Die Diözese Budweis in den Jahren 1851 - 1907
Das Aschenputtel unter den Diözesen II
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhalt
- Einführung
- Literatur und Quellen4
- Kapitel I. Ein Zeitalter des Unglaubens?: (Miroslav Novotný)
- 1. Die Welt ist nicht mehr in der Kirche
- 2. „Südböhmen – Klerikalismus, Feudalismus, Alkohol“58
- Kapitel II. Die Diözese Budweis 1851–1907: Jahre des Aufschwungs: (Rudolf Svoboda)
- 1. Jahre der Reformen und des Wachstums: 1851–1883
- 2. Jahre der Stabilität: 1883–1907
- Kapitel III. Die Diözesanverwaltung und ihr Umfeld an der Schwelle der modernen Zeit: (Lenka Martínková – Rudolf Svoboda – Marie Ryantová)
- 1. Die Bischöfe
- 2. Das bischöfliche Kathedralkapitel zu St. Nikolaus in Budweis
- Personelle Zusammensetzung des Kathedralkapitels
- 3. Die administrativ-territoriale Organisation der Diözese
- 4. Die Diözesanverwaltung und ihre Organe
- Das bischöfliche Konsistorium
- Die bischöfliche Konsistorialkanzlei
- Archipresbyteriate und Vikariatsämter
- Pfarrämter und Pfarrklerus
- Kapitel IV. Die Renaissance des Ordenslebens: (Dana Jakšičová)
- 1. Ordensgemeinschaften in Süd- und Südwestböhmen
- 2. „Alte“ Orden
- 3. Neuzeitliche Kongregationen
- Kapitel V. Kirche und Schulwesen: (Miroslav Novotný – Tomáš Veber)
- 1. Von der Konfessionsschule zur laizisierten Schule
- 2. Erziehung und Ausbildung der katholischen Geistlichkeit
- 3. Budweiser Seminar und theologisches Institut
- Vertreter des Bischofs im Seminar – die Rektoren
- Präfekten, praesides und Vizerektoren oder Die rechte Hand der Herren Rektoren
- Die Spiritualen oder Die Seele des Seminars
- Die Professoren und ihre Fächer
- Biblistik des Alten Testaments
- Biblistik des Neuen Testaments
- Dogmatische Theologie
- Moraltheologie
- Fundamentaltheologie
- Christliche Philosophie
- Kirchengeschichte
- Kirchenrecht
- Pastoraltheologie
- Katechetik
- Pädagogik
- Antonín Lenz – Dogmatiker, Polemiker, Anthropologe
- Antonín Skočdopole – geistlicher Hirte
- Studenten, Alumnen, Seminaristen
- Das „kleine Seminar“
- Verein Jirsík
- Bruderschaft der hl. Jungfrau Barbara, Patronin für eine gute Todesstunde
- Schluss: (Miroslav Novotný)
- Summary
- The Diocese of Budweis in Years 1851 to 1907: Cinderella among Dioceses II
- Quellen- und Literaturverzeichnis (Auswahl)
- Anhänge
- Ortsregister
- Reihenübersicht
Miroslav Novotný
EINFÜHRUNG
Mission der Historiker und Hauptaufgabe der Geschichtsschreibung – von Zuhörern und Lesern immer wieder eingefordert – ist das Erzählen von Geschichten, die nicht nur unterhalten, sondern auch belehren sollen. Ihre Geschichte – sei sie ruhig dahinfließend, dramatisch oder voller Wendungen – „schreiben“ sich nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Nationen, Staaten oder Institutionen. Das erste Kapitel in der fast zweieinhalb Jahrhunderte dauernden Geschichte der Budweiser Diözese, jenes südböhmischen Aschenputtels, umfasst die ersten sieben Jahrzehnte ihrer Existenz (1785–1850) und wird in einer 2018 im Berliner Verlag Peter Lang erschienenen Publikation behandelt.1 Der vorliegende, von den gleichen Autoren2 verantwortete Band erfasst die kirchenpolitische, soziokulturelle und institutionelle Geschichte der Budweiser Prälatur in den Jahren 1851–1907. De facto vollendet er den ersten Versuch einer modernen, ideologisch unbelasteten Synthese der Budweiser Diözesangeschichte im „langen 19. Jahrhundert“, d. h. in der Zeit der allmählichen Formierung, des Wachstums und der vielseitigen Entwicklung der sich emanzipierenden tschechischen Gesellschaft im Rahmen der Habsburgermonarchie.
Im 19. Jahrhundert musste die katholische Kirche in den meisten europäischen Ländern eine Reihe grundsätzlicher Herausforderungen bewältigen, die sich aus der Aufklärung, politischen Revolutionen, der Industriellen Revolution und der gesellschaftlichen Modernisierung ergaben. Im fortschreitenden Transformationsprozess der Gesellschaft verwandelte sich die Kirche unter dem Druck der Staatsmacht und infolge innerer Reformbestrebungen allmählich in einen wichtigen, jedoch keineswegs den wichtigsten Bestandteil der modernen Welt. Und nicht zuletzt war das Verhältnis der katholischen Kirche zur modernen Welt nach den Erfahrungen des europäischen „Völkerfrühlings“ der Jahre 1848–1849 von der Überzeugung geprägt, dass die moderne liberale Welt von einer destruktiven Schädlichkeit sei. Diese Tatsachen spiegelten sich einerseits in Prozessen wie und den Kulturkämpfen der modernen Zeit wider. Andererseits lassen sich parallel zu diesen Prozessen Bemühungen der Protestanten3 wie der Katholiken ←9 | 10→um eine Regeneration ihrer Religion verfolgen, eine teilweise Anpassung an die neuen Verhältnisse, der Wunsch nach Wiedererweckung und Erneuerung des religiösen Eifers unter der breiten Masse der Gläubigen, aber auch Entstehung und Wachstum eines kämpferischen Ultramontanismus und die Ablehnung der Modernisierung.
Das kirchenpolitische System des Josephinismus, das in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in der Donaumonarchie eingerichtet worden war, blieb in seinem Kern als wichtiger Bestandteil der konservativen katholischen Restauration und als besonders geeignetes Verwaltungsprinzip für das ausgedehnte multiethnische Habsburgerreich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gewahrt. Zugleich bildete es für längere Zeit einen wirkungsvollen Schutzschild nicht nur gegen das Vordringen der liberalen und revolutionären „Infektion“, sondern auch gegenüber dem römischen Ultramontanismus, der sich allmählich in den katholischen Ländern verbreitete. Die Klerikergenerationen, die sich in den theologischen Lehranstalten im Geist des Josephinismus auf ihre geistliche Mission vorbereiteten, respektierten zwar die äußere Unterordnung der Kirche unter den Staat und ihre faktische Einbindung in die Strukturen der Staatsverwaltung, aber mit der Zeit grenzten sie sich immer stärker gegen staatliche Eingriffe in die eigentlichen geistlichen Angelegenheiten ab. Kritische Stimmen, die eine größere Unabhängigkeit der Kirche forderten, erklangen bereits seit Ende der 1830er Jahre, aber an Stärke gewannen sie erst mit dem Revolutionsgeschehen der ausgehenden 1840er Jahre. Bei der Erneuerung der von der Revolution erschütterten Ordnung wurden dann die vorherigen josephinischen Beschränkungen abgebaut und die Position der katholischen Kirche im Land gestärkt; den Höhepunkt dieses Prozesses bildete der Abschluss des Konkordats zwischen dem österreichischen Staat und dem Heiligen Stuhl im August 1855, wodurch der Kirche vorübergehend ausgedehnte Kompetenzen besonders im Bereich des Schulwesens und im Familienrecht garantiert wurden. Der baldige Sturz des Neoabsolutismus ermöglichte den Beginn der fast zwei Jahrzehnte währenden liberalen Ära in Österreich, die u. a. einen schrittweisen Abbau der einzelnen Konkordatsbestimmungen (bzw. dessen Aufhebung im Jahr 1870) und eine vollständige Gleichberechtigung der nichtkatholischen Bekenntnisse im Land in den 1860er Jahren ermöglichte.
Das letzte Drittel des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts stellten die katholische Kirche in den böhmischen Ländern somit vor neue Herausforderungen, wie sie die neue Zeit und der Wandel von der Agrar- zur agrarindustriellen Gesellschaft mit sich brachten, in der sich der Schwerpunkt des gesellschaftlichen Geschehens von relativ kleinen, stabilen, konservativen und überwiegend ländlichen Gemeinschaften auf ein städtisches, sich relativ schnell wandelndes und neuen Anregungen und Ideen gegenüber offeneres Milieu verlagerte. ←10 | 11→Eine Folge dieses Wandlungsprozesses war der geringer werdende Einfluss der Geistlichen in der Gesellschaft: Fast die gesamte 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts hindurch waren Welt- und Ordensgeistliche ein bedeutendes (wenn nicht das wichtigste) Element der tschechischsprachigen Gelehrtenschicht gewesen, aber die tschechische intellektuelle und politische Elite der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts rekrutierte sich mehrheitlich bereits aus anderen Gesellschaftsschichten, deren Interessen sie auch artikulierte. Dies wurde nach 1848 u. a. am Beispiel des tschechischen Patriotismus deutlich. Obwohl die patriotisch orientierte Aktivität eines bedeutenden Teils des tschechischen römisch-katholischen Klerus zuvor eine wesentliche Rolle in der zielbewussten und systematischen Arbeit zugunsten der tschechischen nationalen Sache gespielt hatte, erfolgte in der nachrevolutionären Zeit eine allmähliche „Verdrängung“ der katholischen Kirche an den Rand der tschechischen Nationalgesellschaft. Unter den neuen Bedingungen erschien den tschechischen Patrioten (in ihrer Mehrheit immer noch katholischen Bekenntnisses) die römische Kirche dank ihres Widerstands gegen die Modernisierungsprozesse in der Gesellschaft und in der Kirche selbst sowie im Hinblick auf die fortdauernde „Allianz von Thron und Altar“ bereits als unmodern und untschechisch. Die oben angeführten Umstände und Prozesse lassen sich auch innerhalb der Budweiser Diözese nachverfolgen – aufgrund des Charakters der südböhmischen Region wie der Prälatur allerdings mit zahlreichen Abweichungen.
Literatur und Quellen4
Die Stellung und Rolle der Religion, der einzelnen Kirchen und Konfessionen im Leben der Gesellschaft des „langen 19. Jahrhunderts“ gehört zu den wichtigen Standardthemen der modernen westeuropäischen Geschichtsschreibung.5 Aus diesem Grund veränderten sich die Forschungsfragen im Laufe der Jahre kontinuierlich, die Quellen- und Faktenbasis wurde breiter und auch die methodischen Ansätze erfuhren Innovationen. In den letzten Jahrzehnten entstanden zahlreiche breiter konzipierte oder methodisch ausgerichtete Arbeiten, die einen geeigneten Kontext auch für die tschechischen Forschungen bilden. Aus der Reihe neuerer und für unseren Band mehr oder weniger inspirierender Arbeiten sei zumindest auf jene Publikationen hingewiesen, die das ambivalente Verhältnis ←11 | 12→von Aufklärung und (katholischer) Religion,6 Nation, Staat und Kirche,7 Antiklerikalismus und Säkularisierung,8 die Auffassungen des Josephinismus und des Restaurationskatholizismus9 verfolgen, die Prozesse der sog. zweiten Konfessionalisierung10 und der Modernisierung11 zu erfassen versuchen oder sich mit der Definition von (Priester-)Identitäten beschäftigen.12
←12 | 13→Die moderne tschechische Kirchengeschichtsforschung konnte sich erst nach 1989 vollständig und ohne Einschränkungen entfalten. Die vorangegangene 40-jährige Ära der marxistischen Historiografie in der sozialistischen Tschechoslowakei sorgte faktisch für einen Abbruch der bisherigen Entwicklungen in der konfessionellen wie nicht-konfessionsgebundenen Kirchengeschichtsschreibung – von einigen weniger bedeutenden oder partiellen Abhandlungen einmal abgesehen. Bis heute überdauern so (nicht nur hier) viele weiße Flecken und unbearbeitete Themen, wenngleich sich die Lage langsam verbessert. Diese Feststellung gilt auch für die Erforschung der Kirchengeschichte des „langen 19. Jahrhunderts“. Seit den 1990er Jahren sind zahlreiche nützliche Beiträge erschienen, die sich vor allem mit Teilaspekten – Problemen, Persönlichkeiten, Institutionen oder Zeiträumen – der böhmischen/tschechischen Religionsgeschichte der beginnenden Moderne beschäftigen.13 So wurde die Kirchengeschichte zum festen Bestandteil breit konzipierter Abhandlungen zur Politikgeschichte oder zur Geschichte der nationalen Emanzipation,14 aber es fehlt auch nicht an Arbeiten, die sich um eine konzeptionelle Erfassung von Schlüsselprozessen wie Säkularisierung,15 organisierter ←13 | 14→Antiklerikalismus,16 politischer Katholizismus,17 Ultramontanismus und Moderne18 oder Priesteridentitäten19 bemühen. Zur Verfügung stehen außerdem einige Konferenzbände, in denen die bisherigen Forschungsergebnisse zusammengefasst werden,20 oder auch ältere und neuere Synthesen, die in einer umfassenden Übersicht die böhmische/tschechische Kirchengeschichte oder den Wandel des religiösen Milieus in den böhmischen Ländern des 19. Jahrhunderts darstellen.21 Zu den neuen Arbeiten zählen auch Analysen der Lebensschicksale einiger Kirchenvertreter22 oder die ersten modernen Abhandlungen über Ordensgemeinschaften der Neuzeit.23
←14 | 15→Was die Diözese Budweis anbelangt, zeigte sich auch hier nach 1989 und besonders in den letzten beiden Jahrzehnten ein deutlich wachsendes Interesse der Forschung an ihrem Schicksal. Es äußerte sich in einer recht intensiven Publikationstätigkeit, die wiederum die unverzichtbaren Grundlagen für eine modern konzipierte Gesamtgeschichte der Diözese legte. Auch im Fall der Geschichte der südböhmischen Diözese im „langen 19. Jahrhundert“ kann man sich selbstverständlich auf einige ältere Abhandlungen und Überblickswerke stützen, die besonders in faktografischer Hinsicht bis heute ein wertvolles Erkenntnisreservoir bilden – dies gilt vor allem für die Beiträge von Johann Trajer, Franz Mardetschläger, Kurt Augustin Huber und Jaroslav Kadlec. Der Hauptmangel dieser Arbeiten liegt jedoch in der Ebene der Interpretation, im unkritischen – oder im Fall von K. A. Huber eingeschränkten – Quellenzugang oder wie bei J. Kadlec in einem eher populärwissenschaftlichen Ansatz.24 Jaroslav Kadlec war in den 1990er Jahren – allein oder zusammen mit Miroslav Novotný – auch an der Vorbereitung jener Stichworte für die Encyklopedie Českých Budějovic [Budweiser Enzyklopädie] beteiligt, die das religiöse Leben und das Budweiser Bistum betrafen.25
Mit Beginn des neuen Jahrtausends lässt sich ein beständiges und systematisches Bestreben beobachten, die Geschichte der Diözese Budweis wieder im tschechischen historischen Gedächtnis zu verankern; dahinter steht ein Kreis von Wissenschaftlern der Philosophischen und der Theologischen Fakultät an der Südböhmischen Universität Budweis (České Budějovice) – besonders Miroslav Novotný und seine ehemaligen Schüler Dana Jakšičová, Rudolf Svoboda und Tomáš Veber, außerdem Lenka Martínková und Marie Ryantová sowie Mitarbeiter, Studenten und Doktoranden der genannten Forscher. In den letzten zwanzig Jahren sind im Umkreis dieser Wissenschaftler zahlreiche monografische ←15 | 16→Abhandlungen, Zeitschriftenstudien und Qualifikationsarbeiten entstanden, die sich systematisch mit der Kirchengeschichte Südböhmens im 17.–20. Jahrhundert auseinandersetzen – darunter auch Arbeiten, die einen direkten Bezug zum Thema des vorliegenden Bandes aufweisen.26
Rudolf Svoboda, der sich langfristig mit Persönlichkeiten des Budweiser Episkopats beschäftigt, verfasste biografische Porträts der ersten vier Bischöfe der Diözese Budweis, Jan Valerián Jirsík eingeschlossen.27 Auf Jirsík bezieht sich auch Svobodas Arbeit, die sich mit der Rezeption des I. Vatikanischen Konzils im Milieu der Residenzstadt der Budweiser Bischöfe auseinandersetzt; einen anderen Blickwinkel auf das Geschehen in der Diözese und ihrem Zentrum liefert Svobodas erste Buchpublikation zur Kirchenverwaltung in der Residenzstadt um 1900.28
Tomáš Veber, dessen wissenschaftliches Interesse sich vor allem auf die Erziehung und Bildung des Klerus konzentriert, ist u. a. Autor (bzw. Mitautor) biografischer Porträts von zwei bedeutenden Persönlichkeiten, die mit dem Budweiser Diözesanseminar29 in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verknüpft sind. Zusammen mit Miroslav Novotný publizierte er außerdem eine Monografie, in der die Vorbereitung der südböhmischen Geistlichen auf ihr Amt in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammenfassend abgehandelt wird.30 Mit der Formation der künftigen Priester beschäftigte sich Novotný auch in einigen weiteren Texten, aber sein wissenschaftliches Interesse richtete sich auch auf einige markante Priesterpersönlichkeiten, religiöse Laienbruderschaften und ←16 | 17→neuzeitliche Ordenskongregationen in Südböhmen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.31
Auf die Erforschung besonders weiblicher Ordenskongregationen der modernen Zeit konzentriert sich Dana Jakšičová, von deren zahlreichen Publikationen die umfangreiche und im tschechischen Kontext bahnbrechende Arbeit zum Wirken der Schulschwestern in den böhmischen Ländern von 2012 sowie deren lockere Fortsetzung von 2018 nicht unerwähnt bleiben sollen.32 Lenka Martínková beschäftigt sich systematisch mit dem Studium kirchlicher Archive und Ämter (auf Pfarr-, Vikariats- und Diözesanebene) in Südböhmen. Zu diesem Themenbereich publizierte sie eine Reihe von Zeitschriftenartikeln und mehrere Monografien, die sich als wichtiges Sprungbrett für die Bearbeitung der entsprechenden Passagen der vorliegenden Diözesangeschichte erwiesen.33 Marie Ryantová verfasste zahlreiche Studien zur sozialen und ethnischen Struktur sowie zum Bildungs- und Besitzniveau des niederen Klerus in den böhmischen Ländern im 17.–19. Jahrhundert, die ihr als Basis für ihren Text im ersten Band zur Geschichte der Diözese Budweis dienten.34
Die systematische langjährige Forschungs- und Publikationstätigkeit aller Autoren basiert zudem auf den unverzichtbaren guten Kenntnissen der entsprechenden – in- und ausländischen – Archive und ihrer Bestände, die in zahlreichen Fällen erstmals wissenschaftlich ausgeschöpft wurden. Die wesentliche Quellenbasis der vorliegenden Publikation bildete das im Bischöflichen Archiv Budweis, deponiert im Staatlichen Regionalarchiv Wittingau (Třeboň), ←17 | 18→aufbewahrte Schriftgut.35 Wertvolle Erkenntnisse konnten zudem durch das Studium einschlägiger, auf die Diözese Budweis bezogener Quellen im Österreichischen Staatsarchiv Wien,36 dem Nationalarchiv Prag und dem Archiv des Prager Erzbistums37 sowie in den Beständen der vatikanischen Archive38 gewonnen werden. Chroniken und Jubiläumsschriften einiger Gymnasien und niederer Schulen wurden ebenso wissenschaftlich erschlossen wie Archivbestände ausgewählter Pfarr- und Vikariatsämter in den territorial zuständigen Staatlichen Bezirksarchiven.39 Weiter wurden Quellen (besonders Chroniken und Matriken) in den Privatarchiven der in Südböhmen wirkenden neuzeitlichen Ordenskongregationen ausgewertet.40
←18 | 19→Das vorliegende Werk möchte dem Leser den Wandel der Diözese Budweis in der 2. Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts umfassend nahebringen. Die gewählten zeitlichen Eckdaten (1851–1907) decken zum einen den Episkopat von Jan Valerián Jirsík, Franz de Paula Schönborn und Martin Josef Říha ab. Die markanteste Spur in der Geschichte der Budweiser Diözese hinterließ gleich Bischof Jirsík, der die Diözese während seines langen Episkopats (1851–1883) durch eine Phase zunehmender tschechisch-deutscher Spannungen41 und die Ära von Konkordat und Liberalismus bis an die Schwelle der sich im traditionell konservativen Südböhmen nur langsam durchsetzenden Modernisierung führte. Und zum anderen grenzen die genannten Daten eine Phase relativ ruhiger Entwicklung ein, die zugleich als größte Blütezeit der südböhmischen Diözese gelten darf, in der sich diese in den dramatischen Zeiten der beginnenden Moderne und der politischen, sozialen und geistigen Veränderungen in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts vom armen „katholischen Aschenputtel“ in eine bedeutende Stütze des Katholizismus in den böhmischen Ländern verwandelte.42
Dieser thematischen Ausrichtung und dem gewählten Zeitrahmen entspricht auch die Struktur der Publikation. Die Darstellung fügt sich organisch in den breiteren Rahmen der Veränderungen in der bischöflichen Residenzstadt und der Region Südböhmen sowie in den politischen und kulturellen Kontext Böhmens und Mitteleuropas ein. Die folgenden Passagen beschäftigen sich mit der territorialen und administrativen Entwicklung und dem wirtschaftlichen Umfeld der Diözese, mit der Arbeit ihrer Verwaltungsorgane sowie den Änderungen im Vikariats- und Pfarrnetz. Angemessene Aufmerksamkeit erhalten zudem die einzelnen Bischöfe und deren Anteil an der Entfaltung der Diözese, ebenso wie die theologische Lehranstalt und das bischöfliche Seminar einschließlich der dort wirkenden herausragenden Persönlichkeiten. In diesem Zusammenhang berücksichtigen die Autoren nicht nur die eigentliche Ausbildung und Formation des ←19 | 20→Diözesanklerus, sondern sie analysieren diese soziale Gruppe unter dem Aspekt ihrer (sozialen, ethnischen) Herkunft und der Rolle familiärer Verbindungen der Geistlichen sowie ihre Kirchen- und sonstigen Karrieren (in Pädagogik, Literatur, Wissenschaft oder Politik) einschließlich der Einstellung zu Nationalitätenfrage, Moderne u. ä. Gebührenden Platz räumen die Autoren außerdem der allmählichen Erneuerung des Ordenslebens und dessen Wandel in der Diözese sowie der Rolle der katholischen Kirche im National- und Mittelschulwesen in Südböhmen in und nach der Konkordatszeit ein.
Abschließend möchten die Autoren denjenigen danken, die ihnen bei der Vorbereitung, der Niederschrift und der Herausgabe des Buches behilflich gewesen sind – in erster Linie der Czech Science Foundation für die finanzielle Förderung und dem Berliner Verlag Peter Lang, der die Publikation übernommen hat. Dank gebührt auch Anna Ohlidal für die Übersetzung sowie den Mitarbeitern aller Archive, die bereitwillig und sorgfältig die von den Autoren gewünschten Materialien heraussuchten und ausliehen. Nicht zuletzt danken die Autoren ihren Familien und allen Nahestehenden für Geduld, Verständnis und Unterstützung, die ihnen während der gesamten Arbeitszeit an diesem Buch zuteilwurde.
1 Novotný, Miroslav – SVOBODA, Rudolf – Martínková, Lenka – VEBER, Tomáš – RYANTOVÁ, Marie, Die Diözese Budweis in den Jahren 1785–1850. Das Aschenputtel unter den Diözesen, Berlin 2018.
2 Zu den fünf ursprünglichen Autoren kam Dana Jakšičová neu hinzu, die sich intensiv mit dem Problem der Ordensgemeinschaften in den böhmischen Ländern und besonders in Südböhmen beschäftigt.
3 Beispielsweise die „Große Erweckung“ (Great Awakening) in England und besonders in den USA, die eine Vielzahl neuer protestantischer Kirchen entstehen ließ, oder das Wirken evangelischer Missionare in den böhmischen Ländern – z. B. der Herrnhuter Erneuerten Brüder-Unität, der Freikirche von Schottland oder der Amerikanischen Missionsgesellschaft.
4 Der folgende Text informiert nur über jene Quellenbestände und Literatur, die für das Abfassen dieses Bandes von grundsätzlicher Bedeutung waren; anderes Material, das hier Verwendung fand, wird in den einschlägigen Kapiteln zitiert und näher analysiert.
5 Für die Bedürfnisse dieser Arbeit wurden hier auch Werke deutscher oder österreichischer Wissenschaftler aufgenommen, die (im Hinblick auf die historischen Zusammenhänge) für Böhmen die größte Validität besitzen.
6 Vgl. Harm KLUETING (Hg.), Katholische Aufklärung. Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993; Marcel GAUCHET, The Disenchantment of the World. A Political History of Religion, Princeton 1999.
7 Bes. Hugh McLEOD, Religion and the People of Western Europe 1789–1989, Oxford 1992; Manfred WEITLAUFF (Hg.), Kirchen im 19. Jahrhundert, Regensburg 1998; Christopher CLARK – Wolfram KAISER (Hgg.), Culture Wars: Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2003; Michael Burleigh, Earthly Powers: The Clash of Religion and Politics in Europe from the French Revolution to the Great War, New York 2005; Urs ALTERMATT – Franziska METZGER (Hgg.), Religion und Nation. Katholizismen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2007; Andreas GOTTSMANN, Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878–1914, Wien 2010.
8 Z. B.: Owen CHADWICK, The Secularization of the European Mind in the Nineteenth Century, Cambridge 1975; Hartmut LEHMANN (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997; Hugh McLEOD, Secularisation in Western Europe, 1848–1914, New York 2000; Nigel ASTON – Matthew CRAGOE, Anticlericalism in Britain: c. 1500–1914, New York 2001; Manuel BORUTTA, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010.
9 Helmut Reinalter (Hg.), Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus, Wien-Köln-Weimar 2008.
10 Olaf BLASCHKE, Das 19. Jahrhundert: Ein zweites konfessionelles Zeitalter, Geschichte und Gesellschaft 26, 2000, S. 38–75. Die Gültigkeit seiner These vom 19. Jahrhundert als zweiter Ära der Konfessionalisierung bezweifelte für die böhmischen Länder (neben einigen tschechischen Wissenschaftlern) auch der deutsche Ostmitteleuropahistoriker Martin SCHULZE WESSEL, Das 19. Jahrhundert als „Zweites konfessionelles Zeitalter“? Thesen zur Religionsgeschichte der böhmischen Länder in europäischer Hinsicht, Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 51, 2002, 2, S. 514–529.
11 Otto Weiß, Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte, Regensburg 1995; DERS., Katolický modernismus. Pojem – sebeidentifikace – podoby – důsledky, Salve 17, 2007, 3, S. 9–37; Hubert WOLF (Hg.), Antimodernismus und Modernismus in der katholischen Kirche. Beiträge zum theologiegeschichtlichen Vorfeld des II. Vaticanums, Paderborn 1998; Rudolf ZINNHOBLER, Der lange Weg der Kirche vom Ersten zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Linz 2005; Darrell JODOCK (Hg.), Catholicism Contending with Modernity, Roman Catholic Modernism and Anti-Modernism in Historical Context, Cambridge 2000; Claus ARNOLD, Kleine Geschichte des Modernismus, Freiburg im Breisgau 2007.
12 Hans Henning HAHN (Hg.), Stereotyp, Identität und Geschichte, Frankfurt am Main 2002.
Details
- Seiten
- 310
- Erscheinungsjahr
- 2021
- ISBN (PDF)
- 9783631842720
- ISBN (ePUB)
- 9783631842737
- ISBN (MOBI)
- 9783631842744
- ISBN (Hardcover)
- 9783631811290
- DOI
- 10.3726/b17881
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2021 (Januar)
- Schlagworte
- Kirchengeschichte Südböhmen Konkordat Säkularisierung Bischöfe Diözesanklerus Ordensgemeinschaften Schulwessen
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 310 S., 3 farb. Abb., 8 s/w Abb., 3 Tab.
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