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Das Bayerische Konkordat von 1817/21

Eine historische Untersuchung mit kanonistisch-staatskirchenrechtlichem Fokus

von Heinrich Hohl (Autor:in)
©2024 Dissertation 902 Seiten

Zusammenfassung

Das Bayerische Konkordat von 1817/21 ist ein staatskirchenrechtliches Denkmal. Mit ihm wurde erstmals nach der Französischen Revolution und dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches 1806 das Verhältnis von Staat und Kirche auf deutschem Boden neu bestimmt. Die Arbeit zeigt, wie der Vertrag in der Profan-, Rechts- und Kirchengeschichte tief verwurzelt ist. Die langwierigen Verhandlungen werden anhand von Originaldokumenten nachgezeichnet. Dabei werden auch die Akteure der Verhandlungen vorgestellt und geistesgeschichtliche Wandlungsprozesse berücksichtigt. Die Konkordatsbestimmungen werden in ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung für das Staat-Kirche-Verhältnis analysiert. Schließlich wird ein Ausblick auf die Wirkungsgeschichte des Vertrags gegeben. Mit dem Konkordat wurde die Struktur der Kirche in Bayern neu bestimmt und ein kooperatives Verhältnis von Staat und Kirche grundgelegt, das bis heute besteht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1 Kirche und Staat in neutestamentlichen Schriften
  • 2 Theorien zum Verhältnis von Kirche und Staat sowie Formen der Praxis
  • 3 Weltliche Herrschaft und Kirche in Bayern – ein historischer Streifzug
  • 4 Der lange Weg zum Konkordat
  • 5 Das Bayerische Konkordat 1817
  • 6 Auswertung, Aspekte und Nachwirkung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Quellen und Literatur
  • Anhang 1: Texte zum Bayerischen Konkordat 1817
  • Anhang 2: Französisches Konkordat von 1801 und Italienisches Konkordat von 1803
  • Anhang 3: Das Bayerische Konkordat von 1924
  • Anhang 4: Würzburger Rechtsschule – Vorbilder, Schüler, Umfeld
  • Anhang 5: Adlige von Schönborn als Hohe Geistlichkeit im 17./18. Jhdt. (auch) in Franken

Einleitung

Das Bayerische Konkordat von 1817/21 ist ein Vertrag, der das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Königreich Bayern und der römisch-katholischen Kirche regelt. Obwohl die Ratifizierung bereits 1817 durch den König und Papst erfolgte, fand die Umsetzung in die Rechtswirklichkeit erst 1821 statt. Diese beiden Daten erklären den Titel der Arbeit, wobei der Vertrag in der vorliegenden Untersuchung der Lesbarkeit halber als Bayerisches Konkordat von 1817 bezeichnet wird.

Die Erforschung des abgeschlossenen und auch angewandten Konkordats von 1817 wird jedenfalls einen klärenden Beitrag zur bis in die Gegenwart reichenden Verhältnisbestimmung von Staat und (katholischer) Kirche in Bayern liefern können.

Thematische Hinführung

Die Problematik, wie Religion und Staat im geschichtlichen Kontext zueinanderstehen, umfasst folgende Fragestellungen: Wie verhalten sich Glaube und Vernunft zueinander?1 Wie sind aktuelle politische Problemstellungen mit auf die Zukunft gerichteten religiösen Verheißungen zu vermitteln? Inwiefern und inwieweit stimmen gesellschaftlicher Verband und religiöse Gemeinschaft überein? Aus diesem Fragebündel lässt sich ableiten, dass die Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Kirche prinzipiell auf jene Zeit zurückgeht, als sich Menschen bewusst geworden sind, in sozialen und zugleich religiösen Beziehungen zu leben. Eine Ausgestaltung von Religion ist das Christentum, das sich im Sinn einer konkreten Gemeinschaft als Kirche bezeichnet und in Jesus von Nazareth den geschichtlichen Anfang findet. Mit Jesus von Nazareth ist somit gleichzeitig der Ursprung der Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat sowie der konkrete Anfang der Kirche definiert.

Bei einem Blick auf die (Kirchen-)Geschichte ist festzustellen, dass es immer wieder zu faktisch geronnenen oder verhandelten bzw. schriftlich fixierten Verhältnisbestimmungen zwischen christlicher Gemeinschaft/Kirche und weltlicher Herrschaft/Staat kam. Manchmal verlief dieses konkrete Miteinander von Kirche und Staat harmonisch, manchmal wurde es hingegen hinterfragt bzw. problematisiert und war daher oftmals von Spannungen geprägt. Dabei ist stets die Verhältnisbestimmung differenziert nach Zeit und Ort, nach der Art der weltlichen/staatlichen Herrschaftsform, aber auch nach den vorherrschenden kirchlichen Interessen und den jeweiligen ekklesiologischen Standpunkten zu erkennen. Probleme und Spannungen im Miteinander von Kirche und Staat rühren grundsätzlich daher, dass die christliche Religion, als kirchlich verfasste Glaubensgemeinschaft, eine existenzielle Bedeutung für den einzelnen Gläubigen beansprucht und außerdem einen Rahmen von ethischen Werten für das zivile bzw. staatliche Gemeinwesen bereithält. Dieser in der Sendung der Kirche verankerte Anspruch ist grundsätzlich widerständig gegen alle anderen Ansprüche, auch gegen das staatliche Streben nach Macht gegenüber einzelnen Bürgern und ihren Vereinigungen. „Weiß ein Mensch sich durch seine Religion auf Grund und Ziel seiner Existenz gewiesen, auf sein endgültiges Heil, so ist er dadurch in einem seine Ganzheit bestimmenden Bezugssystem, das irdische Dimensionen übersteigt und ihn in einem letzten, heilsbestimmenden Maße stärker verpflichtet als politische oder gesellschaftliche Kräfte, deren Verpflichtungskraft grundsätzlich durch den Anspruch des Religiösen begrenzt wird.“2

Von daher kann es nicht verwundern, dass Spannungen zwischen Kirche und Staat zumeist zuerst von Gläubigen und Vertretern der Kirche als akut empfunden, bewusst gemacht, angeprangert oder beklagt wurden. Vertreter der weltlichen Obrigkeit reagierten hingegen häufig mit Unverständnis, insbesondere dann, wenn sich Gläubige, einzeln oder in Gruppen, als Opfer obrigkeitlicher Übergriffigkeit verstanden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass Probleme im Verhältnis von Kirche und Staat erst dadurch virulent werden konnten, weil das Christentum in der exklusiven Verpflichtung auf den einen Herrn Jesus Christus, sozusagen vom Fundament her betrachtet, in eine Distanz zur weltlichen Autorität geraten ist, wobei die Gemeinschaft der Gläubigen aufgrund des kirchlichen Sendungsauftrags nicht dauerhaft in dieser Distanz verharren konnte. Die Flucht vor der ‚bösen Welt‘ war somit keine kirchliche Option. Die Kirche hat stets im Rahmen ihrer Gläubigen auch stets die Nicht-Christgläubigen aufgesucht bzw. das alltägliche Leben mit ihnen geteilt und ist so zu einer dynamischen, beachtlichen sozialen Größe geworden. Das ging so weit, dass im Namen Gottes, des Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft, weltliche Herrschaft bestimmt und ausgeübt werden konnte.

Die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Kirche und Staat macht offenbar, dass sich beide Entitäten gegenseitig beeinflussen. Denn es sind jeweils dieselben Menschen, die als Christen und Untertanen/Bürger, d. h. als Subjekte und Objekte, die Tätigkeit beider Gemeinschaften tragen und ertragen bzw. dulden und fördern. Ein Nicht-Verhältnis zwischen Kirche und Staat kann es somit nicht geben, da selbst einseitige oder gegenseitige Ablehnung, Unterdrückung oder Ächtung ein Verhältnis ausdrücken.

Die Geschichte zeigt dabei, dass Staat und Kirche im Interesse der Menschen gewöhnlich zu einem zumindest erträglichen Miteinander zu gelangen versucht haben und die verantwortlichen Vertreter der geistigen und säkularen Gemeinschaft sich verpflichtet wussten, das gegenseitige Verhältnis zu gestalten. Dies geschah regelmäßig durch Verhandlungen, die in schriftliche Vereinbarungen mündeten. Solche Verträge zwischen staatlicher und kirchlicher Autorität, die in der Fachsprache Übereinkunft bzw. Konkordat genannt werden, sind daher als ein positiver Versuch zu bewerten, um das Miteinander von Kirche und Staat und ihren Mitgliedern in ein dauerhaftes und fruchtbares Verhältnis zu bringen. Dies gelang, wie die (Kirchen-)Geschichte zeigt, umso besser, je mehr die vitalen Interessen, Verfassungen und Ziele des jeweils anderen Partners anerkannt und berücksichtigt wurden.

Anlass und Motivation

Ein Beispiel aus der Reihe vertraglicher Vereinbarungen zur gegenseitigen Verhältnisbestimmung zwischen der katholischen Kirche und der staatlichen Gewalt, ist das Bayerisches Konkordat von 1817, das aus folgenden Gründen eine Untersuchung interessant macht:

Der Abschluss dieses Konkordats war die gegenseitige vertragliche Übereinkunft zur Gründung und Fixierung der bis heute geltenden Struktur der römisch-katholischen Kirche in Bayern. Der zweihundertste Jahrtag des Konkordatsabschlusses ist somit zugleich das zweihundertste Jubiläum des Bestehens der gegenwärtigen bayerischen Kirchenprovinzen, (Erz-)Diözesen und ihrer (Metropolitan- bzw. Kathedral-)Kapitel. Die Untersuchung des Konkordats bildet somit für die Kirche in Bayern zugleich die Erforschung des eigenen strukturellen Ursprungs bzw. ihrer Bedingungen. Der Ursprungsgedanke und das Jubiläumsgedenken rücken aber auch näher an die Gegenwart und gewinnen an Aktualität, weil die Umsetzung des Konkordats, näherhin die Besitzergreifung der Diözesen durch die ernannten und instituierten Bischöfe sowie die Installierung der Mitglieder der Kapitel, erst im Jahr 1821 angegangen werden konnte. Das Jubiläum des zweiten Zentenariums wurde jedoch in den bayerischen (Erz-)Diözesen und Kapiteln im Jahr 2021 unterschiedlich begangen: In Bamberg versammelte sich etwa das Kapitel am 11. November 2021, dem exakten Jahrtag seiner Errichtung, zu einem internen Festakt und feierte am Abend eine Eucharistie, der der Metropolitan-Erzbischof Ludwig Schick vorstand, welcher der (Neu-)Begründung der Diözese als Erzdiözese gedachte.3 In Eichstätt war am 25. November 2021 der Apostolische Nuntius eingeladen, um bei Abwesenheit des Diözesanbischofs als Hauptzelebrant einer Eucharistiefeier vorzustehen und zu predigen.4

Die Frage nach dem Ursprung der gegenwärtigen Gestalt der katholischen Kirche in Bayern führt somit zu eine Vergewisserung dessen, was damals zwischen den Völkerrechtssubjekten (Hl. Stuhl und Königreich Bayern) für die Kirche in Bayern vereinbart worden ist. Dies ist deshalb angebracht, da im gesellschaftlichen Diskurs und in der politischen Diskussion z. B. die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirche immer wieder kritisiert werden und oftmals populistisch und/oder undifferenziert deren Reduzierung, Ablösung oder gar ersatzlose Abschaffung gefordert wird. Ein nicht unerheblicher Teil der in Frage stehenden Staatsleistungen i. e. S. beruht jedoch, was gelegentlich übersehen oder nicht benannt wird, auf Vereinbarungen, die auf das Konkordat von 1817 zurückgehen und einen Ausgleich für die Gütersäkularisation des Jahres 1803 darstellen.5 Es handelt sich hierbei v. a. um Regelungen, die einst im gegenseitigen Interesse beiderseits freiwillig aufgestellt wurden. Diese völkerrechtlichen Vereinbarungen verlieren jedoch im Lauf der Zeit genauso wenig an Relevanz und Rechtskraft wie ein privatrechtlicher Kaufvertrag; dieser scheint durch das Alter geadelt und gefestigt zu werden, jenem will man Siechtum attestieren und untergehen lassen. Eine inhaltliche Klärung in Bezug auf das Konkordat von 1817 ist somit im Fall der Staatsleistungen und wohl auch hinsichtlich anderer Berührungspunkte zwischen Staat und Kirche geboten, sowohl ad intra der Kirche im Hinblick auf die Kenntnis eigener Rechtspositionen als auch ad extra hinsichtlich der Geltendmachung der Rechte.

Das Konkordat ist im Übrigen während einer Krisensituation der deutschen Kirche entstanden, als die Säkularisation im Jahr 1803 der Kirche die finanzielle Basis ihres Wirkens nahm. Der Untergang des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1806 bedeutete in der Folge auch den Untergang der deutschen Reichskirche und damit verbunden den Verlust ihres reichsverfassungsrechtlichen Status, die Annullierung des bisherigen fixierten Verhältnisses von Staat und Kirche und die Ortlosigkeit im zivilgesellschaftlichen Leben der politischen Gemeinwesen. Der krisenhafte Bruch mag daher im ‚katholischen‘ Bayern besonders hart empfunden worden sein. Mit dem Konkordat von 1817 wurde in der Folge die organisatorische Zerrüttung der Kirche und die pastorale Notlage beendet sowie ein organisatorischer Neubeginn für die katholische Kirche in Bayern in einer neuen Gestalt und ein spiritueller Aufbruch zu einem blühenden geistlichen Leben geschaffen. Das Konkordat mit einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirche hat damit eine Krise beendet, die Kirche konnte ihre Gestalt wandeln, doch blieb ihr geistliches Leben bewahrt bzw. blühte zeitgemäß auf. Diese Wandlung kann im Hinblick auf die Gegenwart der Kirche ermutigen, in der und für die ähnliche, krisenhafte Anzeichen zu konstatieren sind wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wenn das Konkordat von 1817 die staatskirchlichen Bedingungen der Möglichkeit zur glücklichen Überwindung der damaligen Krise fixieren konnte, sollte es auch heute hilfreich sein, sich erneut auf die unaufhebbaren, kirchlichen Fundamente zu konzentrieren und der Kirche einen gestaltlichen Wandel zuzugestehen.

Konzeptionelle Überlegungen und Aufbau

Das Bayerische Konkordat von 1817 ist eine Vereinbarung zwischen Staat und Kirche. Dabei ist festzuhalten, dass vor jeder sinnvollen Vereinbarung die Selbstvergewisserung der eigenen Herkunft, des eigenen Erbes und Standpunkts bzw. der Selbstsicht steht. Aufgrund allgemein bekannter, geistesgeschichtlichen Grundlagen ergeben sich in dieser Hinsicht einige konzeptionelle Überlegungen.

Für die Kirche, die sich in Lehre, Gestalt und Sendung als eine Stiftung Jesu von Nazareth sieht, ist die Rückbindung an die Urkunde des Stiftungswillens konstitutiv, der sich in der Apostolischen Überlieferung und den Schriften des Neuen Testaments findet. Die Reflexion auf den Stiftungswillen Jesu und seine Auslegung ergibt die Lehre von der Kirche, d. h. die Ekklesiologie als Teildisziplin der theologischen Dogmatik, die wiederum die Legitimationsgrundlage kirchlichen Handelns darstellt. Ist nun zwar die Urkunde des Stiftungswillens Jesu unveränderlich, so ist doch die erkennende Auslegung ein fortschreitender Prozess, der bedingt ist durch unterschiedliche Fragestellungen der verschiedenen Zeiten und Ereignisse. Wenn die Kirche im Lauf der (Kirchen-)Geschichte mit der weltlichen/zivilen Gewalt Vereinbarungen traf, tat sie es daher immer auch mit Hilfe eines bestimmten, ekklesiologischen Konzepts. Für diese Arbeit bedeutet das, dass sowohl neutestamentliche Texte als auch spätere, autoritative ekklesiologische Aussagen und Standpunkte zu berücksichtigen und darzustellen sind. Dabei ist einerseits zu rekurrieren auf das seit dem Konzil von Trient biblisch-patristisch, theologisch-ekklesiologisch und kanonistisch begründete Verständnis der Kirche als alleinseligmachende Gemeinschaft unter päpstlicher Führung, die über alle Mittel verfügt, die zur Erlangung ihrer Sendung nötig sind. Andererseits sind jedoch auch episkopalistische Kirchenbilder und Tendenzen im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu berücksichtigen.

Die Legitimation staatlicher Herrschaft erfolgte im Laufe der Geschichte ebenfalls aufgrund verschiedener Konzepte, z. B. mit purer, faktischer Gewalt, durch Erbgang, Berufung auf Gottes gnadenhafte Erwählung oder aufgrund einer Wahl durch Wahlberechtigte. Die Legitimationskonzepte staatlicher Herrschaft sind daher zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Vorstellungen über die Reichweite weltlicher Gewalt und die Ziele der Herrschaft verknüpft worden. So sind etwa vom Zeitalter der Antike an aufgrund philosophischer Reflexionen ideale Staats- und Herrschaftsformen erdacht und ausgeformt worden. Einige davon werden in dieser Arbeit zu erwähnen sein, insbesondere die in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts herrschende Idee der Staatssouveränität.

Aufgrund der eigenen ekklesiologischen und staatlichen Selbstbestimmung bzw. Positionierung fanden sich im Lauf der Geschichte einseitig provokative oder vereinnahmende Akte der Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirche. Es handelte sich dabei um gelehrte Theorien, (kirchen-)politische Erklärungen oder auch um (staatlich) durchgesetzte faktische Verhältnisbestimmungen. Nur dann konnten Abkommen entstehen, die den Namen Übereinkunft bzw. Konkordat verdienten, wenn sich die ekklesiologische und die staatliche Selbstpositionierung miteinander verschränkten. Das Bayerische Konkordat von 1817 ist beeinflusst von solchen zeitlich vorausliegenden Übereinkünften zwischen staatlicher und kirchlicher Gewalt; diese werden daher in der Folge aufgegriffen.

Seit der Formierung des Heiligen Römischen Reiches im 10. Jahrhundert umfasste dieses Herrschaftsgebiet stets auch das gesamte bayerische Territorium; wo Bayern war, war auch das Reich. Die bayerische Kirchengeschichte war somit immer auch Teil der Geschichte der Kirche im Reich. Bemerkenswert ist allerdings, dass schon der Begriff Reichskirche in sich eine gewachsene, stabile Verbindung zwischen Reich und Kirche anzeigt. Diese durchaus spannungsgeladene und manchmal krisengezeichnete Verschränkung von weltlicher und kirchlicher Gewalt ist daher für das Reich als geschichtlicher Verständnisrahmen aufzuzeigen. In ihm und mit Bezug auf ihn muss das Spezifikum an bayerischen kirchengeschichtlichen Besonderheiten ausführlicher dargestellt werden.

Das Bayerische Konkordat von 1817 ist ein Datum der Profan- und Kirchengeschichte. Veranlasst war es, weil sich die staatlichen und auch kirchlichen Verhältnisse aufgrund politischer Entscheidungen stark verändert hatten. Die umstürzenden Ereignisse, die Revolution in Frankreich und die Säkularisation kirchlicher Güter und Herrschaften in Deutschland, waren dabei das Ergebnis von spezifischen, philosophischen und rechtlichen Entwicklungen der Epoche des Spätabsolutismus bzw. der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Zugleich zeitigten dieselben politischen Ereignisse den Beginn der Romantik und die ersten Regungen des Ultramontanismus. Das je neue geistesgeschichtliche und kirchliche Konzept ermöglichte eine kirchlich-intellektuelle Opposition gegen die herrschende Staatsdoktrin und ihrer Kirchenpolitik. Die Untersuchung des Konkordats wird nicht gelingen, ohne die geistesgeschichtlichen Wurzeln, Wandlungen und Folgen aufzuzeigen.

Geschichtliche Daten, Ideen, Konzepte, Verhandlungen und Verträge waren schon immer verknüpft mit Personen, z. B. mit Herrschern, Philosophen, Juristen, Geistlichen, Beamten und natürlich auch mit den zahlreichen Untertanen/Bürgern der Herrschaftsgebiete bzw. Staaten, die zugleich mehr oder weniger zahlreich auch Glieder der römisch-katholischen Kirche waren.

Im Text des Bayerischen Konkordats von 1817 werden vier Personen namentlich benannt: Papst Pius VII., König Maximilian I Joseph von Bayern, der Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi und Freiherr Kasimir von Häffelin, der vom König bevollmächtigte Minister beim Heiligen Stuhl. Biografische Notizen unterschiedlichen Umfangs zu diesen und weiteren Personen, die für die Konkordatsverhandlungen verantwortlich waren und/oder darauf eingewirkt hatten, sind ein Beitrag zur Kontextualisierung und damit zum Verständnis des Konkordats. Derselbe Grund erhellender Situierung gilt im Übrigen auch dann, wenn alle in die Untersuchung einbezogenen profan- und kirchengeschichtlichen Ereignisse sowie die bemerkenswerten rechts- und geistesgeschichtlichen Entwicklungen mit Personen verknüpft bzw. an Personen exemplifiziert werden.

Die Regelungen des Verhältnisses zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt sowie zwischen Reich/Staat und Kirche waren immer auch auf ein Herrschaftsterritorium und seine Bewohner sowie auf territorial-personale, kirchliche Gliederungen bezogen. Gerade in den Zeiten der Verhandlungen des Bayerischen Konkordats von 1817 hat das Territorium Bayerns bzw. der Dynastie der regierenden Wittelsbacher zahlreiche Veränderungen erfahren, auf die wegen ihres Bezugs zu Diözesen, Bischöfen und Domkapiteln unbedingt einzugehen ist.

Mit der Säkularisation hat Bayern einen dauerhaften, großen Zuwachs an Bevölkerung und Territorien in Franken erhalten, näherhin die Katholiken und Gebiete der Hochstifte Bamberg, Eichstätt und Würzburg. Die durch eigene politische Geschichte und Rechtskultur verbundene (Kultur-)Landschaft und ihre Bevölkerung geriet daher geradezu zwangsläufig in eine (kirchen-)politische Opposition zur neuen zentralistischen Regierungspolitik. Da schon zuvor etliche Personen aus und in den fränkischen Hochstiften/Diözesen an der Rechtsentwicklung und Reichspolitik führend beteiligt waren – und auch wegen der Einflussnahme fränkischer Geistlicher auf die Konkordatsverhandlungen –, erscheint ein dezentes fränkisches Kolorit gerechtfertigt zu sein.

Forschungslage und Quellen, Zugang und Methode

Das Verhältnis von Staat und Kirche ist ein Thema, das seit der Antike bzw. der Urkirche bis zur Gegenwart immer wieder aus staatlicher und/oder kirchlicher Perspektive behandelt worden ist. In diesem Zusammenhang sind vor allem Gesamtdarstellungen, Einzeluntersuchungen oder kurze (oftmals anlassbezogene) Einlassungen entstanden. Deswegen kann konstatiert werden, dass die Quellen zum staatlichen Recht und zum Kirchenrecht seit der Antike bis in die Moderne in kritischen Ausgaben ediert sind, ebenso einzelne Dokumente kirchlicher und weltlicher Autoritäten, verschiedene Vereinbarungen zur Regelung des Staat-Kirche-Verhältnisses, auf die in der Arbeit eingegangen wird sowie einzelne staats- und staatskirchenrechtliche Gesetze und weitere kirchliche Akte und Verlautbarungen.

Das Bayerische Konkordat von 1817 ist sowohl in der zeitgenössischen staatlichen als auch der kirchlichen Rechtssammlung dokumentiert. Die Akten und Quellen, die in dieser Arbeit zu den Konkordatsverhandlungen verwendet werden, sind weitestgehend ediert; nicht allgemein zugängliche Archivalien sind insbesondere erschlossen durch die Arbeiten von Bastgen (Bayern und der Hl. Stuhl), Sicherer (Staat und Kirche in Bayern) und Hausberger (Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jahrhundert). Einzelaspekte und Hinweise sind in der weiteren Primärliteratur zum Konkordat dokumentiert.

Die in der vorliegenden Untersuchung herangezogenen anderen Arbeiten zum Bayerischen Konkordat von 1817 zeigen v. a. die geschichtliche Perspektive auf, zeichnen teilweise die einzelnen Vorgänge der Konkordatsverhandlungen akribisch nach und verweben sie schließlich mit anderen zeitgenössischen kirchlichen, staatlichen und politischen Vorgängen. Auf kirchenrechtliche Belange und Bezüge des Konkordats wird dabei hingegen kaum eingegangen. Darüber hinaus erscheint hier die staatskirchenrechtliche Perspektive zumeist nur bei der Fragestellung, ob das Konkordat für die staatliche oder kirchliche Seite günstiger ausgefallen sei.

Die vorliegende Untersuchung wählt daher einen anders gewichteten Zugang zum Bayerischen Konkordat von 1817, um so einen weiteren Verständnishorizont zu eröffnen und zusätzliche Erkenntnisse zu erschließen. Grundlage des Zugangs sind dabei folgende Überlegungen: Jedes Konkordat ist ein Vertrag, der zu einer bestimmten Zeit unterzeichnet wird und als Ergebnis von geschichtlich beschreibbaren Verhandlungen und einer komplexen Vorgeschichte geprägt ist. Deshalb ist die geschichtliche Perspektive stets durchgehend zu berücksichtigen. Da das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in seiner geschichtlichen Entwicklung von beiden Seiten bedacht, bearbeitet und gestaltet worden ist, sind Bezüge zum eigenen und zeitgenössischen Staatsverständnis/Staatsrecht bzw. zur Ekklesiologie/dem Kirchenrecht aufzuzeigen. Jedes Konkordat ist ein Rechtstext, der vom Staat nach Abstimmung mit der völkerrechtlichen Leitung der römisch-katholischen Kirchen (Hl. Stuhl) als Gesetz der staatlichen Rechtsordnung erlassen wurde, um damit das Staat-Kirche-Verhältnis in wichtigen (Teil-)Bereichen auf seinem Territorium verbindlich zu ordnen. Das heißt: Das Konkordat ist (zwar auch) kirchliches Recht, doch wird es als staatliches Recht für die Kirche, als Staatskirchenrecht faktisch umgesetzt, angewandt und durchgesetzt. Diese Perspektive soll daher in der Folge durchgängig und besonders berücksichtigt werden.

Das Vorgehen wird hinsichtlich der geschichtlichen Entwicklungen und Ereignisse chronologisch-synchron sein, um einen übergreifenden Verständnisrahmen für das zeitgenössische Staat-Kirche-Verhältnis aufzuzeigen und um mit Fokus auf das Konkordat die Verschränkung der fortschreitenden Verhandlungen mit den zeitgleich stattfindenden staatspolitischen Ereignissen Bayerns und seiner kulturell-geistigen Wandlung aufzeigen zu können. Zugleich wird die Arbeit auch asynchron-systematisch in Bezug auf die Inhalte verschiedener Thesen, Standpunkte und Staat-Kirche-Verträge angelegt, insbesondere jene des Konkordats von 1817, um inhaltliche Vorgaben, Rückbindungen und Wandlungen der vertretenen bzw. vereinbarten Positionen darstellbar zu machen. Die Methode zeigt sich somit in einer Verschränkung eines chronologisch-synchronen und asynchron-systematischen Vorgehens.

Aufbau und Ziel der Arbeit

Vorliegende Untersuchung zum Bayerischen Konkordat von 1817 ist wie folgt aufgebaut:

Einen ersten Teil mit wichtigen Basisinformationen und staatskirchenrechtlichen Grundlagen (Kapitel 1–3) bildet die ausgewählte Darstellung der ineinander verschlungenen profan- , kirchen- und geistesgeschichtlichen Entwicklungen mit ihren (staat- und kirchen- )rechtlichen Implikationen hin zum Konkordat von 1817. Dabei wird zunächst von neutestamentlichen Texten ausgegangen. Anschließend folgen Schritte über das Mittelalter bis in die Neuzeit, wobei sich die Darstellung zunehmend auf die bayerischen Verhältnisse konzentriert.

In dem darauffolgenden Teil (Kapitel 4) werden Personen vorgestellt, die an den Konkordatsverhandlungen beteiligt waren. Außerdem wird der Verhandlungsprozess bis zur Paraphierung nachgezeichnet. Dieser Prozess wird in drei Etappen untergliedert, die sich an politischen Ereignissen orientieren. In diesem Zusammenhang wird jeweils eine historische Situierung, die Darstellung der verschiedenen Textentwürfe zum Konkordat mit ihrer (staatskirchen- und kirchen-)rechtlichen Erläuterung sowie eine Auswertung geboten. Dieses Kapitel 4 bildet das Herzstück vorliegender Arbeit. Denn es präsentiert, vergleicht, schafft Bezüge, wägt ab und schätzt ein, was in den einzelnen Konkordatsentwürfen enthalten ist. Es bietet eine analytische Durchdringung der Texte und bildet die Basis für begründete Ergebnisse der Arbeit.

In einem weiteren Abschnitt (Kapitel 5) wird die vier Jahre währende Zeitspanne über die verzögerte Ratifikation bis zur rechtlichen Umsetzung vorgestellt, wobei hier insbesondere auf die kirchen- und staatsrechtlichen sowie staatskirchenrechtlichen Implikationen eingegangen wird. Danach wird das ratifizierte Konkordat im Vergleich zum paraphierten Text gezeigt und seine allgemeine Relevanz für das Staat-Kirche-Verhältnis beleuchtet.

Der letzte Teil (Kapitel 6) ist als Auswertungsteil und Ergebnissicherung konzipiert. Hier wird vor allem die Entwicklungsgeschichte und kanonistisch-staatskirchenrechtliche Interpretation aller Bestimmungen des ratifizierten Konkordats aufgezeigt, dazu eine Zusammenfassung nach Themengruppen besonderer staatlicher oder kirchlicher Bedeutung sowie weitere Akzente verständniserschließender Kontextualisierung, die Bewertung des Konkordats im Spiegel der (Fach-)Literatur und seiner Wirkungsgeschichte.

Ein umfangreicher Anhang umfasst verschiedene Textentwürfe zum Konkordat von 1817, die in Originalsprache aufbereitet und, sofern nicht in Deutsch verfasst, mit einer Übersetzung zugänglich werden. Die Präsentation der einschlägigen (Gesetzes-)Texte zum Konkordat soll ein Beitrag sein, um den Forschungsstand zugänglich zu machen. Weitere kleine Anhänge erschließen andere Konkordate und Zusammenhänge.

Das 200-jährige Jubiläum des Bayerischen Konkordats von 1817/21 erinnert an ein staatskirchenrechtliches Denk-mal (!), das allen populistischen Parolen und Aktionen gegen das wohlbegründete und gut geordnete Verhältnis von Staat und Kirche in Bayern entgegensteht.

Das Ziel dieser Untersuchung ist deshalb, das Bayerische Konkordat von 1817, das mit seinen Wurzeln weit verzweigt in die Profan-, Geistes-, Rechts- und Kirchengeschichte zurückreicht, mit dem Fokus auf die kanonisch- staatskirchenrechtlichen Inhalte vorzustellen. Dabei soll das Konkordat als ein Dokument erschlossen und ausgelegt werden, mit dem das Verhältnis von Staat und Kirche in Bayern bis ins 20. Jahrhundert, d. h. bis in die Gegenwart nachhaltig und insgesamt positiv geprägt wurde.


1 Die Verbindung und gegenseitige Bezogenheit von Glaube und Vernunft war z. B. ein bestimmendes Thema der Theologie und des Pontifikats des im Dezember 2022 verstorbenen Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. (1927–2022, amt. 2005–2013).

2 Mikat, Paul, Art. Kirche und Staat, I. Einleitung, in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft (hg. v. d. Görres-Gesellschaft), Sonderausg. d. 7. völlig neu bearbeiteten Auflage, Bd. 3, Freiburg, Herder, 1995, 468.

3 Diesen Tag konnte der Autor persönlich als Mitglied des Domkapitels erleben.

4 Vgl. Homepage des Bistums Eichstätt, Eichstätter Domkapitel feiert 200-jähriges Jubiläum, URL: https://www.eichstaetter-dom.de/index.php?id=41233&L=6&tx_news_pi1%5Bnews%5D=34901&cHash= aeb1d342c399dd3d1a0dcb3370e05cbc, Zugriff am 31.12.2022.

5 Vgl. zum Thema etwa die knappen Äußerungen von Reinhard Kardinal Marx anlässlich seines Jahresabschlussgesprächs mit Medienvertretern im Artikel des epd: Marx weist Kritik zu Missbrauchs-Aufarbeitung der Kirchen zurück, in: Sonntagsblatt. 3600 EVANGELISCH, Ausgabe v. 19.12.2022, 22. Das Thema Missbrauch nimmt bezeichnenderweise nur knapp die Hälfte des Umfangs des Artikels ein, der andere Teil handelt von den Staatsleistungen und der Medienberichterstattung darüber. Auf die Forderung mancher Medien, dass die Kirche auf die Staatsleistungen verzichten solle, „sagte der Kardinal sichtlich genervt: ‘Vielleicht kriegen sie dafür ein Lob von ihren Lesern, wenn sie da draufhauen – aber sauber ist es nicht.’“, ebd. Vgl. zum Thema Staatsleistungen und ihrer Ablösung ganz unterschiedliche Auffassungen und Argumentationen: Carsten Frerk, Zur Ablösung der Staatsleistungen, v. 27.06.2022, in: Homepage der Forschungsgruppe für Weltanschauungen, URL: https://fowid.de/meldung/zur-abloesung-staatsleistungen, Zugriff: 01.01.2023; Michael Germann, Der Weg zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, in: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Monitor, Religion und Politik, November 2022, pdf-Dokument unter URL: https://www.kas.de/de/monitor/detail/-/content/abloesung-der-staatsleistungen-nach-art-140-gg-i-v-m-art-138-abs-1-wrv, Zugriff am 01.01.2023.

1 Kirche und Staat in neutestamentlichen Schriften

Die Frage nach dem Verhältnis von transzendenzorientierter Religion und manifester, irdischer Gewalt ist wahrscheinlich ein Marker, der den Beginn der kulturellen Entwicklung in der Menschheitsgeschichte anzeigt.6 Häufig waren beide Bereiche in der Person des Herrschers als Fürst und Hohepriester verknüpft. Eine Ausnahme stellte das Volk Israel dar, das immer ein religiös begründetes, distanziertes Verhältnis zu weltlichen Herrschern hatte und im Vergleich zu den umgebenden Völkern erst relativ spät ein Königtum etablierte, das unter den Königen eine einflussreiche Priesterschaft sowie starke prophetische Persönlichkeiten bis zum Beginn der christlichen Zeitrechnung beibehielt.

Die verbindliche Urkunde des Christentums ist das Neue Testament. In dessen vier Evangelien und der apostolischen (Brief-)Literatur sind Aussagen und Intentionen sowie Taten des Urhebers des christlichen Glaubens, Jesus von Nazareth, überliefert und erste verbindliche Auslegungen des Glaubens an Jesus als Sohn Gottes, den Christus und Kyrios der christlichen Glaubensgemeinschaft, fixiert.

Folgende neutestamentliche Textbeispiele zum Verhältnis von Religion und weltlicher Herrschaft sollen betrachtet werden:

Ein Abschnitt aus dem Evangelium nach Matthäus (22,15–22), eines der synoptischen Evangelien. Eine Perikope aus dem Johannesevangelium (18,33–38), das sich in der Konzeption und im Eigengut deutlich von den synoptischen Evangelien unterscheidet. Ein Abschnitt aus der Apostelgeschichte (5,27–33), dessen Verfasser wohl auch das Lukasevangelium geschrieben hat und mit diesem Geschichtswerk sein Evangelium als Kirchengeschichte fortsetzte. Einige Verse aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom (13,1–8), der zugleich ein Empfehlungsschreiben des missionierenden Apostels darstellt. Eine Perikope aus einem Brief (1Tim 2,1–6), der als Verfasser den Apostel Paulus suggeriert und eine kirchliche Leitungsperson als Empfänger benennt. Schließlich ein Kapitel aus der Offenbarung des Johannes (13,1–18), einem apokalyptisch-katechetischen Text.

Die Auswahl dieser biblischen Texte darf aufgrund der unterschiedlichen Verfasser, die eigene Intentionen mit ihrem Gesamttext verfolgten, als hinreichend und gerechtfertigt gelten.

1.1. Gebt dem Kaiser nicht, was Gott gehört! Mt 22,15–22

Jesus zog im Dienst seiner Sendung, die Frohe Botschaft vom Reich Gottes und der Liebe Gottes zu verkünden, durchs Land. In Jerusalem, wo sich seine Sendung vollenden sollte, angekommen, profilierte sich Jesus mit seiner Botschaft vor seinen Zuhörern und den jüdischen Autoritäten. Der Evangelist Matthäus überlieferte in diesem Zusammenhang eine Reihe von Gleichnissen7, die Jesus erzählte sowie einige Antworten, die er auf an ihn herangetragene Fragen8 gab.

Eine dieser Anfragen ist jene nach der Erlaubtheit, dem Kaiser die Steuer zu entrichten in Mt 22,15–22:

15Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. 16Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. 17Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? 18Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mir eine Falle? 19Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin. 20Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? 21Sie antworteten: Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! 22Als sie das hörten, waren sie sehr überrascht, wandten sich um und gingen weg.

Die Perikope9 ist Gemeingut der Synoptiker. Der Evangelist Matthäus hat sie, was den Aufbau betrifft, ganz entsprechend der ihm vorliegenden Parallelstelle bei Mk 12, 13–17 überliefert. Die Frage, die Jesus im Auftrag der Pharisäer gestellt wird, bildet eine Doppelfrage (‚ist es erlaubt oder nicht?‘), die so formuliert ist, dass sie im Grunde nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Wie immer Jesus auch geantwortet hätte, es hätte ihn daher angreifbar gemacht.

Hätte Jesus etwa mit Ja geantwortet, dann hätte er sich die Gegnerschaft nicht unbedeutender jüdischer Gruppierungen zugezogen, die ihn der Kollaboration mit den das Land besetzthaltenden Römern hätten beschuldigen können. Darüber hinaus hätte er die theologische Relevanz der Frage überspielt, die ihm als Lehrer des Glaubens gestellt wurde und darauf abzielte, was denn nun Gottes Gebot und Wille sei. Hätte Jesus aber auf die Frage mit Nein geantwortet, dann hätten ihn seine theologischen Gegner bei den Römern als Anstifter zum Aufruhr denunzieren und ihn sozusagen über das Feld der Politik auch auf dem Feld der Religion ausschalten können.

Jesus sagt daher weder Ja noch Nein und zeigt damit keine römerfreundliche Einstellung, aber noch weniger Tendenzen, um als Anstifter zum Ungehorsam zu gelten.10 Vielmehr gibt er eine Antwort, in der zwei Aspekte zusammengefügt sind. Als paralleles Beispiel mag die Frage nach dem wichtigsten Gebot dienen, die sich im Umfeld der hier behandelten Perikope findet und die Jesus mit dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe11 beantwortet. Während aber beim Doppelgebot der Liebe zwei gleichwertige Aspekte nebeneinandergestellt werden („ebenso wichtig“), gibt es bei der Antwort auf die Steuerfrage trotz des unverfänglich klingenden „und“ ein Gefälle zwischen Gott und Kaiser. Ein „beschwichtigendes Nebeneinander“12 etwa in altprotestantischer Auslegung, bei der das ‚und‘ im Sinne von ‚zugleich‘ verstanden wurde, woraus sich die Struktur ableitete, dass gerade der, der dem Staat/Kaiser, das ihm Geschuldete leiste, zugleich Gott gehorche,13 kann daher von Jesus nicht intendiert sein. Dabei würde nämlich seine Ankündigung der Gottesherrschaft und seine existentielle Verwurzelung in der jüdischen Frömmigkeit nicht ernstgenommen werden, die Gott als den Schöpfer und Herrn zu bekennen und zu feiern weiß,14 dessen Majestät jedoch jeden Menschen trotz seiner sich aus dem Schöpfungsbericht hergeleiteten Gottebenbildlichkeit auf seine geschöpfliche Kondition zurückwirft.15 Falls die Ansprüche des Kaisers mit denen Gottes in Konfrontation geraten, ist der Gehorsam dem Kaiser aufzukündigen und jedenfalls Gott zu leisten. Gott ist in jedem Fall mehr zu gehorchen als den Menschen,16 womit Jesus eine Feststellung trifft, die sich auch auf die Steuerfrage anwenden lässt, sie zugleich aber in einen größeren Kontext hebt und überschreitet. Mit der Antwort Jesu auf die Steuerfrage beginnt eine Differenzierung zwischen Religion und Politik, die bis dahin im Bewusstsein der Menschen verschmolzen war. Jesus überwindet jedoch die Vermischung beider Sphären, die den jüdisch-theokratischen Vorstellungen entsprach und klärt, dass es für eine Mythisierung und Sakralisierung der politischen Macht keine Grundlage gibt, wie es auch keinen Sinn macht, die politische Macht zu dämonisieren, solange sie sich nicht gegen die vorrangigen Rechte Gottes wendet.17

„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt22,21) Das ließe sich, bei allem Respekt vor den Worten der Evangelisten, die damit das Gefälle zwischen Gott und dem Kaiser ausdrücken wollen, um vor dem (Miss-)Verständnis eines gleichberechtigten Nebeneinanders zu bewahren, auch pointierter wie folgt formulieren: Gebt dem Kaiser nicht, was Gott gehört! Damit ist zwar – modern gesprochen – eine staatskritische Note in diese Perikope eingetragen, was jedoch als Sitz im Leben gerechtfertigt erscheint für die Zeit Jesu und der Urkirche, da der Kaiser in einer heidnischen Gesellschaftsordnung Gottähnlichkeit beanspruchte, und durch die Nutzung der Perikope, die durch die Jahrhunderte zur Begründung eines distanziert gestalteten Kirche-Staat-Verhältnisses herangezogen wurde.18

Nicht vergessen werden sollte dabei jedoch die Wirkungsgeschichte der Perikope in der Urkirche. Hier hat nämlich die Perikope zur Steuerfrage und ihre Beantwortung mit ihrer impliziten Frontstellung zwischen Kaiser und Gott, ja, der absoluten Überordnung Gottes über den Kaiser, zur religiösen und gesellschaftlichen Isolation der Christen geradezu beigetragen, was sich insbesondere in der vorkonstantinischen Zeit auswirkte.19 Die Isolierung ergab sich, da etwa die von den Kaisern veranstalteten Spiele „von den christlichen Schriftstellern wegen ihres kultischen Ursprungs auch in die Nähe von Götzendienst und Dämonenunwesen gerückt [wurden], was auf die Mitchristen natürlich im Sinne religiöser Abschreckung wirken sollte.“20 Für die Öffentlichkeit wiederum war auffällig, dass sich die Christen bei den zahlreichen Festen zu Ehren der Götter oder des Kaisers nicht beteiligten, ihre Häuser nicht schmückten und bei den das Fest begleitenden, als soziale Klammer fungierenden, Straßenfesten fehlten.21 Christen wurden darüber hinaus davor gewarnt, Magistratsaufgaben zu übernehmen oder gar die senatorische Laufbahn einzuschlagen, da damit immer auch die Beteiligung an Festen des heidnischen (Kaiser-)Kults verbunden war, ein Amtseid abzulegen war, der eine religiöse Zumutung bedeutete, und Gerichtsfunktionen mit sich brachte, die sich u. U. auch gegen Mitchristen richten konnten.22

Dem Anpassungsdruck der heidnischen Umwelt widersetzten sich die Christen aber vor allem dort, wo ihr Bekenntnis zu Gott, der in seinem Sohn und durch das Wirken des Heiligen Geistes den Menschen die Hoffnung auf ewiges Heil anbietet, in Frage gestellt wurde. Davon zeugen die Christenprozesse und die Martyrien unzähliger Christen verschiedenen Alters und beiderlei Geschlechts, „die sich dem Druck der Staatsgewalt, ihren Glauben aufzugeben, den Staatskult mitzuvollziehen und durch das Opfer für das Wohl des Kaisers oder den Schwur beim Glück bzw. Genius des Kaisers ihre Loyalität zu beweisen, hartnäckig widersetzten.“23

Die Distanzierung von der zivilen Gesellschaft ging dabei soweit, dass Origenes entgegen des biblischen Wortlauts24 behaupten konnte, dass die Heimat der Christen nicht erst im Himmel liege, sondern mit der irdischen (Kirchen-)Gemeinde vor Ort identifiziert werden kann,25 wodurch die Kirche zu einer Gesellschaft in der Gesellschaft, zu einem Staat im Staat mit eigener Hierarchie und eigener Ordnung stilisiert wird. Diese Sichtweise der Kirche wurde zur Zeit des Origenes und auch später immer wieder als Bedrohung der zivilen Ordnung und Herrschaft empfunden und bekämpft bzw. als Argument für Eingriffe staatlicher Machthaber in das kirchliche Regiment benutzt.

Im Übrigen sind manche Forderungen staatlicher Autoritäten, die zur Zeit der Urkirche zum Martyrium führten, auch in etlichen Staaten der Gegenwart noch die Ursache, dass Christen verfolgt werden und das Martyrium um des Glaubens willen auf sich nehmen.

1.2 Nicht von der Welt, doch in der Welt; Joh 18,33–38

Von den Evangelien der Synoptiker (Matthäus, Markus und Lukas) unterscheidet sich das Evangelium des Johannes26 deutlich. Dies zeigt sich insbesondere im zeitlichen und örtlichen Rahmen der Darstellung des Lebens Jesu, in der literarischen Eigenheit und in der spirituell-theologischen Konzeption. Das Johannesevangelium entstand zwischen 100 und 110 n. Chr., wobei die Verfasserschaft und der Entstehungsort bis heute diskutiert werden. Das Evangelium nach Johannes setzt die Kenntnis der anderen Evangelien voraus und ergänzt den übernommenen Stoff mit umfangreichem Eigengut.

Die Darstellung von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu im Johannesevangelium (Kap. 18–20) erinnert insbesondere durch die Schilderung des Prozessverlaufs vor Pilatus an eine dramaturgische Inszenierung, die durchgehend vom Bekenntnis geprägt ist, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, der seine Würde und seine Hoheit nicht verliert. In der Gesamtschau wird daher dieses Evangelium in der (Tauf-)Katechese einer Gemeinde, die von einer präsentisch realisierten Eschatologie in ihren Beziehungen zur Umwelt und zum Staat geprägt war,27 seine adäquate Verwendung gefunden haben.

Vor Pilatus reklamiert Jesus den Königstitel für sich, was als Begründung für die Hinrichtung auf dem Kreuzestitel angegeben wird und setzt seine Macht mit der Staatsmacht in Relation. Der Abschnitt lautet in Joh 18,33–38:

33Da ging Pilatus wieder in das Prätorium hinein, ließ Jesus rufen und fragte ihn: Bist du der König der Juden? 34Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt? 35Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein Volk und die Hohepriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? 36Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. 37Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. 38Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit? Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und sagte zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.

Die Perikope28 schildert einen (ersten) Verhörabschnitt Jesu durch Pilatus, worin dieser versucht, die Anklage zu klären: Bist du der König der Juden, also ein politischer Aufrührer? Was hast du getan, also welche verbrecherische Tat hast du begangen? Beides lehnt Jesus für sich ab; er ist kein Usurpator der politischen Macht im Sinne der Partei der Zeloten.29 Danach bekennt sich Jesus zu einem nicht weltlichen Königtum, er reklamiert für dieses Königtum den Königstitel und offenbart seine Sendung, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Daran ist nun Pilatus nicht interessiert, weder als Wahrer römischen Rechts und römischer Herrschaft noch persönlich. Dass Pilatus damit die entscheidende Chance seines Lebens verpasst, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Vielmehr interessiert die Positionierung Jesu: Ein Königtum, ein Reich, ein Be-Reich (!), der nicht von dieser Welt, sondern von einer anderen Welt, von einer anderen Art ist. Wenn es von der Art dieser Welt wäre, würden Jesus-Leute (!) für ihn kämpfen. Von diesem Königtum anderer Art ist Jesus König bzw. das Haupt oder der Herrscher. Vom Be-Reich der anderen Art ist Jesus in diese Welt gekommen, um die Wahrheit Gottes (über das rechte Leben, die richtige Ordnung, die guten Beziehungen) zu bezeugen.30 Dabei „weiß sich Jesus als den alleinigen, kompetenten Gesandten aus der Welt Gottes, der die Heilswahrheit offenbart.“31

Die Positionierung Jesu bedeutet eine Distanzierung gegenüber der Lebensart dieser Welt, gegen den/die Königstitel dieser Welt und auch gegen die machtbegründete Definition von Königtum/König. Die Botschaft Jesu ist: Ich und mein Königtum32 sind nicht von dieser Welt, doch in der Welt und für die Welt. Im Hinblick auf seine Jünger ist derselbe Gedanke (nicht von der Welt, aber in der Welt und für die Welt) dargelegt in der Abschiedsrede (Joh 17,14–18), die Jesus beim Mahl vor seiner Passion an die Jünger gerichtet hat.

Festzuhalten bleibt, dass Jesu Bekenntnis zu seinem Königtum (der eigenen, der anderen Art) vor Pilatus immer dazu verlockt hat, das Verhältnis zwischen staatlicher Macht und dem Königtum Jesu, also beide Bereiche, näher zu bestimmen. „Der Spannungsbogen reicht von einer Spiritualisierung des ‘Reiches’ Christi bis zu einem ‘politischen’ Anspruch, der darin impliziert sei.“33 Klar ist, dass Jesu Bekenntnis eine Distanzierung gegenüber der staatlichen/weltlichen Gewalt und Ordnung beinhaltet. So ist diese Perikope dann auch in der Auslegungsgeschichte verstanden worden: Zum einen im Sinn einer Relativierung der staatlichen Gewalt und Ordnung im Hinblick auf die je andere und größere Macht Gottes, zum anderen in der Kritik an den weltlichen Machtansprüchen der Kirche und der weltlichen Herrschaft ihrer geistlichen Amtsträger.

1.3 Gott mehr gehorchen als den Menschen! Apg 5,29

Lukas hat sich ein ambitioniertes Schreibprogramm vorgenommen und auch ausgeführt. In seinem Evangelium schildert er das Leben Jesu mit seinen Worten und Taten als Frohe Botschaft unter der besonderen Berücksichtigung des barmherzigen Gottes, der sich in Jesus Christus insbesondere den armen, benachteiligten, zu kurz gekommenen Menschen zuwendet und gerade ihnen die Liebe Gottes zusagt. In der Apostelgeschichte beschreibt Lukas die spannungsreiche Bildung und Formung der urchristlichen Gemeinde sowie das Missionswerk der jungen Kirche, das in Jerusalem seinen Anfang genommen hat und insbesondere von Paulus mächtig vorangetrieben wurde.

Die erste Verkündigung der Apostel in Jerusalem stieß zumindest bei den religiösen und politischen Führungsgremien der Juden auf Widerstand. Die Apostel mussten vor den Gremien und deren Mitgliedern Rechenschaft ablegen. Eine Perikope, die das beispielhaft schildert, findet sich in Apg 5,27–33.

27Man führte sie herbei und stellte sie vor den Hohen Rat. Der Hohepriester verhörte sie 28und sagte: Wir haben euch streng verboten, in diesem Namen zu lehren; ihr aber habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt; ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. 29Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

30Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt. 31Ihn hat Gott als Herrscher und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken. 32Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen. 33Als sie das hörten, gerieten sie in Zorn und beschlossen, sie zu töten.

Die Perikope34 ist eine parallele Ausführung zu Apg 4,5–22.35 Die Apostel stehen (wieder) vor Gericht und werden (wieder) verhört. Es wird ihnen vorgeworfen, dass sie das früher ausgesprochene Predigtverbot nicht beachtet hätten und Blutrache für den Tod Jesu üben wollten. Danach antwortet Petrus als Sprecher der Apostel, denen er sich einmütig verbunden weiß, dass Gott mehr zu gehorchen ist als den Menschen. Daraufhin legt er dar, wer denn der Gott ist, dem mehr zu gehorchen sei als den Menschen, es sei der Gott der Väter. Abschließend und als Höhepunkt der kurzen Rede verkündet Petrus die soteriologische Bedeutung Jesu für das Heil der Menschen, insbesondere durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen sowie die Übereinstimmung des apostolischen Zeugnisses mit dem Zeugnis des Heiligen Geistes Gottes, womit die Mitglieder des Hohen Rates disqualifiziert werden. Kein Wunder, dass die Ratsvertreter anschließend ungehalten reagieren.

Gott ist mehr zu gehorchen als den Menschen – in Apg 4,19 heißt es dazu: „Ob es vor Gott recht ist, mehr auf euch zu hören als auf Gott, das entscheidet selbst“, dies bildet jedoch keine Erst-Erkenntnis des Apostels.36 Immerhin ist hier vom Apostel ein von den beteiligten Personen unabhängiges Prinzip formuliert,37 das grundsätzlich immer, überall und für jeden, d. h. hier auch für die Mitglieder des Synedriums, gilt, dass nämlich Gott jeder menschlichen Macht und Weisung über- bzw. vorgeordnet ist.

Das von Petrus ausgesprochene Prinzip entfaltete eine reichhaltige Wirkungsgeschichte,38 und das nicht nur bei der Konfrontation von Christen mit unchristlichen Widersachern, sondern auch innerhalb christlich geprägter Gesellschaften, etwa im mittelalterlichen Streit zwischen päpstlicher oder kaiserlicher Suprematie und ebenso in innerkirchlichen Frontstellungen, etwa in der Reformationszeit.

Die Gravität für das in der Apostelgeschichte formulierte Prinzip, dass Gott mehr zu gehorchen ist als den Menschen, ist evident für die Geschichte und Gestaltung des Kirche-Staat-Verhältnisses.

1.4 Der staatlichen Gewalt Gehorsam leisten; Röm 13,1–8

Saulus/Paulus hatte, ohne je dem irdischen Jesus begegnet zu sein, eine einschneidende biographische Erfahrung gemacht (Apg 9,1–22). Diese interpretierte er als gottgewirkte Berufung zum autorisierten Verkünder Jesu, die er fortan unter existentiellem Einsatz zu seinem Lebensinhalt machte. Dabei bezeichnete er sich wie jene, die mit Jesus das Wanderleben geteilt hatten und die sich einer direkten Berufung des irdischen Jesus erfreuen konnten, selbst als Apostel.39 Auf einer seiner Missionsreisen in Kleinasien hatte Paulus bereits geplant, die christliche Gemeinde in der Hauptstadt des römischen Reiches aufzusuchen. Als Ergebnis dieser Reiseplanung, die ihn über Rom bis nach Spanien führen sollte, ist der Römerbrief im Winter 56/57 in Korinth40 verfasst worden. Natürlich wird Paulus in Rom predigen wollen, obgleich es keine Missionspredigt mehr sein wird, sondern eine Predigt zu einer im Glauben schon verwurzelten Gemeinde. „Die Katze lässt er – taktisch verständlich – erst am Ende des Briefs aus dem Sack“41: Rom soll daher nur ein Etappenziel auf dem Weg nach Spanien sein, vgl. Röm 15,24.28. Bekanntlich gelangte Paulus schließlich erst als Gefangener nach Rom, wo er, zum Tod verurteilt, 64 oder 67 n. Chr. durch das Schwert den Märtyrertod starb.

Im Römerbrief schreibt Paulus einige Zeilen, die etwas zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat beitragen können, nicht nur, weil in ihnen auch von der Steuerzahlung, wie in Mt 22,15–22 die Rede ist.

Röm 13,1–8:

Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott ist. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben.

Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre. Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.

Paulus spricht in dieser Perikope an,42 wie die Christen ihre Beziehungen zu den staatlichen Autoritäten43 gestalten sollen. Es ist dies ein „Aufruf zu genereller Botmäßigkeit“44. Zur Begründung führt Paulus die göttliche Einsetzung jeglicher Staatsgewalt an. Doch ist zu beachten: Paulus vergöttlicht den Staat nicht, er benennt nur das Faktum, dass die staatliche Autorität von Gott gewollt ist und nicht etwa durch das Naturrecht oder den Konsens entsteht; seine providentielle Funktion ist es, das Gute zu fördern und das Böse zu unterdrücken.45 Implizit ist in diesem Gedankengang jedoch die andere Grundüberzeugung enthalten, wonach Gott der Herrscher der Welt ist, es also keine Machtposition gegen seinen Willen geben kann. Mit dieser Argumentationsfigur46 kann Paulus Widersetzlichkeiten gegen die Staatsgewalt als Verstoß gegen Gottes Anordnung qualifizieren und so zu unterbinden versuchen, was im Interesse der prekären Situation der Gemeinden in Rom verständlich ist.

Dass Paulus zunächst nichts an einer banalen Rechtfertigung der römischen Verwaltungsstrukturen und ihres Handelns gelegen war, wird deutlich an der Weisung, in keiner Sache etwas schuldig zu bleiben, also auch niemandem Anstoß zu geben, weder im zwischenmenschlichen noch im gesellschaftlichen Bereich. Das Zahlen von Steuern dient Paulus in dem Zusammenhang zur Verstärkung der These, dass Gott und die profanen Einrichtungen zusammengehören.47 Dass die Liebe aber immer geschuldet sei, konzentriert die Ausführungen des Paulus wieder auf die religiöse und persönliche Dimension: Nächstenliebe sowie gar Feindesliebe werden greifbar im Einsatz der Christen für das Gute und für das Gemeinwohl; so zeichnen sich Christen aus, so wird der christliche Glaube im römischen Umfeld bezeugt.

Paulus beschreibt die staatliche Gewalt, ihre göttliche Einsetzung und ihr Wirken in positiver Perspektive, ungetrübt von den Erfahrungen staatlicher Übergriffe, Machtmissbrauch und Korruption. „Der moderne Leser ist immer wieder unangenehm berührt von der Naivität, mit der Paulus […] die Staatsgewalt überhaupt und Gottes gegenwärtiges Weltregiment ineinander schaut.“48 Andererseits kann der Christ als Glied einer verschwindend geringen religiösen Minderheit seinen Glauben nicht gegen die Obrigkeit zur Geltung bringen. Illoyales Handeln und Unruhe stiften konterkarieren daher das Bemühen, als Mitsorgende am Gemeinwohl wahrgenommen zu werden.

Freilich ist auch nach dieser paulinischen Aussage das christliche Verhältnis zur staatlichen Gewalt kritisch-dialektisch deutbar: Staatstreue, Wohlanständigkeit, ein anziehendes Bild für die Umwelt – dies alles ist gerade dadurch möglich, dass sich der Christ in seinem Denken aus der Konformität mit dieser finsteren, überfälligen Welt löst, geistig aufrüstet49 und sich im Alltagsleben auf die Praxis der Gottes- und Nächstenliebe konzentriert. Die dialektische Sicht auf den Staat als Teil der Welt hat deshalb auch die Auslegungs- und Wirkungsgeschichte dieser Perikope mitbestimmt.

1.5 Das Ideal christlicher Bürgerlichkeit? 1 Tim 2,1–6

Gemeinhin werden die drei neutestamentlichen Schriften, der 1. und 2. Brief an Timotheus sowie der Brief an Titus, als Pastoralbriefe bezeichnet. Diese Bezeichnung kommt daher, weil die Briefe an Hirten (pastores) der Kirche gerichtet sind bzw. Fragen der Hirtensorge für die christlichen Gemeinden, der Pastoral, in einem zeitgebundenen Kontext angesprochen werden. Als Verfasser weist sich im Präskript 1 Tim 1,1 (vgl. auch 2 Tim 1,1 und Titus 1,1) der Apostel Paulus aus. Jedoch herrscht wegen sprachstilistischer und theologischer Abweichungen die Auffassung vor, mit dem Brief habe ein unbekannter Verfasser unter Vorgabe der paulinischen Autorität die Anliegen des Apostels gegen Irrlehren absichern und fortschreiben wollen.50 Die Entstehungszeit wird um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert angesetzt.51 Als Empfänger wird im Präskript Timotheus52 genannt, ein Begleiter des Paulus, der in den Paulusbriefen mehrfach erwähnt wird. Timotheus war Sohn eines griechisch-heidnischen Vaters und einer judenchristlichen Mutter (Apg 16,1) sowie ein Begleiter und enger Mitarbeiter des Paulus auf den Missionsreisen und nach Eusebius von Cäsarea (Hist. Eccl. III, 4,5) Bischof in Ephesus. Der Brief ist jedoch einerseits dem Duktus nach nicht als Privatschreiben zu erkennen, zumindest scheint mit Timotheus zugleich eine Gemeinde angesprochen zu werden, sodass es zumindest zweifelhaft wirkt, dass Timotheus tatsächlich der primäre Empfänger dieses Briefes war. Andrerseits wird auch die Meinung vertreten, dass das Schreiben eine amtliche, briefliche Instruktion an eine Einzelperson sei, eine Form, derer sich Herrscher für Mitteilungen an ihre Beamten bedienten; ob damit jedoch die Beziehung zwischen Paulus und einem bewährten Mitarbeiter adäquat erfasst wird, kann bezweifelt werden. Der 1 Tim besteht überwiegend aus Ermahnungen und Anweisungen, wie das Gemeindeleben zu gestalten ist sowie aus Ratschlägen und Worten der Ermutigung für den Dienst, der Timotheus (und anderen Pastores) aufgetragen und anvertraut ist.53

Details

Seiten
902
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631911228
ISBN (ePUB)
9783631911235
ISBN (Hardcover)
9783631911174
DOI
10.3726/b21346
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (März)
Schlagworte
Katholische Kirche Kirchengeschichte Papst Pius VII. König Maximilian I. Joseph Konkordat Staat und Kirche Bayern Franken Staatskirchenrecht Aufklärung Romantik Staatssouveränität
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2024. 902 S.

Biographische Angaben

Heinrich Hohl (Autor:in)

Heinrich Hohl ist Mitglied des Metropolitankapitels Bamberg, Vizeoffizial und Dekan in Bayreuth. Mit einer Arbeit zum Metropolitenamt und zur Metropolitanverfassung wurde er 2009 zum Dr. theol. promoviert. Er arbeitete zehn Jahre im Generalvikariat und als Hauptabteilungsleiter im Ordinariat der Erzdiözese Bamberg.

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Titel: Das Bayerische Konkordat von 1817/21