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Die Kostenanrechnungsklausel in der D&O-Versicherung

Eine Untersuchung der AGB-rechtlichen und dinglichen Wirksamkeit der formularmäßigen Kostenanrechnung

von Nikolaus Dickstein (Autor:in)
©2020 Dissertation 176 Seiten

Zusammenfassung

Die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in D&O-Versicherungsverträgen ist trotz der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. vom 9. Juni 2011 (7 U 127/09) nach wie vor umstritten. Dies überrascht angesichts der Bedeutung von Kostenanrechnungsklauseln nicht. Einerseits drohen die Kosten der vom Versicherer veranlassten Anspruchsabwehr die Versicherungssumme aufzuzehren, so dass im Falle der Begründetheit des Haftpflichtanspruchs nicht mehr ausreichend Mittel zur Freistellung zur Verfügung stehen. Andererseits wäre das versicherungstechnische Risiko der D&O-Versicherung ohne die Verwendung von Kostenanrechnungsklauseln kaum kalkulierbar. Vor diesem Hintergrund geht der Autor der Frage der AGB-rechtlichen sowie dinglichen Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln in der D&O-Versicherung nach.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titelseite
  • Impressum
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • § 2 Grundzüge der D&O-Versicherung
  • § 3 Die Kostenanrechnungsklausel in der Inhaltskontrolle
  • A. Bestandsaufnahme der vertretenen Ansichten
  • I. Unwirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel
  • II. Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel
  • B. Die Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB
  • I. Vorprüfung
  • 1. Auslegung der Klausel
  • 2. Vertragseinbeziehung
  • 3. Zugänglichkeit zur Inhaltskontrolle
  • II. Maßstab der Inhaltskontrolle
  • III. Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
  • 1. § 101 Abs. 2 Satz 2 VVG als wesentlicher Grundgedanke?
  • a) Bestimmung eines wesentlichen Grundgedankens nach der herrschenden Rechtsprechung und Literatur
  • b) Die herrschende Ansicht zu § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG
  • c) Die Ansicht von Koch zu § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG
  • d) Die Ansicht von Langheid/Grote zu § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG
  • e) Stellungnahme
  • aa) Eigene Untersuchung
  • bb) Kein einheitlicher Grundsatz aus §§ 83 Abs. 3, 101 Abs. 2 Satz 1 VVG i.V.m. § 670 BGB
  • cc) Umfang der Abwehrkostentragungspflicht
  • dd) Zwischenergebnis
  • f) Variabler Gerechtigkeitsgehalt von § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG?
  • aa) Variabler Gerechtigkeitsgedanke als Maßstab von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
  • bb) Einheitlicher Gerechtigkeitsgedanke als Maßstab von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
  • cc) Stellungnahme
  • g) Ergebnis
  • 2. Anrechnungsklausel als im Handelsverkehr üblicher Brauch oder Gewohnheit gemäß § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB?
  • a) Bedeutung als Handelsbrauch
  • aa) Zeitliches Moment
  • bb) Einheitliche Auffassung als anerkannte Verkehrserwartung
  • b) Bedeutung der Branchenüblichkeit
  • c) Ergebnis
  • 3. Interessenabwägung
  • a) Beachtliche Interessen im dreipoligen Verhältnis
  • aa) Die herrschende Ansicht
  • bb) Die Ansicht von Koch
  • cc) Die Ansichten von Graf von Westphalen und Sieg
  • dd) Stellungnahme
  • b) Gruppentypische Differenzierung
  • c) Abweichungsinteresse des Versicherers
  • aa) Die gesteigerte Bedeutung der Rechtsschutzkomponente
  • (1) Hohe Rechtsanwaltskosten
  • (2) Als Folge der versicherten Organhaftung
  • (a) Strenges Organhaftungsregime
  • (b) Ein Schadensfall als Ursache vieler Versicherungsfälle
  • (aa) Haftungsnähe der Organmitglieder
  • (bb) Gleichzeitiges Überwachungsversagen
  • (c) Zwischenergebnis
  • (3) Vielfältige Interessen in einem Unternehmen an der Anspruchserhebung
  • (4) Zwischenergebnis
  • (5) Vergleich mit Berufs-/Betriebshaftpflichtversicherung
  • bb) Kalkulierbarkeit des versicherten Risikos
  • cc) Interesse der Versichertengemeinschaft
  • dd) Das Preisargument
  • (1) Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Preisarguments
  • (2) Ausnahmsweise Beachtlichkeit des Preisarguments
  • (a) Untragbares Preisniveau geringwertiger Leistungen
  • (b) Massengeschäfte
  • (c) Offene Tarifwahl
  • (d) Abwälzung von regelmäßigen Kosten
  • (3) Beachtlichkeit des Preisarguments nach Teilen der Literatur
  • (4) Zwischenergebnis
  • ee) Schutz des Versicherers vor Kollusion und freundlicher Inanspruchnahme durch Versicherungsnehmerin und versicherte Personen
  • ff) Ergebnis
  • d) Beibehaltungsinteresse der versicherten Personen und der Versicherungsnehmerin
  • aa) Interesse der versicherten Personen
  • (1) Umfassender Versicherungsschutz
  • (2) Interessenwidrige Verkürzung des Versicherungsschutzes
  • (3) Verlagerung des finanziellen Risikos der erfolglosen Anspruchsabwehr
  • bb) Interesse der versicherungsnehmenden Gesellschaft
  • (1) Das Interesse als Vertragspartnerin
  • (2) Das wirtschaftliche Interesse am Abschluss der Police
  • cc) Zwischenergebnis
  • e) Abwägung der konkreten Interessen der Beteiligten
  • 4. Ergebnis
  • IV. Unwirksamkeit wegen Vertragszweckgefährdung, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB
  • 1. Ansichten in der Literatur
  • 2. Eigene Ansicht
  • V. Verstoß gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
  • VI. Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB
  • VII. Rechtsfolge
  • 1. § 306 BGB
  • 2. Blue-Pencil-Test
  • 3. Zwischenergebnis
  • 4. Ergänzende Vertragsauslegung
  • a) Vertragslücke
  • b) Planwidrigkeit
  • c) Vorrang des dispositiven Rechts
  • d) Hypothetischer Parteiwille
  • e) Ergebnis
  • VIII. Folgerungen
  • § 4 Die Anrechnung der Abwehrkosten: eine verbotene Verfügung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VVG?
  • A. Die Ansicht Langes
  • B. Die Ansicht Kochs
  • C. Stellungnahme
  • § 5 Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
  • Literaturverzeichnis

←11 | 12→

§ 1Einleitung

Die Managerhaftung ist seit Jahren und in erheblichem Umfang Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Bereits im Jahre 1997 setzte der BGH mit seiner viel zitierten ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung1 den Startschuss für eine spürbar verschärfte Organhaftung. In der Folgezeit kam es zu spektakulären Organhaftungsfällen in bis dato ungekanntem Ausmaß. Beispielhaft dafür stehen medienwirksame Verfahren wie die Inanspruchnahme des Vorstands durch die Philipp Holzmann AG2 und die Causa EM.TV.3 Gut ein Jahrzehnt nach der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung rückte die Finanzkrise die persönliche Haftung von Führungskräften abermals in den Fokus der Öffentlichkeit.

Die Ereignisse der letzten 20 Jahre führten zu mehr als nur einer Bewusstseinsschärfung über die tatsächliche Möglichkeit der persönlichen Verantwortlichkeit von Managern, die bis zum Ausklingen des letzten Jahrtausends in dem Deutschland der „Deutschland AG“ und der geduldeten „Schwarzen Kassen“ eher theoretischer Natur war.4 Nach wie vor ist die persönliche Verantwortlichkeit von Managern für Fehlverhalten nicht nur Gegenstand der juristischen Diskussion, sondern auch von politischer Brisanz wie etwa der Niedergang von Sal. Oppenheim5 und Arcandor6 oder die Schadensersatzansprüche der MAN SE7, Daimler AG8, Bilfinger ←12 | 13→SE9; ThyssenKrupp10 oder Siemens AG11 gegen ihre Vorstandsmitglieder zeigen. Der gegenwärtig prominenteste Fall der persönlichen Haftung von Managern für persönliches Fehlverhalten steht mit der „Dieselaffäre“ des Volkswagenkonzerns, einem der potentiell volumenträchtigsten D&O-Versicherungsfälle, noch im Raum und nimmt zunehmend Fahrt auf.12

Infolge der stetigen medialen Aufmerksamkeit wurde das Ansehen der Manager erheblich beschädigt und in breiten Teilen der Gesellschaft dürfte sich ein gewisser Vorbehalt gegenüber dem Führungspersonal global agierender Unternehmen festgesetzt haben. Dabei dürfte sich auch die Diskussion um die Deckelung von Managergehältern als Symptom dieser Skepsis darstellen.13 Der angestoßene Kulturwandel der vergangenen zwei Jahrzehnte hatte jedenfalls spürbaren Einfluss auf die Managerhaftung dergestalt, dass die Zahl der Organhaftungsfälle stetig zunimmt.14 Insbesondere die anhaltende Entwicklung stetig steigender Compliance-Standards und eine kaum mehr zu überblickende Anzahl an pflichtbegründenden Normen15 sowie die zunehmende Funktion der Haftung als Element der Corporate Governance16 befördern in Kombination mit der anhaltenden gesellschaftlichen Skepsis ein Klima der (vor-)schnellen persönlichen Inanspruchnahme von Managern. Weiterhin begünstigt wird die Zunahme der persönlichen Inanspruchnahme von Managern durch die eigene ←13 | 14→Gesellschaft (nachfolgend die „Innenhaftung“) durch den Shareholder- bzw. Stakeholder-Value-Ansatz17 sowie dem Aufkommen des Shareholder Activism18, also Anlegern, die zwar keine Mehrheit an der Gesellschaft erwerben, aber dennoch erheblichen Einfluss auf das Zielunternehmen auszuüben suchen.19 Die Gefahr der persönlichen Inanspruchnahme von Managern erhöht sich nochmals im Fall der Insolvenz, denn der Insolvenzverwalter wird – wie die Neckermann GmbH Insolvenz zeigt20 – zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung auch Schadensersatzansprüche geltend machen, selbst wenn er Zweifel an deren Begründetheit hegen sollte.21

In diesem Umfeld des erheblichen gestiegenen Haftungsrisikos ist auch das Interesse an der D&O-Versicherung entsprechend gewachsen.

Dabei haben insbesondere die Organmitglieder als versicherte Personen ein Interesse an der möglichst umfassenden Deckung im Versicherungsfall. Die Kostenanrechnungsklausel steht im Widerspruch zu diesem nachvollziehbaren Interesse der Organmitglieder. Die Anrechnung der Abwehrkosten auf die Versicherungssumme kann dazu führen, dass die Versicherungssumme vollständig für die Kosten der Anspruchsabwehr verbraucht wird und die Organmitglieder mit ihrem Privatvermögen für die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen haften.

Spiegelbildlich haben auch die versicherungsnehmenden Gesellschaften als regelmäßig Geschädigte ein wirtschaftliches Interesse an der D&O-Versicherung und einer möglichst ungeschmälerten Versicherungssumme zur Absicherung ihres Schadensersatzanspruchs. Andererseits wird die Untersuchung ebenso zeigen, dass der D&O-Versicherer aber auch die Versicherungsnehmerinnen ←14 | 15→ein erhebliches Interesse an der Verwendung von Kostenanrechnungsklauseln haben, um das versicherte Risiko, das der Versicherer mit dem Abschluss der D&O-Police eingeht, zu begrenzen und gleichzeitig das Produkt D&O-Versicherung weiterhin attraktiv zu halten. In diesem Dreiecksverhältnis aus den Interessen der versicherten Personen, der Versicherungsnehmerin und des Versicherers bewegt sich die Kostenanrechnungsklausel, die den Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet.

A.Problemstellung

Die Arbeit hat die Wirksamkeit der formularmäßigen Anrechnung von Kosten der Anspruchsabwehr auf die Versicherungssumme (die „Kostenanrechnungsklausel“) in der D&O-Versicherung zum Gegenstand. Dabei wird insbesondere die AGB-rechtliche Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel einen Schwerpunkt der Untersuchung bilden. Gleichwohl beschränkt sich diese Arbeit nicht auf die AGB-rechtliche Problematik, sondern widmet sich ebenso der Frage, ob die Anrechnung der Abwehrkosten auf die Versicherungssumme möglicherweise eine relativ unwirksame Verfügung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VVG darstellt.

Anlass für diese Arbeit ist das Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 9.6.2011 (7 U 127/09). Das Gericht versagte in dieser Entscheidung einer angegriffenen und ihm zur Entscheidung vorgelegten Kostenanrechnungsklausel die Wirksamkeit nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 und § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wobei der erkennende Senat seine Entscheidung nur in „apodiktischer Kürze“ begründete.22 Nach Ansicht des Senats benachteilige die Klausel den Versicherungsnehmer unangemessen, weil sie von dem gesetzlichen Leitbild des § 150 VVG a.F. als Vorgängerregelung des inhaltlich identischen § 101 VVG n.F. abweiche.

Nach § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG hat der Versicherer die Kosten eines auf seine Veranlassung geführten Rechtsstreits auch insoweit zu ersetzen, als sie zusammen mit den Aufwendungen des Versicherers zur Freistellung des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme übersteigen. Die formularmäßige Anrechnung der Abwehrkosten auf eine einheitliche Versicherungssumme weiche von dem in § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG enthaltenden wesentlichen Grundgedanken ab und sei daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

Darüber hinaus verstieße die Klausel, so der erkennende Senat, gleichermaßen gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil die Klausel unverständlich sei. Der Versicherungsnehmer könne durch die Verwendung der ←15 | 16→Kostenanrechnungsklausel nicht abschätzen, welche Kosten der Versicherungssumme angerechnet werden würden. Der Klausel sei nicht zu entnehmen, in welchen rechtlichen Auseinandersetzungen abzugsfähige Aufwendungen entstehen könnten. Aufgrund der undeutlich formulierten Klausel bestehe nach Ansicht des Senats die Möglichkeit, dass auch Aufwendungen des Versicherers in einem Rechtsstreit über das Bestehen eines Deckungsfalls der Versicherungssumme angerechnet werden könnten.23

Nicht unerwähnt im Zusammenhang mit der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main bleiben soll, dass sich die Parteien nachfolgend verglichen haben, sodass eine höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Schon mit Blick auf die Kürze der Entscheidungsgründe überrascht der nachfolgende Vergleich nicht; es dürfte ein erhebliches Risiko der abweichenden höchstrichterlichen Entscheidung bestanden haben.

Im Ergebnis beendete das obergerichtliche Urteil die Diskussion über die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln nicht. Nach wie vor ist die Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln eine der umstrittensten Fragen im Bereich der D&O-Versicherung.24 Dreh- und Angelpunkt dieser Diskussion ist bisher vor allem die AGB-rechtliche Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln nach § 307 BGB.25 Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Kostenanrechnungsklausel von einem wesentlichen Grundgedanken der Haftpflichtversicherung im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB in unvereinbarer Weise abweicht, so wie es das OLG Frankfurt am Main in seiner oben dargestellten Entscheidung annimmt.

Die lebhaft diskutierte Frage der Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln kann auch durchaus erhebliche praktische Konsequenzen haben. Dies ist, wie bereits einleitend aufgezeigt, der Fall, wenn die vereinbarte Versicherungssumme für die kumulative Übernahme der Abwehrkosten und die Befriedigung von begründeten Schadensersatzansprüchen nicht ausreicht. Dann droht den versicherten Personen die Haftung mit dem Privatvermögen. Die typischerweise geschädigte Gesellschaft, aber auch alle anderen Geschädigten, tragen spiegelbildlich das erhöhte Ausfallrisiko. Die fehlende praktische Relevanz der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main wiederum zeigt sich auch daran, dass die in der Folgezeit neu herausgegebenen Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (nachfolgend der „GDV“) ←16 | 17→für die D&O-Versicherung (nachfolgend die „AVB-AVG“) weiterhin eine Kostenanrechnungsklausel mit Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 2 AVB-AVG vorsehen.26 Hinzugekommen ist lediglich ein den AVB-AVG vorangehender Hinweis, dass Abwehrkosten auf die Versicherungssumme angerechnet werden. Zwar lag der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main nicht die Anrechnungsklausel der AVB-AVG zugrunde und bei den Musterbedingungen handelt es sich auch nicht um den Marktstandard der verwendeten Bedingungen, hinsichtlich der Verwendung von Kostenanrechnungsklauseln besteht jedoch in der Praxis Konsens und die formularmäßige Vereinbarung der Kostenanrechnung stellt nach wie vor den absoluten Regelfall dar.27

Der nachfolgenden Untersuchung liegt daher zum Zwecke der Darstellbarkeit eben jene Kostenanrechnungsklausel nach Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 2 AVB-AVG (Stand August 2017) zugrunde. Die Klausel hat folgenden Wortlaut:

Für den Umfang der Leistung des Versicherers ist die im Versicherungsschein angegebene Versicherungssumme der Höchstbetrag für jeden Versicherungsfall und für alle während eines Versicherungsjahres eintretenden Versicherungsfälle zusammen. Aufwendungen des Versicherers für Kosten der gerichtlichen und außergerichtlichen Abwehr der gegenüber einer versicherten Person von einem Dritten und/oder der Versicherungsnehmerin geltend gemachten Ansprüche (insbesondere Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen und Gerichtskosten) werden auf die Versicherungssumme angerechnet.“

B.Gang der Untersuchung

Die Untersuchung beginnt mit (§ 2) einer knappen Darstellung der D&O-Versicherung. Angesichts der Vielzahl an bereits vorhandenen Darstellungen28 ←17 | 18→wird die einführende Erläuterung dieser Arbeit auf die Grundzüge der Funktionsweise und der rechtlichen Qualifikation der D&O-Versicherung beschränkt.

Im anschließenden Teil der Untersuchung (§ 3) wird zunächst (A) der Bestand der Literaturansichten zur Frage der AGB-rechtlichen Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel aufgenommen und anschließend versucht, einen eigenen Beitrag zur fortdauernden Diskussion zu leisten. Dazu wird (B) die Kostenanrechnungsklausel nach Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 2 AVB-AVG einer eigenen Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB unterzogen. Als wesentliche Fragen wird insbesondere zu klären sein, ob § 101 Abs. 2 Satz 1 VVG (noch immer) einen wesentlichen Grundgedanken im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt, von welchem mit der Kostenanrechnungsklausel abgewichen wird und, ob möglicherweise ein überwiegendes Interesse des Versicherers an der Verwendung von Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 2 AVB-AVG besteht, das die Abweichung sachlich rechtfertigen könnte. Weiterhin wird sich mit einem möglichen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB sowie gegen das aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Transparenzgebot durch die Verwendung von Ziffer 4.3 Abs. 1 Satz 2 AVB-AVG auseinanderzusetzen sein.

Nachfolgend (§ 4) wird, über die Frage der AGB-rechtlichen Wirksamkeit der Kostenanrechnungsklausel hinaus, untersucht, ob die Anrechnung der Abwehrkosten auf die Versicherungssumme eine verbotene Verfügung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VVG darstellt. Eine Untersuchung dieser bisher nur von Lange29 und Koch30 beleuchteten Problematik ist angesichts der Zielsetzung der Arbeit, am Ende eine umfassende Untersuchung zur Frage der Wirksamkeit von Kostenanrechnungsklauseln anzubieten, geboten. Sollte die Kostenanrechnung zu einer verbotenen Verfügung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VVG führen, so wäre die Anrechnung der Abwehrkosten – jedenfalls gegenüber dem jeweiligen Geschädigten – bereits aus diesem Grund und unabhängig von der AGB-rechtlichen Beurteilung der Kostenanrechnungsklausel auf dinglicher Ebene relativ unwirksam.

Abschließend (§ 5) werden die maßgeblichen Ergebnisse dieser Arbeit in Thesen zusammengefasst.


1 BGH NJW 1997, 1926 ff.; siehe auch auf S. 82 ff.

2 Vgl. https://www.welt.de/print-welt/article486089/Holzmann-einigt-sich-aussergerichtlich-mit-Altvorstaenden.html (zuletzt abgerufen am 28. März 2019).

3 Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/schadenersatz-em-tv-verlangt-millionen-vonhaffa-bruedern-a-306756.html (zuletzt abgerufen am 28. März 2019).

Details

Seiten
176
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631827697
ISBN (ePUB)
9783631827703
ISBN (MOBI)
9783631827710
ISBN (Hardcover)
9783631811863
DOI
10.3726/b17200
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Inhaltskontrolle Anspruchsabwehrkosten Interessenabwägung Pflichtgemäßes Ermessen Organschaftlicher Erstattungsanspruch Versicherungsrecht Versicherungssumme
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 176 S.

Biographische Angaben

Nikolaus Dickstein (Autor:in)

Dr. Nikolaus Dickstein, 1988 in Hamburg geboren, studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg, Münster und Lausanne. Nach Ablegung des zweiten Staatsexamens am Hanseatischen Oberlandesgericht ist er seit 2018 als Rechtsanwalt in Hamburg tätig.

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