Reichsdramaturgie
Kulissen und Choreographien der Macht im NS-Staat
Zusammenfassung
Rückgriffe auf Denk- und Handlungsmuster der NS-Zeit sowie Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender prägen weiterhin Teile der deutschen Öffentlichkeit und beginnen, demokratische Übereinkünfte und Grundrechte auszuhebeln. Die Analyse der Theatralik des Faschismus bestätigt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als einen unverzichtbaren Bestandteil unseres gesellschaftlichen Denkens und Handelns.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Der „Neubau“ des Theaters
- „Reichsdramaturgie“
- Theatralisierung der Politik im Alltag
- Die „Gemeinschaft der Braunhemden“ als „Schauspiel des Volkes“
- Die Verwandlung der Guckkastenbühne oder: Von der Einfühlung zur Hypnose
- Das Bühnenbild: die ins Monumentale gesteigerte Umgebung
- Heroische Landschaft und heroische Manneskraft
- Die Bühnenausstattung als Herrschaftsarchitektur
- Der „gebrochene“ Bühnenboden und der Blick nach oben
- Das Eindringen des politischen Alltags in den Fiktionsraum der Bühne
- Theater der Straße
- Choreographie der Massenauftritte
- Führerkult und Sakralraum
- Einübung in die heroische Herrlichkeit des Krieges
- Von der Bühne zum Schlachtfeld
- Totenkult
- Strukturen der autoritären Gesellschaft
- Held im Drama – der „Anstreicher“
- Die „Schönheit“ der Ordnung
- Die Macht der Bilder
- Auszug aus der Wirklichkeit
- Enthistorisierung als Normalisierung im Umgang mit Zeitgeschichte?
- Der „Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“
- Literatur
- Abbildungsnachweis
„Der neue Staat hat seine eigenen Gesetze. Ihnen unterliegen alle, vom Ersten bis zum Letzten. Auch der Künstler hat die Pflicht, sie anzuerkennen und zur Richtschnur seines schöpferischen Handelns zu machen.“ Mit diesen Worten setzt Joseph Goebbels, der Reichspropaganda-Minister, den wesentlichen Akzent in seiner Rede zur Gründung der Reichskulturkammer am 15. November 1933.1 Die „neuen Aufgaben“ der deutschen Kultur und Kunst sind, wie alles im Faschismus, dem totalitären System und seiner politischen Doktrin unterworfen. Indoktrinierung und Kontrolle des gesamten öffentlichen und privaten Lebens umfassen auch das Theater. So gilt das Interesse des NS-Staates dem Theater in besonderer Weise, sieht er doch in der Entwicklung und Etablierung eines „Dramas der Volksgemeinschaft“2 den „nationalsozialistischen Kulturwillen“3 am effektivsten umsetzbar. 1936 wird in den Dresdner Nachrichten festgestellt:
„Man kann ruhig behaupten, daß mit dem Durchbruch der nationalsozialistischen Revolution das Theater mit am stärksten unter allen kulturellen Einrichtungen erschüttert worden ist. […] Heute bereits, nach drei Jahren nationalsozialistischen Neubaues des deutschen Theaters, zeigt sich das Gesamtbild einer gereinigten, erneuerten, erweiterten deutschen Schaubühne in klaren Umrissen.“4 ← 11 | 12 →
Der „weltanschaulichen Läuterung des Bühnenwesens durch die nationalsozialistische Bewegung“5 – so eine der Propagandaformeln – ging die „grundlegende Umschichtung des ganzen geistigen Unterbaus unseres gegenwärtigen Theaters6 voraus. Im bereits am 13. März 1933 errichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, dem die Kulturpolitik generell unterstand, wurden die
„Angelegenheiten des deutschen Theaterlebens […] durch verschiedene Abteilungen bearbeitet: Haushalt (H), Personal (Pers.), Schrifttum (S), Musik (M), Ausland (A), vor allem aber durch die Theaterabteilung (T). Sie war der Führungsstab für die gesamte Personal-, Zuschuß- und Spielpolitik. Maßgebend waren die Vorschriften eines einheitlichen Theatergesetzes vom 15. Mai 1934 mit späteren Durchführungsverordnungen.“7
Ebenfalls 1933 wird dann die Reichskulturkammer als „einheitliche berufsständische Organisation aller Kulturschaffenden“8 gegründet, Goebbels zu ihrem Präsidenten gemacht. Die Reichstheaterkammer, ebenfalls bereits 1933 etabliert, wird die „maßgebende berufsständische Organisation für die Bühnenangehörigen9, die Mitgliedschaft in ihr zur Pflicht und zur Voraussetzung für die Ausübung des Berufs. Was in der Auflistung der Abteilungen10 lediglich als ← 12 | 13 → bürokratisch und technisch auf Organisatorisches bezogen erscheint, ist indes Ausdruck der totalen Ideologisierung und Vereinnahmung.
Der Spielplangestaltung der deutschen Theater gilt naturgemäß die größte Aufmerksamkeit. Mit dem Amt des Reichsdramaturgen wird eine „zentrale staatliche Zensurinstanz in allen Fragen der Spielplangestaltung“11 eingesetzt. In einer von Goebbels gebilligten „Entschließung der Reichstheaterkammer vom 21. August 1933“12 heißt es:
„Es ist eine wichtige Aufgabe des Reichsdramaturgen, die Anwendung der nationalsozialistischen kulturellen Grundsätze in der deutschen Theaterwelt durchzuführen. Um die Theaterbetriebe von der in dieser Hinsicht immer noch dann und wann auftretenden Unsicherheit zu befreien, hat der Herr Reichsminister den Reichsdramaturgen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Rainer Schlösser, ermächtigt und beauftragt, Rat und Auskunft über die Unbedenklichkeit von Bühnenwerken zu erteilen. Der Reichsdramaturg wird diese Aufgabe im Einvernehmen mit der Reichstheaterkammer durchführen.“13
Im Auftrag des Reichspropagandaministers, der „laut Theatergesetz berechtigt [war], die Aufführung bestimmter Werke zu verbieten oder auch zu verlangen, […] griff der Reichsdramaturg gewöhnlich in die Spielplanpolitik ein. Ihm war vor Beginn der jeweiligen Saison von jedem Theater der Spielplan zur Genehmigung vorzulegen.“14
Der 1899 geborene Schlösser gehörte schon früh zu den Nationalsozialisten, arbeitet seit 1924 bei der „völkischen ← 13 | 14 → Presse“ mit, ist als kulturpolitischer Schriftleiter des Völkischen Beobachters seit 1931 enger Mitarbeiter von Alfred Rosenberg, verfügt über umfangreiche kulturpolitische Praxis als Journalist und Kritiker, rangiert an führender Stelle in der Hitler-Jugend. Seit 1933 ist er Mitglied des Reichspropagandaministeriums. Das Amt des Reichsdramaturgen übernimmt er offiziell am 1. Januar 1934 und bekleidet es bis zum Sommer 1944.15
Details
- Seiten
- 100
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653061178
- ISBN (MOBI)
- 9783653954487
- ISBN (ePUB)
- 9783653954494
- ISBN (Paperback)
- 9783631669822
- DOI
- 10.3726/978-3-653-06117-8
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (Januar)
- Schlagworte
- NS-Theaterpolitik Bühnenausstattung und NS-Architektur Macht der Bilder Theatralik des Faschismus
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 100 S., 23 s/w Abb.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG