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Antidiskriminierungsrecht versus Kündigungsschutzrecht

Schutz vor der diskriminierenden Kündigung im deutsch-türkischen Rechtsvergleich

von Ceren Kasım (Autor:in)
©2023 Dissertation 666 Seiten

Zusammenfassung

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über das Verhältnis von Antidiskriminierungsrecht und Kündigungsschutzrecht zu geben und hierbei vor allem das deutsche das türkische Recht in den Blick zu nehmen. Dazu werden zunächst die theoretischen Grundlagen dargestellt, indem die Entwicklung, Ziele und Kritikpunkte des Antidiskriminierungs- und des Kündigungsschutzrechts analysiert werden. Es folgt eine Untersuchung des internationalen und supranationalen Arbeitsrechts im Hinblick auf den Schutz vor diskriminierenden Arbeitgeberkündigungen. Den Schwerpunkt der Arbeit bilden der Vergleich der Rechtsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Türkei in Bezug auf das Antidiskriminierungs- und das Kündigungsschutzrecht sowie die spannungsreiche Wechselbeziehung der beiden Rechtsgebiiete, zu der es bei diskriminierenden Kündigungen kommt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Einführung
  • § 1 Einleitung
  • § 2 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
  • § 3 Gang der Untersuchung
  • Erster Teil. Theoretisches Fundament. Antidiskriminierungsrecht vs. Kündigungsschutzrecht
  • § 4 Antidiskriminierungsrecht
  • A. Überblick über die Geschichte des Antidiskriminierungsrechts
  • B. Begriffsbestimmung: Begriff der Diskriminierung und andere Begriffe
  • C. Rechtfertigende Theorien: Warum ist eine Diskriminierung gesellschaftlich unerwünscht?
  • D. Ziele des Antidiskriminierungsrechts
  • E. Herausfordernde Theorien: Kritik am Antidiskriminierungsrecht
  • F. Ergebnis
  • § 5 Kündigungsschutzrecht
  • A. Überblick über die Geschichte des Kündigungsschutzes
  • B. Begriffsbestimmung: Begriff des Kündigungsschutzes und andere Begriffe
  • C. Rechtfertigende Theorien: Warum sollen Arbeitnehmer*innen gegen ungerechte Kündigungen geschützt werden?
  • D. Schutzgut des Kündigungsschutzes
  • E. Bestandsschutz oder Abfindung?
  • F. Herausfordernde Theorien: Kritik am Kündigungsschutzrecht
  • G. Ergebnis
  • § 6 Antidiskriminierungsrecht vs. Kündigungsschutzrecht
  • Zweiter Teil. Rechtliche Grundlagen. Internationales und supranationales Recht.
  • § 7 Völkerrechtliche Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und Kündigungsschutzrechts
  • A. Kurzer Überblick
  • B. Vereinte Nationen
  • C. Internationale Arbeitsorganisation
  • D. Europarat
  • E. Ergebnis
  • § 8 Europarechtliche Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts
  • A. Kurzer Überblick
  • B. Diskriminierungsschutz
  • C. Kündigungsschutz
  • D. Ergebnis
  • Dritter Teil. Nationales Recht. Schutz des*der Arbeitnehmers*in vor der diskriminierenden Kündigung des*der Arbeitgebers*in nach deutschem und türkischem Recht
  • § 9 Nationale rechtliche Grundlagen des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts
  • A. Deutsche rechtliche Grundlagen des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts
  • B. Türkische rechtliche Grundlagen des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts
  • C. Rechtsvergleich
  • § 10 Anwendungsbereiche des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts nach deutschem und türkischem Recht
  • A. Anwendungsbereiche der arbeitsrechtlichen antidiskriminierungsrechtlichen Normen und der allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Normen nach deutschem Recht
  • B. Anwendungsbereiche der arbeitsrechtlichen antidiskriminierungsrechtlichen Normen und der allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Normen nach türkischem Recht
  • C. Rechtsvergleich
  • § 11 Schutz vor Diskriminierung nach dem allgemeinen Diskriminierungsschutz am Beispiel einer Kündigung
  • A. Definition der Diskriminierung
  • B. Diskriminierungsmerkmale
  • C. Unmittelbare Diskriminierung
  • D. Mittelbare Diskriminierung
  • E. Rechtfertigung
  • F. Andere Formen der Diskriminierung
  • G. Rechtsvergleich
  • § 12 Schutz vor Kündigung nach dem Kündigungsschutzrecht am Beispiel einer diskriminierenden Kündigung
  • A. Sozial gerechtfertigte Kündigung / Wirksame Kündigung
  • B. Vorliegen eines an sich geeigneten Kündigungsgrundes / Vorliegen eines triftigen Grundes
  • C. Rechtsvergleich
  • § 13 Rechtsschutz gegenüber einer diskriminierenden Kündigung
  • A. Deutsches Recht
  • B. Türkisches Recht
  • C. Rechtsvergleich
  • § 14 Rechtsfolgen einer diskriminierenden Kündigung
  • A. Deutsches Recht
  • B. Türkisches Recht
  • C. Rechtsvergleich
  • Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang
  • A. Anhang I: Geschützte Diskriminierungsmerkmale
  • B. Anhang II: Unterzeichnete und ratifizierte völkerrechtliche Verträge
  • C. Anhang III: Vergleich der nationalen deutschen und türkischen Rechtsvorschriften über den allgemeinen Kündigungsschutz
  • Übersetzungen einiger türkischer Rechtsvorschriften vom Türkischen ins Deutsche
  • A. Verfassung der Republik Türkei vom 20.4.1924 mit der Gesetzesnummer 491
  • B. Verfassung der Republik Türkei vom 9.7.1961 mit der Gesetzesnummer 334
  • C. Verfassung der Republik Türkei vom 7.11.1982 mit der Gesetzesnummer 2709
  • D. Arbeitsgesetz vom 25.8.1971 mit der Gesetzesnummer 1475
  • E. Seearbeitsgesetz vom 20.4.1967 mit der Gesetzesnummer 854
  • F. Pressearbeitsgesetz vom 13.6.1952 mit der Gesetzesnummer 5953
  • G. Arbeitsgesetz vom 22.5.2003 mit der Gesetzesnummer 4857
  • H. Gesetz über Menschenrechte- und Gleichheitsinstitution der Türkei vom 6.4.2016 mit der Gesetzesnummer 6701
  • I. Gesetz über die Behinderten vom 1.7.2005 mit der Gesetzesnummer 5378

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§ 1 Einleitung

„Das Schlimmste an diesen Vorurteilen ist,

dass man anfängt, an sich selbst zu zweifeln.

Man ist verletzt, man ist zornig,

all das, aber zugleich fragt man sich:

Bin ich vielleicht wirklich nicht gut genug?“

Nina Simone1

Jeder Mensch ist mit einem gleichen, innewohnenden moralischen Wert geboren und allein aufgrund ihres Menschseins kommt allen Menschen die Wertgleichheit zu.2 Daraus resultieren die gleichen, angeborenen Rechte jedes Menschen auf Gleichheit vor dem Gesetz und dem Anspruch auf Entgegenbringen der gleichen Achtung.3 Die Überzeugung, die Anderen seien minderwertig, und damit verbundene stigmatisierte Darstellungen über die Mitgliedschaft bestimmter gesellschaftlicher Gruppen erzeugen ein Minderwertigkeitsgefühl.4 Durch Charakterisierungen, Stereotypen und Überzeugungen hinsichtlich der Unterdrückten kommt es in der Gesellschaft zur Rationalisierung, Naturalisierung und Legitimierung der Unterdrückung.5 Jede menschliche Identität ist aber in Übereinstimmung mit ihrem, ihnen innewohnenden kulturellen und sozialen Wert in gleicher Weise, ohne herabsetzende Diskriminierung, wertzuschätzen. Abwertende Diskriminierungen enthalten wiederum in sich die Aussage, Diskriminierte seien weniger wert als Andere in der Gesellschaft, und verleugnen die Wertgleichheit aller Menschen und der menschlichen Identitäten.6 Sie hemmen die Selbstverwirklichung der Menschen, verletzen das Selbstwertgefühl des Individuums und beeinträchtigen das gesamte gemeinschaftliche friedliche Zusammenleben.7 Gewünscht ist aber ein gesellschaftliches Leben, in dem alle Menschen, frei von abwertenden Diskriminierungen, ein freies und menschenwürdiges Leben führen können. Alle haben das Recht, ohne Verzweiflung und Angst sie selbst zu sein. Erwünscht ist demzufolge die Verwirklichung des Rechts ←41 | 42→auf Schutz gegen die Überzeugung, einige seien weniger wert als andere. Das gilt auch und vor allem für den Arbeitsplatz, demnach genau dort, wo die Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen und ihren materiellen Wohlstand erstreben. Die Realisierung eines freien, würdigen Lebens ist nicht gegeben, wenn Arbeitnehmer*innen Angst vor ungerechter Diskriminierung haben und ihre ökonomische Sicherheit und somit das soziale Wohlbefinden durch Diskriminierungen gefährdet sehen.8

Bei dieser Idee im Hinterkopf war § 2 Absatz 4 AGG der Beweggrund dieser Dissertationsschrift. Das allgemeine Kündigungsschutzrecht hat eine lange Tradition und seine eigene Rechtsgeschichte in Deutschland und seine Wurzeln reichen weit zurück. Auch das geltende Kündigungsschutzgesetz geht zurück in die 1950er, präzise in das Jahr 1951. Das deutsche Kündigungsschutzrecht spielt immer noch eine Art Vorreiterrolle in der Welt. Der Diskriminierungsschutz als ein umfassendes Rechtsgebiet, geregelt in einem eigenständigen Gesetz, wiederum ist ein relativ neues Rechtsphänomen im Vergleich zum allgemeinen Kündigungsschutz, geregelt im Kündigungsschutzgesetz in der deutschen Rechtsordnung. Zwar sind im Grundgesetz in Artikel 3 GG oder in diesbezüglichen ersten Regelungen schon vorher Ansätze zu finden, z. B. § 611a BGB a.F. oder § 75 BetrVG. Die Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erfolgte aber erst im Jahr 2006 mit der Intention, eine Umsetzung der unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinien ins Leben zu rufen. Der Beweggrund dieser Dissertation, § 2 Absatz 4 AGG, entstammt ebenfalls diesem Gesetz. Nach § 2 Absatz 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Gedanken wie Glaube an die Stärke des deutschen Kündigungsschutzrechts und der Wunsch nach Vermeidung eines doppelten/zweiten Kündigungsschutzes im Hintergrund waren ein Anlass, Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG auszuschließen, auch wenn dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht immer noch streitig ist. Trotz einer langen Diskussion im Schrifttum hält das Bundesarbeitsgericht an der Norm fest und hat eine Auslegung entwickelt, nach der materielle Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes zu beachten sind.

Vier Jahre vor der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 2002 und 51 Jahre nach der Verabschiedung des deutschen ←42 | 43→Kündigungsschutzgesetzes erstellte wiederum der türkische Gesetzgeber erstmals in der Rechtsgeschichte der Türkei einen allgemeinen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz, um die Rechtslage des Landes an die Bestimmungen des Internationalen Arbeitsorganisation Übereinkommens anzupassen. Die Regulierung ist eine fast wortnahe Übersetzung des Internationalen Arbeitsorganisation Übereinkommens Nr. 158. Ein Jahr später, im Jahr 2003, drei Jahre vor dem deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, kam das erste arbeitsrechtliche allgemeine Diskriminierungsverbot des türkischen Rechts. Im Hintergrund stand vor allem die Anpassung des türkischen Arbeitsrechts mit der Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die Umsetzung des Übereinkommens des Internationalen Arbeitsorganisation Übereinkommens hinsichtlich des Diskriminierungsschutzes, aber auch die Harmonisierung der türkischen Rechtslage mit den unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinien. Als zweiter Durchbruch des türkischen arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts ist das im Jahr 2016 verabschiedete Gesetz über Menschenrechte und Gleichheitsinstitution der Türkei zu nennen, das ein Nachfolger einer langjährigen Tradition der Institutionalisierung der Menschenrechte in der Republik Türkei ist und ebenfalls Regelungen in Bezug auf den Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben enthält. Der Grundgedanke des Gesetzes basiert auf dem nationalen türkischen Recht und auf dem Besitzstand der Europäischen Union und den Antidiskriminierungsrichtlinien. In keinem der türkischen Gesetze ist eine Ausschließung der Kündigungen im Hinblick auf den arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz zu finden. Warum sind die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regulierungen beider Länder, die hauptsächlich gleichzeitig zu datieren sind, wobei sich beide größtenteils vom Unionsrecht inspirieren ließen, unterschiedlich? Im deutschen Recht stehen die Kündigungen außerhalb des antidiskriminierungsrechtlichen Schutzes, im türkischen Recht hingegen nicht.

Diese Arbeit nimmt diese Feststellung als ihren Anknüpfungspunkt und strebt die Auseinandersetzung mit den nationalen deutschen und türkischen Rechtsnormen hinsichtlich des Schutzes vor der diskriminierenden Arbeitgeberkündigung innerhalb des Kündigungsschutzes durch die Schaffung einer theoretischen fundamentalen Basis mittels Hilfe der Untersuchung der Entwicklung, der Ziele und der Kritik des Antidiskriminierungs- und Kündigungsschutzrechts sowie durch Erkundung des arbeitsvölkerrechtlichen und supranationalen Rechts an. Ziel ist es letztendlich, ein Verständnis der Denkarten des Antidiskriminierungs- und Kündigungsschutzrechts zu erreichen und mit dessen Hilfe die Rechtsnormen im Hinblick auf ihre Eignung im Zusammenhang mit dieser theoretischen Grundlage in der Hoffnung auf das Schaffen eines umfassenderen Schutzes für Arbeitnehmer*innen zu untersuchen, die aufgrund ihrer Eigenschaft als Merkmalsträger*innen sich in gesellschaftlich benachteiligten Positionen befinden und demzufolge einen wirksamen Schutz vor einer diskriminierenden Kündigung brauchen.

←43 | 44→Sowohl über das Antidiskriminierungsrecht als auch über den Kündigungsschutz gibt es in Deutschland weitreichende Kommentarliteratur, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Kündigungsschutzgesetz zum Thema haben.9 Darüber hinaus ist die Problematik des § 2 Absatz 4 AGG in Monografien und zahlreichen Artikeln behandelt, darunter sind auch rechtsvergleichende Arbeiten, z. B. mit dem englischen oder italienischen Recht oder in Bezug auf das Unionsrecht, vorhanden.10 Ein Vergleich mit dem türkischen Recht im Hinblick auf das Verhältnis von Antidiskriminierungsrecht und Kündigungsschutzrecht findet sich bis jetzt aber nicht. Im türkischen Schrifttum sind ebenfalls Monografien und Artikel über den Diskriminierungsschutz und Kündigungsschutz zu finden.11 ←44 | 45→Das arbeitsrechtliche Antidiskriminierungsrecht gestaltet sich zurzeit als ein sehr begehrtes Thema der türkischen Arbeitsrechtliteratur. Kürzlich sind auch Monografien über das Gesetz über Menschenrechte und Gleichheitsinstitution der Türkei erschienen.12 Diskriminierende Kündigungen in der türkischen Literatur sind bis jetzt meistens im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen der diskriminierenden Kündigungen in den Artikeln behandelt.13 Eine Untersuchung des Themas der diskriminierenden Kündigung in seinem ganzen Umfang, auch einer rechtsvergleichenden Version, fehlt allerdings.

Das Thema des Verhältnisses von Antidiskriminierungsrecht und Kündigungsschutzrecht verliert darüber hinaus im Allgemeinen nie an Aktualität. Eine Untersuchung über dieses Thema ist vor allem eine Diskussion über das Verhältnis von bürgerlichen Menschenrechten und sozialen und ökonomischen Menschenrechten, und solange eine ausreichende Gewährleistung beider Arten von Menschenrechten nicht erreicht ist, bleibt es eines der grundsätzlichen Diskussions- und Konfliktthemen der Rechtswissenschaft. Des Weiteren beweist sich das Antidiskriminierungsrecht als ein sehr bewegtes, permanent zu entwickelndes Rechtsgebiet, das immer wieder neue Fragestellungen und Herausforderungen aufwirft.

In Bezug auf den Vergleich der nationalen deutschen und türkischen Rechtsordnungen hinsichtlich des Schutzes vor diskriminierenden Arbeitgeberkündigungen innerhalb des Kündigungsschutzes ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt geboten, das Thema zu untersuchen, weil es noch nie in deutsch-türkisch ←45 | 46→rechtsvergleichender Hinsicht Behandlung erfahren hat. Für das deutsche Schrifttum ist es von besonderer Bedeutung, die Wirkungen der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und der völkerrechtlichen Verträge auf die nationale türkische Rechtsordnung zu prüfen. Das türkische Schrifttum kann insbesondere von der deutschen Denkweise profitieren und die Arbeitsweise der langjährigen kündigungsschutzrechtlichen Tradition auf das arbeitsrechtliche Antidiskriminierungsrecht beobachten. Für die Leser anderer Rechtstraditionen ist es ebenfalls wertvoll, einen Vergleich der Rechtsordnungen Deutschlands und der Türkei in ihren Besonderheiten sowie in ihren Unterschieden und Ähnlichkeiten mit den anderen zu betrachten und somit neue Anregungen zu sammeln.

Seit Beginn des Jahres 2020 gewinnt das Thema des Verhältnisses des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts in Bezug auf den Schutz vor diskriminierenden Kündigungen vermehrt an Aktualität. Die Krise und die außergewöhnliche gesellschaftliche, politische, aber auch rechtliche Lage – verursacht durch die Pandemie der Coronavirus-Krankheit – verlangt ein Umdenken im Hinblick auf das Konzept von Diskriminierungsschutz und Kündigungsschutz im arbeitsrechtlichen Kontext sowie ebenso eine ausführliche Untersuchung der geltenden Rechtsnormen in Bezug auf ihre Eignung für die Post-Pandemie-Ära. Die Pandemie der Coronavirus-Krankheit und die dadurch verursachte Krise verschärfte die gesellschaftlichen Ungleichheiten und verschlechterte die Situation der am stärksten gefährdeten Gruppen, die meistens aufgrund der Merkmalsträgerschaft durch die allgemeinen Diskriminierungsverbote geschützt sind, in der Gesellschaft. Frauen als eine Merkmalsträgergruppe sind als Beispiel zu nehmen. Die Vereinten Nationen und weitere internationale Organisationen stellten im internationalen Kontext eine Repräsentanz von Frauen von 39 Prozent der weltweiten Gesamtbeschäftigung fest, allerdings sind sie bis jetzt durch einen Verlust aufgrund der Pandemie von 54 Prozent der gesamten Arbeitsplatzverluste betroffen.14 Außerdem sind es nach der vorläufigen Bewertung der Internationalen Arbeitsorganisation die feminisierten Sektoren, die wahrscheinlich am stärksten vom Verlust von Arbeitsplätzen als Ergebnis der Pandemie der Coronavirus-Krankheit betroffen sind.15 Im Falle einer Beendigung der Regulierungen der pandemiebedingten Kurzarbeit in Deutschland und in der Türkei sowie der Aufhebung des pandemiebedingten Kündigungsverbotes in der Türkei ←46 | 47→ist kurzfristig, aber vielleicht auch mittelfristig mit einer Entlassungswelle aufgrund der durch die Krise der Pandemie verursachten ökonomischen Rezession zu rechnen. Es besteht die Gefahr der Entlassung der Merkmalsträger aufgrund ihrer fragilen sozialen Lage als Erste. Es stellt sich die Frage nach der Reaktion der Gesellschaft nach der durch die Pandemie der Coronavirus-Krankheit verursachten Krise. Reichen die derzeitigen Schutzmechanismen aus, Merkmalsträger, die schon jetzt potenzielle Opfer von ungerechter Diskriminierung sind und unter fragilen gesellschaftlichen Positionen leiden, zu schützen? An welche Grundwerte halten sich Menschen in Konfliktfällen? Diese Arbeit kann mittels ihrer grundwertebasierten Untersuchung des Rechtsproblems zur Lösung dieser Fragen beitragen.

Der Zweck dieser Dissertationsschrift ist es demnach, einen Überblick zu geben über das Verhältnis von Antidiskriminierungsrecht und Kündigungsschutzrecht unter Berücksichtigung der fundamentalen Perspektive und des internationalen und supranationalen Arbeitsrechts; vor allem ist ein Vergleich zu ziehen zwischen dem deutschen und dem türkischen Recht hinsichtlich der Schnittpunkte dieser Rechtsgebiete, wozu eine diskriminierende Kündigung zu zählen ist. Der Vergleich der Rechtssysteme der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Türkei in Bezug auf das Antidiskriminierungs- und Kündigungsschutzrecht und ihre Wechselbeziehung stehen dabei im Mittelpunkt.


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§ 2 Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

Die vorliegende Dissertation thematisiert vor allem das Verhältnis des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des arbeitsrechtlichen allgemeinen Kündigungsschutzrechts. In Betracht zieht die Doktorarbeit im Wesentlichen die theoretischen Aspekte des Themas und beschäftigt sich mit den grundlegenden Fragen der Rechtsgebiete des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts in Bezug auf die Geschichte, Begrifsbestimmungen, Ziele sowie rechtfertigende und herausfordernde Theorien. Berücksichtigung findet ebenfalls das Verhältnis des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts aus der Perspektive des Völkerrechts und des supranationalen Rechts unter Berücksichtigung der Reflexion der theoretischen Debatten. Die Dissertationsschrift nimmt den Schutz des*der Arbeitnehmers*in vor der diskriminierenden Kündigung des*der Arbeitgebers*in innerhalb des Kündigungsschutzes im nationalen Recht als Objekt der Untersuchung und es findet ein Rechtsvergleich zwischen dem nationalen deutschen und dem türkischen Recht statt.

Die Arbeit beabsichtigt eine Bereicherung der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrecht-Literatur. Ausschließlich antidiskriminierungsrechtliche Vorschriften über das Arbeitsleben, insbesondere die an kündigungsschutzrechtliche Fragen angesichts des Arbeitsrechts anknüpfen, erfahren ihre Abhandlung in der Doktorarbeit. Andere, privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Regelungen des Antidiskriminierungsrechts wie auch sozialrechtliche Vorschriften sind nicht Gegenstand dieser Dissertationsschrift. Die Arbeit konzentriert sich ausschließlich auf den Schutz der Arbeitnehmer*innen im rechtlichen Sinne und verzichtet in ihrer Untersuchung auf die Behandlung in Bezug auf andere Beschäftigte.

Die Doktorarbeit richtet ihr Ziel auf das Problem der diskriminierenden Kündigung. Diskriminierung vor der Einstellung, am Arbeitsplatz und Belästigung als Diskriminierung sind demnach nicht Gegenstand dieser Dissertation und werden nur am Rande bearbeitet.

Die Arbeit erkennt die bahnbrechende Bedeutung des Konzepts der positiven Diskriminierung in der Geschichte des Diskriminierungsschutzrechts eben auch in der Rechtsgeschichte, erwähnt aber dieses Thema nur am Rande der Doktorschrift und handelt sie lediglich im Kontext der diskriminierenden Kündigung ab.

Die Dissertation untersucht darüber hinaus nur personenbedingte Diskriminierungsgründe. Die geschichtliche Entwicklung des Antidiskriminierungsrechts belegt ein Basieren des Diskriminierungsschutzes für personenbedingte Merkmale und andere – z. B. arbeitsvertraglich bezogene Merkmale – auf ←49 | 50→verschiedenen historischen Ereignissen und verschiedenen Rechtsgedanken. Somit thematisiert die Arbeit nur personenbedingte Merkmale, die sowohl in Deutschland als auch in der Türkei durch allgemeine Diskriminierungsverbote geschützt sind. Die vorliegende Doktorarbeit beschäftigt sich demnach nicht mit der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und den am Arbeitsvertrag anknüpfenden Diskriminierungsverboten sowie mit der Entgeltgleichheit. Des Weiteren limitiert die Dissertationsschrift die Diskussion über die Diskriminierungsmerkmale mit ihrem Bezug zum allgemeinen Kündigungsschutzrecht und im Kontext zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz. Weiterhin geht die Arbeit nicht ein auf detaillierte Fragen über den Mutterschutz oder den Schutz der Menschen mit Behinderungen, die mit der Zeit ihre eigenen Rechtsgebiete entwickelt haben, oder den Schutz von Schwangeren, vielmehr erfolgt eine Behandlung dieser Diskriminierungsgründe nur im Zusammenhang mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz.

Die Doktorschrift schafft eine Diskussion über den allgemeinen arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutz und das allgemeine Kündigungsschutzrecht. Außerordentliche Kündigungen, die auf dem Zusammenbrechen der Arbeitsvertragsverhältnisse aus wichtigem Grund basieren, und der besondere Kündigungsschutz, der auf den Schutz verschiedener Personengruppen abzielt, liegen außerhalb des Diskussionsbereiches der Dissertation, da sie grundlegende Unterschiede in Bezug auf ihr Ziel und Schutzgut haben, und finden deswegen nur am Rande hinsichtlich der Erreichung der Verständlichkeit des Dissertationsthemas Erwähnung. Massenentlassungen sind ebenfalls nicht Gegenstand der Doktorarbeit.

Mit dem Problem der diskriminierenden Arbeitnehmerkündigung setzt sich die vorliegende Arbeit nicht auseinander. Die Dissertation konzentriert sich nur auf die diskriminierende Arbeitgeberkündigung und den antidiskriminierungsrechtlichen und/oder kündigungsschutzrechtlichen Schutz dagegen.

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§ 3 Gang der Untersuchung

Die Dissertation besteht aus einer Einführung, drei Teilen und einem Fazit.

Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung zur Doktorschrift, die sowohl den Untersuchungsgegenstand der Schrift eingrenzt als auch den Gang der Untersuchung vorstellt.

Nach der Einführung gliedert sich die Dissertationsschrift in drei Teile. Der erste Teil widmet sich dem theoretischen Fundament der Untersuchung; diesbezüglich schildert er die theoretischen Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts anhand eines Vergleiches der beiden Rechtsgebiete. Der zweite Teil der Arbeit betrachtet die rechtlichen Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts nach dem internationalen und supranationalen Recht und deren Verbindung mit dem nationalen deutschen und türkischen Recht. Der dritte Teil setzt sich mit den nationalen rechtlichen Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts am Beispiel des praktischen Problems des Schutzes der Arbeitnehmer*innen vor einer diskriminierenden Kündigung der Arbeitgeber*innen innerhalb des Kündigungsschutzes im deutsch-türkischen Rechtsvergleich auseinander. Dabei verwendet die Arbeit eine Methode, die vom Allgemeinen auf das Besondere kommt. Die Doktorschrift beabsichtigt damit, zuerst die treibende Kräfte, die Grundwerte und die Funktionsweise der beiden Rechtsgebiete verständlich zu machen und erläutert die Reflexionen der allgemeinen Theorien des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts auf die internationalen, supranationalen Normen und hauptsächlich in Bezug auf besondere nationalrechtliche Fragestellungen hinsichtlich einer diskriminierenden Kündigung. Basierend darauf beleuchtet die Dissertation in den Ebenen der nationalen, internationalen und supranationalen rechtlichen Grundlagen, welche theoretischen Ansätze bei der Normsetzung in der Lage sind, die Übereinstimmung der nationalen Normen mit der allgemeinen Theorie des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts zu überprüfen. Da die Zielsetzung dieser Doktorarbeit sowohl einen Vergleich des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts als aber auch einen Vergleich der nationalen deutschen und türkischen Rechtssysteme beinhaltet, bietet sich zusätzlich die Verwendung der Methode des Rechtsvergleiches – verteilt über die gesamte Arbeit – an.

Der erste Teil der Dissertationsschrift, betitelt „Theoretisches Fundament. Antidiskriminierungsrecht vs. Kündigungsschutzrecht“, enthält drei Kapitel, namentlich „Antidiskriminierungsrecht“, „Kündigungsschutzrecht“ sowie „Antidiskriminierungsrecht vs. Kündigungsschutzrecht“, und befasst sich mit dem theoretischen Fundament der Doktorarbeit. Gegenstand der Untersuchung sind insbesondere das Antidiskriminierungsrecht und das Kündigungsschutzrecht. Die Untersuchung der beiden erfolgt in der gleichen Weise, um einen Vergleich der theoretischen Grundlagen dieser verschiedenen Rechtsgebiete zu ←51 | 52→ermöglichen sowie ihre Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der Rahmenbedingungen festzustellen. Somit folgt eine Behandlung der geschichtlichen Entwicklung des Antidiskrimierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts, um die Bedeutung eines derartigen Schutzes gegen Diskriminierung oder Kündigung zu verstehen und wie sich diese Schutzmechanismen mit der Zeit entwickelt haben. Eine Begriffsbestimmung mit der Klärung der Begriffe wie Diskriminierung, Antidiskriminierung oder Kündigung, Kündigungsschutz folgt, um zielgerichtet Verwechslungen zu vermeiden. Erläuterung finden danach rechtfertigende Theorien in Bezug auf die Frage, warum eine Diskriminierung gesellschaftlich unerwünscht ist, und die Frage, warum Arbeitnehmer*innen gegen ungerechte Kündigungen zu schützen sind, sowie die Frage um herausfordernde Theorien hinsichtlich der Kritik am Antidiskriminierungsrecht oder Kündigungsschutzrecht. In Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht erfolgt zusätzlich eine umfassende Schilderung der Ziele des Antidiskriminierungsrechts; parallel dazu findet eine Erläuterung des Schutzgutes des Kündigungsschutzes und in Verbindung damit die Frage nach dem Bestandsschutz oder die Abfindung im Hinblick auf das Kündigungsschutzrecht statt. Der erste Teil schließt mit einem Vergleich des Antidiskriminierungsrechts vs. des Kündigungsschutzrechts. Die Erarbeitung der weiteren Teile basieren auf der Grundlage der gefundenen Ergebnisse.

Der zweite Teil der Arbeit, betitelt „Rechtliche Grundlagen. Internationales und Supranationales Recht“, enthält zwei Kapitel, namentlich „Völkerrechtliche Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und Kündigungsschutzrechts“, sowie „Europarechtliche Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und Kündigungsschutzrechts“, und befasst sich mit der internationalen und supranationalrechtlichen Dimension der Dissertation. Das Kapitel beinhaltet eine Erklärung und Konkretisierung der völkerrechtlichen Grundlagen durch internationale Organisationen der Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation und des Europarats anhand einer abgeschlossenen Charta, Erklärung, eines Paktes, Übereinkommens, einer Konvention in Verbindung mit ihrer Bedeutung für das nationale deutsche und türkische Recht unter Berücksichtigung der theoretischen Aspekte. Die Untersuchung vollzieht sich geteilt nach Diskriminerungsschutz und Kündigungsschutz sowie mittels der Durchsetzungsmechanismen des angebotenen Schutzes mit dem Ziel der Ermöglichung eines Vergleiches, wie die völkerrechtlichen Verträge den Schutz gegen Diskriminierung und gegen Kündigung bewerten, und eruiert, ob verschiedene Schutzniveaus für den Diskriminierungsschutz und den Kündigungsschutz vorhanden sind. Nach der Behandlung der Doktorarbeit mit den völkerrechtlichen Grundlagen schließt sich eine Auseinandersetzung mit den europarechtlichen Grundlagen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für das deutsche und türkische Recht an. Dabei befasst sich die Arbeit zunächst mit dem Diskriminierungsschutz und danach mit dem Kündigungsschutz und behandelt eventuell vorhandene, verschiedene Schutzmechanismen und/oder verschiedene Niveaus des Schutzes gegen Diskriminierung oder Kündigung.

←52 | 53→Der dritte und umfangreichste Teil der Dissertation, betitelt „Nationales Recht. Schutz des*der Arbeitnehmers*in vor der diskriminierenden Kündigung des*der Arbeitsgebers*in nach deutschem und türkischem Recht“, enthält sechs Kapitel, namentlich „Nationale rechtliche Grundlagen des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts“, „Anwendungsbereiche des arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts und des allgemeinen Kündigungsschutzrechts nach deutschem und türkischem Recht“, „Schutz vor Diskriminierung nach dem allgemeinen Diskriminierungsschutz am Beispiel einer Kündigung“, „Schutz vor Kündigung nach dem Kündigungsschutzrecht am Beispiel einer diskriminierenden Kündigung“, „Rechtsschutz für eine diskriminierende Kündigung“ und „Rechtsfolgen einer diskriminierenden Kündigung“, und befasst sich mit dem Thema der diskriminierenden Kündigung und dem Schutz dagegen nach deutschem und türkischem Recht im rechtsvergleichenden Sinne. Das Ziel des dritten Teiles ist die Herausarbeitung der Unterschiede zwischen den Rechtslagen in Deutschland und in der Türkei in Bezug auf den Schutz vor einer diskriminierenden Kündigung sowie hinsichtlich der Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten der Rechtsordnungen. Zur Untersuchung gelangen die Fragen, wie und inwiefern die Rechtsordnungen einen Schutz vor einer diskriminierenden Kündigung bieten, wie es sich von einem anderen Rechtssystem unterscheidet und, vor allem, ob der gewährleistete Schutz nach dem nationalen deutschen und türkischen Recht mit den theoretischen Grundlagen des Antidiskriminierungsrechts und des Kündigungsschutzrechts vereinbar ist. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt nach jedem dargestellten Aspekt erst nach deutschem und danach nach türkischem Recht. Während der Darstellung dieses Teiles verwendet die Arbeit manchmal Daten von soziologischen Untersuchungen oder Statistiken, um die Gewichtung des Problems in der Gesellschaft und ihre Bedeutung für das gesellschaftliche Leben zu verdeutlichen. Die Doktorschrift präferiert dabei den Umfang der Darstellung des türkischen Rechts gegenüber dem deutschen Recht. Die Arbeit zielt vor allem auf deutschsprachige Leser; darüber hinaus hat das Thema in der deutschen Literatur bis jetzt eine wesentlich umfangreichere Behandlung erfahren. Die türkische Literatur lässt eine eingehende Untersuchung des Themas weitgehend noch vermissen. Außerdem soll die Dissertation für deutsche Leser inspirierend sein und es ihnen ermöglichen, andere Lösungswege zu den gleichen Problemen kennenzulernen.

Ein Fazit beschließt die Arbeit.

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Erster Teil. Theoretisches Fundament. Antidiskriminierungsrecht vs. Kündigungsschutzrecht

Der folgende Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Antidiskriminierungsrecht und Kündigungsschutzrecht. Der Teil gliedert sich in drei Kapitel. Den Beginn stellt das Thema Antidiskriminierungsrecht dar. Es folgt eine Diskussion zum Thema Kündigungsschutzrecht. Schließlich steht das Beleuchten des Verhältnisses dieser Rechtsgebiete an.

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§ 4 Antidiskriminierungsrecht

Dieser Teil beinhaltet die theoretischen Grundbausteine des Antidiskriminierungsrechts. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte des Antidiskriminierungsrechts findet eine Beschreibung des Begriffes Diskriminierung statt. Es schließt sich die Frage an, warum Diskriminierung in einer Gesellschaft unerwünscht ist. Nach einer ausführlichen Darstellung der Ziele des Antidiskriminierungsrechts folgt die Erwähnung der Kritikpunkte gegen das Antidiskrimienierungsrecht. Abschließend folgt eine Stellungnahme zum Thema des Antidiskriminierungsrechts.

A. Überblick über die Geschichte des Antidiskriminierungsrechts

In der ersten Ausgabe des von ihm herausgegebenen Buches Anti-Discrimination Law spricht McCrudden im Jahr 1991 von dem Antidiskriminierungsrecht als „a relatively recent phenomenon“.16 Das Antidiskriminierungsrecht ist vielleicht nach dreißig Jahren kein relativ neues Phänomen mehr, aber es gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die Wurzeln des Antidiskriminierungsrechts sind bis zur Aufklärung und zu den bürgerlichen Revolutionen in den Vereinigten Staaten und Frankreich zurückzuführen. Die Anerkennung des gleichen inneren moralischen Wertes jedes Menschen öffnete den Weg zur Gleichstellung aller Menschen ohne Unterschiede.17 Alle Mitglieder der menschlichen Gesellschaft sind mit einem innewohnenden moralischen Wert geboren. Da alle Menschen mit dem gleichen Wert gleich geboren sind, ist jede menschliche Persönlichkeit von gleichem Wert, es wohnen ihm*ihr auch die gleichen Rechte inne und sie sind vor dem Gesetz gleich.18 Diskriminierungen, welche die Wertgleichheit der Menschen verleugnen, sind moralisch verwerflich und sozial ungerecht.19 Aus diesem Grund haben alle ein Recht auf gleichen Schutz des Gesetzes gegen jede Diskriminierung.20

In Betracht zu ziehen sind demnach die Geschichte des Antidiskriminierungsrechts im Hinblick auf die völkerrechtliche Ebene, die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie andere Rechtsordnungen und das europäische Rechts-Regime. Abschließend folgt ein Zwischenergebnis.

←57 | 58→I. Völkerrechtliche Ebene

Auf der völkerrechtlichen Ebene fanden diese Ideen hinsichtlich der Würde und der Gleichheit der Menschen ihre Reflexionen. Die Erfahrungen mit den Weltkriegen bewegten die Nationen der Welt. Die Pflicht der Staaten zur Nichtdiskriminierung gegenüber ihren Bürgern findet bereits in der Charta der Vereinten Nationen (VN-Charta) aus dem Jahr 1945 ihren Platz.21 Die VN-Charta ist der Gründungsvertrag der Vereinten Nationen (VN), damit bekennen sich die Vereinten Nationen zu Zielen und Grundsätzen wie Gleichberechtigung oder Gerechtigkeit. Die Achtung vor den Menschenrechten und die Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache und der Religion setzten die Vereinten Nationen als eines ihrer Ziele (Art. 1 III VN-Charta).22 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) erkannte danach im Jahre 1948 den Schutz vor Diskriminierung als ein Menschenrecht an (Art. 2 I AEMR).23 Parallel dazu erklärte der Europarat 1950 in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), bei der Gewährung der in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten seien Diskriminierungen verboten (Art. 14 EMRK).24

Die internationale Community begann erst mit der aufkommenden Debatte zur Rassendiskriminierung, sich mit einzelnen Diskriminierungsmerkmale gründlich zu befassen. Auseinandersetzungen mit dem Kolonialismus und damit verbundenen Praktiken der Rassentrennung spielten eine Vorreiterrolle. Mit der Erklärung der VN-Generalversammlung im Jahr 1960 über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker verurteilten die Vereinten Nationen den Kolonialismus.25 1963 kam die Erklärung über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung zustande.26 Darauf folgte das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Antirassismuskonvention).27 Das ←58 | 59→Übereinkommen diente dem Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, der nationalen und ethnischen Herkunft. Es verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, ein Verbot der Rassendiskriminierung auch in der Privatwirtschaft zu schaffen, unter anderem für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, insbesondere das Recht auf Arbeit, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen, auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit, auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, auf gerechte und befriedigende Entlohnung (Art. 5 AntirassismusK). Bei der weltweiten Verbreitung des Antidiskriminierungsrechts spielte das Antirassismuskonvention eine wichtige Rolle.28

Details

Seiten
666
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631892565
ISBN (ePUB)
9783631892572
ISBN (Hardcover)
9783631882399
DOI
10.3726/b20335
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (April)
Schlagworte
Arbeitsschutzrecht in Deutschland und der Türkei Internationales Arbeitsrecht Vergleich der Rechtssysteme im Arbeitsrecht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 666 S.

Biographische Angaben

Ceren Kasım (Autor:in)

Ceren Kasım studierte Rechtswissenschaften an der Universität Ankara. Es folgte ein Masterstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie promovierte am Institut für Arbeitsrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.

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Titel: Antidiskriminierungsrecht versus Kündigungsschutzrecht
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