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Umsatzsteuer und Arzneimittel im System der gesetzlichen Krankenversicherung

Untersuchung der Vereinbarkeit von Sozial- und Umsatzsteuerrecht am Beispiel der Arzneimittelversorgung von Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung mit grenzüberschreitendem Bezug

von Saskia Kleinpeter (Autor:in)
©2019 Dissertation 360 Seiten

Zusammenfassung

Die umsatzsteuerliche Behandlung von Arzneimittellieferungen an Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist seit Jahren Streitpunkt in der Praxis und Gegenstand zahlreicher – zum Teil noch anhängiger – Gerichtsverfahren. Sie rührt aus den Besonderheiten der sozialrechtlichen Grundlagen. Eine Auseinandersetzung mit der Thematik geschah bislang nur schrittweise und eher zu einzelnen Aspekten. Die Autorin nimmt sich der umfassenden Aufarbeitung des Themas an und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl der Regelungen des SGB V aufgrund der fehlenden Abstimmung zum Umsatzsteuerrecht unionsrechtswidrig ist. Der Band stellt einen Beitrag zur Einordnung und Lösung der verschiedenen Probleme im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Behandlung von Arzneimitteln dar und damit zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einführung
  • I. Einleitung
  • II. Gegenstand der Untersuchung
  • III. Gang der Untersuchung
  • B. Das Verhältnis von Steuer- und Sozialrecht
  • I. Das Gebot der Einheit der Rechtsordnung
  • 1. Einheit der Rechtsordnung – Gebot von Verfassungsrang?
  • 2. Anforderungen
  • 3. Ergebnis
  • II. Vorrang oder Vorherigkeit des Sozialrechts?
  • III. Rechtstatsächliche Beziehung zwischen Sozial- und Steuerrecht an verschiedenen Beispielen
  • 1. Abgestimmtheit und Abhängigkeit der Regelungen im Sozialrecht und Einkommensteuerrecht
  • 2. Abgestimmtheit und Abhängigkeit der Regelungen im Sozialrecht und Umsatzsteuerrecht
  • IV. Ergebnis
  • C. Sozialrechtliche Grundlagen der Arzneimittelversorgung
  • I. Grundstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung
  • 1. Leistungsrecht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
  • 2. Pflichtversicherung
  • 3. Finanzierung und Beitragsrecht
  • II. Grundzüge und -prinzipien des Arzneimittelrechts vor dem Hintergrund der Arzneimittelversorgung
  • 1. Begrifflichkeiten im Arzneimittelrecht
  • 2. Arzneimittelpreisrecht für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
  • III. Rechts- und Leistungsbeziehungen im Rahmen der Arzneimittelversorgung
  • 1. Struktur der Arzneimittelversorgung
  • 2. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten auf Arzneimittelversorgung – Leistungsrecht
  • 3. Arzneimittellieferung der Apotheke – Leistungserbringerrecht
  • IV. Besonderheiten bei der Arzneimittellieferung einer ausländischen Apotheke
  • 1. Rechtliche Grundlage
  • 2. Zulässigkeitsvoraussetzungen
  • 3. Anwendung der Arzneimittelpreisbindung
  • 4. Geschäftsmodelle in der Praxis
  • D. Umsatzsteuerliche Behandlung von Arzneimittellieferungen
  • I. Grundprinzipien und Maßstäbe des deutschen Umsatzsteuerrechts
  • 1. Einfluss des Unionsrechts
  • 2. Prinzip der Allphasennettobesteuerung
  • 3. Der Grundsatz steuerlicher Neutralität
  • II. Die Arzneimittellieferung als umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Leistung
  • 1. Die Grundtatbestände des Umsatzsteuerrechts
  • 2. Der einer Arzneimittellieferung zugrunde liegende Leistungsaustausch
  • 3. Umsatzsteuerbarkeit und Umsatzsteuerpflicht des Leistungsaustauschs zwischen der Apotheke und der gesetzlichen Krankenkasse im Rahmen des Sachleistungsprinzips
  • 4. Umsatzsteuerbarkeit des Leistungsaustauschs zwischen der gesetzlichen Krankenkasse und ihren Versicherten im Rahmen der Arzneimittelversorgung
  • 5. Ergebnis
  • III. Vorsteuerabzugsberechtigung der gesetzlichen Krankenkasse
  • IV. Ermittlung der Bemessungsgrundlage einer Arzneimittellieferung mit und ohne grenzüberschreitenden Bezug
  • 1. Grundsätze zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage
  • 2. Entgelt einer Arzneimittellieferung
  • 3. Ergebnis
  • V. Anzuwendender Steuersatz auf Arzneimittellieferungen
  • E. Zusammenfassung der Ergebnisse und entsprechende Lösungsansätze
  • I. Umsatzsteuerliche Behandlung von Arzneimittellieferungen
  • II. Divergenz von Steuer- und Sozialrecht und dessen praktische Folgen
  • III. Lösungsansätze zur Auflösung dieser Konflikte
  • 1. Einheitliche Ausgangsbasis
  • 2. Keine Änderung des Umsatzsteuerrechts
  • 3. Auslegung oder Änderung des Sozialrechts
  • Literaturverzeichnis

←26 | 27→

A. Einführung

I. Einleitung

Der gesetzlichen Krankenversicherung kommt im System der deutschen Sozialversicherungen entscheidende Bedeutung zu. Sie stellt das Kernstück des deutschen Gesundheitswesens dar,1 durch das der Staat seiner Verantwortung für die Gesundheit seiner Bürger gerecht wird.2 Die Arzneimittelversorgung nimmt dabei eine bedeutende Rolle ein, insbesondere auch monetär.3

Umso problematischer sind die aktuellen Entwicklungen zu bewerten, wonach nicht nur hinsichtlich der sozialrechtlichen, sondern auch der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung eine Vielzahl von Entscheidungen durch den EuGH und die obersten nationalen Gerichte zu den unterschiedlichsten Aspekten ergangen sind und auch noch weitere folgen werden.4 Die damit einhergehende nicht anhaltende Bewegung in der Materie führt zunehmend zu Rechtsunsicherheit, die mit jeder neuen Entscheidung des EuGH weiter befeuert wird. Dies ist mit Blick auf das Ausmaß und die Bedeutung dieser Industrie unhaltbar. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen beliefen sich 2016 allein für Arzneimittel (Apotheken, Versandhandel, Sonstiges) auf EUR 36,27 Mrd., Tendenz steigend.5 Es ist daher für die gesetzlichen Krankenkassen unerlässlich eine sichere und ←27 | 28→stabile Kostenplanung zu gewährleisten. Das umfasst auch die umsatzsteuerliche Behandlung, deren finanziellen Auswirkungen bei einem Umsatzsteuersatz von 19 % für alle an der Arzneimittelversorgung Beteiligten erheblich sein können.

Den Anstoß gab das Schreiben des BMF vom 22. August 20126 bzgl. einer – bis dahin unerkannten – Umsatzsteuerschuld der gesetzlichen Krankenkassen hinsichtlich Arzneimittellieferungen von in den EU-Mitgliedstaaten ansässigen Apotheken (nachfolgend: „ausländische Apotheken“) einschließlich der nachfolgenden Steuerbescheide. Das brachte eine Diskussion über die Rolle der Umsatzsteuer in der Arzneimittelversorgung in Gang, die bis heute zahlreiche ungeklärte Fragen aufwirft. Diese reichen von der Anwendbarkeit der umsatzsteuerlichen Grundtatbestände bei grenzüberschreitenden Arzneimittellieferungen bis hin zur etwaigen Umsatzsteuerschuldnerschaft der Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten. Aktuell manifestieren sich viele der Fragen in einer Vielzahl von anhängigen Gerichtsverfahren zum einen vor den Sozialgerichten zu Rückerstattungsverlangen der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber den Apotheken, die bereits beim BSG anhängig sind,7 und zum anderen nun auch vor dem BFH.8 Verstärkte Relevanz erlangte das Thema zusätzlich jetzt auch noch dadurch, dass der EuGH die Arzneimittelpreisbindung für ausländische Apotheken kippte.9 Die weitere Entwicklung des Versandhandels ausländischer Apotheken ist damit völlig ungeklärt.10 Einerseits könnte ihm eine verbesserte Wettbewerbssituation zu neuem Auftrieb verhelfen,11 gleichzeitig wird aber nach wie vor über die Reichweite und Bedeutung der Entscheidung des EuGH gestritten, bis hin zu der Möglichkeit eines Verbotes des Versandhandels in Gänze. Das BMG hat dazu bereits in der vergangenen Legislaturperiode ←28 | 29→einen Referentenentwurf12 vorgelegt und auch im aktuellen Koalititionsvertrag haben sich die Parteien für ein Versandhandelsverbot ausgesprochen.13

Doch nicht nur die grenzüberschreitende Arzneimittelversorgung stellt die Praxis vor viele ungelöste Probleme, auch die umsatzsteuerliche Behandlung von Arzneimittellieferungen als solche wirft einige bislang noch offene umsatzsteuerliche Grundsatzfragen auf. Dazu zählt neben der Bestimmung der Leistungsbeziehungen insbesondere die Berücksichtigung der verschiedenen Kostensteuerungselemente des SGB V14 in Gestalt eines ausgefeilten Rabatt- und Zuzahlungssystems bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage. So beispielsweise beim gesetzlichen Herstellerrabatt nach § 130a SGB V, der durch das jüngst ergangene Urteil des EuGH vom 20. Dezember 201715 – allerdings im Kontext der privaten Krankenversicherung – erneut Gegenstand der Rechtsprechung war. Da der EuGH in diesem Urteil zudem völlig überraschend auch die Unternehmen der privaten Krankenversicherungen – im Gleichklang mit den gesetzlichen Krankenkassen – als umsatzsteuerliche Leistungsempfänger angesehen hat,16 erstreckt sich die gesamte Problematik nun auch auf die private Krankenversicherung.17 Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Rechtsprechung auch auf die gesetzliche Krankenversicherung hat.

Der Ursprung dieser umsatzsteuerrechtlichen Schwierigkeiten liegt zum einen darin, dass die Materie der Arzneimittelversorgung gesetzlicher Krankenkassen durch das Sozialrecht geprägt ist. Dies wirft die Frage auf, wie grundsätzlich das Verhältnis zwischen Steuer- und Sozialrecht zu bestimmen ist, zumal die maßgeblichen sozialrechtlichen Vorschriften kaum bzw. keine Regelungen zur Umsatzsteuer enthalten und der Gesetzgeber sich dem bisher auch noch ←29 | 30→nicht angenommen hat. Zum anderen ergibt sich bei Arzneimittellieferungen aus den Besonderheiten des SGB V in Form des Sach- und Dienstleistungsprinzips (nachfolgend: „Sachleistungsprinzip“)18 ein Dreiecksverhältnis zwischen der Apotheke, der Krankenkasse und dem Versicherten, dass schon seiner Natur nach eine Vielzahl von umsatzsteuerlichen Fragen nach sich zieht. Auch die Preisregulierung nach den Vorschriften des SGB V befördert – eingekleidet in die umsatzsteuerliche Bestimmung der Bemessungsgrundlage einer Arzneimittellieferung – die Diskussion mitten in die Tiefen des großen Komplexes der sich ständig weiterentwickelnden und „konturenarmen“19 Elida-Gibbs-Rechtsprechung20 des EuGH zu Preisnachlass- und Preiserstattungsgutscheinen von Herstellern, die auch auf die gesetzlichen und vertraglichen Rabatte pharmazeutischer Hersteller nach § 130a SGB V anwendbar ist.21

In der Rechtsprechung22, Literatur und Finanzverwaltung23 erfolgt die Auseinandersetzung mit der Thematik bislang nur schrittweise und eher zu einzelnen Aspekten. Es bedarf aber eines ganzheitlichen Ansatzes, um die Reichweite dieser rechtsgebietsübergreifenden Themen zu erfassen. Diese Arbeit soll die umsatzsteuerlichen Behandlung von Arzneimittellieferungen an Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung unter Berücksichtigung der ←30 | 31→sozialrechtlichen Gegebenheiten umfassend aufarbeiten und so einen Beitrag zur Einordnung und Lösung der verschiedenen Probleme und damit zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit leisten.

II. Gegenstand der Untersuchung

Die Zielsetzung dieser Arbeit besteht darin, im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Prüfung die sozialrechtlichen Grundlagen der Arzneimittelversorgung mit den umsatzsteuerlichen Regelungen zu vereinbaren. Dabei ist zu untersuchen, welche Auswirkungen und Konflikte sich daraus ergeben und welche Schlüsse für das Verhältnis von Steuer- und Sozialrecht gezogen werden können. So sollen am Beispiel der Arzneimittelversorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung die Vereinbarkeit zwischen Sozial- und Umsatzsteuerrecht analysiert und etwaige Dissonanzen aufgedeckt werden, für die – soweit erforderlich und möglich – Lösungsansätze (de lege lata oder de lege ferenda) zu entwickeln sind.

Es bedarf dazu einer umfassenden Prüfung der umsatzsteuerlichen Behandlung von Arzneimittellieferungen an gesetzlich Versicherte sowohl mit als auch ohne grenzüberschreitenden Bezug. Die Arbeit wird sich dabei auf die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel beschränken, da grundsätzlich nur diese sozialrechtlich im Sachleistungsgefüge der gesetzlichen Krankenversicherung verankert sind und den Preisbestimmungen des AMG24 und des SGB V unterliegen.

III. Gang der Untersuchung

Die Untersuchung erfolgt in vier Komplexen. Zuerst wird das Verhältnis von Steuer- und Sozialrecht im Allgemeinen beleuchtet (B.), bevor dies im Konkreten am Beispiel der umsatzsteuerlichen Behandlung der sozialrechtlich geprägten Arzneimittelversorgung untersucht wird. Dazu werden in einem zweiten Schritt die sozialrechtlichen Grundlagen der Arzneimittelversorgung im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dargestellt (C.), um im dritten Abschnitt zu untersuchen, wie die im Sozialrecht verankerte Arzneimittelversorgung im System des deutschen Umsatzsteuerrechts eingeordnet und behandelt ←31 | 32→werden muss (D.). Abschließend erfolgt in einem vierten Komplex eine Zusammenfassung, ob und ggf. welche Diskrepanzen zum Sozialrecht sich aus der umsatzsteuerlichen Behandlung ergeben und wie diese aufzulösen sind (E.).


1 Pelzer/Klein, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, ArzneimittelR, § 46 Rn. 1; Peters, in: KassKomm SozR, SGB V, Vorbem zum SGB V Rn. 27.

Details

Seiten
360
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631784914
ISBN (ePUB)
9783631784921
ISBN (MOBI)
9783631784938
ISBN (Paperback)
9783631784099
DOI
10.3726/b15407
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Herstellerrabatte Innergemeinschaftlicher Erwerb Krankenkasse als Leistungsempfänger Abgekürzter Lieferweg Zuzahlungen Leistungsort nach § 3c UStG Auslegung Apothekenabgabepreis Umsatzsteuerliche Leistungsbeziehung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 359 S. 30 s/w Abb.

Biographische Angaben

Saskia Kleinpeter (Autor:in)

Saskia Kleinpeter studierte Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School in Hamburg und der National University of Singapore. Sie absolvierte ein Promotionsstudium an der Bucerius Law School und arbeitete begleitend als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Steuerrecht in einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Derzeit ist sie Referendarin am Hanseatischen Oberlandesgericht.

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