inklings – Jahrbuch für Literatur und Ästhetik
C. S. Lewis – 50 Jahre nach seinem Tod. Werk und Wirkung zwischen Huldigung und Kritik. Symposium 24. bis 25. Mai 2013 in Aachen
Zusammenfassung
«Inklings» was the name of a group of Oxford scholars and writers; its best-known members were J.R.R. Tolkien and C.S. Lewis. The German Inklings-Gesellschaft, founded in 1983, is dedicated to the discussion and dissemination of the works of these authors and of writers commonly associated with them and to the study of the fantastic in literature, film and the arts in general. The proceedings of the annual Inklings conferences are being published in yearbooks. This volume contains ten papers presented at the 2013 conference on C.S. Lewis – 50 years after his death in Aachen that attempted a re-evaluation of the author, literary scholar and lay theologian Lewis and an assessment of his impact. In addition, there are five general articles and numerous reviews.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Vorwort
- “Follow the argument wherever it leads”: C. S. Lewis als Anwalt der Vernunft des Glaubens
- Biographische Hinweise
- Lewis’ kritische Auseinandersetzung mit der Moderne
- Die Vernunft des Glaubens
- Literaturverzeichnis
- C. S. Lewis on the Destiny of Man
- Works Cited
- Agape und Eros: C. S. Lewis’ The Four Loves: Konstellationen und Kritik
- Literaturverzeichnis
- Ein Fall von Vereinnahmung: What C. S. Lewis really did to George MacDonald
- Die Bilder
- Die Worte
- Die Ideen
- Schlussbemerkungen
- Literaturverzeichnis
- Literaten als Theologen? Fundamentaltheologische Anmerkungen zur Gott-Rede von C. S. Lewis und G. K. Chesterton
- Hintergrund
- Das christliche Grunddogma
- Literaturverzeichnis
- Chesterton and C. S. Lewis: Kindred Spirits in Influence and Parallels
- Works Cited
- Dorothy L. Sayers and C. S. Lewis: Champions of the Faith
- I
- II
- III
- Works Cited
- Kartographie im Kampf der Weltanschauungen: C. S. Lewis’ The Pilgrim’s Regress zwischen Satire und Zeitdiagnose.
- The Pilgrim’s Regress
- Weg und Wahrheitssuche
- Zeitbezug und Zeitdeutung
- Nova Atlantis reloaded
- Kazohinia – unbehagliche Vernunft
- Weltkarten und Weltbilder
- 1. Zur Funktion literarischer Vorlagen
- 2. Einschließen und Ausschließen
- 3. Doppelter Essentialismus
- Allegorie als Universalprinzip
- Literaturverzeichnis
- Traces of C. S. Lewis’ The Chronicles of Narnia in Modern Fantastic Fiction
- Five Examples of Modern Literary Reception
- Versions of Narnia in Film and Other Media
- Works Cited
- Vom Nutzen der Literaturwissenschaft und vom Sinn der Lektüre: Die Bedeutung der Literaturästhetik von C. S. Lewis für das. Jahrhundert
- Skizze des literaturwissenschaftlichen Wirkens von Lewis
- Schwerpunkte der literaturwissenschaftlichen Arbeit von Lewis
- C. S. Lewis und die Theorie der Literatur: An Experiment in Criticism
- C. S. Lewis und die Sprache der Literatur: Studies in Words
- Was ist an C. S. Lewis’ Literaturwissenschaft heute noch aktuell?
- Literaturverzeichnis
- The Devil as Tragic Figure in English Literature: Part One – From Old English Poetry to Paradise Lost
- 1. Introduction
- 2. Old English Poetry
- 3. Middle English Drama
- 4. Doctor Faustus
- 5. Paradise Lost
- Works Cited
- Paradise Lost Read as Fantasy: An Attempt at an Experimental Encounter with a Classical Text
- Works cited
- “Choir of Humanity”: Chesterton, Kierkegaard, Verdi und Wagner über die Musik der Saiten
- I
- II
- III
- Literaturverzeichnis
- Romance, Incest, Rape, and Torture: The Sexual Awakening of the Harry Potter Fandom
- Growing up with HP
- The Dark Side
- The Light Side or Romance
- Works Cited
- Flornithologie für Anfänger: Robert Williams Woods How to Tell the Birds from the Flowers
- Die Nonsens-Dichtung und die Naturwissenschaften
- Literaturverzeichnis
- Besprechungen
- Zu Fantasy Fiction und verwandten Gattungen
- Fabelhafte Essays zur fantastischen Literatur (Klaudia Seibel)
- Streifzüge in die fremden Welten der Fantastik (Thomas Scholz)
- Wegweiser durch die europäische Fantastik (Dieter Petzold)
- Die Welten der Fantasy Fiction (Klaudia Seibel)
- Russische Zukunftsvisionen (Elmar Schenkel)
- Dokumente der spätviktorianischen Gegenkultur (Arno Löffler)
- Technik – Befreiungs- oder Manipulationsinstrument? (Stefan Lampadius)
- Zu einzelnen Autoren
- William Shakespeare (Dieter Petzold)
- James Matthew Barrie (Dieter Petzold)
- H. G. Wells (Dieter Petzold)
- G. K. Chesterton (Anna Wille)
- J. R. R. Tolkien (Thomas Fornet-Ponse)
- C. S. Lewis (Josef Schreier/Thomas Gerold)
- Vermischtes
- Mensch-Sein, Kirche-Sein und Eucharistie (Raimund B. Kern)
- Kinder, Vampire und Phantastik (Maren Bonacker)
- Von Adaption bis Translation (Dieter Petzold)
- Erfundene Zwiegespräche (Arno Löffler)
- Handreichungen für Literatur und Umgebung (Elmar Schenkel)
- Mythos und Rausch im technischen Zeitalter (Elmar Schenkel)
- Weitere eingegangene Schriften
- Die Beiträger
- Personenindex
- Reihenübersicht
| 8 →
Aus Anlass des 50. Todesjahrs von C. S. Lewis – er starb am 22. November 1963 – veranstaltete die Inklings Gesellschaft für Literatur und Ästhetik in Zusammenarbeit mit der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen im August-Pieper-Haus (Aachen) vom 24. bis zum 25. Mai 2013 ein internationales Lewis-Symposium (und feierte, nebenbei erwähnt, zugleich ihr 30jähriges Bestehen). Es lag nahe, aus diesem Anlass eine Art Bilanz über Werk und Wirkung dieses neben Tolkien wohl bekanntesten und literarisch aktivsten Mitglieds der Oxforder Inklings zu ziehen – was freilich angesichts des enormen Umfangs der Schriften Lewis’ und der vielfältigen weltweiten Resonanz immer nur ansatzweise möglich ist.
Ein Schwerpunkt der Aachener Jahrestagung, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Frankreich, Großbritannien, den USA und Deutschland teilnahmen und deren Ergebnisse in diesem Jahrbuch dokumentiert sind, lag auf Lewis’ Rolle als “Laientheologe und -philosoph” – eine Rolle, die ihm bis zum heutigen Tag begeisterte Zustimmung, aber auch heftige Kritik eingebracht hat. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in den Tagungsbeiträgen. Norbert Feinendegen hebt die gedankliche Klarheit der Lewis’schen Apologetik hervor und würdigt den Autor als “Anwalt der Vernunft des Glaubens”;während Judith Wolfe ergänzend Lewis’ Sehnsucht nach dem Himmelreich – “for seeing God face to face” – als Triebkraft all seiner religiösen Äußerungen identifiziert. Hingegen kritisiert Josef Schreier Lewis’ Darstellung der irdischen und vor allem der göttlichen Liebe; und Adelheid Kegler wirft Lewis vor, er habe George MacDonalds “Theologie und Theosophie […] inhaltlich mehrerer Dimensionen beraubt”, um den viktorianischen Dichter und Seher für die Propagierung seiner eigenen religiösen Anliegen zu vereinnahmen.
Deutlich positiver betrachten die folgenden Beiträge Lewis’ Ve r hältnis zu anderen christlichen Schriftstellern. Sowohl Wolfgang Klausnitzer wie auch Ian Boyd beschäftigen sich – bei sehr unterschiedlichen Akzentsetzungen – mit den Ähnlichkeiten und Unterschieden ← 8 | 9 → zwischen C. S. Lewis und G. K. Chesterton hinsichtlich derer theologischen Positionen; und Suzanne Bray würdigt die Zusammenarbeit zwischen Lewis und der den Inklings nahestehenden Schriftstellerin Dorothy L. Sayers als die zweier “Champions of the Faith”.
Auch Karl R. Kegler behandelt ein religiös motiviertes Werk Lewis’, allerdings eher von einem (literar-)historischen Standpunkt aus. Sein Vergleich von The Pilgrim’s Regress mit zwei wenig später entstandenen satirischen Utopien anderer Autoren verdeutlicht eher die anti-modernistische Haltung des jungen Lewis. Mit dem (kinder-)literarischen Vermächtnis des Schriftstellers Lewis befasst sich Maria Fleischhack, genauer gesagt: mit den Spuren, welche dessen Narnia-Bücher in den Werken von zeitgenössischen Kinderbuchautoren wie Michael Ende, Wolfgang Hohlbein, Neil Gaiman, J. K. Rowling und Philip Pullman hinterlassen haben – wobei insbesondere Letzterer scharf mit Lewis ins Gericht gegangen ist. Abschließend wird der Literaturwissenschaftler Lewis gewürdigt. Till Kinzel zeigt in seinem Beitrag, dass dessen rezeptionsorientierte Literaturbetrachtung wegweisend war und nach wie vor Beachtung verdient, auch wenn sie zwischenzeitlich von radikaleren literaturtheoretischen Moden verdeckt worden ist.
Auch in der Varia-Abteilung geht es, zum Teil wenigstens, um religiös motivierte Literatur. In einer etwas größer angelegten Studie untersucht Stefan Lampadius, wie bzw. inwiefern der Teufel in der englischen Literatur als tragische Figur dargestellt wird. Die Spannweite der untersuchten Texte reicht dabei im ersten Teil von der altenglischen Dichtung bis zur Renaissance; der zweite Teil, der im nächsten Inklings-Jahrbuch erscheinen soll, wird die Reihe fortsetzen bis in die Gegenwart. Das zentrale Werk in dieser Hinsicht, John Miltons Epos Paradise Lost, wird nicht nur hier, sondern auch im folgenden Beitrag behandelt. Eva Oppermann untersucht, quasi experimentell, ob diese klassische Dichtung nicht auch als Fantasy betrachtet werden kann und welche Folgerungen sich daraus ergeben könnten.
Dass auch die Musik (und dabei keineswegs nur die sakrale) eine religiöse Dimension besitzt, war für den Inklings-Vorläufer ← 9 | 10 → G. K. Chesterton wie auch für den dänischen Philosophen Søren Kierkegaard evident, wie Martin Bojda in seinem Essay “Choir of Humanity” deutlich macht. In weiteren Schritten wendet er sodann deren philosophische Gedankengänge auf die beiden Musik-Jubilare des Jahres 2013, Richard Wagner und Giuseppe Verdi, an. Ganz und gar nicht fromm geht es dagegen in der Fan Fiction zu Harry Potter zu: dort dominieren vielmehr sexuelle Phantasien in breiter Vielfalt. Susanne Kroner skizziert in ihrem Beitrag eine Landkarte zur Orientierung auf diesem schwer zu überblickenden Terrain.
Zur Entspannung bietet der letzte Beitrag einen vergnüglichen Ausflug in die “Flornitology”, eine Wissenschaft, die uns hilft, zwischen verblüffendähnlichen Pflanzen und Vögeln zu unterscheiden. Bei dem Text handelt es sich um eine Nonsens-Schöpfung des ansonsten seriösen Physikers Robert Williams Wood aus dem Jahre 1907, die buchstäblich vor Augen führt, wie “The Poet’s Eye” die Welt in ungewohntem Glanz erstrahlen lässt.
Den geneigten Lesern sei schließlich auch die umfangreiche Abteilung der Buchbesprechungen empfohlen, in der übrigens – neben vielen anderen – Veröffentlichungen zu C. S. Lewis eine prominente Rolle spielen.
Abschließend ist, wie immer, Dank zu sagen: den Autorinnen und Autoren der Beiträge und Rezensionen sowie Herrn Peter Kramer für die Gestaltung des Layouts; daneben aber auch der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen für die Bereitstellung von Tagungsräumen und den Organisatoren des Symposiums, insbesondere Herrn Raimund B. Kern. Und last but not least Maria Fleischhack, der es mit ihrer Umschlagsgrafik gelungen ist, das vertraute Antlitz von C. S. Lewis zu verfremden und zugleich noch vertrauter erscheinen zu lassen.
D. P.
| 11 →
“FOLLOW THE ARGUMENT WHEREVER IT LEADS”
C. S. Lewis als Anwalt der Vernunft des Glaubens
Der Beitrag nimmt die Popularität der Schriften von C. S. Lewis auch 50 Jahre nach seinem Tod zum Anlass, nach dem Bleibenden von Lewis’ philosophisch-theologischem Denken zu fragen. Er verortet dieses Bleibende in dessen konstruktiv-kritischer Auseinandersetzung mit dem philosophischen und naturwissenschaftlichen Denken der Moderne. Diese Auseinandersetzung, so die These dieses Essays, war für Lewis entscheidend bereits auf seinem eigenen Weg zum christlichen Glauben, und sie bestimmt auch später sein apologetisches Vorgehen.
Starting from the observation that fifty years after C. S. Lewis’s death his works have remained highly popular, this paper attempts an investigation into the permanence of Lewis’s philosophical and theological thought. It finds the reason for this lasting quality in Lewis’s constructive-critical examination of modern philosophical and scientific thought. This examination, it is maintained, was decisive already for his own movement towards the Christian faith; and it determines also his later defences of Christianity.
◊
1998, im 100. Geburtsjahr von C. S. Lewis, beginnt Joseph Ratzinger, der inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI., einen Kommentar zur Enzyklika Fides et ratio mit einem Zitat aus den Dienstanweisungen für einen Unterteufel (vgl. Ratzinger, Glaube 289). In diesem Buch, so erklärt Ratzinger, lasse Lewis den Oberteufel Screwtape sich damit brüsten, es sei der Hölle gelungen, unter den Menschen die Frage nach der Wahrheit weitgehend stillzulegen. Dies aber habe die Hölle dadurch erreicht, dass sie die Menschen dazu gebracht habe, den Umgang mit alten Texten nahezu vollständig auf ihr “historisches Verständnis” zu reduzieren (vgl. ← 11 | 12 → Lewis, Screwtape 128f.). Der Oberteufel erklärt das Spiel: Der wissenschaftlich Gebildete von heute stelle fast jede Frage an einen alten Text, nur nicht mehr die, ob der Text als eine Quelle von Erkenntnis in Betracht komme. Man bemühe sich darum, möglichst genau zu rekonstruieren, was sein Autor gedacht hat, wie der Autor zu seiner Auffassung kam, in welcher Phase seines Schaffens das Werk entstand, wen es später auf welche Weise beeinflusst hat, wie oft und von welchem Denker nachfolgender Zeiten es missverstanden wurde und was der aktuelle Stand der Forschungen ist. Doch ob das von dem alten Autor Geschriebene wahr ist, ob es eine Relevanz besitzt für den eigenen Glauben und das eigene Leben – diese Frage werde dabei völlig ausgeblendet (vgl. Ratzinger, “Glaube” 290).
Es kann wohl kaum ein Zweifel bestehen: Die Fähigkeit des Menschen, objektiv Wahres zu erkennen, wird heute, 50 Jahre nach Lewis’ Tod, in der abendländischen Welt in einer Weise in Frage gestellt wie nie zuvor. Und das gilt natürlich nicht nur, oder nicht einmal vorrangig, für den Umgang mit alten Texten. Dabei wird zumeist überhaupt nicht die Möglichkeit bestritten, präzise Aussagen über die Dinge treffen zu können, stehen einem hierfür doch die exakten Methoden naturwissenschaftlicher Erkenntnis zur Verfügung. Doch der Anspruch, über das mit ihren Methoden Verifizierbare hinaus über das Wesen einer Sache oder gar über den Sinn der Welt im Ganzen definitiv wahre Aussagen treffen zu können, wird von einer zunehmenden Zahl von Menschen als überheblich und intolerant zurückgewiesen. In einem solchen intellektuellen Klima hat es das Christentum natürlich immer schwerer, mit seinem Wahrheitsanspruch Gehö r zu finden. Man schlage nur einmal die Feuilletons der Zeitungen auf und lese, was dort über den christlichen Glauben geschrieben wird: Von Soziologen wird er empfohlen, weil er systemstabilisierend ist, von Wirtschaftswissenschaftlern, weil er im Gegensatz zum Sozialismus die freie Marktwirtschaft unterstützt, von Genforschern wird er abgelehnt, weil er forschungsfeindlich ist – von Klimaforschern wird er vermutlich in Zukunft wieder gelobt, weil der Schöpfungsglaube dem Schutz des globalen Klimas zuträglich ist. In keinem dieser Fälle spielt die Wahrheit der betreffenden Überzeugung eine Rolle; sie wird entweder ← 12 | 13 → bestritten oder aber im Hinblick auf den wissenschaftlich zu messenden Effekt als irrelevant angesehen.
Diese Situation hat C. S. Lewis schon zu seiner Zeit erkannt und eine Antwort auf sie zu geben versucht1 – eine Antwort, die darin besteht, allen Versuchen seiner Funktionalisierung zum Trotz den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens aufrecht zu erhalten und ihn gegenüber kritischen Anfragen zu begründen. Dies dürfte wohl der Grund sein, weshalb sich nicht nur Joseph Ratzinger, sondern auch andere (vor allem katholische) Theologen und Philosophen wie Hans Urs von Balthasar, Jörg Splett, Helmut Kuhn oder Josef Pieper immer wieder mit Zustimmung auf Lewis beziehen. An der Josef Pieper-Arbeitsstelle der Theologischen Fakultät Paderborn (Lehrstuhl für Systematische Philosophie) gibt es inzwischen sogar eine jährlich stattfindende Tagung, die sich neben dem Denken Piepers ausdrücklich auch dem Denken von C. S. Lewis widmet. Hier ist man offenbar überzeugt, die Auseinandersetzung mit dem philosophisch-theologischen Denken von Lewis sei auch heute noch eine gewinnbringende Angelegenheit. Haben die Schriften von Lewis heute tatsächlich denen noch etwas zu bieten, die kritisch nach der Vernunft des Glaubens fragen? Nicht wenige Autoren würden, konfrontiert mit der Vielfalt und Situationsbezogenheit der Schriften von Lewis, dies verneinen: Nach ihrer Ansicht besaß Lewis überhaupt keine in sich konsistente philosophischtheologische Position: Wenn er manchmal den Eindruck erwecke, eine solche Position zu besitzen, so sei dies eher auf die Rhetorik seiner apologetischen Vorgehensweise zurückzuführen als darauf, dass er tatsächlich einen einheitlichen, klar bestimmbaren Standpunkt vertreten habe.2 Dabei trifft es natürlich zu, dass Lewis nirgends ← 13 | 14 → versucht hat, eine vollständige, systematische Ausarbeitung seines eigenen Denkens vorzulegen. Dennoch spricht vieles dafür, dass er eine gut durchdachte, in sich konsistente Position besaß, mit der auch heute noch eine Auseinandersetzung lohnt:
(1) Lewis betont selbst die gedankliche Einheit all seiner Werke, seien sie nun Beiträge zur Philosophie oder Theologie, zur phantastischen Literatur oder zur Literaturwissenschaft.3 (2) Owen Barfield (mit dem Lewis bereits in den 1920er Jahren lange philosophische Diskussionen führte), versichert, sein Freund habe seine gesamte Position durchdacht: Barfield betont, das Wesen seines Freundes habe darin bestanden, konsistent zu sein.4 (3) Lewis war später jederzeit bereit, auch in der Öffentlichkeit Rechenschaft über seinen Glauben abzulegen.
Letzteres kommt besonders in Lewis’ Engagement im Oxford University Socratic Club zum Ausdruck, einer Undergraduate Society, die 1941 gegründet worden war, um dem Gespräch zwischen Christen und Nichtchristen ein öffentliches Forum zu bieten: Man lud im wöchentlichen Wechsel einen Vertreter und einen Gegner des christlichen Glaubens ein, ein Referat zur Darstellung der eigenen Position zu halten. Die Referenten sollten dabei nach Möglichkeit Experten in ihrem eigenen Gebiet sein: Philosophen, Theologen, Literaten oder Naturwissenschaftler. Darauf antwortete jeweils ein ebenfalls vorher festgelegter Vertreter der Gegenseite. Es schloss sich eine offene Diskussion an, die unter der platonischen Maxime stand: “Follow the argument wherever it leads” – “Folge dem Argument bzw. dem Gang der Argumentation, wohin er auch führen mag” (vgl. Lewis, “Founding” 126–128). Hier sollten ← 14 | 15 → also nur die Gründe und Argumente zählen – egal, von wem sie vorgetragen wurden. Lewis fungierte von der Gründung des Clubs bis zu seinem Wechsel auf den Lehrstuhl nach Cambridge im Jahr 1954 als Präsident des Socratic Club und war die zentrale Figur in der Diskussion, er gehörte ebenfalls regelmäßig selbst zu den Referenten. Aber auch Philosophen, Theologen, Literaten und Naturwissenschaftler wie A. J. Ayer, G. E. M. Anscombe, Gilbert Ryle, John Langshaw Austin, J. B. S. Haldane, Konrad Lorenz, Dorothy Sayers und Gabriel Marcel stellten sich hier der Diskussion.5 Lewis wäre hier vermutlich recht schnell die Antwort schuldig geblieben, wenn er bei seinen Diskussionsbeiträgen nicht auf einen einheitlichen Denkansatz hätte zurückgreifen können.6
Natürlich lässt sich das Gesamt des Denkens von C. S. Lewis hier nicht auf ein paar Seiten entfalten,7 es soll daher versucht werden, seine Tätigkeit als Anwalt der Vernunft des Glaubens in drei Schritten exemplarisch zu beleuchten: Als erstes ein paar biographische Hinweise. Sie sind deshalb erforderlich, weil der Weg, auf dem Lewis zum Glauben fand, sein theologisches Denken wie auch sein apologetisches Vorgehen entscheidend mit geprägt hat. Darauf folgen einige Bemerkungen zu Lewis’ kritischer Auseinandersetzung mit dem Denken einer an Naturwissenschaft und Technik orientierten Moderne: Von dessen Einseitigkeit musste er sich selbst erst überzeugen, bevor er die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens anerkannte. Zum Abschluss soll der Denkansatz von Lewis kurz weiter verfolgt werden in die Mitte seiner Theologie hinein. ← 15 | 16 →
Biographische Hinweise
C. S. Lewis war von Haus aus kein Theologe und auch kein Philosoph, sondern Literaturwissenschaftler. Das heißt: Seine philosophisch-theologischen Schriften verfasste er, ebenso wie seine Romane und Kinderbücher, in der Freizeit. Das wird oft übersehen, weil er heute weit weniger als Literaturwissenschaftler wahrgenommen wird denn als Literat oder Apologet.8 Es war seine persönliche Berufung als Christ, die Lewis in den 1940er Jahren darin fand, einem überwiegend nicht akademisch gebildeten Publikum den christlichen Glauben nahe zu bringen, und zwar in einer Sprache, die von diesem auch verstanden werden konnte. Lewis betä-tigte sich somit als ein Übersetzer der zentralen Aussagen des christlichen Glaubens in die Sprache und das Denken der Zeit – um seinen Mitmenschen zu erklären, wie es möglich sei, sich in einer modernen, aufgeklärten Welt weiterhin redlich als Christ zu bekennen. Wenn man bei ihm manches Argument also nicht in philosophisch ausgefeilter Form vorfindet, so sollte nicht vergessen werden, für welche Leserschaft er schrieb. Doch auch die Leistung der Übersetzung sollte man nicht unterschätzen: Richtig übersetzen kann man nur, was man zuvor selbst verstanden hat, und dabei auf die Hilfe klar definierter, für Laien aber unverständlicher Fachtermini zu verzichten ist keine leichte Angelegenheit.9
Insofern mag man Lewis kritisieren, weil seine Argumentation manchmal nicht so präzise formuliert ist, wie man dies von einer philosophischen Fachpublikation erwarten würde, oder dass sie einiges an (teilweise recht zeitgebundener) Rhetorik beinhaltet. ← 16 | 17 → Aber auch von philosophischen Fachleuten wird ihm immer wieder bescheinigt, dass er einen sicheren philosophischen Instinkt hatte und die Kernfragen, um die es ging, erstaunlich klar erfasste (vgl. Meixner 70).
Dass Lewis sich für die von ihm selbst gewählte Vermittlungsaufgabe gut gerüstet sah, hat dabei nicht nur etwas mit seinem durch die Tätigkeit als Literaturwissenschaftler geschulten, sehr bewussten Umgang mit Sprache zu tun. Nicht weniger wichtig dürfte sein, dass er sich selbst erst von der Wahrheit jenes Glaubens überzeugen musste, den er später an seine Zuhörer und Leser weiterzugeben versuchte. Anglikanisch getauft, hatte er als Jugendlicher die Reste seines einstigen Kinderglaubens abgetan und war Atheist geworden. Während des Studiums stellte er aber bald fest, dass sich seine bisherige Position eines materialistischen Atheismus nicht halten ließ: Lewis wandte sich dem Deutschen Idealismus zu, und zwar in der Form der pantheistischen Interpretation Hegels, wie sie in Oxford in der Nachfolge von Thomas Hill Green zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelehrt wurde. Das allein macht bereits deutlich, dass Lewis, seiner kritischen Haltung gegenüber dem Zeitgeist des 20. Jahrhunderts zum Trotz, das philosophische Denken der Moderne keineswegs ignoriert, sondern voll und ganz rezipiert hat. Entsprechend lehrte er auch nach seinem Examen (1922) erst eine Zeitlang Philosophie, bevor er in Ermangelung einer passenden Stelle in die Literaturwissenschaft wechselte (vgl. Green/Hooper 80–82).
Nach und nach stellte Lewis jedoch fest, dass ihn sein idealistischer Pantheismus zwar intellektuell zufrieden stellte, aber zunehmend daran scheiterte, dass er ihn nicht zu leben vermochte. In diesem Versuch, gemäß den eigenen Überzeugungen zu leben, sieht Lewis’ langjähriger Freund und Diskussionspartner Owen Barfield ein besonderes Charakteristikum der Person von Lewis (vgl. Barfield 8) – nicht weniger als in der Konsistenz, die dieser in seinem Denken anstrebte. 1930 sah Lewis daher nur noch einen Weg: Er akzeptierte, dass Gott nicht (wie er bisher gemeint hatte) ein rein abstraktes göttliches Prinzip war, das gleichermaßen alles Seiende durchwaltete. Sondern dieser Gott war mindestens ebenso konkret ← 17 | 18 → wie alles von ihm Geschaffene, und er war eine handelnde Person. Dieser in der Welt handelnde Gott war dabei von seiner Schöpfung real verschieden und konnte daher auch nicht mehr mit allem identifiziert werden, was in der Welt geschah. Fortan vertrat Lewis einen Theismus, der in einer gewissen Nähe zum Subjektiven Idealismus George Berkeleys stand.10
Den Schlusspunkt seiner gedanklichen Entwicklung erreichte Lewis aber erst gut ein Jahr später, als er sich auch dem historischen Anspruch der Evangelien nicht mehr entziehen konnte. Ein langes nächtliches Gespräch mit seinen Freunden Tolkien und Dyson brachte ihn schließlich zu der Erkenntnis: Die Evangelien erzählen keine bloß von Menschen erdachte Geschichte von einem sich irgendwann und irgendwo vollziehenden (oder sich jährlich wiederholenden) Sterben und Wiederauferstehen eines Gottes. Sondern sie berichten von etwas, das tatsächlich historisch stattgefunden hat: In Jesus von Nazareth ist Gott selbst Mensch geworden, hat für die Menschen Leiden und Tod auf sich genommen und ihnen den tiefsten Sinn ihres Lebens geoffenbart (vgl. Lewis, Myth 66f.).11
Dies macht deutlich, dass Lewis seinen eigenen Denk-Weg nicht unter der Annahme beschritt, der christliche Glaube sei wahr, sondern unter der Annahme, er sei falsch: Er kam also selbst erst schrittweise zu der Überzeugung, sich hierin geirrt zu haben. Das aber heißt zum einen: Lewis kannte die alternativen Weltsichten, über die er später schrieb, sehr genau – weil auch er sie einmal vertreten hatte. Und die Gründe, die er zur Verteidigung des christlichen Glaubens vortrug, waren jene Argumente, durch die er sich selbst von seiner Wahrheit überzeugt hatte. Das wahre Gewicht eines Argumentes kennt aber wohl derjenige am besten, der sich von ihm hat überzeugen ← 18 | 19 → lassen, dass er sich bisher im Irrtum befunden hat. Zum anderen war für Lewis evident, dass das Christentum in seinen Bemühungen um einen kritisch verantworteten Glauben nicht bereits die Wahrheit des eigenen Glaubens in Anspruch nehmen kann: Es muss sich methodisch autonom aufzeigen lassen, dass nicht nur möglich ist, was das Christentum glaubt, sondern dass angesichts der bestehenden Alternativen einer umfassenden Wirklichkeitsdeutung auch hinreichend gute Gründe dafür sprechen, seine Wahrheit anzunehmen (vgl. Lewis, Mere Christianity 120f.). Der Philosoph Helmut Kuhn stellt Lewis deshalb in die Reihe jener Apologeten, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Reaktion auf den restringierten Vernunftbegriff der analytischen Philosophie in England formierte und zu deren Hauptvertretern er G. K. Chesterton, Dorothy Sayers und, als ihren philosophisch bedeutendsten Vertreter, C. S. Lewis zählt: “Es ist vernünftig zu glauben, so lautet die Botschaft; und wir müssen einen unvernünftigen Begriff von Vernunft beiseiteräumen, um das einzusehen” (Kuhn 240).
Der Anwendungsbereich und die Grenzen der menschlichen Vernunft sind dabei allerdings genau abzustecken. Die Kritik an einer instrumentellen Verengung der Vernunft gehört hier für Lewis ebenso dazu wie eine kritische Sichtung der Grenzen dessen, was überhaupt mit Vernunftgründen bewiesen werden kann. Ein von jedem historischen Kontext freier Gebrauch der Vernunft, auf dessen Basis sich eine philosophia perennis aufbauen ließe (wie die katholische Neuscholastik ja noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts für möglich hielt), steht dem Menschen nach Ansicht des Literaturhistorikers Lewis allerdings nicht zur Verfügung: Die Dominanz bestimmter Philosophien zu bestimmten Zeiten hat für ihn historisch erklärbare Gründe; sie ist unter anderem eine Folge dessen, dass sich die Wahrheit immer auch gegenüber den spezifischen Irrtümern einer Zeit Gehör verschaffen muss.12 Dadurch wird jedoch die Form der Darstellung dieser Wahrheit in entscheidender ← 19 | 20 → Weise mit geprägt, und es kann in der Auseinandersetzung zu Überbetonungen und Einseitigkeiten kommen, die man erst als solche erkennen und korrigieren muss. Tut man dies, so hält Lewis es aber für ausgeschlossen, dass Glaube und Vernunft in Widerspruch zueinander geraten (vgl. Lewis, Culture 45):13 Ihn selbst, der den christlichen Glauben lange genug für falsch gehalten hatte, hatte der kritische Gebrauch der eigenen Vernunft jedenfalls zur Anerkennung der Wahrheit dieses Glaubens geführt. Daraus folgt: Die christliche Theologie muss auch heute danach streben, einem kritisch fragenden Menschen von heute auf eine für ihn einsehbare Weise aufzuzeigen, dass seine Frage nach Sinn im Glauben an Christus eine Antwort erhält. Gelingt ihr dies nicht, so würde sie die Antwort auf eine ganz entscheidende Frage schuldig bleiben – nämlich auf die Frage, ob die Annahme des christlichen Glaubens nicht in Wirklichkeit in Irrtum und Unheil führt, anstatt den Menschen zu sich selbst zu befreien.
Lewis’ kritische Auseinandersetzung mit der Moderne
Details
- Seiten
- 390
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (PDF)
- 9783653043235
- ISBN (MOBI)
- 9783653986655
- ISBN (ePUB)
- 9783653986662
- ISBN (Hardcover)
- 9783631651421
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04323-5
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2014 (Februar)
- Schlagworte
- christliche Apologetik Dystopischer Roman Nonsensdichtung Sayers, Dorothy Teufel Fantasy Fiction Musiktheorie
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 390 pp., 13 s/w Abb.