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Das Prinzip effektiven Rechtsschutzes nach der EMRK

Eine Untersuchung der Gewährleistung richtigen Rechtsschutzes nach der EMRK unter Berücksichtigung der Gewährleistung rechtzeitigen Rechtsschutzes nach der EMRK

von Katharina Bielka (Autor:in)
©2021 Dissertation 346 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand dieser Untersuchung ist die Gewährleistung effektiven Menschenrechtsschutzes. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei die Frage, inwiefern das Recht auf richtigen Rechtsschutz im Sinne der EMRK unter Beachtung des Rechts auf rechtzeitigen Rechtsschutz gemäß der EMRK gewährleistet werden kann. Den Garantien wohnt ein Spannungsverhältnis inne, weil eine rechtlich richtige - da konventionskonforme Entscheidung - Zeit braucht, jedoch gleichzeitig im Sinne des Beschleunigungsgrundsatzes innerhalb einer angemessenen Frist ergehen soll. Daraus resultiert die Frage, wie ein effektiver Menschenrechtsschutz gewährleistet werden kann, wenn diese beiden Garantien zumindest partiell gegenläufig sind. Die Autorin arbeitet anhand Auslegung und Analyse die Antwort auf diese Frage heraus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Teil – Einleitung
  • I. Darstellung der Thematik
  • II. Gang der Untersuchung
  • III. Die Wirkung und Bedeutung der EMRK
  • 2. Teil – Die Wirkung und Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  • I. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Hüter der Konvention
  • II. Die Wirkung der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Mitgliedstaaten
  • 1. Rechtskraftwirkung
  • 2. Orientierungswirkung
  • III. Die Verpflichtungen aus dem Urteil des Gerichtshofs
  • 1. Die Verpflichtung zur Befolgung der Urteile aus Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • a) Die Verpflichtung zur Beendigung der Konventionsverletzung
  • b) Die Verpflichtung zur Wiedergutmachung im Sinne einer restitutio in integrum
  • aa) Konventionsverletzung durch einen innerstaatlichen Verwaltungsakt
  • bb) Konventionsverletzung durch die Rechtsprechung der innerstaatlichen Gerichte
  • cc) Konventionsverletzung durch die innerstaatliche Gesetzgebung
  • c) Die Verpflichtung zur Genugtuung und die Verpflichtung zur Vermeidung einer Wiederholung der festgestellten Konventionsverletzung
  • d) Zwischenergebnis zu 1.
  • 2. Die Bindung der innerstaatlichen Organe an die Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • 3. Die Konkretisierung der Verpflichtungen aus Art. 46 Abs. 1 EMRK durch die Rechtsprechung des EGMR
  • a) Die Entscheidung Assanidze
  • b) Die Entscheidung Broniowski
  • c) Die Entscheidung Görgülü
  • d) Zusammenfassung zu 3.
  • 4. Die Konkretisierung der Verpflichtungen aus Art. 46 Abs. 1 EMRK durch das Ministerkomitee
  • IV. Zusammenfassung zum 2. Teil
  • 3. Teil – Die Anforderungen der EMRK an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
  • I. Die Garantien des effektiven Rechtsschutzes
  • II. Die Gewährleistung richtigen Rechtsschutzes nach der EMRK
  • 1. Die Anforderungen an den richtigen Rechtsschutz aus der EMRK
  • a) Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus der EMRK
  • aa) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus Art. 1 EMRK
  • bb) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus Art. 13 EMRK
  • cc) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • dd) Die Wechselwirkung von Art. 41 EMRK mit Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • ee) Die Grenzen der Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens
  • aaa) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit
  • bbb) Der Ausnahmecharakter des Wiederaufnahmeverfahrens
  • ccc) Die Rechtskraft als ein der EMRK natürlich anhaftendes Prinzip und Bestandteil der EMRK
  • ddd) (Keine) Rechtskraftdurchbrechende Wirkung der Urteile des Gerichtshofs
  • eee) Der Wille der Verfasser der EMRK und die dem EGMR von den Mitgliedstaaten eingeräumte Kompetenz
  • fff) Die Souveränität der Staaten
  • ff) Zwischenergebnis zu a)
  • b) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus der Rechtsprechung des EGMR
  • aa) Konkretisierung der Pflicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Rechtsprechung des EGMR
  • aaa) Die Entscheidung Marckx
  • bbb) Die Entscheidung Pakelli
  • ccc) Die Entscheidung Papamichalopoulos
  • ddd) Die Entscheidung Lyons
  • eee) Die Entscheidung Sejdovic
  • fff) Die Entscheidung Cudak
  • ggg) Die Entscheidung Öcalan
  • hhh) Die Entscheidung Schüth
  • iii) Zwischenergebnis zu aa)
  • bb) Kritische Betrachtung der Rechtsprechung des EGMR unter dem Gesichtspunkt der Gewährung einer gerechten Entschädigung nach Art. 41 EMRK neben der Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • aaa) Die gerechte Entschädigung im Sinne von Art. 41 EMRK
  • bbb) Die gerechte Entschädigung gemäß Art. 41 EMRK neben der innerstaatlichen Wiedergutmachung gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • ccc) Die gerechte Entschädigung gemäß Art. 41 EMRK neben der innerstaatlichen Wiedergutmachung in Form eines Wiederaufnahmeverfahrens gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • (1) Die Entscheidung Sejdovic
  • (2) Die Entscheidung Schüth
  • (3) Zwischenergebnis zu ccc)
  • ddd) Zwischenergebnis zu bb)
  • cc) Zwischenergebnis zu b)
  • c) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus den Empfehlungen des Ministerkomitees
  • d) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem deutschen Verfassungsrecht
  • aa) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit
  • bb) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus Art. 25 GG
  • e) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus der Rechtsprechung des BVerfG
  • aa) Die Entscheidung Pakelli
  • aaa) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus der EMRK
  • bbb) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem Grundgesetz
  • ccc) Zusammenfassung zu aa)
  • bb) Die Entscheidung Görgülü
  • aaa) Die Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens in Form der Berücksich- tungspflicht
  • bbb) Art. 41 EMRK als Indiz für die Einräumung von Ermessen bei der Umsetzung der EGMR-Urteile
  • ccc) Grenzen der Verpflichtung zur Wiederaufnahme des Verfahrens
  • (1) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit
  • (2) Die Feststellungsurteile des EGMR
  • (3) Das innerstaatliche Recht als Grenze der Naturalrestitution
  • (4) Die Souveränität der Mitgliedstaaten
  • (5) Die Grundrechte Dritter und entgegenstehendes Gesetzesrecht
  • ddd) Zusammenfassung zu bb)
  • cc) Zusammenfassung zu e)
  • f) Zusammenfassung zu 1.
  • 2. Die Umsetzung der Anforderungen an den richtigen Rechtsschutz im innerstaatlichen Recht
  • a) Die Regelungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens im innerstaatlichen Recht
  • aa) Das Spannungsverhältnis zwischen der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit und Richtigkeit
  • bb) Die Lage in Deutschland vor Einführung der neuen Wiederaufnahmegründe – Analoge Anwendung bestehender Wiederaufnahmegründe
  • cc) Die Lage in Deutschland mit Einführung der neuen Wiederaufnahmegründe
  • aaa) Die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Strafprozessordnung
  • bbb) Die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Zivilprozessordnung
  • (1) Die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO
  • (2) Die Besonderheit des Prozessgegners
  • ccc) Die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Verwaltungsprozessordnung
  • b) Die Vereinbarkeit der innerstaatlichen Gesetzeslage mit den Anforderungen der EMRK an den richtigen Rechtsschutz
  • 3. Zwischenergebnis zu II.
  • III. Die Gewährleistung rechtzeitigen Rechtsschutzes nach der EMRK
  • 1. Die Anforderungen an den rechtzeitigen Rechtsschutz aus der EMRK
  • a) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus der EMRK
  • aa) Die Verpflichtung aus Art. 1 EMRK
  • bb) Die Verpflichtung aus Art. 13 EMRK
  • cc) Die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK
  • dd) Die Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 4 EMRK
  • ee) Die Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • ff) Zwischenergebnis zu a)
  • b) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus der Rechtsprechung des EGMR
  • aa) Die Entscheidung Kudla
  • aaa) Der Sachverhalt und die Entscheidung des EGMR
  • bbb) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK
  • ccc) Kritische Auseinandersetzung mit der Entscheidung Kudla
  • (1) Ausreichende Begründung für die Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung des EGMR
  • (2) Lösung des strukturellen Problems auf völkerrechtlicher Ebene durch die Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung des EGMR
  • (3) Keine begründeten Zweifel an der Lösung des strukturellen Problems auf innerstaatlicher Ebene durch die Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung des EGMR
  • (4) Entstehung zahlreicher neuer Fragen anstelle von Antworten durch die Modifizierung der Rechtsprechung des EGMR
  • ddd) Zusammenfassung zu der Entscheidung Kudla
  • bb) Die Entscheidung Sürmeli
  • aaa) Der Sachverhalt und die Entscheidung des EGMR
  • bbb) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und Art. 13 EMRK
  • ccc) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 46 Abs. 1 EMRK – Die Hervorhebung des präventiven Charakters der „effective remedy“ im Sinne von Art. 13 EMRK
  • ddd) Kritische Auseinandersetzung mit der Entscheidung Sürmeli
  • cc) Die Entscheidung Rumpf
  • aaa) Der Sachverhalt und die Entscheidung des EGMR
  • bbb) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK
  • (1) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 13 EMRK – Bezugnahme auf die Entscheidung Sürmeli
  • (2) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 46 Abs. 1 EMRK
  • (3) Die Bestärkung der Verpflichtung aus Art. 13 EMRK durch die Durchführung des Musterverfahrens und die Verurteilung Deutschlands
  • (4) Stellungnahme und kritische Würdigung der Entscheidung Rumpf
  • dd) Zwischenergebnis zu b)
  • c) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus dem deutschen Verfassungsrecht
  • aa) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 19 Abs. 4 GG
  • bb) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG
  • d) Die Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs zur strukturellen Gewähr von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus der Rechtsprechung des BVerfG
  • e) Zusammenfassung zu 1.
  • 2. Die Umsetzung der Anforderungen an den rechtzeitigen Rechtsschutz im innerstaatlichen Recht
  • a) Bestehende innerstaatliche Rechtsbehelfe zur Einhaltung der angemessenen Verfahrensdauer und ihre Vereinbarkeit mit der EMRK (vor 2011)
  • aa) Die Untätigkeitsbeschwerde
  • bb) Die Dienstaufsichtsbeschwerde
  • cc) Die Verfassungsbeschwerde
  • dd) Die Klage auf Schadensersatz aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG
  • ee) Zwischenergebnis zu a)
  • b) Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜVerfBesG)
  • aa) Kurzer Überblick über die Historie des Gesetzes
  • bb) Regelungsgehalt des ÜVerfBesG
  • aaa) Die Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 S. 1 GVG
  • bbb) Die Entschädigungsklage gemäß § 198 Abs. 1 S. 1 GVG
  • c) Die Vereinbarkeit des ÜVerfBesG mit den Anforderungen der EMRK und des EGMR an den rechtzeitigen Rechtsschutz
  • aa) Die Verzögerungsrüge als präventiv beschleunigender Rechtsbehelf im Sinne des rechtzeitigen Menschenrechtsschutzes
  • bb) Die Entschädigungsklage als präventiv beschleunigender Rechtsbehelf im Sinne des rechtzeitigen Menschenrechtsschutzes
  • d) Zusammenfassung zu 2.
  • 3. Zwischenergebnis zu III.
  • 4. Teil – Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach der EMRK – Das Zusammenwirken der aus dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes resultierenden Garantien
  • I. Das Spannungsverhältnis zwischen der Richtigkeit und Rechtzeitigkeit
  • II. Die Lösung des Spannungsverhältnisses
  • III. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach der EMRK für den Fall eines konventionswidrigen innerstaatlichen Urteils
  • 1. Die Vorwegnahme der Abwägung durch den deutschen Gesetzgeber
  • 2. Das Überwiegen des Interesses an einer rechtlich richtigen Entscheidung gegenüber dem Interesse am Erhalt einer rechtskräftigen Entscheidung
  • 3. Die Berücksichtigung der Einzelfallumstände unter Einbeziehung der festgestellten Konventionsverletzung
  • 4. Zwischenergebnis zu III.
  • 5. Teil – Zusammenfassung der Ergebnisse
  • I. Die Ergebnisse zur Gewährleistung richtigen Rechtsschutzes nach der EMRK
  • II. Die Ergebnisse zur Gewährleistung rechtzeitigen Rechtsschutzes nach der EMRK
  • III. Das Ergebnis zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach der EMRK für den Fall eines konventionswidrigen innerstaatlichen Urteils
  • Literaturverzeichnis

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1. Teil – Einleitung

In der Bundesrepublik gibt es zahlreiche Rechtsschutzmöglichkeiten. So hat der Einzelne beispielsweise die Möglichkeit, seine rechtlichen Interessen im Wege der Klageerhebung geltend zu machen, gegen ein innerstaatliches Urteil Berufung oder Revision einzulegen, eine Grundrechtsverletzung mit einer Verfassungsbeschwerde zu rügen oder gegen einen Verwaltungsakt zunächst Widerspruch und nach dessen Erfolglosigkeit Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben. Sofern der Einzelne in der Ausübung eines seiner Rechte beeinträchtigt ist, hat er die Möglichkeit, dieses Recht mit den genannten Möglichkeiten zu schützen. So kann sich der Einzelne auch gegen eine Verletzung seiner Grund- und Menschenrechte wehren. Im deutschen Recht stehen ihm dafür zahlreiche gerichtliche Instanzen zur Verfügung. Bleibt der Rechtsschutz in den Instanzen erfolglos, so bleibt dem Betroffenen der Weg zum Bundesverfassungsgericht (nachfolgend „BVerfG“), dessen Aufgabe der Schutz der Grund- und Menschenrechte auf Grundlage des Grundgesetzes ist. Daneben existiert auf internationaler Ebene der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (nachfolgend „EGMR“). Er widmet sich der Sicherung und Durchsetzung der Rechte des Einzelnen aus der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachfolgend „EMRK“).1 Die Bundesrepublik ist mit der Ratifizierung der EMRK und der Verankerung der Konvention im innerstaatlichen Recht an die Wahrung und Sicherung der Menschenrechte gebunden. Der Einzelne kann daher auch den Schutz aus der EMRK in Anspruch nehmen. Gemäß Art. 34 EMRK steht ihm bei der Verletzung eines Konventionsrechts ein Beschwerderecht in Form der Individualbeschwerde zu. Um diese Beschwerdemöglichkeit nutzen zu können, muss der Betroffene gemäß Art. 35 EMRK vorab den innerstaatlichen Rechtsweg erfolglos beschritten haben. Dies ist erforderlich, da die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK ist. Die Voraussetzung ist Ausfluss des Subsidiaritätsgrundsatzes des internationalen Menschenrechtsschutzes. Die Menschenrechtsbeschwerde stellt somit die ultima ratio dar.2

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Rügt der Betroffenen vor dem EGMR eine Konventionsverletzung, so entscheidet der Gerichtshof darüber, ob eine solche Verletzung vorliegt oder nicht. Seine Entscheidung ist für den betroffenen Mitgliedstaat grundsätzlich verbindlich. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben die Urteile des EGMR gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK zu befolgen. Wie diese Befolgung ausgestaltet ist, liegt in ihrem Ermessen.3

I. Darstellung der Thematik

Dem Einzelnen stehen zahlreiche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Daher scheint es, als sei es für ihn schnell und effektiv möglich, seinen Rechtsanspruch geltend zu machen und ein rechtlich richtiges Urteil zu erlangen. Doch die Praxis zeigt ein anderes Bild. So sind gerichtliche Entscheidungen oftmals unrichtig. Zudem ergehen sie nicht immer innerhalb angemessener Zeit.

Jeder Fall bedarf einer individuellen und vor allem gründlichen Aufarbeitung. Das mit der Sache befasste Gericht muss sich gewissenhaft und detailliert mit dem Sachverhalt und der rechtlichen Lösung auseinandersetzen. Diese ist bedingt durch die Komplexität des Falles sowie die Lebensumstände des Betroffenen. Nur so kann die Entscheidung den nachfolgenden Rechtsmittelinstanzen standhalten und der Betroffene auf die Entscheidung vertrauen. Vor allem hat die innerstaatliche Entscheidung in Einklang mit der Konvention und den in ihr verbürgten Rechten und Freiheiten zu stehen. Der EGMR hat seit Beginn seiner Amtsausübung die Mitgliedstaaten der Konvention und so auch Deutschland in zahllosen Fällen verurteilt, weil sie das Konventionsrecht nicht gewahrt haben. Die Mitgliedstaaten sind mit der Ratifikation der Konvention aber die Pflicht eingegangen die Rechte und Pflichten aus der Konvention zu schützen und zu wahren. Gemäß Art. 1 EMRK sind sie verpflichtet, den ihnen unterstehenden Personen, die in der Konvention enthaltenen Rechte und Freiheiten zuzusichern. Die Konvention ist in Deutschland aufgrund ihrer Transformation im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG als einfaches Bundesgesetz4 Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden. Sie ist daher bei gerichtlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Unterbleibt dies und wird ein Konventionsrecht verletzt, so liegt eine konventionswidrige Entscheidung vor. Diese ist sodann rechtlich unrichtig.

Darüber hinaus dauern innerstaatliche Verfahren nach den deutschen Prozessordnungen in einzelnen Fällen sehr lang. Sie dauern oft Jahre, gar Jahrzehnte. ←20 | 21→Es beginnt bereits mit der Bestimmung des Termins zur ersten mündlichen Verhandlung. So titelte beispielsweise Spiegel Online am 6.9.2016 mit der Überschrift „Gerichtstermin für 2018 – Dieser Termin ist kein Schreibfehler“.5 Das Amtsgericht Berlin-Mitte hatte zu einem Termin am 19.1.2018 geladen und fett gedruckt ergänzt „Dieser Termin ist kein Schreibfehler“. Eine Sprecherin des Amtsgerichts hatte erklärt, dass das AG Berlin-Mitte und die dafür zuständige Abteilung 111 für Verkehrssachen „bereits mehrfach Termine vergeben habe, die derart weit in der Zukunft lägen“.6 Zudem hat der EGMR Deutschland bereits in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen aufgrund unangemessen langer innerstaatlicher Verfahren verurteilt.7 So hat er in der Sache König eine unangemessene Verfahrensdauer im ersten Verfahren von mehr als zehn Jahren und zehn Monaten und im zweiten Verfahren von mehr als sieben Jahren und einem Monat und daher eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt.8 Im Fall Pammel9 hat er aufgrund einer Verfahrensdauer von fünf Jahren und zwei Monaten und im Fall Probstmeier10 aufgrund einer Verfahrensdauer von insgesamt sieben Jahren und vier Monaten eine Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung in angemessener Frist festgestellt. Im Fall Sürmeli11 und in der Sache Rumpf12 hat er ebenso eine unangemessene Verfahrensdauer und Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt. Diese große und stetig ansteigende Anzahl von Beschwerden hat dazu geführt, dass der EGMR von einem systematischen Problem in der Bundesrepublik ausgegangen ist.13

Auch in der Literatur blieb dieses Problem nicht unentdeckt. So war und ist die überlange Verfahrensdauer Thema zahlreicher Dissertationen14, ←21 | 22→Aufsätze15 und Festschriftbeiträge16. In diesem Zusammenhang wurden die überlange Verfahrensdauer und ihre Auswirkungen auf das bestehende Rechtsschutzsystem von zahlreichen Stimmen negativ bewertet. So bezeichnete Sendler die überlange Dauer von innerstaatlichen Gerichtsverfahren als „Fundamentalproblem des ganzen Rechtsschutzes“.17Frowein verglich die überlange Dauer von Verfahren mit einer „Rechtsverweigerung“.18Wilfinger bezeichnete sie als ←22 | 23→„Etablierung des Unrechts“19 und Schlette gar als „Achillesferse des ansonsten perfekten deutschen Rechtsschutzsystems“.20Schlette ging sogar so weit, dass er die überlange Verfahrensdauer gleichsetzte mit einer „vollständigen Rechtsschutzverzögerung“,21 weil sie dazu führe, dass sich Sieger des Verfahrens als Verlierer und Verlierer wegen der fortgeschrittenen Zeit als Sieger fühlen.22 Dem anknüpfend ging Boesche davon aus, dass die zu erwartende Verfahrensdauer eine abschreckende Wirkung auf potentielle Kläger haben könne, ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen.23

Ein Verfahren muss im Sinne des Rechtsstaatsprinzips und des damit verbundenen Vertrauens in den Rechtsstaat und die Justiz irgendwann ein Ende finden. Denn für den Betroffenen sind mit der Dauer und dem Ausgang des Verfahrens materielle und immaterielle Interessen verbunden. Unter Umständen können die Interessen auch existenziell sein. Dauert ein Verfahren sehr lang, so kann es im Sinne der EMRK unangemessen lang sein. Es ist dann nicht rechtzeitig.

Die EMRK verlangt jedoch von den Mitgliedstaaten, dass sie den konventionskonformen Zustand wahren oder wiederherstellen, und dass sie eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist gewähren. Damit verlangt sie die Gewährleistung richtigen Rechtsschutzes sowie die Gewährleistung rechtzeitigen Rechtsschutzes. Der Gewährung einer rechtzeitigen Entscheidung könnte ←23 | 24→aber die Gewährung einer richtigen Entscheidung entgegenstehen. Andererseits könnte die Gewährung einer rechtzeitigen Entscheidung der Gewähr einer richtigen Entscheidung entgegenstehen. Eine gerichtliche Entscheidung ist stets sorgfältig auszuarbeiten. Die Erlangung einer rechtlich richtigen Entscheidung kann daher viel Zeit in Anspruch nehmen und lange dauern. Stellt der EGMR sodann eine Konventionsverletzung fest und beruht das Urteil darauf, so liegt ein unrichtiges, da konventionswidriges, innerstaatliches Urteil vor. Dieses ist sodann zu beseitigen und der konventionskonforme Zustand wiederherzustellen. Dies ist mit der Wiederaufnahme des innerstaatlichen Verfahrens möglich. Das Wiederaufnahmeverfahren kann jedoch erneut viel Zeit in Anspruch nehmen und insgesamt zu einer sehr langen Verfahrensdauer führen. Die Erlangung einer rechtlich richtigen und konventionskonformen Entscheidung kann folglich zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK führen. Andererseits kann eine schnelle Entscheidung wiederum bedeuten, dass der Rechtsstreit aufgrund der verkürzten Zeit nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgearbeitet wird und die Entscheidung unrichtig und möglicherweise konventionswidrig ist. Dann besteht erneut die Gefahr, dass das bereits rechtskräftige – aber unrichtige – Urteil aufgehoben und das Verfahren wieder aufgenommen wird. Das nimmt, wie oben stehend bereits erläutert, noch einmal viel Zeit in Anspruch. Aufgrund der Gefahr eines unrichtigen und konventionswidrigen Urteils und der damit verbundenen Konsequenzen für die Dauer des Verfahrens ist fraglich, ob eine schnelle Entscheidung überhaupt gewünscht ist.

Die Kollision der Gewährung einer rechtlich richtigen und der Gewährung einer rechtzeitigen Entscheidung kann daher zu Spannungen in der Gewährleistung effektiven Menschenrechtsschutzes führen. Dies ist der Fall, wenn ein konventionswidriges innerstaatliches Urteil wieder aufgenommen und erneut verhandelt wird, um einen konventionskonformen Zustand wiederherzustellen. Dann nimmt das Verfahren erneut Zeit in Anspruch. Denn jedes Gerichtsverfahren braucht seine Zeit. Die Frage ist nur, wie viel Zeit. So plädierte bereits Althammer, dass eine gute Rechtsprechung ihre Zeit benötige und warnte vor kurzen Verfahren: „Die Vermeidung überlanger Verfahren um den Preis eines unnötigen ‚kurzen Prozesses‘ wäre das gegenteilige Übel, das keiner will. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist somit kein Selbstzweck, sondern nach dem Rechtsstaatsprinzip in Ausgleich zu bringen mit einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Streitfalls.“24. Daraus folgt eine ständige ←24 | 25→Abwägung zwischen dem Erlass einer rechtlich richtigen Entscheidung sowie dem Erlass einer rechtzeitigen Entscheidung.

Es stellt sich die Frage, wie ein effektiver Menschenrechtsschutz gewährleistet werden kann, wenn das Recht auf eine richtige Entscheidung und das Recht auf eine rechtzeitige Entscheidung zumindest partiell gegenläufig sind? Kann das Recht auf richtigen Rechtsschutz im Sinne der EMRK unter Beachtung des Rechts auf rechtzeitigen Rechtsschutz gemäß der EMRK gewährleistet werden? Wann liegt effektiver Rechtsschutz nach der EMRK vor?

Die Beantwortung dieser Fragen soll Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Ich widme meine Arbeit daher der Untersuchung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß der EMRK in Ausformung der Richtigkeit und der Rechtzeitigkeit. Meiner Untersuchung liegt eine klassische juristische Analyse zugrunde. Aus dem Wortlaut der Konvention lässt sich keine Lösung für die obenstehenden Fragen ableiten. Es ist daher anhand der Auslegung des Normenmaterials und einer dogmatischen Analyse der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG die Antwort auf die Frage nach der Gewähr von effektivem Rechtsschutz nach der EMRK herauszuarbeiten. Die Gewährung der Richtigkeit ist mit der Gewährung der Rechtzeitigkeit in Einklang zu bringen. Dabei ist zunächst zu analysieren, woraus die Verpflichtung zur Gewährung richtigen und rechtzeitigen Rechtsschutzes resultiert und im nächsten Schritt zu untersuchen, ob und inwiefern Deutschland den Anforderungen an einen richtigen und rechtzeitigen Rechtsschutz gerecht geworden ist. Im Wege der induktiven Analyse sind sodann allgemeine Lösungsansätze zu formulieren, die auf weitere Fälle angewendet werden können. Auf Grundlage dieser Arbeit soll herausgearbeitet werden, wann effektiver Rechtsschutz nach der EMRK im Fall von richtigem und von rechtzeitigem Rechtsschutz vorliegt.

II. Gang der Untersuchung

Im Vordergrund der Untersuchung steht die Frage, ob die Bundesrepublik jedem Erfordernis der EMRK und des EGMR genügen kann, ohne sich gleichzeitig zu widersprechen und inwiefern sie den Erfordernissen gerecht geworden ist. Der Entscheidung, diese Untersuchung anhand der Gewährung richtigen und der Gewährung rechtzeitigen Menschenrechtsschutzes durchzuführen, liegt die Erwägung zugrunde, dass der EGMR von den Mitgliedstaaten den Erlass einer rechtlich richtigen und einer rechtzeitigen innerstaatlichen Entscheidung verlangt. So verlangt er, dass die Mitgliedstaaten, und so auch Deutschland, Entscheidungen erlassen, die mit dem Konventionsrecht vereinbar sind. Sind sie das nicht, so ist die Konventionskonformität wiederherzustellen. Darüber ←25 | 26→hinaus sollen die Entscheidungen gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK innerhalb einer angemessenen Zeit ergehen. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf bereits mit der Einführung neuer gesetzlicher Regelungen reagiert. So hat er aufgrund der Rechtsprechung des EGMR einen neuen Wiederaufnahmegrund in seine Prozessordnungen aufgenommen sowie ein neues Gesetz, das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“,25 in das innerstaatliche Recht eingeführt. Ob diese Regelungen den versprochenen Erfolg mit sich gebracht haben oder bringen, wird sich im Folgenden zeigen.

Der Gang der Untersuchung verläuft wie folgt:

Die Arbeit setzt sich zusammen aus vier Teilen. Die ersten beiden Teile stellen die Einleitung und allgemeinen Erläuterungen über die Wirkung und die Beachtung der Rechtsprechung des EGMR dar. Die Garantie auf eine richtige Entscheidung sowie die Garantie auf eine rechtzeitige Entscheidung sind in der EMRK festgelegt. Daher ist die EMRK mit ihrer Wirkung und Bedeutung für die einzelnen Mitgliedstaaten, vorliegend am Beispiel der Bundesrepublik, Ausgangspunkt der Untersuchung. So wird zunächst der Stellenwert der EMRK in der deutschen Rechtsordnung erläutert. Da die zu untersuchenden Garantien zudem in den Urteilen des EGMR manifestiert sind, ist vor allem die Frage nach den Wirkungen der Urteile des EGMR und die damit verbundene Befolgungspflicht der Mitgliedstaaten für die Durchsetzung beider Garantien von Bedeutung. Aus diesem Grund werden im zweiten Teil der Arbeit die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Beachtung der Urteile des EGMR erklärt. Dabei ist klarzustellen, welche Anforderungen die Konvention und der Gerichtshof an die Umsetzung der Urteile des EGMR stellen und welchen Umfang die Bindungswirkung der Urteile im innerstaatlichen Recht, vor allem hinsichtlich innerstaatlicher Urteile, hat. Dabei wird auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts untersucht, welches sich bereits mehrfach zur Wirkung der Urteile des EGMR geäußert hat. Mit diesen Ausführungen soll eine theoretische Grundlage für die Umsetzung der Urteile in Deutschland und ein Verständnis für das Funktionieren des Rechtsschutzsystems in der EMRK geschaffen werden.

Danach folgt der wesentliche Kern der Arbeit. Im dritten Teil werden das Recht auf richtigen und das Recht auf rechtzeitigen Menschenrechtsschutz detailliert untersucht. Es wird herausgearbeitet, woraus das jeweilige Recht folgt. Darauffolgend wird die Frage untersucht, ob und inwiefern die verurteilten Mitgliedstaaten eine Verpflichtung zur Wiederaufnahme des innerstaatlichen ←26 | 27→Verfahrens sowie eine Verpflichtung zur Einrichtung eines präventiv beschleunigenden Rechtsbehelfs im innerstaatlichen Recht trifft. Dafür werden das Recht der Konvention, die Rechtsprechung des EGMR, das deutsche Verfassungsrecht sowie die Rechtsprechung des BVerfG untersucht. In einem nächsten Schritt wird erforscht, ob und inwiefern Deutschland den Anforderungen an einen richtigen und rechtzeitigen Rechtsschutz gemäß der EMRK gerecht geworden ist. Dafür werden die vorhandenen innerstaatlichen Regelungsmechanismen und ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der EMRK an einen effektiven Rechtsschutz geprüft.

Im vierten Teil der Arbeit werden auf der Grundlage der Aussagen aus dem dritten Teil Kriterien herausgearbeitet, die eine Abwägung zwischen dem richtigen und dem rechtzeitigen Rechtsschutz ermöglichen. Es wird die Frage beantwortet, ob und wann effektiver Rechtsschutz nach der EMRK vorliegt, wenn richtiger und rechtzeitiger Rechtsschutz sich gegenüberstehen. Im fünften Teil der Arbeit werden sodann die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst.

III. Die Wirkung und Bedeutung der EMRK

Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Er wurde am 4. November 1950 vom Europarat in Rom verabschiedet und zunächst von Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Türkei und dem Vereinigten Königreich unterzeichnet. Die Länder Griechenland und Schweden unterzeichneten den Vertrag am 28. November 1950 in Paris. Später traten dem Vertrag noch weitere Länder bei. Momentan sind es 47 Mitgliedstaaten, die den Vertrag unterzeichnet haben.26 Als Grundlage für die EMRK diente dem Europarat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. Dahinter stand die Idee der Schaffung eines regionalen Schutzsystems und effizienten Kontrollmechanismus.27

Die EMRK ist nach ihrer Ratifizierung28 durch zehn Staaten am 3. September 1953 in Kraft getreten29 und völkerrechtlich verbindlich geworden. Um in Deutschland innerstaatliche Geltung zu erlangen, wurden die Bestimmungen ←27 | 28→der Konvention gemäß dem Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 GG ratifiziert.30 Dadurch haben sie in Deutschland mit dem Zustimmungsgesetz vom 7. August 195231 als formal deutsches Gesetz32 den Rang eines einfachen Bundesgesetzes erhalten.33

Die EMRK hat eine lange Entwicklungsgeschichte.34 Dem Grundtext folgten insgesamt 16 Zusatzprotokolle (im nachfolgenden „ZP“ genannt),35 mit denen die Mitgliedstaaten den Vertragstext verändert oder ergänzt haben. Das entscheidendste Zusatzprotokoll war das 11. Zusatzprotokoll, welches am 1.11.1998 in Deutschland in Kraft getreten ist. Es beinhaltet eine Reform des Rechtsschutzsystems der EMRK, mit der das Nebeneinander der zwei Konventionsorgane, der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, beendet und durch einen einheitlichen ständigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ersetzt worden ist.36

Ziel der Konvention war und ist es, die Freiheits- und Gleichheitsrechten des einzelnen Individuums zu schützen und zu wahren.37 Mit ihr sollte ein ←28 | 29→völkerrechtliches Rechtsschutzsystem geschaffen werden.38 Die EMRK verkörpert die „zentralen Grundpfeiler der sich entwickelnden europäischen Verfassungsordnung und beinhaltet deren materielle Kernelemente“.39 Sie ist von allen Mitgliedstaaten des Europarates als „der menschenrechtliche Kernbestand“40 dieser Verfassungsordnung anerkannt41 und „verkörpert die grundlegenden menschenrechtlichen Wertvorstellungen und Verpflichtungen“,42 die ihre Mitgliedstaaten gemeinsam haben. Trotz dieser Gemeinsamkeiten ergeben sich jedoch auch erhebliche Unterschiede bezüglich ihrer Stellung in den einzelnen innerstaatlichen Rechtsordnungen, der Wirkung der Urteile sowie im Hinblick auf die Verpflichtungen der Urteile des EGMR für die Mitgliedstaaten. Die EMRK gewährt den Bürgern ihrer Mitgliedstaaten Freiheits- und Gleichheitsrechte und beinhaltet für die einzelnen Mitgliedstaaten Verpflichtungen, die der Wahrung und Sicherung der Freiheits- und Gleichheitsrechte des einzelnen Bürgers dienen.43 Sie enthält aber keine konkreten Bestimmungen, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht regeln, und so auch keine Verpflichtung gegenüber den Mitgliedstaaten, ihre Rechte in die innerstaatliche Rechtsordnung einzugliedern.44 Lediglich der Wortlaut von Art. 1 EMRK verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, den ihnen unterstehenden Personen, die in der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Damit wird von den Mitgliedstaaten verlangt, die Konventionsrechte zu gewährleisten, was gleichzeitig einer Eingliederung in innerstaatliches Recht bedarf. Wie die Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung nachkommen wollen, ist ihnen überlassen. Durch Unterzeichnung des Vertragstextes haben sie lediglich die Verpflichtung zur Beachtung des Vertragstextes übernommen, die sie nach eigenem Ermessen erfüllen können. Demnach steht es ihnen frei, ob sie die Konvention in ihr innerstaatliches Recht als Gesetz mit Verfassungsrang oder als einfaches Gesetz inkorporieren wollen. Dadurch unterscheidet sich die Stellung der EMRK in den einzelnen innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten teils erheblich. Beispielsweise ←29 | 30→kommt ihr in Österreich Verfassungsrang zu, in den Niederlanden besitzt sie Vorrang vor der nationalen Verfassung und in der Schweiz oder Frankreich (u.v.a.) kommt ihr der Rang über den einfachen Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung, zu.45 In Deutschland wurde durch verschiedene Ansätze versucht der EMRK einen höheren Rang im innerstaatlichen Recht zuzuerkennen, letztlich wurde ein solcher Rang verneint.46

Der Rang der EMRK in der innerstaatlichen Rechtsordnung bestimmt ihre Wirkung in dem jeweiligen Mitgliedstaat. In Deutschland wurde die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag gemäß Art. 59 Abs. 2 GG mit dem Zustimmungsgesetz innerstaatlich transformiert, um innerstaatliche unmittelbare Geltung zu erlangen. Die EMRK hat daher kraft Gesetzes den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und steht im Rang unter dem Grundgesetz.47 Gegenüber anderen Bundesgesetzen hat sie keine hervorgehobene Bedeutung. Daher kann sie grundsätzlich auch nicht unmittelbar Prüfungsgegenstand oder -maßstab einer Verfassungsbeschwerde sein.48 Auch kann sie gemäß dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori von einem später ergangenen einfachen Gesetz grundsätzlich verdrängt werden.49 Um jedoch eine mögliche Aufhebung der EMKR und ←30 | 31→ihrer Bestimmungen durch ein späteres einfaches Bundesgesetz zu vermeiden, wird das spätere Gesetz im Wege einer völkerrechts- und konventionskonformen Auslegung interpretiert und der EMRK ein Vorrang gegenüber dem späteren Gesetz eingeräumt. Damit trägt das BVerfG der der Bundesrepublik obliegenden völkerrechtlichen Verpflichtung Rechnung, die in der Konvention verbürgten Rechte in der innerstaatlichen Rechtsordnung sicherzustellen, und zieht die EMRK stets als Auslegungshilfe für die Grundrechte heran. Damit trägt es der erhöhten Bedeutung der EMRK gegenüber sonstigen Bundesgesetzen Rechnung.50 Begründet wird diese Rechtsprechung damit, dass die Grundrechtsgewährleistung der EMRK weitgehend dem deutschen Grundgesetz entspricht.51 Das BVerfG hat dabei stets betont, dass die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes zu beachten seien und dass die EMRK von allen staatlichen Behörden und Gerichten, einschließlich dem BVerfG, anzuwenden sei.52

Ein Bürger der Bundesrepublik kann sich demnach nicht nur auf den Schutz des Grundgesetzes verlassen, sondern auch auf den Schutz der EMRK vertrauen.

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1 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, UNTS Bd. 213 S. 221, BGBl. 1952 II S. 685, 953. Neubekanntmachung BGBl. 2002 II S. 1054, 1055.

2 Lansnicker/Schwirtzek, Rechtsverhinderung durch überlange Verfahrensdauer, NJW 2001, 1969, 1972.

3 Siehe dazu detaillierter im 2. Teil unter Ziffer III.

4 BGBl. II 2002, 1054.

5 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/berliner-amtsgericht-vergibt-termin-fuer-januar-2018-a-1111157.html.

6 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/berliner-amtsgericht-vergibt-termin-fuer-januar-2018-a-1111157.html.

7 Siehe dazu detaillierter unter 3. Teil III.

8 EGMR, Urt. v. 28.6.1978, 6232/73 – König.

9 EGMR, Urt. v. 1.7.1997, 17820/91 – Pammel.

10 EGMR, Urt. v. 1.7.1997, 20950/92 – Probstmeier.

11 EGMR, Urt. v. 8.6.2006, 75529/01 – Sürmeli.

12 EGMR, Urt. v. 2.9.2010, 46344/06 – Rumpf.

13 EGMR, Urt. v. 2.9.2010, 46344/06 – Rumpf.

14 So beispielsweise Baumanns, Der Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren: die Verfahrensüberlänge und ihre Rechtsfolgen, Baden-Baden 2011; Kreutzer, Säumnis: Rechtsschutz gegen überlange Verfahren, Wien (u.a.) 2010; Niesler, Angemessene Verfahrensdauer im Verwaltungsprozeß, Hamburg 2005; Plankemann, Überlange Verfahrensdauer im Strafverfahren: Bestimmung, Kompensation, Rechtsschutz, Berlin 2015; Reich, Überlange Verfahrensdauer und andere Verfahrensfehler im Strafverfahren unter Berücksichtigung der Vollstreckungslösung des Großen Senats für Strafsachen, Berlin 2011; Tiwisina, Rechtsfragen überlanger Verfahrensdauer nach nationalem Recht und der EMRK, Baden-Baden 2010.

15 So beispielsweise Böcker, Neuer Rechtsschutz gegen die überlange Dauer finanzgerichtlicher Verfahren, in: DStR 2001, S. 2173 ff.; Britz/Pfeifer, Rechtsbehelf gegen unangemessene Verfahrensdauer im Verwaltungsprozeß – Rechtsschutzerfordernisse bei Verletzung von Prozeßgrundrechten nach der jüngsten Rechtsprechung von EGMR und BVerfG, in: DÖV 2004, S. 245 ff.; Gundel, Neue Anforderungen des EGMR an die Ausgestaltung des nationalen Rechtsschutzsystems – Die Schaffung effektiver Rechtsbehelfe gegen überlange Verfahrensdauer –, in: DVBl. 2004, S. 17 ff.; Keders/Walter, Langdauernde Zivilverfahren – Ursachen überlanger Verfahrensdauern und Abhilfemöglichkeiten, in: NJW 2013, S. 1697 ff.; Kloepfer, Verfahrensdauer und Verfassungsrecht: Verfassungsrechtliche Grenzen der Dauer von Gerichtsverfahren, in: JZ 1979, S. 209 ff.; Lansnicker/Schwirtzek, Rechtsverhinderung durch überlange Verfahrensdauer – Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, in: NJW 2001, S. 1969; Schenke, Wolf-Rüdiger, Rechtsschutz bei überlanger Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren, in: NVwZ 2012, S. 257 ff.

Details

Seiten
346
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631871232
ISBN (ePUB)
9783631871249
ISBN (MOBI)
9783631871256
ISBN (Paperback)
9783631866863
DOI
10.3726/b19322
DOI
10.3726/b19405
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 346 S.

Biographische Angaben

Katharina Bielka (Autor:in)

Katharina Bielka studierte Rechtswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Nach ihrem Referendariat und der Zulassung als Rechtsanwältin promovierte sie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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Titel: Das Prinzip effektiven Rechtsschutzes nach der EMRK
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