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Metafiktion in der erzählenden Kinder- und Jugendliteratur

Entwicklung, Formen und Funktionen

von Gianna Dicke (Autor:in)
©2023 Dissertation 380 Seiten

Zusammenfassung

Metafiktion ist ein in der Literaturwissenschaft seit den 1970-er Jahren immer wieder diskutiertes und untersuchtes Phänomen: Es bezeichnet die auf sehr unterschiedliche Weise erzeugte Hervorhebung der Fiktionalität eines literarischen Werkes durch das Werk selbst. Dieser Band widmet sich der Kategorisierung der Formen und Funktionen von Metafiktion mit besonderem Augenmerk auf erzählende Texte für Kinder und Jugendliche. Neben einer detaillierten Untersuchung aktueller Werke mit einer Übersicht zahlreicher Verfahren zur Erzeugung von Metafiktion liefert er auch eine Darstellung der historischen Entwicklung von Metafiktion in der Kinder- und Jugendliteratur.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Selbstreferenz und Metafiktion – theoretische Grundlagen
  • 1.1 Der Begriff Metafiktion
  • 1.1.1 Die Entwicklung des Begriffs „Metafiktion“
  • 1.1.2 Metafiktion und Fiktion – Bedeutung des Begriffs
  • 1.2 Das Konzept der Selbstreferenz
  • 1.3 Metafiktion als spezielle Form (Unterform) der Selbstreferenz
  • 1.4 Aktuelle Konzepte von Metafiktion − komplexe Ordnungssysteme
  • 2. Diskussion des Metafiktionsbegriffs in der Kinder- und Jugendliteratur – Definition, Einordnung und Tendenzen
  • 2.1 Forschungsüberblick
  • 2.2 Formen von Metafiktion und Verfahren zu ihrer Erzeugung – eine Kategorisierung
  • 2.3 Die narrative Metalepse – ein heterogenes metafiktionales Element
  • 2.4 Metafiktion und (nicht-)realistisches Erzählen in der Kinder- und Jugendliteratur
  • 2.4.1 Zum Verhältnis metafiktionaler und phantastischer Elemente in Erzähltexten der Kinder- und Jugendliteratur
  • 2.4.2 Zur Generierung von Metafiktion durch Nonsens und Groteskes
  • Exkurs: Metafiktion in der Fantasy- und phantastischen Literatur für Jugendliche – eine Bestandsaufnahme
  • 3. Funktionen von Metafiktion in der zeitgenössischen erzählenden Kinder – und Jugendliteratur – Analysen
  • Einleitung und Vorüberlegungen
  • Exkurs: Selbstreferenz und Metafiktion in erzählenden kinder- und jugendliterarischen Texten früherer Epochen
  • 3.1 Kinderliterarische Werke
  • 3.1.1 David Almond: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
  • 3.1.2 Phillip Ardagh: Eddie Dickens. Schlimmes Ende
  • 3.1.3 Martin Heckmanns: Konstantin im Wörterwald
  • 3.1.4 Nicola Huppertz: Die unglaubliche Geschichte von Wenzel
  • 3.1.5 Marjaleena Lembcke: Ein Märchen ist ein Märchen ist ein Märchen
  • 3.2. Ergebnisse: Kohärenz, Spannung und Illusionsbruch – Erzählfreude im postmodernen Spiel mit literarischen Konventionen
  • 3.3 Jugendliterarische Werke
  • 3.4 Ergebnisse: Der (Illusions)-Bruch als Metapher− Identitätssuche in einer ‚Welt als Text‘
  • 4. Fazit
  • 5. Literaturverzeichnis
  • Danksagung – Gianna Dicke
  • Reihenübersicht

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Einleitung

„Es ist eure Entscheidung. Wenn ihr die Geschichte schreiben würdet, was würde dann als Nächstes passieren?“ (Almond 2014, 242)

Mit diesen Worten beendet der Erzähler in David Almonds Kinderroman Der Junge, der mit den Piranhas schwamm seine Narration und übergibt sein Amt dem Leser1. Die in einer direkten Anrede formulierte Aufforderung impliziert aber noch mehr als das bloße Erzählen: Kommt der Leser dem Appell nach, so wird er seine Phantasie bemühen müssen, er muss die Geschichte weiterspinnen. Mit diesen beiden Schlusssätzen wird die Immersion zerstört und auf die Artifizialität und Fiktionalität der Geschichte hingewiesen. Gleichzeitig drückt der Erzähler ein Vertrauen, ein Zutrauen gegenüber dem Leser aus, den er anspricht: Du kannst das genauso gut wie ich, denn die eine wahre Version der Geschichte gibt es ohnehin nicht; es geht um die eigene Interpretation. Almonds Erzähler fordert den Leser zur aktiven Ko-Konstruktion der rezipierten Geschichte auf. Der Satz kann als impliziter Aufruf zu aktiver Selbstständigkeit gedeutet werden.

Metafiktion bedeutet genau das, nämlich die Fiktion als solche sichtbar zu machen, indem von einer Metaebene aus auf sie verwiesen wird. Thematisiert wird dabei implizit oder explizit immer die vermeintliche Dichotomie zwischen außerliterarischer Realität und Fiktion, Wahrheit und Lüge oder Wiedergabe (Abbildung) und Erfindung. Metafiktion findet man in allen Gattungen der Literatur ebenso wie in allen Künsten: der Malerei und dem Film, in der Architektur, in der Bildhauerei, d.h. überall dort, wo Fiktion eine Rolle spielt. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur gibt es Metafiktion und je nach Ausprägung bewirkt sie, dass der literarische Text als ästhetisches Kunstwerk mit Anspruch wahrgenommen wird, denn sie schafft Komplexität, fordert heraus, lädt dazu ein, in literarischen Texten mehr zu suchen als Unterhaltung und Entspannung. In der metafiktionalen Literatur für Kinder und Jugendliche geht es, so die These, um Emanzipation: Die Identifikationsfiguren der Texte entwickeln Eigenständigkeit und ringen damit den eigenen Weg zu finden. Der kindliche bzw. jugendliche Leser soll nicht belehrt werden, er erhält initiiert ←7 | 8→durch die metafiktionalen Elemente auf spielerische Art die Einladung zur Selbstreflexion.

Metafiktion kann so wirken, sie hält die beschriebenen Funktionen bereit, doch das heißt nicht, dass der Einsatz metafiktionaler Elemente diese Wirkung immer intendiert. Beispielsweise finden sich hinsichtlich der direkten Leseranrede, ein Verfahren zur Erzeugung von Metafiktion, auch gegenteilige Inanspruchnahmen, wie die Beteuerung von Authentizität. Aber nicht nur die Funktionen von Metafiktion sind mannigfaltig, sondern auch die textuellen Möglichkeiten Metafiktion zu erzeugen. Um einen Eindruck dieser Varietät zu vermitteln und das Vorhaben dieser Untersuchung vorstellbar zu machen, sollen einige Beispiele aus dem Analysekorpus der Arbeit dargelegt werden.

Neben direkten Leseranreden finden sich z.B. in David Almonds Roman zahlreiche transmediale Metalepsen, d.h. Abbildungen von Gegenständen und Bildern der erzählten Welt auf der Textoberfläche, die auf diese Weise die Grenze zwischen Histoire und Discours durchbrechen:

(Almond 2014, 27)

Ein solches Verfahren kann die Funktion der Authentifizierung des Erzählten erfüllen. Als Verweis auf solche Verfahren der Authentizitätsfiktion kann diese Form der Metalepse aber auch ironisch eingesetzt werden und auf diese Weise Metafiktion erzeugen. Das Beispiel zeigt, dass sich Metafiktion und Authentizitätsfiktion mitunter berühren; ein Verfahren kann beide Funktionen erfüllen, seine tatsächliche Wirkung hängt dann vom Kontext und Rezipienten ab.

Auch über die Form, z.B. mittels Typographie oder Layout der Buchseiten kann Metafiktion erzeugt werden. In besonderer Quantität und Eindrücklichkeit finden sich solche Verfahren bei David Levithan. In seinem Jugendroman ←8 | 9→Mein Bild sagt mehr als deine Worte fallen dem Leser immer wieder durchgestrichene Wörter, Sätze und teilweise sogar ganze Absätze auf: „Sie schaute mich irritiert an.“ (Levithan 2014, 88) Dadurch wird der Produktionsprozess des Textes vor Augen geführt und die ‚Gemachtheit‘ des Erzählten hervorgehoben.

Aiden Chambers’ Roman Worte sind nicht meine Sprache enthält immer wieder Reflexionen über das Schreiben. Der Erzähler, ein alternder und von einer Schreibblockade geplagter Schriftsteller, begegnet einem achtzehnjährigen jungen Mann, der durch seine Verliebtheit in eine Identitätskrise gestürzt wird. Der alte Mann versucht ihm zu helfen und zieht dabei immer wieder Bezüge zu seiner eigenen Berufung als Autor:

Auf alles Erwähnenswerte, das ich von mir gebe, bin ich irgendwo anders gestoßen – habe es gehört oder gelesen. (Chambers 2013, 237)

In Nikola Huppertz’ Kinderbuch Die unglaubliche Geschichte von Wenzel, dem Räuber Kawinski, Strupp und dem Suseldrusel verbringt ein Junge die Ferien bei seinem kauzigen Schriftsteller-Onkel, der an einem neuen Werk verzweifelt: Die Figuren aus den Erzählungen des Protagonisten und Schriftstellers erscheinen unerwartet im Haus desselben als handelnde Figuren der Extradiegese. (Huppertz 2014, 130 u.ö.) Es handelt sich dabei um einfache Metalepsen auf der Histoire-Ebene2. Das Durchbrechen der Ebenengrenzen irritiert und macht auf die Fiktionalität der Geschichte aufmerksam.

In Elizabeth Labans Jugendroman So wüst und schön sah ich noch keinen Tag dreht sich alles um die Tragödie: Der Protagonist behandelt das Thema im Englischunterricht und erkennt im Nachhinein die Parallelen zu seiner eigenen Geschichte. Der autodiegetisch erzählte Roman enthält entsprechend alle im Text angesprochenen Merkmale der Tragödie und reflektiert diese zugleich. Als Einzelreferenzen dienen vor allem die Tragödien von Shakespeare. Metafiktion wird erzeugt, indem der Text permanent auf seine eigene ‚Gemachtheit‘ verweist, und zwar dadurch, dass explizit gesagt wird, dass seine Gestaltung sich an der Poetologie der Tragödie orientiere. (LaBan 2016)

Tamara Bachs Roman Marienbilder ist aus der Perspektive der jugendlichen Protagonistin Mareike erzählt: Diese schildert an einem Bahnsteig sitzend mehrere Möglichkeiten dessen, was weiterhin geschehen könnte. Die Geschichten, die nacheinander erzählt werden, schließen sich also gegenseitig aus und ←9 | 10→auch innerhalb der einzelnen „Möglichkeiten“ finden sich häufig Widersprüche, die auf die ‚Erfundenheit‘ des Erzählten hindeuten.

Marianne hat es aus Liebe getan.

Sie hat es einmal getan, weil der Soldat ihr dafür Kaffee und Zigaretten versprochen hat, und er hat sein Versprechen gehalten.

Marianne hat es nicht aus Liebe getan. (Bach 2014, 89).

Die angeführten Beispiele zeigen nur einen kleinen Teil metafiktionaler Verfahren, die in kinder- wie jugendliterarischen Texten zur Anwendung gelangen können. Die detaillierten Analysen im Hauptteil dieser Arbeit liefern zahlreiche weitere Beispiele und machen die zuvor angestellten theoretischen Überlegungen anschaulich.

Gegenstand und Entwicklung

Metafiktion ist längst kein exotischer Begriff mehr: Seit seiner Entstehung sind mittlerweile sechs Jahrzehnte vergangen, in denen eine intensive wissenschaftliche Untersuchung stattgefunden hat. Dennoch gibt es bis heute bestenfalls einen Minimalkonsens darüber, was genau Metafiktion ist und wie sie sich in einem Werk manifestieren kann. Anfang der 1970er-Jahre fand der Begriff in einem Aufsatz des Autors William H. Gass zum ersten Mal Erwähnung (Gass 1971), wurde dann durch den amerikanischen Literaturwissenschaftler Robert Scholes aufgegriffen und etabliert (vgl. Scholes 1979). Die daran anknüpfende frühe Phase der Metafiktionsforschung war geprägt von einer beschreibenden Annäherung an das Phänomen bzw. seiner Manifestation in Werken der zeitgenössischen erzählenden Literatur. Interpretiert und definiert wurde Metafiktion unter Rückgriff auf philosophische, insbesondere epistemologische Theorien wie den Skeptizismus: Die Funktion von Metafiktion, die Möglichkeit realitätsgetreuer Darstellungsweisen in Frage zu stellen, stand in dieser Phase der Forschung im Mittelpunkt. Über die folgenden Jahrzehnte hinweg fand eine strukturalistisch-erzähltheoretische Analyse des Phänomens statt mit dem Bemühen um eine Systematisierung und trennscharfe Abgrenzung zu ähnlichen Phänomenen bzw. synonym gebrauchten Begriffen. Neben Linda Hutcheon in den 1980er-Jahren leistet Werner Wolf in den 1990er-Jahren einen zentralen Beitrag zur Erforschung von Metafiktion in der Literatur. (Hutcheon 1984 und Wolf 1993) Obwohl der Begriff mittlerweile viel gebraucht wird, ja beinahe als populär zu bezeichnen ist, und sich die Forschung auch auf andere Genres und Medien wie Film, Comic (Gonzales 2014), Bilderbuch (Rabus 2017) und Computerspiele (Nowotny / Reidy 2017) ausgedehnt hat, ist immer noch ←10 | 11→keine einheitliche Verwendung feststellbar. Häufig wird der Begriff sehr weit gefasst und lediglich durch seine zentrale Funktion, das Ausstellen der Fiktionalität definiert.

Eine handhabbare, funktionale und logisch nachvollziehbare Kategorisierung der Verfahren zur Erzeugung von Metafiktion bzw. ihrer terminologischen Fassung im einzelnen Werk haben sich Werner Wolf (Wolf 1993) und jüngst Ilona Mader (Mader 2017) zur Aufgabe gemacht. Ihre Ansätze stellen eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung eines Analyseinstrumentariums von Metafiktion speziell in der Kinder- und Jugendliteratur dar.

Ab den 1990er-Jahren findet Metafiktion auch im Rahmen der Kinder- und Jugendliteraturforschung Beachtung. Vereinzelte Beiträge in Sammelbänden und Zeitschriften setzen sich mit dem Phänomen in literarischen Werken für Kinder und Jugendliche auseinander. Im Fokus stehen dabei zunächst der Nachweis metafiktionaler Elemente sowie später auch funktionale Aspekte vor dem Hintergrund der Spezifik des literarischen Subsystems Kinder- und Jugendliteratur.3 Eine umfassende Studie der Ausprägungen bzw. Formen und Erzeugungsweisen von Metafiktion innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur sowie ihrer Funktionen steht allerdings noch aus. Ein weiteres Desiderat der Forschung stellt die diachrone Untersuchung des Phänomens innerhalb der Literatur für Kinder und Jugendliche dar sowie die separate und konfrontierende Betrachtung metafiktionaler Elemente in der Kinderliteratur einerseits und der Jugendliteratur andererseits.

Das Interesse an der Erforschung von metafiktionalen Elementen innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur geht einher mit Veränderungen innerhalb des literarisch-ästhetischen Systems Kinder- und Jugendliteratur seit den späten 1990er-Jahren. Diese Entwicklung betrifft zwar nur einen Teil der Werke, diese werden jedoch sowohl von der Literaturkritik wahrgenommen als auch von einem breiteren Publikum rezipiert. Zu nennen sind hier exemplarisch die Kinderbuchreihen von Philip Ardagh (Deutscher Jugendliteraturpreis 2003 für Schlimmes Ende) oder Lemony Snicket (Eine Reihe betrüblicher Ereignisse (ab 1999) wurde bereits als Spielfilm [2004] adaptiert sowie in einer Netflix-Serie [2017–2019]), der Roman Die Bücherdiebin (2005) von Markus Zusak (Preisträger Deutscher Jugendliteraturpreis 2009), Busfahrt mit Kuhn (2004, nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2005) und andere Werke von Tamara Bach, Die Kurzhosengang von Zoran Drvenkar (2004, Preisträger Deutscher ←11 | 12→Jugendliteraturpreis 2005), Eine wie Alaska von John Green (2007, nominiert für den deutschen Jugendliteraturpreis 2008).

Bereits in einem im Jahr 2000 erschienenen Beitrag konstatiert Dieter Wrobel, „ästhetische und narrative Ansätze aus der Erwachsenenliteratur“ (Wrobel 2000, 6) erhielten mehr und mehr Einzug in die Kinder- und Jugendliteratur; an anderer Stelle spricht er sogar von „Verfahren postmodernen Erzählens“ (ebd.). Einen erklärenden Zusammenhang sieht er in dem Trend der sogenannten „All-Age-Literatur“4. Um den unterschiedlichen Adressatengruppen gerecht zu werden, müssten unterschiedliche Leseanreize und Zugänge geboten werden (vgl. ebd., 4), welche nur durch innovatives Erzählen geschaffen werden könnten (vgl. ebd., 6). Auch Christian Bittner spricht in seiner 2012 erschienenen Dissertation von einer Differenzierung der Erzählverfahren innerhalb der Jugendliteratur und erwähnt exemplarisch psychologische Erzählverfahren, Spiel mit den Zeitebenen und einen komplexen Aufbau der Erzählungen. (Bittner 2012, 107) Lena Hoffmann schließlich identifiziert in ihrer Untersuchung über das Phänomen Mehrfachadressierung (2018) Metafiktion als ein Verfahren, das Crossover-Literatur auszeichnet. Strukturelle Gemeinsamkeiten, welche diese Gruppe von Texten so erfolgreich machten, seien: „Genrehybridität, Metaisierung, das Spiel mit unterschiedlichen Wissenshintergründen und die Gleichzeitigkeit einer kindlichen bzw. jugendlichen und erwachsenen Perspektive.“ (Hoffmann 2018, 355) Metafiktion wird also zum einen immer wieder mit Mehrfachadressierung, zum anderen aber auch mit ästhetischem Anspruch und Komplexität in Verbindung gebracht. Sie spielt, so zeigt der Blick in die Forschungsliteratur, auch in einem Teil der neuesten (d.h. seit 2000 erschienen) Kinder- und Jugendliteratur eine zentrale Rolle. Da sich, abgesehen von einigen Beiträgen und Aufsätzen5 noch keine Studie findet, die dem Phänomen in all seinen Facetten systematisch und kategorisierend auf den Grund geht, widmet sich die vorliegende Arbeit diesem Ziel, ohne dabei aber die Frage, ob die einzelnen Texte der Crossover-Literatur zuzurechnen sind, in den Vordergrund zu stellen. Es wird davon ausgegangen, dass die Texte zumindest teilweise mehrfachadressiert sind und von unterschiedlichen Lesern auf unterschiedlichen Ebenen rezipiert werden (können).

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Forschungsziele

Mit Blick auf die genannten Desiderate der Forschung stellt ein erstes Ziel der vorliegenden Untersuchung die Entwicklung eines Analyseinstrumentariums dar, das der differenzierten Untersuchung von Ausprägung und Funktion von Metafiktion in Werken der erzählenden Kinder- und Jugendliteratur dient. Zu diesem Zweck gilt es zunächst die begrifflichen Unschärfen, die sich aus der synonymen Verwendung unterschiedlicher Begriffe für das gleiche oder ähnliche Phänomene ergeben, aufzulösen und durch definierte Termini zu ersetzen, die eine eindeutige Abgrenzung voneinander ermöglichen. Weiterhin gilt es, die Besonderheiten des Phänomens des hier in Rede stehenden Kontextes zu erfassen: Wie erscheint Metafiktion in der aktuellen, d.h. nach 2000 erschienenen Literatur für Kinder und Jugendliche?

In diesem Zusammenhang sollen Wechselwirkungen und gegenseitige Bedingtheiten zwischen der Manifestation von Metafiktion in den Werken und den Merkmalen des literarisch-ästhetischen Subsystems herausgearbeitet werden. So bleibt eine Auseinandersetzung mit der Frage nach didaktischen Implikationen nicht aus, da didaktische Funktionen traditionell innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur eine bedeutende Rolle spielen. Weiterhin soll das Verhältnis zwischen Metafiktion und Phantastik (im weiteren Sinne) in den Blick genommen werden, da insbesondere in der Kinderliteratur diesbezüglich eine hohe Korrelation zu beobachten ist. In diesem Punkt zeigt sich besonders deutlich, was auch in anderer Hinsicht geboten erscheint: eine separate Betrachtung von Metafiktion in der Literatur für Kinder einerseits und für Jugendliche andererseits. Die unterschiedliche Adressierung der Werke geht mit einer differenten inhaltlichen und formalen Gestaltung einher, welche, so die These, sich auch in Ausprägung und Funktion von Metafiktion niederschlägt. Ein Vergleich von Metafiktion in der Kinderliteratur mit Metafiktion in der Jugendliteratur steht jedoch noch aus und soll daher ebenfalls in den Blick genommen werden. Um möglichen Entwicklungslinien nachzuspüren, ist ein Blick in ältere Texte angezeigt. Die diachrone Betrachtung des Gegenstandes dient dazu, zu eruieren, ob Metafiktion bereits in Werken früherer Epochen zu finden ist und ggf. deren Form und Funktion zu ermitteln.

Textauswahl, Methode und Aufbau

Um die genannten Ziele zu erreichen, werde ich mich der strukturalistisch ausgerichteten Methode der narratologischen Analyse bedienen. Es handelt sich demnach formal um eine analytische Untersuchung, die keinerlei Anspruch ←13 | 14→auf empirische Erkenntnisse legen kann. Nachgegangen wird der Frage, wie sich Metafiktion im Text (speziell jenen Texten, die der Kinder- bzw. Jugendliteratur zugerechnet werden) zeigt. Weiterhin werden Funktionen im Sinne von potentiellen Wirkungen abgeleitet. Über die tatsächliche Wirkung von Metafiktion außerhalb der Texte kann diese Untersuchung keine Auskunft geben, da es sich nicht um eine empirische Studie der Rezeption handelt. Obwohl die Frage nach dem Didaktischen im Kontext der Beschäftigung mit Kinder- sowie Jugendliteratur häufig eine Rolle spielt, ist es auch nicht Ziel dieser Arbeit, konkrete didaktische Modelle hinsichtlich des Forschungsgegenstandes zu entwickeln. Dennoch soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Metafiktion auch eine didaktische Funktion erfüllen kann. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass diese Arbeit auf die Untersuchung von Bilderbüchern verzichtet. Dies hat in erster Linie ökonomische Gründe: Durch das Medium Bild sind weitere Möglichkeiten zur Erzeugung von Metafiktion gegebenen, deren Erforschung eines abweichenden Analyseinstrumentariums sowie weiterer bildtheoretischer Auseinandersetzungen bedürfte, was den Rahmen dieser Studie sprengen würde.6

Details

Seiten
380
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631892725
ISBN (ePUB)
9783631892732
ISBN (Hardcover)
9783631892718
DOI
10.3726/b20465
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Februar)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 380 S., 6 farb. Abb., 13 S/W-Abb., 32 Tab.

Biographische Angaben

Gianna Dicke (Autor:in)

Gianna Dicke studierte Lehramt an der Universität zu Köln. Sie promovierte an der dortigen Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung (ALEKI). Derzeit ist sie Lehrerin für Deutsch und Ethik/Philosophie an einem Gymnasium in Berlin.

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