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Urteilswirkungen gegenüber Dritten im US-amerikanischen Recht und deren Anerkennung in Deutschland

von Jana Braksiek (Autor:in) Heinz-Peter Mansel (Band-Herausgeber:in)
©2020 Dissertation 286 Seiten

Zusammenfassung

Spätestens seit den Diskussionen der 1980er Jahre um einen „Justizkonflikt" herrscht gegenüber dem US-amerikanischen Rechtssystem aus deutscher Sicht eine gewisse, unverändert gebliebene Skepsis.
Dieser Skepsis nähert sich die Untersuchung über die Frage der Anerkennungsfähigkeit US-amerikanischer Entscheidungen in Deutschland. Die Verfasserin verknüpft Fragen des Internationalen Zivilprozessrechts mit rechtsvergleichenden Aspekten, indem sie prozessuale Besonderheiten und Urteilswirkungen des US-amerikanischen Rechts darstellt und mit der Untersuchung der Anerkennungsfähigkeit gemäß § 328 ZPO verbindet. Im Einzelnen erfolgt eine Analyse von Urteilswirkungen gegenüber beteiligten und unbeteiligten Dritten sowie einseitige Urteilswirkungen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Vorwort
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltverzeichnis
  • § 1 Einleitung
  • I. Problemaufriss und Gegenstand der Untersuchung
  • II. Gang der Untersuchung
  • 1. Gliederung
  • 2. Begriffliches
  • Erster Teil Ausgangssituation (aus deutscher Sicht)
  • § 2 Bindung Dritter an ein Urteil
  • I. Begriffsbestimmung
  • 1. Wer ist Dritter?
  • a. Deutsches Verständnis
  • b. US-amerikanisches Verständnis
  • c. Zwischenergebnis
  • 2. Was ist eine Urteilswirkung gegenüber Dritten?
  • II. Grundsätzliche Überlegungen zur Rechtfertigung einer Bindung Dritter
  • III. Exkurs: Möglichkeiten gemeinschaftlichen Vorgehens im Zivilprozess
  • 1. Verbandsklagen
  • 2. Einziehungsklage
  • 3. Musterverfahren nach dem KapMuG
  • 4. Zivilprozessuale Musterfeststellungsklage
  • 5. Zwischenergebnis
  • IV. Zusammenfassung
  • § 3 Wirkung der Anerkennung
  • I. Anerkennungstheorien
  • 1. Anerkennungsinteressen
  • a. Staatliche Interessen
  • b. Parteiinteressen
  • c. Interessen anderer Beteiligter
  • 2. Ziel und Grund der Anerkennung
  • 3. Stellungnahme
  • a. Gleichstellungstheorie
  • b. Kumulationstheorie
  • c. Theorie der Wirkungserstreckung
  • II. Verfahren der Anerkennung
  • III. Zwischenergebnis und Ausblick
  • Zweiter Teil Anerkennung US-amerikanischer Urteile im Grundsatz
  • § 4 Rechtskraftkonzeption in den USA
  • I. Wirkungen einer US-amerikanischen Entscheidung
  • 1. Anwendbares Recht
  • 2. Res judicata
  • a. Claim preclusion
  • (1) Voraussetzungen
  • (2) Objektive Grenzen
  • b. Issue preclusion
  • (1) Voraussetzungen
  • (2) Objektive Grenzen
  • c. Sinn und Zweck
  • d. Grundsätzliche Überlegungen zu den subjektiven Grenzen der res judicata
  • (1) Parties und privies sowie nonparties
  • (2) Mutual und non-mutual preclusion
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Grundsätzliche Überlegungen zur Anerkennungsfähigkeit nach § 328 ZPO
  • 1. Voraussetzungen der Anerkennung gemäß § 328 ZPO
  • a. Anwendbarkeit des § 328 ZPO
  • b. Internationale Zuständigkeit (§ 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
  • (1) Problematik des Mehrrechtsstaats
  • (2) Wortlaut des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
  • (3) Funktionelle Betrachtungsweise
  • (4) Stellungnahme
  • c. Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO)
  • (1) Verfahrenseinleitendes Dokument
  • (2) Zustellung
  • (3) Einlassung des Beklagten
  • d. Unvereinbarkeit der Entscheidung (§ 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO)
  • e. Ordre public-Vorbehalt (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO)
  • (1) Verfahrensrechtlicher ordre public
  • (2) Materieller ordre public
  • (3) Zusammenhang mit der unbeschränkten Wirkungserstreckung
  • f. Gegenseitigkeit (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO)
  • 2. Anerkennung der claim preclusion
  • a. Anspruch auf rechtliches Gehör
  • b. Dispositionsmaxime
  • c. Ergebnis
  • 3. Anerkennung der issue preclusion
  • a. Vorgreifliche/ präjudizielle Rechtsverhältnisse
  • b. Rechtskraftwirkung bzgl. entscheidungserheblicher Feststellungen
  • c. Stellungnahme und Ergebnis
  • III. Zusammenfassung
  • Dritter Teil Urteilswirkungen gegenüber Dritten und deren Anerkennung
  • § 5 Bindung beteiligter Dritter
  • I. Intervention
  • 1. Stellung im Prozess und Wirkung
  • 2. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Vereinbarkeit der Wirkungen mit dem ordre public
  • (1) Claim preclusion
  • (2) Issue preclusion
  • (i) Zwischen dem Intervenienten und der Hauptpartei
  • (ii) Zwischen dem Intervenienten und der Gegenpartei
  • b. Prüfung des § 328 ZPO bzgl. der „Hauptentscheidung“?
  • (1) Drittbezogene Prüfung des § 328 ZPO
  • (2) Eingeschränkte drittbezogene Prüfung des § 328 ZPO
  • (3) Prüfung je nach Qualifikation der Wirkung
  • (4) Stellungnahme
  • (5) Zwischenergebnis
  • c. Prüfung des § 328 ZPO bzgl. des Intervenienten
  • (1) Im Fall der claim preclusion
  • (2) Im Fall der issue preclusion
  • d. Ergebnis
  • II. Vouching in
  • 1. Stellung im Prozess und Wirkung
  • 2. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Vereinbarkeit der Wirkung mit dem ordre public
  • b. Wirksames vouching in
  • c. Prüfung des § 328 ZPO bzgl. Hauptparteien
  • d. Prüfung des § 328 ZPO bzgl. vouchee
  • (1) Die Ansicht Wilhelmis
  • (2) Die Ansichten von Milleker und Mansel
  • (3) Die Ansicht Köckerts
  • (4) Stellungnahme
  • e. Ergebnis
  • III. Impleader oder third-party practice
  • 1. Stellung im Prozess und Wirkung
  • 2. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Vereinbarkeit der Wirkungen mit dem ordre public
  • b. Prüfung des § 328 ZPO
  • (1) Drittkläger und Drittbeklagter
  • (2) Issue preclusion bzgl. Feststellungen der Hauptklage
  • c. Ergebnis
  • IV. Joinder
  • 1. Compulsory joinder
  • 2. Permissive joinder
  • 3. Stellung im Prozess und Wirkung
  • 4. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Im Verhältnis zwischen jeweiligem Streitgenossen und Gegenpartei
  • b. Res judicata bzgl. crossclaim
  • c. Co-party preclusion
  • (1) Vereinbarkeit mit dem ordre public
  • (2) Prüfung des § 328 ZPO
  • d. Ergebnis
  • V. Interpleader
  • 1. Stellung im Prozess und Wirkung
  • 2. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Konstellation 1: Schuldner bleibt Partei
  • b. Konstellation 2: Schuldner scheidet aus
  • c. Ergebnis
  • VI. Zusammenfassung
  • 1. Anerkennung von Drittwirkungen
  • 2. Ergebnis für US-amerikanische Formen der Drittbeteiligung
  • 3. Fazit
  • § 6 Bindung unbeteiligter Dritter
  • I. Rechtsgrundlage und Prüfungsmaßstab
  • II. Aktuelle Rechtslage in den USA
  • 1. Vereinbarung bzw. Zustimmung des Dritten
  • 2. Materiellrechtliche Verbundenheit
  • a. Rechtsnachfolge in Vertrag und Eigentum
  • b. Familie
  • c. Organisatorische Zugehörigkeit
  • d. Schadloshaltung (indemnification)
  • e. Weitere Fälle materiellrechtlicher Abhängigkeit
  • 3. (Interessen-)Vertretung
  • 4. Kontrolle fremder Prozessführung
  • 5. Wiederverhandlung durch Vertreter
  • 6. Gesetzliche Anordnung
  • 7. Ungenutzte prozessuale Chance
  • III. Anerkennung entsprechender Urteilswirkungen gegenüber nonparties
  • 1. Vereinbarung bzw. Zustimmung durch den Dritten
  • 2. Materiellrechtliche Verbundenheit
  • a. Rechtsnachfolge
  • b. Familie
  • c. Organisatorische Zugehörigkeit
  • d. Sonstige materiellrechtliche Abhängigkeit
  • 3. (Interessen-)Vertretung
  • 4. Kontrolle fremder Prozessführung
  • 5. Wiederverhandlung durch Vertreter
  • 6. Gesetzliche Anordnung
  • IV. Ergebnis
  • V. Exkurs: Sonderfall der class action
  • 1. Verfahren
  • 2. Stellung im Prozess und Wirkung
  • a. Mandatory class actions
  • b. Opt-out class actions
  • c. Schutzmechanismen im Prozess und Zusammenhang mit res judicata
  • 3. Anerkennungsfähigkeit
  • a. Wirkungen gegenüber den Vertretern
  • b. Wirkungen gegenüber den Mitgliedern der class
  • (1) Mandatory class actions
  • (i) Dispositionsmaxime
  • (ii) Rechtliches Gehör
  • (2) Opt-out class actions
  • (i) Rechtliches Gehör
  • (ii) Dispositionsmaxime
  • c. Wirkungen gegenüber dem Klagegegner
  • d. Anerkennung eines class action settlement?
  • 4. Ergebnis
  • VI. Abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse
  • § 7 Einseitige Drittwirkung (non-mutual preclusion)
  • I. Wirkung
  • 1. Defensive use
  • 2. Offensive use
  • II. Anerkennungsfähigkeit nach § 328 ZPO
  • III. Zwischenergebnis
  • § 8 Ergebnis
  • I. Zusammenfassung
  • 1. Zur Ausgangslage
  • 2. Zur Anwendung des § 328 ZPO
  • 3. Zum subjektiven Umfang der Wirkungserstreckung
  • a. Beteiligte
  • b. Unbeteiligte
  • c. Einseitig
  • II. Schlussbetrachtung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Entscheidungsverzeichnis
  • Reihenübersicht

§ 1 Einleitung

I. Problemaufriss und Gegenstand der Untersuchung

„Es gibt heute praktisch kein größeres und international beachtetes Schadensereignis mehr, das nicht zu Schadensersatzprozessen in den USA führen würde.“1 So lag es etwa auch im Fall des Germanwings-Absturzes im Jahr 2015, nach dem Hinterbliebene versucht hatten, vor einem US-Gericht gegen die US-amerikanische Flugschule des Copiloten zu klagen.2←16 | 17→

Einem solchen Verfahren vor US-amerikanischen Gerichten sehen deutsche Parteien regelmäßig mit Angst entgegen.3 In diesem Zusammenhang ist aus rechtswissenschaftlicher Sicht bereits seit den 1980er Jahren von einem „Justizkonflikt“ die Rede.4 Ausschlaggebend hierfür sind die vermeintlich extremen Unterschiede zwischen deutschem und US-amerikanischem Recht und die Furcht vor einem scheinbaren Missbrauchspotential angesichts exzessiv genutzter Besonderheiten des US-amerikanischen materiellen wie prozessualen Rechts.5

Erstaunlicherweise hat sich bis heute an den Diskussionspunkten der achtziger Jahre kaum etwas verändert.6 Nach wie vor stellt sich deshalb vor allem ←17 | 18→auch die Frage nach den Möglichkeiten einer Anerkennung US-amerikanischer Entscheidungen in Deutschland, zumal das Instrument der Anerkennung aus praktischer Sicht den einzig wirksamen Mechanismus bietet, die Ergebnisse eines solchen – insbesondere eines missbräuchlichen – US-amerikanischen Verfahrens abzuwehren.7

Besonders hart träfe die Anerkennung der Ergebnisse eines US-amerikanischen Verfahrens einen etwaigen Dritten, da er mitunter nicht dieselben prozessualen Möglichkeiten hatte wie die Parteien des Verfahrens. Diese Problematik sorgt schon im Inland für Diskussionsstoff.8 Bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten treten für einen (deutschen) Dritten allerdings zusätzlich noch die Fremdheit des Rechtssystems, die nicht unerhebliche räumliche Entfernung sowie die Sprachbarriere hinzu. All diese Aspekte führen zu einer prinzipiellen Skepsis gegenüber einer Anerkennung US-amerikanischer Urteile im Besonderen und dem US-amerikanischen Rechtssystem im Allgemeinen, deren Berechtigung es in dieser Arbeit näher zu beleuchten gilt.

Dabei waren die Rechtskraftwirkungen US-amerikanischer Urteile in der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand rechtswissenschaftlicher Untersuchung, wobei der Schwerpunkt entweder auf einer möglichst umfassenden Darstellung der Wirkungen einerseits oder auf Problemen der Urteilsanerkennung andererseits lag.9 Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, dies zu kombinieren und legt dabei den Fokus auf den subjektiven Umfang der Urteilswirkungen gegenüber Dritten. Dabei kann das Problem der Anerkennung – nicht zuletzt aufgrund der Wandelbarkeit des ordre public, der sich nach dem Zeitgeist richtet – zu keinem Zeitpunkt abschließend gelöst werden, sodass das Thema auch weiterhin aktuell bleibt.10

←18 | 19→

Bei alledem darf jedoch letztlich nicht außer Acht gelassen werden, dass das US-amerikanische Rechtssystem insbesondere durch eine sehr praktische Ausrichtung und Flexibilität gekennzeichnet ist.11 Dies zeigt sich etwa daran, dass Erwägungen zugunsten des Eintritts von Urteilswirkungen oft prozessökonomische Gründe beinhalten.12 Dementsprechend schwierig ist es, eine umfassende Darstellung aller Einzelheiten der Urteilswirkungen anzubieten.13 Viele Einzelfragen der Wirkungen der res judicata14 sind selbst im US-amerikanischen Recht nicht allseitig geklärt und gehören mitunter zu den kompliziertesten Problemen, die das dortige Prozessrecht kennt.15 Ziel dieser Arbeit ist es daher, ein grundlegendes und möglichst umfassendes Bild der US-amerikanischen Urteilswirkungen gegenüber Dritten im Besonderen sowie ihrer Anerkennung in Deutschland zu erarbeiten, nicht jedoch, die Problematik der subjektiven Grenzen von res judicata in allen Einzelheiten zu erfassen und zu lösen.

II. Gang der Untersuchung

1. Gliederung

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile.

Der erste Teil behandelt die rechtliche Ausgangslage in Deutschland hinsichtlich einer Bindung Dritter zum einen und mit Blick auf die Wirkung einer Anerkennung zum anderen. In einem ersten Abschnitt wird zunächst der Begriff des Dritten sowie einer Urteilswirkung gegenüber Dritten unter Heranziehung der beiden maßgeblichen Rechtsordnungen festgelegt. Daran anschließend werden grundsätzliche Überlegungen zu der Frage angestellt, wie sich eine Bindung Dritter an ein Urteil rechtfertigt. Schließlich wird im Überblick thematisiert, welche Möglichkeiten gemeinschaftlichen Vorgehens sich im deutschen Zivilprozess ergeben. Im zweiten Abschnitt dieses Teils werden sodann die Wirkung und das Verfahren der Anerkennung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenlage untersucht.

←19 | 20→

Der zweite Teil behandelt die Anerkennung eines US-amerikanischen Urteils im Grundsatz. Eingegangen wird zunächst auf die Wirkungen der res judicata, die ein solches Urteil zwischen den Parteien entfaltet. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Darstellung von wesentlichen Voraussetzungen und objektiven Grenzen dieser Wirkungen. Hieran schließen grundlegende Überlegungen zur Anerkennung nach § 328 ZPO an. Der Schlussteil dieses zweiten Teils greift die Ausführungen zur Rechtskraftkonzeption nach US-amerikanischem Recht auf und wendet § 328 ZPO auf diese an.

Darauf aufbauend folgt der dritte Teil, der sich mit der für diese Arbeit maßgeblichen Grundfrage der Urteilswirkungen gegenüber Dritten und deren Anerkennung auseinandersetzt und den Schwerpunkt der Untersuchung bildet. Differenziert wird in diesem Zusammenhang zwischen Bindungswirkungen für beteiligte und unbeteiligte Dritte sowie einseitigen Drittwirkungen. In jedem Abschnitt erfolgt jeweils eine eingehende Darstellung und Analyse von Voraussetzungen und Grenzen einer entsprechenden Wirkung sowie deren Konsequenzen für eine Anerkennung nach § 328 ZPO.

Die Arbeit endet mit einer thesenartigen Zusammenfassung der Ergebnisse und einer eigenen Schlussbetrachtung.

2. Begriffliches

In der nachfolgenden Untersuchung finden sich einige US-amerikanische Termini wieder, die bewusst nicht in deutsche Begrifflichkeiten übersetzt wurden. Dadurch soll verhindert werden, dass einerseits die US-amerikanischen Besonderheiten des jeweiligen Rechtsinstituts im Wege der Übersetzung verloren gehen und der Leser andererseits von vornherein den deutschen Rechtszusammenhang assoziiert. Viele Begrifflichkeiten lassen sich zwar übersetzen, haben aber im jeweiligen Rechtssystem einen anderen Hintergrund. Die Übersetzung in deutsche Begrifflichkeiten soll demnach nicht den Blick darauf verstellen, dass diese in unserem Rechtssystem nicht deckungsgleich sind und regelmäßig andere Wertungen zugrunde liegen.16 So wird beispielsweise bei den Urteilswirkungen absichtlich von claim preclusion und issue preclusion gesprochen, anstatt etwa den deutschen Begriff der Rechtskraft zu verwenden. Der Begriff der (materiellen) Rechtskraft würde nach deutschem Verständnis in diesem Zusammenhang sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht mit zu engen Grenzen verbunden und versperrte damit von vornherein den Blick auf wesentliche Besonderheiten des US-amerikanischen Rechts. Die amerikanische ←20 | 21→Terminologie wurde dementsprechend in den Fällen beibehalten und durch Kursivdruck hervorgehoben, in denen es entscheidend auf spezielle Eigenschaften des jeweiligen Rechtsinstituts ankam.

Zu den wichtigsten, regelmäßig wiederkehrenden Begriffen zählen claim preclusion und issue preclusion als Unterkategorien der (doctrine of) res judicata,17 der Begriff der jurisdiction, welche sowohl die Zuständigkeit der Gerichte einerseits, als auch die unterschiedlichen Rechtssysteme bezeichnet, die dem US-amerikanischen „horizontalen Föderalismus“18 geschuldet sind und schließlich der Begriff „Due Process“ als in den USA verfassungsgemäß verankerte Garantie von Verfahrensrechten wie etwa dem Anspruch auf rechtliches Gehör.19

←21 | 22→←22 | 23→

1 Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709, 713 f.; vgl. auch Schack, in: FS Schlosser, 839.

2 Die Klage wurde (aufgrund eines sog. forum non conveniens) mit der Auflage abgewiesen, den Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht fortzuführen. Im Falle einer Nichtannahme durch ein deutsches Gericht erklärte das US-Gericht eine Wiederaufnahme des Verfahrens in den USA für möglich, Oto v. Airline Training Center Arizona, Inc., 247 F.Supp.3d 1098, 1110 (D. Ariz. 2017); vgl. becklink 2006201. Weitere Beispiele für vergleichbare Schadensersatzprozesse sind etwa Unglücksfälle wie Eschede (1998), Kaprun (2000) oder der Concorde Absturz im Jahr 2000, Schack, in: FS Schlosser, 839. Aber auch Klagen gegen Unternehmen wie Bertelsmann oder Bayer sind hierfür Beleg, vgl. Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709, 711. Zuletzt wurde etwa Bayer im Glyphosat-Streit von einem kalifornischen Gericht auf Schadensersatz von über zwei Millionen Dollar verurteilt, vgl. becklink 2013099.

3 Vgl. Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709; Bernstein, in: FS Ferid, 75.

4 Vgl. etwa Brand, NJW 2012, 1116; Habscheid (Hrsg.), Der Justizkonflikt; Herrmann, Anerkennung US-amerikanischer Urteile, S. 25; Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709; Krätzschmar, in: FS Hay, 241; Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa.

5 Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709, 710; vgl. auch Bernstein, in: FS Ferid, 75, 76 ff.; Schack, in: FS Schlosser, 839 ff.

6 Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709, 710.

7 Prütting, in: FS Jayme, Bd. I, 709, 710 f.; vgl. auch Bernstein, in: FS Ferid, 75, 76; Schack, in: FS Schlosser, 839, 846, 848 f.

8 Vgl. etwa Häsemeyer, ZZP 101 (1988), 385 ff.; Jauernig, ZZP 101 (1988), 361 ff.; Markoulakis, Betroffenheit Dritter; Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 ff.; Schack, NJW 1988, 865 ff.; Schwab, ZZP 77 (1964), 124 ff.; Zeuner, Rechtliches Gehör.

9 Görtz, Subjektive Grenzen, S. 1; vgl. Bernstein, in: FS Ferid, 75 ff.; Engelmann-Pilger, Grenzen der Rechtskraft; Götze, Vouching In und Third Party Practice; Haas, IPRax 2001, 195 ff.; Herrmann, Anerkennung US-amerikanischer Urteile; Koch, ZVglRWiss 85 (1986), 11 ff.; Koshiyama, Rechtskraftwirkungen; Krause, Urteilswirkungen; Mansel, in: Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, 63 ff.; Schütze, Deutsch-amerikanische Urteilsanerkennung; dens., in: FS Geimer, 1025; dens., ZVglRWiss 104 (2005), 427 ff.; Smith, DRiZ 1995, 94 ff.

10 Höffmann, Class Action Settlements, S. 37.

11 Vgl. Currie, 53 Calif. L.Rev. 25, 29 (1965): „But what I failed to recognize was that dedicated judges like Justice Traynor would never accept the easy course of generalization as a substitute for the ideal of justice in the individual case."

12 Dazu Casad/Clermont, Res judicata, S. 15; Cooper, in: 18 Wright/Miller, Fed. Prac. & Proc., Juris., § 4403; Solum, in: 18 Moore’s Federal Practice, Civil, § 131.12; vgl. beispielsweise McLaughlin v. Bradlee, 803 F.2d 1197, 1201 (D.C. Cir. 1986).

13 Vgl. etwa Görtz, Subjektive Grenzen, S. 1 f.

14 Zum Begriff unten, § 1 II. 2. sowie zu Voraussetzungen und Grenzen § 4 I. 2.

15 Vgl. etwa Casad/Clermont, Res judicata, S. 5 f., 115.

16 So auch Höffmann, Class Action Settlements, S. 40; Görtz, Subjektive Grenzen, S. 4 f.

17 Von lat. „res judicata pro veritate accipitur“, übersetzt in etwa „Das Urteil (die entschiedene Sache) wird für die Wahrheit genommen.“ Grundlegend dazu unten, § 4 I. 2. m.w.N.

18 Junker, Legal Culture in the U.S., S. 215.

19 Vgl. Richards v. Jefferson County, 517 U.S. 793, 798 (1996); Martin v. Wilks, 490 U.S. 755, 762 (1989); Solum, in: 18 Moore’s Federal Practice, Civil, § 131.40; Casad/Clermont, Res judicata, S. 165.

§ 2 Bindung Dritter an ein Urteil

I. Begriffsbestimmung

Da sich diese Arbeit im Kern mit Urteilswirkungen gegenüber Dritten befasst, soll vorab dargestellt werden, wer Dritter ist und welche Urteilswirkungen im Grundsatz eine Rolle spielen.

1. Wer ist Dritter?

Es sollen zunächst grundlegende Überlegungen zum Begriff „Dritter“ nach dem Verständnis der beiden zu untersuchenden Rechtsordnungen unternommen werden. Die Rechtsstellung des Dritten im Prozess und deren Bedeutung wird dann im weiteren Verlauf der Arbeit noch einmal am jeweiligen Einzelfall im Rahmen der Anerkennungsfähigkeit der konkreten Drittwirkung dargestellt und mit den hier erlangten grundsätzlichen Erkenntnissen verglichen.

a. Deutsches Verständnis

Da es um Urteilswirkungen gegenüber Dritten gehen soll, ist für die Begriffsbestimmung auf die Perspektive nach Beendigung des Prozesses abzustellen. Die den Prozess beendigende Entscheidung wirkt grundsätzlich nur inter partes, d.h. zwischen den am Rechtsstreit beteiligten Parteien.20

In Deutschland gilt dabei ein strenges Zweiparteienprinzip.21 Es können sich danach immer nur zwei Parteien im Prozess selbstständig gegenüberstehen.22 Nach dem heute herrschenden formellen Parteibegriff ist Partei, von wem oder gegen wen Rechtsschutz begehrt wird.23 Die Parteien sind folglich formell an dem Prozess beteiligt und erstreiten ein sie betreffendes Urteil. Auf die Rechtsverhältnisse eines Dritten kann das Urteil dagegen grundsätzlich nur unter besonderen Umständen und nur kraft besonderer Anordnung des Gesetzes Einfluss haben.24

Details

Seiten
286
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631823729
ISBN (ePUB)
9783631823736
ISBN (MOBI)
9783631823743
ISBN (Hardcover)
9783631814819
DOI
10.3726/b16906
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (April)
Schlagworte
US-amerikanische Urteilswirkungen Anerkennungsfähigkeit Drittbeteiligung nonparties non-mutual preclusion
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 286 S.

Biographische Angaben

Jana Braksiek (Autor:in) Heinz-Peter Mansel (Band-Herausgeber:in)

Jana Rita Braksiek studierte Rechtswissenschaften in Köln und Peking. Anschließend war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Großen Examens- und Klausurenkurs sowie als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Verfahrensrecht der Universität zu Köln tätig. In dieser Zeit erfolgte ihre Promotion an der Universität zu Köln mit einem Forschungsaufenthalt an der Berkeley School of Law in Kalifornien.

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