Lade Inhalt...

Michael Ende – Wissenschaftliche Perspektiven des 21. Jahrhunderts

von Jutta Reusch (Band-Herausgeber:in)
©2022 Konferenzband 238 Seiten

Zusammenfassung

Michael Endes Werk wird in diesem Band erstmals mit dem Fokus auf eine fundierte poetologische Auseinandersetzung betrachtet. Dies geschieht aus der Perspektive unterschiedlicher Forschungsrichtungen sowie aus interdisziplinärer Sicht. Die Schwerpunkte liegen auf dem literarischen Nonsens bei Ende, der Visualität seiner Texte, ihrer medialen Bearbeitung und Verbreitung, Aspekten der fantastischen Literatur sowie neuen Erkenntnissen aus dem Teilnachlass Michael Endes. Neben den Hauptwerken werden zahlreiche weniger bekannte Werke Endes analysiert, zu denen es bisher kaum Forschungsliteratur gibt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung (Jutta Reusch)
  • Variationen auf ein Epos von Lewis Carroll. Michael Endes Libretto Die Jagd nach dem Schlarg (Hans-Edwin Friedrich (Kiel))
  • Autorschaft und Werkpolitik. Michael Endes Briefwechsel mit dem Thienemann Verlag (Wilhelm Haefs (München))
  • Wiederverzauberung der Welt. Michael Endes Poetik anhand eigener Aussagen und der künstlerischen Konzeption von Edgar Ende (Roman Hocke (München))
  • „Bildergeschichten“. Zu Michael Endes Dialog mit der bildenden Kunst (Markus May (München))
  • Sympoiesis in Lummerland: Jim Knopf und die Politik des Materiellen (Christine Lötscher & Daniel Illger (Zürich / Berlin))
  • „So konnte Momo zuhören!“ oder: Was Zuhören und Kapitalismuskritik gemeinsam haben (Jana Mikota (Siegen))
  • Spielarten der Magie – Zauberei und Hexerei im Werk von Michael Ende (Eva-Maria Kleitsch (München))
  • Michael Ende zwischen Phantastik und Okkultismus (Marco Frenschkowski (Leipzig))
  • Aufs Abstellgleis der Geschichte oder ins Bücherregal des 21. Jahrhunderts? Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende (Klaus Hübner (München))
  • Die Beiträgerinnen und Beiträger

←8 | 9→

Jutta Reusch

Internationale Jugendbibliothek

Einleitung

Abstract: The introduction describes the genesis and scope of this scholarly anthology and provides brief summaries of its contributions.

Keywords: Literary Estate of Michael Ende, Michael Ende Congress, Michael Ende research.

In den Jahren 2018 und 2019 wurde Michael Endes literarischer Teilnachlass in der Internationalen Jugendbibliothek mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erschlossen und steht damit der Forschung zur Verfügung. Der Abschluss dieses Erschließungs-Projekts wurde am 14. und 15. Februar 2020, im Nachklang zu Michael Endes 90-jährigem Jubiläum 2019, mit einer wissenschaftlichen Tagung zu Endes Werk begangen. Der Titel der Tagung, „‚Die Lust am freien und absichtslosen Spiel der Phantasie‘ – Michael Ende, Erfolgsautor des 20. Jahrhunderts bis heute“, nimmt Michael Endes poetologische Äußerung aus seiner Rede Über das ewig Kindliche vor der IBBY in Tokio1 auf, die sich an Friedrich Schillers Spiel-Begriff aus der Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen sowie an Literaturtheorien der Romantik orientiert. Der zweite Teil des Titels bezieht sich auf den bis heute andauernden Erfolg der Bücher Endes bei ihrer Leserschaft. Aus Gesprächen mit Michael Ende, die in einigen der Vorträge zitiert wurden, und besonders auch aus dem Beitrag von Wilhelm Haefs zu Michael Endes Werkpolitik lässt sich schließen, dass „absichtsloses Spiel“ und Erfolg nicht in Widerspruch zu einander stehen müssen, sondern sich bei Ende vielleicht sogar gegenseitig bedingen konnten.

Die Vorträge der Tagung setzten sich nicht nur mit Endes bekannten und darüber hinaus in medialen Bearbeitungen rezipierten Romanen auseinander, sondern auch mit weniger bekannten Werken und Gattungen wie dem Stück Die Jagd nach dem Schlarg nach Lewis Carrolls The Hunting of the Snark, dem ←9 | 10→Erzählband Der Spiegel im Spiegel und mit originalen Materialien aus dem literarischen Teilnachlass Michael Endes.

Im Anschluss an die Tagung entstand die Idee, einen Band herauszugeben, der sowohl den Großteil der Tagungsvorträge als auch weitere Beiträge von Expertinnen und Experten der Michael Ende-Forschung enthalten sollte, um neue Aspekte des vielfältigen Werks von Michael Ende zu beleuchten. Das Ergebnis ist der vorliegende Band Michael Ende – Wissenschaftliche Perspektiven des 21. Jahrhunderts.

Im Folgenden sollen die Inhalte der Beiträge kurz zusammengefasst werden.

Der erste Beitrag des Bandes von Hans-Edwin Friedrich, „Variationen auf ein Epos von Lewis Carroll. Michael Endes Libretto Die Jagd nach dem Schlarg“, spürt Elemente des Nonsens im gesamten Werk Michael Endes auf, beispielsweise in Gedichten, in Passagen aus der Unendlichen Geschichte oder aus Jim Knopf. Im Zentrum steht jedoch die Analyse der komplexesten Nonsens-Dichtung Endes, Die Jagd nach dem Schlarg, zu der es bisher nur wenig Forschungsliteratur gibt.

Friedrich stellt Endes Nachdichtung und deren Paratexte sowohl dem Original von Carroll, The Hunting of the Snark, als auch einer früheren Übersetzung von Klaus Reichert gegenüber und arbeitet dabei Endes Sprach-Sensibilität und -Witz sowie den politischen Subtext und die intertextuellen Bezüge des Schlarg heraus. Die strukturelle Analyse verdeutlicht das Spiel mit der „Differenz zwischen Rahmen- und Binnenhandlung“ und stellt Fragen nach der poetologischen und semantischen Bedeutung des Nonsens.

Wilhelm Haefs untersucht in seiner auf der Durchsicht von Nachlassmaterial basierenden Studie zu „Autorschaft und Werkpolitik“ Michael Endes Briefwechsel mit dem Thienemann Verlag. Er kontextualisiert den Briefwechsel mit der Geschichte des Verlags im Nachkriegs-Deutschland und zeichnet die Verleger-Autor-Beziehung im Hinblick auf die Buchgenese nach. Haefs verdeutlicht, wie Michael Ende mit zunehmendem Erfolg als Autor auf den Prozess der Buchgestaltung vom Typoskript bis hin zum „inszenierten Buchraum“ intensiv Einfluss nahm.

Roman Hocke greift in seinem Essay „Wiederverzauberung der Welt“ das Ende-Zitat und Thema der Tagung, das „freie absichtslose Spiel der Fantasie“ auf und bezieht es auf Michael Endes Schaffensprozess mit seiner Offenheit für den Verlauf, den die Geschichte nehmen möchte. Als Vorbild für diesen Prozess sieht Hocke die Arbeitsweise des Vaters von Michael Ende, des bildenden Künstlers Edgar Ende, nämlich das Warten auf geheimnisvolle Bilder, die in ihm auftauchen. Die Figur des Pagats, des spielerischen, schöpferischen ←10 | 11→Magiers, der sich von sich selbst lösen kann, um etwas Neues zu schaffen, wird als ein Leitmotiv in Endes Kreativitätskonzept dargestellt.

Markus May beschreibt in „‘Bildergeschichten‘. Zu Michael Endes Dialog mit der bildenden Kunst“ das Verhältnis von Text und Bild, insbesondere das Erschaffen einer fantastischen Welt aus dem Fundus der Bilder, als kulturhistorischen Topos und als „poetologische Grundkategorie“ bei Michael Ende. In diesem Kontext interpretiert er das Traumbild von Bastian aus dem „Bergwerk der Bilder“ in Endes Unendlicher Geschichte sowie die Erzählung Einer langen Reise Ziel aus Das Gefängnis der Freiheit. In einer vergleichenden Analyse stellt May ein Gemälde von Edgar Ende (Porträt von Michael Ende, 1951) der Geschichte Der Niemandssohn von Michael Ende aus seiner Sammlung Der Spiegel im Spiegel gegenüber, die beide dasselbe Sujet bearbeiten. Dabei spannt May den Bogen von der Bedeutung bildlicher Imagination für den künstlerischen Schaffensprozess bis hin zur Vater-Sohn-Beziehung zwischen Edgar und Michael Ende und damit zum Einfluss des bildkünstlerischen Werks seines Vaters auf Michael Endes literarisches Schreiben.

Der Beitrag von Christine Lötscher und Daniel Illger, „Sympoiesis in Lummerland: Jim Knopf und die Politik des Materiellen“ versteht die visuelle Poetik der Texte Michael Endes als Angebot zur transmedialen Weiterbearbeitung durch die Rezipierenden. Michael Endes Texte werden einem mythopoetischen „Fantasy Modus“ zugeordnet, dessen Ästhetik Dennis Gansels audiovisuelle Jim Knopf-Adaption auf eine spezifisch neue Weise aufnimmt. Illger und Lötscher beschreiben als poetisches Prinzip dieser Verfilmung eine Gestaltungsweise der Materialität, die der „ausgestellten Künstlichkeit“ des Materiellen Lebendigkeit verleiht.

Durch dieses Verfahren können vielfältige Verbindungen zwischen Formen der materiellen und digitalen Welt hergestellt werden, die Illger und Lötscher vor dem theoretischen Hintergrund des Sympoiesis-Konzepts von Donna Haraway als künstlerische Idee von Weltkonstruktion im Sinne der sympoietischen Beziehungen des „making with“ interpretieren.

Jana Mikota betrachtet in „‚So konnte Momo zuhören!‘ oder: Was Zuhören und Kapitalismuskritik gemeinsam haben“ den Roman Momo vor dem Hintergrund der ökonomischen Theorien von Silvio Gesell und Rudolf Steiner über das „alternde Geld“, mit denen Ende selbst sich intensiv beschäftigte, im Hinblick auf seine immanente Gesellschafts-, Kapitalismus- und Medienkritik. Mikota arbeitet dabei die tiefere Entsprechung des Themas „Zeit“ zu dem Machtsystem des Geldes heraus und beschreibt die Verdrängung sozialer und personaler Werte durch ökonomische Normen in einer modernen kapitalistischen, Zeit und Geld sparenden Gesellschaft. Momos Sieg über die grauen ←11 | 12→Herren wird als märchenhaft-fantastische Lösung der Geschichte beschrieben, die die utopischen Entwürfe des Spiels und des Geschichtenerzählens einer Ideologie des grenzenlosen Wachstums entgegengesetzt.

Eva-Maria Kleitsch zieht für ihre Untersuchung „Spielarten der Magie – Zauberei und Hexerei im Werk von Michael Ende“ vier Texte von Michael Ende heran und weist nach, in welcher Begrifflichkeit, in welchen Funktionen und Konzepten Zauberei und Hexerei in seinem Werk vorkommen. Während der theoretische Text Zum Thema Unschuld die Begriffe Zauberei und Hexerei als missbräuchlichen Zugriff auf die Welt definiere, finde diese Definition im Wunschpunsch in Umkehrformen wie Verfahren der Travestie oder der Parodie ihre literarische Entsprechung.

Magie als „gute Zauberei“ verortet Kleitsch bei Ende im Kontext ethischer Werte, die materialistischen Tendenzen entgegengesetzt sind, und betrachtet Endes nicht widerspruchsfreies Konzept der Magie unter anderem als Bild für literarische Imagination und Produktion, die auf magische Weise Nicht-Existentes erschafft.

Marco Frenschkowski erforscht in seinem Beitrag über „Michael Ende zwischen Phantastik und Okkultismus“ aus der interdisziplinären Perspektive der Literaturwissenschaft, der Philosophie und Theologie das Verhältnis der Phänomene der Phantastik einerseits und einiger Alteritätsdiskurse der Moderne andererseits, beispielsweise des Okkulten, des Esoterischen oder des Magischen.

Anhand seiner Interpretation kürzerer Geschichten und Erzählungen wie Die Zauberschule, Lenchens Geheimnis, Eine ganz normale Geistergeschichte und von Texten aus Der Spiegel im Spiegel beleuchtet er das Verhältnis der Wirklichkeitssysteme bei Ende. Das Phantastische der Anderswelt, der Magie und Zauberei werden dem Realen und der fiktionalen Textwelt gegenübergestellt.

Bei seinem „Spaziergang“ durch Michael Endes Roman Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer lotet Klaus Hübner die Spannung zwischen Zeitgebundenheit und Aktualität des Textes aus, sowohl hinsichtlich seiner Sprache, seiner Stereotype und seines Humors, als auch hinsichtlich des Umgangs mit dem Genre. In einem historischen Rückblick verortet Hübner den Roman im Nachkriegsdeutschland, zeigt auf, wo er seiner Zeit weit voraus ist und stellt dabei Bezüge zu aktuellen Identitätsdiskursen her.

Die breit gefächerten Themen und Ansätze dieses Sammelbands spiegeln die Deutungsoffenheit, die Vielfalt der Gattungen, Adressierungen und der intermedialen Vernetzungen des Werks von Michael Ende wider. Jeder der Beiträge ←12 | 13→gibt weitere Impulse für die Ende-Forschung, eröffnet neue Perspektiven und spinnt auf der Metaebene das offene Spiel fort, das Michael Ende in der Unendlichen Geschichte anregt: „Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden“2.

←14 | 15→

Hans-Edwin Friedrich (Kiel)

Variationen auf ein Epos von Lewis Carroll Michael Endes Libretto Die Jagd nach dem Schlarg

Abstract: Nonsense plays an important role in the work of Michael Ende from Jim Knopf to Wunschpunsch. The Singspiel Die Jagd nach dem Schlarg, created in cooperation with Wilfried Hiller, is the adaptation of a work by Lewis Carroll, the comical epic poem The Hunting of the Snark, and beyond that offers a poetics of nonsense. The focus is on nonsense as a condensation of the poetic. Michael Ende introduces this theme both in the way the original is adapted and through the play-within-a-play situation in which Carroll acts as a double character. The book publication offers a complex paratextual staggering that further reflects the problem. Ende uses the title-giving Schlarg (snark) to problematize homogenizing search for meaning, which he sees on the one hand as an anthropological constant, but on the other hand also as an encroachment on art by intentions foreign to art.

Keywords: Nonsense, meaning, Michael Ende, Wilfried Hiller, The hunting of the Snark, libretto, Lewis Carroll, Die Jagd nach dem Schlarg, poetics, paratext.

Auf ihrer Fahrt landen Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer in China an, wo es, wie man erfährt, „ungeheuer viele Menschen“ gibt, „die alle Chinesen waren.“1

Details

Seiten
238
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631865187
ISBN (ePUB)
9783631865194
ISBN (Hardcover)
9783631830703
DOI
10.3726/b18888
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Januar)
Schlagworte
Fantastische Literatur Werkpolitik Audiovisuelle Adaption Edgar Ende Bildende Kunst Magie Alterndes Geld Poetologie Nonsens
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 238 S., 3 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Jutta Reusch (Band-Herausgeber:in)

Jutta Reusch ist seit 2008 Leiterin der Abteilung Bibliothekarische Dienste in der Stiftung Internationale Jugendbibliothek. Die Internationale Jugendbibliothek ist mit über 650.000 Büchern in 250 Sprachen die weltweit größte wissenschaftliche Spezialbibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur. Sie besitzt außerdem literarischen Nachlässe namhafter Kinder- und Jugendbuchautoren, u.a. einen Teilnachlass von Michael Ende.

Zurück

Titel: Michael Ende – Wissenschaftliche Perspektiven des 21. Jahrhunderts