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Analysen antifaschistischen Engagements in der Zeitzeugenliteratur zum Spanischen Bürgerkrieg

von Julia Auweiler (Autor:in)
©2022 Dissertation 448 Seiten

Zusammenfassung

An fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten von André Malraux, George Orwell, Gustav Regler, Simone Téry, Arturo Barea und Joan Sales untersucht Julia Auweiler in ihrer komparatistischen Studie sowohl die Motivation für das Engagement im Spanischen Bürgerkrieg als auch die Gestaltung von Feindbildern. Die Autorin zeigt, dass sich hinter der geläufigen und Homogenität suggerierenden Formulierung vom „Kampf gegen den Faschismus" deutlich komplexere und widersprüchlichere Beweggründe für den Kriegseintritt verbergen. Ebenso unterlaufen die Werke der antifaschistischen Zeitzeugen bisweilen übliche Feindbildmechanismen und stellen somit dichotomische Freund-Feind-Konstruktionen infrage.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Perspektiven der Forschung
  • 1.2 Kriterien der Textauswahl und Textkorpus
  • 1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
  • 2. Gattungstypologische Vorüberlegungen zur Spanienkriegsliteratur
  • 2.1 Gattungsprobleme: Zwischen Fakt und Fiktion
  • 2.1.1 Autobiographisches Erzählen
  • 2.1.2 Fiktionales Erzählen
  • 2.2 Funktionen autobiographischer und fiktionaler Spanienkriegsliteratur
  • 3. Motivation und Feindbild im Spiegel europäischer Prosatexte
  • 3.1 André Malraux – L’espoir (1937)
  • 3.1.1 Entstehungsbedingungen und Gattungszugehörigkeit
  • 3.1.2 Motivation
  • 3.1.2.1 Kollektives Engagement im Bürgerkrieg: Hoffnung und Brüderlichkeit als Leitmotive
  • 3.1.2.2 Vom Mitläufer zum Anführer: Manuels Aufstieg und Individualitätsverlust
  • 3.1.2.3 Garcia im Gespräch: Pragmatismus, Organisation und eine neue Intellektuellengeneration
  • 3.1.3 Feindbild
  • 3.1.3.1 Erste Feindbegegnungen: Moralische Überlegenheit der Antifaschisten
  • 3.1.3.2 Die Faschisten als Kriegsverbrecher: Bomben auf Madrid
  • 3.1.3.3 Strategien zur Sympathiesteigerung: Magnins Fliegergruppe als Retter des Volkes
  • 3.2 George Orwell – Homage to Catalonia (1938)
  • 3.2.1 Entstehungsbedingungen und Gattungszugehörigkeit
  • 3.2.2 Motivation
  • 3.2.2.1 Eine Atmosphäre „worth fighting for“: Vom Beobachter zum POUM-Milizionär
  • 3.2.2.2 Die Front als Sehnsuchtsort: „decency“ in der POUM-Miliz
  • 3.2.2.3 Die Maiereignisse als Scheideweg: Orwells Kritik an den Kommunisten und ihrer Berichterstattung
  • 3.2.3 Feindbild
  • 3.2.3.1 Krieg ohne Tod: Alltag an der Front und Empathie mit den Faschisten
  • 3.2.3.2 Weder Freunde noch Feinde: Entlarvung kommunistischer Kriegspropaganda
  • 3.3 Gustav Regler – Der große Kreuzzug (1940)
  • 3.3.1 Entstehungsbedingungen und Gattungszugehörigkeit
  • 3.3.2 Motivation
  • 3.3.2.1 Kampferprobte Kriegsfreiwillige: Europäische Antifaschisten und ihr „großes Beispiel“
  • 3.3.2.2 Engagement gegen Kulturzerstörung und Lügenpropaganda (Werner und Albert)
  • 3.3.2.3 Die religiöse Komponente des Engagements (Werner und Moritz)
  • 3.3.3 Feindbild
  • 3.3.3.1 Antipathielenkung in „Brücken am Jaramafluß“: Farbsymbolik und Animalisierung
  • 3.3.3.2 „Fratelli nostri“: Das Brudermotiv und Verräter in den eigenen Reihen in „Garibaldi gegen Mussolini“
  • 3.4 Simone Téry – La porte du soleil (1945)
  • 3.4.1 Entstehungsbedingungen und Gattungszugehörigkeit
  • 3.4.2 Motivation
  • 3.4.2.1 Von Todessehnsucht zum Wunsch nach Zugehörigkeit: Josettes Ankunft in Spanien
  • 3.4.2.2 „Une journaliste pour de bon“: Josettes Entwicklungsprozess
  • 3.4.2.3 Die Liebe zu Ramon und Josettes politische Überzeugung
  • 3.4.3 Feindbild
  • 3.4.3.1 Von den Feinden erzählen: Zeugenberichte und Einfluss der Erzählinstanz
  • 3.4.3.2 Josettes Radikalisierung und die Rolle des Erzählers
  • 3.4.3.3 Die Idealisierung kommunistischer Freund-Figuren
  • 3.5 Arturo Barea – La llama (1946)
  • 3.5.1 Entstehungsbedingungen und Gattungszugehörigkeit
  • 3.5.2 Motivation
  • 3.5.2.1 Bareas Sinnkrise und Novés als Mikrokosmos der dos Españas
  • 3.5.2.2 Nützlichkeit, Pflichtbewusstsein und Gewaltfreiheit als Kernelemente des Engagements
  • 3.5.2.3 Engagement als Dilemma: Panikattacken, Versagensängste und Pazifismus
  • 3.5.2.4 „Escribir era para mí parte de la lucha“: Schreiben als verbleibende Form des Engagements
  • 3.5.3 Feindbild
  • 3.5.3.1 Nuancierte Leserlenkung: Gegensatzpaare und Dialoge zur Differenzierung der Kriegsparteien
  • 3.5.3.2 Antipathie ohne Gewalt: Internationale Kämpfer und Rubio Hidalgo im Zentrum der Kritik
  • 3.6 Joan Sales – Incerta glòria (1956)
  • 3.6.1 Gattungszugehörigkeit und Entstehungsbedingungen
  • 3.6.2 Motivation
  • 3.6.2.1 Hoffnung und Optimismus: Universitätsvignette (Putsch in Jaca und Ausrufung der katalanischen Republik)
  • 3.6.2.2 Lluís: Politisches Desinteresse und Oberflächlichkeit
  • 3.6.2.3 Cruells: Milizionär per Zufall und Krieg als sinnstiftendes Ereignis
  • 3.6.2.4 Trini: Konversion zum Katholizismus als Rebellion und politisches Statement
  • 3.6.2.5 Das Rätsel Juli Soleràs: „No tenim cap idea dels motius més poderosos que ens mouen“
  • 3.6.2.6 Desillusionierung und Absurdität: Opportunismus, Idealismus und das Leitmotiv „glòria“
  • 3.6.3 Feindbild
  • 3.6.3.1 Zwischen Gewaltrausch, Desertion und Empathie: Der Umgang mit den Faschisten an der Front
  • 3.6.3.2 Feind-Figuren abseits der Front: Die Anarchisten in Barcelona
  • 4. Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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1. Einleitung

Heutzutage wird der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) meist als Vorbote der bis in den Kalten Krieg anhaltenden Frontstellung zwischen Faschismus und Kommunismus sowie als Testlauf für den Zweiten Weltkrieg gesehen. Der Konflikt steht dabei exemplarisch für den Kampf um Freiheit und Demokratie, der ganz Europa im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts beschäftigte. Zwar spiegelte der Spanische Bürgerkrieg durch die Einmischung fremder Nationen die internationalen Konflikte Europas dieser Zeit wider, doch wie sein Verlauf zeigen sollte, greift die vereinfachende Gegenüberstellung von Faschismus und Kommunismus zu kurz. Innerhalb der republiktreuen antifaschistischen Kräfte herrschte keinesfalls harmonische Einigkeit, sondern die Vielzahl der linken Parteien, Gewerkschaften und Gruppierungen bekämpften sich gegenseitig bitterlich.1

Trotz (oder gerade wegen) der vom Non-Intervention Committee zwischen Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion, Italien und dem Deutschen Reich vereinbarten Politik der Nichtintervention und der folgenden Missachtung dieser Abmachung – Hitler und Mussolini intervenierten zugunsten der Putschisten, Stalin zugunsten der Republik – verpflichteten sich viele Europäer zur Teilnahme am Bürgerkrieg.2 Die Mehrheit der internationalen Kämpfer schloss sich den Internationalen Brigaden oder Milizenverbänden an. Gewiss waren nicht alle Freiwilligen Intellektuelle, allerdings befanden sich insbesondere in ←11 | 12→den Reihen der Internationalen Brigaden überdurchschnittlich viele Schriftsteller. 3 Darüber hinaus erklärten auch außerhalb Spaniens zahlreiche Künstler und Autoren wie Heinrich Mann in der Umfrage Authors Take Sides on the Spanish War (1937) ihre Unterstützung für die bedrohte Republik. Andere bereisten Spanien, um in Reportagen über den Krieg zu berichten, Propagandaarbeit zu leisten, oder versuchten, der Republik vom Ausland aus zu helfen. Nicht zuletzt zeugt der II. Internationale Schriftstellerkongress (II Congreso internacional de escritores para la defensa de la cultura), der 1937 unter anderem in Barcelona, Valencia und Madrid stattfand, davon, dass erstmals „auf so breiter Grundlage und über scheidende politische Gegensätze hinweg […] eine Internationale der Künstler, vor allem der Schriftsteller“ (Schoeller 2004, S. 10) entstanden war.

Trotz der generell großen Anteilnahme ganz Europas am Schicksal der spanischen Republik stellt sich die Frage, wie sich die Mobilisierungskraft der antifaschistischen Bewegung gerade für Schriftsteller erklären lässt. Unmittelbar nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 war eine allgemeine internationale Solidaritätswelle in allen Bevölkerungsschichten erkennbar. Auffällig ist, dass der Bürgerkrieg wie selten eine Auseinandersetzung zuvor, speziell Intellektuelle in seinen Bann gezogen hat: „those who mobilised against fascism before most others, and most passionately, were western intellectuals“ (Hobsbawm 2007, o.S.). Eine Untersuchung der handlungsmotivierenden Faktoren ist vor allem auch deshalb lohnenswert, da anders als im Ersten Weltkrieg Nationalismus und Militarismus nur eine nebengeordnete Rolle als Kriegsursache spielten, sodass sich die Frage nach der Kriegsbeteiligung in Auseinandersetzungen mit Militärdienst und Zwangsrekrutierungen nicht in gleicher Weise stellt.

In mehreren europäischen Ländern waren in den 1930er-Jahren bereits faschistische oder unverhüllt antidemokratische Gruppierungen auf dem Vormarsch.4 Es überrascht also nicht, dass beispielsweise der britische Poet W.H. Auden in Authors Take Sides on the Spanish War seine Angst beschreibt, der ←12 | 13→Faschismus könne auch auf Großbritannien übergreifen, wo sich mit Oswald Mosleys BUF (British Union of Fascists) zumindest schon eine faschistische Partei in Stellung gebracht hatte:

the spread of Fascist Ideology and practice to countries as yet comparatively free from them, which would inevitably follow upon a Fascist victory in Spain, would create an atmosphere in which the creative artist and all who care for justice, liberty and culture would find it impossible to work or even exist. (Cunard 1937, o.S.)

Aussagen wie diese suggerieren, dass Intellektuelle neben einem Gefühl von internationaler Solidarität und der Notwendigkeit, für eine Seite Partei zu ergreifen, offenbar vor allem das Bestreben einte, sich der Bedrohung durch die faschistische Ideologie in den Weg zu stellen. Den Eindruck, dass die intellektuelle Elite Europas im Aufstieg des Faschismus einen Angriff auf ihre eigene Daseinsgrundlage sah, konnte man ebenso beim II. Internationalen Schriftstellerkongress 1937 gewinnen, bei dem in der Abschlusserklärung ein Feind ausgemacht wurde: „la cultura, que se han comprometido a defender, tiene por enemigo principal el fascismo“ (Aznar Soler/Schneider 1979, S. 468).

Der Militärputsch am 17./18. Juli 1936, der den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs markiert, wurde demzufolge nicht nur als Angriff auf die rechtmäßig und demokratisch gewählte Regierung der Republik gesehen, sondern auch auf Kultur und Zivilisation überhaupt. Bereits die von den Nationalsozialisten 1933 in Berlin initiierte Bücherverbrennung hatte der Welt vor Augen geführt, dass die Nazis keine Scheu hatten, sich der Werke zu entledigen, die nicht in ihr Weltbild passten.5 Und auch in Spanien selbst verdeutlichte ein Ereignis schon kurz nach Ausbruch des Konflikts am 12. Oktober 1936 in Salamanca, das zu diesem Zeitpunkt das Machtzentrum des Putsches war, dass die Falangisten den deutschen Faschisten in nichts nachstanden: In der Aula der ältesten Universität Spaniens schleuderte General Millán Astray, Gründer der Fremdenlegion und Unterstützer Francos, einem der bekanntesten Intellektuellen seiner Zeit, Miguel de Unamuno, ein „¡Mueran los intelectuales!“ entgegen. Dieser reagierte mit dem inzwischen bekannten, aber heute meist etwas verkürzt wiedergegebenen Ausspruch „Venceréis, pero no convenceréis“ und begründete seine Reaktion außerdem, indem er sagte: „A veces, quedarse callado equivale mentir“ (vgl. Thomas 2018, S. 547ff.). Wie sich zeigen sollte, schlossen sich viele europäische ←13 | 14→Intellektuelle diesem Standpunkt an – sie schwiegen nicht, sondern äußerten sich in Literatur, Kunst, Film und Journalismus. So entstanden nicht nur Gedichte wie „Spain“ von Stephen Spender oder Romane wie For Whom the Bell Tolls (1940) von Ernest Hemingway, sondern auch die Fotografien Gerda Taros und Robert Capas, Filme wie Sierra de Teruel von André Malraux oder Pablo Picassos weltberühmtes Gemälde Guernica (1937).

Fragestellung und Erkenntnisinteresse

Es ist erstaunlich, dass die Frage nach der Motivation zur Kriegsbeteiligung von Literaten in Besprechungen literarischer Bürgerkriegstexte häufig entweder ganz ausgeklammert wird oder – zum Beispiel auf Basis der zitierten Abschlusserklärung des Schriftstellerkongress oder Umfragen wie Authors Take Sides on the Spanish War – pauschal davon ausgegangen wird, dass sie eben den Faschismus bekämpfen wollten und vor allem von ihrem Hass auf alle Faschisten angetrieben wurden.

Losgelöster davon, was intellektuelle Zeitzeugen dazu motiviert haben könnte, in den Kampf einzugreifen, wird in dieser Studie untersucht, welche Faktoren und Gründe in den literarischen Texten ehemaliger Spanienkämpfer als Auslöser des Engagements ausgestaltet werden. Inwiefern unterscheiden sich die literarisch dargestellten Beweggründe vielleicht sogar vom proklamierten Antifaschismus? In diesem Zusammenhang interessiert auch, ob der Einsatz im Krieg mithilfe eines Feindbildes legitimiert wird und wie dieses konkret aussieht. Analysiert und verglichen werden verschiedensprachige fiktionale und faktuale Prosatexte, die den Spanischen Bürgerkrieg zum Thema haben. Der Grund hierfür ist, dass trotz der vor allem seit 2000 explosionsartig gestiegenen Veröffentlichungen zum Thema noch immer keine komparatistische Arbeit vorliegt, die spanische und ausländische Werke gleichermaßen würdigt. Hier werden nun die spanische Eigenperspektive, inklusive der katalanischen, und die Fremdperspektive der ausländischen Zeitzeugen erstmals zugleich textnah und unter einer einheitlichen Fragestellung zueinander in Beziehung gesetzt. Jedes Werk – L’espoir von André Malraux, Homage to Catalonia von George Orwell, Der große Kreuzzug von Gustav Regler, La porte du soleil von Simone Téry, La llama von Arturo Barea und Incerta glòria von Joan Sales – zeigt dabei eine etwas anders akzentuierte Herangehensweise.

Die Intention dieser Studie besteht also darin, zentrale Behauptungen des Forschungsdiskurses an einem erweiterten, neu zusammengestellten Korpus zu überprüfen, gegebenenfalls auszudifferenzieren oder zu revidieren. Bevor jedoch die Kriterien der Textauswahl begründet und der Aufbau der Arbeit ←14 | 15→näher erläutert werden, möchte ich zunächst auf wichtige Tendenzen und Argumentationsmuster in der bisherigen Beschäftigung mit der Spanienkriegsliteratur eingehen, da mir hierin ein Hauptproblem in der heutigen Behandlung des Themas zu liegen scheint, aus dem sich die weitere Vorgehensweise direkt ableiten lässt.6

1.1 Perspektiven der Forschung

Das Anliegen des folgenden Überblicks über die bereits existierende Forschungsliteratur ist es nicht, die Schwachstellen jeder einzelnen Studie herauszuarbeiten, sondern vielmehr in der Gesamtschau zu zeigen, welche Lücken konkret identifiziert werden können.7 Außerdem soll so ein allgemeiner Eindruck davon gewonnen werden, inwiefern die Bürgerkriegstexte innerhalb des Diskurses einer Nationalliteratur berücksichtigt wurden.8 Erkennbar wird in den frühen Jahren der Bürgerkriegsforschung sprachraumübergreifend die Tendenz, Texte zunächst zu sammeln und zu ordnen, um eine erste Vorstellung von Autoren und Werken zum Themenkomplex zu erhalten. Statt einer detaillierten Interpretation wurden deshalb meist inhaltliche Zusammenfassungen wiedergegeben. Danach – und diese Entwicklung hält bis heute an – widmete sich die Forschung spezielleren Phänomenen. So existieren heutzutage überwiegend literaturwissenschaftliche Publikationen, die sich zum Beispiel isoliert mit einem einzigen Autor (z.B. Buschmann 2012; Ferrán/Herrmann 2014), einem Genre (z.B. Urrutia 2006; Rosenthal 1975; Pichler 1991), einer Bürgerkriegspartei (z.B. Baxmeyer 2012; Trappe 2011) oder Texten einer einzigen Nationalliteratur (z.B. Schoeller 2004; Cunningham 1980a) beschäftigen. Darüber hinaus finden sich innerhalb der Einzelphilologien starke Differenzen hinsichtlich der Rezeption: Zum einen unterscheidet sich die der Spanienkriegsliteratur gewidmete Aufmerksamkeit von Land zu Land, zum anderen lässt sich auch innerhalb eines einzelnen Sprach- bzw. Kulturraumes ein großes Ungleichgewicht zwischen einzelnen ←15 | 16→Autoren feststellen (z.B. die große Dominanz von George Orwell in der anglistischen Forschung im Vergleich zu Laurie Lee).

Die deutschsprachige Spanienkriegsliteratur

Innerhalb des deutschen Forschungsdiskurses existieren vorrangig geschichtswissenschaftliche Publikationen bezüglich der Beteiligung Deutscher und Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg, zur Rolle der Legion Condor, des Dritten Reichs und Hitlers oder zur Rezeption des Bürgerkriegs in der DDR.9 Außerdem hat sich der deutsche Historiker Walther L. Bernecker mit seinen Arbeiten um die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs verdient gemacht.10 Die germanistische Literaturwissenschaft beschäftigte sich hingegen bisher relativ wenig mit den deutschsprachigen Texten von Spanienkämpfern. Georg Pichler stellt fest, dass „das Erbe der Geschichte des linken Widerstands gegen die faschistischen Diktaturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (2007, S. 24) eine Leerstelle im aktuellen Vergangenheitsdiskurs und in Deutschland sowie „auch in Spanien […] die Literatur deutschsprachiger Autoren über den Bürgerkrieg Stiefkind geblieben“ (2007, S. 25) sei.11 Pichlers Aufsätze, aber insbesondere seine Dissertation Der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) im deutschsprachigen Roman (1991) leisten deshalb einen wichtigen Beitrag, diese Leerstelle zu füllen, indem er gerade eine möglichst umfassende Gruppierung und überblicksartige Darstellung der deutschsprachigen Literatur über den Spanischen Bürgerkrieg und ihrer Rezeption anstrebt.12 Des Weiteren sind das von Helmut Kreuzer ←16 | 17→herausgegebene LiLi-Sonderheft „Spanienkriegsliteratur“ (1986) mit romanistischen Beiträgen, aber einem inhaltlichen Schwerpunkt zu deutschsprachigen Texten, oder der von Bettina Bannasch und Christiane Holm herausgegebene Sammelband Erinnern und Erzählen. Der Spanische Bürgerkrieg in der deutschen und spanischen Literatur und in den Bildmedien (2005) zu nennen.

Die englischsprachige Spanienkriegsliteratur

Im geschichtswissenschaftlichen Diskurs über den Spanischen Bürgerkrieg insgesamt dominieren die Arbeiten englischsprachiger Historiker, wie Hugh Thomas13, Paul Preston14, Helen Graham15, Antony Beevor16 und Tom Buchanan17. Dieses auffällige Übergewicht veranlasste Jeremy Treglown zu der These, dass anglo-amerikanische Autoren die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs „gestohlen“ hätten (2014).18 Von besonderem Interesse für diese Arbeit sind die Monographien von Richard Baxell British Volunteers in the Spanish ←17 | 18→Civil War: The British Battalion in the International Brigades, 1936- 1939 (2004) sowie Unlikely Warriors: The British in the Spanish Civil War and the Struggle Against Fascism (2012). In ersterer untersucht Baxell Alter, Herkunft, politische Gesinnung etc. aller britischen Spanienkämpfer und analysiert hierfür zahlreiche Interviews, Tagebücher und Ähnliches. Auffällig ist, dass in diesen Arbeiten Zeugnisse wie Homage to Catalonia ganz selbstverständlich als historische Quelle und nicht als literarischer – und gegebenenfalls fiktionalisierter – Text gesehen werden.19

Stanley Weintraubs vielfach zitierte Studie The Last Great Cause: The Intellectuals and the Spanish Civil War (1968) lässt eine differenzierte literaturwissenschaftliche Textanalyse vermissen; der Autor erzählt die Handlung der Primärtexte häufig lediglich nach und konzentriert sich zu stark auf die jeweiligen Parallelen zu den Autorenbiographien. Die von Celia M. Wallhead herausgegebene Essaysammlung Writers on the Spanish Civil War. Testimony of their Auto/Biographies (2011) verdeutlicht in gleicher Weise die Tendenz, die Texte auf ihre Eigenschaft als life-writing zu reduzieren: Der Band widmet sich sechs englischsprachigen Autoren, darunter Orwell, Hemingway und Lee, und läuft dabei Gefahr, nur den Wahrheitsgehalt der Autobiographien gegenüber den Biographien auszuloten.

Die französischsprachige Spanienkriegsliteratur

Während sich die deutsche und anglo-amerikanische Forschung vorrangig der antifaschistischen Bürgerkriegsliteratur widmet, greift die französische deutlich häufiger auch die Werke konservativ-katholischer oder faschistischer Franzosen auf (siehe z.B. Bertrand de Muñoz 1972; Wingeate Pike 1975; Charpentier 2019; Dreyfus-Armand 2016). Diese Besonderheit spiegelt sich in der Rezeption von Georges Bernanos wider, der trotz seines Engagements in der nationalistisch-monarchistischen Action française neben André Malraux als einer der bedeutendsten französischen Spanienkriegsautoren angesehen wird. Ebenso befasst sich Martin Hurcombe in France and the Spanish Civil War. Cultural Representations of the War Next Door, 1936-1945 (2011) mit französischen Intellektuellen ←18 | 19→aller politischen Strömungen und widmet den katholisch geprägten Autoren Paul Claudel und François Mauriac genauso ein eigenes Kapitel wie den Faschisten Robert Brasillach oder Pierre Drieu la Rochelle. Hurcombe stellt außerdem die interessante These auf, dass in diesen Werken die innerspanischen Probleme aufgrund der kulturellen und politischen Gemeinsamkeiten (z.B. Volksfrontregierung und geographische Nähe) von eigenen Konflikten innerhalb Frankreichs überlagert werden, weshalb er resümierend von einer „misappropriation by foreign intellectuals“ (2011, S. 5) spricht.20

In ihrer umfangreichen Dissertation La guerre civile espagnole et la littérature française (1972) behandelt die kanadische Komparatistin Maryse Bertrand de Muñoz antifaschistische und pro-nationalistische Autoren gleichermaßen. Die Sammlung ihrer über mehrere Jahrzehnte publizierten Artikel und Vorträge Guerra y novela. La guerra española de 1936-1939 (2001a) bewegt sich an der Schnittstelle zwischen französisch- und spanischsprachiger Bürgerkriegsliteratur. Bertrand de Muñoz widmet sich darin Romanen beider Bürgerkriegsparteien und integriert somit auch die wenig beachteten, als „subliteratura“ (Bertrand de Muñoz 2001a) verunglimpften Werke der Putschisten. Ihr gelingt es dabei, sowohl die speziellen erzähltheoretischen Eigenheiten dieser Romane darzulegen als auch auf Eigenheiten gewisser Autorengruppen einzugehen. Bedingt durch den Aufbau der Artikel entsteht allerdings oft der Eindruck einer reinen Auflistung von Texten inklusive kürzerer Inhaltsangaben; eine gründliche Textanalyse fehlt. Ihre Arbeiten sind deshalb vor allem ein Beispiel der Tendenz, dem Leser einen katalogisierten Überblick über gewisse Strömungen in der Spanienkriegsliteratur bereitzustellen.

Die katalanisch- und spanischsprachige Spanienkriegsliteratur

Stärker als in Deutschland, Großbritannien oder Frankreich zeichnet sich vor allem in Spanien neuerdings eine Trendwende im Umgang mit dem Bürgerkrieg ab. Dieser vielfach attestierte „Boom“ manifestiert sich insbesondere im spanischen Literaturdiskurs, welcher seit dem Jahr 2000 eine Vielzahl von Publikationen verbuchen kann, die sich mit dem Bürgerkrieg auseinandersetzen. Innerhalb der Geschichtswissenschaften lässt sich dabei eine Spaltung feststellen: Während Historiker wie Ángel Viñas und Julián Casanova für eine kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten spanischen Vergangenheit stehen, versuchen die ←19 | 20→sogenannten „Revisionisten“ um Pío Moa und César Vidal Argumentationsstrategien der Franco-Diktatur zu erneuern (vgl. Romero Salvadó 2010). Im Zuge dieses gestiegenen Interesses sind außerdem grundlegende literaturwissenschaftliche Monographien und Sammelbände entstanden, die sich dem Bürgerkrieg widmen. Auffällig ist dabei, dass Werke wie La encrucijada de la memoria. La memoria colectiva de la Guerra Civil Española en la novela contemporánea (Luengo 2012), La Guerra Civil como moda literaria (Becerra Mayor 2015) oder La guerra persistente. Memoria, violencia y utopía. Representaciones contemporáneas de la Guerra Civil española (Gómez López-Quiñones 2006) vorrangig neue Bürgerkriegsromane und nicht etwa die Literatur der Zeitzeugen untersuchen.21

Die wenigen Monographien, die sich allgemeiner mit der spanischsprachigen antifaschistischen Prosaliteratur der Zeitzeugen und nicht nur mit einem einzigen Autor befassen, stammen hauptsächlich aus den 1960er- und 1970er-Jahren.22 Da vielen engagierten Autoren aufgrund der Zensur in der Franco-Diktatur der Zugang zum heimischen Markt verwehrt wurde und ihre Werke deshalb selbst Experten unbekannt waren, dienen Narrativa española fuera de España (1939-1961) (Marra-López 1963) oder La novela española de la guerra civil (1936-1939) (Ponce de León 1971) vor allem der Katalogisierung. Auch in anderen Nachschlagewerken aus diesen Jahrzehnten tauchen Bürgerkriegstexte zwar auf, allerdings nicht in ihrer Eigenschaft als Romane über den Bürgerkrieg, sondern als Teil der allgemeinen Romanentwicklung eines bestimmten Zeitraums (z.B. Alborg 1968; Nora 1970; Sobejano 1970).23

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Eine der wenigen Ausnahmen stellt Gareth Thomas’ The novel of the Spanish Civil War (1936-1975) (1990) dar. Thomas erforscht neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Bürgerkriegsparteien thematische und formale Entwicklungen seit der ersten Welle an Publikationen bis zu Romanen, die nach der Aufhebung der Zensur im Jahr 1966 veröffentlicht wurden. Er vertritt die Meinung, dass die frühen Publikationen – von ihm als „first wave“ bezeichnet – vor allem durch ihren Wert als Propagandainstrument bestimmt waren, wohingegen die später veröffentlichten Werke deutlich innovativer, vielschichtiger und (selbst)kritischer gestaltet seien (vgl. 1990, S. 25). Ungenauigkeiten offenbart Thomas jedoch hinsichtlich einiger Gattungszuschreibungen.24 Zudem ist seine Auslassung von Romanen, die auf Katalanisch, Baskisch oder Galicisch verfasst wurden, auffällig, aber symptomatisch für einen Großteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Lediglich Ponce de León geht nicht ausschließlich auf kastilische Werke, sondern unter anderem auf Joan Sales' Incerta glòria ein. So lässt sich parallel zur Rezeption der kastilischen Bürgerkriegsliteratur eine eigene katalanische Forschungstradition finden, welche wiederum meist die kastilischen Werke außer Acht lässt. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel die Beiträge in den Tagungsakten Literatura de la Guerra Civil. Memòria i ficció (2002) oder die Monographie Novel·la catalana i guerra civil (1999) von Josep Faulí, welche sowohl thematische als auch motivische Gemeinsamkeiten aufzeigt, sich aber auch vier katalanischen Autoren detaillierter widmet.

Komparatistische Forschungsperspektiven zur Spanienkriegsliteratur

Betrachtet man insgesamt nationenübergreifende Arbeiten, wird die Trennung nach der Literatur ausländischer Schriftsteller einerseits und der spanischer Autoren andererseits eklatant. So hat sich die Forschung sogar überdurchschnittlich häufig eines Textkanons meist ausländischer Autoren bedient, bestehend aus Hemingways For Whom the Bell Tolls, Malraux’ L’espoir und Orwells Homage to Catalonia, um aus diesen auf die Eigenschaften der „Literatur des Spanischen Bürgerkriegs“ insgesamt zu schließen; teilweise mit der Rechtfertigung, ←21 | 22→spanische Beiträge seien literarisch minderwertig (vgl. Benson 1969, S. 16; Rodríguez Monegal 1967, S. 3).

Die nachfolgenden Sammelbände sind in dieser Hinsicht die wenigen Ausnahmen, die zumindest versuchen, eine größere Bandbreite der internationalen Spanienkriegsliteratur abzubilden und die Sicht spanischer Schriftsteller auf den Konflikt zu berücksichtigen. Beispielsweise geht die Aufsatzsammlung The Spanish Civil War in Literature (Pérez/Aycock 1990) erklärtermaßen komparatistisch vor. Zwar dominieren auch hier Aufsätze über Malraux und Hemingway, positiv fällt jedoch die intermediale und interdisziplinäre Ausrichtung (Wechselbeziehungen zwischen Literatur, Film und Kunst) sowie die Aufnahme von Artikeln zu spanischen Autoren wie Sender und Alberti beziehungsweise zur Literatur von und über Frauen im Bürgerkrieg auf. Ähnlich verhält es sich mit dem Sammelband Les écrivains et la guerre d’Espagne (Hanrez 1975), der Aufsätze zur deutschen, englischen, irischen, amerikanischen, italienischen und sowjetischen Bürgerkriegsliteratur vereint, aber vor allem als Überblick konzipiert ist. Ähnlich wie bei Pérez & Aycock sind Aufsätze zu spanischen Autoren (Alberti, Lorca, Machado) vorhanden, dennoch entsteht in beiden Fällen – und anderen Sammelbänden zum Thema25 – durch das Fehlen einer einheitlichen Fragestellung der Eindruck, dass die Literatur der ausländischen Autoren nicht mit der der Einheimischen in Verbindung gebracht wird, sondern diese vielmehr nebeneinander stehen bleiben.

Diesen Nachteil eines Sammelbandes sollten Monographien eigentlich aufwiegen können, allerdings schließen sowohl Niall Binns als auch Frederick R. Benson die Werke spanischer Autoren aus. In der Monographie La llamada de España. Escritores extranjeros en la Guerra Civil (2004) gibt Binns einen um Vollständigkeit bemühten Überblick über ausländische Intellektuelle, die über den Spanischen Bürgerkrieg geschrieben haben. Bevor Binns exemplarische Autoren der einzelnen Staaten in lexikonähnlichen Artikeln geordnet nach Demokratien (Großbritannien, Frankreich und USA), totalitären Staaten (Deutschland, Italien, UdSSR) und Lateinamerika (z.B. Mexiko, Kuba, Argentinien) vorstellt, erläutert er in einem Einleitungsteil allgemeine Themen und Motive der Spanienkriegsliteratur, nennt dabei jedoch kaum Belege oder konkrete Textbeispiele für seine Schlussfolgerungen.

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Die Studie Schriftsteller in Waffen. Die Literatur und der Spanische Bürgerkrieg (1969) des amerikanischen Komparatisten Benson untersucht Texte von Malraux, Hemingway, Regler, Orwell, Bernanos und Koestler, weist aber erhebliche Schwächen bezüglich der Begründung des Textkorpus, der Zielsetzung und der Vorgehensweise auf. Besonders Bensons Textauswahl ist wenig kriteriengeleitet – obwohl er von einer „kritischen Sichtung“ (1969, S. 16) spricht –, sondern erfolgt anhand von sehr subjektiven Qualitätszuschreibungen und Wertungen. So scheint für ihn „eine beschränkte Untersuchung der Auswirkungen des Konflikts auf einige der bedeutenderen Schriftsteller besonders lohnend“ (1969, S. 16). Es bleibt offen, wodurch ein Text oder ein Autor „bedeutender“ wird als andere. Genauso wenig überzeugend ist seine Begründung, spanische Autoren nicht zu berücksichtigen.26 Zuletzt erwecken die von Benson benannten Ziele seiner Arbeit Zweifel: „Die Hauptabsicht dieses Buches ist es, festzustellen, wie die Anteilnahme gewisser europäischer und amerikanischer Romanschriftsteller am spanischen Ringen […] ihre Einstellung beeinflußt hat, die sich wiederum auf ihre Kunst auswirkte“ (1969, S. 16). Einerseits fällt er wiederholt durch eine fast schon laienhafte Gleichsetzung von Figur und Autor auf (siehe z.B. 1969, S. 14ff.), andererseits möchte er „die Sachlichkeit und Tiefe des Erlebens sowie die doktrinären Vorurteile der einzelnen Autoren“ (1969, S. 17) ermitteln.

Im Gegensatz zu diesem Negativbeispiel gelingt es Peter Monteaths Writing the Good Fight. Political Commitment in the International Literature of the Spanish Civil War (1994), ein Gleichgewicht zwischen einer möglichst großen Bandbreite verschiedensprachiger literarischer Texte aller Gattungen, historisch-kulturellem Kontext und ästhetischen Zeitdiskursen herzustellen. Monteath bearbeitet dabei nicht nur die Literatur sowohl der Aufständischen als auch der Republiktreuen, sondern geht obendrein sehr differenziert auf die Besonderheiten innerhalb der antifaschistischen Kräfte ein, um die Auswirkungen des politischen Engagements auf die Themen und Genres der Spanienkriegsliteratur zu untersuchen. Eine Begrenzung nimmt er hinsichtlich des Publikationszeitraums vor, sodass er nur Texte behandelt, die unmittelbar im oder kurz nach dem Bürgerkrieg geschrieben wurden.

Obwohl sowohl die komparatistischen Sammelbände als auch die Monographien Texte aus mehreren Kulturräumen integrieren, gibt es zusammengefasst ←23 | 24→doch zwei zentrale Schwachstellen, die sich auf den Diskurs insgesamt übertragen lassen: Zum einen liegt der Fokus überdurchschnittlich häufig auf einem relativ gleichbleibenden Textkanon, wodurch eine gewisse Einseitigkeit in der Rezeption der Spanienkriegsliteratur zu entstehen droht, da sich auch die Nationalphilologien hauptsächlich diesen Autoren widmen.27 Diese vorgenommene Trennung nach einzelnen Nationalliteraturen, beziehungsweise nach der Literatur ausländischer Freiwilliger einerseits und der spanischer Autoren andererseits oder innerhalb Spaniens sogar zwischen einzelnen Regionalsprachen, überrascht angesichts der ursprünglich vereinenden Zielsetzungen und gemeinsamen Aktivitäten europäischer Intellektueller während des Konflikts selbst. Zum anderen, und das trifft wiederum auch auf die Nationalphilologien zu, verbleiben viele Analysen in einer oberflächlichen Textinterpretation und stark orientiert an der Biographie des jeweiligen Schriftstellers. Das Hauptinteresse liegt allem Anschein nach fast immer darin, die im Text dargestellten Ereignisse mit den Erlebnissen der Autoren in Verbindung zu setzen, dadurch Parallelen zur Handlung zu ziehen und nachzuweisen, welche Textstellen auf persönlichen Erfahrungen beruhen, worunter die Qualität der literaturwissenschaftlichen Analyse leidet. Die Werke werden so auf die Gegenüberstellung oder den Vergleich mit dem Leben des Autors reduziert und nicht als eigenständiges Kunstwerk gesehen. Eine dritte Problematik bezieht sich auf die Argumentationsstruktur, die unhinterfragter Konsens geworden ist, wonach der Kampf gegen den Faschismus die entscheidende Motivation für den Einsatz im Bürgerkrieg darstellen würde und demzufolge speziell frühe Texte eine manichäische Darstellung inszenieren würden. Darauf wird zu Beginn des Hauptteils noch einmal separat Bezug genommen, da in dieser Idee der zentrale Ausgangspunkt der Textanalyse zu sehen ist. Wie deutlich wurde, fehlt bisher also eine textnahe, komparatistische Analyse, welche die spanische (und regionalsprachliche) Bürgerkriegsliteratur gemeinsam mit Texten aus anderen Kulturräumen einer einheitlichen Fragestellung unterzieht. ←24 | 25→Diesem Mangel begegnet die hier vorgelegte Zusammenstellung der zu untersuchenden Primärtexte.

1.2 Kriterien der Textauswahl und Textkorpus

Unter Berücksichtigung des Umfangs der internationalen Spanienkriegsliteratur insgesamt sowie in Anbetracht der identifizierten Schwächen bisheriger Studien werden sechs Werke en détail untersucht, statt lediglich einen oberflächlichen Überblick über einen größeren Korpus wiederzugeben. Auf andere Texte wird lediglich verwiesen, um eine Kontinuität bedeutender Tendenzen auch in diesen aufzuzeigen.28 Die Studie konzentriert sich exemplarisch auf Texte, welche die folgenden Merkmale erfüllen:

(a) Ausschließlich in spanischer, katalanischer, deutscher, englischer und französischer Sprache verfasste Prosatexte, die direkt den Spanischen Bürgerkrieg zum Thema haben.

Um dem Bürgerkrieg als internationales Phänomen zu würdigen und gleichzeitig der Tendenz entgegenzuwirken, spanische und nicht-spanische Autoren getrennt zu thematisieren, war das vorrangige Ziel der Textauswahl, ein möglichst breites Spektrum europäischer Autoren abzubilden. Auch wenn nun Werke aus verschiedenen Nationalliteraturen betrachtet werden, sollen die anhand eines Textes gewonnen Erkenntnisse nicht pauschal als landestypische Ausprägung gelten. Die Repräsentativität der Werke ergibt sich einzig und allein aus der Fragestellung. Um möglichst ergiebige Aussagen über Motivation und Feindbilder zu erhalten, wurden Texte aus der Analyse ausgeschlossen, in denen der Bürgerkrieg lediglich als Kulisse dient, also eher Themen abseits des Kampfes im häuslich-privaten Umfeld behandelt ←25 | 26→werden, wie zum Beispiel in La plaça del diamant von Mercè Rodoreda, das die Perspektive von Frauen abseits der Front schildert. Gleiches gilt dementsprechend für Kinder- und Jugendbücher sowie Exilromane von ehemaligen Spanienkriegskämpfern.29

(b) Ausschließlich Texte, die von professionellen Autoren geschrieben wurden.

Wenngleich die Internationalen Brigaden und andere republiktreue Organisationen ihre Kämpfer immer wieder offensiv dazu aufgefordert haben, über ihre Erlebnisse im Krieg zu schreiben, sollen in dieser Studie die Werke professioneller Autoren im Zentrum stehen.30 Mit dieser Einschränkung wird der Eigenheit des Bürgerkriegs Rechnung getragen, dass er anders als vorherige und nachfolgende Kriege Literaten in besonderer Weise mobilisieren konnte.31 Eingeschlossen sind somit einerseits Autoren wie André Malraux oder George Orwell, die bereits vor dem Krieg erfolgreich waren, aber auch unbekanntere Autoren wie Joan Sales oder Arturo Barea, deren schriftstellerische Karrieren ihren Höhepunkt erst nach dem Bürgerkrieg erreichten.

(c) Ausschließlich Texte, deren Autoren sich für die Verteidigung der Spanischen Republik engagiert haben und demnach im weitesten Sinne als „antifaschistisch“ bezeichnet werden können.

Das dritte Kriterium, das der Textauswahl zugrunde liegt, ergibt sich direkt aus der Fragestellung und ist selbsterklärend: Um beurteilen zu können, inwiefern der Kampf gegen Faschismus als Grund für das Engagement in den Texten inszeniert wird, werden naturgemäß alle Autoren ←26 | 27→ausgeschlossen, die als Faschisten oder Unterstützer der Aufständischen um Franco gelten können.32 Da die Anhänger der Republik jedoch keine homogene Gruppe darstellten, sondern in viele Fraktionen und Parteien zersplittert waren, wurde versucht, ein möglichst breites politisches Spektrum innerhalb der antifaschistischen Kräfte abzubilden, um dieser Vielfältigkeit gerecht zu werden.33

(d) Ausschließlich Texte, deren Autoren aktiv – d.h. zum Beispiel als Soldaten, Ärzte oder Kriegsreporter – am Geschehen in Spanien beteiligt waren und demnach als Zeitzeugen gelten können.

Es existieren bereits vielzählige Versuche, Literaten in Untergruppen zu unterteilen, um die verschiedenen Ausdrucksformen des Engagements aufzuzeigen. Kreuzer unterscheidet beispielsweise „Kombattanten“, „Nicht-Kombattanten“ und „Sympathisanten“ (vgl. 1986, S. 24f.) ähnlich wie Sperber, der noch die Kategorie der „touristes“ (vgl. 1975, S. 38) hinzufügt oder Sobejano, der je nach Beteiligung am aktiven Kampf von „militantes“, „observadores“ und „intérpretes“ spricht (vgl. 1970, S. 44).34 Statt auf eine dieser bereits existierenden Klassifizierungen zurückzugreifen, erscheint mir der Begriff „Zeitzeuge“ für die Zwecke dieser Arbeit am passendsten: Er ist einerseits eng genug gefasst, um die Schriftsteller, die tatsächlich vor Ort waren, von denen abzugrenzen, die lediglich vom Ausland aus ihre Sympathien bekundet haben; andererseits ist er offen genug, um die ganze Bandbreite der Funktionen abbilden zu können, welche Intellektuelle während des Krieges eingenommen haben. Eine Kategorie wie „Kombattant“ würde Ärzte, Einwohner, Journalisten oder Ministeriumsmitarbeiter streng genommen ausschließen. Auch wenn von Zeitzeugen im deutschsprachigen ←27 | 28→Raum vor allem im Zusammenhang mit dem Holocaust die Rede ist, ist die Bezeichnung heutzutage so geläufig, dass sie inzwischen auch abseits des Zweiten Weltkriegs Verwendung findet.35

Darüber hinaus erlaubt Zeugenschaft als Kriterium, den Publikationszeitraum relativ stark auszudehnen, um nicht wie andere Studien recht willkürliche zeitliche Begrenzungen festlegen zu müssen. Das hat nämlich dazu geführt, dass gerade die Texte, die mit einem größeren zeitlichen Abstand zum Bürgerkrieg entstanden sind, aber trotzdem von Zeitzeugen verfasst wurden, bisher im wissenschaftlichen Diskurs nahezu keine Beachtung gefunden haben.36 Gründe für eine verzögerte Publikation sind in den meisten Fällen auf außerliterarische Faktoren zurückzuführen (Zensur, Exil usw.) und können über das tatsächliche Entstehungsdatum hinwegtäuschen. Eine nur auf zeitlichen Kriterien beruhende Einschränkung würde deshalb die künstliche Trennung von Texten aufrechterhalten, die einen zentralen gemeinsamen Bezugspunkt haben und deshalb einen Diskurszusammenhang bilden.

Details

Seiten
448
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631876619
ISBN (ePUB)
9783631876626
ISBN (MOBI)
9783631876633
ISBN (Hardcover)
9783631876541
DOI
10.3726/b19628
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (März)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 448 S.

Biographische Angaben

Julia Auweiler (Autor:in)

Julia Auweiler studierte die Fächer Spanisch, Deutsch und Englisch für das Lehramt an Gymnasien. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg tätig.

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Titel: Analysen antifaschistischen Engagements in der Zeitzeugenliteratur zum Spanischen Bürgerkrieg
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