Masseverwaltung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens am Beispiel der Nachtragsverteilung
Eine kritische Untersuchung
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Teil 1. Einführung
- A. Anlass der Untersuchung
- B. Kurzer Überblick zum Sinn und Zweck der Nachtragsverteilung
- Teil 2. Allgemeine Wirkungen der Verfahrensaufhebung auf die Befugnisse des Verwalters
- A. Rückfall der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner
- B. Wirkung der Verfahrensaufhebung auf anhängige Prozesse
- C. Zeitpunkt des Eintritts der Aufhebungswirkungen
- I. Vorinstanz: LG Dortmund, Beschl. v. 20.11.2007 – 9 T 222/07
- II. BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 229/07
- III. Stellungnahme
- Teil 3. Einleitung der Nachtragsverteilung
- A. Antragsbefugnis und Formalien
- B. Anordnung von Amts wegen
- C. Ermessen des Gerichts?
- Teil 4. Voraussetzungen der Anordnung
- A. Zeitliche Voraussetzungen
- I. Frühestmögliche Anordnung und Durchführung der Nachtragsverteilung
- 1. Notwendigkeit der Nachtragsverteilung für alle Massezuflüsse nach Beendigung des Schlusstermins? – BGH, Beschl. v. 19.12.2013 – IX ZB 9/12
- a) Darstellung des Meinungsstandes
- b) Stellungnahme
- 2. Abwarten der Schlussverteilung?
- II. Negative zeitbezogene Voraussetzungen?
- 1. Heranziehung der §§ 578 ff. ZPO?
- a) Antragsfrist?
- b) Höchstfrist i.S.d. § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO?
- 2. Höchstfrist wegen Verjährung der Gläubigeransprüche?
- III. Zusammenfassung
- B. Massezufluss
- I. Zurückbehaltene Beträge gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1 InsO
- 1. Hinterlegte Beträge nach § 198 InsO
- a) Insolvenzrechtliche und bürgerlich-rechtliche Hinterlegung
- b) Amtliche Hinterlegungsstelle oder „Hinterlegung“ auf Sonderanderkonten?
- 2. Der Nachtragsverteilung vorbehaltene Vermögensgegenstände
- a) Vorbehaltsbefugnis und Ausgestaltung des Vorbehalts
- b) Zulässigkeit des Vorbehalts vs. vollständige Verwertung der Masse
- II. Zurückfließende Beträge gem. § 203 Abs. 1 Nr. 2 InsO
- III. Nachträglich ermittelte Gegenstände gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO
- 1. In tatsächlicher Hinsicht
- 2. In rechtlicher Hinsicht
- a) Herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur
- b) Kritische Stimmen
- c) Stellungnahme
- 3. Anfechtungsansprüche
- a) Unkenntnis des Verwalters als Voraussetzung für die Nachtragsverteilung?
- b) Prüfungspflicht des Insolvenzgerichts: BGH, Beschl. v. 11.2.2010 – IX ZB 105/09
- 4. Schadensersatzansprüche gegen den vormaligen Verwalter
- IV. Ausgewählte Beispielsfälle aus der Rechtsprechung
- 1. (Masse-) Verfügungen des Schuldners nach Verfahrensaufhebung
- a) BGH, Beschl. v. 26.1.2012 – IX ZB 111/10
- b) Rechtliche Würdigung
- c) Dingliche Surrogation?
- aa) Begriff sowie allgemeiner Sinn und Zweck einer dinglichen Surrogation
- bb) Analoge Anwendung von Surrogationsvorschriften auf den vorliegenden Fall?
- cc) Suche nach einer analogiefähigen Norm
- dd) Anwendung des gefundenen Ergebnisses auf den konkreten Fall
- d) Zusammenfassung
- e) Nachtragsgegenstand und Bestimmtheitserfordernis
- f) Beschlagnahmewirkung und Vollstreckung
- g) Weitere Gegenwerte als Nachtragsgegenstand?
- 2. Pflichtteilsansprüche vor vertraglicher Anerkennung oder Rechtshängigkeit
- a) LG Göttingen, Beschl. v. 26.10.2009 – 10 T 86/09
- b) BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 184/09
- c) Rechtliche Würdigung
- 3. Notwendigkeit der Nachtragsverteilung bei Steuererstattungsansprüchen während der Wohlverhaltensphase? – BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04
- 4. Nachtragsverteilung bezüglich freigegebener Gegenstände? – LG Dortmund, Beschl. v. 21.6.2010 – 9 T 212/10 und BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZA 5/14
- C. Absehen von der Anordnung oder Anforderung eines Kostenvorschusses
- I. Geringfügige Beträge, § 203 Abs. 3 S. 1 InsO
- 1. Objektives Missverhältnis
- 2. Objektives Missverhältnis aufgrund Wertlosigkeit des Gegenstandes – BGH, Beschl. v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06
- 3. Rechtsfolgen eines objektiven Missverhältnisses
- II. Anforderung eines Kostenvorschusses, § 203 Abs. 3 S. 2 InsO
- Teil 5. Anordnung des Verfahrens
- A. Erforderlichkeit der Anordnung
- B. Prüfungspflicht des Gerichts – BGH, Beschl. v. 20.06.2013 – IX ZB 10/13
- C. Der Anordnungsbeschluss: Inhalt und Bestimmtheitsgrundsatz
- D. Zuständiges Gericht
- I. Sachliche Zuständigkeit
- II. Örtliche Zuständigkeit
- III. Funktionelle Zuständigkeit
- E. Zustellungen und darüber hinaus auch öffentliche Bekanntmachung?
- F. Eintragung der Anordnung im Grundbuch
- G. Rechtsmittel
- H. Wirkung der Anordnung auf den Lauf der Verjährung
- Teil 6. Insolvenzbeschlag und Befugnisse des Verwalters
- A. Fortdauernder Insolvenzbeschlag
- I. Genügt allein ein Nachtragsvorbehalt zur Aufrechterhaltung der Beschlagnahme? – BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11
- II. Zusätzliche Anforderungen bei einem Vorbehalt der Gläubigerversammlung?
- III. Rechtsfolgen des fortdauernden Insolvenzbeschlags
- 1. Auswirkungen für Schuldner, Gläubiger und Dritte
- 2. Verwaltungs- und Prozessführungsbefugnisse des Verwalters
- B. Erneute Insolvenzbeschlagnahme
- I. Zurückfließende Beträge, § 203 Abs. 1 Nr. 2 InsO
- II. Nachträglich ermittelte Gegenstände, § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO
- III. Zeitpunkt der Beschlagnahme
- IV. Verwaltungs- und Prozessführungsbefugnisse des Verwalters
- C. Ende des Insolvenzbeschlags
- D. Zusammenfassung
- Teil 7. Vollzug der Nachtragsverteilung
- A. Beginn der Verwertung und Verteilung
- B. Durchführung der Nachtragsverteilung
- I. Zustimmung der Gläubigerorgane?
- II. Ermittlung und Verwertung der Masse
- III. Verteilung der Nachtragsmasse
- C. Beendigung der Nachtragsverteilung und Rechnungslegung
- D. Haftung des Insolvenzverwalters
- Teil 8. Nachtragsverteilung bei Verfahrenseinstellung
- A. Nachtragsverteilung bei Einstellung gem. §§ 212, 213 InsO?
- B. Nachtragsverteilung bei Einstellung gem. § 211 Abs. 1 InsO
- I. Die Regelung des § 211 Abs. 3 InsO
- II. Nachtragsverteilung bei zurückbehaltenen und zurückfließenden Beträgen?
- 1. Darstellung des Meinungsstandes
- 2. Stellungnahme
- a) Anwendbarkeit des § 203 Abs. 1 Nr. 1 InsO
- b) Anwendbarkeit des § 203 Abs. 1 Nr. 2 InsO
- c) Ergebnis
- III. Einleitung der Nachtragsverteilung im masseunzulänglichen Verfahren
- IV. Absehen von der Anordnung, Rechtsmittel und Insolvenzbeschlag
- V. Durchführung der Nachtragsverteilung im masseunzulänglichen Verfahren
- 1. Grundlage für die Verteilung an die Massegläubiger
- 2. Überschuss bei der Verteilung
- C. Nachtragsverteilung bei Einstellung gem. § 207 Abs. 1 S. 1 InsO
- I. Anordnung der Nachtragsverteilung im massearmen Verfahren?
- 1. Befürwortende Ansicht
- 2. Ablehnende Ansicht
- 3. Differenzierende Ansicht
- 4. BGH, Beschl. v. 10.10.2013 – IX ZB 40/13
- 5. Stellungnahme
- II. Anwendungsbereich
- III. Einleitung der Nachtragsverteilung im massearmen Verfahren
- IV. Durchführung der Nachtragsverteilung im massearmen Verfahren
- D. Zusammenfassung
- Teil 9. Nachtragsverteilung außerhalb des Regelverfahrens
- A. Verbraucherinsolvenzverfahren
- B. Restschuldbefreiungsverfahren
- I. Nachtragsverteilung nach Ankündigung der Restschuldbefreiung
- II. Nachtragsverteilung auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung?
- 1. BGH, Beschl. v. 10.7.2008 – IX ZB 172/07
- 2. LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 2.9.2011 – 1 T 193/11
- 3. Literaturansichten
- 4. Stellungnahme
- III. Nachtragsverteilung bzgl. abgetretenem Vermögenswert gem. § 287 Abs. 2 InsO bei Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung?
- C. Eigenverwaltung
- I. Zuständigkeit für die Durchführung der Nachtragsverteilung
- II. Antrags- und Beschwerderecht
- D. Insolvenzplanverfahren
- I. Ablehnende Ansicht
- 1. OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2006 – 4 U 166/06
- 2. Entscheidungen des BGH
- 3. Überwiegende Literaturansicht
- II. Befürwortende Ansicht
- 1. Nachtragsverteilung möglich, sofern Regelungen im Plan enthalten sind
- 2. Nachtragsverteilung nur in den Fällen der § 203 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 InsO
- III. Stellungnahme
- Teil 10. Vergütung des Verwalters
- A. Voraussetzungen für die gesonderte Vergütung
- I. Tatsächlicher Vollzug der Nachtragsverteilung; nachträglicher Massezufluss
- 1. BGH, Beschl. v. 6.10.2011 – IX ZB 12/11
- 2. Rechtliche Auseinandersetzung
- a) Fortschreibung der bisherigen Teilungsmasse oder gesonderte Vergütungsfestsetzung nach § 6 Abs. 1 InsVV?
- b) Vergütungsfestsetzung ohne Tätigwerden und Verteilung?
- c) Zusammenfassung
- II. Nichteingreifen der Ausschlussgründe gem. § 6 Abs. 1 S. 2 InsVV
- 1. Voraussehbarkeit
- 2. Berücksichtigung bei der Vergütung für das Insolvenzverfahren
- B. Berechnungsgrundlage für die Vergütung
- C. Höhe der Vergütung
- I. Herrschende Ansicht im Schrifttum
- II. Ansicht des BGH und Teile des Schrifttums
- III. Stellungnahme
- IV. Anwendbarkeit des § 5 InsVV
- D. Auslagenerstattung und Umsatzsteuer
- E. Fälligkeit, Vergütungsantrag und Festsetzung der Vergütung
- F. Vergütung für die Nachtragsverteilung im Verbraucherverfahren und während des Restschuldbefreiungsverfahrens
- G. Vergütung des Sachwalters bei der Eigenverwaltung
- Teil 11. Insolvenzantrag vs. Nachtragsverteilung
- A. Neuer Insolvenzantrag neben bereits angeordneter Nachtragsverteilung?
- I. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 151/09
- II. Rechtliche Würdigung
- B. Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens – Auswirkungen auf den Antrag auf Anordnung der Nachtragsverteilung und Vorrangstellung der „Altgläubiger“?
- Teil 12. Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
- Entscheidungsregister
Das Insolvenzverfahren findet mit dem Schlusstermin und der unmittelbar darauf folgenden Schlussverteilung in der Regel seinen endgültigen Abschluss.1 Nicht selten kommt es jedoch vor, dass die Insolvenzmasse mit der Schlussverteilung noch nicht endgültig verwertet und verteilt wurde.2 In diesen Fällen ist trotz förmlicher Aufhebung des Insolvenzverfahrens vielfach ein weiterer Handlungsbedarf des Insolvenzverwalters notwendig, um auch nachträglich eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten.3 Da der Verwalter seine Massebefugnisse jedoch im Allgemeinen mit Verfahrensaufhebung verliert, musste der Gesetzgeber spezielle Vorschriften schaffen, damit der Verwalter auch über die Verfahrensaufhebung hinaus bzw. ohne Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens weitere Masseverwaltungsaufgaben übernehmen kann. Das Gesetz sieht für den Fall eines Regelinsolvenzverfahrens hier die sog. Nachtragsverteilung (§§ 203 ff. InsO) vor.4 Dieses Rechtsinstitut ermöglicht dem Verwalter in einer bestimmten Weise und in einem bestimmten Umfang die „Insolvenzmasse“ auch noch nach Verfahrensaufhebung zu verwalten und zu verwerten.
In der Praxis kann eine solche Nachtragsverteilung nicht nur bei einem vorangegangenen Insolvenzverfahren über das Vermögen von natürlichen Personen, sondern auch bei Gesellschaften relevant werden. Daher ist bereits an dieser Stelle hervorzuheben, dass es bei der Frage der Zulässigkeit einer Nachtragsverteilung gleichgültig ist, ob der Schuldner, da natürliche Person, noch existiert, oder aber infolge des Insolvenzverfahrens aufgehoben ist. Die Nachtragsverteilung knüpft nämlich an den Vermögensbestand vor dem Ende der Liquidation an und zu dieser Zeit ist der Schuldner zumindest noch als in Liquidation befindlich existent. Für die Nachtragsverteilung als Verlängerung der Liquidation ist daher zumindest noch eine Restexistenz anzunehmen, sodass ein Unterlassen der ← 21 | 22 → Liquidation wegen vermeintlich schon endgültigen Untergangs nicht in Betracht kommt.5 Die Bedeutung der Nachtragsverteilung wird auch daran deutlich, dass eine solche der Bestellung eines Nachtragsliquidators nach § 273 Abs. 4 AktG vorgeht6. Von vornherein undenkbar ist eine Nachtragsverteilung dagegen im Falle einer übertragenden Sanierung im Regelinsolvenzverfahren nach den §§ 160 ff. InsO.7 Bei einer übertragenden Sanierung wird nämlich das Unternehmen von dem Unternehmensträger getrennt und es werden alle Aktiva auf den, zumeist neu gegründeten, Rechtsträger im Wege des sog. asset-deals übertragen. Die Verbindlichkeiten verbleiben dagegen bei dem Insolvenzschuldner und die Befriedigung der Gläubiger erfolgt sodann aus dem Kaufpreis.8 Da es folglich keine Vermögenswerte gibt, die nachträglich an die Gläubiger verteilt werden können, scheidet eine spätere Nachtragsverteilung in diesen Fällen denknotwendig aus.
Die Regelungen der Nachtragsverteilung sind im Vergleich zur Konkursordnung keine wesentliche Neuerung. Auch die Konkursordnung sah in § 166 KO9 die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung vor. Die Vorschrift des § 203 InsO entspricht hierbei weitgehend dem früheren § 166 KO. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs wurde § 166 KO in redaktionell geänderter Fassung ← 22 | 23 → übernommen.10 Die damals allein in § 166 KO normierte Nachtragsverteilung findet sich heute in erweiterter Fassung in den §§ 203 – 205 InsO wieder.
Da die Nachtragsverteilung keine Neuerung der InsO ist, mag es verwundern, warum sich dieser Thematik überhaupt in diesem Umfang gewidmet wird. Die Antwort auf diese Frage fällt leicht: Zum einen wurde die Nachtragsverteilung in der bisherigen Literatur nur vereinzelt und nur hinsichtlich separater Themenkomplexe behandelt.11 Zum anderen wird bereits durch einen kurzen Blick auf die Fülle der (teilweise kontrovers kommentierten) Entscheidungen der Gerichte aus den vergangenen Jahren sowie aufgrund sich widersprechender Entscheidungen und Kommentierungen schnell deutlich, dass dieses Rechtsinstitut alles andere als eindeutig oder leicht zu handhaben zu sein scheint. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Nachtragsverteilung nicht abschließend im Gesetz geregelt, sondern nur angedeutet und somit dem Richterrecht überlassen wurde.12 Ein weiterer Anlass dieser Untersuchung ist dem Umstand geschuldet, dass in der Literatur stellenweise frühere Ansichten und Entscheidungen zur KO in die InsO übertragen wurden, obwohl sich gerade durch die gesamte Reformierung des Konkursrechts wesentliche Unterschiede zum damaligen Recht ergeben sollten. Teilweise wurden auch aus damaligen BGH-Entscheidungen zur KO missverständliche bzw. ungenaue Rückschlüsse auf die heutige Rechtslage gezogen. Dies betrifft insbesondere die Frage, wann und wodurch der Verwalter trotz Verfahrensaufhebung weiterhin befugt ist, einen anhängigen Masserechtsstreit fortzuführen.
Diese Arbeit versteht sich mithin nicht nur als eine umfassende Darstellung aller relevanten Themenkomplexe i.R.d. Nachtragsverteilung unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung, sondern auch als Berichtigung von einzelnen Missverständnissen bzw. Ungenauigkeiten in der Literatur.
B. Kurzer Überblick zum Sinn und Zweck der Nachtragsverteilung
Da im Rahmen dieser Arbeit mehrfach auf den Sinn und Zweck der Nachtragsverteilung zurückgegriffen wird, soll dieser zur Schaffung einer einheitlichen Ausgangsbasis vorab kurz dargestellt werden. ← 23 | 24 →
Eingangs wurde bereits erwähnt, dass trotz förmlichen Verfahrensabschlusses oftmals ein Interesse an weiteren Verwaltungs- und Verwertungshandlungen durch den Insolvenzverwalter besteht, sofern die Insolvenzmasse noch nicht vollständig verwertet und verteilt wurde. Die Nachtragsverteilung nach den §§ 203 ff. InsO13 ermöglicht hier die nachträgliche Verteilung von Massevermögenswerten, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bei der Verteilung nicht berücksichtigt werden konnten.14 Hierdurch soll verhindert werden, dass diese Vermögenswerte von dem insolvenzmäßigen Verteilungsschlüssel ausgeschlossen werden und (endgültig) dem Schuldner zufließen.15 Damit verfolgt die Nachtragsverteilung gewissermaßen einen anderen Zweck als das Insolvenzverfahren, denn das Insolvenzverfahren dient nach § 1 InsO nicht nur einer gemeinschaftlichen (und bestmöglichen) Gläubigerbefriedigung, sondern auch dem Schuldner, beispielsweise durch Sanierung seines Unternehmens mittels eines Insolvenzplans oder auch durch die Möglichkeit der Restschuldbefreiung.16 Dies ist bei der Nachtragsverteilung anders, da sie nach ihrer gesetzlichen Konzeption einzig und allein der Gewährleistung einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger selbst nach förmlicher Verfahrensaufhebung dient. Sanierungsziele oder auch Entschuldungsmöglichkeiten für den Schuldner spielen in diesem Verfahrensabschnitt keine Rolle mehr. Der Sinn und Zweck der Nachtragsverteilung besteht somit ausschließlich darin, eine Befriedigung der Insolvenzgläubiger auch noch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten, sofern später Gegenstände oder Beträge, die der Masse zuzuordnen sind, frei bzw. ermittelt werden.17 Diese Werte sollen im Sinne einer Gesamtabwicklung des Vermögensträgers nachträglich an die Gläubiger ausgeschüttet werden18 und ← 24 | 25 → werden daher in dem besonderen Verfahren der Nachtragsverteilung an die Insolvenzgläubiger verteilt19.
Ob man der Nachtragsverteilung daneben auch verfahrensökonomische Zwecke in dem Sinne beimessen kann, dass mit ihrer Hilfe mitunter nicht mit einer vollständigen Verwertung der Insolvenzmasse nach § 196 InsO bis zur Verfahrensaufhebung zugewartet werden muss, sondern das Verfahren bereits vorher unter gleichzeitigem Vorbehalt der Nachtragsverteilung aufgehoben werden kann, wird unterschiedlich beurteilt und daher in einem gesonderten Abschnitt20 näher untersucht. Dennoch soll bereits an dieser Stelle die These aufgestellt werden, dass es aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber mit den §§ 203 ff. InsO überhaupt eine nachträgliche Befriedigung der Gläubiger geregelt hat, zumindest naheliegend erscheint, bisweilen nicht mit einer vollständigen Masseverwertung zuwarten zu müssen, um die Schlussverteilung durchzuführen und im Anschluss daran das Verfahren aufzuheben. ← 25 | 26 →
1 Graf-Schlicker/Castrup, InsO, 3. Aufl., § 203 Rn. 1.
2 Gottwald/Eickmann, § 65 Rn. 49; Bohnenberg, KuT 1936, 99.
3 Natürlich können die Gläubiger auf diese Vermögenswerte auch im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zugreifen, § 201 InsO. Die Nachtragsverteilung ermöglicht aber eine gleichmäße Gläubigerbefriedigung i.S.d. § 1 InsO auch noch über Verfahrensaufhebung hinaus.
4 Für das Insolvenzplanverfahren sehen die §§ 259 ff. InsO teilweise ebenfalls Masseverwaltungsbefugnisse des Verwalters nach Verfahrensaufhebung vor. Dies ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. An entscheidungsrelevanten Punkten werden jedoch Vergleiche mit §§ 259 ff. InsO angestellt.
5 Becker, Rn. 1517. Eine endgültige Löschung der Gesellschaft erfolgt nach § 394 Abs. 1 S. 2 FamFG erst, wenn die Masse restlos verteilt wurde und kein Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist. Die Gesellschaft gilt nicht als vollbeendet, sofern sie noch Vermögen hat, vgl. RG, Urt. v. 21.1.1918 – Rep. VI 339/17, RGZ 92, 77, 84; BGH, Urt. v. 29.9.1967 – VI ZR 40/66, BGHZ 48, 303, 307; BGH, Beschl. v. 16.12.2004 – IX ZB 6/04, NZI 2005, 225; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 3 Rn. 25. Die Gesellschaft ist somit in Fällen der Nachtragsverteilung pauschal gesagt nie als vollbeendet zu betrachten, da es hier immer um nachträglich zu verteilendes Gesellschaftsvermögen geht und die Gesellschaft noch parteifähig ist, sofern noch Vermögen vorhanden ist. Die Löschung der Gesellschaft im Handelsregister steht der Anordnung der Nachtragsverteilung somit nicht entgegen, BGH, Beschl. v. 16.1.2014 – IX ZB 122/12, ZInsO 2014, 340.
6 OLG Hamm, Beschl. v. 5.5.2011 – I-15 W 469/10, ZInsO 2011, 1699, 1701 m.w.N.
7 Eine übertragende Sanierung ist nicht nur mittels Insolvenzplans nach §§ 217 ff InsO, sondern auch i.R.d. Regelverfahrens nach §§ 160 ff. InsO möglich, vgl. Wellensiek, NZI 2002, 233, 237.
8 Wellensiek, NZI 2002, 233, 234.
9 Die Vorschrift des § 166 Abs. 1 2. Alt. KO fand nach einhelliger Ansicht auch im Gesamtvollstreckungsverfahren über § 12 Abs. 3 GesO Anwendung, vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2011 – IX ZB 268/08, NZI 2011, 263, 264 Rn. 9 und 11 m.w.N., m. Anm. Smid, jurisPR-InsR 1/2012 Anm. 3.
10 Begr. zu § 231, § 232 und § 233 RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 187.
11 Die einzige umfassendere Monographie stammt aus dem Jahre 1926 und hat noch die Regelungen zur KO zum Gegenstand, vgl. Wachtel, Lothar, Die Nachtragsverteilung im Konkurs, 1926.
12 Ob dies an der geringen praktischen Relevanz dieses Rechtsinstituts in der Vergangenheit liegt, so: Zimmer, KTS 2009, 199, kann dahingestellt bleiben.
13 Für Genossenschaften und für den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit finden sich spezielle Regelungen in § 115 GenG und § 52 Abs. 2 S. 2 VAG. Auf die Besonderheiten einer Nachtragsverteilung bei Genossenschaften und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen. Vgl. dazu die Ausführungen bei: KPB/Holzer, InsO, § 203 Rn. 32 ff.; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 203 Rn. 29; NR/Westphal, InsO, §§ 203, 204 Rn. 22.
14 Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rn. 2; Braun/Kießner, InsO, § 203 Rn. 1.
15 Braun/Uhlenbruck, S. 415.
Details
- Seiten
- 402
- Erscheinungsjahr
- 2015
- ISBN (PDF)
- 9783653045147
- ISBN (MOBI)
- 9783653983357
- ISBN (ePUB)
- 9783653983364
- ISBN (Paperback)
- 9783631653333
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04514-7
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (August)
- Schlagworte
- Verfahrensaufhebung Restschuldbefreiungsverfahren Regelinsolvenzverfahren Verfahrenseinstellung
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 402 S.
- Produktsicherheit
- Peter Lang Group AG