Geschlechtersemantiken und «Passing» be- und hinterfragen
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort der Herausgeber*innen
- Persönliches: Spoken Word
- Fem_me (Emy Fem)
- Erster Teil: Theoretische Auseinandersetzungen
- Un_mögliches Passing? Das Nadelöhr der Norm (Marek Höhne)
- Die Schubladen implodieren: Ein paar Gedanken zu Female Masculinities im Kontext möglicher Entwicklungen der Gender Studies (Samanta Gorzelniak)
- Queere progressive Männlichkeiten – Von der Hegemonie zur Vielfalt (Muriel Aichberger)
- She (never) lost control again. Zur Brüchigkeit weiblicher Subjektwerdung unter neoliberalen Vorzeichen – Eine Skizze (Constanze Stutz)
- Persönliches: Tagebuch
- Experiment Bart (Mariam Dadgar)
- Zweiter Teil: Fallbeispiele und Analysen
- Ältere Trans*Frauen, junge Trans*Männer? Welchen Einfluss haben Erwartungserwartungen und Passing auf den Beginn der Transformation? Eine Studie (Alexander Naß)
- Ein Scheitern an der romantischen Liebe? – Homosexuelle Paare erzählen (Mareike Fritz)
- Schwangerschaft als körperbasierter Raum geschlechterübergreifender Erfahrungen (Helga Krüger-Kirn)
- Integration des Chaos – Marilyn Manson, Männlichkeit, Lust und Scheitern (Patsy l’Amour laLove)
- Zu den Autor*innen
- Reihenübersicht
Seit 2007 finden jährlich im Rahmen der Gender-Kritik-Reihe des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung (FraGes) der Universität Leipzig Vorträge, Lesungen und Workshops statt, die sich mit der geschlechtlichen und sexuellen Gewordenheit und Vielfalt der Menschen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Anliegen und Ziel dieser interdisziplinären und öffentlichen Thematisierung von Genderspezifiken ist die Sichtbarmachung dieser randständigen Themen sowie die Einladung, Geschlechtertheorien weiterzudenken und diese fortführend in den Wissenschaften und ihren Diskursen zu verankern. 2014 führte FraGes in diesem Kontext zwei interdisziplinäre Tagungen durch: Vom Umgang mit der Norm: Passing_Scheitern_Leben for all gender und Kritische Männlichkeitsforschung. Unser Ansinnen war es, mit Vertreter*innen sowohl akademischer als auch nicht-wissenschaftlicher Herkunft bestehende Vorstellungen von Geschlecht, Geschlechterrollen und -stereotypen und damit verbundene heteronormative Konzepte von Körper, Identität und Normalität kritisch-kreativ zu betrachten und emanzipatorische Konzeptionen zum Abbau einer starren Gender-Bias zu diskutieren. In der Tradition der Veranstaltungsformate sollten des Weiteren zivilgesellschaftliche und akademische Vertreter*innen zu einem konstruktiven Austausch miteinander angeregt werden, um so Differenzen aber auch Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen und in produktiven Streit miteinander zu treten.
Die im Zuge der transdisziplinären Veranstaltungsreihe „Gender-Kritik“ veranstaltete Tagung Vom Umgang mit der Norm: Passing_Scheitern_Leben for all gender beschäftigte sich mit kontroversen Fragen nach Körpernormen, Schönheitsidealen und Geschlechterrollen. Übergeordneter Anspruch war es, nach einem konzeptuell gedachten, kritischen und gleichsam affirmativen Scheitern zu fragen, das sowohl trans* als auch cis-Personen betrifft und es nach seinen (Un)Möglichkeiten, Chancen und Hindernissen zu befragen. Passing – also das Durchgehen als etwas – wird meist gedacht in Bezug auf Personen, die in bestimmten Aspekten ihrer sozialen Identität nicht erkannt oder dahingehend ‚gelesen‘ werden (wollen) und dadurch aus den damit verbundenen Kategorisierungen, Erwartungen, Stigmatisierungen und Valorisierungen herausfallen. ‚Erfolgreiches‘ Passing verspricht den Erhalt von Privilegierungen dessen, als das man erkannt bzw. gelesen wird oder werden möchte. Klassischerweise denkt man hierbei an das Passing trans*geschlechtlicher Personen innerhalb des Geschlechts, mit dem sie sich identifizieren. Vor dem Hintergrund der omnipräsenten Zweigeschlechterordnung birgt Passing dabei Vorstellungen vom vermeintlich Anderen und regt ← 7 | 8 → gleichzeitig zur kritischen Reflexion der Rahmenbedingungen des ebenfalls vermeintlich wahren Eigenen an. In Erweiterung dieser mit gender verbundenen Konzeptualisierung von Passing wollten wir es als Phänomen zur Diskussion stellen, das alle Menschen gleichsam betrifft. Neben dem Andenken von Möglichkeiten, die ein erfolgreiches oder -loses „Durchgehen“ als Cis-Person betreffen, wollten wir unter der Gedankenbrücke „subversive Strategien versus Lebensrealität“ dem Aspekt nachgehen, ob und wie zwischen Menschen, die sich kritisch-strategisch dem Passing verweigern, für die Passing eine Überlebensstrategie, Selbstverwirklichung oder ein freudvolles Spiel ist, konstruktive Heterogenität bzw. heterogene Konstruktivität herrschen kann. In Bezug auf die Auseinandersetzung mit Normalitätsvorstellungen konnten wir vorerst resümieren, dass im Nachdenken über Passing zweierlei vorherrscht: das Begehren, ästhetisch-tradierte Körper- und etablierte binäre Rollenvorstellungen zu dekonstruieren sowie Deutungshoheit und Handlungsweisen von Institutionen kritisch zu hinterfragen wie auch das Bestreben nach der Sicherheit des gegenwärtigen Zweigeschlechtersystems und seiner Halt, Stabilität und Orientierung bietenden Kategorien.
Anlässlich des Internationalen Männertages am 19. November veranstalteten wir die Tagung Kritische Männlichkeitsforschung mit Vertreter*innen unterschiedlichster disziplinärer Herkunft, die bestehende Konstruktionen, Zuschreibungen und Verkörperungen von Männlichkeit(en) und damit verbundene normative Konzepte von Identität und Habitus vorstellten. Die häufig unreflektierte Annahme einer „Krise der Männlichkeit“ und die damit als Gefährdung wahrgenommene Umwälzung der Geschlechterverhältnisse in der Post-Moderne erforderte unserer Ansicht nach eine kritische Auseinandersetzung damit, von der Männlichkeit im Singular zu sprechen oder vielmehr von pluralen Maskulinitäten auszugehen. Diese notwendigerweise mit dem Konzept des Passings verbundenen Fragen um hegemoniale Männlichkeit sowie Konzepte neuer, progressiver, subversiver Männlichkeiten wollten wir problematisieren. Dabei wurden die einschlägigen Theorien neben ihrer Vorstellung anhand verschiedener Anwendungsbereiche innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen hin überprüft und Weiterentwicklungen innerhalb der Männlichkeitsforschung aufgezeigt. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Problematisierung aktueller antifeministischer und maskulinistischer Politisierungen vom rechten Rand über die bürgerliche Mitte bis hinein in das LSBTT*I*-Spektrum.
Beide Tagungen machten die Notwendigkeit manifest, gemeinsam mit Akteur*innen innerhalb einer diversen und kritisch-emanzipatorischen Geschlechterforschung etablierte, tradierte und rigide Geschlechtersemantiken kontinuierlich neu zu hinterfragen und über ihre Verschiebung(en) nachzudenken. ← 8 | 9 →
Der vorliegende und seinerseits achte Band innerhalb der Reihe „Leipziger Gender-Kritik“ führt diesen Anspruch weiter und möchte die Thematik für weitere Diskussionen und Kontroversen sichtbar machen. Seine Herausgeber*innen, die Mitarbeiter*innen und Mitglieder des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig stehen dabei stellvertretend für eine interdisziplinäre Einrichtung an dieser Hochschule, die solche Forschungen zusammenfassen kann.
Die versammelten Beiträge stellen keinen Konsens über Theorien und Ansätze dar – zum Teil stehen sie in Widerspruch zueinander oder verfolgen gänzlich andere Herangehensweisen, fußen auf divergierenden Theorien, persönlichen Erfahrungen oder beleuchten ähnliche Facetten aus verschiedenen Blickwinkeln. Denn Ziel ist es nicht, eine Theorie durch eine Vielfalt an Beiträgen zu untermauern, sondern multidisziplinäre Sichtweisen auf die vielgestaltigen Ausprägungen und Manifestationen von Passing zuzulassen, dergleichen Zugänge abzubilden und gleichsam zu weiteren Beschäftigungen und Beobachtungen anzuregen.
Zusätzlich zu Artikeln, die aus den Vorträgen beider Tagungen generiert wurden, bereichern weitere Beiträge dieses Buch. Zusammengeführt wurden sie unter dem Credo, vielfältige Blicke auf individuell-persönliche, kollektive und gesamtgesellschaftliche Momente oder Prozesse von Anpassung, Verweigerung und_oder kreativer_konzeptueller VerUneindeutigung innerhalb der Korrelationen von Sexualität, gender und Körper einzunehmen und damit verschiedene Zugänge zum genannten Topos offenzulegen.
Die Systematisierung dieser Heterogenität haben wir mit einer Typologie vorgenommen, der zufolge die Texte entweder theoretische Überlegungen anstellen (Erster Teil) oder Passing in Form empirischer Analysen und anhand der Diskussion von Fallbeispielen nachgehen (Zweiter Teil). In Form der Erweiterung dieses Spektrums bieten zudem zwei Beiträge aus persönlicher und nicht-wissenschaftlicher Perspektive Einblicke und Mitsicht in das Er_Leben von Geschlechtersemantiken an. Beide bedürfen im Folgenden keiner Erläuterung und sollen gänzlich selbst für und von sich sprechen.
Details
- Seiten
- 198
- Erscheinungsjahr
- 2017
- ISBN (ePUB)
- 9783631701874
- ISBN (MOBI)
- 9783631701881
- ISBN (PDF)
- 9783653072549
- ISBN (Paperback)
- 9783631681190
- DOI
- 10.3726/978-3-653-07254-9
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (April)
- Schlagworte
- Männlichkeit Weiblichkeit Intersetktionalität Transgender Homosexualität
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 198 S., 4 s/w Abb.