Lade Inhalt...

Die stereotype Gesellschaft

Praxen der sozialen Kategorisierung von Menschen

von Ingelore Welpe (Band-Herausgeber:in) Britta Thege (Band-Herausgeber:in)
©2023 Sammelband 308 Seiten

Zusammenfassung

Wie prägen stereotypes Denken und Handeln eine Gesellschaft? Verstärken neue Technologien die gängigen Diskriminierungen und erzeugen neue? Ist eine vorurteilsfreie Gesellschaft überhaupt möglich? Zehn Beiträge thematisieren Ergebnisse der Grundlagenforschung zur sozialen Informationsverarbeitung, zur Bildung von kognitiven Schemata und deren Funktionen in der sozialen Wahrnehmung. Sie setzen sich mit Ausprägungen stereotypen Denkens zu Gender, Sexismus, Rassismus, Mütterlichkeit, Technikinteresse, Literalität, Handicap, Körpernormen und Alterskategorien auseinander. Wenn Gesellschaften fair werden sollen, muss menschliches und maschinelles Lernen schwierige kognitive und ethische Aufgaben sowie die Gratwanderung zwischen notwendigen Differenzierungen in der Gesellschaft und Diskriminierungen bewältigen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Einleitung
  • Unconscious Bias. Wie verbreiten sich stereotype Ideen und lässt sich stereotypes Denken kontrollieren?
  • „So Jungs, jetzt strengt euch mal an, wenn selbst Anna die Antwort weiß“ – Zur sozialen und ökonomischen Macht von sexistischen und rassistischen Stereotypen
  • Frau-Mann-Standardgeschlecht. Veränderungsresistente Stereotype für Rollen und Berufskarrieren?
  • Der Mythos der guten Mutter. Zeithistorische Kontinuitäten elterlicher Gefühlspolitik
  • Aspekte des Zusammenspiels stereotyper Geschlechterbilder und normativer Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten junger Frauen im Diskursfeld Technik und Geschlecht
  • Homo Technikus – Kann das Stereotyp seine Definitionsmacht in technischen Fachkulturen verlieren?
  • Schweres Leben?! Einblicke in die Selbstführungsstrategien von Menschen mit hohem Körpergewicht entlang der Abnehm-Praktiken in einer dickenfeindlichen Gesellschaft
  • Nicht lesen, nicht schreiben, nicht dabei? Wie Bildungs- und Literalitätsnormen stereotype Vorstellungen über Menschen mit Lese- und Schreibschwäche begünstigen
  • Praktisch und daneben! Klischees über Menschen mit Behinderungen. Ein Erfahrungsbericht aus über 30 Jahren Arbeit für die Selbsthilfe
  • Wer sind eigentlich „die Älteren“? Von der wissenschaftlichen Legitimität einer Alterskategorie
  • Anhang
Alltägliche Erfahrungen!
  • Die Autor*innen
  • Reihenübersicht

Ingelore Welpe & Britta Thege

Einleitung

The introduction highlights the basic features and effects of stereotypes and stereotyping and gives a brief overview of the contents of the individual articles.

Keywords: Stereotype, Stereotypenforschung, Diskriminierung, Unconscious Bias, faire Gesellschaften

Wie prägen stereotypes Denken und Handeln eine Gesellschaft? In welchen Formen und Phänomenen praktiziert und hält eine Gesellschaft ihre stereotypen Überzeugungen aufrecht? Welche sozialen Diskriminierungspotentiale haben Vorurteile? Welche stereotypen Bilder von Individuen und Gruppen erscheinen legitim zur Bevorzugung, Benachteiligung, Aufwertung und Abwertung? Verstärken neue Technologien die gängigen Diskriminierungen und erzeugen sie gänzlich neue? Ist eine vorurteilsfreie Gesellschaft wünschenswert oder überhaupt möglich?

Solche Fragen stellen sich bei Auseinandersetzungen mit einer stereotyp denkenden Gesellschaft und mit der Idee, wie ihre Wahrnehmung präziser, ihre Kommunikation und Interaktionen vorurteilsfreier und so rationaler zu führen wären zum Wohl ihrer Mitglieder.

Stereotype diskriminieren Menschen individuell und Gruppen mit binären sozial-ethischen Kategorien wie weiß/schwarz, europäisch/nichteuropäisch, gläubig/ungläubig, Oberschicht/Unterschicht oder inländisch/ausländisch.

Falsche Annahmen über Kulturen, Ethnien, Nationen, Gruppen und Individuen werden seit jeher über Generationen weitergegeben. Stereotype werden als Beurteilungskriterien verbal, nonverbal, in Verhaltensnormen und sozialen Ritualen vererbt. Mit Machtzuschreibung werden Gleichheit und Ungleichheit begründet, mit Geschlechternormen Maskulinität, Femininität und Geschlechtsidentität; der kulturelle Kontext liefert unterschiedliche Bewertungen von Kommunikation und Interaktion; Logikmuster, Realitätswahrnehmung und Problemlösungsprozesse dienen für kulturell stereotyp aufwertende und abwertende Zuschreibungen. So wird eine Gesellschaft immer wieder stereotyp neu programmiert. Die Ergebnisse sind unsichtbare und unbewusste „basic assumptions“, die sich als Emotionen, Kognitionen, Werteorientierungen und Einstellungen zeigen und erklären, wie Menschen stereotyp sehen, fühlen, denken, sprechen, handeln und kulturell geprägt sind.

Die Entwicklungsgeschichten von Gesellschaften zeigen die vielfältigen Spuren von stereotypem Denken und Handeln. Europäische hegemoniale Kolonialkulturen, Religionskriege, kultureller Sexismus, rassistische Ideologien und Alltagsattitüden, Fremdenfeindlichkeit, strukturelle Ungleichheit, diskriminierte physiognomische Körpermerkmale, soziale Distanzierung und unreflektierte Wissensdefizite wirken als stereotypes Geflecht kollektiv weiter.

Die sozialpsychologische Stereotypenforschung rechnet Stereotype zur Klasse der Meinungen „beliefs“ (Gardener, 1994). Es sind Wahrscheinlichkeitsurteile sowie subjektive Wissensstrukturen über die Attribute von Personen. Solche Wissensstrukturen sind „implizite Persönlichkeitstheorien“ (Hilton & Hippel, 1996), die aus subjektiven Hypothesen und Erwartungen über Merkmale und Potenziale von Personen, Gruppen und Kulturen bestehen. Die kognitionstheoretische Stereotypenforschung liefert Erkenntnisse, wie die Wahrnehmung und Verarbeitung von personenbezogenen Informationen zur Herausbildung von kognitiven unbewussten Schemata führen.

Jeder Mensch ist anfällig für eigene sachlich inkorrekte und verallgemeinernde schematische Urteile und für kulturell geteilte Stereotype. Typisch dafür sind die Annahmen zu einem Standardgeschlecht, Vorurteile über Frauen, Männer und trans* Menschen oder geschlechtstypische Potenziale. Jungen seien besser begabt für Mathematik als Mädchen. Nicht nur in Europa hält sich dieses Vorurteil. Eble & Hu (2022) analysierten dazu die Überzeugungen der Eltern und peer groups von mehr als 8.000 Schüler*innen aus China. 40 Prozent der Bevölkerung, Eltern und Peers, glauben, dass männliche Menschen weiblichen in der Rechenfähigkeit überlegen sind. Das positive männliche Nerd-Stereotyp dient der Brain-Technikelite als Gatekeeper. Das Bild technischer Überlegenheit und die damit gekoppelte ökonomische Erfolgsorientierung hält Frauen signifikant auf Distanz gegenüber Mathematik, Technik, Computer Science oder Informatik. Junge Frauen, die in die Nerdkultur eindringen wollen, kombinieren mit Smart Girl und Playboy Bunny gleich zwei Stereotype.

Die Meinung, dass Frauen emotionaler seien als Männer, ist ein in westlichen Kulturen veränderungsresistentes Stereotyp im Machtfeld Wirtschaft (Shields, 2002), das die Eignung von Frauen für Führungspositionen generell infrage stellt und zu unfairen Beurteilungen von Frauen in Führungsverantwortung führt. Das tausendjährige Bild der guten selbstlosen Mutter, der weiblichen Treue und der genetisch bedingten Ursache männlicher Untreue (Angier, 2000) beherrscht die gesellschaftlichen Vorstellungen für Moral und definiert durch Vorgaben für Weiblichkeit und Männlichkeit, für Lebensstile und Entwicklungschancen. Vorwiegend weibliche Geschlechterstereotype, Frauen als Sexobjekt oder Multitaskingwunder, Männer als familiärer oder sachlicher Karrieremann dominieren im Technikmarketing und sprechen Kund*innen stereotypkonform an (Petzold et al., 2011).

Stereotype erzeugen eigene Bruchlinien in einer Gesellschaft und halten soziale Ungleichheit aufrecht, die selbst im 21. Jahrhundert noch als natürliche Struktur gilt. Die Erkenntnisse der Ungleichheitsforschung belegen die soziale Exklusionsmacht von Stereotypen zu Herkunft, Alter, geschlechtlicher Identität oder Handicap. Der Zugang zu demokratischen Rechten und liberalen Freiheiten, zu Bildung, zu ökonomischen Ressourcen, zu sozialer Sicherheit oder zu hohen Positionen in der Arbeitswelt wird stereotyp ermöglicht oder behindert. Stereotype legitimieren Bevorzugung und Benachteiligung, Wohlstands- und Klassenunterschiede, verstärken soziales Konkurrenzstreben und definieren die gesellschaftlichen Barrieren für soziale Apartheid.

Die Erforschung von Stereotypen hat sich seit der Entwicklung von Eigenschaftslisten (Katz & Braly, 1933) zur Erhebung von Nationalitäten- oder Geschlechterstereotypen methodisch nur unzulänglich weiterentwickelt. Traditionelle Merkmallisten-Verfahren (Thiele, 2015), bei denen Versuchspersonen fünf bis zehn Eigenschaften auswählen sollen, die ihrer Meinung nach den Mitgliedern einer Zielgrupe, z.B. eine ethnische Gruppe, angemessen charakterisieren, entsprechen den heutigen empirischen Anforderungen nicht. Aktuelle Studien arbeiten daher weiter an einer Stereotypenerhebung im interkulturellen Kontext und unter Berücksichtigung von Autostereotyp und Fremdstereotyp. Piketty (2022) fordert normativ ein universalistisches Modell, das stereotype Diskriminierung im Kontext Rassismus bekämpft. Weiterführender ist zunächst eine valide und prognostisch reliable Messung für das Ausmaß und die Richtung von stereotypem Denken und beobachtbaren Verhaltensweisen. Dazu ist begriffliche Präzision mit der Operationalisierung von Merkmalen, Einstellungen und Verhaltensweisen erforderlich.

Es mangelt weiterhin an experimentellen Studien darüber, wie stereotypes Verhalten vom inneren individuellen und vom äußeren gesellschaftlichen Kontext beeinflusst wird. Diskriminierende Stereotype, die Rechte und Bedürfnisse auf gleichen Respekt, gleichen Schutz, gleiche Ressourcen oder selbstbestimmte Identität behindern, verursachen sozial konfliktreiche Brisanz. Die gesellschaftliche Sensibilität, wie ungerechtfertigte und falsche Urteile das gesellschaftliche Gegeneinander auslösen, wird nur gestärkt durch valides Wissen, Reflexion und dialogische Weiterentwicklung von Ideen für Strukturen und Kommunikationsprozesse, die biasfreie Kulturen ermöglichen.

Zehn Einzelbeiträge in diesem Band thematisieren sowohl Ergebnisse der Grundlagenforschung zur sozialen Informationsverarbeitung, zur Bildung von kognitiven Schemata und deren Funktionen in der sozialen Wahrnehmung als auch die Ausprägung und Variabilität der klassischen Stereotype und ihrer Substereotype, die zu Geschlecht und Gender, zu Alter, Handicap, Technikinteresse, zu Rassismus, für kulturelle Minderheiten oder für sexuelle Orientierung existieren. Innovative Denkansätze für die Stereotypenforschung und für gesellschaftspolitische Maßnahmen liefern High-Endtechnologien und Künstliche Intelligenz. Sie könnten unsere soziale Urteils- und Argumentationsfähigkeit unterstützen und zu einer respektvollen, egalitär handelnden Gesellschaft führen. Sie könnten aber auch die Vision einer gerechten Gesellschaft für immer obsolet werden lassen. Wenn Gesellschaften fair werden sollen, dann muss menschliches und maschinelles Lernen schwierige kognitive und ethische Aufgaben und die Gratwanderung zwischen notwendigen Differenzierungen in der Gesellschaft und benachteiligenden Diskriminierungen bewältigen.

Der Beitrag von Ingelore Welpe „Unconscious Bias. Wie verbreiten sich stereotype Ideen und lässt sich stereotypes Denken kontrollieren? beschreibt Aktivierung und Hemmung als die zentralen psychophysiologischen Prozesse der stereotypen Personenwahrnehmung und die Rolle der Alltagskommunikation und von Gruppeninteraktionen als Determinanten der Langlebigkeit, Zugänglichkeit und Verbreitung stereotyper Ideen in der Gesellschaft. Die Motivations- und Volitionsforschung bestätigt, dass der Vorsatz, vorurteilsfrei fair zu sein, stereotypes Denken hemmen kann. Die mentale und rationale Kontrolle stereotyper Gedanken hat allerdings unerwünschte Wirkungen, den Rebound Effekt, der diskriminierende Wahrnehmungen verstärkt aktiviert. An solchen Ergebnissen zeigen sich die Limitierungen der gegenwärtigen Stereotypenforschung und aktuelle Herausforderungen.

Rassismus und Sexismus sind keine Meinungen, sondern stereotype irrationale Zuschreibungen von negativer „ins Auge springender Andersartigkeit“ des Geschlechts, des Aussehens, der Verhaltensweisen, der Herkunft oder der Sprache, die Individuen und ganze Gruppen mit der Annahme, dass sie nicht dazugehören, aus der Gesellschaft ausschließen. Das Zusammenspiel von Sexismus mit rassistisch strukturierten Gesellschaften als Aspekt des „Otherings“, beschreiben Laurel Chougourou und Ayca Polat. Die soziale und ökonomische Macht von sexistischen und rassistischen Stereotypen hat kommunikative und historisch koloniale Wurzeln in den Eroberungsgesellschaften. Hierarchieorientierter Sexismus im Arbeitsmarkt, im Bildungswesen und bei der sexuellen Selbstbestimmung trifft signifikant stärker Frauen und erschwert überfällige Fortschritte für ihre Gleichstellung. Anstelle von Abgrenzungen gegenüber „Fremden“ und der „Migrationsgesellschaft“ ist Offenheit für Diversität und Diskriminierungs- und Rassismuskritik an allen stereotypen Gesellschaftsstrukturen gefordert.

Die Rolle, die das Frau-Mann-Standardgeschlecht für die Veränderungsresistenz von Geschlechterrollen und Berufskarrieren unter Aspekten der weiter bestehenden Ungleichheit und der heutigen Geschlechtervielfalt spielt, reflektiert Britta Thege in ihrem Artikel. Sie stellt einige wegweisende Ideen zur Überwindung der Normen und der Inhalte der binären Geschlechterstereotype dar, wie den doing gender Ansatz, den Gender Shift, Transgenderidentität und das Konzept der Performativität. Die wechselseitige Bedingung von Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen konsolidiert trotz des gesellschaftlichen Mainstreams Individualisierung und Flexibilisierung von Identitäten, die Persistenz der traditionellen Arbeitsteilung und geschlechtstypischen Bevorzugungen und Benachteiligungen im Familienleben und in der Arbeitswelt. Ob die Kategorie Geschlecht zukünftig an Bedeutung verliert, scheint ungewiss. Eine offene Gesellschaft, die die Botschaft verbreitet, stellt euch darauf ein, dass ihr euch auf nichts einstellen könnt, provoziert bei ihren Mitgliedern paradoxe Reaktionen. Auch junge Menschen orientieren sich verstärkt am Standardgeschlecht. Frauen machen weiter Care, die familiäre Sorgearbeit und Männer Karriere im Beruf.

Wie sehr die Vielfalt der Mutterbilder zum Mythos der guten Mutter geworden ist und damit die Chancen für Gleichheit für Frauen behindert bleiben, zeigt Helga Krüger-Kirn in zeithistorischen, gleichheits- und berufspolitischen sowie in religiösen und biologischen Perspektiven. Das gesellschaftliche Ideal Mutterschaft mit der Fixierung auf das Weiblichkeitsstereotyp kollidiert nicht nur mit dem Recht auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung, sondern auch mit dem ambivalenten Gefühlserleben von Müttern und dem, was sie zu dieser Rolle zu sagen haben. Solange die Mutter-Kind-Beziehung als hormonell-biologisch, symbiotisch und emotional determiniert betrachtet wird, gibt es für Frauen in der Gesellschaft explizit keine Erlaubnis, Thesen zur Mutter-Kind Bindung und Mutterschaft zu kritisieren und zu bereuen oder Mütterlichkeit unabhängig von Mutterschaft zu sehen. Mütterlichkeit braucht kein Geschlecht, ist eine wesentliche Erkenntnis dieses Beitrags. Stattdessen definiert das Konzept Doing Mothering Mütterlichkeit als Tätigkeit, löst sie aus dem stereotypen- und Familienkontext heraus und führt hin zu emanzipatorischen Eltern- und Familienkonstellationen.

Ist Weiblichkeit mit technologischer Kompetenz unvereinbar? Für diese oft wiederholte Frage, warum Frauen bei einer geschlechterstereotypen Studien- und Berufswahl bleiben, untersucht Marike Schmeck das Zusammenspiel von stereotypen Geschlechterbildern und beruflich-geschlechtlichen Identitäten im Kontext von beruflichen Orientierungsmustern junger Frauen. Gruppendiskussionen mit gymnasialen Schüler*innen belegen, mit welchen widersprüchlichen Anforderungen sich Mädchen in der Adoleszenz bei ihrer beruflich-geschlechtlichen Identitätsarbeit auseinandersetzen müssen. Der Berufsfindungsprozess geht einher mit der Reflektion von Wissen, Selbst- und Fremdbildern, kulturellen Normen und Wahrnehmungen und damit, wie Geschlechtsidentität, weiblich oder männlich zu sein, und Berufe stimmig zueinander passen. Das Ergebnis ist die Überzeugung, dass die Wahlmöglichkeiten begrenzt sind, die Berufswahl ambivalent ist und die “irrationale” Logik, dass sich Weiblichkeit und Technik gegenseitig ausschließen, durchaus plausibel ist. Als Lösungsansätze bieten sich die kreative Arbeit an Selbstkonzepten und die Neudefinition von Berufsbildern an.

In technischen Fachkulturen bewirkt das Stereotyp „Homo Technikus“ eine androzentrische Monokultur, die insbesondere für Frauen zu Einstiegs- und Karrierehindernissen führt. Ingelore Welpe beschreibt Facetten des Stereotyps und erste Ansätze feministischer Technikforschung und Masculinity Studies, darunter digitales Experimentieren, interdisziplinäre Methodik oder anti-identity zur Überwindung des Stereotyps. Eine der Forderungen dafür ist es, zunächst die Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit, wenn diese nicht leere Begriffe und ohne reformatorische Wirkungen bleiben sollen, empirisch zu fassen. Dafür sind sie radikal zu zerlegen. Technikkulturen nehmen feministische Technikkritik nicht an, weil Gleichheitsziele den für Technik wichtigen Qualitätskriterien wie Anwendungstauglichkeit oder Akzeptanz der Zielgruppen nicht genügen. Der Beitrag diskutiert, ob Artificial Intelligence (AI), das zukünftig mächtigste technologische Werkzeug, das bereits für das Assessment und die Beurteilung von Personen eingesetzt wird, selbstlernend diskriminierende Stereotypen erkennen und auflösen wird oder gar zu neuen Diskriminierungsformen und algorithmischer Ungleichbehandlung führt. Wenn Technikkulturen und Feminismus ihr Wissen und ihre Kompetenzen kooperativ zusammenbringen, wäre mehr soziale Fairness zu gewinnen.

Details

Seiten
308
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631883167
ISBN (ePUB)
9783631883174
ISBN (Paperback)
9783631883150
DOI
10.3726/b21226
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Oktober)
Schlagworte
Diskriminierung Soziale Kategorisierung Differenz Unconscious Bias Gleichstellung Othering Kategorien Welpe / Thege, Die stereotype Gesellschaft
Erschienen
Bruxelles, Berlin, Bern, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 308 S.

Biographische Angaben

Ingelore Welpe (Band-Herausgeber:in) Britta Thege (Band-Herausgeber:in)

Ingelore Welpe, Psychologin und Anthropologin, Professorin em. der Fachhochschule Kiel, ist Gründungsdirektorin des heutigen Instituts für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity. Sie forscht und lehrt zu Human-ressourcen, Kommunikation crosskulturell, Leadership und Gender. Britta Thege, Soziologin, apl. Professorin an der Fachhochschule Kiel, ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity.

Zurück

Titel: Die stereotype Gesellschaft