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Gesammelte Werke

Schriften zur philosophischen Pädagogik Teil 2- Christliche Philosophie

von Anton Hilckman (Autor:in) Tomasz Stepien (Herausgeber:in)
©2014 Monographie 402 Seiten

Zusammenfassung

Inwiefern können wir von einer christlichen Philosophie und Bildung, Kultur und Politik sprechen? Diese grundlegende Frage bildet den eigentlichen Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion von Anton Hilckman. Den Hintergrund der Auseinandersetzung um die Philosophie und das Christentum macht die geistige und politische Situation in Europa, insbesondere in Deutschland und Italien der Zwischenkriegszeit, aus. Hilckman zeichnet in seinen Schriften ein spannungsvolles Bild des damaligen philosophischen Diskurses, der zwischen der thomistischen Neuscholastik und dem Neuidealismus italienischer Prägung oszillierte und direkt Einfluss auf die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse hatte und gleichzeitig die Aktualität für die gegenwärtigen Probleme der Gesellschaft und Kultur bewahrt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Christliche Philosophie und Bildung nach Anton Hilckman (Tomasz Stępień)
  • Philosophischer Realismus und die thomistische Philosophie
  • Die italienische Neuscholastik
  • Christliche Philosophie?
  • Realismus und die philosophische Bildung
  • Oswald Külpes kritischer Realismus
  • Külpes kritischer Realismus (Manuskript)
  • Noëls Epistemologie
  • Psychologismus als Wurzel des englischen Empirismus
  • Philosophie in Italien
  • Wissenschaftliche Arbeiten der katholischen Universität Mailand
  • Il pensiero filosofico di Giandomenico Romagnosi
  • Der Idealismus in Italien
  • Die philosophischen Zeitschriften Italiens
  • Die Odyssee der Freiheit. Über Croce, Christentum, Kirche und moderne Kultur
  • Hegel nel centenario della sua morte
  • Der 9. italienische Philosophenkongress in Padua
  • Hinwendung zum Absoluten in der italienischen Philosophie
  • Neue Philosophie in Italien
  • Deutsche Philosophie von Italien aus gesehen
  • Giuseppe Zamboni und seine Reine Gnoseologie
  • Ricordando l’indimenticabile maestro
  • Antonio Rosmini
  • Antonio Rosmini nach hundert Jahren
  • Die Enciclopedia Filosofica
  • Michele-Federico Sciacca
  • Ivo Höllhuber: Michele Federico Sciacca
  • Der metaphysische Grund der menschlichen Person
  • Philosophie in Deutschland
  • Un’epoca novella per la filosofia cattolica in Germania?
  • Max Ettlingers Geschichte der Philosophie von der Romantik bis zur Gegenwart
  • Die philosophische Handbibliothek
  • Philosophie, Psychologie, Pädagogik
  • Der Akademische Verein ‚Logos’ in Wien
  • Philosophie des Lebens
  • Kierkegaards Folgen
  • Der Philosophenkongress in Mainz
  • Philosophie der Endlichkeit als Spiegel der Gegenwart
  • Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart
  • Sprache – Gesellschaft – Mystik
  • Christliche Philosophie
  • Mittelalterliche und neuzeitliche Scholastik
  • Katholischer Universalismus und Universität
  • Glaube und Geistesleben
  • Ein großes Naturrechtswerk von abendländischer Bedeutung. Zu dem Werke von Jacques Leclercq
  • Internationaler katholischer Philosophenkongress in Prag
  • Wjatscheslaw Iwanow
  • Hans Pfeil ein christlicher Philosoph unserer Tage
  • Gibt es eine christliche Philosophie?
  • Philosophie und Theologie
  • Zum neuen Aufbruch der christlichen Philosophie
  • Christliche Philosophie? Gegen die Gefahr des Wiederauflebens alter Missverständnisse
  • Wo steht der christliche Akademiker heute?
  • Schriften zur Religion
  • Die Gestalt Christi im Spiegel der modernsten Psychologie
  • Heidnisches und Christliches aus dem Mittelalter
  • Katholische Verbundenheit und internationales Leben
  • Die Krise des modernen Geistes und der Geist des heiligen Franziskus
  • Das hohe Lied vom Franziskanischen Geist
  • Der heutige Stand des Christusproblems
  • Geister die um Christus ringen
  • Religion und Literatur
  • Was kann die Familie für die Erziehung des jungen Menschen zur Sittlichkeit tun?
  • Vom Ursprung und Werden der Religion. Eine Übersicht über die neuesten Ergebnisse der vergleichenden Religionsgeschichte
  • Wird Afrika christlich?
  • Von der Einheit und Gespaltenheit der Kirche
  • Um Grundprobleme religiöser Lebenshaltung. Betrachtungen über das Leid – Gespräch um Glaube, Zweifel und Unglaube
  • Orthodoxie und Staatskirchentum
  • Anhang
  • Joseph Maria Bocheński: „Die christliche Philosophie“
  • Bibliographie
  • Philosophische Aufsätze
  • Philosophie in Italien
  • Philosophie in Deutschland
  • Christliche Philosophie
  • Schriften zur Religion
  • Personenverzeichnis
  • Series Index

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Christliche Philosophie und Bildung nach Anton Hilckman

Tomasz Stępień

Philosophischer Realismus und die thomistische Philosophie

Im zweiten Band der Schriften zur philosophischen Pädagogik von Anton Hilckman steht im Mittelpunkt die Charakteristik und gleichzeitig die Frage nach der Möglichkeit einer christlichen Philosophie, die demzufolge auch als die Grundlage christlicher Bildung fungieren könnte. Zunächst untersucht Hilckman das Problem des philosophischen Realismus im Hinblick auf die Neuscholastik und die Wiederentdeckung des philosophisch-theologischen Systems von Thomas von Aquin. Es handelt sich in erster Linie um die philosophischen Essays, die Hilckman in der Zwischenkriegszeit verfasste, die den Werken von Oswald Külpe (1862-1915), Leon Noël (1878-1955) und dem englischen Empirismus gewidmet sind. Hilckman stellt hier das Werk von Oswald Külpe Realisierung (1912) als ein repräsentatives Beispiel des kritischen erkenntnistheoretischen Realismus innerhalb der Philosophie der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts heraus. Bei dieser Gelegenheit charakterisiert Hilckman den allgemeinen Diskurs innerhalb der sich konstituierenden christlichen Philosophie unter anderem mit der Rückführung auf die Arbeiten von A. Gemelli (1878-1959) oder auch Kardinal Mercier (1851-1926) einerseits, andererseits Hilckman zeichnet die wichtigsten Positionen innerhalb der Neuscholastik in Deutschland und Italien (G. Zamboni, 1875-1950) und die Diskussion um die christliche Philosophie, geführt vor allem in Frankreich – so zum Beispiel bei J.M. Bocheński (1902-1995). Hilckman stellt fest: „Was gemeinhin als Merkmal des Philosophen und der Philosophie gilt, tritt in dem Külpe‘schen Werk in hervorragender Weise zutage: ein Zug von nüchterner Bedächtigkeit und ruhiger Sachlichkeit, die lieber eine Frage unentschieden lässt, als eine Antwort gibt, die nicht restlos haltbar wäre, die lieber bei der Skepsis beharrt, als dass sie allzu rasch, allzu stürmisch voranschritte. Diese Ruhe kennzeichnete auch die Entwicklung seiner philosophischen Ansichten“ (A. Hilckman, Oswald Külpes kritischer Realismus, 1926).

Nach Hilckman vermochte Oswald Külpe in seiner Konzeption des philosophischen Realismus die Erkenntnistheorie mit der Metaphysik, nach der neuzeitlichen ← 9 | 10 → Abspaltung, wieder zu verbinden. Dies bedeutete Aufbau einer induktiven, auf der Erfahrung gründenden Metaphysik, verstanden vor allem als eine Alternative zur transzendentalen Methode von Immanuel Kant. Hilckman deutet das philosophische System von O. Külpe als Ausdruck des kritischen Realismus, der auf der scharfen Abgrenzung gegenüber Kant basiert, und damit macht er die Metaphysik als eine Wissenschaft, hervorgehend aus den anderen Wissenschaften, wieder geltend. Auf dieser Art und Weise verstandene und abgeleitete Metaphysik als Wissenschaft baut eben eine wissenschaftliche Weltanschauung auf. Demnach, was betont Hilckman in seinen Untersuchungen, die Metaphysik von Külpe weist durch die naturwissenschaftliche Verankerung auf die scholastische Metaphysik hin, was sie in die geschichtliche Reihenfolge der philosophia perennis hinstellt. In diesem Zusammenhang kann man Hilckman selbst als einen Vertreter der Neuscholastik betrachten, für den die Metaphysik von Oswald Külpe wieder das Rationale und Exaktwissenschaftliche bekommt und sich gleichzeitig scharf gegen den Phänomenalismus und – was unterstreicht Hilckman – den „Agnostizismus Kant’scher Provenienz zehrenden Philosopheme“ absetzt: „Nachdem die Theorie des Denkens somit als erster Resultat die Richtung des Denkens auf ‚Gegenstände‘, die in Begriffe und ‚Objekte‘ zerfallen, erhielt und von hier aus zu der Konsequenz gelangte, dass Realitäten sehr wohl denkmöglich seien, ist die nächste Position, zu der Külpe fortschreitet, die Objektivität und Treue des Denkens“ (A. Hilckman, Oswald Külpes kritischer Realismus, 1926).

Neben der Konzeption des philosophischen Realismus von Oswald Külpe verweist Hilckman in seinem Bemühen um die Fortentwicklung der Neuscholastik auf die Epistemologie von Leon Noël, der vor allem die thomistische Philosophie und ihre Erkenntnistheorie wieder als eine relevante Grundlage der modernen Philosophie zu beweisen suchte. Im Allgemeinen, die ersten Dekaden in der Geschichte der Philosophie des 20. Jahrhunderts zeichneten sich unter anderen durch die Rückkehr zum Thomismus und die Entwicklung des neuscholastischen Denkens aus. Grundlegend dafür waren die Schriften des Papstes Leon XIII. am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Hauptziel, was unterstreicht Hilckman, „eine Überbrückung der geistigen Kluft zwischen dem modernen Denken und den philosophischen Traditionen der katholischen Kirche“ (A. Hilckman, Noëls Epistemologie, 1930). Neben Papst Leon XIII., Kardinal Mercier und Leon Noël wären hier die italienischen Vertreter der Neuscholastik – Agostino Gemelli und Giuseppe Zamboni – zu nennen. Darüber hinaus verdeutlicht Hilckman die Konsequenzen, die aus der Negation des Realismus resultierten, so z.B. im Essay Psychologismus als Wurzel des englischen Empirismus aus dem Jahr 1937. ← 10 | 11 →

Die italienische Neuscholastik

Neben den eher monographischen Arbeiten gewidmet dem philosophischen Realismus und dem Aufkommen der Neuscholastik Hilckman zeichnet in Form von kurzen philosophischen Essays die Entwicklung der Philosophie im 20. Jahrhundert. Vor allem handelt sich dabei um die deutsche und italienische Philosophie der Zwischenkriegszeit. Hilckman erarbeitet auf dieser Art und Weise ein Gesamtbild der modernen Philosophie, das aber auch ein Abbild der Gesellschaft und Kultur darstellt und ein Ausdruck der geistigen Situation der Zeit ist. Eine besondere Stelle nehmen in seinem Gesamtwerk die Aufsätze zur italienischen Philosophie. Hilckman selbst studierte und promovierte im Fach Philosophie an der Katholischen Universität Mailand in den 30er Jahren und sein Promotionsvater war der Hauptvertreter der Neuscholastik Giuseppe Zamboni. Darüber hinaus gerade die Neuscholastik italienischer Prägung sollte sein philosophisches Werk entscheidend beeinflusst haben. Man kann Hilckman als einen deutschen Vertreter der italienischen Neuscholastik betrachten. Hilckman fühlte sich auch durch die italienische geistige Kultur angezogen, so zum Beispiel am Anfang des Aufsatzes Wissenschaftliche Arbeiten der katholischen Universität Mailand von 1927 schreibt er: „Italien tritt heute auch unter den geistigen Großmächten in die vorderste Reihe. An dieser Einsicht wird niemand vorbeikommen, der mit den bedeutenderen Leistungen des geistigen Italiens unserer Tage Fühlung gewann. (…) So mag denn die, nach dem Krieg erstandene Herz-Jesu-Universität zu Mailand nicht nur als geistiger Brennpunkt allerersten Ranges, sondern auch als Symbol der kulturellen Erneuerung des italienischen Volkstums, als Ausdruck des neuen Kurses der besten Köpfe der italienischen Intelligenz gelten können“.

In seinen ‚italienischen‘ Aufsätzen charakterisiert er vor allem die Gegensätze zwischen der neuscholastischen und thomistischen Philosophie (die Mailänder-Schule) und dem italienischen Neuidealismus, repräsentiert vor allem durch Giovanni Gentile (1875-1944) und seine Schule (zum Teil auch Benedetto Croce, 1866-1952), die auf Hegels Philosophie gründend zur Staatsphilosophie des italienischen Faschismus erklärt wurde. Mithin wurde der philosophische Diskurs direkt zum Ausdruck des politischen Konfliktes in damaligen Italien und Europa, in das Hilckman als Philosoph, Kulturtheoretiker und politischer Publizist sich stark engagierte. Im Aufsatz Der Idealismus in Italien (1932) stellt Hilckman fest: „Und doch liegt wohl gerade hier, wo die Position des Idealismus als besonders stark und gesichert erscheinen mag, eine wirkliche Schwäche. Der Faschismus hat doch auch im Lateranvertrag die katholische Religion, die doch auch im Reiche des Geistigen universal sein will und muss, als Staatsreligion anerkannt. Eine Auseinandersetzung des Katholizismus mit dem absoluten Idealismus, über dessen Unvereinbarkeit mit dem Universalismus des ersteren kein Zweifel bestehen ← 11 | 12 → kann, wird damit unausweichlich; früher oder später muss sie kommen; ja sie ist bereits da“. Demzufolge drückte der philosophische Streit in Italien die unüberwindbare Kluft zwischen dem Katholizismus als Staatsreligion, die durch die neuscholastische Philosophie verstärkt wurde, und dem Neuidealismus Gentiles, der direkt auf Hegel bezogen war, und als Staatsphilosophie zur Konstituierung des totalitären faschistischen Staates seinen Beitrag leisten sollte.

Hilckman zeichnet hier ein Charakteristikum der damaligen italienischen Philosophie, die sich sozusagen in drei gegenseitig bekämpfenden und ausschließenden Lagern sammelte: 1) die Gentile-Schule als Ausdruck der faschistischen Ideologie, die sich auf Hegels Staatspantheismus bezog; 2) die Mailänder-Schule der Neuscholastik, die wiederum an die aristotelisch-thomistische Tradition der philosophia perennis anknüpfte und demgemäß die katholische Soziallehre entwickelte (A. Gemelli), und schließlich 3) die Croce-Schule als Ausdruck des Liberalismus und Laizismus in der Philosophie, Gesellschaft und Politik. Nach Hilckman schlossen sich diese drei philosophischen Strömungen gegenseitig aus, sowohl im Wissenschaftlichen als auch Politischen, und könnten nicht zu einer gesellschaftlichen Kohäsion führen, was dann die Ereignissen in Italien bis 1945 und der Zerfall des Faschismus eindeutig zum Ausdruck gebracht haben. Ein Beispiel für die damalige geistige und politische Lage in Italien sind die kurzen Essays von Hilckman über den 9. Italienischen Philosophenkongress in Padua oder auch über die Neue Philosophie in Italien aus dem Jahr 1935.

Hilckman selbst argumentiert hierbei eindeutig aus der Position der realistischen, neuscholastischen Philosophie. Er verweist auf die Bedeutung der realistischen, neuscholastischen Philosophie für die Entwicklung Italiens nach 1945, vor allem durch die Rückkehr oder auch die Wiederentdeckung des Werkes von Antonio Rosmini (1797-1855). Im Artikel Antonio Rosmini (1954) stellt Hilckman, schon nach dem Zerfall von faschistischen Italien, ausdrücklich fest: „Wäre Rosmini somit vielleicht einer jener Denker, die ihrer Zeit um einige Generationen vorauseilten? Das ist jedenfalls die Meinung der jungen und jüngsten Denker im christlichen Italien, die glauben, dass gerade unsere Zeit mit ihrer festgefahrenen Problematik (die Schule des neuhegelianischen Idealismus Croces und Gentiles ist ja in Italien in voller Auflösung begriffen, und der Weg, der aus der Wirrnis herausführen soll, wird erst gesucht) von Rosminis Lehre Licht und Hilfe erwarten könne und dass das geistige Italien der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts ebenso im Lichte Rosminis stehen werde, wie seine erste Hälfte im Schatten Hegels stand“.

In seinen, schon nach dem II Weltkrieg verfassten Arbeiten, kehrt Hilckman nochmals zur italienischen Philosophie, zu G. Zamboni, A. Rosmini und F. Sciacca, zurück. In den Arbeiten gewidmet dem Werk von A. Rosmini stellt Hilckman direkt die Frage nach dem ‚christlichen‘ Denken und der ‚christlichen‘ Philosophie ← 12 | 13 → in der modernen Gesellschaft: „Der Leitgedanke von Rosminis philosophischer Lehre ist die Neugeburt eines – man muss hier die Worte sehr genau wägen und darf nicht sagen: christlichen Denkens; denn ein Denken, das von vornherein christlich sein will, wäre ja kein philosophisches – eines genuinen, sich auf die Wurzelgründe besinnenden und eben dadurch mit dem Christentum vereinbaren, ja zu ihm hinführenden, es vorbereitenden, das Religiöse als letzte Erfüllung geradezu verlangenden Denkens“ (A. Hilckman, Antonio Rosmini nach hundert Jahren, 1961).

Christliche Philosophie?

Hilckmans Aufsätze dienten in der Zwischenkriegszeit vor allem der Bekanntmachung der italienischen Philosophie in Deutschland. In ähnlicher Weise schreibt er arbeiten über die deutsche Philosophie auf Italienisch, zum Beispiel Un’epoca novella per la filosofia cattolica in Germania (1924), und auch auf Französisch (Notes sur quelques formes contemporaines de la pensée allemande, 1927). In diesem Sinne seine philosophischen Schriften enthalten eine originelle vergleichende Studie innerhalb der Philosophie selbst. In den Aufsätzen, gewidmet der deutschen Philosophie, Hilckman beschreibt auch die geistige Situation in Deutschland der Zwischenkriegszeit. Dabei versucht Hilckman vor allem die Bedeutung des christlichen Denkens für die Entwicklung der Philosophie herauszuarbeiten. Sowohl in Italien als auch in Deutschland bildete die neuscholastische und klassische (aristotelisch-thomistische) Philosophie den Bezugspunkt der philosophischen Reflexion und Forschungsarbeiten. Hilckman bemerkt hinzu in einem Aufsatz: „Zunächst ist die historische Auffassung der neuzeitlichen Philosophie und ihres Verhältnisses zur katholischen Philosophie des Mittelalters eine ganz andere geworden; tiefschürfende historische Untersuchungen haben immer wieder dargetan, dass der gesamte Ursprung der modernen Philosophie mit all ihren Problemstellungen ohne die Spätscholastik des ausgehenden Mittelalters gar nicht denkbar gewesen wäre“ (A. Hilckman, Ettlingers Geschichte der Philosophie von der Romantik bis zur Gegenwart, 1924). Die Analysen von den philosophischen Strömungen betreffen bei Hilckman vor allem das europäische Geistesleben der Zwischenkriegszeit und weisen damit auf die verhängnisvollen Ereignisse der kommenden Kriegszeit hin. Im diesen Zusammenhang bildet das Christliche in den Aufsätzen von Hilckman, verstanden sowohl als Glaube und Religion als auch ein fundamentales Phänomen der abendländischen Kultur und Wissenschaft, den entscheidenden Hintergrund.

Zunächst zeichnet die Auseinandersetzung um den philosophischen Realismus bei Hilckman den eigentlichen Raum in der Stellung der Frage nach der ← 13 | 14 → christlichen Philosophie. Darüber hinaus weist die Neubegründung der Scholastik mit dem Thomismus innerhalb der Philosophie der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, vorwiegend in Italien und Deutschland, auf die Frage nach dem Absoluten in der Philosophie und auf die Stellung und Bedeutung der Religion innerhalb der Gesellschaft und Wissenschaft hin. Letztendlich bedeutet dies eine Frage nach der Bildung, und wie betont Hilckman im Aufsatz gewidmet der italienischen Ausgabe Encyclopedia Filosofica (1961), die Grundlage der Bildung macht zunächst die Philosophie aus: „dass es ohne die Grundlagen der Philosophie überhaupt keine wahre und vollständige Allgemeinbildung gibt und dass der vermeintliche Gebildete, dem die Philosophie fehlt, dem die Fähigkeit zu philosophischem Denken wie auch die Kenntnis der Hauptströmungen in der Geschichte der Philosophie abgeht, eigentlich doch nur ein geistiger Krüppel oder doch zum mindesten kein Gebildeter im vollständigen Sinne dieses Wortes ist“.

Im Hinblick auf die Frage nach der philosophischen Pädagogik und der christlichen Philosophie untersucht Hilckman vor allem die Lage der Universität. Für ihn die Universität ist ein Symbol und zugleich die Wirklichkeit der christlichen Philosophie, was auch lebenslang das Hauptthema seines philosophischen Werkes bleiben sollte, so zum Beispiel im Aufsatz Katholischer Universalismus und Universität aus dem Jahr 1925 bis hin zu seinem Vortrag Wo steht der christliche Akademiker heute?, gehalten 1963 in Benedikt-Schmittmann-Haus in Köln.

Hilckman spricht anstelle von der christlichen Philosophie eher von der Tradition der philosophia perennis als Ausdruck der durch das Christentum, durch das christliche Denken, das Ratio mit dem Glauben zu verbinden vermochte und damit eine Synthese sowohl der abendländischen Philosophie als auch Kultur ausgearbeitet hat. Zum ersten Mal stellt Hilckman in Anlehnung an den französischen Thomisten Étienne Gilson (1884-1978) die Frage nach der philosophischen Beschaffung des Christentums in einem Zeitungsartikel Gibt es eine christliche Philosophie? aus dem Jahr 1932. Mit Gilson Hilckman fragt zunächst: „Hat es eine Wirklichkeit, die man als christliche Philosophie bezeichnen kann, jemals gegeben?“ Dabei, argumentiert Hilckman, das Christentum als Glaube und Religion ist nicht eine Philosophie, aber die Heilige Schrift enthält Begriffe, die warten darauf, philosophisch zu werden und sich philosophisch zu entfalten, so zum Beispiel der Begriff ‚Gott‘: „Die Frage läuft darauf hinaus, ob das Christentum den Gang des philosophischen Denkens beeinflusst habe, ob es der Geschichte der Philosophie ein anderes Aussehen gegeben habe, indem es durch den Glauben der menschlichen Vernunft Ausblicke eröffnet, die diese vorher noch nicht besaß. Vielleicht war es nicht der Fall. Aber nichts gestattet von vornherein die Unmöglichkeit zu behaupten“. Damit hat die Bezeichnung ‚christliche Philosophie‘ insofern einen Sinn, dass sie die historische Wirklichkeit des Einflusses von Christentum auf die vor allem neuzeitliche Philosophie ausdrückt. Entscheidend ← 14 | 15 → ist dabei die auf Thomas von Aquin zurückgehende scharfe und eindeutige Trennung zwischen Philosophie und Theologie, was betont Hilckman z.B. im Artikel Philosophie und Theologie (1935), einerseits, und die Haltung von Vernunft der Wirklichkeit gegenüber in Form des philosophischen Realismus andererseits, so im Aufsatz Zum neuen Aufbruch der christlichen Philosophie (1933).

Hilckman kehrt zu dieser Frage noch einmal schon in der Nachkriegszeit im Aufsatz Christliche Philosophie? Gegen die Gefahr des Wiederauflebens alter Missverständnisse (1950). Hilckman stellt zusammenfassend fest: „Ob es eine christliche Philosophie geben könne oder nicht hängt von der Definition dessen ab, was man unter Philosophie verstehen will. Unter Philosophie versteht man aber die Wahrheitssuche der Ratio, die Erkenntnisgewinnung des auf sich selbst gestellten menschlichen Geistes. Mit dieser Feststellung ist im Grunde genommen die systematische Frage bereits beantwortet. Da, wie das Christentum selbst lehrt, die spezifischen Inhalte der christlichen Glaubensoffenbarung der bloßen Ratio verschlossen sind, sind diese auch der Philosophie verschlossen. In dem Augenblicke, wo ich mich auf den Boden des christlichen Glaubens stelle, habe ich jenes Reich, in dem die Philosophie zu Hause ist, verlassen“. Im gleichen Aufsatz Hilckman betont ausdrücklich: „Die Philosophie hat überhaupt nicht die Aufgabe christlich zu sein. Die einzige Aufgabe der Philosophie ist es, wahre Erkenntnis zu finden, also wahr zu sein“. In ähnlicher Weise argumentiert Hilckman auch in anderen Fällen, zum Beispiel inwiefern es eine ‚christliche‘ Politik gibt: „Auch hier können wir nur sagen: es gibt zwar eine unchristliche und bisweilen eine antichristliche Politik; aber trotzdem gibt es streng genommen immer noch keine christliche Politik, sondern – genau analog dem, was bei der Philosophie zu sagen ist – eine dem Christentum entsprechende, eine mit dem Christentum vereinbare Politik. Auch die Politik hat ihrem Wesen gemäß nicht die Aufgabe, christlich oder unchristlich zu sein; die Aufgabe der Politik ist es, die Gerechtigkeit zu verwirklichen; und eine Politik, die die Gerechtigkeit verwirklicht, ist immer mit dem Christentum vereinbar, auch dann, wenn sie nicht vom Christentum ausgeht oder sich an demselben inspiriert“ (A. Hilckman, Christliche Philosophie?, 1950). – Die Sammlung der Schriften zur philosophischen Pädagogik schließt die Aufsatz-Reihe von Hilckman, die die Frage nach dem Ursprung von Religionen und dem Christentum im Vergleich zu anderen Religionen und Glauben erörtern. Zum Abschluss des Bandes wurde der Aufsatz von J.M. Bocheński Die christliche Philosophie (1935), aus Polnischen von Anton Hilckman übersetzt, als eine Zusammenfassung der Diskussion um die christliche Philosophie im Anhang beigefügt.

Hilckman gibt in seinen Aufsätzen, Zeitungsartikeln und philosophischen Essays ein Überblick über den Diskurs innerhalb der Geisteswissenschaften in Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder, der um die Kondition des ← 15 | 16 → Menschen und der europäischen Kultur, sodann um die Stellung und Bedeutung des Christentums und der Philosophie innerhalb von Kultur und Wissenschaft geführt wurde. Im Hintergrund seiner Philosophie steht die Frage nach der Bildung und Erziehung des Menschen, nach der Möglichkeit einer vollen Entfaltung seines Wesens, seiner Humanitas.

In den vorliegenden zwei Bänden der Gesammelten Werke von Anton Hilckman ist ein Bild der Philosophie enthalten, das gleichzeitig Ausdruck der modernen Geschichte bleibt. Zum ersten Mal wurden bei dieser Edition die philosophischen, und damit pädagogischen Schriften Hilckmans zusammengestellt, die gleichzeitig eine Lücke in der Geschichte der Geisteswissenschaften des 20. Jahrhunderts schließen. Es kann nur überraschen, mit Berücksichtigung der Fülle seiner Gedanken und der Vielfalt von den vorkommenden Themen und Motiven, dass dies erst über 40 Jahre nach seinem Tod zum Stande gekommen ist.

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Realismus und die philosophische Bildung

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Oswald Külpes kritischer Realismus1

Details

Seiten
402
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653035933
ISBN (ePUB)
9783653988697
ISBN (MOBI)
9783653988680
ISBN (Hardcover)
9783631647837
DOI
10.3726/978-3-653-03593-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Neuscholastik Glaube und Vernunft: Epistemologie Neuidealismus Christliche Philosophie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 402 S.

Biographische Angaben

Anton Hilckman (Autor:in) Tomasz Stepien (Herausgeber:in)

Anton Hilckman (1900–1970), deutscher Philosoph, während der Nazi-Zeit Gefangener in Konzentrationslagern, nach 1945 Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Mainz; Verfasser der sinnphilosophischen Konzeption der Freiheit. Tomasz Stępień, Dozent des Studiums für Humanwissenschaften der Technischen Universität Wrocław in Polen.

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