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Überzeugungen zu Sprachbildung als Professionalisierungsfacette des betrieblichen Bildungspersonals

Untersuchung im betrieblichen GaLaBau-Kontext und im Ehrenamt

von Milena Minova (Autor:in)
©2023 Dissertation 528 Seiten

Zusammenfassung

Bei der Integration von Arbeits- und Lernprozessen in der beruflichen Bildung sind Ausbilderinnen und Ausbilder mit stetig steigenden Herausforderungen konfrontiert. Folglich rückt ihre Qualifizierung immer stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses. Der Band nimmt mit Überzeugungen zu Sprachbildung eine der Kompetenzfacetten des betrieblichen Ausbildungspersonals in den Blick. Zugrunde liegen problemzentrierte Interviews im Bereich Garten- und Landschaftsbau und im Rahmen ehrenamtlicher Ausbildungspatenschaften. Mittels qualitativer Inhaltsanalyse werden die Überzeugungen der interviewten Ausbilderinnen und Ausbilder zu Sprachbildung rekonstruiert und in sieben Gegenstandsbereichen zusammengefasst. Der Band zeigt Potenziale zur Stärkung der Position der Sprachbildung in der Berufsbildungspraxis auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1 Einführung
  • 1.1 Motivation
  • 1.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit
  • 2 Berufsbildungssystem: Struktur und Aufbau
  • 2.1 Ausbildungsmarkt und ausbildungsinteressierte Personen
  • 2.2 Übergangsbereich
  • 2.2.1 Vielfalt an Anschlussperspektiven
  • 2.2.2 Berufsorientierungsmaßnahmen in der Sekundarstufe I
  • 2.2.3 Maßnahmen des Übergangssektors in der Sekundarstufe II
  • 2.2.4 Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Berufsorientierung und berufsbezogenen Deutschsprachförderung
  • 2.3 Schulische Berufsausbildung
  • 2.4 Duale (betriebliche) Berufsausbildung
  • 2.5 Umschulungsstätten
  • 3 Die berufliche Bildung im Spannungsfeld sprachlicher und fachlicher Kompetenzen
  • 3.1 Stellenwert der Sprachkompetenz für die berufliche Handlungsfähigkeit
  • 3.2 Sprachkompetenz als Teil der Ausbildungsreife
  • 3.3 Sprachlich-kommunikative Anforderungen in der beruflichen Bildung
  • 3.3.1 Rahmenbedingungen der Erfassung sprachlich-kommunikativer Anforderungen
  • 3.3.2 Textkompetenz
  • 3.3.2.1 Definition und Stellenwert
  • 3.3.2.2 Anforderungen an die Lesekompetenz
  • 3.3.2.3 Anforderungen an die Schreibkompetenz
  • 3.3.3 Gesprächskompetenz
  • 3.3.3.1 Definition und Stellenwert
  • 3.3.3.2 Anforderungen an die Gesprächskompetenz
  • 3.4 Gestaltungsprinzipien einer sprachsensiblen Didaktik in der beruflichen Bildung
  • 4 Akteure in der beruflichen Bildung: Qualifikation und Zuständigkeit hinsichtlich Sprachbildung
  • 4.1 Betriebliches Bildungspersonal
  • 4.1.1 Kompetenzprofil der Ausbilder nach AEVO
  • 4.1.2 „Qualifizierungstreppe“ für Weiter- und Ausbilder
  • 4.1.3 Zuständigkeit und Professionalisierung von Ausbildern hinsichtlich Sprachbildung
  • 4.2 Bürgerschaftliches Engagement: Ausbildungspaten
  • 4.2.1 Entstehung von Ausbildungspatenschaften
  • 4.2.2 Ausbildungspatenschaften: Akteure, Struktur und Aufgaben
  • 4.2.3 Professionalisierung des zivilgesellschaftlichen Sektors hinsichtlich Sprachbildung
  • 5 Überzeugungen als Professionalisierungsfacette des Bildungspersonals in der beruflichen Bildung
  • 5.1 Überzeugungen: konzeptueller Rahmen
  • 5.1.1 Begriffseinführung
  • 5.1.2 Charakteristika der Überzeugungen
  • 5.1.3 Stellenwert und Gegenstandsbereiche berufsbezogener Überzeugungen im Kompetenzmodell der Lehrenden
  • 5.1.4 Stellenwert und Gegenstandbereiche berufsbezogener Überzeugungen im Kompetenzmodell der Ausbilder
  • 5.2 Überzeugungen zu Sprachbildung als Professionalisierungsfacette
  • 5.2.1 Forschungszugänge
  • 5.2.2 Gegenstandsbereiche der Überzeugungen zu Sprachbildung im Kompetenzmodell der Lehrenden
  • 5.2.3 Ansätze zur Erfassung der Überzeugungen der Ausbilder zu Sprachbildung
  • 6 Die Konzeption der empirischen Untersuchung
  • 6.1 Forschungsgegenstand: Definition und Merkmale von Überzeugungen zu Sprachbildung
  • 6.2 Zielsetzung und forschungsleitende Fragen
  • 6.3 Forschungsmethode: leitfadengestütztes Interview
  • 6.4 Beschreibung der Probanden und des Interviewkontextes
  • 6.4.1 Aufbereitung des Datenmaterials
  • 6.4.2 Auswahl der Probanden aus dem betrieblichen Kontext
  • 6.4.3 Durchführung der Datenerhebung im betrieblichen Kontext
  • 6.4.4 Ausbilder: Sozialdaten der Interviewten
  • 6.4.5 Auswahl der Probanden aus dem ehrenamtlichen Kontext
  • 6.4.6 Durchführung der Datenerhebung im Ehrenamt
  • 6.4.7 Ausbildungspaten: Sozialdaten der Interviewten
  • 6.5 Auswertungsmethodik: qualitative Inhaltsanalyse
  • 7 Überzeugungen zu den sprachlich-kommunikativen Anforderungen: Linguistische Aspekte
  • 7.1 GaLaBau-Ausbildungsbereich am Beispiel des Ausbildungsberufs „Gärtner“
  • 7.1.1 Relevanz der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Ausbildungskontext
  • 7.1.2 Erforderliches Sprachniveau bei der Aufnahme einer Ausbildung
  • 7.1.3 Wortschatzbeherrschung: Schwerpunkt „Fachsprache“
  • 7.1.4 Grammatische Kompetenz
  • 7.1.5 Orthografische Kompetenz
  • 7.1.6 Phonologische Kompetenz
  • 7.2 Ehrenamtliches Engagement: Ausbildungspaten
  • 7.2.1 Relevanz der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Ausbildungskontext
  • 7.2.2 Erforderliches Sprachniveau bei der Aufnahme einer Ausbildung bzw. einer Patenschaft
  • 7.2.3 Wortschatzbeherrschung: Schwerpunkt „Fachsprache“
  • 7.2.4 Grammatische Kompetenz
  • 7.2.5 Orthografische Kompetenz
  • 7.2.6 Phonologische Kompetenz
  • 8 Überzeugungen zu den sprachlich-kommunikativen Anforderungen: Sprachliches Handeln
  • 8.1 GaLaBau-Ausbildungsbereich am Beispiel des Ausbildungsberufs „Gärtner“
  • 8.1.1 Gesprächskompetenz: Schwerpunkt „Sprechen“
  • 8.1.2 Gesprächskompetenz: Schwerpunkt „Hör-Sehverstehen“
  • 8.1.3 Textkompetenz: Schwerpunkt „Schreiben“
  • 8.1.4 Textkompetenz: Schwerpunkt „Lesen“
  • 8.2 Ehrenamtliches Engagement: Ausbildungspaten
  • 8.2.1 Gesprächskompetenz: Schwerpunkt „Sprechen“
  • 8.2.2 Gesprächskompetenz: Schwerpunkt „Hör-Sehverstehen“
  • 8.2.3 Textkompetenz: Schwerpunkt „Schreiben“
  • 8.2.4 Textkompetenz: Schwerpunkt „Lesen“
  • 9 Überzeugungen zu sprachbildenden Ausbildungsmethoden und Lernstrategien
  • 9.1 Einschätzung des Sprachstandes: Schätzverfahren
  • 9.1.1 Durchführung des Schätzverfahrens
  • 9.1.2 Zielsetzung des Schätzverfahrens
  • 9.2 Ausbildungsmethoden
  • 9.2.1 Förderung der Wortschatzbeherrschung
  • 9.2.2 Förderung der grammatischen Kompetenz
  • 9.2.3 Förderung der orthografischen Kompetenz
  • 9.2.4 Förderung der phonologischen Kompetenz
  • 9.2.5 Leseförderung
  • 9.2.6 Schreibförderung
  • 9.2.7 Förderung der Gesprächskompetenz
  • 9.2.8 Demonstrationsmethoden und ihr Verhältnis zu Sprachbildung
  • 9.3 Lernstrategien
  • 9.3.1 Sprachgebrauch zu Hause als Lernressource
  • 9.3.2 Vermittlung von Lernstrategien
  • 10 Weitere Gegenstandsbereiche der Überzeugungen zu Sprachbildung
  • 10.1 Überzeugungen über die Lernenden im Hinblick auf ihre Sprachentwicklung
  • 10.1.1 Bezugsnormen bei der Leistungsbeurteilung
  • 10.1.2 Klassifikation bei der Leistungsbeurteilung
  • 10.1.3 Sprachlerneignung
  • 10.1.4 Arbeitsverhalten
  • 10.1.5 Persönlichkeitseigenschaften
  • 10.1.6 Individuelle Lernvoraussetzungen beim Spracherwerb: Alter und Lernbiografie
  • 10.1.7 Relation zw. den Überzeugungen über die Lernenden und den Überzeugungen zu sprachbildenden Ausbildungmethoden und Lernstrategien
  • 10.2 Selbstbezogene Überzeugungen bzgl. Sprachbildung
  • 10.2.1 Zuständigkeit für Sprachbildung
  • 10.2.2 Selbstbezogene Fähigkeitskognitionen
  • 10.3 Überzeugungen zur eigenen Ausbildung zum Thema „Sprachbildung“
  • 10.3.1 Quellen der Sprachsensibilisierung
  • 10.3.2 Gestaltungsprinzipien einer Fortbildung zum Thema „Sprachbildung“ für Ausbildungspersonal
  • 10.4 Überzeugungen zum sprachbildenden Auftrag des Berufsbildungssystems
  • 10.4.1 Überzeugungen zur Berufsschule als sprachbildender Lernort
  • 10.4.2 Überzeugungen zum Ausbildungsbetrieb als sprachbildender Lernort
  • 10.5 Überzeugungen zum gesellschaftlichen Kontext
  • 10.5.1 Kundenmeinung als Einflussgröße auf die Bestimmung sprachlich-kommunikativer Anforderungen
  • 10.5.2 Gesellschaftlicher Einfluss auf die Sprachkompetenzen der Auszubildenden
  • 11 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse und Ausblick
  • 11.1 Erste Forschungsfrage: Sprachlich-kommunikative Anforderungen
  • 11.1.1 Linguistische Anforderungen
  • 11.1.2 Anforderungen an die Gesprächs- und Textkompetenz
  • 11.2 Zweite Forschungsfrage: Sprachbildende Ausbildungsmethoden und Lernstrategien
  • 11.3 Dritte Forschungsfrage: Weitere Gegenstandsbereiche der Überzeugungen zu Sprachbildung
  • 11.3.1 Identifizierung und inhaltliche Ausdifferenzierung weiterer Gegenstandsbereiche
  • 11.3.2 Vergleich mit bestehenden Studien
  • 11.3.3 Relationen zwischen einzelnen Gegenstandsbereichen
  • 11.4 Limitationen der Studie
  • 11.5 Wissenschaftlicher Beitrag der Arbeit
  • 11.6 Ausblick
  • 11.7 Schlusswort
  • Literaturverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Belegstellenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis

1 Einführung

1.1 Motivation

Aufgrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen rückt das Thema „Sprachbildung im beruflichen Ausbildungskontext“ im letzten Jahrzehnt immer stärker in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses und der Forschungsbemühungen.

In den Jahren 2015 und 2016 fand der „größt[e]‌ Zuzug von Geflüchteten seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland“ statt (Brücker, 2016, S. 16). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind insgesamt 2.137.000 Personen im Jahr 2015 nach Deutschland zugezogen und dadurch wurde der höchste „Wanderungsüberschuss von 1 139 000 Personen aus der Bilanzierung der Zu- und Fortzüge über die Grenzen Deutschlands seit Bestehen der Bundesrepublik“ verzeichnet (Statistisches Bundesamt, 2016). Darunter ließ sich vor allem eine erhöhte Anzahl von Zugewanderten aus Syrien, Afghanistan, Irak und Pakistan beobachten (ebd.). Zugleich ist auch die hohe Mobilität innerhalb der Europäischen Union nicht zu unterschätzen, die als Potenzial angesehen wird, die Fachkräfteengpässe in einigen Berufsfeldern in Deutschland (vgl. Kap. 2.1) zu überwinden.

Vor diesem Hintergrund sah sich das deutsche Berufsbildungssystem mit der Herausforderung konfrontiert, eine große Anzahl von Zugewanderten mit heterogenen Deutschkenntnissen und Lernvoraussetzungen hinsichtlich ihres Bildungsstands und Alters in die Berufswelt zu integrieren (Vogel, C. & Schleiermann, 2019, S. 22). Dafür erwiesen sich Maßnahmen nicht nur zur beruflichen Qualifizierung, sondern auch zur Sprachbildung der Zugewanderten im Deutschen als Zweit- und Fremdsprache als unabdingbare Voraussetzung für die Integration auf dem Arbeitsmarkt (Bauer, 2021, S. 57; Efing, 2015, S. 9). Unbestritten ist inzwischen, dass sich die Sprach- und Fachkompetenz nicht voneinander trennen lassen (Grießhaber, 2010, S. 37). Die Sprache erweist sich als grundlegende Voraussetzung für die Aneignung der Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz, die wiederum die berufliche Handlungsfähigkeit ausmachen, und ist auch grundlegend für den Erwerb weiterer Schlüsselkompetenzen im Berufsleben (Terrasi-Haufe & Börsel, 2017, S. 7). Die Sprachkompetenz wird als Ausdrucksmittel (Terrasi-Haufe & Börsel, 2017, S. 7) und zugleich auch als „Facette beruflicher Handlungskompetenz“ angesehen (Ziegler, B., 2016, S. 12), da die rezeptive und produktive Auseinandersetzung mit berufsbezogenen Inhalten, sowie deren kognitive Verarbeitung auf einer sprachlichen Grundlage erfolgen. Demzufolge liegt der Schluss nahe, dass „die Handlungsfähigkeit in der Arbeitswelt (…) in vielen Berufen identisch mit der sprachlichen Handlungsfähigkeit [ist]“ (Grundmann, 2008, S. 111). Diese Dynamik im Berufsleben bestätigt die Notwendigkeit, ein besonderes Augenmerk auf die lebenslange Förderung der sprachlich-kommunikativen Kompetenzen in der Berufswelt zu richten.

Zu der Herausforderung, die durch die erhöhte Anzahl an Zugewanderten mit zum Teil geringen Deutschkenntnissen im Berufsbildungssystem entstanden ist, gesellt sich eine weitere: der Mangel an passgenauen Konzepten, die zur sprachbildenden Gestaltung des Ausbildungsprozesses und dadurch auch zur erfolgreichen Teilhabe von Zugewanderten am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben beitragen können. Bislang standen die Erhebung und Förderung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen vornehmlich im schulischen (Berufsbildungs-)kontext im Mittelpunkt der Forschungsbemühungen. Die aktuellen Lernprozesse, die zum einen durch Merkmale der Netzwerkgesellschaft im Aufnahmeland Deutschland geprägt sind und zum anderen die größtenteils vorindustrielle Landwirtschaftsstruktur der Herkunftsländer mancher Zuwanderungsgruppen1 berücksichtigen sollen, finden allerdings immer weniger „in vorbereiteten formalen Bildungsarrangements wie Schule“ statt (Baumgartner, P., 2013, S. 6). Aus diesem Grund erfolgte in den letzten Jahren eine Änderung des Schwerpunktes der Maßnahmen und Forschungsarbeiten zur Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten. Der Schwerpunkt der Forschungsbemühungen zur Entwicklung sprachbildender Konzepte wurde auf den Lernort Ausbildungsbetrieb und auf ehrenamtliche Lernbegleitung ausgeweitet.

Da insbesondere die betriebliche Ausbildung in Deutschland als vielversprechender Weg zum qualifizierten Einstieg in die Berufswelt gilt (vgl. Kap. 2.4), setzt sich eine Vielzahl von Projekten das Ziel, sprachlich-kommunikative Anforderungen im betrieblichen Kontext zu erheben und dadurch die Ausbildungsrealität abzubilden (vgl. Kap. 3).

Die Rolle des ehrenamtlichen Engagements und die Begleitung im Rahmen ehrenamtlicher Ausbildungspatenschaften wurde auch zu einem festen Bestandteil der Diskussion bezüglich des Ausbildungserfolgs von Zugewanderten und Jugendlichen aus bildungsfernen Milieus. Die Betreuung durch Ausbildungspaten, die sich der Verbesserung der Bildungsperspektiven insbesondere leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler (SuS) widmen, wurde als eine attraktive Option angesehen, die die Arbeitsmarktintegration begünstigen kann. Aus diesem Grund werden Initiativen ins Leben gerufen, in deren Rahmen betriebliche Fachkräfte (oft auch mit einer Ausbildungsbefähigung) die Rolle von Ausbildungspaten übernehmen und ausbildungsinteressierten Jugendlichen ab der achten Klasse bis zum Abschluss einer Ausbildung bei allen beruflichen und schulischen Fragen Unterstützung anbieten (vgl. Kap. 4.2).

Bei der Erschließung der sprachbildenden Potenziale, die die neuen Lehr-Lern-Konstellationen mit sich bringen, ist die zunehmende Tendenz erkennbar, die Debatte um das Sprachenlernen im Beruf an den Diskurs um die Professionalisierung der betrieblichen bzw. ehrenamtlichen Akteure anzuschließen. Da sie die Qualität des (sprachbildenden) Ausbildungsprozesses mitbestimmen und die selbstständigen Lernprozesse von (angehenden) Auszubildenden unterstützen (vgl. Kap. 4.1; Kap. 4.2), erweist sich die Frage nach ihrem pädagogischen Kompetenzprofil als bedeutend.

Ein Blick in die Literatur zeigt, dass das pädagogische Handeln des Berufsbildungspersonals durch ein Konglomerat von Professionswissen, Selbstregulation, motivationalen Orientierungen und Überzeugungen (auch unter dem Begriff „beliefs“ bekannt) gesteuert wird. Seit den 80er Jahren wird die Frage nach der Bedeutung der Überzeugungen von Ausbildern für die Ausbildungsqualität unter unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen diskutiert (vgl. Kap. 5.1.4). Dabei hat sich die handlungsleitende Rolle der Überzeugungen im Unterschied zum Stellenwert des berufs- und arbeitspädagogischen Wissens bei der Gestaltung des Ausbildungsprozesses als ein gemeinsamer Bezugspunkt der meisten Forschungsarbeiten herausgestellt (vgl. Kap. 5.1.4). Die Überzeugungen werden als wichtiger Wahrnehmungsfilter angesehen, der die Denkweise des Berufsbildungspersonals beeinflussen und ihr Handeln mitbestimmen kann.

Angesichts der bedeutenden Rolle der Ausbilder im betrieblichen und ehrenamtlichen Kontext kann man vermuten, dass Forschungsarbeiten zum Kompetenzprofil dieser Personengruppe nur wenig Neues zutage fördern können. Es zeigt sich allerdings, dass die jeweiligen Facetten ihrer Überzeugungen trotz langer Forschungstradition nur selten im Detail bestimmt wurden. Während die Ausbildereignungsverordnung zum Teil die Inhalte des berufs- und arbeitspädagogischen Wissens vorgibt und das Eignungsprofil von Ausbildern anhand von Kompetenzen beschreibt (vgl. Kap. 4.1.1), erweist sich der Stand der Forschung zu Überzeugungen von Ausbildern als defizitärer Bereich mit verschiedenen Erkenntnislücken in Bezug auf ihre allgemeine und gegenstandsspezifische Konzeptualisierung (vgl. Kap. 5.1.4).

In den letzten zehn Jahren wurden mehrere Untersuchungen durchgeführt, die Einblicke in das Überzeugungssystem der Ausbilder bzgl. des Themas „Sprachkompetenz“ ermöglichen (vgl. Kap. 5.2.3). Sie heben zwar den Stellenwert der Überzeugungen zu Sprachbildung im Ausbildungsprozess hervor, konzentrieren sich aber vornehmlich auf die Erfassung von Teilaspekten der Überzeugungen zu sprachlich-kommunikativen Anforderungen oder zum unterrichtlichen Handeln (vgl. Kap. 5.2.3) und bieten keine Ausdifferenzierung ihrer Struktur an. Während die professionellen Überzeugungen von Lehrkräften besonders im Hinblick auf das Sprachenlernen intensiv erforscht worden sind (vgl. Kap. 5.1.3 und Kap. 5.2.2), gibt es einen Nachholbedarf an empirischer Forschung bzgl. der Überzeugungsmuster von Ausbildern im betrieblichen Ausbildungskontext.

Darüber hinaus wurde die Tatsache, dass Ausbilder, die über die berufs- und arbeitspädagogische Eignung verfügen und im betrieblichen Kontext Ausbildungsprozesse begleiten, auch als Ehrenamtliche fungieren und bspw. in der Form von Ausbildungspaten (angehende) Auszubildende unterstützen können, in der wissenschaftlichen Debatte um Überzeugungen des Berufsbildungspersonals bisher nahezu ausgespart. Die wissenschaftliche Diskussion wird zwar durch Maßnahmen zur Stärkung der Kompetenzen der Ehrenamtlichen und zur Intensivierung der Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren gekennzeichnet. Inwieweit aber hauptamtliche Ausbilder und ehrenamtliche Ausbildungspaten die gleichen Überzeugungsmuster vertreten, ist bislang weitgehend unerforscht. Somit steht ein Vergleich von Überzeugungen noch aus, der Rückschlüsse auf vorhandene Zusammenhänge bzgl. des Kompetenzprofils von haupt- und ehrenamtlichen Akteuren und deren pädagogische Professionalisierung zulassen könnte.

Die vorliegende Untersuchung knüpft an die obengenannten Forschungsdesiderata an und zielt darauf ab, im Rahmen qualitativer Forschungszugänge und anhand empirischer Daten diese wissenschaftlichen Erkenntnislücken weiter zu schließen.

1.2 Problemstellung und Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Studie nimmt die Überzeugungen zu Sprachbildung als Professionalisierungsfacette von Ausbildern in verschiedenen Kontexten in den Blick – am Beispiel des Berufsfeldes Garten- und Landschaftsbau im Ausbildungsbetrieb und in Umschulungsstätten sowie im ehrenamtlichen Kontext als Ausbildungspaten.

Die Arbeit verfolgt das Ziel, Erkenntnisse zur Struktur der Überzeugungen zu gewinnen und dadurch zur inhaltlichen Bestimmung und Präzisierung des Konstrukts der Überzeugungen von Ausbildern zu Sprachbildung in Deutschland beizutragen. Das übergreifende Ziel der Arbeit besteht darin, die Forschung zur Modellierung des Konstrukts der Überzeugungen zu Sprachbildung weiter voranzubringen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf folgenden Hauptfragestellungen, die dazu beitragen sollen, die aufgezeigten Forschungsdefizite zu verringern.

  • – Welche sprachlich-kommunikativen Anforderungen identifizieren GaLaBau-Ausbilder bzw. Ausbildungspaten im betrieblichen Bereich einer dualen Ausbildung?
  • – Bezeichnen GaLaBau-Ausbilder und Ausbildungspaten Ausbildungsmethoden und Lernstrategien als sprachbildend?
  • – Lassen sich auch weitere Gegenstandsbereiche über die Überzeugungen zu den sprachlich-kommunikativen Anforderungen und sprachbildenden Lehr-Lernmethoden hinaus als Bestandteil der Überzeugungen von GaLaBau-Ausbildern und Ausbildungspaten zu Sprachbildung identifizieren?

Diese Fragestellungen gehen mit einer Reihe weiterer komplementärer Fragen einher, die Aufschluss über die Überzeugungen zu Sprachbildung und ihre Kompetenzausprägung geben:

  • – Welche Struktur und inhaltlichen Facetten besitzen die Überzeugungen zu sprachlich-kommunikativen Anforderungen?
  • – Welche Ausbildungsmethoden und Lernstrategien werden als sprachbildend angesehen?
  • – Lassen sich Schlussfolgerungen über die inhaltlichen Dimensionen der ermittelten Gegenstandsbereiche im Rahmen der dritten Forschungsfrage ziehen?
  • – Lassen sich Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bzgl. der erfassten Überzeugungen zu Sprachbildung zwischen Ausbildern und Ausbildungspaten identifizieren?
  • – Lassen sich Relationen und Wechselwirkungen zwischen den Gegenstandsbereichen beobachten?
  • – Inwieweit korrespondieren die ermittelten Gegenstandsbereiche mit anderen Studien zu (Sprach-)Überzeugungen von Ausbildern und Lehrkräften?

Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst werden in einem einleitenden Kapitel zum Berufsbildungssystem in Deutschland die institutionellen Rahmenbedingungen dualer bzw. schulischer Ausbildungsgänge und Umschulungsmaßnahmen näher beleuchtet (vgl. Kap. 2). Im Rahmen des Kapitels 2 wird auch auf (ehrenamtliche) Fördermaßnahmen am Übergang von der Schule in die Berufsausbildung eingegangen. Daran anschließend wird in Kap. 3 der Stellenwert der Sprachkompetenz für die berufliche Handlungsfähigkeit herausgestellt und auf den aktuellen Forschungsstand zu sprachlich-kommunikativen Anforderungen während einer Ausbildung eingegangen. Im Weiteren richtet Kap. 4 den Blick auf die Akteure in der beruflichen Bildung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Qualifikation von Ausbildern und Ausbildungspaten und ihrer Zuständigkeit für Sprachbildung. Im Anschluss widmet sich Kapitel 5 dem Konstrukt der Überzeugungen. Die Darstellung wissenschaftlicher Befunde über die Struktur und die inhaltlichen Facetten allgemeiner professioneller Überzeugungen von Ausbildern und Lehrkräften, sowie ihrer gegenstandsspezifischen Überzeugungen zu Sprachbildung liefert die theoretische Grundlage für weiterführende Analysen.

Nach der Darstellung des theoretischen Hintergrunds, welcher unerlässlich zum Verständnis der empirischen Untersuchung ist, wird in Kap. 6 die konzeptionelle Rahmung des Forschungsprojekts nachvollzogen. Dabei wird auf das methodische Vorgehen und die Beschreibung der Probandengruppe eingegangen. Anschließend werden die Ergebnisse der Erhebung referiert und kritisch bewertet, wobei ein besonderes Augenmerk auf die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Befragtengruppen gelegt wird. Kapitel 7 und 8 stellen die Auswertung der Daten im Hinblick auf die Überzeugungen der Befragten zu den sprachlich-kommunikativen Anforderungen dar. Dabei nimmt Kap. 7 linguistische Aspekte in den Blick, während die Fertigkeiten Sprechen, Hör-Sehverstehen, Schreiben und Lesen in Kapitel 8 dargelegt werden. In Kapitel 9 folgt die Auswertung zu Ausbildungsmethoden und Strategien, die aus Sicht der Befragten als sprachbildend gelten. Schließlich werden weitere Gegenstandsbereiche mit ihren inhaltlichen Facetten, die sich aus den Daten ableiten lassen, in Kap. 10 nachvollzogen. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen werden die zentralen empirischen Befunde in Kap. 11 zusammenfassend dargestellt. Es wird weiterhin reflektiert, wo die Grenzen der Arbeit liegen, um in einem letzten Schritt das Potenzial bzgl. weiterführender Forschungsarbeiten und Implikationen für die Praxis aufzuzeigen (vgl. Kap. 11).


1 Mehr zum Gesellschaftssystem in Afghanistan bei Malekyar (2008, S. 41).

2 Berufsbildungssystem: Struktur und Aufbau

Der Begriff „Berufsbildung“ bezeichnet oft vielfältige Sachverhalte, die sich von der Entwicklung eines individuellen Kompetenzprofils für das berufliche Umfeld bis hin zur Charakterisierung der institutionellen Gesamtstruktur beruflicher Lehr-Lernprozesse erstrecken (Kell, 2006, S. 453). Zur theoretischen Einbettung der in Kap. 1.2 aufgeführten Fragestellungen wird im Folgenden näher auf die Strukturentwicklung in der beruflichen Bildung eingegangen. Dafür wird ein Überblick über aktuelle Tendenzen auf dem Ausbildungsmarkt und bei der Zusammensetzung der Gruppe der Ausbildungsinteressierten gegeben (vgl. Kap. 2.1). Danach werden die drei Hauptsektoren des Ausbildungssystems2 vorgestellt, beginnend mit dem Übergangsbereich, der Angebote zur Berufsorientierung und zum Spracherwerb beinhaltet (vgl. Kap. 2.2). Daraufhin erfolgt die Darstellung der strukturellen Komplexität des Schulberufssystems und des dualen Systems mit seinen Lernorten Berufsschule (vgl. Kap. 2.3) und Betrieb (vgl. Kap. 2.4). Zum Schluss wird auf Formen beruflicher Umschulung eingegangen, welche vergleichend zu einer Erstausbildung beleuchtet werden (vgl. Kap. 2.5).

2.1 Ausbildungsmarkt und ausbildungsinteressierte Personen

Im Jahr 2018 verzeichnete das ifo Beschäftigungsbarometer3 aufgrund der anhaltend guten Konjunktur einen wachsenden Arbeitskräftebedarf und eine hohe Bereitschaft der Unternehmen in Deutschland, neue Arbeitskräfte einzustellen. Im Januar 2018 wurde ein Rekordhoch in der Geschichte des ifo Beschäftigungsbarometers von 113,8 Punkten4 erreicht, der darauf hindeutete, dass die Unternehmen viele neue Stellen meldeten und sich dadurch das Beschäftigungswachstum von den vorhergehenden Monaten fortsetzte (Wohlrabe, 2018a). Als Reaktion auf die gestiegene Fachkräftenachfrage wurden immer mehr Ausbildungsplätze geschaffen, um die Zahl der Arbeitnehmer mit der benötigten Qualifikation zu erhöhen. Im Ausbildungsjahr 2017/18 wurden bspw. ca. 4 % mehr Plätze für betriebliche Ausbildungen angeboten, als im Vorjahr (Widmann-Mauz, 2019, S. 169). Im Bereich der außerbetrieblichen Ausbildung (vgl. Kap. 2.5) wurde sogar ein Anstieg von knapp 8 % verzeichnet (Widmann-Mauz, 2019, S. 169).

Parallel zu der gestiegenen Arbeitskräftenachfrage lassen sich allerdings auch Fachkräfteengpässe auf dem Arbeitsmarkt in bestimmten Berufsfeldern erkennen. Der Engpassanalyse für das Land Nordrhein-Westfalen ist beispielsweise zu entnehmen, dass die Betriebe über längere Zeiträume nach Fachkräften suchen und viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben (BA, 2020c, S. 4). Engpassanalysen, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) halbjährlich durchführt, weisen auch darauf hin, dass in Deutschland zwar kein flächendeckender Fachkräftemangel herrscht, aber besonders starke Engpässe bspw. in technischen Berufen zu verzeichnen sind (Klaus & Beckmann, 2020, S. 13). Die Anzahl der Berufe, in denen Engpässe an Fachkräften erkennbar sind, stieg im Jahr 2018 und 2019 kontinuierlich an und erreichte einen Wert von 98 verschiedenen Berufen5 (Klaus & Beckmann, 2020, S. 13).

Die Diskrepanz zwischen der hohen Arbeitskräftenachfrage und der schwierigen Besetzung von offenen (Ausbildungs-)Stellen lässt sich auf verschiedene Gründe zurückführen. Die Schwierigkeiten der Unternehmen, die notwendigen Arbeitskräfte zu rekrutieren, lassen sich zum Teil durch den demografischen Wandel und die gesunkene Anzahl von Schulabgängern der Sekundarstufe I erklären.

Das Berufsbildungssystem sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, dass ein stetiger Rückgang von Ausbildungsbewerbern in den letzten Jahren beobachtbar war. Wie Ebbinghaus und Krekel hervorheben, waren im Jahr 2016 fast 16 % weniger Ausbildungsanfänger im Vergleich zum Jahr 2007 (Ebbinghaus & Krekel, 2020, S. 84), was zu einem „annähernden rechnerischen Ausgleich des Angebots und der Nachfrage“ führte (Severing & Weiß, 2014, S. 7). Die Anzahl der Ausbildungsanfänger blieb auch danach tendenziell rückläufig und 2017 war sie zum ersten Mal seit 1994 niedriger als das Angebot (Widmann-Mauz, 2019, S. 169).

Details

Seiten
528
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631900826
ISBN (ePUB)
9783631900833
ISBN (Hardcover)
9783631900819
DOI
10.3726/b20919
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (August)
Schlagworte
Ausbilder Ausbildungspaten Handlungsfähigkeit Kompetenzprofil Gegenstandsbereiche Leseförderung Schreibförderung Gesprächskompetenz Ausbildungsmethoden Berufsbildung
Erschienen
Peter Lang – Lausanne · Berlin · Bruxelles · Chennai · New York · Oxford. 2023. 528 S., 43 S/W Abb., 84 Tab.

Biographische Angaben

Milena Minova (Autor:in)

Milena Minova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Universität Duisburg-Essen, wo auch ihre Promotion erfolgt ist. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind berufsintegriertes Sprachenlernen und Professionalisierung von Lehrpersonen in der beruflichen und Erwachsenenbildung.

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