Lade Inhalt...

Nation-Building als Aspekt des Völkerrechts

Friedenssicherung in Nachkonfliktsituationen

von Franziska Schuierer (Autor:in)
©2016 Dissertation XV, 243 Seiten

Zusammenfassung

Nation-Building setzt an der Erkenntnis an, dass Gewaltherrschaft und das Scheitern von Staatlichkeit (failed states) ebenso wie Armut und Unterentwicklung grundlegende Gefahren für die Weltordnung darstellen. Problemstellung des Buchs ist die völkerrechtliche Einordnung von Nation-Building als Methode der Friedenssicherung. Die Autorin bettet Nation-Building, das eine militärische Intervention von außen mit Wiederaufbau, dem Aufbau von Staatlichkeit und Entwicklungshilfe kombiniert, in die Struktur der internationalen Friedenssicherungsmaßnahmen ein und untersucht es anhand von Fallbeispielen (Kosovo, Timor-Leste, Afghanistan). Dabei erörtert sie betroffene Rechtsgüter, notwendige Rechtsgrundlagen, Anforderungen an externe Akteure sowie das in der Nachkonfliktphase geltende Recht (ius post bellum).

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort und Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung
  • 1. Kapitel: Nation-Building zur Friedenssicherung
  • A. Friedenssicherung auf internationaler Ebene
  • I. Friedenssicherung als Ziel der internationalen Gemeinschaft
  • II. Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen
  • III. Friedenssichernde Maßnahmen
  • 1. Peacekeeping
  • a) Klassisches Peacekeeping
  • b) Peacekeeping der zweiten Generation
  • aa) Grenzen des Peacekeeping
  • (1) Somalia
  • (2) Ruanda
  • bb) Schlussfolgerung
  • c) Peacekeeping der dritten Generation
  • d) Peacekeeping der vierten Generation
  • 2. Peacebuilding
  • IV. Schwierigkeiten der Praxis
  • B. Staatenbildung
  • I. Staatsbegriff
  • 1. Bedeutung des Staatsbegriffs
  • 2. Völkerrechtlicher Staatsbegriff
  • 3. Herausforderungen durch failed states
  • II. State-Building
  • C. Nationenbildung
  • I. Begriffskomponenten
  • 1. Volk
  • 2. Nation
  • 3. Nationalstaat
  • II. Nation-Building
  • 1. Begriffsentwicklung
  • 2. Gegenwärtige Begriffsverwendung
  • 3. Elemente des Nation-Building
  • D. Fallbeispiele
  • I. Kosovo
  • 1. Hintergrund
  • 2. Eingriff
  • 3. Friedenssicherung
  • II. Osttimor / Timor-Leste
  • 1. Hintergrund
  • 2. Eingriff
  • 3. Friedenssicherung
  • III. Afghanistan
  • 1. Hintergrund
  • 2. Eingriff
  • 3. Friedenssicherung
  • 2. Kapitel: Intervention und Nation-Building
  • A. Betroffene Rechtsgüter
  • I. Staatliche Souveränität
  • 1. Historische Wurzeln
  • 2. Moderner Souveränitätsbegriff
  • 3. Bedeutung der Souveränität im Völkerrecht
  • 4. Veränderte Ausübung von Souveränität
  • II. Menschenrechte
  • 1. Inhalte und Reichweite
  • 2. Menschenrechte als Einschränkung der inneren Autonomie
  • III. Selbstbestimmungsrecht der Völker
  • 1. Grundsätze
  • 2. Träger des Selbstbestimmungsrechts
  • 3. Verankerung und Stellung im Völkerrecht
  • 4. Inhalte
  • a) Externes Selbstbestimmungsrecht
  • aa) Defensives und offensives Selbstbestimmungsrecht
  • bb) Sezession
  • b) Internes Selbstbestimmungsrecht
  • aa) Grundsätze
  • bb) Demokratie: Anspruch oder Zielvorgabe
  • (1) Begründungsansätze für ein Recht auf Demokratie
  • (a) Völkerrechtssystematische Herleitung
  • (b) Demokratie als politischer Anspruch
  • (2) Möglicher Inhalt eines Rechts auf Demokratie
  • (3) Pro und contra Recht auf Demokratie
  • (a) Argumente dafür
  • (i) Demokratie schafft Frieden
  • (ii) Demokratie schützt Menschenrechte
  • (iii) Demokratie dient der Verteilungsgerechtigkeit
  • (b) Argumente dagegen
  • (i) Ideologiefreiheit des Völkerrechts
  • (ii) Kein völkerrechtlicher Demokratiebegriff
  • (iii) Gefahr der illegitimen Einmischung in innere Angelegenheiten
  • (iv) Gefahr der Bedeutungsentleerung
  • (c) Resümee
  • B. Rechtliche Legitimation der Intervention von außen
  • I. Selbstverteidigung
  • 1. Voraussetzungen des Art. 51 UN-Charta
  • 2. Präventive Selbstverteidigung
  • 3. Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Gewalt
  • II. Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat
  • 1. Friedensbedrohung nach Art. 39 UN-Charta
  • a) Negativer und positiver Frieden
  • b) Zwischenstaatliche und innerstaatliche Gewalt
  • 2. Maßnahmen des Sicherheitsrats
  • a) Art. 39, 40 UN-Charta
  • b) Art. 41 UN-Charta
  • c) Militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 UN-Charta
  • 3. Legitimierung von Friedenseinsätzen
  • a) UN-Friedenseinsätze
  • aa) Klassisches Peacekeeping
  • bb) Peacekeeping mit Enforcement-Funktionen
  • cc) UN-Übergangsverwaltungen
  • b) Friedenssicherung durch Regionalorganisationen
  • III. Humanitäre Intervention
  • C. Recht im Konflikt
  • I. Dichotomie von Friedensrecht und Kriegsrecht im klassischen Völkerrecht
  • II. Ius ad bellum und ius in bello – Inhalte und Funktionen
  • III. Beginn und Ende eines bewaffneten Konflikts
  • IV. Durchbrechung der Dichotomie
  • 1. Verlust der Trennlinie zwischen Krieg und Frieden
  • 2. Vermischung von ad bellum- und in bello-Aspekten
  • a) Staatenpraxis bei Anwendung des humanitären Völkerrechts
  • aa) NATO-Luftangriffe auf den Kosovo
  • bb) Libanonkrieg 2006
  • cc) Folter im Kampf gegen den Terror
  • b) Auslegung des humanitären Völkerrechts durch den IGH
  • aa) Mauer-Gutachten
  • bb) Gutachten über die Rechtmäßigkeit von Nuklearwaffen
  • 3. Wachsende Bedeutung der Menschenrechte
  • a) Humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte – Gegensätzlichkeiten
  • b) Humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte – Gemeinsamkeiten
  • aa) Inhaltliche Gemeinsamkeiten
  • bb) Gesetzlich vorgesehene gleichzeitige Anwendbarkeit
  • cc) Durch Hoheitsgewalt vermittelte Anwendbarkeit von Menschenrechten
  • dd) Umsetzung von Menschenrechten in Besatzungssituationen
  • c) Theorien zum Verhältnis von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten
  • 3. Kapitel: Nachkonfliktrecht und Nation-Building
  • A. Ius post bellum
  • I. Besatzung durch Staaten – Besatzungsrecht
  • 1. Begriff der Besatzung
  • 2. Arten der Besatzung
  • 3. Rechte und Pflichten der Besatzungsmacht
  • II. Internationale Territorialverwaltung – Recht der international verwalteten Nachkonfliktphase
  • 1. Rechtlicher Status von UN-Übergangsverwaltungen
  • a) Protektorat
  • b) Treuhandverwaltung
  • c) Eigene Kategorie der Übergangsverwaltung
  • 2. Rechtlicher Rahmen für Übergangsverwaltungen
  • a) Übereinkommen zu Aufgaben und Status
  • b) Anwendbarkeit von Besatzungsrecht
  • c) Anwendbarkeit von Menschenrechtsabkommen
  • III. Recht der umgestaltenden Besatzung
  • 1. Statischer Charakter des Besatzungsrechts
  • 2. Raum für Wandel
  • a) Kodifizierte Ausnahmen
  • b) Nicht kodifizierte Ausnahmen
  • c) Politische Umgestaltung
  • IV. Zielvorgaben des ius post bellum
  • 1. Faires Friedensabkommen
  • 2. Politischer Wandel
  • 3. Suche nach Ausgleich statt Bestrafung der Besiegten
  • 4. Herstellung individueller Verantwortlichkeit
  • 5. Transitional Justice
  • B. Herausforderungen des Nation-Building
  • I. Ziele des Nation-Building
  • 1. Sicherheit
  • 2. Errichtung staatlicher Institutionen
  • 3. Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung
  • 4. Nationale Identität
  • II. Anforderungen an die externen Akteure
  • 1. Legitimation und Mandatierung
  • 2. Treuhandschaft und responsibility to protect
  • 3. Wiederaufbau, Entwicklung und local ownership
  • 4. Kontrollmechanismen
  • 5. Exit-Strategie
  • Schlussbemerkung
  • Literaturverzeichnis

← XII | XIII →

Abkürzungsverzeichnis

← XVI | 1 →

Einführung

Frieden aufrechtzuerhalten ist Ziel des Völkerrechts. Konflikte in aus Sicht der westlichen Welt mehr oder weniger beachteten Regionen der Erde bedrohen den Frieden – in Zeiten von Flüchtlingsströmen und Terrorismus durchaus in globaler Hinsicht. Konflikte, die zu massiven und systematischen Verletzungen der Menschenrechte führen, die verursachen, dass Staaten in umkämpfte Hoheitsfragmente zerfallen, die Gesellschaften verfeinden und zerbrechen, verlangen der Staatengemeinschaft eine Reaktion ab. Unerträgliche Gewaltanwendung, zerfallene Staaten und entwurzelte Gesellschaften entstehen aus Kriegen, deren Ursachen sich oft ähneln, für die es aber maßgefertigter Lösungen bedarf.

Nation-Building wird dort relevant, wo Nachkonfliktsituationen durch Einfluss von außen zu meistern sind. Es soll Lösungen für Fragen der Staatsorganisation ebenso finden wie die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen angehen. Es soll alle Gruppen der Bevölkerung einbeziehen und die Möglichkeit zur Versöhnung innerhalb der Gesellschaft bereiten. Der Problemkreis des Nation-Building ist umfassend. Aus Sicht der externen, aus dem Ausland in das Krisenland kommenden Akteure entsteht Nation-Building aus der Notwendigkeit heraus, nach dem Krieg auch den Frieden zu gewinnen. Ziel ist langfristiger Frieden und Stabilität – im Interesse der Zielstaaten ebenso wie der internationalen Gemeinschaft.

Die rechtliche Einordnung von Nation-Building ist Gegenstand dieser Arbeit. Die Probleme und Herausforderungen von Nation-Building sollen sowohl hinsichtlich der einem Nation-Building Projekt vorangegangenen Intervention von außen als auch hinsichtlich der von Friedenssicherung und Aufbau geprägten Nachkonfliktphase untersucht werden.

Hierfür ist zunächst zu klären, wie Friedenssicherung auf internationaler Ebene heute funktioniert, welche Begriffe von Staat und Nation zugrunde zu legen sind, welche Elemente Nation-Building enthält und wie es sich von State-Building unterscheidet (1. Kapitel). Erläutert wird das Spannungsverhältnis zwischen den von Nation-Building berührten Rechtsgütern der staatlichen Souveränität, der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die Entwicklung und der Inhalt dieser Rechtsgüter und die durch sie aufgeworfenen Probleme in schwachen Staaten und Gesellschaften. Es wird diskutiert, unter welchen Voraussetzungen eine militärische Intervention in einem Land erfolgen darf, und welche Rechtsnormen die Vorgehensweise und das Verhalten im Konflikt regeln (2. Kapitel). Untersucht werden das in der Nachkonfliktphase relevante Rechtssystem und die Zielsetzungen dieser Phase sowie die Rechtmäßigkeit der Umgestaltung der inneren Ordnung von Staaten. Schließlich wird gefragt, welchen Herausforderungen die Umsetzung von Nation-Building in eher politischer als rechtlicher Hinsicht begegnet (3. Kapitel). ← 1 | 2 →

← 2 | 3 →

1. Kapitel:  Nation-Building zur Friedenssicherung

A.  Friedenssicherung auf internationaler Ebene

I.  Friedenssicherung als Ziel der internationalen Gemeinschaft

Nicht erst seit dem Bestehen der Vereinten Nationen versucht sich die internationale Gemeinschaft darin, Methoden zu finden, die den Frieden aufrecht erhalten und den Rückgriff auf Krieg eindämmen und in geordnete Bahnen lenken. Noch im 18. Jahrhundert war militärische Gewalt eine Methode des Konfliktmanagement; Krieg war, nach dem berühmten Wort von Clausewitz, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln akzeptiert.1

Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich diese Sichtweise. Mit dem Völkerbund wurde eine Staatengemeinschaft geschaffen, die Aggressionskriege verhindern und die friedliche Streitbeilegung fördern sollte; es entstand eine Kooperation, die nicht nur die Natur einer politischen Machtstruktur hatte, sondern sich dem Völkerrecht und der Rule of Law unterwarf.2 Der Völkerbund schränkte in seiner Satzung das Recht der Staaten, aufgrund einseitigen Entschlusses Krieg zu führen, ein, und sah vor, dass militärische Zwangsgewalt aufgrund einer Entscheidung des Rates des Völkerbundes durchgeführt und militärische Einheiten auch zur einverständlichen Konfliktregelung eingesetzt werden konnten; dieses Konzept wird als Vorläufer des modernen Peacekeeping angesehen.3 Die Völkerbundsatzung enthielt auch eine Aufforderung zur friedlichen Streitbeilegung, gestaltete dies jedoch als Vorstufe zur legalen Kriegsführung.4 Der Briand-Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 entwickelte das Kriegsverbot der Völkerbundsatzung fort; die mehr als 60 Mitgliedstaaten erklärten ← 3 | 4 → den Verzicht auf Krieg als Instrument zwischenstaatlicher Politik und verurteilten Krieg als Lösung internationaler Konflikte.5

Der Zweite Weltkrieg konnte so jedoch nicht verhindert werden. Mit dem Ziel der friedlichen Neuordnung der internationalen Beziehungen wurden 1945 mit dem Abschluss der UN-Charta die Vereinten Nationen gegründet, deren zentrale Aufgabe die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist. Bereits die Präambel setzt das Ziel, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Dies soll mit einem auf dem Gewaltverbot aufbauenden System kollektiver Sicherheit erreicht werden.6 Zu den 51 Gründungsmitgliedern kamen fast alle bestehenden oder vor allem durch den Dekolonisierungsprozess entstehenden Staaten hinzu; derzeit sind mit 193 Mitgliedstaaten fast alle Länder der Erde in der UNO organisiert.7

Ob die UN-Charta im Wesentlichen politische Instrumente zur Friedenssicherung schaffen oder ob die UN-Organe durch rechtliche Vorgaben eingeschränkt sein sollten, war während der Verhandlungen der Gründungsstaaten umstritten; es entstand eine Kompromisslösung, die beide Prinzipien zum Teil verwirklichte.8 Der Sicherheitsrat entscheidet als Exekutivorgan auf der Grundlage von hauptsächlich politischen Überlegungen, während die friedliche Beilegung von Streitigkeiten „nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“ geschehen soll.9 Die UN-Charta definiert die Handlungsbefugnisse ihrer Organe, deren Maßnahmen sich stets an den Zielen und Grundsätzen der Charta messen lassen müssen; sie setzt somit das Prinzip der Rule of Law um.10

Das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen zeichnet sich durch das Prinzip aus, dass die Mitglieder auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt verzichten, und sieht für den Fall eines Verstoßes einen kollektiven Zwangsmechanismus vor.11 Die Ziele und Grundsätze der UN aus Art. 1 und 2 UN-Charta stellen heraus, mit welcher Deutlichkeit die Organisation der Wahrung und Wiederherstellung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit gewidmet ist. Nach Art. 2 Ziff. 3 ← 4 | 5 → UN-Charta ist es ein Grundsatz der Vereinten Nationen, dass ihre Mitglieder internationale Streitigkeiten durch friedliche Mittel beilegen. Diese Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung enthält nicht nur den Ausschluss unfriedlicher Mittel, sondern die Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten.12 Kapitel VI der UN-Charta enthält Regelungen zur friedlichen Streitbeilegung, deren Instrumente Art. 33 UN-Charta aufzählt.13 Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta regelt ein umfassendes Gewaltverbot, wonach alle Mitglieder jede mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen. Die Ächtung des Angriffskrieges als illegalem „act of aggression“ kann Krieg jedoch nicht immer verhindern, da ein Krieg mit dem Ziel der Selbstverteidigung stets gestattet wurde und auch in Art. 51 UN-Charta als „naturgegebenes Recht“ anerkannt ist; schon die Bezeichnung als Selbstverteidigung verhilft zu einem rechtlichen Rahmen.14 Kapitel VII der UN-Charta ermächtigt den UN-Sicherheitsrat, das Vorliegen einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung festzustellen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

II.  Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen

Den Vereinten Nationen kommt eine herausragende Rolle bei der Friedenssicherung zu. Für eigene friedenssichernde Aktivitäten sind in der UN-Charta Maßnahmen nach den Kapiteln VI und VII sowie regionale Abmachungen nach Kapitel VIII vorgesehen. Auch die Befugnis zum Einsatz von Friedenstruppen wird aus der UN-Charta hergeleitet. Zusätzlich besteht eine Bandbreite von an friedenskonsolidierenden Projekten beteiligten Akteuren, die von globalen und regionalen zwischenstaatlichen Organisationen über einzelne Staaten bis hin zu Nichtregierungsorganisationen und transnationalen Unternehmen reicht.15 Die UN üben hier eine Koordinierungsfunktion aus und unterstützen das Ineinandergreifen von Aktivitäten verschiedener Akteure.16

Obwohl die UN-Charta klare Handlungsbefugnisse für ihre Organe vorsieht, werden – durch die Schaffung von Friedensmissionen – weitere, nicht benannte Befugnisse auf sie gestützt. Sie wurde als lebende Verfassung der Weltorganisation konzipiert und beweist im Rahmen ihrer Ziele und Grundsätze einige Flexibilität.17 Nachdem man daran gescheitert war, die in Art. 43 UN-Charta vorgesehenen Sonderabkommen zur Bereitstellung von Streitkräften abzuschließen und einen ← 5 | 6 → Generalstabsausschuss nach Art. 47 UN-Charta zu schaffen, erdachten die UN-Organe ein Instrument „extra constitutionem“: die Einrichtung von Notfalleinsatzkräften der Vereinten Nationen.18 Die daraus entstandenen Peacekeeping-Truppen sind in der Charta nicht vorgesehen, spielen aber eine wichtige Rolle in der Praxis.19

UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali nutzte im Jahr 1992 seine Agenda für den Frieden (Agenda for Peace), um erstmals ausführlich zu den Konzepten Peacekeeping und Peacebuilding Stellung zu nehmen.20 Er systematisiert die vorhandenen Mittel des Konfliktmanagement: Preventive diplomacy soll das Entstehen oder Eskalieren von Auseinandersetzungen verhindern; Peacemaking soll verfeindete Parteien durch friedliche Mittel, wie denen aus Kapitel VI der UN-Charta, dazu bringen, Friedensabkommen zu schließen; Peacekeeping soll mittels Truppenpräsenz im jeweiligen Staat mit Einverständnis dieses Staates einen Konflikt verhindern oder Frieden erhalten; Post-conflict Peacebuilding schließlich soll durch Unterstützung vorhandener Strukturen den Frieden stärken und festigen, um ein Wiederaufleben der Gewalt zu verhindern.21 Seit der Agenda for Peace wurden die darin enthaltenen Konzepte von verschiedenen Organen der Vereinten Nationen immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.22 Der Bericht des Panel on United Nations Peace Operations (sogenannter Brahimi-Bericht) aus dem Jahr 2000 macht deutlich, dass die Herangehensweisen an die Friedenssicherung zu verändern sind, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, und empfiehlt umfassendere Missionen und robustere Einsätze als Strategien hierfür.23

Unmittelbar und mittelbar stellt das UN-System einige Möglichkeiten zur Konfliktlösung zur Verfügung. Jedenfalls aus UN-Sicht liegt das Scheitern einer friedlichen Konfliktlösung regelmäßig nicht an fehlenden Mechanismen, sondern an einem Mangel an politischem Willen, am fehlenden Einfluss einer dritten Partei oder an der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft.24

III.  Friedenssichernde Maßnahmen

Im Rahmen von friedenssichernden Maßnahmen werden je nach Art des Einsatzes verschiedene Aufgabenbereiche durch die Einsatzkräfte übernommen. In ← 6 | 7 → unterschiedlicher Art und Weise werden auch hoheitliche Aufgaben wahrgenommen, die deshalb von den jeweiligen innerstaatlichen Kräften nicht oder nicht allein erfüllt werden. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung friedenssichernder Maßnahmen lässt sich eine Vermehrung der von der Mission zu erfüllenden Aufgaben beobachten. Grob kann man die Missionen in die Kategorien Peacekeeping, Übergangsverwaltung und Peacebuilding einteilen. Allen Missionen ist gemeinsam, dass sie auf der Grundlage eines Mandats der Vereinten Nationen stattfinden. Anhand der von ihnen zu bewältigenden Aufgaben sollen diese Kategorien nun unterschieden werden.

1.  Peacekeeping

Peacekeeping lässt sich als Einsatz militärischer Einheiten für eine einverständliche Konfliktregelung umschreiben.25 Das Konzept von Peacekeeping besteht im Krisenmanagement – nach einem bewaffneten Konflikt ist es das Ziel, die Beziehungen zwischen den Kriegsparteien zu stabilisieren, ein Waffenstillstandsabkommen umzusetzen und das Wiederaufleben des Konflikts zu verhindern.26 Grundsätzlich ist Voraussetzung für den Einsatz von Peacekeeping-Truppen, dass die Kampfhandlungen ganz oder weitgehend beendet wurden.27 Der Umfang und die Aufgaben jeder Peacekeeping-Mission werden durch das UN-Mandat, das die Mission schafft, festgelegt.

a)  Klassisches Peacekeeping

Im klassischen Peacekeeping haben die eingesetzten Truppen die Funktionen der Beobachtung (zur Überwachung eines Waffenstillstandes), der Schaffung eines militärischen Puffers (zur Verhinderung des Wiederaufflammens der Kampfhandlungen an gefährdeten Stellen) und der Absicherung der inneren Ordnung des Staates.28 Indem sie die Einhaltung von Waffenstillstandsabkommen und demilitarisierten Zonen überwachen, halten die Truppen die Parteien von weiterer Gewalt ab; so soll der politische Status quo aufrecht erhalten werden, bis eine friedliche Lösung gefunden ist.29

Das klassische Peacekeeping-Konzept baut auf den Prinzipien des Einverständnisses zwischen den Parteien, der Unparteilichkeit und der Nichtanwendung von Gewalt außer zur Selbstverteidigung auf.30 ← 7 | 8 →

Peacekeeping-Maßnahmen sollen demnach grundsätzlich auf einem Konsens zwischen den Konfliktakteuren beruhen. Das Einverständnis der Konfliktparteien kann durch ein Übereinkommen zwischen den Parteien, durch die Zustimmung zu einer entsprechenden Resolution durch jede der Parteien oder durch ein Übereinkommen zwischen den Vereinten Nationen und dem Staat, auf dessen Territorium die Mission stattfinden soll, zum Ausdruck gebracht werden.31 Ein Konsens kann zustande kommen, wenn der Konflikt bereits beendet und Einigkeit darüber zu erzielen ist, dass der Status quo erhalten werden soll.

Die unparteiliche32 Stellung der Einsatzkräfte betont deren Rolle als Puffer und Vermittler. Der einverständliche Charakter einer Operation trägt dazu bei, dass sie als unparteilich anerkannt wird.33 Die Mitwirkung internationaler Beobachter als neutraler Partei im Versöhnungsprozess soll dazu beitragen, ein Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Verdächtigung zu überwinden.34 Die Unparteilichkeit fördert die Akzeptanz am Einsatzort und die Kooperation der Parteien, wodurch die Effektivität der Operation und ihre Erfolgschancen steigen.35

Das dritte Prinzip des klassischen Peacekeeping enthält die Vorgabe, ohne Zwangselemente auszukommen.36 Die Truppen verzichten auf gewaltsame Maßnahmen außer zur Selbstverteidigung. Dieser Grundsatz unterstreicht die Rolle der Peacekeeper als unparteiliche Schlichter, die einen bereits erreichten, wenn auch fragilen Frieden sichern sollen.

Details

Seiten
XV, 243
Jahr
2016
ISBN (ePUB)
9783631700693
ISBN (PDF)
9783653072389
ISBN (MOBI)
9783631700709
ISBN (Hardcover)
9783631681152
DOI
10.3726/978-3-653-07238-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Peacekeeping UN-Übergangsverwaltung Ius post bellum Failed States Souveränität Selbstbestimmungsrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2016. XV, 243 S.

Biographische Angaben

Franziska Schuierer (Autor:in)

Franziska Schuierer studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Göttingen, Bristol und Würzburg und absolvierte ein Begleitstudium im Europäischen Recht. Sie wurde am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht der Universität Marburg promoviert.

Zurück

Titel: Nation-Building als Aspekt des Völkerrechts
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
262 Seiten