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Kriminalität und Strafrecht in Kiel im ausgehenden Mittelalter

Das Varbuch als Quelle zur Rechts- und Sozialgeschichte

von Gwendolyn Peters (Autor:in)
©2017 Dissertation XVI, 170 Seiten
Reihe: Kieler Werkstücke, Band 45

Zusammenfassung

Die Studie befasst sich mit der Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte Kiels im 15. und 16. Jahrhundert. Als Quelle gibt das Varbuch Aufschluss über vor Gericht verhandelte Fälle von Kapitalverbrechen. Aus dem Vergleich normgebender Rechtsquellen mit der Strafrechtspraxis ergibt sich eine andauernde gesellschaftliche Ungleichheit zu Gunsten vermögender und angesehener Personengruppen vor Gericht. Durch die Aufnahme von Ansätzen der Historischen Kriminalitätsforschung liegt erstmals eine sozialgeschichtliche Analyse des Varbuchs als Quelle zur Kriminalitätsgeschichte vor. In der Schichtspezifik von Straftaten sowie der sozialen Einbindung, Spezialisierung und Mobilität der Delinquenten äußert sich die Alltäglichkeit spätmittelalterlicher, städtischer Kriminalität.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort der Reihenherausgeber
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungen
  • 1. Einleitung
  • 2. Inhaltliche und formale Beschreibung des Varbuchs
  • 2.1 Klassifizierung und Parallelüberlieferung
  • 2.2 Äußere Erscheinung der Handschrift und innere Gliederung
  • 2.3 Aufbau und Informationsgehalt der Einträge
  • 2.4 Quellenimmanente Zäsuren: Lücken, Brüche und Wechsel in der Aufzeichnung
  • 2.5 Das Varbuch als verzerrter Spiegel historischer Realität
  • 3. Die Nutzungs- und Forschungsgeschichte der Handschrift
  • 3.1 Aufbewahrungsorte der Handschrift
  • 3.2 Verwendung des Varbuchs durch Asmus Bremer
  • 3.3 Erschließung der Handschrift durch Hermann Luppe
  • 4. Das Varbuch im Kontext seiner historischen Entstehung
  • 4.1 Gründung und Stadtrechtsverleihung
  • 4.2 Die Bewohner der Stadt
  • 4.3 Der Rat: Vertreter der Bürgerschaft und Verwalter der städtischen Angelegenheiten
  • 4.4 Topographische Gliederung der Stadt
  • 4.5 Einflusssphären und Verflechtungen mit dem Umland
  • 4.6 Stadtherrschaft über Kiel zur Zeit der Kriminalfälle des Varbuchs
  • 4.6.1 Stadtherrschaft Christians I. über Kiel (1460–69)
  • 4.6.2 Die lübische Stadtherrschaft über Kiel (1469–96)
  • 4.6.3 Stadtherrschaft Friedrichs I. über Kiel (1496–1533)
  • 4.6.4 Wechselvolle Zeiten nach der Stadtherrschaft Friedrichs
  • 5. Strafrecht und Strafrechtspraxis im spätmittelalterlichen Kiel
  • 5.1 Hierarchische und topographische Geltung von Rechtsordnungen
  • 5.2 Die Gerichtsbarkeit: Grundlage gerichtlicher Rechtsprechung
  • 5.3 Gerichtsbarkeiten in Kiel
  • 5.4 Die normativen Strafrechtsquellen in Kiel
  • 5.4.1 Das Lübische Recht
  • 5.4.2 Die Burspraken
  • 5.5 Gerichte in Holstein
  • 5.6 Gerichtsinstanzen in Kiel
  • 5.6.1 Zuständigkeitsbereiche des Niedergerichts
  • 5.6.2 Das Obergericht
  • 5.6.3 Die dritte Instanz
  • 5.6.4 Kompetenzen der Ämter im Kieler Niedergericht
  • 5.6.5 Instanzenzug und Oberhofverfahren am Beispiel des Falls Marquard Techow
  • 6. Der Strafrechtsprozess vor dem Kieler Niedergericht
  • 6.1 Die Verfahrensarten
  • 6.2 Die Verhaftung
  • 6.3 Gerichtsverhandlung und Überführung
  • 6.4 Der Varrechtsprozess
  • 6.5 Die Urteile
  • 6.5.1 Die unterschiedlichen Todesstrafen und deren Vollzug
  • 6.5.2 Die Strafe der Friedloslegung
  • 6.5.3 Freisprüche
  • 6.5.4 Sühnevertrag und Landesverweis
  • 7. Zusammenhänge zwischen Delikt und Strafmaß
  • 7.1 Ansätze zur Klassifizierung der Delikte
  • 7.1.1 Varianten von Diebstahls- und Tötungsdelikten in der Lübischen Rechtsnorm
  • 7.1.2 Umgang mit den Deliktarten in der Strafrechtspraxis des Varbuchs
  • 7.1.2.1 Tötungsdelikte
  • 7.1.2.2 Diebstahlsdelikte
  • 7.1.2.3 Weitere im Varbuch auftretende Kapitalverbrechen
  • 7.1.2.4 Bestrafung des Versuchs
  • 7.2 Unterschiedliche Bestrafungen gleicher Deliktkonstellationen
  • 7.2.1 Normabweichendes Strafmaß im Varbuch und in der Parallelüberlieferung
  • 7.2.2 Fürsprache als Ursache für Strafminderung
  • 7.2.3 Weitere Erklärungsmöglichkeiten für unterschiedliche Bestrafungen
  • 8. Das Varbuch als Quelle zur Kriminalitätsgeschichte
  • 8.1 Zum Kriminalitätsbegriff
  • 8.2 Forschungsgeschichte zur Historischen Kriminalitätsforschung
  • 8.2.1 Methoden und Eigenheiten der deutschen Historischen Kriminalitätsforschung
  • 8.2.2 Zum Forschungsstand der Historischen Kriminalitätsforschung
  • 8.3 Die Delinquenten des Varbuchs
  • 8.3.1 Soziale Verankerung der Delinquenten in der Gesellschaft
  • 8.3.2 Schicht- und geschlechtsspezifische Straftaten
  • 8.3.3 Spezialisierung von Delinquenten
  • 8.3.4 Verüben von Delikten im Alleingang oder in Banden
  • 8.3.5 Persönliche Verbindungen unter Delinquenten
  • 8.3.6 Mobilität der Delinquenten
  • 8.4 Orte des Verbrechens in Kiel und Umgebung
  • 8.4.1 Der Markt und Trinkstuben
  • 8.4.2 Haushalte
  • 8.4.3 Kirchen, Kapellen und Klöster
  • 8.4.4 Tatorte außerhalb der Stadt: Mühlen, Straßen und Wälder
  • 8.4.5 Sozialtopographische Aspekte von Kriminalität in Kiel
  • 8.5 Zeiten des Verbrechens
  • 8.5.1 Jahrmärkte
  • 8.5.2 Jahres- und tageszeitliche Häufungen von Kriminalität im Varbuch
  • 9. Interpretation der Ergebnisse
  • 9.1 Welche Intentionen lagen der Anlage und Führung des Buches zugrunde?
  • 9.2 Welche Funktionen erfüllte das Varbuch?
  • 9.3 Wie entstanden die Einträge?
  • 9.4 Spiegeln sich historische Zäsuren im Varbuch wider?
  • 9.5 Welche Aussagen über gesellschaftliche Vorstellungen lassen sich aus dem Varbuch ableiten?
  • 10. Ausblick
  • 11. Zusammenfassung
  • 12. Anhang
  • 13. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Abkürzungen

B.mit nachfolgender Zahl verweist auf die 1916 von Moritz Stern edierten Einträge aus dem Chronicon Kiliense von Asmus Bremer
Kpmit nachfolgender Zahl verweist auf Artikel des Lübischen Rechts aus der Kopenhagener Handschrift, die 1951 von Gustav Korlén ediert wurden
MMark lübisch (1 M = 16 Schilling [ß]; 1 M = 192 Pfennige [Pf.]2)
Nr. mit nachfolgender Zahl verweist auf die 1899 von Luppe edierten Einträge aus dem Varbuch ← XV | XVI →

2 Lorenzen-Schmidt 1990, 37.

← XVI | 1 →

1.   Einleitung

Im spätmittelalterlichen Kiel sind eine ganze Reihe von kriminellen Handlungen durch die Stadtobrigkeit strafrechtlich verfolgt worden. Hiervon zeugen die erhaltenen Stadtbücher als Quellen zur Strafrechtspraxis und die erhaltenen schriftlich fixierten Strafnormen. Delikte wurden damals entweder mit Geldstrafen oder mit Körperstrafen geahndet. Straftaten, die als besonders gravierend wahrgenommen worden waren, wurden mit dem Tod bestraft. Solche schweren Vergehen werden im Folgenden auch als Kapitalverbrechen bezeichnet.3

Mit dem Varbuch, das zu den mittelalterlichen Kieler Stadtbüchern zählt, liegt eine Quelle zur Kieler Stadtgeschichte vor, die speziell von vor Gericht verhandelten Kapitalverbrechen im Zeitraum zwischen 1465 und 1546 Zeugnis gibt. Das Varbuch ist daher eine interessante und ergiebige Quelle in Bezug auf die Strafrechtspraxis in Kiel im ausgehenden Mittelalter. Ebenso ist auch eine Auswertung des Varbuchs in Bezug auf Kriminalitätsgeschichte möglich, an die sich sozialgeschichtliche Fragestellungen anknüpfen lassen. Durch die Ausgestaltung der Einträge sind dem Buch zudem Hinweise über dessen Zwecke immanent. So lassen Form und Inhalt der schriftlichen Niederlegung Rückschlüsse auf die Funktion des Varbuchs zu.

In der nachfolgenden Untersuchung soll das Varbuch zunächst beschrieben werden. Darüber hinaus sollen der historische Kontext und die in Kiel angewandte Strafrechtspraxis in Bezug auf Kapitalverbrechen unter Berücksichtigung geltender Rechtsnormen in den Blick genommen werden. Anschließend sollen die verschiedenen Delikte betrachtet werden. Dabei werden Aussagen über Delinquenten sowie Schauplätze und Zeitpunkte der Straftaten ausgewertet. Als Delinquenten werden Menschen bezeichnet, die gegen geltende Normen verstoßen haben und deswegen in der Gesellschaft, in der sie leben, strafrechtlich verfolgt werden4. Abschließend sollen die eingangs gestellten Befunde inhaltlicher und formaler Veränderungen in dem Buch vor dem Hintergrund des erworbenen Wissens noch einmal interpretiert werden.

Grundlage der vorliegenden Analyse ist die Quellenedition des Kieler Varbuchs von Hermann Luppe, der die Handschrift 1899 in den Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte (MKStG) veröffentlichte5. Im Anhang dieser Arbeit (Kap. 12) findet sich ein Katalog mit zusammengefassten Daten aus den bei Luppe edierten Varbuch-Einträgen. An ihnen können die ← 1 | 2 → folgenden Darstellungen nachvollzogen werden. Zusätzlich sollen zeitgleiche Kriminalfälle aus der Parallelüberlieferung aus Asmus Bremers Chronik herangezogen werden. Dabei beziehe ich mich auf die Edition der Chronik von Moritz Stern, die ebenfalls in der Reihe der MKStG erschienen ist.6 Den Bezugnahmen auf einzelne Artikel des Lübischen Rechtes liegt der um das Jahr 1290 entstandene, im 15. und vermutlich auch noch im 16. Jahrhundert in Kiel angewendete, Kopenhagener Kodex (Kp) zugrunde, wie er bei Gustav Korlén zu finden ist7. Korléns Edition des Lübischen Rechts basiert zwar auf dem sog. Kieler Kodex, in dem kritischen Apparat sind jedoch die entsprechenden Artikel des Kopenhagener Kodex sowie die sprachlichen Abweichungen vollständig aufgeführt worden. Den Bezügen auf die Kieler Burspraken liegt die Edition von Hedwig Sievert zugrunde, die gleichfalls in der Reihe der MKStG erschienen ist8.

Des Weiteren verwende ich Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem Bestand des Kieler Stadtarchivs. Hierfür stellte mir freundlicherweise Dr. Henning Unverhau sein bereits bearbeitetes Material für das „Kieler Urkundenbuch 1242–1600“ zur Verfügung, das von der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte herausgegeben werden wird. Auch das gezielte Nachschlagen in weiteren Quelleneditionen wie den von Wetzel herausgegebenen Lübecker Briefen9, den Urkundenbüchern der Stadt Lübeck (UBStL)10 und den Einträgen in den Monumenta inedita bei Westphalen11 erleichterte mir die Arbeit Unverhaus sehr.

Primär möchte ich jedoch von dem Varbuch als Quelle ausgehen, daher beginnt meine Arbeit in Kapitel 2 mit der Klassifizierung und einer formalen sowie inhaltlichen Beschreibung der Handschrift. Das Kapitel endet mit Hinweisen über den quellenkritischen Umgang mit dem Varbuch. Daran schließt sich in Kapitel 3 ein Überblick über die bisherige Nutzung der Handschrift durch Asmus Bremer im frühen 18. Jahrhundert und über den Stand der wissenschaftlichen Quellenauswertung durch Herrmann Luppe gegen Ende des 19. Jahrhunderts an. Im darauf folgenden Schritt soll in Kapitel 4 zunächst der historische Kontext der Entstehung der Handschrift beleuchtet werden. Hierzu gehe ich auf die Bewohner und die Obrigkeiten der Stadt sowie auf Topographie, Demographie und die Verhältnisse Kiels zum holsteinischen Umland im 15. und 16. Jahrhundert ein. Außerdem beschreibe ich die politische Entwicklung, gegliedert nach Phasen der Stadtherrschaft. ← 2 | 3 →

Nachdem das Varbuch im Kontext seiner räumlichen und historischen Entstehung vorgestellt worden ist, soll in Kapitel 5 der strafrechtsgeschichtliche Kontext folgen. Dazu sollen zum einen strafrechtliche Prinzipien, die der Rechtsprechung der Fälle des Varbuchs zugrunde lagen, dargestellt werden. Zum anderen sollen die damals geltenden Rechtsnormen und das Gerichtswesen erläutert werden, wobei ein Schwerpunkt auf der Betrachtung des Niedergerichts als derjenigen Instanz liegt, vor der die meisten Fälle des Varbuchs verhandelt wurden. Anschließen wird im Kapitel 6 der Prozessablauf vor dem Niedergericht in seiner chronologischen Abfolge von der Anklage, über das Gerichtsverfahren bis zu der Verkündung des Urteils beschrieben. In Kapitel 7 sollen die Delikte in ihrem Zusammenhang mit den unterschiedlich schweren Todesstrafen betrachtet werden. An dieser Stelle vergleiche ich die im normgebenden Lübischen Recht genannten Strafvorgaben mit den Urteilen im Varbuch. Dabei sollen einerseits die üblichen, andererseits auch die normabweichenden Fälle von Bestrafung herausgestellt werden.

Nachdem bis hierhin ausführlich auf die Strafverfolgung eingegangen wurde, soll es im 8. Kapitel um die Delinquenten selbst gehen. Dabei setze ich mich zunächst mit bestehenden Ansätzen der sozialgeschichtlich orientierten Historischen Kriminalitätsforschung auseinander. Anschließend soll die Quelle in Bezug auf Informationen über Delinquenten, zu ihrer sozialen Verankerung in Beruf und Familie sowie auf Schicht- und Geschlechtsspezifik der Delikte, ausgewertet werden. Vor- und Nachteile des alleinigen oder gemeinsamen Begehens von Verbrechen sollen zudem beleuchtet werden. Des Weiteren lassen sich anhand der Quelle Verbindungen der Delinquenten untereinander und Aspekte von Mobilität nachweisen. Abschließend soll untersucht werden, an welchen Orten und zu welchen Zeitpunkten gehäuft Kriminalität auftrat.

Im Kapitel 9 soll die Quelle selbst noch einmal in den Blick genommen werden. Die eingangs erfolgte inhaltliche und formale Beschreibung, die etwas über die Verwendung der Handschrift verrät, soll mit den Erkenntnissen über die historischen und strafrechtsgeschichtlichen Entwicklungen sowie den gesellschaftlichen Gegebenheiten in Zusammenhang gebracht und interpretiert werden. In dem Ausblick, der im Kapitel 10 gegeben wird, sollen Aspekte genannt werden, auf die ich in der Bearbeitung des Themas gestoßen bin, deren Weiterverfolgung sich meiner Ansicht nach lohnen würde. Abschließend soll im Kapitel 11 die Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Arbeit erfolgen. ← 3 | 4 →


3 Dickel/ Speer 1974–1983, Sp. 324f. Bartmann 1961, 11. Köbler 1995, 213.

4 Caspar 2009, 197.

5 Das Kieler Varbuch, MKStG 17.

6 Bremer, MKStG 18.

7 Der Kopenhagener Kodex, Lunder Germanistische Forschung 23.

8 Die Kieler Burspraken, MKStG 46.

9 Lübecker Briefe, MKStG 5.

Details

Seiten
XVI, 170
Erscheinungsjahr
2017
ISBN (PDF)
9783631721926
ISBN (ePUB)
9783631721933
ISBN (MOBI)
9783631721940
ISBN (Hardcover)
9783631721919
DOI
10.3726/b11080
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Schlagworte
Lübisches Recht Historische Kriminalitätsforschung Delinquenz Kapitalverbrechen Todesstrafen Städtischer Alltag
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. XVI S., 170 S., 1 s/w Tab.

Biographische Angaben

Gwendolyn Peters (Autor:in)

Gwendolyn Peters studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die Fächer Geschichte sowie Prähistorische und Historische Archäologie. In beiden Disziplinen verfolgte sie einen mittelalterlichen und regionalhistorischen Themenschwerpunkt.

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Titel: Kriminalität und Strafrecht in Kiel im ausgehenden Mittelalter