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Das Schicksal von Enkelrechten bei Fehlen bzw. nach Wegfall des Enkelrechts

von Jennifer Pfingsten (Autor:in)
©2014 Dissertation XXXIV, 174 Seiten

Zusammenfassung

In seinem Urteil Reifen Progressiv hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Nutzungsrecht eines Zweitverwerters (Enkelrecht) nicht erlischt, wenn das Nutzungsrecht des Erstverwerters (Tochterrecht) endet. In zwei weiteren Urteilen hat der BGH diese Rechtsprechung fortgeführt. Der BGH ist damit von der herrschenden Meinung abgewichen. Diese Studie widmet sich dem hierin in mehrfacher Hinsicht erkennbaren Diskussionsbedarf: Geklärt wird, inwiefern die Begründungen des BGH sein Ergebnis tragen und inwieweit das Votum auf Fälle übertragbar ist, in denen das Tochterrecht aus anderen Gründen unwirksam ist oder wird. Schließlich legt die Autorin Kriterien fest, die im Rahmen der vom BGH geforderten Abwägung der Interessen des Urhebers einerseits und des Enkelrechtsinhabers andererseits maßgebend sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Literaturverzeichnis
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Problemaufriss
  • II. Ausgangssituation
  • III. Problemstellung
  • IV. Terminologie
  • B. Funktion des Urheberrechts
  • C. Die Entstehung von Rechteketten
  • I. Beispiele einer Rechtekette
  • II. Funktion des Urhebervertragsrechts
  • III. Rechtsquellen des Urhebervertragsrechts
  • IV. Differenzierung der Begriffe Verwertungsrecht, Nutzungsrecht und Nutzungsart
  • 1. Überblick
  • 2. Die Verwertungsrechte
  • V. Das System der Nutzungsrechte
  • 1. Das Trennungsprinzip
  • 2. Der Nutzungsvertrag
  • a. Die Entscheidung des Urhebers über die Auswertung
  • b. Die Rechtsnatur des Nutzungsvertrages, Anwendbarkeit von Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB
  • 3. Die Einräumung von Nutzungsrechten
  • a. Die monistische Theorie
  • b. Die Entstehung von Nutzungsrechten durch Einräumung
  • c. Ausschließliche und einfache Nutzungsrechte
  • 4. Die Einräumung von Nutzungsrechten auf weiteren Stufen gemäß § 35 UrhG
  • a. Terminologie
  • b. Abgrenzung zu § 34 UrhG
  • c. Bedeutung und Anwendungsbereich von § 35 UrhG
  • d. Ergebnis
  • D. Bruch der Rechtekette
  • E. Die Entwicklung der Rechtsprechung
  • I. BGH, Urteil vom 15.04.1958 – „Die Privatsekretärin“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung
  • 3. Bewertung
  • II. OLG München, Urteil vom 17.5.1979
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung
  • 3. Bewertung
  • III. OLG München, Urteil vom 3.3.1983 – „Alexis Sorbas“, BGH, Urteil vom 28.11.1985 – „Alexis Sorbas“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des Oberlandesgerichtes
  • 3. Revision
  • 4. Bewertung
  • IV. LG Stuttgart, Urteil vom 31.5.1983
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung
  • 3. Bewertung
  • V. OLG München, Urteil vom 26.9.1996 – „Das Piano“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung
  • VI. OLG Hamburg, Urteil vom 23.10.1997 – „Feliksas Bajoras“
  • VII. LG Hamburg, Urteil vom 15.1.1999 – „Sesamstrasse“, OLG Hamburg, Urteil vom 15.3.2001 – „Kinderfernsehsendereihe“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des Landgericht Hamburg
  • 3. Berufung
  • VIII. OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.10.2006 – „Popmusiker“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung
  • 3. Bewertung
  • IX. LG Köln, Urteil vom 16.11.2005 – „Warenwirtschaftsprogramm“, OLG Köln, Urteil vom 14.7.2006 – „Computerprogramm für Reifenhändler“; BGH, Urteil vom 23.3.2009 – „Reifen Progressiv“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des Landgerichts Köln
  • 3. Berufung
  • 4. Revision
  • X. LG München I, Urteil vom 17.03.2010 – „Take Five“, OLG München, Urteil vom 20.01.2011 – „Take Five II“, BGH, Urteil vom 19.07.2012 – „Take Five“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des Landgericht München I
  • 3. Bewertung
  • 4. Berufung
  • 5. Revision
  • XI. LG Potsdam, Urteil vom 20.7.2006; OLG Brandenburg, Urteil vom 30.3.2010; BGH, Urteil vom 19.07.2012 – „M2Trade“
  • 1. Sachverhalt
  • 2. Entscheidung des LG Potsdam
  • 3. Berufung
  • 4. Revision
  • XII. Fazit
  • F. Der Meinungsstand in der Literatur
  • I. Fortfall des Tochterrechts führt zu Fortfall des Enkelrechts
  • II. Kein Fortfall des Enkelrechts nach Fortfall des Tochterrechts als natürliche Folge des Abstraktionsprinzips
  • III. Differenzierung nach dem Grund des Erlöschens des Kausalgeschäfts
  • IV. Fazit
  • G. Analyse des Urteils des Bundesgerichtshofes: „Reifen Progressiv“
  • I. Mögliche allgemeingültige Aussagen
  • II. Mögliche Auswirkungen des Urteils
  • III. Kritik am Bundesgerichtshof
  • 1. Methodik
  • 2. Verkehrsschutz
  • a. Das Kausalitätsprinzip
  • aa. Begriff und Inhalt des Kausalitätsprinzips im deutschen Zivilrecht
  • bb. Anwendung des Kausalitätsprinzips im Urheberrecht
  • b. Das Abstraktionsprinzip
  • aa. Begriff und Inhalt des Abstraktionsprinzips im deutschen Zivilrecht
  • bb. Der Anwendungsbereich des Abstraktionsprinzips im BGB
  • cc. Anwendung des Abstraktionsprinzips im Urheberrecht
  • c. Ergebnis
  • 3. Zweckbindungsgedanke
  • a. Meinungsstand
  • b. Der Rechtsgedanke der Zweckübertragungsregel
  • c. Ergebnis
  • 4. Fehlender gutgläubiger Erwerb und die Regelung des § 33 S. 2 UrhG
  • a. Niemand kann mehr Rechte vergeben als er selbst besitzt und der fehlende gutgläubige Erwerb von Rechten im Urheberrecht
  • aa. Kein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten
  • bb. Die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs
  • cc. Der Rechtsgedanke des § 185 BGB
  • dd. Konsequenz des fehlenden gutgläubigen Erwerbs
  • ee. Ergebnis
  • b. Die Regelung des § 33 UrhG
  • aa. Keine Präjudizierung der Streitfrage
  • bb. Ein Vergleich des Verzichts nach § 33 S. 2 UrhG mit anderen Vorschriften
  • cc. Die Wertung und der Anwendungsbereich des § 33 S. 1 UrhG
  • c. Ergebnis
  • 5. Das einfache Nutzungsrecht
  • a. Meinungsstand
  • b. Stellungnahme
  • aa. Das Wesen des dinglichen Rechts
  • bb. Wortlaut und Systematik
  • cc. Entstehungsgeschichte
  • dd. Obligatorische Rechte
  • ee. Patentrecht und Urheberrecht im Vergleich
  • c. Konsequenz
  • d. Ergebnis
  • 6. Die Wertung des § 35 UrhG
  • 7. Fazit
  • H. Interessenabwägung
  • I. Die Interessenabwägung im engeren Sinne
  • 1. Die urheberrechtlichen Rückrufsrechte
  • a. Das Rückrufsrecht nach § 41 UrhG
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung gegenüber dem zurückgerufenen Nutzungsrechtsinhaber
  • cc. Ergebnis
  • b. Das Rückrufsrecht nach § 42 UrhG
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung gegenüber dem zurückgerufenen Nutzungsrechtsinhaber
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • 2. Defizite im Bereich Tochterrechts durch Gründe aus dem BGB
  • a. Beschränkungen
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung in Bezug auf das Tochterrecht
  • cc. Das Schicksal der Enkelrechte
  • (1) Quantitative Beschränkungen
  • (2) Zeitliche Befristungen
  • (3) Auflösende Bedingung
  • dd. Ergebnis
  • b. Die anfängliche Unwirksamkeit
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • c. Anfechtung
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • d. Die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB
  • aa. Anwendungsbereich und Voraussetzungen
  • bb. Wirkung inter partes
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • e. Der Rücktritt
  • aa. Anwendungsbereich
  • bb. Wirkung inter partes
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • f. Störung der Geschäftsgrundlage
  • aa. Anwendungsbereich
  • bb. Wirkung
  • cc. Vergleich mit § 41 UrhG
  • dd. Das Schicksal der Enkelrechte
  • ee. Ergebnis
  • II. Ergebnis der Interessenabwägung
  • 1. Auf Seiten des Enkels
  • 2. Auf Seiten des Urhebers
  • 3. Zusammenfassung
  • III. Die Vergütungsfrage
  • 1. Ansprüche gegenüber dem Inhaber des Tochterrechts
  • a. Ansprüche aus GoA
  • b. Ansprüche aus dem Bereicherungsrecht
  • c. Schadensersatzanspruch
  • 2. Ansprüche gegenüber dem Inhaber des Enkelrechts
  • a. Vertragliche Ansprüche
  • b. Vertragsübernahmevereinbarung
  • c. § 102 a UrhG i.V.m § 812 I 1 Fall 2 BGB
  • d. Die analoge Anwendung von § 32 a UrhG
  • e. Gesetzliche Vertragsübernahme nach analog § 1056 I BGB
  • f. § 97 I UrhG
  • 3. Ergebnis
  • IV. Konsequenzen der Interessenabwägung
  • 1. Ergebnis der durchgeführten Interessenabwägung
  • 2. Konsequenz für die Anwendung des Abstraktionsprinzips
  • I. Vertragsgestaltungsmöglichkeiten
  • J. Resümee

A. Einleitung

I.   Problemaufriss

Entscheidet sich ein Urheber für eine kommerzielle Auswertung seines Werkes, wird er auf die Hilfe Dritter angewiesen sein, um die Vielzahl von organisatorischen, kaufmännischen und finanziellen Problemen bewältigen zu können.1 Die Auswertung schutzfähiger Werke erfolgt also regelmäßig nicht durch den Urheber selbst, sondern mit Hilfe Dritter, sogenannter Verwerter: Der Schriftsteller überlässt zur Verwertung sein Manuskript einem Buchverlag, der Architekt seine Pläne einem Bauherrn. Eine solche Verwertung kann vorgenommen werden mittels einer entsprechenden Nutzungsrechtseinräumung durch den Urheber, wodurch die Erwerber zu Nutzungsrechtsinhabern werden. Dass die Nutzungsrechtsinhaber der ersten Ebene (Tochter) Nutzungsrechte auf weiteren nachfolgenden Stufen einräumen, um eine effektive vollumfängliche Auswertung zu gewährleisten, ist mittlerweile eine alltägliche Erscheinung2: Beispielsweise will der Buchverleger nur die Hardcover-Version verlegen und gibt die vom Urheber eingeräumten Taschenbuchrechte an einen anderen Verleger weiter.

Wo solche Mehrfacheinräumungen über mehrere Stufen stattfinden, entsteht eine Struktur, die man als Rechtekette bezeichnet. Lange Rechteketten sind insbesondere in der Medien- und Verlagsbranche üblich. Denn im Bereich des Film-, Fernseh- und Verlagsrechts kommt es häufig vor, dass Hauptverwerter die ihnen eingeräumten Nutzungsrechte durch Einräumung von Enkelrechten an Zweit- oder Drittverwerter kommerziell weiter verwerten.

Was geschieht aber, wenn das Nutzungsrecht des Hauptverwerters endet, während die Zweitverwerter gerade mitten in der Auswertungsphase sind? Diese Frage ist seit jeher in der Literatur umstritten und die Rechtsprechung sprach sich bisher recht widersprüchlich aus.3 Sie ist aber in der Praxis sowohl für den Urheber als auch für die Verwerter von erheblicher Bedeutung, da eine stabile und berechenbare Rechtsgrundlage im Rechtsverkehr unverzichtbar ist.4 Groß ist insbesondere ← 1 | 2 → das Interesse der Verwerter an der Rechtsbeständigkeit der erworbenen Rechte vor allem dann, wenn von ihnen bereits bestimmte Vorleistungen für die Auswertung eines Werkes vorgenommen wurden und die Nutzungsrechte damit für sie besonders werthaltig sind. Im Vordergrund der Untersuchung wird zunächst die dogmatische Frage stehen, ob Nutzungsrechte nachfolgender Ebenen unabhängig von dem Rechtsverhältnis zwischen Urheber und erstem Nutzungsberechtigten bestehen können und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Zur Klärung dieser Frage soll nicht nur ein Blick in die Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Streitfrage geworfen werden, sondern auch eine Darstellung der unterschiedlichen Literaturansichten stattfinden. Eine Erörterung und kritische Würdigung dieser Ansätze soll anschließend anhand des ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofes zu dieser Thematik erfolgen, der dort erstmals zu diesem Problem Stellung bezogen hat. Vorrangig gilt es zu klären, inwiefern sich aus den Gesetzmäßigkeiten des Urheberechts Tendenzen und Schlussfolgerungen für die Rechtsbeständigkeit von Enkelrechten bei Wegfall bzw. rückwirkender Nichtigkeit des Tochterrechts ziehen lassen.

Bei der Frage, ob die Auswertung schutzfähiger Werke stets eine ununterbrochene, auf den Urheber zurückgehende Kette von Verträgen vom Urheber bis zum letzen Rechteerwerber voraussetzt oder ob eine Verwertung nachfolgender Nutzungsrechte auch unabhängig von dem Bestand der vorherigen Rechtsverhältnisse möglich ist, wird schließlich anhand einer Abwägung beteiligten Parteiinteressen zu diskutieren sein.

II.  Ausgangssituation

Ausgangspunkt dieser Diskussion ist das Urteil „Reifen Progressiv“ des I. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vom 23.3.2009. In diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof erstmals Stellung zu den Auswirkungen auf die Rechtsbeständigkeit der Enkelrechte bei Wegfall des Tochterrechts in einer konkreten Fallgestaltung – nämlich dem Rückruf der Hauptlizenz wegen Nichtausübung nach § 41 UrhG – genommen. Für diese Konstellation hat sich der Senat für einen Fortbestand des Enkelrechts entschieden, nachdem das Tochterrecht erloschen war. Dies überrascht zunächst, da die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bisher davon ausging, mit dem Wegfall bzw. Fehlen des Tochterrechts würden auch die Enkelrechte erlöschen.5

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt räumte der Urheber einem Unternehmen das ausschließliche Nutzungsrecht an einem Computerprogramm ein. ← 2 | 3 → Verbunden mit diesem Nutzungsrecht bestand die Möglichkeit, weitere Nutzungsrechte einzuräumen. In der Folge erwarb ein Reifenhändler ein solches weiteres Nutzungsrecht. Nachdem der Inhaber des Tochterrechts den Geschäftsbetrieb eingestellt und später einen Insolvenzantrag gestellt hatte, erklärte der Urheber gemäß § 41 UrhG den Rückruf des eingeräumten ausschließlichen Nutzungsrechts. Der Urheber war der Auffassung, mit dem wirksamen Rückruf des ausschließlichen Nutzungsrechts sei auch das einfache davon abgeleitete Nutzungsrecht erloschen.6

Dieser Auffassung folgte der Senat jedoch nicht. Er entschied vielmehr, im Falle eines wirksamen Rückrufs eines ausschließlichen Nutzungsrechts nach § 41 I UrhG erlösche ein davon abgeleitetes einfaches Nutzungsrecht nicht, sondern dieses sei vom Fortbestand des Tochterrechts unabhängig.7

III. Problemstellung

Ausgehend von diesem Urteil des Bundesgerichtshofes stellt sich nun insbesondere die Frage, ob sich die Entscheidung bezüglich der Rechtsbeständigkeit von Enkelrechten bei Wegfall bzw. rückwirkender Nichtigkeit des Tochterrechts auch auf andere Fälle als den des Rückrufs nach § 41 UrhG übertragen lässt. Denn der Senat führte eindeutig in seiner Entscheidung aus: „Jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall des wirksamen Rückrufs eines ausschließlichen Nutzungsrechts nach § 41 UrhG teilt der Senat die auch vom Berufungsgericht vertretene zuletzt genannte Ansicht, dass die vom ausschließlichen Nutzungsrecht abgeleiteten einfachen Nutzungsrechte nicht an den Urheber zurückfallen.“ Angesichts dieser zurückhaltenden Formulierung („jedenfalls für den … Fall … des … § 41 UrhG“) ist die generelle Problematik um das Schicksal von Enkelrechten als noch nicht geklärt anzusehen. Das Problem der Beständigkeit von Enkelrechten stellt sich in der Praxis nämlich auch in dem Kontext, dass der Vertrag über die Einräumung des Tochterrechts aufgrund von Unwirksamkeits- oder Auflösungsgründen des Bürgerlichen Gesetzbuches nichtig oder erloschen ist.8 Mithin gilt es zu untersuchen, wie es um die Rechtsbeständigkeit von Enkelrechten bestellt ist, wenn das Tochterrecht aus solchen Gründen wegfällt oder fehlt. Dabei wird die Untersuchung der Anfechtung, des Rücktritts, der Kündigung etc. einen großen Raum einnehmen. Weiterhin müssen auch die sogenannten Beschränkungen bei der Analyse bedacht werden. Hierzu zählen insbesondere der ← 3 | 4 → Ablauf einer zeitlichen, räumlichen oder inhaltlichen Beschränkung des Nutzungsrechts i.S.v. § 31 I 2 UrhG oder das Ende der gesetzlichen urheberrechtlichen Schutzfrist des Werkes.9 Zudem kann gemäß § 158 II BGB eine auflösende Bedingung vereinbart worden sein: Mit dem Eintritt der Bedingung wird dann die Beendigung des Rechtsverhältnisses bewirkt. Und schließlich besteht noch ein weiterer Fall des Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung gemäß § 42 UrhG. Auch hier ist offen, inwiefern sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofes auf diesen weiteren Rückruftatbestand übertragen lässt.

Auch die Entscheidungsgründe des „Reifen Progressiv“-Urteils stützen sich teilweise spezifisch auf die Interessenlage bei § 41 UrhG. Demnach ist es fraglich, inwiefern sich andere Defizite im Bereich des Tochterrechts auf den Bestand des Enkelrechts auswirken.

Zudem hat der Bundesgerichtshof im Rahmen seiner Abwägung den Interessen der Verwerter starke Bedeutung beigemessen, auch dies ist zu hinterfragen. Außerdem berücksichtigt der Bundesgerichtshof auch allgemeine, nicht spezifisch auf § 41 UrhG zugeschnittene Grundsätze des Urheberrechts, die nicht ganz unumstritten sind. So orientiert sich der Senat beispielsweise an der Regelung des § 33 S. 2 UrhG, nach der ausschließliche und einfache Nutzungsrechte wirksam bleiben, wenn der Inhaber des Rechts, der das Nutzungsrecht eingeräumt hat, auf sein Recht verzichtet. Diese Vorschrift lasse erkennen, dass der Verlust eines Nutzungsrechts nach Vorstellung des Gesetzgebers nicht zum Entfallen der daraus abgeleiteten Nutzungsrechte führen müsse.10 Inwiefern aus der Regelung des § 33 UrhG Rückschlüsse für die Diskussion um das Schicksal von Enkelrechten gezogen werden dürfen und können, ist sehr strittig und somit diskussionsbedürftig.

Dogmatischer Ausgangspunkt der Entscheidung ist zudem die Einordnung von einfachen Nutzungsrechten als dingliche Rechte durch den Bundesgerichtshof.11 Diese Grundsatzfrage betreffend die Rechtsnatur einfacher Nutzungsrechte wurde vom Gesetzgeber 2002 bewusst offen gelassen und sollte zur Klärung der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung vorbehalten bleiben.12 Bei ausschließlichen Nutzungsrechtseinräumungen ist der dingliche Rechtscharakter ← 4 | 5 → aufgrund der Ausschlusskomponente anerkannt. Bei einfachen Nutzungsrechtseinräumungen wird hingegen eine Vielzahl von Meinungen vertreten, die teilweise sogar zwischen Marken-, Patent- und Urheberrecht unterscheiden.13

Aus dem dinglichen Charakter des einfachen Nutzungsrechts schließt der Bundesgerichtshof, der Lizenznehmer müsse das Nutzungsrecht nicht während der Dauer des Lizenzverhältnisses fortwährend in seinem Bestand vermitteln, sondern das Enkelrecht sei vielmehr nach Abspaltung vom Tochterrecht von dessen Fortbestand unabhängig.14 Inwiefern aus der Einordnung einfacher Nutzungsrechte als dingliche Rechte Konsequenzen für die Rechtsbeständigkeit von Enkelrechtrechten gezogen werden können, soll eingehend untersucht werden.

Dies sind nur zwei der Argumentationsbausteine aus einer Reihe weiterer allgemeiner Aussagen über den rechtlichen Bestand von Enkelrechten, die der Bundesgerichtshof aufgestellt hat. Diese Feststellungen gilt es im Gang der Untersuchung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten und kritisch zu hinterfragen.

IV. Terminologie

Im deutschen Urheberrecht werden die vom Urheber eingeräumten Rechte als Nutzungsrechte bezeichnet. In der Praxis werden Nutzungsrechte vielfach auch Lizenzen genannt, wobei dieser Begriff in unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird. Für das Urheberrecht wird auch der Begriff des Mutterrechts verwendet. Um – wie Schricker es formuliert – „im genealogischen Bilde zu bleiben“, sollen die vom Mutterrecht abgespaltenen einfachen oder ausschließlichen Nutzungsrechte als Tochterrechte, die davon abgeleiteten Rechte als Enkelrechte bezeichnet werden.15 ← 5 | 6 →

 

← 6 | 7 →

                                                   

  1  Lisch, S. 24.

  2  So bereits Fromm/Nordemann, GRUR 1970, 174 (174).

  3  Im Hinblick auf den Streitstand verweise ich auf die Kapitel E und F.

  4  Berger, in: FS für Schricker, S. 223 (223).

  5  Im Hinblick auf die Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung und der Ansichten der Literatur verweise ich auf die Kapitel E und F.

  6  Vgl. BGH GRUR 2009, 946 ff. – Reifen Progressiv.

Details

Seiten
XXXIV, 174
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653047844
ISBN (ePUB)
9783653978889
ISBN (MOBI)
9783653978872
ISBN (Paperback)
9783631655733
DOI
10.3726/978-3-653-04784-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Urheberrecht Nutzungsrechte Zweitverwerter Erstverwerter Rechteketten
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. XXXIV, 174 S.

Biographische Angaben

Jennifer Pfingsten (Autor:in)

Jennifer Pfingsten studierte Rechtswissenschaften in Marburg mit Zusatzqualifikation im Pharmarecht. Ihre Schwerpunkte liegen im Unternehmensrecht: Urheberrecht, Insolvenzrecht, Kartellrecht und Recht der GmbH.

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