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Persönliche Leitungspflicht

Zur Delegation durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft

von Valentin Mezger (Autor:in)
©2024 Dissertation 260 Seiten

Zusammenfassung

Die Bedeutung der Delegation durch den Vorstand in Aktiengesellschaften wächst aufgrund von Gesetzesreformen und der Komplexität des modernen Wirtschaftslebens stetig. Dabei sind die Grenzen der Delegationsmöglichkeit sowie die dogmatische Grundlage des aktienrechtlichen Delegationsverbots mangels gesetzlicher Regelung nicht abschließend geklärt. In jüngerer Zeit werden die hierzu bestehenden Grundsätze vermehrt kritisiert. Der Autor liefert im ersten Teil der Publikation zu diesen Fragen einen eigenen Ansatz mithilfe allgemeiner Prinzipien des Auftragsrechts. Dies gelingt unter Abkehr der Verknüpfung der Delegationsfrage mit der Dichotomie von Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben. Schließlich wird das Ergebnis der Untersuchung auf die Kernaufgaben des Vorstandsmandats angewendet. Gegenstand des zweiten Teils sind die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Delegation und in diesem Zusammenhang auftretende Fragen der gesamtschuldnerischen Haftung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • Einleitung
  • Gang der Darstellung
  • Kapitel 1: Delegation und Vorstandshaftung
  • § 1 Vorstandshaftung und Delegation
  • A. Vorstandshaftung für Eigenverschulden
  • B. Delegationsbegriff
  • I. Etymologie und allgemeines Sprachverständnis
  • II. Verwendung im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang
  • III. Verwendung im anderweitigen juristischen Kontext
  • 1. Delegatio des römischen Privatrechts
  • 2. Begriffsverständnis im öffentlichen Recht
  • IV. Gesellschaftsrechtliches Verständnis von Delegation
  • V. Stellungnahme
  • C. Haftung für Delegation: „Ob“ und „Wie“
  • D. Delegationsarten im Vorstandsrecht
  • E. Verortung der Delegation im Haftungstatbestand
  • I. Relevanz
  • II. Meinungsstand
  • III. Stellungnahme
  • § 2 Zwischenergebnis
  • Kapitel 2: Leitung und das „Ob“ der Delegation
  • § 1 Begründung des aktienrechtlichen Delegationsverbots
  • A. Dogmatische Erschließung
  • I. Historische Genese zu § 76 Abs. 1 AktG
  • 1. Entwicklung bis zur heutigen Fassung
  • 2. Deutung der Rechtsentwicklung und systematische Einbettung der Vorschrift
  • II. Prinzip der Gesamtverantwortung
  • 1. Gesamtverantwortungsprinzip als anerkannter Grundsatz des Rechts des Vorstands
  • 2. Dogmatik
  • a. Herleitung aus dem Letztentscheidungsrecht § 77 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 AktG
  • b. Ableitung aus dem Kollegialprinzip
  • c. Herleitung aus der Pflicht zur Selbstkontrolle
  • d. Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung
  • e. Stellungnahme
  • (1) Widerlegung der genannten Auffassungen
  • (2) Gesamtverantwortungsprinzip als 
rechtdogmatische Überhöhung
  • (3) Allgemeingültigkeit der Gesamtverantwortung
  • (4) Unüberschaubare Prinzipienflut
  • (5) Folgerung für das Delegationsverbot
  • III. Höchstpersönlichkeit der Vorstandsaufgabe
  • 1. Geschäftsbesorgungsrecht und Übertragbarkeit in das Gesellschaftsrecht
  • 2. Der Vorstand als Geschäftsbesorger der AG
  • a. Subsumtion unter den Geschäftsbesorgungsbegriff
  • b. Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis
  • c. § 27 Abs. 3 S. 1 BGB als gesetzlicher 
Anknüpfungspunkt
  • d. Zwischenergebnis
  • 3. Telos des § 664 BGB und Übertragung auf den Vorstand
  • a. Historische Genese
  • (1) Das mandatum des römischen Rechts
  • (2) Auftragsübertragung im Entwurf zum BGB
  • b. Heutige Rechtslage und Übertragung auf den Vorstand
  • 4. Substitution, Delegation und Erfüllungsgehilfen
  • 5. Schlussfolgerung
  • IV. Unzulässiges Haftungsdefizit durch Delegation
  • 1. Haftungsrechtliche Bedenken
  • 2. Stellungnahme
  • 3. Beschränkung auf den disziplinären Kernbereich
  • V. Kontroll- und Überwachungsdefizit
  • 1. Beeinträchtigung der Überwachungstätigkeit durch Delegation
  • 2. Stellungnahme
  • VI. Zwischenergebnis
  • B. Der aktienrechtliche Leitungsbegriff
  • I. Verhältnis von Leitung und Geschäftsführung
  • 1. Meinungsstand
  • a. Strikte Trennung von Leitung und 
Geschäftsführung
  • b. Leitung als Gesamtheit von Geschäftsführung und Vertretung
  • c. Geschäftsführung als Teil der Leitung
  • d. Leitung als herausgehobener Teil der 
Geschäftsführung
  • 2. Stellungnahme
  • a. Andeutung der Deckungsgleichheit in den Gesetzesbegründungen
  • b. Wortsinn
  • c. Leitung kein Oberbegriff für Geschäftsführung und Vertretung
  • d. Systematische Einbettung der hM
  • C. Korrelation zwischen Leitung und Delegationsverbot
  • I. Kritik an der Korrelation zwischen Leitung und 
Delegation
  • II. Stellungnahme
  • 1. Zum „aufgabenbezogenen“ Ansatz
  • 2. Zum „entscheidungsbezogenen“ Ansatz
  • 3. Beurteilung anhand von § 93 AktG oder 
§ 76 AktG?
  • a. Entwicklung im Rahmen des 
Vorwegbindungsverbots
  • b. Die Irrelevanz des Streitentscheids für das 
Delegationsverbot
  • c. Zwischenergebnis
  • III. Problem des aktienrechtlichen Delegationsverbots
  • 1. Weiterhin direkte Korrelation zwischen Delegation und Leitung
  • 2. Flut an Leitungsaufgaben
  • 3. Fazit
  • IV. Lösungsansatz
  • 1. Pflichtebene
  • a. Delegationsverbot als individuelle 
Sorgfaltspflicht
  • b. Leitungsaufgaben als erster 
Determinationsparameter
  • c. Persönliche Wahrnehmungspflicht
  • d. Ausmaß der persönlichen Befassung – 
nichtdelegierbare Angelegenheiten
  • 2. Verschuldensebene
  • a. Zurechenbarkeit
  • b. Abgeänderte Sorgfaltsanforderungen
  • § 2 Anwendung und inhaltliche Konkretisierung der Leitungspflichten des Vorstands
  • A. Gesetzlich zugewiesene Leitungsaufgaben
  • I. Einberufung der Hauptversammlung und sonstige Entscheidungspflichten
  • II. Teilnahmepflicht
  • III. Beschlussvorlagepflicht
  • IV. Vorbereitung von Hauptversammlungsbeschlüssen
  • V. Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen
  • VI. Berichterstattung an den Aufsichtsrat
  • VII. Buchführungspflicht, § 91 Abs. 1 AktG
  • VIII. Organisationspflichten § 91 Abs. 2 AktG
  • IX. Errichtung und Führung eines Aktienregisters
  • X. Vorlagepflicht gem. § 111 Abs. 4 S. 2 AktG
  • XI. Jahresabschluss
  • XII. Insolvenzantragspflicht
  • 1. Eingeschränkte horizontale Delegationsmöglichkeit
  • 2. Beachtung der Ressortverteilung im Rahmen des Verschuldens
  • 3. Keine Übertragung an nachgeordnete Mitarbeiter
  • XIII. Sonstige öffentlich-rechtliche Pflichten
  • XIV. Zwischenergebnis
  • B. Unternehmerische Leitungsaufgaben
  • I. Erkenntnisse aus der Betriebswirtschaftslehre
  • II. Typologische Erfassung im aktienrechtlichen Schrifttum
  • III. Allgemein delegierbare Elemente – „immanente Pflichtenreduzierung“
  • 1. Vorbereitung und Ausführung
  • 2. Delegierbare Entscheidungen im Leitungsbereich
  • IV. Einzelne unternehmerische Leitungspflichten
  • 1. Unternehmensplanung
  • 2. Unternehmensorganisation
  • 3. Kontrolle und Überwachung
  • 4. Besetzung der oberen Führungspositionen
  • V. Compliance als Leitungspflicht
  • 1. Inhalt der allgemeinen 
Complianceorganisationspflicht
  • 2. Nichtdelegierbare Durchsetzungspflicht
  • 3. Überwachungspflicht
  • VI. Sonstige nichtdelegierbare Leitungsangelegenheiten
  • 1. Rekurs auf §§ 90 Abs. 1 Nr. 4 AktG und 116 HGB
  • 2. Bezug auf das Unternehmen als Ganzes
  • 3. Grenze der Vorstandskompetenz
  • 4. Krisen- und Ausnahmesituationen
  • § 3 Rechtmäßiges Alternativverhalten und Delegationsverbot
  • § 4 Zwischenergebnis
  • Kapitel 3: Anforderungen und Rechtsfolgen: Das „Wie“ der Delegation
  • § 1 Horizontale Delegation
  • A. Möglichkeiten der Geschäftsverteilung
  • B. Gleichberechtigung der Vorstandsmitglieder
  • C. Anforderungen
  • I. Formelle Anforderungen
  • 1. Nachrangige Vorstandskompetenz
  • 2. Einvernehmen aller Vorstandsmitglieder
  • 3. Schriftformerfordernis
  • II. Materielle Anforderungen und Grenzen der Geschäftsverteilung
  • 1. Sachgerechtigkeit
  • 2. Klare und Eindeutige Aufteilung
  • 3. Alle Geschäftsführungsangelegenheiten
  • 4. Fachlich und persönlich geeignetes Vorstandsmitglied
  • 5. Wahrung der Zuständigkeit für nicht delegierbare Angelegenheiten
  • D. Rechtsfolgen
  • I. Rechtsfolge teilweise unzureichender Geschäftsverteilung
  • II. Verschiebung der Verantwortlichkeiten
  • 1. Ressortverantwortung des primär Ressortzuständigen
  • a. Einzelgeschäftsführungsbefugnis und Ressortleitung
  • b. Informationspflichten
  • 2. Doppelte Ressortzuständigkeit
  • 3. Sachnahe Nachbarressorts
  • 4. Ressortfremde Vorstandsmitglieder
  • a. Keine Geschäftsführungsbefugnis
  • b. Einzelfallabhängige Überwachungspflicht
  • (1) Vertrauensgrundsatz
  • (2) Vertrauensgrundsatz und Überwachung bei nichtdelegierbaren Angelegenheiten
  • (3) Ausmaß der Überwachungspflicht
  • 1. Zumutbarkeit als äußerste Grenze
  • 2. Grundsätzliche Beschränkung auf 
Vorstandssitzungen
  • 3. Keine laufende Kontrolle und keine Stichproben
  • 4. Erhöhte Überwachungspflicht in der Krise
  • c. Keine Delegation der vorstandsinternen 
Überwachungspflicht
  • d. Informationsanspruch
  • e. Pflicht zum Einschreiten
  • (1) Anhaltspunkte für eine Fehlentwicklung
  • (2) Nachforschungspflicht
  • (3) Interventionsmöglichkeiten
  • (4) Widerspruchsrecht
  • f. Beweislast
  • III. Gesamtschuldnerische Haftung
  • 1. Innenregress und § 840 Abs. 2 BGB
  • 2. Kritik an der Heranziehung des § 840 Abs. 2 BGB
  • 3. Konsequenz: § 254 BGB analog
  • IV. Haftung für Gesamtvorstandsentscheidungen
  • Exkurs: Wirkung für die Organaußenhaftung
  • 1. Grundsätze der Organaußenhaftung
  • 2. Beurteilung
  • 3. Inhalt der Verkehrspflicht und Bedeutung der 
Ressortverteilung
  • E. Zwischenergebnis
  • § 2 Vertikale Delegation
  • A. Zulässigkeit der vertikalen Delegation
  • B. Unveräußerlichkeit der Ressortleitung
  • C. Anforderungen
  • I. Formelle Anforderungen
  • II. Materielle Anforderungen
  • 1. Auswahl
  • 2. Einweisung
  • 3. Einräumung von Vertretungsbefugnissen
  • a. Grenzen der Vertretungsbefugnis
  • b. Vertretung in Leitungsangelegenheiten
  • D. Rechtsfolge: Wandel in die Überwachungsverantwortung
  • I. Rechtsfolge unzureichender vertikaler Delegation
  • II. Vertrauensgrundsatz und vertikale Delegation
  • III. Ausmaß der Überwachungspflicht
  • IV. Delegation der vertikalen Überwachungspflicht
  • V. Gesamtschuldnerische Haftung
  • 1. Gesamtschuld und Innenregress
  • 2. Problem der „gestörten Gesamtschuld“
  • a. Meinungsstand
  • b. Stellungnahme
  • E. Zwischenergebnis
  • § 3 Externe Delegation
  • A. Outsourcing und Betriebsführungsverträge
  • B. Verbandsautonomie und Hauptversammlungszuständigkeit
  • C. Sicherstellung der Leitungsmöglichkeit durch vertragliche Abreden
  • I. Delegationsentscheidung und Auswahl des Delegatars
  • II. Einräumung von Informations-, Kontroll- und Prüfungsrechten
  • III. Zustimmungsvorbehalte
  • IV. Kündigungsrechte
  • D. Rechtsfolge unzulässiger Leitungsentäußerung bei externer Delegation
  • I. Meinungsstand
  • II. Stellungnahme
  • Zusammenfassung in Thesen
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis

Einführung

Einleitung

„Das grundlegende Geheimnis der Kunst des Managens besteht im Delegieren“1 konstatierte der Historiker und Publizist Cyril Northcote Parkinson einst treffend. Denn wie der Lyriker Richard von Schaukal erkennt: „Alles selbst machen zu wollen, ist das Kennzeichen des Unbegabten“2. Arbeitsteilung durch Delegation gehört daher zum Alltag der Unternehmenspraxis eines jeden fachkundigen Vorstandsmitglieds einer AG. Eingang in die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre fanden delegationsfreundliche Managementmodelle spätestens im Jahre 1956, als an der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg das sogenannte „Harzburger Modell“ vorgestellt wurde3. Unter der Leitung des Staatsrechtlers Reinhard Höhn4 wurde, angelehnt an den US-amerikanischen Führungsstil des „management by delegation“, ein Führungsmodell entwickelt, das mit den festgefahrenen, den Gesellschaftsstrukturen entsprechenden, autoritär-patriarchalischen Führungsstilen brach5. Das Harzburger Modell prägte fortan die Managementlehre des 20. Jahrhunderts und bildete den Grundstein dafür, dass das „management by delegation“ in Deutschland heute ein mittlerweile anerkanntes Prinzip darstellt6. Mit dem stetigen Wandel der Unternehmenswelt, der das Aufgaben- und Verantwortungsspektrum von Geschäftsleitern entsprechend vergrößert und verändert, besteht das Bedürfnis nach Delegation umso mehr. Kremer merkte im Sitzungsbericht zum deutschen Juristentag 2014 an, der Gesamtvorstand der Telekom habe sich allein im ersten Halbjahr 2014 mit mehr als 300 Themen befasst7. Dass hierbei nur die wichtigsten Angelegenheiten behandelt werden und alle sonstigen Geschäftsführungsmaßnahmen außerhalb des Gesamtvorstands stattfinden, liegt auf der Hand. Alle sonstigen Angelegenheiten sind auf einzelne Mitglieder, nachgeordnete Mitarbeiter oder gesellschaftsexterne Stellen delegiert. Delegation ist somit für jeden Vorstand eine Alltäglichkeit, zumal man annehmen darf, dass sich die Aufgabenlast seit 2014 tendenziell eher vergrößert als verkleinert hat.

Ist die praktische Bedeutsamkeit der Delegation eindeutig, so wird ein Vorstand bei einem Blick in das AktG enttäuscht. Jenes bietet, mit Ausnahme des § 77 Abs. 1 S. 2 AktG, der die vorstandsinterne Geschäftsverteilung legitimiert, keinen gesetzlichen Rahmen für die Delegation. Insbesondere gibt es keinerlei Regelung für deren Grenzen, auf die es, um sich rechtlich abzusichern, gerade ankommt. Das juristische Schrifttum befasst sich kaum tiefergehend mit den Grundlagen und den dogmatischen Fragen betreffend die Delegation8. Vielmehr werden von den Anhängern der hM meist bestehende Grundsätze rezitiert9, was neuerdings Autoren Anlass gab, diese zu hinterfragen10. Die partielle Uneinigkeit verwundert nicht, wenn man erkennt, dass es bislang an einer grundlegenden dogmatischen Herleitung für eine der zentralen Fragen fehlt, weshalb bestimmte Angelegenheiten nicht delegiert werden dürfen und daher zwingend im Vorstand wahrgenommen werden müssen. Daher dreht sich die Diskussion weitgehend um die Definition und Auslegung einer Begrifflichkeit: Den aktienrechtlichen Leitungsbegriff. Zudem beleuchtet das Schrifttum die Problematik im Wesentlichen von der Rechtsfolgenseite. Dabei basieren die Erwägungen meist auf zweckgeleiteten Gesichtspunkten und vermeintlich etablierten Prinzipien, die teilweise ebenso unscharfe Konturen haben, wie die Delegationsproblematik selbst. Jene Lücke in der Dogmatik der Delegation durch den Vorstand bietet den Anlass für die folgende Arbeit. Bestehende Grundsätze sollen mit Hilfe allgemeiner Rechtsgrundsätze hinterfragt und bei Bedarf durch ein dogmatisches Fundament untermauert werden. Aufgrund der hohen praktischen Relevanz der Delegation, besteht aus wissenschaftlicher Sicht für eine lückenlose rechtliche Grundlage zweifelsohne Bedarf. Das aktienrechtliche Delegationsverbot und die Anforderungen und Rechtsfolgen einer Delegation sind mithin Gegenstand dieser Arbeit.

Gang der Darstellung

Inhaltlich ist die Arbeit auf die Delegation innerhalb einer unverbundenen AG durch den Vorstand beschränkt. Weiterhin wird die Delegationsproblematik mit Ausnahme eines Exkurses nur in Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des Vorstands im Innenverhältnis gem. § 93 AktG thematisiert. Zudem ist Ziel der Arbeit die Entwicklung und Infragestellung allgemeiner Grundsätze, weshalb davon abgesehen wurde, einzelne Vorstandspflichten in aller Breite zu thematisieren. Strukturell ist die Arbeit in drei Kapitel untergliedert. Das erste Kapitel dient der Einordnung der Delegation in den Haftungstatbestand des § 93 AktG, wobei dazu der Rechtstatbestand der Delegation in Zusammenhang mit dem Vorstand näher definiert wird. Nachfolgend ist die Arbeit thematisch in das „Ob“ und das „Wie“ der Delegation unterteilt, wobei beidem ein Kapitel gewidmet ist. Das zweite Kapitel beinhaltet demnach eine Auseinandersetzung mit dem aktienrechtlichen Delegationsverbot, wobei die Kernfrage die Korrelation zwischen dem Leitungsbegriff des § 76 Abs. 1 AktG und der Delegationsgrenze betrifft. Um diese zu ergründen, wird die hinter dem Delegationsverbot stehende Dogmatik ergründet und der historische Zusammenhang beleuchtet. Das Delegationsverbot wird im Rahmen dessen anhand eines gänzlich neuen Ansatzes erschlossen. Das dritte Kapitel widmet sich den Anforderungen und den Rechtsfolgen der Delegation, was hier generalisierend als das „Wie“ der Delegation bezeichnet ist. Dabei wird zwischen horizontaler, vertikaler und externer Delegation unterschieden. Diese Begriffe werden im einleitenden Kapitel näher erläutert. Die Formulierung der Anforderungen und Rechtsfolgen erfolgt unter Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen der Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder und der notwendigen verantwortungsreduzierenden Wirkung der Delegation. Zudem werden einige haftungsrechtliche Fragen betreffend die gesamtschuldnerische Haftung zwischen Delegant (dem Vorstand) und Delegatar erörtert. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Thesen.


1 Cyril Northcote Parkinson war ein britischer Historiker, Soziologe und Publizist (1909 – 1993).

2 Richard von Schaukal war ein österreichischer Lyriker und Essayist (1874 – 1942).

3 Höhn/Böhme, Der Weg zur Delegation, S. 2 Fn. 2; Schmidt-Husson, Corporate Compliance, § 6 Rn. 1; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 295.

4 Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Reinhard Höhn als „Chefideologe“ des NS-Staates galt, weshalb dessen Erwähnung lediglich historische Zwecke verfolgt, jedoch keinerlei Ausdruck von Konformität mit dem dahinterstehenden Gedankengut darstellen soll, vgl. zu Reinhard Höhn und der Kontinuitätsthese Johann Chapoutots die Rezension von Stefan Kühl, Führen auf Harzburger Art in der Süddeutschen Zeitung vom 9. April 2021, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/fruehe-bundesrepublik-fuehren-auf-harzburger-art-1.5248793 (Stand: 11.04.2022).

5 Höhn/Böhme, Der Weg zur Delegation, S. 1.

6 Schmidt-Husson, Corporate Compliance, § 6 Rn. 1.

7 Kremer, DJT 2014 Bd. II/1, S. 30.

8 Vgl. aber Dreher, FS Hopt Bd. I, 2010, S. 517 ff.; Kuntz AG 2020, 801 ff.; Linnertz, passim; Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1463 ff.

9 Fleischer, in: BeckOGK AktG, § 76 Rn. 9; Grigoleit/Tomasic, in: Grigoleit AktG, § 93 Rn. 56 f.; Grigoleit, in: Grigoleit AktG, § 76 Rn. 7 ff.; Spindler, in: MüKoAktG, § 76 Rn. 15 ff., § 93 Rn. 169 ff.; Weber, in: Hölters/Weber AktG, § 76 Rn. 8 ff.

10 Koch, in: 50 Jahre AktG, S. 66 (100 f.); Kuntz AG 2020, 801 ff.; Linnertz, Delegation, passim; Noack ZHR 2019, 105 (124 f.); Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1463 ff.

Kapitel 1: Delegation und Vorstandshaftung

§ 1 Vorstandshaftung und Delegation

Es handelt sich bei der Delegation um ein Enthaftungsinstrument für den Vorstand, welches im Wege der Arbeitsteilung Verantwortung innerhalb des Unternehmens streut und so diejenige des Vorstands reduziert. Insofern steht die Delegation in unmittelbarem Zusammenhang mit der Haftungsvorschrift § 93 AktG.

A. Vorstandshaftung für Eigenverschulden

§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG wohnt der Grundsatz inne, dass der Vorstand nicht umfassend für den Erfolg der Geschäftsführung einzustehen hat, sondern nur dann gem. § 93 Abs. 2 AktG in die Haftung gerät, wenn er schuldhaft seine Pflichten verletzt11. Der Vorstand ist eben nicht eigenes Vermögen verwaltender Einzelkaufmann, der für den eigenen geschäftlichen Erfolg einzustehen hat, sondern wahrer fremder Vermögensinteressen unter Berücksichtigung der Aktionärs-, Arbeitnehmer- und Allgemeininteressen12. Daher hat er gegenüber der Gesellschaft nur diejenigen Pflichten zu erfüllen, die sich aus dem Gesetz, der Satzung, der Geschäftsordnung oder dem Anstellungsvertrag ergeben13. Dabei haftet er zudem nur für eigenes Verschulden. Nach allgemeiner Auffassung werden vom Vorstand eingeschaltete nachgeordnete Mitarbeiter14 und externe Dritte15 im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig und sind somit deren Erfüllungsgehilfen und keine Erfüllungsgehilfen des Vorstands16. Eine Zurechnung an den Vorstand gem.§ 278 BGB scheidet somit aus. Das hat der BGH in der ISION-Entscheidung in Bezug auf die Einschaltung von Rechtsberatern erneut betont17. Cahn erlaubt sich dazu zu bemerken, dass sich die Pflichtenkreise des Vorstands und der Gesellschaft weitestgehend decken und sich Vorstandsmitglieder Dritter letztlich nahezu immer auch zur Erfüllung eigener Amtspflichten bedienen18. Doch kommt auch Cahn im Ergebnis dazu, dass die Anwendung des § 278 BGB zu einem unüberschaubaren Haftungsrisiko der Vorstände führen würde. Einer der wesentlichen Zwecke des § 93 AktG ist es, den Vorstand selbst zu sorgfältigem Geschäftsleiterhandeln anzuhalten (Verhaltenssteuerung)19. Der Vorstand soll jedoch nicht Kompensationsgarant für jedes Fehlgehen innerhalb des Unternehmens sein. Eine Enthaftungswirkung durch die Möglichkeit, sich zuarbeiten zu lassen und somit ein Ausschluss der Zurechnung bedingt deren praktische Notwendigkeit. Daher ist mit der hM die Zurechnung für das Verschulden Dritter grundsätzlich abzulehnen. Ebenfalls auszuscheiden hat die Anwendung des § 831 BGB, da Angestellte und Dritte unstrittig als Verrichtungsgehilfen der Gesellschaft bestellt sind und nicht als solche des Vorstands20. In deren Geschäftsherrinenstellung tritt der Vorstand auch nicht ein, weshalb § 831 Abs. 2 BGB ebenfalls nicht einschlägig ist21. Das Direktionsrecht führt der Vorstand an Stelle der Gesellschaft aus und nicht an derer statt. Die Beschränkung auf die Haftung für Eigenverschulden verhindert darüber hinaus eine gegenseitige Zurechnung innerhalb des Vorstands. Jedes Vorstandsmitglied erfüllt seine eigenen Organpflichten und ist weder Verrichtungs- noch Erfüllungsgehilfe der anderen22. Das gilt auch für den Fall, dass ein Prokurist an Stelle eines Vorstandsmitglieds handelt, da der Prokurist eigener Pflichtadressat wird und zu sorgfältigem Handeln verpflichtet ist23.

B. Delegationsbegriff

Dem Vorstand kommt innerhalb der AG die Aufgabe zu, das Unternehmen eigenverantwortlich zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Er ist alleiniges Handlungsorgan, da der Aufsichtsrat und die Hauptversammlung von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind (vgl. §§ 111 Abs. 4 S. 1, 119 Abs. 2 AktG). Daher ist unabdingbar, dass der Vorstand im Wege der Arbeitsteilung die Geschäftsführungsaufgabe auf seine Mitglieder, nachgeordnete Angestellte und Externe aufteilt. Hier kommt der Rechtstatbestand der Delegation ins Spiel. Er ermöglicht dem Vorstand einerseits, der gesamten Geschäftsführungsaufgabe Herr zu werden, verpflichtet ihn andererseits jedoch bei der Aufgabenverteilung selbst sorgfältig zu handeln. Letztlich wird mit dem Rechtstatbestand der Delegation die Haftungslücke gefüllt, die durch die Nichtanwendung des § 278 BGB droht. Dass der Vorstand sich nämlich durch Arbeitsteilung seiner Verantwortung für die Geschäftsführung umfassend begibt, ist nicht haltbar. Das AktG erwähnt den Begriff der Delegation nicht, weshalb für die hier angestellte Untersuchung eine Definition erschlossen werden soll.

I. Etymologie und allgemeines Sprachverständnis

Der Begriff der Delegation stammt ursprünglich aus dem Lateinischen. Übersetzt bedeutet das Ursprungswort „delegare“ „hinschicken“, „anvertrauen“, „übertragen“, „jemandem zu etwas den Auftrag geben/jemanden beauftragen“24. Verwendet wird er im allgemeinen Sprachgebrauch überwiegend im politischen Kontext, wenn es um Delegierte geht25. Ein Politiklexikon beschreibt die Delegation „rechtlich [als] die Überantwortung von einer Institution an eine andere“, während Delegierte als „von einer Institution Bevollmächtigte, die an deren Stelle auftreten und mit der Ausführung bestimmter Aufgaben beauftragt sind“ definiert werden26. Entnehmen lässt sich daraus, dass mit dem Begriff Delegation jedenfalls ein Übertragungstatbestand in Form einer Beauftragung eines anderen zu bestimmten Aufgaben gemeint ist.

II. Verwendung im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang

In der betriebswirtschaftlichen Organsationslehre wird Delegation überwiegend als Übertragung von Kompetenz (und Verantwortung) durch das Management auf hierarchisch nachgeordnete organisatorische Einheiten27 bzw. als „Abtreten von Entscheidungskompetenzen an nachgeordnete Stellen“ verstanden28. In einer generalisierenden Definition wird Delegation „(z)usammenfassend […] als eine auf Dauer angelegte Übertragung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung begr[iffen], die sich im Verhältnis zwischen Delegierendem und Delegationsempfănger realisiert und auf das Schaffen zurechenbarer Handlungsspielrăume gerichtet ist“29. Außerdem gilt in der Betriebswirtschaft das sog. Kongruenzprinzip, wonach sich Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung stets decken sollen30.

III. Verwendung im anderweitigen juristischen Kontext
1. Delegatio des römischen Privatrechts

Ein Blick zurück in das römische Privatrecht führt zur delegatio (Anweisung) als Anwendungsfall der iussum (Ermächtigung)31. Grundsätzlich gestand das römische Recht dem Gläubiger aufgrund der Leistungszusage bei Fälligkeit die unbeschränkte Herrschaftsgewalt über die Person des Schuldners zu32. Daher entwickelten sich Möglichkeiten, diese strikte persönliche Bindung der Haftung abzuändern. Dazu entstand das Rechtsinstitut der Novation, zu der die delegatio einen Unterfall bildete. Die delegatio beinhaltete die formfreie Erklärung die Handlung eines anderen gegen sich wirken zu lassen, also die Umschaffung und Überleitung einer Schuld in eine andere. Die delegatio trat dabei in Form der delegatio solvendi (Zahlungsanweisung) und der delegatio obligandi (Verpflichtungsanweisung) auf33. Durch die delegatio solvendi ermächtigte der Angewiesene (Delegat) den Anweisenden (Delegant) an den Anweisungsempfänger (Delegatar) zu leisten, wodurch der Delegat seiner Schuld gegenüber dem Deleganten befreit war und jener von seiner Schuld gegenüber dem Delegatar frei wurde34. Der Anweisende delegierte seine Pflicht zur Leitungserfüllung gegenüber dem Anweisungsempfänger also auf den Angewiesenen. Gleichzeitig akzeptierte der Gläubiger (Delegatar) die Anweisung seines Schuldners (Delegant), zur Schuldtilgung eine Verbindlichkeit mit einer dritten Person (Delegat) einzugehen, die wiederum die Forderung gegen den Deleganten befriedigen sollte. Die delegatio obligandi beschrieb die Ermächtigung durch den Anweisenden an den Angewiesenen sich dem Anweisungsempfänger durch stipulatio (Verbalvertrag) zu verpflichten35. War die Verpflichtung in der stipulatio genannt, so handelte es sich um den typischen Fall der Novation bzw. des Gläubiger- oder Schuldnerwechsels. Dabei sollte eine Obligation umgewandelt werden, indem eine bestehende Verbindlichkeit durch die neubegründete stipulatio getilgt wird36. Dadurch erlosch die alte Verbindlichkeit ipso iure. Bezüglich der materiellen Rechtsfolgen wurden also zwei Leistungsvorgänge unterschieden: Der Delegat leistet an den Deleganten, der also Leistungsempfänger ist, während der Delegant als Leistungsüberbringer gegenüber dem Delegatar erschien37. Das Rechtsverständnis der Römer knüpfte an eine Delegation das Erlöschen der ursprünglichen Verbindlichkeit. So wurde der Delegant von seiner Verpflichtung gänzlich frei. Mit delegare wurde die Handlung des Deleganten bezeichnet und auch die darauffolgende Verpflichtung zur Leistung an den Delegatar38. Delegation meinte demnach die Befreiung von einer eigenen Verpflichtung und die Übertragung jener auf einen anderen.

2. Begriffsverständnis im öffentlichen Recht

Das Rechtsinstitut der delegatio hat sich in der damaligen Form nicht durchgesetzt. Webers (ehemals Creifelds) Rechtswörterbuch definiert heute den Delegationsbegriff allein anhand seiner Bedeutung im öffentlichen Recht39. Einerseits sei Delegation „im zwischenstaatlichen Verkehr […] eine Gruppe von diplomatischen, wirtschaftlichen oder militärischen Bevollmächtigten oder Unterhändlern.“. Im innerstaatlichen Zusammenhang sei „Delegation die Übertragung von Zuständigkeiten eines Staatsorgans auf eine anderes (meist nachgeordnetes).“ Auf die Bedeutung in anderem Kontext geht das Nachschlagewerk nicht ein. In anderen Abhandlungen des öffentlichen Rechts wird Delegation als „Rechtsakt, durch den ein Hoheitsträger oder ein Hoheitsorgan seine ihm durch das Recht eingeräumte Befugnis zum Erlass von Hoheitsakten auf ein anderes Subjekt überträgt“ definiert40. Durch Delegation werden hier also die Befugnis zur Aufgabenwahrnehmung und die dazu nötige Rechtsmacht auf ein Rechtssubjekt übertragen. Abgegrenzt wird die Delegation im Verwaltungsrecht von der Mandatierung. Entscheidender Unterschied ist, dass der Delegant bei der Delegation aus der Verantwortung hinaustritt, während die Verantwortung bei der Mandatierung bei dem Mandanten - dem regulären Zuständigkeits- und Kompetenzinhaber - bleibt41. Es geht bei Letzterem mithin ausschließlich um die tatsächliche Wahrnehmung der jeweiligen Maßnahme im Namen des Mandanten. Die Handlungen bleiben gänzlich zurechenbar. Delegation meint demgegenüber auch die Übertragung von Verantwortung.

IV. Gesellschaftsrechtliches Verständnis von Delegation

Eine Auseinandersetzung mit dem aktienrechtlichen Delegationsbegriff findet sich kaum. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass um dessen Bedeutung kein gesichertes Verständnis besteht42.

Zum Teil wird im weitestmöglichen Sinne jede Form der Unterstützung für den Vorstand als Delegation bezeichnet43. Hüffer dagegen orientiert sich an öffentlich-rechtlichen Vorstellungen44. Er versteht unter Delegation eine Zuständigkeitsübertragung des Vorstands auf seine Mitglieder oder nachgeordnete, in eine Weisungskette eingebundene Stellen der Gesellschaft. Die Übertragung auf rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Funktionsträger („Outsourcing“) trennt er davon. Jene sieht er aufgrund des Subjektwechsels nur unter der Bedingung einer andauernden Ingerenz- oder Einwirkungspflicht als zulässig45. Es handele sich mangels Übertragung von Verantwortung aber nicht um Delegation. Schneider/Brouwer verstehen bezüglich der Delegation der Pflicht zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften den Begriff als Verteilung öffentlich-rechtlicher Pflichtaufgaben im Unternehmen bzw. die Beauftragung Dritter damit ohne Wechsel des Aufgabenträgers46. Eine Delegation führt ihnen zur Folge zudem nicht zu einer Verschiebung von Verantwortung. Ohnehin sei die Übertragung der Verantwortung nur dort möglich, wo das Gesetz eine entsprechende ausdrückliche Regelung vorsieht (vgl. z.B. § 62 BBergG) oder selbst bestimmte Pflichtaufgaben zur Erfüllung auf Unternehmensverantwortliche überträgt47. Delegation bezwecke daher Arbeitsteilung. Der Geschäftsleiter bleibe weiterhin für die Erfüllung verantwortlich und hat nur sicher zu stellen, dass die Aufgaben erledigt werden, was eine Einräumung von Selbstständigkeit nicht ausschließe48. Delegationsinhalt und -adressat sind nach Schneider/Brouwer nur für die Organisations- und Überwachungspflicht von Belang und können nur in Ausnahmefällen eine persönliche Wahrnehmungspflicht begründen49. Hüffer sieht in der Aufgabenübertragung ohne Übergang der Verantwortung dagegen lediglich eine stets zulässige Form der Zuarbeit, was auf ein engeres Begriffsverständnis folgern lässt50. Hommelhoff erläutert in einer allgemeingehaltenen Definition, Delegation beinhalte die Einräumung eines Handlungsspielraums an den Delegatar, während der Delegant für die Lenkung des Delegatars verantwortlich bleibe51. Im übrigen Schrifttum wird der Begriff überwiegend entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch als Arbeitsteilung oder Aufgabenverteilung verwendet52. Insbesondere wird entgegen der engen Auslegung Hüffers auch bei Vorbereitungs- und Ausführungsaufgaben von Delegation gesprochen53. Im Konzernrecht findet sich der Begriff der Delegation bei der Frage der Delegationsmöglichkeit des beherrschungsvertraglichen Weisungsrechts. Abgegrenzt wird die Delegation von der Übertragung des Weisungsrechts54. Von Letzterer ist die Rede, wenn das Weisungsrecht einem Dritten selbst verschafft werden soll und dieser es an Stelle des herrschenden Unternehmens bzw. deren Vorstands ausübt55. Unter Delegation versteht man dagegen den Fall, dass die Weisungsbefugnis beim herrschenden Unternehmen verbleibt und der Delegatar lediglich zur Ausübung der Befugnis herangezogen wird56. Dieser tritt also neben den nach wie vor zur Weisung befugten Deleganten.

V. Stellungnahme

Hüffers Unterscheidung zwischen Delegation und Auslagerung57 verfängt nicht, da der Unterschied, dass externe Delegatare nicht in die gesellschaftsinterne Weisungskette eingebunden sind nur die Frage der Ausgestaltung der Delegation betrifft58. Eine Auslagerung ohne Einwirkungs- und Überwachungsrechte bzw. Pflichten ist eine Übertragung, die den Vorstand aus seiner Rechtsposition verdrängen würde, was selbstverständlich nicht möglich ist. Dadurch würde er über seine Organfunktion disponieren, was er nur tun kann, indem er diese aufgibt. Wenig zielführend erscheint auch die oftmals erwähnte begriffliche Unterscheidung zwischen Zuständigkeit und Verantwortung59. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Verantwortungsbegriffs ist anhand dessen keine trennscharfe Abgrenzung möglich60. Die Begriffe Zuständigkeit und Verantwortung decken sich weitestgehend61, da auch Verantwortung eine Aufgabenwahrnehmungspflicht meinen kann62. Kuntz beispielsweise beschreibt dies schlicht als Verantwortung ex-ante63. Diese beiden Elemente müssen stets zusammen gedacht werden, „auch wenn das Gewicht im Einzelfall auf der Aufgabenzuweisung oder auf der Einstandspflicht liegen kann“64. In anderem Zusammenhang wird Verantwortung zudem auch als Kausalattribution verwendet65. Rechenschaft und Haftung sind jedenfalls nicht die einzigen rechtlichen Komponenten der Verantwortung66. Wenn Hüffer daher Auslagerung in Abgrenzung zur Delegation nur unter dauernder Ingerenz- und Einwirkungspflicht zulässt, so wird dabei genauso Verantwortung für die Wahrnehmung und Ausführung der Aufgabe übertragen. Die verbleibende Haftungsverantwortung bezieht sich eben nur auf die verbleibende Zuständigkeit für die Überwachung. Letztlich handelt es sich um einen Streit über Begrifflichkeiten, weshalb auch die Abweichung von dem betriebswirtschaftlichen Kongruenzprinzip nur scheinbar erfolgt67. Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung werden durch Delegation schlicht weiter untergliedert und verteilt.

Delegation ist ein Instrument der Arbeitsteilung, durch das sich der Delegant bei der Erfüllung eigener Pflichten bedient. Festzustellen ist, dass der entscheidende Unterschied der Delegation durch den Vorstand im Vergleich zu anderen rechtlichen Übertragungstatbeständen darin besteht, dass der Delegant aus seiner Rechtsposition nicht heraustritt, Rechte und Pflichten mithin nicht tatsächlich übergehen. Beispielsweise führt Delegation im Gegensatz zu einer Eigentumsübertragung, die den ursprünglichen Rechtsinhaber aus seiner Rechtsposition verdrängt, nur dazu, dass eine andere Person mit der Ausübung des Rechts bzw. der Erfüllung der Pflicht betraut ist. Der Verantwortungsträger wird nicht ausgetauscht, sondern es wird ein weiterer hinzugezogen. Der Delegant behält stets eine Restverantwortung für den Übertragungsakt und die Pflicht für die Erledigung der Aufgabe zu sorgen68. Dies ist eine notwendige Folge des Umstands, dass er sich als ursprünglicher Pflichtadressat von seiner Pflicht nicht eigenständig befreien kann. Eine Pflicht besteht und wird nicht ausgesucht. Daher kann der Vorstand sich seiner aus seinem Amt resultierenden Pflichten ebenso wenig begeben, wie der Verkehrspflichtige bestimmen kann, dass nun ein anderer die notwendig spezifische Beziehung zur betroffenen rechtsgutsgefährdenden Gefahrenquelle aufweist69. Denn die Verkehrspflicht ist normativ dadurch begründet, dass die Gefahrenquelle aus der eigenen Sphäre stammt70. Eine Pflicht kann also nicht übertragen werden und wenn Dritte in die Erfüllung mit einbezogen werden, bleibt der primär Verantwortliche entweder entsprechend § 278 BGB einstandspflichtig oder für deren Überwachung selbst verantwortlich (vgl. § 831 BGB). Für den Vorstand bedeutet dies, dass Delegation einen Übertragungstatbestand bezeichnet, durch welchen die Organmitglieder Verantwortung für die ihnen auferlegten Pflichten reduzieren können, mithin um ein Enthaftungsinstrument.

Daher trifft die abstrakt gehaltene Definition Hommelhoffs den Kern der Delegation bezogen auf das Aktienrecht am besten71. Es geht um die Einräumung von Handlungsspielräumen an den jeweiligen Delegatar, während der Delegant verpflichtet bleibt, „den Delegatar in der Ausfüllung der Handlungsspielraums – instruens et custodiens – zu lenken“ und so „weiterhin rechtlich verantwortlich“ bleibt72. Übertragen wird dabei die Zuständigkeit für Aufgaben im Sinne einer Wahrnehmungspflicht, derer sich der Delegant begibt. Damit geht auch die Rechenschaftspflicht für die unmittelbare Ausführung der Aufgabe über. Diese Komponenten der Verantwortung verschieben sich infolgedessen zwingend. Wäre das nicht der Fall, würde die Delegation als Arbeitsteilungs- und Enthaftungsinstrument ihren Zweck verlieren. Die stetige Modernisierung und dadurch steigende Komplexität machen Arbeitsteilung und Auslagerung unabdingbar73. Für den Vorstand verhindert dies die Nichtanwendung des § 278 BGB. Was Delegation von der Mandatierung im Verwaltungsrecht daher negativ abgrenzt – nämlich das Austreten aus der Verantwortung – ist das, was sie nach dem hier zugrundeliegenden Verständnis auszeichnet. Delegation wirkt auf die Verantwortung des Vorstands nur modifizierend. Kernelement der Delegation ist demnach die Aufgabenwahrnehmung durch einen anderen, mit der zwingenden Folge der Verantwortungsverschiebung. Entsprechend ist auch bezüglich des § 111 Abs. 6 AktG die Rede von einem Delegationsverbot, wonach es Aufsichtsratsmitgliedern verboten ist, ihre Aufgaben durch andere wahrnehmen zu lassen74. Auch hier würde Verantwortung im Sinne einer Wahrnehmungspflicht übergehen. Wenn, wie im Rahmen des § 107 Abs. 3 S. 1 AktG, zwischen Entscheidungsdelegation und Aufgabendelegation unterschieden wird, betrifft dies bereits den Inhalt der Delegation, der mit dem eigentlichen Rechtsakt zunächst nichts zu tun hat, sondern nur Auswirkungen auf die Grenzen der Delegationsmöglichkeit hat75. Delegation meint also eine Reduktion der Verantwortung des Deleganten und die Begründung von Verantwortung des Delegatars wobei Aufgaben und Kompetenzen an den Delegatar übertragen werden.

C. Haftung für Delegation: „Ob“ und „Wie“

Für die Frage, inwiefern die Delegation haftungsrechtlich relevant wird, lässt sich in das „Ob“ und das „Wie“ der Delegation unterteilen76.

Details

Seiten
260
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631918975
ISBN (ePUB)
9783631918982
ISBN (Paperback)
9783631918890
DOI
10.3726/b21826
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Mai)
Schlagworte
Vorstand Delegation Aktiengesellschaft Organhaftung Gesellschaftsrecht
Erschienen
Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, Oxford. 2024. 260 S.

Biographische Angaben

Valentin Mezger (Autor:in)

Valentin Mezger hat in Passau, London und Cardiff studiert und war bis Oktober 2022 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau tätig. Seitdem ist er Rechtsreferendar am Oberlandesgericht München.

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Titel: Persönliche Leitungspflicht