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Das Spiel mit der Zeit in portugiesischsprachigen Literatur- und Filmtexten: Zwischen Erinnern und Vorhersagen / O truque do tempo em literaturas e filmes de língua portuguesa: Entre lembrar e prever

von Hans Fernández (Band-Herausgeber:in) Kathrin Sartingen (Band-Herausgeber:in)
©2023 Sammelband 164 Seiten

Zusammenfassung

O ser humano sempre foi fascinado pela temporalidade e criou ficções sobre o tempo que lhe permitiram refletir sobre seu presente, seu passado ou imaginar o futuro. No mundo lusófono, em contextos históricos marcados pela colonialidade, violência ou trauma, a ficção literária e cinematográfica que os põe em cena desordena o tempo linear devido à complexidade de representação que implicam, e surgem desajustes temporais. Desta forma, e tendo como pano de fundo o conceito de destempo, as contribuições reunidas na presente coletânea refletem sobre diferentes representações do tempo, bem como sobre as camadas, entrecruzamentos e rupturas das temporalidades em textos literários e cinematográficos em língua portuguesa.
Der Mensch war schon immer von der Zeitlichkeit fasziniert und hat Fiktionen über die Zeit geschaffen, die es ihm ermöglichten, über seine Gegenwart oder Vergangenheit nachzudenken bzw. die Zukunft zu imaginieren. In der portugiesischsprachigen Welt, in historischen Kontexten also, die von Kolonialität, Gewalt und Trauma geprägt sind, bringen die literarischen und filmischen Fiktionen, die diese Kontexte in Szene setzen, die lineare Zeit aufgrund der komplexen Darstellungsformen durcheinander; sie lösen sie nachgerade auf und es kommt zu zeitlichen Verwerfungen und Verschmelzungen. Vor dem Hintergrund des Konzepts des destempo reflektieren die in diesem Band versammelten Beiträge unterschiedliche Repräsentationen von Zeit sowie die zahlreichen Schichten, Überschneidungen und Brüche von Zeitlichkeiten in portugiesischsprachigen literarischen und filmischen Texten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Índice
  • O destempo na ficção – Das Spiel mit der Zeit in portugiesischsprachigen Literaturen und Filmen
  • Como narrar o tempo – Reflexões da escritora brasileira Noemi Jaffe
  • Zwischenwelten: Jüdische Erinnerungsräume in Desterro. Memórias em ruínas von Luis Krausz
  • O passado que não passou: O teatro português como palco de memórias
  • Narrativa de família: memória e fotografia em Luz Obscura de Susana de Sousa Dias
  • Profecia literária entre memória e previsão no conto “O Enforcado” de Adriana Lisboa
  • Verschlingen, Verdauen, Vergegenwärtigen – Kannibalistische Historiophotie in Nelson Pereira dos Santos’ Como era gostoso o meu francês
  • Temporalidades divergentes no cinema brasileiro contemporâneo: racismo e violência em Menino 23 e Bacurau
  • Requiem pelo feminicídio: corpos violentados em Mulheres empilhadas de Patrícia Melo
  • Bufo & Spallanzani de Rubem Fonseca: sobre a metaforização mútua da investigação policial e metaromance
  • Sobre autoras e autores
  • Reihenübersicht

Kathrin Sartingen / Hans Fernández

O destempo na ficção – Das Spiel mit der Zeit in portugiesischsprachigen Literaturen und Filmen

Ai, esta terra ainda vai cumprir seu ideal

Ainda vai tornar-se um imenso Portugal.

Ai, esta terra ainda vai cumprir seu ideal

Ainda vai tornar-se um Império Colonial.

(Chico Buarque, Fado Tropical, 1973)

Die Zeitlichkeit, die Zeit, das Geborenwerden, das Aufwachsen, das Altern, das Sterben, der Blick zurück und der Blick in die Zukunft bilden wesentliche Bestandteile der menschlichen Erfahrung und der Entfaltung der Existenz des Menschen in der Welt. Der Mensch bewohnt die Zeit und wird gleichzeitig von der Zeit bewohnt. Die Geschichte und damit auch die historischen Ereignisse erschüttern bisweilen das menschliche Bewusstsein und prägen es durch die Erfahrung der Zeitlichkeit.

Die Zeit hat schon immer die Vorstellungskraft des Menschen angeregt, was sich in Geschichten über und in der Bewegung durch die Zeit (die nicht selten dadurch zum Raum wird) niederschlägt, die sich ihrerseits in ästhetischen Manifestationen wie Literatur und Film ausdrücken. In den literarischen und filmischen Medien finden sich in allen Kulturen Inszenierungen, die sich den Fragen stellen, wie die Vergangenheit war, wie man die Zukunft imaginiert, wie Reisen durch die Zeit aussehen könnten oder inwiefern Verschmelzungen von Zukunft und Vergangenheit vorstellbar sind.

Unsere aktuelle Epoche – das 21. Jahrhundert, aber bereits ebenso das 20. Jahrhundert – ist von gesellschaftlichen Umbrüchen und Diskontinuitäten gezeichnet. Totalitäre Regimes, Diktaturen, Kriege, Epidemien und Pandemien, Genozide und (Zwangs-)Migration prägen nicht nur das (post-)moderne Subjekt, sondern sind auch in ästhetischen Produktionen und Artefakten, in denen sie reflektiert werden, allgegenwärtig. Sie wirken nachdrücklich in die zeitgenössischen Literaturen und Filme der portugiesischsprachigen Welt hinein (cf. Cunha 2003, Alarcon Vaz / Baumgarten / Ferreira Cury 2006, Vieira 2011, Morettin / Napolitano 2018).

Literarische Texte und Filme basieren häufig auf individuellen und kollektiven Erinnerungen, Aufarbeitungen und Neukonstruktionen durch die handelnden Figuren. Auf diese Weise fungieren sie als Speichermedien des kulturellen bzw. kollektiven Gedächtnisses (cf. Assmann 2006, Erll 2011, Erll / Nünning 2010, Erll / Wodianka 2008). Durch die Vergegenwärtigung von Vergangenheit bzw. die Aufarbeitung vergangener Zeitebenen leisten Literatur und Film fiktionale Zeit-Arbeit: Sie schlagen eine Brücke zwischen den Zeit-Räumen, machen generationenübergreifende (Familien-) Geschichten sichtbar und tragen so zur „Wahrerhaltung der Erinnerungen“ (Assmann 2006, S. 247) bei. Ähnlich verhält sich die Fiktionalisierung von Zukunft: Durch das Vorausdeuten und Vorhersagen von potenziellen Zukunftsverläufen begeben sich die Figuren in narrative Möglichkeitsräume, die ihnen verschiedene Optionen von zukünftigen Handlungen und Ereignissen suggerieren. Indem mit dem Faktor Voraus-Schau als strukturierendem Element, als Möglichkeit, Utopie oder gar Chronotopos gehandelt wird, werden gegenwärtige Lebensphasen, Traumata und Schwellensituationen, aber auch Träume und Sehnsüchte in ein Wechselspiel der überlappenden Zeitlichkeiten zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gebracht.

Der vorliegende Band diskutiert, inwiefern Erinnerungen und deren Aufarbeitung ebenso wie Zukunftsvorhersagen und deren Medialisierung im Zuge einer fiktionalen Inszenierung als Katalysatoren für die Konstitution eines „Dritten Zeit-Raumes“, einer Art „Überzeitlichkeit“ oder sogar „Un-Zeit“ fungieren. Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, dass Erinnerungen und Vorausdeutungen in Literatur und Film einen imaginären Zeit-Raum konstruieren, in dem die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen dem Gewesenen, dem Gegenwärtigen und dem Zukünftigen, fließend sind. Die (oft traumatische) Vergangenheit ist unabgeschlossen, wirkt in die Gegenwart, ebenso in die Zukunft, und eröffnet so neue Bedeutungsmöglichkeiten hinsichtlich der Interdependenz bzw. Verflechtung von Raum, Zeit, Erinnerung und Zukunft. Dabei stellt sich die Frage, wie Literatur und Film diesen „Dritten Zeit-Raum“ inszenieren – mit welchen narrativen, formalen und ästhetischen Verfahren werden „memória“ und „pos-memória“ (Hirsch 2012), Vorhersagen und Zukunftsvisionen konstruiert? Welche Funktionen haben Erinnerungen, Träume, Halluzinationen, Delirien, aber auch archivierende Intermedien, Rückblenden und Zeitreisen in portugiesischsprachigen Filmen und Literaturen? Dieselbe Frage lässt sich bezüglich der Instrumentalisierung und Narrativisierung von Prophezeiungen, Vorhersagen und Vorausdeutungen stellen: Welcher „Zeit-Raum“ entsteht durch den Blick in die Zukunft und was macht dieser mit den gewohnten „Zeitlichkeiten“? Wo stoßen die Vergangenheits- und Zukunftskonstruktionen an ihre Grenzen, wo eröffnen sich Leerstellen und Gedächtnislücken und welche Formen der Zeugenschaft zeichnen sich ab?

Ausgehend von der These, dass Erinnern und Prophezeien dynamische Prozesse sind, die ein ständiges Umcodieren und Übersetzen (Assmann 2006, S. 124) fordern, soll zudem die Frage nach der Prozesshaftigkeit, Ereignishaftigkeit, Darstellbarkeit und Wahrhaftigkeit von Erinnerungen und Vorhersagen sowie der Inszenierungsmöglichkeiten von Zeit zwischen Erinnern und Vorausdeuten in den portugiesischsprachigen Literatur- und Filmlandschaften debattiert werden. Die „Dritte Zeit“, in der die Grenzen zwischen Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart fließend sind, wirft nicht zuletzt die Frage nach der literarischen und filmischen Inszenierung von Gegenwart und nach Gegenwartskonzepten in Literatur und Film im Allgemeinen auf und stellt somit die klassische Dreiteilung von Zeit infrage.

Die Überlegungen zur fiktionalen Zeitlichkeit, zur „Dritten Zeit“, „Über-Zeit“ oder auch „Un-Zeit“ erlauben uns, einen begrifflichen Rahmen für die hier versammelten Aufsätze zu konstruieren, mit dem wir nicht nur auf zeitliche Unstimmigkeiten, Verstellungen oder Dissonanzen innerhalb der Texte – die bei der Lektüre möglicherweise häufig sogar störend, unbequem oder sogar unangebracht wirken – verweisen. Vielmehr helfen uns diese Begriffe, einmal mehr die besondere Fähigkeit von fiktionalen – hier insbesondere literarischen und filmischen – Texten herauszustellen, auf andere Temporalitäten jenseits der Gegenwart zurückzugreifen, sie zu vermischen und zu überlagern, um gewaltsame oder traumatische Ereignisse in Vergangenheit und Zukunft (!) darzustellen, die eine lineare und kontinuierliche Narrativisierung verhindern.

Auf diese Weise entstehen Zeit- und Temporalitätenkreuzungen, die in den literarischen bzw. filmischen Fiktionen repräsentiert werden. Für diese Phänomene schlagen wir den Begriff destempo vor, in Anlehnung an das Konzept der „dysnarration“ von Alain Robbe-Grillet (zit. nach Álvarez López / Martin 2018, S. 156). Während das dysnarrative Verfahren die traditionelle Erzählstruktur auflöst, ohne ganz auf sie zu verzichten (cf. Vanoye 1989),1 begreifen wir mit destempo die Auflösung der drei getrennt voneinander bestehenden Zeitebenen hin zu ihrer gegenseitigen Überblendung und Vermengung. Der so geschaffene hybride Zeit-Raum geht von einem temporalen Kontinuum aus, das die wechselseitige Beeinflussung der verschiedenen Zeitlichkeiten in den Vordergrund stellt, ohne das Konzept der Zeit als solche ganz in Frage zu stellen.

Der Band vereint somit Beiträge, die die genannten Fragestellungen und Ideenlinien aus einer literatur-, medien-, und kulturwissenschaftlichen Perspektive in Bezug auf portugiesischsprachige Filme und Literatur reflektieren und beleuchten. So thematisieren die Artikel ästhetische Repräsentationen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft sowie die zeitliche Überlagerung und Schaffung in einem Kontinuum des destempo, indem sie komplexe Subjekt- und Machtverhältnisse verweben zwischen der achtsamen (Anwesenheit in der) Gegenwart, dem Erinnern des Vergangenen sowie dem Vorhersehen bzw. dem Imaginieren möglicher Zukünfte, seien es Utopien oder dystopische Zukünfte (porvires). Auf diese Weise entstehen Zeitschichten, Zeitplateaus und zeitliche Rhizomatisierungen, die sich einer deutlichen Abgrenzung oder Determinierung verweigern.

Es wird sich herausstellen, dass diese narrativen Rhizomatisierungen der Zeitebenen in zahlreichen Texten geradezu notwendig scheinen, vor allem, wenn es sich um traumatische Ereignisse und Erinnerungen handelt (cf. Assmann 2006). Gerade in traumatischen Zusammenhängen wie dem Holocaust oder dem Kontext von (Post)Kolonialität und Kolonialkriegen dienen die Aufarbeitungsszenarien, die die Vergangenheit vergegenwärtigen und sie damit nachgerade „zeitlos“ werden lassen, dazu, die individuellen Traumata zu verarbeiten, sie kollektiv und damit sichtbar werden zu lassen. Diese Tatsache trifft im Grunde auf alle Gewaltszenarien zu, beispielsweise auf kriminelle urbane Kontexte, ungleiche, hierarchische Machtgefüge, letztlich auf gewalttätige Übergriffe jedweder Art.

In diesem Sinne zeichnen sich in den Artikeln zwei große thematische Blöcke ab, die es uns ermöglichen zu verstehen, wie sich die zeitlichen Beziehungen in den literarischen oder filmischen Texten, die Gegenstand der Analyse sind, narrativ entfalten:

Details

Seiten
164
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631886359
ISBN (ePUB)
9783631886366
ISBN (Hardcover)
9783631886342
DOI
10.3726/b20025
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Juli)
Schlagworte
Temporal Portuguese literature Trick of Time
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 164 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Hans Fernández (Band-Herausgeber:in) Kathrin Sartingen (Band-Herausgeber:in)

Kathrin Sartingen é professora titular de literaturas, culturas e mídias em língua portuguesa e espanhola (com enfoque especial em América Latina e África) no Instituto de Línguas e Literaturas Românicas da Universidade de Viena. Kathrin Sartingen ist Universitätsprofessorin für portugiesisch- und spanischsprachige Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft (mit einem Schwerpunkt auf Lateinamerika und Afrika) am Institut für Romanistik der Universität Wien. Hans Fernández é romanista e professor de literaturas românicas na Universidade Humboldt de Berlim (FONTE-Stiftungsgastprofessur). Possui habilitação pela Universidade Karl-Franzens de Graz, doutorado pela Universidade Humboldt de Berlim e graduação pela Universidade de Concepción. Hans Fernández ist Romanist und Gastprofessor für Romanische Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat an der Karl-Franzens Universität Graz habilitiert, an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert und an der Universidad de Concepción studiert.

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