschner8 und in einem Beitrag von Heinze9. Darüber hinaus gehen auch Eschenfelder10, Rollin11 und Wannenmacher12 im Rahmen von Monographien zu verwandten Themen auf die Verwertbarkeit und Auswirkungen ausländischer Beweissicherungsverfahren ein. Im Übrigen finden sich Äußerungen zu Einzelaspekten dieser Thematik in der Literatur13. Die Rechtsprechung ist eher dürftig, obwohl die Situation, wie das genannte Beispiel zeigt, in der Praxis häufig vorkommt. Es scheint so, als hätte sich der Rechtsverkehr auf die aktuell unsichere Rechtslage eingestellt, indem vermieden wird, Beweissicherungsverfahren aus dem Ausland in den inländischen Prozess einzuführen. Dennoch ergehen in regelmäßigen Abständen Entscheidungen, die diese Problematik betreffen (zuletzt des OLG München im Jahre 201414), und es sind weitere zu erwarten.

Details

Seiten
228
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631762318
ISBN (ePUB)
9783631762325
ISBN (MOBI)
9783631762332
ISBN (Hardcover)
9783631760253
DOI
10.3726/b14425
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Oktober)
Schlagworte
Selbständige Beweisverfahren Beweisaufnahme Funktionale Vergleichbarkeit Art. 35 Brüssel Ia-VO Art. 35 EuGVVO
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 222 S.

Biographische Angaben

Andreas Holzgreve (Autor:in)

Andreas Holzgreve studierte Rechtswissenschaft in München und Paris. Er erlangte das Erste Staatsexamen und die maîtrise en droit. Das Rechtsreferendariat absolviert er am Oberlandesgericht München. Er wurde an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Dr. jur. promoviert.

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