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Arbeitsrechtliche Prognoseentscheidungen

Zu bereichsspezifischen und allgemeinen Bewertungsmaßstäben zukunftsbezogener Wahrscheinlichkeitsannahmen

von Yannik Beden (Autor:in)
©2020 Dissertation 390 Seiten

Zusammenfassung

Die Arbeit behandelt Prognosen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. In einem ersten Schritt werden die teilrechtsgebietsspezifischen Wirksamkeitsmaßstäbe der arbeitsrechtlichen Prognosen dargestellt und bewertet. Im Fokus stehen dabei u.a. die Negativprognose des Kündigungsrechts, die befristungsrechtliche Prognose innerhalb der Sachgrundbefristung sowie die betriebsrentenrechtliche Prognose nach § 16 BetrAVG. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Abstraktion und Systematisierung bereichsübergreifender, allgemeingültiger Rechtmäßigkeitsanforderungen arbeitsrechtlicher Prognosetatbestände. Hierdurch wird eine Grundsystematik für Prognosen des Arbeitsrechts erstellt, die dem besseren Verständnis dient und auch bei der Einordnung künftiger, neuer Prognosetatbestände wertvoll sein kann.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright Page
  • Vorwort
  • About the author
  • About the book
  • This ebook can be cited
  • Gliederung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Zukunftsbezogene Risikoentscheidungen im Kontext des Arbeitsrechts
  • I. Arten und Regelungsgegenstände arbeitsrechtlicher Prognosen
  • II. Teilrechtsgebietsübergreifende Fragestellungen
  • III. Gang der Darstellung und thematische Eingrenzung
  • B. Rechtshistorie und Legitimierung der arbeitsrechtlichen Prognosen
  • I. Ursprung des Prognosegedankens im Kündigungsrecht
  • 1. Überlegungen zum kollektivistischen Arbeitsverhältnis – Wilhelm Herschel
  • 2. Elemente des Individualrechtsschutzes
  • 3. Der Streit um die Ideologie und Zweckrichtung des Prognoseprinzips
  • 4. Der Ursprung des prognostischen Elements in der vorläufigen Landarbeitsverordnung von 1919
  • II. Einzug in die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
  • III. Rechtsdogmatische Rechtfertigung und Notwendigkeit
  • 1. Verfassungsrechtliche Legitimation der Prognosetatbestände
  • a) Kündigungsrecht
  • b) Befristungsrecht
  • c) Recht der betrieblichen Altersversorgung
  • d) Betriebsverfassungsrecht
  • aa) § 92 Abs. 1 BetrVG
  • bb) § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG
  • 2. Einfachgesetzliche Legitimation der Prognosetatbestände
  • a) Zukunftsbezogenheit der Kündigung im Arbeitsverhältnis
  • b) Vertragskontrolle im befristeten Arbeitsverhältnis
  • c) § 16 Abs. 1 BetrAVG: Maßgeblichkeit der künftigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers
  • d) § 92 Abs. 1 BetrVG: Ungewissheit des künftigen Personalbedarfs und –bestands
  • e) § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG: Störung des Betriebsfriedens durch künftiges Fehlverhalten
  • 3. Makro- und mikroökonomische Implikationen des Prognoseprinzips
  • a) Ökonomische Bewertung der prognoserelevanten Normtatbestände im Individualarbeitsrecht
  • b) Ökonomische Bewertung des Prognoseelements des § 16 BetrAVG
  • IV. Ergebnis zur Rechtshistorie und Legitimation des Prognoseprinzips
  • C. Die Negativprognose im Kündigungsrecht
  • I. Ausgangspunkt: Die Kündigung als vertragliches Gestaltungsrecht
  • II. Die Berücksichtigung arbeitsvertragsspezifischer Rechtsgüter und Interessen
  • III. Abgrenzung zum sonstigen Leistungsstörungsrecht
  • 1. Verhältnis zum Haftungsregime der §§ 280 ff. BGB
  • 2. Verhältnis zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB
  • IV. Die Negativprognose im Kündigungsrecht
  • 1. Notwendigkeit und Besonderheiten bei der außerordentlichen Kündigung, § 626 BGB
  • 2. Prognoseanforderungen im Rahmen der ordentlichen Arbeitgeberkündigung
  • a) Anerkennung als kündigungsgrundübergreifende Wirksamkeitsvoraussetzung
  • b) Spezifika der personenbedingten Kündigung
  • aa) Fehlen eines allgemeinen Prognosemaßstabs nach der Rechtsprechung des BAG
  • bb) Sonderfall der (echten) Druckkündigung
  • cc) Sonderfall der Verdachtskündigung
  • dd) Sonderfall der krankheitsbedingten Kündigung
  • (1) Häufige Kurzerkrankungen
  • (2) Lang andauernde Erkrankungen
  • (3) Dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
  • (4) Krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit
  • (5) Stellungnahme
  • c) Spezifika der verhaltensbedingten Kündigung
  • aa) Allgemeiner Prognosemaßstab
  • bb) Redundanz des Prognoseprinzips bei Folgewirkung aufgrund besonders schwerwiegender Vertragsverletzungen?
  • cc) Die Abmahnung und ihre doppelte Zweckrichtung
  • (1) Instrument zur Objektivierung der Prognosegrundlage und Konsequenz des Ultima-ratio-Prinzips
  • (2) Entbehrlichkeit der Abmahnung nach der Judikatur des Zweiten Senats
  • d) Spezifika der betriebsbedingten Kündigung
  • aa) Schutzrichtung der Negativprognose bei dringenden betrieblichen Erfordernissen
  • bb) Zeitpunkt, Grundlage und Gegenstand der Prognoseentscheidung
  • cc) Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad hinsichtlich des Prognosegegenstands
  • 3. Die gerichtliche Überprüfbarkeit: Kontrolldichte der Arbeitgeberprognose
  • 4. Fehlprognosen: Die Ratio des Wiedereinstellungsanspruchs und seine Grenzen
  • V. Ergebnis zum Prognoseprinzip im Kündigungsrecht
  • D. Die befristungsrechtliche Prognose als Teil des Sachgrunds – § 14 Abs. 1 TzBfG
  • I. Die Befristungsabrede als Instrument der Vertragsgestaltung – Legitimation und Konflikt
  • II. Prae 1.1.2001: Relevanz des Prognoseprinzips vor Geltung des TzBfG
  • III. Das Prognoseprinzip im Rahmen der Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG
  • 1. Verhältnis des § 14 Abs. 1 TzBfG zu § 620 BGB
  • 2. Regelungssystematik und praktische Folgen: Grundsatz des Sachgrunderfordernisses
  • 3. Divergierende Prognosegrundsätze bei Zeit- und Zweckbefristungen
  • 4. Prognoseerfordernis bei auflösend bedingten Arbeitsverträgen nach § 21 TzBfG?
  • 5. Sachgrundspezifische Prognosemaßstäbe
  • a) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG: Vorübergehender betrieblicher Bedarf
  • b) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 TzBfG: Anschlussbefristung
  • c) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG: Die Befristung zwecks Vertretung
  • aa) Bezugspunkt der Prognose und Prognosezeitraum
  • bb) Prognosewahrscheinlichkeit
  • cc) Erhöhung der Prognosekontrolldichte bei Mehrfachbefristungen?
  • d) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG: Eigenart der Arbeitsleistung
  • e) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG: Die Befristung zur Erprobung
  • f) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG: Gründe in der Person des Arbeitnehmers
  • g) § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG: Vergütung aus Haushaltsmitteln für befristete Beschäftigung
  • 6. Sachgrundübergreifende Wirksamkeitsvoraussetzungen der Prognose
  • 7. Die gerichtliche Kontrolldichte im Rahmen der Entfristungsklage nach § 17 TzBfG
  • 8. Einordnung und Rechtsfolgen von Fehlprognosen
  • a) Die zwei Arten der Fehlprognose und deren Feststellungszeitpunkt
  • b) Auswirkungen einer ex-ante festgestellten Fehlprognose auf die Befristungsabrede
  • c) Korrekturmechanismen bei ex-post festgestellten Fehlprognosen?
  • 9. Prozessuale Verteilung des Prognoserisikos
  • IV. Sonderfall: Die Kettenbefristung in Vertretungssituationen
  • 1. Die Grundsatzentscheidung des Siebten Senats zum Prüfungsgegenstand im Jahr 1986
  • 2. Vorüberlegungen zur Struktur des § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG und dem Prognoseerfordernis
  • 3. Die Kücük Entscheidung des EuGH
  • 4. Die Anschlussentscheidung des Siebten Senats/Einzug der Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs in das Befristungsrecht
  • 5. Die Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs nach der aktuellen Judikatur des BAG
  • 6. Resonanz zum und Kritik am dreistufigen System der Missbrauchsprüfung
  • 7. Bewertung der stufenweisen Prüfung institutionellen Rechtsmissbrauchs
  • 8. Systematisches Verhältnis der Missbrauchskontrolle zum Prognoseprinzip
  • a) Ausgangspunkt: Zweistufige Prüfung der Sachgrundbefristung
  • b) Bildung von Konnexität der einzelnen Befristungen durch die Missbrauchsprüfung
  • c) Widerspruch zwischen Indizwirkung der dritten Missbrauchsstufe und Prognose
  • 9. Ergebnis zum Prognoseprinzip bei Kettenbefristungen
  • V. Ergebnis zur Prognoseentscheidung im Befristungsrecht
  • E. Prognostizierung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens im Recht der betrieblichen Altersversorgung – § 16 Abs. 1 BetrAVG
  • I. Die Anpassungsprüfungspflicht des Versorgungsschuldners nach § 16 BetrAVG
  • 1. Normzweck: Ausgleich inflationsbedingter Abwertung der Betriebsrenten
  • 2. Verpflichteter und Gegenstand der Anpassungsprüfungsverpflichtung
  • 3. Zukunftsbezogenheit der wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers/Einordnung als Prognose
  • 4. Allgemeine Wirksamkeitsmaßstäbe der Arbeitgeberprognose
  • a) Die Zweigliedrigkeit des Anpassungsverfahrens
  • b) Anpassungszeitpunkt
  • c) Prognosebezugspunkt und Zeitraum, für den Prognose zu stellen ist
  • d) Unterscheidung zwischen Prüfungszeitraum und Zeitraum der Prognosegrundlage
  • aa) Prüfungszeitraum für den retrospektiv eingetretenen Kaufkraftverlust
  • bb) Der für die Prognosegrundlage heranzuziehende Zeitraum
  • e) Prognosewahrscheinlichkeit
  • f) Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung nach Anpassungsstichtag?
  • 5. Parameter für die Ermittlung der wirtschaftlichen Lage
  • a) Grundsätzliches zu den Bestimmungsfaktoren
  • b) Gewährung einer angemessenen (künftigen) Eigenkapitalverzinsung
  • aa) Kennzahlen zur Bestimmung der Eigenkapitalrentabilität und Angemessenheit
  • bb) Alternative Berechnungsmethoden
  • c) Sicherstellung einer ausreichenden (künftigen) Eigenkapitalausstattung
  • d) Bereinigung des Jahresendergebnisses um bilanziell notwendige Korrekturen
  • e) Abzug von künftigen Investitionsvorhaben?
  • f) Einordnung der Grenzwerte zur Eigenkapitalrendite und Eigenkapitalausstattung in die Systematik der Prognoseentscheidung
  • 6. Anerkennung eines Berechnungsdurchgriffs im Konzernverhältnis bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags
  • a) Kehrtwende des BAG zum Berechnungsdurchgriff mit Urteil vom 10.3.2015
  • b) Plausibilitätserwägungen zur prozessualen Feststellung der konzerntypischen Gefahrenlage
  • c) Die Reichweite des Berechnungsdurchgriffs im Kontext der zukunftsbezogenen Prognoseentscheidung
  • d) Abstellen auf das Vermögen des Treuhänders bei Verwendung eines Contractual Trust Arrangement (CTA)?
  • 7. Überprüfung anhand billigen Ermessens – Bedeutung für die Prognoseentscheidung
  • 8. Die Vermutungsregelung aus § 16 Abs. 2 BetrAVG: Bedeutung für die Prognose innerhalb der Anpassungsprüfungsverpflichtung
  • 9. Entfall der Pflicht zur Anpassungsprüfung und damit auch Prognoseerstellung nach § 16 Abs. 3 BetrAVG
  • II. Ergebnis zur Prognoseentscheidung im Recht der betrieblichen Altersversorgung
  • F. Prognoseentscheidungen im Betriebsverfassungsrecht
  • I. Prognose innerhalb der Personalplanung nach § 92 Abs. 1 BetrVG
  • 1. Erfordernis einer Prognose aufgrund der Zukunftsbezogenheit der Personalbedarfsplanung
  • 2. Partielle Zukunftsbezogenheit der Personalbestandsplanung und damit einhergehende Notwendigkeit einer Prognose
  • 3. Unterrichtung und partielle Beratung über den prognostizierten Personalbedarf/Personalbestand
  • a) Reichweite der Unterrichtungspflicht bei der Planung künftigen Personalbedarfs
  • b) Unterrichtung und Beratung über Planung des künftigen Personalbestands
  • c) Zeitpunkt der Unterrichtung über bedarfs- und bestandserhebliche Prognosen
  • 4. Einordnung von Fehlprognosen sowie verspäteten und unzureichenden Prognosen
  • a) Existenz von Rechtsfolgen bei Fehlprognosen?
  • b) Betriebsverfassungsrechtliche Folgen verspäteter, unzureichender und wahrheitswidriger Prognosen
  • 5. Richterliche Überprüfbarkeit unter Berücksichtigung des Umfangs der Betriebsratsbeteiligung
  • II. Prognose innerhalb des Zustimmungsverweigerungstatbestands nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG
  • 1. Erfordernis einer Prognose: Zukunftsbezogene Bewertung des voraussichtlichen Verhaltens des Betroffenen
  • 2. Blickwinkel für die Prüfung des Verweigerungsgrundes – ex-ante Betrachtung?
  • 3. Anforderungen an die Informationsgrundlage des Betriebsrats und die damit einhergehende Kontrolldichte der Arbeitsgerichte
  • 4. Prognosewahrscheinlichkeit im Lichte der geschützten Rechtsgüter
  • 5. Kausalitätserfordernis zwischen Fehlverhalten und Prognosebezugspunkt
  • 6. Rechtsfolgen einer Fehlprognose für die Zustimmungsverweigerung
  • III. Ergebnis zu den betriebsverfassungsrechtlichen Prognosen
  • G. Teilrechtsgebietsübergreifende Betrachtung: Abstraktion allgemeiner, übergeordneter Bewertungsmaßstäbe arbeitsrechtlicher Prognosen
  • I. Einheitliche ex-ante Betrachtung
  • 1. Geltung für die arbeitsrechtlichen Prognoseentscheidungen
  • 2. Ein bestätigender Blick auf Prognosen in anderen Rechtsgebieten/Parallelen zum Aufwendungsersatzanspruch
  • II. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Wirksamkeit der Prognose: Moment der Rechtsfolgenauslösung
  • III. Vorhersehbarkeit der Entwicklung nach Prognoseentscheidung ist materiell-rechtlich unbeachtlich
  • IV. Prozessuale Wirkungen der späteren Entwicklung nach dem Prognosezeitpunkt
  • V. Prognosegrundlage
  • 1. Informationsbasis ergibt sich aus objektiven Umständen der Vergangenheit, sofern diese Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung zulassen
  • 2. Erheblichkeit des Zeitraums zwischen Tatsachenbasis und Entscheidungszeitpunkt
  • 3. Keine Nachforschungs- bzw. Informationsbeschaffungspflichten des Prognoseerstellers
  • VI. Prognosewahrscheinlichkeit
  • 1. Zur Notwendigkeit materiell-rechtlicher Wirksamkeitsmaßstäbe und den prozessrechtlichen Folgewirkungen
  • 2. Einheitliche Untergrenze
  • 3. Grad der Wahrscheinlichkeit
  • a) Exkurs: Graduelle Abstufung der Wahrscheinlichkeit bei Prognosen im allgemeinen Zivilrecht
  • b) Teilidentität der Wahrscheinlichkeitsgrade
  • c) Zwingende Konnexität von Prognosewahrscheinlichkeit und Prognosegrundlage
  • 4. Zum Faktor der Steuerbarkeit des Prognosebezugspunkts
  • 5. Zwischenergebnis zur Prognosewahrscheinlichkeit
  • VII. Fehlprognose führt nicht zu gesteigerten Anforderungen an Folgeprognose
  • VIII. Richterliche Überprüfung
  • 1. Exkurs: Anerkennung eines Prognosespielraums im Verfassungsrecht
  • 2. Grundsatz: Kein Ermessensspielraum des Prognoseerstellers im Arbeitsrecht
  • 3. Gerichtliche Prüfung der Entscheidung auf Grundlage der Tatsachenbasis – umfassende Überprüfung oder Plausibilitätskontrolle?
  • 4. Zwischenergebnis
  • IX. Keine Änderungen der an die Prognosegrundlage und Prognosewahrscheinlichkeit zu stellenden Anforderungen bei steigender (Grundrechts-)Relevanz der betroffenen Rechtsposition
  • 1. Korrelation von Prognosemaßstab und Rechtsgüterrelevanz im Verfassungsrecht
  • 2. Bewertung der bereichsspezifischen Wirksamkeitsanforderungen im Lichte der adressierten Rechtsgüter und Interessen
  • X. Ergebnis zu den allgemeingültigen Bewertungsmaßstäben arbeitsrechtlicher Prognosen
  • H. Abschließende Zusammenfassung der Erkenntnisse
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.A. anderer Ansicht

Abs. Absatz

a.F. alte Fassung

AktG Aktiengesetz

Alt. Alternative

Anm. Anmerkung

AP Arbeitsrechtliche Praxis

ArbG Arbeitsgericht

ArbR Arbeitsrecht

ArbRAktuell Arbeitsrecht Aktuell

Art. Artikel

AuA Arbeit und Arbeitsrecht

Aufl. Auflage

AÜG Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung

BAG Bundesarbeitsgericht

BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BB Betriebs-Berater

Bd. Band

BeckRS Beck-Rechtsprechung

Begr. Begründer

BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz)

BetrVG Betriebsverfassungsgesetz

Beschl. Beschluss

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BGH Bundesgerichtshof

BilMOG Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts

BRG Betriebsrätegesetz

BT-Drucks. Drucksache des Deutschen Bundestages

BVerfG Bundesverfassungsgericht

bzw. beziehungsweise

CTA Contractual Trust Arrangement

DAX Deutscher Aktienindex

DB Der Betrieb

ders. derselbe

 19←| 20→

d.h. das heißt

DJ Deutsche Justiz

DStR Deutsches Steuerrecht

Ed. Edition

EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz

EheG Ehegesetz

etc. et cetera

EuZW. Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

f. folgende

ff. fortfolgende

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn. Fußnote

FS Festschrift

gem. gemäß

GG Grundgesetz

ggf. gegebenenfalls

GK Gemeinschaftskommentar

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

h.M. herrschende Meinung

Hrsg. Herausgeber

Hs Halbsatz

i.E. im Ergebnis

i.R.d. im Rahmen des

i.S.d. im Sinne des

i.S.v. im Sinne von

i.V.m. in Verbindung mit

JuS Juristische Schulung

Jura [Zeitschrift] Juristische Ausbildung

JZ JuristenZeitung

KSchG Kündigungsschutzgesetz

LAG Landesarbeitsgericht

LAGE Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte

LG Landgericht

lit. littera [Buchstabe]

m.w.N. mit weiteren Nachweisen

NJOZ Neue Juristische Online Zeitschrift

NJW Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR NJW-Rechtsprechungsreport

Nr. Nummer

 20←|
 21→

NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZA-Beil. Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Beilage

NZA-RR NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht

NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OLG Oberlandesgericht

OVG Oberverwaltungsgericht

RdA Recht der Arbeit

RG Reichsgericht

RL Richtlinie

Rn. Randnummer

Rspr. Rechtsprechung

S. Satz; Seite

SAE Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen

Slg. Sammlung

sog. sogenannte(r)

StGB Strafgesetzbuch

St. Rspr. Ständige Rechtsprechung

TzBfG Teilzeit- und Befristungsgesetz

u.a. unter anderem/und andere

Urt. Urteil

u.U. unter Umständen

v. vom/vor

vgl. vergleiche

Vorb. Vorbemerkung

z.B. zum Beispiel

ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft

Ziff. Ziffer

ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

zit. zitiert

ZPO Zivilprozessordnung

A. Zukunftsbezogene Risikoentscheidungen im Kontext des Arbeitsrechts

I. Arten und Regelungsgegenstände arbeitsrechtlicher Prognosen

„The only relevant test of the validity of a hypothesis

is comparison of its predictions with experience.“1

Mit diesem Ausspruch konturierte Milton Friedman im Jahr 1966 in anschaulicher Weise sein Verständnis der Methodiken zur positiven, wertfreien Ökonomie. Die Reichweite seiner Aussage beschränkte Friedman dabei nicht auf Hypothesen, deren Verifizierung durch einen Abgleich mit künftigen Umständen und Ereignissen erfolgt. Ebenso sei es möglich, hypothetische Annahmen dadurch, dass man sie mit Tatsachen aus der Vergangenheit substantiiert, zu bestätigen.2 Diese Überlegungen fanden in ihrem Ursprung zu mikro- und makroökonomischen Gegebenheiten und deren Ursachen statt. Indes beinhaltet die Formulierung gleichzeitig das ureigene Konfliktpotential aller prognostischen Annahmen: Risiken und Unwägbarkeiten sind so gut wie jeder zukunftsbezogenen Entscheidung inhärent. Daraus lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass jede Prognose nur auf der Grundlage subjektiven Empfindens und ohne jeglichen Bezug zu objektiven Umständen gestellt werden kann. Die von Friedman beschriebene „Validität“, die letztlich als Eingrenzung und Offenlegung der für die Prognose relevanten Unsicherheitsmomente verstanden werden kann, ist anhand eines Abgleichs des Prognostizierten mit objektiven, dem Beweis zugänglichen Tatsachen aus der Vergangenheit zu bestimmen. Zwei Dinge sind hieraus zu schlussfolgern: Prognosen sind trotz ihres Bezugs zur künftigen Entwicklung zwangsläufig mit der Vergangenheit verbunden. Die Entwicklungen in der Vergangenheit wiederum dienen regelmäßig als Grundlage für die Prognoseentscheidung, die der Kontrolle durch Außenstehende zugänglich ist.

Unbestritten ist eine Antizipation künftiger Entwicklungen nicht nur bei markt- und produktbezogenen Fragestellungen für den wirtschaftlichen Erfolg  23←| 24→eines Unternehmens von tragender Bedeutung. Auseinandersetzungen mit zukünftigen Gegebenheiten spielen auch und insbesondere in der Personalwirtschaft eine entscheidende Rolle. Oftmals betreffen personelle bzw. betriebliche Maßnahmen schutzwürdige Rechtsgüter der Belegschaft. Es liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand, dass auch das Arbeitsrecht Regelungen zu Prognoseentscheidungen vorsieht. Diese existieren in unterschiedlicher Art und Gestalt in den Teilbereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Während die kündigungsrechtliche Negativprognose in das Gestaltungsrecht der Kündigung eingebettet ist, kommt der befristungsrechtlichen Prognose im Rahmen von § 14 Abs. 1 TzBfG eine sachgrundkonkretisierende Funktion zu. Die betriebsrentenrechtliche Prognoseentscheidung des Arbeitgebers innerhalb von § 16 Abs. 1 BetrAVG ist Teil einer Anpassungsprüfung monetärer Leistungen, die betriebsverfassungsrechtlichen Prognosen aus §§ 92 Abs. 1, 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG sind wiederum Gegenstand von Beteiligungsrechten des Betriebsrats. Allen Prognosen ist dabei gemeinsam, dass der Ersteller eine zukunftsbezogene Entscheidung zu treffen hat, die Risiko- und Wahrscheinlichkeitsannahmen beinhaltet.

II. Teilrechtsgebietsübergreifende Fragestellungen

Ungeachtet der Einbettung der prognostischen Entscheidungen setzen sich Prognosen aus verschiedenen Merkmalen zusammen, die jeweils einer eigenständigen Wirksamkeitskontrolle zugänglich sind. Unterschieden werden muss zwischen dem Bezugspunkt der Prognose, der Tatsachengrundlage der Prognose sowie der Prognosewahrscheinlichkeit. Zudem gibt es regelmäßig einen Prognoseadressaten. Die bislang veröffentlichten Ausarbeitungen zu arbeitsrechtlichen Prognoseentscheidungen behandeln diejenigen Problemstellungen, die mit der Prognose des jeweiligens Teilrechtsgebiets verbunden sind.3 Gemein ist ihnen eine Fokussierung auf die bereichsspezifischen Fragen. Preis und Nicklaus haben sich bereits eingehend mit dem kündigungsrechtlichen Prognoseprinzip auseinandergesetzt,4 Loth hat die Prognose innerhalb der Sachgrundprüfung nach  24←| 25→§ 14 Abs. 1 TzBfG umfassend beleuchtet.5 Ausgeblieben sind bislang allerdings Überlegungen zur Existenz von Prognosemaßstäben, die allgemein und damit teilrechtsgebietsübergreifend Geltung im Arbeitsrecht entfalten. Erste Anstöße hierzu gab es jedoch: Preis stellte in seinem Werk zu den kündigungsrechtlichen Prinzipien im Arbeitsverhältnis fest, dass die mit dem Prognoseerfordernis verbundenen Rechtsprobleme bei allen Kündigungsgründen gleichermaßen in Erscheinung treten und bemängelte vor diesem Hintergrund die uneinheitlichkeit der bis dato entwickelten Lösungsansätze. Bereits aus Gründen der Rechtssicherheit sei eine einheitliche Handhabe des Prognoseprinzips für alle Kündigungsgründe geboten.6 Auch Loth konnte im Befristungsrecht erste einheitliche Bewertungsmaßstäbe für die Prognose herausarbeiten, die für die sachlichen Gründe des Katalogs aus § 14 Abs. 1 S. 2 TzBfG – sofern sie denn eine Prognoseentscheidung notwendig machen – Geltung beanspruchen.7 Die nachstehende Abhandlung greift diese Gedankengänge auf und beansprucht eine Weiterführung des Erkenntnisgewinns, der sich aus den bereichsspezifischen, verdienstvollen Publikationen zu Prognoseproblemstellungen bislang ergeben hat. Gleichzeitig sind auch arbeitsrechtliche Prognoseerfordernisse Gegenstand der Untersuchung, die zum jetzigen Zeitpunkt wenig bis unzureichend Beachtung im wissenschaftlichen Diskurs erhalten. Ziel der bereichsspezifischen Betrachtungen ist es, einen Grundlagenkatalog zu übergreifenden, im Arbeitsrecht allgemein anwendbaren Prognosemaßstäben auszuarbeiten. Dieser soll der systematischen Erfassung des status quo dienen, gleichermaßen bildet er auch einen Ausgangspunkt für die Einordnung künftiger, neu hinzutretender Prognosetatbestände des Arbeitsrechts.

III. Gang der Darstellung und thematische Eingrenzung

Die Annährung an die Fragestellung wird schrittweise erfolgen. Eingangs sollen Überlegungen zur Rechtshistorie arbeitsrechtlicher Prognosen, insbesondere zur Negativprognose im Kündigungsrecht stattfinden (B.). Eine kurze Darstellung des rechtshistorischen Kontexts ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das befristungsrechtliche Prognoseprinzip in seinen Grundzügen aus dem Prognoseerfordernis des § 1 KSchG herausentwickelt hat, geboten. Allgemein gilt zudem: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht  25←| 26→verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“8 Der rechtshistorischen Einordnung folgen Ausführungen zur verfassungs- und einfachgesetzlichen Legitimierung der einzelnen Prognosetatbestände. Diese werden ebenso in ihren jeweiligen makro- und mikroökonomischen Kontext gebracht. Aufbauend auf dieser Grundlage richtet sich der Blick auf das älteste arbeitsrechtliche Prognoseprinzip in Gestalt der kündigungsrechtlichen Negativprognose (C.). Anschließend wird die befristungsrechtliche Prognose als Bestandteil des Sachgrundes im Rahmen von § 14 Abs. 1 TzBfG beleuchtet (D.). In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur zur Mehrfach- bzw. Kettenbefristung liegt dabei ein wesentliches Augenmerk auf dem rechtsdogmatischen Verhältnis zwischen dem Prognoseprinzip und der Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Auch die aktuellen Entwicklungen in der Gesetzgebung müssen dabei berücksichtigt werden: Der Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode sieht eine Beschränkung der Sachgrundbefristung auf eine maximale Gesamtbeschäftigungsdauer von fünf Jahren vor.9 Wird eine Höchstgrenze tatsächlich eingeführt, dürfte der bisherige Lösungsansatz des BAG wohl weitestgehend obsolet werden, ohne dass das Erfordernis einer Beschäftigungsbedarfsprognose gleichzeitig entfiele. Sowohl für die kündigungsrechtliche, als auch befristungsrechtliche Prognose wird vorbereitend für den letzten Abschnitt der Arbeit erörtert, ob und inwieweit Bewertungsgrundsätze existieren, die kündigungs- bzw. sachgrundübergreifend Geltung beanspruchen.

Danach widmet sich die Ausarbeitung der betriebsrentenrechtlichen Prognose aus § 16 Abs. 1 BetrAVG, bei der die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens des Versorgungsschuldners im Mittelpunkt steht (E.). Den Abschluss der teilrechtsgebietsspezifischen Betrachtung bilden die Prognosen des Betriebsverfassungsrechts (F.). Im Einzelnen werden die personalplanungserheblichen Arbeitgeberprognosen, die für das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats nach § 92 Abs. 1 BetrVG von Bedeutung sind, sowie die vom Betriebsrat zu erstellende Prognose innerhalb des Zustimmungsverweigerungsgrundes aus § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG bei personellen Einzelmaßnahmen behandelt. Dies ebnet den Weg für die Abstraktion und Systematisierung bereichsübergreifender, allgemeingültiger Rechtmäßigkeitsanforderungen arbeitsrechtlicher Prognosen (G.). Der Findungsprozess konzentriert sich dabei  26←| 27→auf alle zuvor dargestellten Prognosen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, ohne sich gleichzeitig auf diese zu beschränken. Soweit es für die Substantiierung oder zum besseren Verständnis der abstrahierten Maßstäbe förderlich ist, erfolgen an entsprechender Stelle Exkurse zu Prognosen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, mitunter wird auch Bezug auf prognostische Entscheidungen des Verfassungs- und Strafrechts genommen.

Die Abhandlung beschränkt sich auf (arbeitsrechtliche) Prognosen, also Entscheidungen, die einen Zukunftsbezug aufweisen und mit Risiken bzw. Unwägbarkeiten zwangsläufig verbunden sind. Ausgeklammert werden mithin Hypothesen, denen es an einer Verbindung zur künftigen Entwicklung von Umständen und Ereignissen fehlt. Beispielhaft genannt sei die hypothetische Ermittlung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 2 BetrVG (sog. Lohnausfallprinzip), bei der es sich um eine rückgewandte Betrachtung unter Zugrundelegung alternativer Umstände handelt.10 Die Arbeit umfasst diejenigen Normen des Arbeitsrechts, deren Anwendung stets mit einer Prognoseerstellung einhergehen. Gleichzeitig handelt es sich dabei um die Prognosetatbestände, denen in Rechtsprechung und Literatur am meisten Beachtung zukommt.

 27←| 28→

1 Zu Deutsch: „Der einzig relevante Test der Validität einer Hypothese ist der Vergleich ihrer Voraussagen mit Erfahrungswerten.“

2 Friedman, The Methodology of Positive Economics, in: Essays in Positive Economics, 1966, S. 8 f.

3 Zu nennen sind insbesondere Hohnstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, 1994; Loth, Prognoseprinzip und Vertragskontrolle im befristeten Arbeitsverhältnis, 2015; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 322 ff.; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, 2012; Walden, Änderungskündigung, unternehmerische Entscheidungsfreiheit und Prognoseprinzip, 1993.

4 Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, 2012; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 322 ff.

5 Loth, Prognoseprinzip und Vertragskontrolle im befristeten Arbeitsverhältnis, 2015.

6 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 331 f.

7 Loth, Prognoseprinzip und Vertragskontrolle im befristeten Arbeitsverhältnis, 2015, S. 148 f.

8 In Anlehnung an Helmut Kohl, Bundestagsrede v. 1.6.1995, Plenarprotokoll 13/41 v. 1.6.1995, S. 3183.

9 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 7.2.2018, S. 52, abrufbar unter https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1

10 Zur hypothetischen Betrachtungsweise BAG Urt. v. 8.11.2017 – 5 AZR 11/17, NZA 2018, 528 (531); Urt. v. 25.10.2017 – 7 AZR 731/15, NZA 2018, 538 (541); Urt. v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13, NZA 2015, 1328 (1329); Annuß, NZA 2018, 134 (135), der im Konjunktiv II in der Vergangenheitsform formuliert; grundlegend zur Bestimmung der Betriebsratsvergütung Denzer, Das Betriebsratsamt als Ehrenamt und seine entgeltrechtlichen Folgen, 2020.

B. Rechtshistorie und Legitimierung der arbeitsrechtlichen Prognosen

Um die teilrechtsgebietsspezifischen Ausprägungen der arbeitsrechtlichen Prognoseerfordernisse nachvollziehen zu können, ist eine vorangehende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Legitimation – und insofern auch zwingend mit der Rechtshistorie – des Prognoseprinzips unabdinglich. Die rechtstatsächlichen Dimensionen der einzelnen Prognosetatbestände können zudem nur unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen adäquat erfasst werden. Deshalb bedarf es abseits der Überlegungen zur verfassungs- und einfachgesetzlichen Legitimierung eines jedens Prognoseerfordernisses auch einer Veranschaulichung der makro- und mikroökonomischen Implikationen:

I. Ursprung des Prognosegedankens im Kündigungsrecht

Das Prognoseprinzip fand seinen Einzug in das Arbeitsrecht zuerst im Kündigungsrecht. Diesbezüglich existiert in der Literatur noch Konsens.11 Die erstmalige ausdrückliche Benennung des Prognosegedankens kann allerdings nur schwer zurückverfolgt werden. An welcher Stelle das Prognoseprinzip bzw. dessen Vorgänger seinen Ursprung hat, ist bislang nicht abschließend geklärt worden. Fest steht zumindest, dass das Prinzip der prognostischen Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses maßgeblich von Wilhelm Herschel in seinem Beitrag in der Deutschen Justiz im Jahr 193912 geprägt wurde:

1. Überlegungen zum kollektivistischen Arbeitsverhältnis – Wilhelm Herschel

Herschels Beitrag setzte sich mit den Wirksamkeitsanforderungen der außerordentlichen Kündigung auseinander. Diesbezüglich nahm er eine Parallelwertung zu den §§ 49, 55 des EheG vom 6.7.1938 vor,13 wonach die Ehe bzw. die häusliche Gemeinschaft aufgelöst werden konnten, wenn „die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten  29←| 30→[ist]“. Die Übertragung dieser Wertmaßstäbe auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses war aus Sicht von Herschel gerade deshalb geboten, weil er mit ihnen eine objektive, kollektivgüterbezogene Betrachtungsweise verband: Maßgeblich könne nicht eine subjektivierende, individuelle Betrachtung des künftigen Verlaufs des Arbeitsverhältnisses sein, sondern vielmehr eine objektive, am Maßstab der betrieblichen Gemeinschaft orientierten Prognose.14 Nur wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Betriebsgemeinschaft bzw. der „völkischen“ Gemeinschaft geboten sei, solle sie möglich sein. Subjektive (soziale) Gesichtspunkte spielten für Herschel keine tragende Rolle, da die Sinnhaftigkeit des Arbeitsverhältnisses allein daran gemessen wurde, ob dieses (weiterhin) eine „echte, völkisch nützliche Gemeinschaft“ darstelle.15

Details

Seiten
390
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631815601
ISBN (ePUB)
9783631815618
ISBN (MOBI)
9783631815625
ISBN (Hardcover)
9783631809112
DOI
10.3726/b16677
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Ex-ante Betrachtung Prognosewahrscheinlichkeit § 1 KSchG § 14 TzBfG § 16 BetrAVG § 92 BetrVG § 99 BetrVG Prognose Negativprognose Prognosespielraum
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 390 S.

Biographische Angaben

Yannik Beden (Autor:in)

Yannik Beden studierte Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden sowie an der Univer-sity of San Diego (California). Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit, Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seit 2019 ist er Rechtsreferendar am Landgericht Bonn.

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Titel: Arbeitsrechtliche Prognoseentscheidungen
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