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Fragilitäten des Rechtsstaates seit dem 11. September 2001 im Spiegel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

von Ali Mosfer (Autor:in)
©2016 Dissertation 230 Seiten

Zusammenfassung

Anhand der Analyse von neun prominenten Leitentscheidungen aus dem Sicherheitsrecht geht dieses Buch der Frage nach, ob das höchste deutsche Gericht der Freiheit oder der Sicherheit Vorzug gewährt. Seit dem 11. September 2001 nahm das Bundesverfassungsgericht vermehrt Stellung zum komplexen Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit und verwarf viele Sicherheitsgesetze als verfassungswidrig. Der Autor versteht das Gericht als letzte Instanz im Staat, welche die Freiheit zu schützen hat. Als Ergebnis seiner Analyse zeigt er eine diffuse Rechtsprechungslinie auf, die das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit im Zeitalter des internationalen Terrorismus nicht immer zugunsten der Freiheit beantwortet. Dennoch ist der Beitrag des Gerichts für den Freiheitsschutz unabdingbar.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung und Gang der Untersuchung
  • A. Erster Teil Theoretische und verfassungsrechtliche Grundlagen
  • I. Theoretischer Ausgangspunkt: Individuelle Freiheit als Bedingung
  • 1. Sicherheit als primärer Staatszweck bei Bodin und Hobbes
  • 2. Staatsmachtbegrenzende Ansätze bei Locke und Rousseau
  • 3. Sicherung der individuellen Freiheit als einzige Staatslegitimation nach Kant
  • II. Abgeleitete Anforderungen an ein rechtsstaatliches Straf- und Polizeirecht
  • III. Stellung und Funktion des Bundesverfassungsgerichts im Kontext der Freiheitssicherung
  • 1. Allgemeines: Das Bundesverfassungsgericht als Krönung des Rechtsstaates
  • 2. Verfassungsgerichtsbarkeit und Vorrang der Verfassung
  • 3. Ansätze zur Erklärung der Existenzberechtigung des Bundesverfassungsgerichts
  • a) Bundesverfassungsgericht als Verrechtlicher politischer Prozesse
  • b) Historische Erfahrung als Legitimation für eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit
  • c) Existenzberechtigung aus der Sicherung föderaler Strukturen
  • d) Existenzberechtigung durch Grundrechts- und Freiheitsschutz
  • e) Existenzberechtigung durch Schutz von Minderheiten
  • f) Zusammenfassung: Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung und der Freiheit
  • 4. Rechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts nach dem Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz
  • a) Status des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan
  • b) Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Gericht
  • aa) Die unterschiedlichen Verfahren im Überblick
  • aaa) Die Individualverfassungsbeschwerde
  • bbb) Abstrakte und konkrete Normenkontrolle
  • ccc) Bund-Land-Streitigkeiten
  • ddd) Sonstige Verfahren
  • bb) Wirkung der Entscheidungen nach § 31 BVerfGG
  • IV. Freiheit, Sicherheit und Terrorismus
  • 1. Terrorismus
  • 2. Neuer und alter Sicherheitsbegriff
  • 3. Freiheit im Spannungsverhältnis zu Sicherheit?
  • B. Zweiter Teil Das normative Profil des Gesetzgebers seit dem 11. September 2001
  • I. Ein Überblick über die Sicherheitsgesetzgebung von 1945 bis 9/11
  • 1. Die Notstandsgesetzgebung von 1968
  • 2. Der RAF-Terrorismus in den 70er und 80er Jahren
  • 3. Reaktionen auf die Organisierte Kriminalität der 80er und 90er Jahre
  • II. Die Sicherheitsgesetzgebung seit 9/11
  • 1. Das Erste Anti-Terror-Paket
  • a) Entfernung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsrecht
  • b) Einführung des § 129b StGB
  • c) Gesetz zur Finanzierung der Terrorbekämpfung
  • d) Einführung des § 370a AO und Erweiterung des § 261 StGB
  • e) Einführung der Luftverkehr-ZuverlässigkeitsüberprüfungsVO
  • f) Zusammenfassende Kritik und Rechtsstaatsrelevanz
  • aa) Allgemeines: Das Neue an der Terrorgefahr und dem Gesetzgebungsverfahren
  • bb) Rechtsstaatliche Relevanz
  • 2. Das Zweite Anti-Terror-Paket
  • a) Erweiterung der Eingriffskompetenzen der Geheimdienste
  • aa) Bundesamt für Verfassungsschutz – Art. 1 TBG
  • bb) Militärischer Abschirmdienst – Art. 2 TBG
  • cc) Bundesnachrichtendienst – Art. 3 TBG
  • b) Erweiterung der Eingriffskompetenzen von sonstigen Bundesbehörden
  • aa) Sicherheitsüberprüfungsgesetz – Art. 5 TBG
  • bb) Bundesgrenzschutz – Art. 6 TBG
  • cc) Bundeskriminalamt – Art. 10 TBG
  • c) Gesetzesänderungen im Ausländer- und Vereinsrecht
  • aa) Vereinsgesetz – Art. 9 TBG
  • bb) Ausländergesetz, Durchführungsverordnung – Art. 11, 14 TBG
  • cc) Asylverfahrensgesetz – Art. 12 TBG
  • dd) Ausländerzentralregistergesetz – Art. 13 TBG
  • d) Sonstige Gesetzesänderungen
  • aa) Pass- und Personalausweisgesetz – Art. 7, 8 TBG
  • bb) Luftverkehrsgesetz und Zuverlässigkeitsüberprüfungs- VO – Art. 19, 19a TBG
  • cc) Bundeszentralregistergesetz – Art. 17 TBG; Sozialgesetzbuch X – Art. 18 TBG
  • e) Befristung und Evaluierungspflicht gem. Art. 22 TBG
  • f) Zusammenfassende Kritik und Rechtsstaatsrelevanz
  • aa) Allgemeines: Auffälligkeiten und Besonderheiten im Gesetzgebungsverfahren
  • bb) Rechtsstaatliche Relevanz
  • aaa) Tangierte Grundrechte
  • bbb) Störung der Gewaltenteilung
  • ccc) Verdachtsunabhängige Freiheitseinschränkungen durch Entindividualisierung
  • g) Die Evaluierung des TBG
  • aa) Die verfassungsrechtliche Relevanz des Evaluierungsgebots
  • bb) Der Evaluierungsbericht zum TBG
  • 3. Das Dritte Anti-Terror-Paket und das Gemeinsame-Dateien-Gesetz
  • a) Erweiterung der Eingriffskompetenzen der Geheimdienste und Polizeibehörden
  • aa) Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz
  • bb) Antiterrordateigesetz bzw. Gemeinsame-Dateien-Gesetz
  • b) Zusammenfassende Kritik und Rechtsstaatsrelevanz
  • aa) Allgemeines: Ausweitung der Erosion individueller Freiheitsrechte
  • bb) Bedeutung und Reichweite des Trennungsgebots
  • cc) Die Relativierung des Trennungsgebots durch die Antiterrordatei
  • c) Die Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes
  • 4. Die Verlängerung des Dritten Anti-Terror-Pakets
  • 5. Weitere ausgewählte Sicherheitsgesetze seit 9/11
  • a) Umsetzungsgesetz zum Europäischen Haftbefehl vom 21.07.2004
  • b) Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 14.01.2005
  • c) Gesetz zur Normierung der Vorratsdatenspeicherung vom 31.12.2007
  • d) Geldwäschebekämpfungsgesetz vom 30.08.2008
  • e) BKA-Gesetz zur Abwehr terroristischer Gefahren vom 31.12.2008
  • f) Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30.07.2009
  • III. Zusammenfassende Analyse der Sicherheitsgesetzgebung seit 9/11
  • 1. Vor-Vorfeld-Verlagerung im materiellen Strafrecht (Verpolizeilichung)
  • 2. Aushöhlung von strafprozessualen Verfahrensgarantien
  • 3. Aufrüstung der Kompetenzen von Sicherheits- und Geheimdienstbehörden
  • 4. Feindstrafrechtliche Züge im normativen Profil
  • C. Dritter Teil Die Reaktionen des Bundesverfassungsgerichts seit 9/11 im Einzelnen
  • I. Urteil zum Großen Lauschangriff vom 3. März 2004
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • II. Urteil zum EU-Haftbefehl vom 18. Juli 2005
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • III. Urteil zur präventiven Telefonüberwachung vom 27. Juli 2005
  • 1 Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • IV. Urteil zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • V. Beschluss zur präventiven Rasterfahndung vom 4. April 2006
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • VI. Urteil zur Online-Durchsuchung vom 27. Februar 2008
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • VII. Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • 4. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung vom 8. April 2014
  • VIII. Urteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • IX. Urteil zum Antiterrordatei-Gesetz vom 24. April 2013
  • 1. Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt
  • 2. Entscheidungsgründe und Kernaussagen
  • 3. Rezeption, Kritik und Stellungnahme
  • X. Ergebnis
  • 1. Pro libertate-Entscheidungen
  • 2. „Ja, aber…“-Entscheidungen
  • 3. Contra libertate-Entscheidungen
  • 4. Bundesverfassungsgericht als Garant der Freiheit?
  • D. Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis

← 14 | 15 →Einführung und Gang der Untersuchung

Das Bundesverfassungsgericht ist oft die letzte Instanz, die die Freiheitsrechte der Bürger zu schützen vermag. Wenn die Exekutive gemeinsam mit der Gesetzgebung die bürgerliche Freiheit sukzessive einschränkt, bleibt lediglich der Gang nach Karlsruhe, der die verfassungsgerichtliche Garantie eines Freiheitsminimums verspricht. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte das Gericht immer häufiger die Aufgabe inne, sicherheitsbrisante legislative Akte auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Im Zuge dieser Rechtsprechung fällt auf, dass die Politik immer unbeliebter wird, während die Beliebtheit des Bundesverfassungsgerichts ungebrochen bleibt.1

Seit dem 11. September 2001 vergeht kaum eine Woche, ohne dass die Medien über sicherheitspolitische Gesetzgebungsvorhaben berichten. Dies gilt umso mehr, als nach 9/112 auch Europa immer mehr in den Fokus des internationalen Terrorismus geriet. Neben den Anschlägen im außereuropäischen Ausland kam es auch auf europäischem Boden zu Anschlägen und Anschlagsversuchen.3 So fielen den Anschlägen in Madrid 2004 und in London 2005 hunderte Menschen zum Opfer.4 Durch Ereignisse dieser Art motiviert und als Reaktion auf die Gefahren des internationalen Terrorismus kam es auf den unterschiedlichen Gesetzgebungsebenen zu sog. Anti-Terror-Gesetzen, die allesamt die bürgerlichen Freiheiten einschränken, um ein vermeintlich höheres Sicherheitsniveau zu garantieren. Der bereits in den 70er Jahren durch den RAF-Terrorismus begonnene Trend der Sicherheitsgesetzgebung, der in den 80er und 90er Jahren durch ← 15 | 16 →das Phänomen der Organisierten Kriminalität intensiviert wurde, hat mit dem internationalen Terrorismus im 21. Jahrhundert eine neue Dimension erreicht.5 Seitdem wurden zunehmend intensivere und freiheitseinschränkende Gesetze erlassen. In der Literatur wurden seit dem 11. September 2001 gar rechtsstaatliche Prinzipien wie das absolute Folterverbot infrage gestellt.6

Als im November 2011 der sog. Nationalsozialistische Untergrund (NSU) als neue rechtsextremistische Terrorgruppe bekannt wurde, die mehrere Menschen ermordet hatte, hat auch hierauf der Gesetzgeber mit entsprechenden Sicherheitsgesetzen reagiert.7 Zusätzlich wurden die freiheitsrelevanten Auswirkungen durch die Bemühungen des sog. Kampfes gegen den Terrorismus in der Rechtswirklichkeit durch die Enthüllungen über die Überwachungspraxis des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA)8 in ein neues Licht gerückt. Welches Ausmaß ein zu informationshungriger Staat annehmen kann, war nun nicht mehr nur ein historisches oder theoretisches Argument, sondern konnte anhand von aktuellen und praktischen Beispielen verdeutlicht werden.

In diesem rechtspolitischen Klima ergingen vor allem seit 9/11 eine Reihe von Sicherheitsgesetze, die unter anderem als Anti-Terror-Pakete oder Sicherheitspakete bekannt wurden. Auf diese Sicherheitsgesetzgebung hat das Bundesverfassungsgericht als letzten Hüter der Freiheit reagiert und nicht selten weitreichende freiheitsbeschränkende Gesetze für verfassungswidrig erklärt.9 In diesem Zusammenhang wurde das Bundesverfassungsgericht ← 16 | 17 →teilweise als letzte Instanz pro libertate gelobt und teilweise als Hindernis in der Terrorismusbekämpfung kritisiert.10 Auch wurde der Vorwurf geäußert, das höchste deutsche Verfassungsgericht würde Politik betreiben und in seiner Rechtsprechung zur Sicherheitsgesetzgebung den Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung nicht ausreichend berücksichtigen.11 Ob in der Reihe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherheitsgesetzgebung eine Linie hin zum Freiheitsschutz oder hin zur verfassungsrechtlichen Absegnung des legislativen Sicherheitstrends erkennbar ist, wird in der vorliegenden Arbeit untersucht.

Im ersten Teil der Untersuchung werden die verfassungsrechtlichen und theoretischen Grundlagen der Arbeit dargestellt. In einem ersten Schritt werden die theoretischen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Straf- und Polizeirecht skizziert, um anschließend auf die theoretische und verfassungsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Staatsgefüge einzugehen. In diesem Zusammenhang wird die theoretische und faktische Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung und damit als Garant der Freiheit herausgearbeitet. Auch auf die Funktionen des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht mit den verfahrensrechtlichen Instrumentarien wird eingegangen.

Der zweite Teil der Arbeit beschreibt das normative Profil des Bundesgesetzgebers seit dem 11. September 2001. Zunächst werden die wichtigsten Stationen der Sicherheitsgesetzgebung in der Geschichte der Bundesrepublik von 1945 bis 9/11 nachverfolgt. Dann werden die Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Form der sog. Anti-Terror-Pakete deskriptiv vorgestellt und an ihren zentralen Stellen kritisch beleuchtet. Wenn es zur Verdeutlichung dient, wird – schlaglichtartig – auf die landes-, europa- und völkerrechtlichen legislativen Akte zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingegangen. Das so beschriebene normative Profil verdeutlicht den rechtspolitischen Zusammenhang, den es im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse im dritten Teil zu berücksichtigen gilt.

Anhand des herausgearbeiteten Verständnisses eines rechtsstaatlichen Straf- und Polizeirechts sowie der Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Staatsgefüge werden die im dritten Teil der Arbeit untersuchten Entscheidungen gemessen. Als Maßstab hierfür gelten die im ersten Teil gesetzten Anforderungen an das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung und Garant der ← 17 | 18 →Freiheit. Die ausgewählten Entscheidungen werden nun im Hinblick auf die für die Arbeit zentrale Frage untersucht: Inwieweit wird das Bundesverfassungsgericht seiner Aufgabe als Hüter der Verfassung und damit als Garant der Freiheit im Zeitalter der Anti-Terror-Gesetzgebung und im Kontext eines rechtsstaatlichen Straf- und Polizeirechts gerecht?


1 Vgl. Köcher, Das Bollwerk. In einer Zeit großer Unsicherheit wird das Bundesverfassungsgericht zu einer Institution, der die Bürger zutrauen, die politische Ordnung und nationale Interessen zu wahren, FAZ Nr. 195 v. 22. August 2012, S. 10; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, § 19 Rn. 418 f.

2 9/11 wird als Synonym für die Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington D.C. verwendet.

3 Vgl. European Police Office, EU Terrorism Situation and Trend Report, S. 9. Im Jahre 2010 kam es zu 249 Anschlägen, die überwiegend von Separatistenbewegungen (160) und Linksextremisten bzw. Anarchistenbewegungen (45) verübt wurden. Drei Anschläge wurden von islamistischen Terroristen verübt.

4 In Deutschland wurden alle größeren Anschlagsplanungen rechtzeitig vereitelt. Lediglich dem von einem Einzeltäter ausgeführten Anschlag am 2. März 2011 auf dem Flughafen Frankfurt am Main fielen zwei amerikanische Soldaten zum Opfer. Vgl. Banse/Crolly/Flade/Lutz, Die Welt Online v. 3. März 2011.

5 Vgl. B. I. und II, wobei der Drang zur Sicherheitsgesetzgebung eine alte gesetzgeberische Tradition ist. Siehe dazu nur Naucke, KritV 2010, S. 129 ff.

6 So z.B. Jerouschek, JuS 2005, S. 296 (299 ff.), der das absolute Folterverbot insbesondere seit 9/11 in bestimmten Situation für unangemessen hält. Vgl. weiterhin zur „Präventiv-Folter: Der Weg in den StaatsterrorismusP.-A. Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 669 f. Vgl. auch kritisch zur Bekämpfung von Terroristen durch ein sog. Feindstrafrecht als Feinde Paeffgen, Bürgerstrafrecht, Vorbeugungsrecht, Feindstrafrecht?, FS Amelung, S. 81 ff. m.w.N. Zu den Charakteristika eines Feindstrafrechts siehe nur Jakobs, Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft (Kommentar), S. 47 (51 f.). Depenheuer hält gar einige Interpreten (wohl die freiheitsorientierten) der Verfassung für ein Sicherheitsrisiko und wirft der Politik vor, sie sehe lediglich kriminelles Verhalten in Terroranschlägen vgl. Jungholt, Guantanamo auch in Deutschland denkbar, Die Welt Online v. 28. Dezember 2007.

7 Vgl. dazu den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus“ vom 13. Februar 2012, BT-Ds. 17/8672.

8 Vgl. zu den rechtlichen Aspekten des NSA-Datenskandals Ewer/Thienel, NJW 2014, S. 30.

9 Vgl. C. (Dritter Teil) und die Auflistung bei P.-A. Albrecht, Kriminologie, S. 395.

10 Vgl. die Kritik und die Rezeption der einzelnen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in C. I. bis IX.

11 Vgl. Neukirch/Pfister, Politiker in Roben, Der Spiegel Nr. 40 (2009), S. 28 f.

← 18 | 19 →A. Erster Teil
Theoretische und verfassungsrechtliche Grundlagen

Um im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse (C.) die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts bewerten zu können, sind zunächst die theoretischen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Straf- und Polizeirecht sowie die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts zu skizzieren (A.). Die folgenden Ausführungen sind daher als theoretische Bewertungsmaßstäbe zu verstehen, die der Arbeit zugrunde gelegt werden. Von diesem Verständnis der Staatslegitimation und den daraus resultierenden Anforderungen an ein rechtsstaatliches Straf- und Polizeirecht sowie der in diesem Zusammenhang gestellten Anforderungen an die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ausgehend, erfolgt die Rechtsprechungsanalyse des dritten Teils.

I.Theoretischer Ausgangspunkt: Individuelle Freiheit als Bedingung

Der heute bestehende moderne Staat ist keine naturgegebene Einrichtung, sondern eine von Menschen bewusst geschaffene Institution, die bestimmte Zwecke12 zu erfüllen hat.13 Der Begriff des Staates ist dabei als politische Ordnungsform zu verstehen, der sich vom 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Ereignissen der europäischen Geschichte entwickelt hat und weltweit als Modell gilt.14 Während im 16. und 17. Jahrhundert bedingt durch die religiösen Bürgerkriege in Europa diese Zwecke vor allem in der staatlichen Sicherheitsgewährleistung gesehen wurden, hat sich in der Staatstheorie des 18. und 19. Jahrhunderts besonders die Idee der individuellen Freiheit und deren Schutz als zentraler staatslegitimierender Zweck etabliert.15

← 19 | 20 →1.Sicherheit als primärer Staatszweck bei Bodin und Hobbes

Bereits 1576 formulierte Jean Bodin, dass sich die Staatsgewalt zur Gewährleistung der Sicherheit in der Person des Königs (als absolutistischen Herrscher)16 im Sinne eines Gewaltmonopols zu konzentrieren habe. Dieses Monopol sah Bodin in dem Recht, „den Untertanen in ihrer Gesamtheit ohne ihre Zustimmung das Gesetz vorzuschreiben.17 Bodins Gedanken sind zu einer Zeit entstanden, in der der französische König die öffentliche Gewalt in seiner Person vereinte und sich so vom Einfluss des Kaisers und des Papstes loslöste.18

Im darauffolgenden Jahrhundert entwickelte Thomas Hobbes die Idee vom Leviathan und leitete mit dieser rechtspolitischen Revolution die Neuzeit und somit die moderne Lehre vom Staat ein.19 In dieser Zeit des Bürgerkriegskonflikts zwischen englischer Krone und englischem Parlament herrschten instabile politische Verhältnisse und eine Stimmung der absoluten Unsicherheit unter den Bürgern:20

Details

Seiten
230
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653060652
ISBN (ePUB)
9783653954876
ISBN (MOBI)
9783653954869
ISBN (Hardcover)
9783631669563
DOI
10.3726/978-3-653-06065-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Rasterfahndung Luftsicherheitsgesetz Anti-Terror-Gesetzgebung Vorratsdatenspeicherung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 230 S.

Biographische Angaben

Ali Mosfer (Autor:in)

Ali Mosfer studierte Rechtswissenschaft in Frankfurt am Main, wo er auch promovierte. Sein LL.M.-Studium mit Fulbright-Stipendium schloss er an der State University of New York at Buffalo ab. Er ist Mitarbeiter in einer internationalen Sozietät und absolvierte das Referendariat am Landgericht Frankfurt am Main.

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