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Die Entwicklung des Anlegerschutzes beim regulären Delisting in Deutschland

von Benjamin Marc Schmitz (Autor:in)
©2020 Dissertation 318 Seiten

Zusammenfassung

Der BGH hat – im Anschluss an ein Urteil des BVerfG zur Reichweite des Aktieneigentums – in seiner Frosta-Entscheidung aus dem Jahr 2013 die von ihm entwickelten Grundsätze zum Anlegerschutz beim regulären Delisting nach mehr als zehn Jahren aufgegeben. Nachdem es in der Folge der wenig überzeugenden Entscheidung zu einer wahren Delisting-Flut gekommen war, trat der Gesetzgeber auf den Plan und normierte im November 2015 den Anlegerschutz beim regulären Delisting umfassend im BörsG neu. Die Arbeit skizziert zunächst die Entwicklung des Anlegerschutzes in der Rechtsprechung bis zum Einschreiten des Gesetzgebers und setzt sich kritisch mit den Entscheidungen des BVerfG und des BGH auseinander. Im Anschluss beleuchtet der Autor umfassend den Anlegerschutz unter der gesetzlichen Neuregelung und zeigt verbleibende Schwächen sowie Verbesserungsbedarf auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Begrifflichkeiten und verschiedene Wege des Börsenrückzugs
  • 1. Der Begriff des Delistings
  • 2. Erscheinungsformen des Delisting
  • a) Zwangsdelisting
  • b) Delisting auf Initiative des Emittenten
  • aa) Reguläres Delisting
  • bb) Kaltes Delisting
  • (1) Formwechsel
  • (2) Verschmelzung
  • (3) Aufspaltung
  • (4) Mehrheitseingliederung
  • (5) Squeeze-out
  • cc) Provoziertes Zwangsdelisting
  • dd) Delisting durch Verzicht
  • c) Partielles Delisting und Downlisting
  • II. Klassische Motive für den Börsenrückzug
  • 1. Vor- und Nachteile der Börsennotierung
  • a) Gründe für einen Börsengang
  • aa) Finanzierung
  • bb) Schaffung einer Akquisitionswährung
  • cc) Exit-Möglichkeit für Investoren und Altaktionäre
  • dd) Steigerung des Images und Bekanntheitsgrades
  • ee) Mitarbeiterbeteiligungen
  • ff) Nachfolgeregelungen
  • b) Nachteile der Börsennotierung für die Gesellschaft
  • aa) Transparenzpflichten
  • bb) Übernahmegefahr über die Börse
  • cc) Kosten und personeller Aufwand
  • (1) Notierungsgebühren
  • (2) Öffentlichkeitsarbeit
  • (3) Kosten für die Erfüllung von Zulassungsfolgepflichten
  • (4) Kosten für Bankendienstleistungen
  • (5) Personelle Belastung
  • 2. Spezielle Motive für ein kaltes Delisting
  • 3. Delisting-spezifische Motive
  • a) Wegfall der Finanzierungsfunktion als Hauptmotiv
  • b) Weitere Faktoren
  • III. Delisting als strategisches Mittel
  • IV. Die Bedeutung des Delistings für die Anleger
  • 1. Auswirkungen auf die Desinvestitionsmöglichkeit des Kleinaktionärs
  • 2. Wegfall der Publizität und Kontrolle
  • V. Potentieller Interessenkonflikt
  • B. Von „Macrotron“ zu „Frosta“ – Wandel des gesellschaftsrechtlichen Anlegerschutzes beim regulären Delisting
  • I. Die aufkommende Diskussion über die Möglichkeit und die Voraussetzungen eines Börsenrückzugs
  • II. Die „Macrotron“-Entscheidung des BGH
  • 1. Sachverhalt und Verfahrensgang
  • 2. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz
  • 3. Abfindungsangebot und Spruchverfahren
  • 4. Keine sachliche Rechtfertigung oder zeitliche Befristung
  • III. Die Entwicklung im Anschluss an die „Macrotron“-Entscheidung in Literatur und Rechtsprechung
  • 1. Teilweise Ablehnung der verfassungsrechtlichen Herleitung
  • 2. Abschließender Schutz durch kapitalmarktrechtliche Regelungen
  • 3. Keine einfachgesetzliche Anknüpfung
  • 4. Folgeprobleme und Einzelfragen
  • a) Einzelfragen in Bezug auf den Hauptversammlungsbeschluss
  • aa) Dogmatische Herleitung
  • bb) Beschlussmehrheit
  • cc) Keine sachliche Rechtfertigung
  • dd) Vorstandsbericht entsprechend §§ 186 Abs. 4 Satz 2, 293a AktG oder § 8 UmwG
  • b) Einzelfragen in Bezug auf die Abfindung
  • aa) Dogmatische Herleitung
  • bb) Verhältnis zum WpÜG
  • cc) Anspruchs- oder Bedingungslösung
  • dd) Angebotsverpflichteter
  • ee) Bemessung der Abfindung
  • ff) Gerichtliche Überprüfung
  • c) Wertungswidersprüche in Bezug auf Fälle des kaltes Delistings
  • d) Downlisting
  • IV. Einführung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt. UmwG
  • V. Die „Delisting“-Entscheidung des BVerfG
  • 1. Sachverhalt und Verfahrensgang
  • 2. Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG nicht durch Delisting berührt
  • 3. Keine Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
  • 4. Unmittelbare Auswirkungen
  • VI. Entwicklung im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG
  • 1. Kritik in der Literatur
  • 2. Alternative Begründungsansätze für die Beibehaltung der „Macrotron“-Grundsätze
  • a) Analogie zu §§ 193, 207 UmwG (Formwechsel)
  • b) Antrag ohne Zustimmung als Treupflichtverletzung im Sinne von § 93 Abs. 1 AktG; Abfindung gemäß § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG als Ausgleich für Sondervorteil
  • c) Gesamtanalogie zu §§ 304 f., 320a f., 327a f. AktG, §§ 29, 207 UmwG
  • d) Analogie zu §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt., 13, 65 UmwG (Rechtsformwahrende Verschmelzung)
  • 3. Kein gesellschaftsrechtlicher Anlegerschutz nach Wegfall der verfassungsrechtlichen Begründung
  • a) Kritik an der Entscheidung des BVerfG hinsichtlich der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
  • b) Ablehnung der vorgeschlagenen Analogien
  • 4. Meinungsstand zum Downlisting
  • VII. Die „Frosta“-Entscheidung des BGH
  • 1. Sachverhalt und Verfahrensgang
  • 2. Weder Abfindung noch Hauptversammlungsbeschluss auch beim regulären Delisting
  • a) Kein Anlegerschutz gestützt auf Art. 14 Abs. 1 GG
  • b) Keine entsprechende Anwendung von § 207 UmwG
  • c) Antrag ohne Zustimmung keine Treupflichtverletzung im Sinne von § 93 Abs. 1 AktG; kein Ausgleich für Sondervorteil gemäß § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG
  • d) Keine Analogie zu § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt. UmwG
  • e) Keine Gesamtanalogie
  • C. Rechtliche Würdigung der Entscheidung des BVerfG und des „Frosta“-Beschlusses des BGH
  • I. Empirie
  • 1. Bezugnahme auf fehlerhafte Feststellungen des DAI
  • 2. Tatsächlicher Kursverlust
  • a) Ausschreibung einer empirischen Studie zu den Auswirkungen der Ankündigung eines Delistings
  • b) Die Studie von Doumet/Limbach/Theissen
  • c) Weitere Studien
  • d) Zusammenfassung
  • II. Verfassungsrechtliche Würdigung der Entscheidung des BVerfG im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG
  • 1. Keine Beeinträchtigung der mitgliedschaftsrechtlichen Substanz des Aktieneigentums
  • 2. Besonderes Regelungsregime kein Bestandteil des über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Aktieneigentums
  • 3. Gesteigerte tatsächliche Verkehrsfähigkeit kein Schutzgut von Art. 14 Abs. 1 GG
  • 4. Keine wirtschaftliche Auszehrung des Aktieneigentums durch Wertverlust nach Delisting
  • III. Rechtliche Würdigung des „Frosta“-Beschlusses des BGH
  • 1. Kein abschließender Anlegerschutz über § 39 Abs. 2, Abs. 5 BörsG (a. F.) i. V. m. den Börsenordnungen
  • 2. Ablehnung der verschiedenen einfachgesetzlichen Begründungsansätze durch den BGH
  • a) Keine analoge Anwendung der Vorschriften über den Formwechsel und sonstige Strukturmaßnahmen
  • b) Kein Anlegerschutz über §§ 119 Abs. 2, 93 Abs. 4 Satz 1 und § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG
  • c) Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt. UmwG zwingend geboten
  • aa) Kein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille
  • bb) Kein Zirkelschluss bei Anwendung des an der „Macrotron“-Rechtsprechung angelehnten § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt. UmwG
  • cc) Keine Hauptversammlungskompetenz über Analogie zum Verschmelzungsrecht
  • dd) Keine „abfindungsakzessorische“ Hauptversammlungskompetenz
  • ee) Zwischenergebnis
  • D. Der Anlegerschutz beim regulären Delisting im Anschluss an die „Frosta“-Entscheidung
  • I. Zeitlicher Anwendungsbereich der „Frosta“-Entscheidung – die Frage der Rückwirkung
  • 1. Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rückwirkungsverbots
  • 2. Schutzwürige Vertrauensposition der betroffenen Anleger
  • II. Gesellschaftsrechtlicher Schutz
  • 1. Grenzen der Entscheidung des Vorstandes
  • 2. Mögliche Satzungsbestimmungen
  • a) Verankerung der Börsennotierung in der Satzung
  • b) Weitere Sicherungsmöglichkeiten
  • III. Kapitalmarktrechtlicher Schutz
  • 1. Die Börsenordnungen
  • a) Rechtliche Qualifikation
  • b) Bestimmungen der einzelnen Börsenordnungen für das reguläre Delisting nach der „Frosta“-Entscheidung
  • aa) Fristenlösung
  • (1) Frankfurt
  • (2) München
  • (3) Stuttgart
  • bb) Abfindungslösung
  • (1) Düsseldorf
  • (2) Berlin
  • (3) Hamburg und Hannover
  • c) Bestimmungen zum Downlisting
  • d) Umgehung der Anforderungen in den Börsenordnungen durch „Forum Shopping“
  • 2. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz
  • a) Rechtsprechung
  • aa) VG Frankfurt a. M.
  • bb) VGH Mannheim
  • cc) VG Düsseldorf
  • dd) Annahme des BGH/Stellungnahme des BVerwG
  • b) Meinungsstand in der Literatur
  • c) Stellungnahme
  • 3. Umfang des Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten
  • E. Konsequenzen der „Frosta“-Entscheidung
  • I. Faktische Auswirkungen und Gefahren der „Frosta“-Rechtsprechung
  • 1. Umgehungskonstellationen und Ausnutzungspotentiale
  • a) Umgehung der Börsenkursrechtsprechung
  • b) Umgehung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 2. Alt. UmwG
  • c) Umgehung des WpÜG
  • d) „Kalter Squeeze-Out“/Druckaufbau
  • e) Herausdrängen von institutionellen Anlegern
  • f) Sonstiger Einfluss
  • 2. Berücksichtigung bei der Kreditsicherung
  • II. Nur vermeintlicher Schlag gegen „aktivistische Aktionäre“
  • F. Anlegerschutz beim regulären Delisting nach der Neuregelung vom 26. November 2015
  • I. Entstehung und Inhalt der gesetzlichen Neuregelung
  • 1. Entstehungsgeschichte
  • a) Ausschreibung einer empirischen Studie zu den Auswirkungen der Ankündigung eines Delistings
  • b) Prüfbitte des Bundesrates vom 6. März 2015
  • c) Öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 6. Mai 2015
  • d) „Formulierungshilfe“ des Finanzministeriums vom 17. August 2015
  • e) Öffentliche Anhörung im Finanzausschuss am 7. September 2015
  • f) Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 30. September 2015 und Beschluss des Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Transparenzrichtlinie mit der Neuregelung zum Delisting vom 1. Oktober 2015
  • 2. Inhalt
  • a) Grundkonzept und sachlicher Anwendungsbereich
  • b) Angebotsunterlage nach WpÜG
  • aa) Bemessung der Gegenleistung anhand des Börsenkurses
  • bb) Ausnahmsweise Bemessung anhand einer Unternehmensbewertung
  • cc) Gegenausnahme bei unwesentlichen Auswirkungen auf den Börsenkurs
  • c) Kein Hauptversammlungsbeschluss
  • d) Rechtsschutz
  • aa) Verwaltungsinterne Überprüfung
  • (1) Prüfung der Angebotsunterlage durch die BaFin
  • (2) Prüfung des Delisting-Antrages durch die Geschäftsführung der Börse
  • bb) Gerichtlicher Rechtsschutz der Anleger
  • (1) Gegen den Widerruf der Börsenzulassung
  • (2) Gegen die Höhe des Angebots
  • (a) Mögliche Feststellungsziele im Kapitalanleger-Musterverfahren
  • (b) Wesentliche Unterschiede zum Spruchverfahren
  • (aa) Darlegungs- und Beweislast
  • (bb) Rechtskrafterstreckung
  • (cc) Kosten
  • (c) Bestands- oder rechtskräftige Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 1, 15 MAR nicht Voraussetzung des Differenzanspruchs
  • cc) Gerichtlicher Rechtsschutz des Emittenten und des Bieters
  • (1) Gegen die Untersagung der BaFin nach § 15 WpÜG
  • (2) Gegen die Entscheidung der Börsengeschäftsführung
  • 3. Erstreckung des Anwendungsbereiches auf Auslandsemittenten
  • 4. Zeitlicher Anwendungsbereich
  • II. Kritische Würdigung der Neuregelung
  • 1. Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung
  • a) Aus dem Zusammenspiel mit gesellschaftsrechtlichen Abfindungspflichten und deren Systematik
  • b) Originär aufgrund des Verlustes der Börsennotierung
  • c) Volkswirtschaftliche Bedeutung
  • d) Kein ausreichender Anlegerschutz über § 39 Abs. 2 und 5 BörsG (a. F.) in Verbindung mit den Börsenordnungen
  • e) Ebenfalls kein ausreichender Anlegerschutz über die Verankerung der Börsennotierung in der Satzung
  • 2. Verortung der Regelung
  • 3. Kein Hauptversammlungsbeschluss
  • a) Absehen von Hauptversammlungsbeschluss systematisch überzeugend
  • b) Kein praktischer Mehrwert über Information hinaus
  • c) Einstimmiger Hauptversammlungsbeschluss als Ausnahme von der Angebotspflicht
  • 4. Übernahmerechtliches Angebot nach § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG
  • a) Sachlicher Anwendungsbereich und Ausnahmen
  • aa) Erstreckung der Angebotspflicht auf Fälle des Downlistings
  • (1) Fortbestehendes Regelungsgefälle zwischen Freiverkehr und reguliertem Markt
  • (2) Klassische Funktionen der Marktsegmente
  • (3) Kohärente Regelung
  • bb) Ausnahmen von der Angebotspflicht
  • (1) Partielles Delisting
  • (2) Insolvenz
  • (3) Vorheriges Übernahmeangebot
  • b) Bemessung des Angebots
  • aa) Ermittlung des vollen Anteilswertes als angemessene Kompensation
  • (1) Kompensation des Verlustes der Beteiligung
  • (2) Keine Gleichstellung mit Übernahmesituation
  • (3) Flexible Regelung als interessengerechte Antwort auf verschieden Delisting-Konstellationen
  • bb) Ermittlung des vollen Anteilswertes als kohärente Lösung
  • cc) Bestehende Ausnahmen von der Bemessung nach dem Börsenkurs
  • (1) Kein Differenzanspruch auch für das Angebot ablehnende Anleger
  • (2) § 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 BörsG
  • (a) Keine rechtskräftige Feststellung eines Verstoßes erforderlich
  • (b) Kursmanipulation „nach oben“
  • (c) Zurechenbare Verstöße
  • (d) Relevanz von Verstößen vor Beginn der Sechs-Monats-Periode
  • (e) Keine Ausnahme bei Selbstbefreiung gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR
  • (f) Unklare Gegenausnahme in § 39 Abs. 3 Satz 3 2. HS BörsG
  • (3) § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG
  • c) Ausgestaltung des Abfindungsangebots im Übrigen
  • 5. Effektive Durchsetzbarkeit des finanziellen Ausgleichs – Spruchverfahren ist KapMuG-Verfahren vorzuziehen
  • a) Darlegungs- und Beweislast
  • b) Kostenrisiko
  • c) Fehlende Erga-omnes-Wirkung
  • d) Verfahrensdauer
  • III. Folgefragen um einen ergänzenden Anlegerschutz
  • 1. Satzungsbestimmungen
  • 2. Verbleibende Bedeutung der Börsenordnungen
  • IV. Evaluierung des § 39 BörsG im Bericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 29. Dezember 2017
  • G. Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Rechtsprechungsverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

a. A. andere Auffassung
Abs. Absatz
Alt. Alternative
Aufl. Auflage
BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Bd. Band
Begr. Begründer
BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht
BörsO Börsenordnung
BRAK Bundesrechtsanwaltskammer
bspw. beispielsweise
CF Corporate Finance
DAI Deutsches Aktieninstitut
DAV Deutscher Anwaltverein
ders. derselbe
dies. dieselbe
DSW Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz
EU Europäische Union
EWR Europäischer Wirtschaftsraum
f. folgende (bei einer)
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff. folgende (bei mehreren)
Fn. Fußnote
FS Festschrift
grds. grundsätzlich
GroßKomm Großkommentar
Halbs. Halbsatz
hrsg. herausgegeben
Hrsg. Herausgeber
i. S. d. im Sinne des/der
i. S. v. im Sinne von
i. V. m. in Verbindung mit
IDW Institut der Wirtschaftsprüfer
IDW S1 Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen
IPO Initial Public Offering
KK Kölner Kommentar
KostenV Kostenverzeichnis
lit. litera
Ls. Leitsatz/Leitsätze←21 | 22→
LVwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz des jeweiligen Landes
m. w. N. mit weiteren Nachweisen
MAH Münchner Anwaltshandbuch
MAR Marktmissbrauchsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission – Marktmissbrauchsverordnung)
MüKo Münchner Kommentar
n. v. nicht veröffentlicht
Nr. Nummer
P2P Public to Private
Rn. Randnummer
S. Seite(n)
SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V.
sog. sogenannte
SpruchZ Spruchverfahren Recht und Praxis
u. a. und anderen
v. von/vom
vgl. vergleiche
VGR Gesellschaftsrecht in der Diskussion
VzfK Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V.
WiWo WirtschaftsWoche
WpÜG-AngebVO Verordnung über den Inhalt der Angebotsunterlage, die Gegenleistung bei Übernahmeangeboten und Pflichtangeboten und die Befreiung von der Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots
Xetra Exchange Electronic Trading
ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft
zit. zitiert

Für die übrigen in dieser Arbeit verwendeten juristischen Abkürzungen wird verwiesen auf:

Kirchner, Hildebert:
Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin 2015

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A. Einleitung

Seit jeher wird das Wesen der Aktiengesellschaft geprägt von ihrer Funktion als Kapitalsammelstelle.1 In der heutigen Ausgestaltung ist sie eine „Blüte der industriellen Revolution“ und trug wesentlich zum wirtschaftlichen und technischen Fortschritt im 19. Jahrhundert und seiner Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert bei.2 Zu dieser Zeit wurden Aktiengesellschaften gegründet, um durch die Beteiligung vieler Einzelner an der Gesellschaft Ersparnisse zu bündeln und für den gemeinsamen wirtschaftlichen Zweck einzusetzen, der für das Individuum wegen der Höhe des erforderlichen Kapitals sonst nicht realisierbar wäre. Konkret wird der Aufschwung der Aktiengesellschaft häufig mit dem Beginn des Baus von Eisenbahnen in Verbindung gebracht.3 Als Folge des aufkommenden Bedürfnisses, eine große Zahl potentieller Anleger zu erreichen und so möglichst viel Kapital einsammeln zu können und gleichzeitig bestehende Beteiligungen zu handeln, formten sich rasch Handelsplätze, an denen Gesellschaftsbeteiligungen erworben und weiterveräußert werden konnten – die ersten Börsen waren geboren. Eine erste rechtliche Grundlage für das Börsenwesen in Deutschland bildete das Börsengesetz vom 22. Juni 1896.4

Auch heute besteht bei großen Aktiengesellschaften eine zentrale Funktion unverändert darin, durch Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an ein breites Anlegerpublikum Eigenkapital zu generieren. Die Börse als Handelsplattform ermöglicht es Emittenten dabei, über eine zentrale Stelle im Rahmen eines „Initial Public Offering“ („IPO“) und späterer Kapitalmaßnahmen eine große Anlegerallgemeinheit zu erreichen und ihre Anteile effektiv zu platzieren. Zwar erreichte die Zahl der IPOs in Deutschland bei weitem nie mehr das Niveau der Boom-Zeiten des Neuen Marktes mit über 400 Börsengängen von 1998 bis 2000.5 Jedoch wagten nach der Finanzmarktkrise, in deren Verlauf es im Jahr 2009 zu einem Tief mit nur einer einzigen Neuemission kam, in den Jahren 2015 bis 2017 erneut 39 Emittenten den Schritt allein in den regulierten Markt der größten deutschen Börse – der Frankfurter Wertpapierbörse.6

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Während für den Emittenten in erster Linie der Primärmarkt, an dem er selbst oder regelmäßig ein zwischengeschalteter Finanzdienstleister Anteile zur Zeichnung anbietet und so Eigenkapital generiert, von unmittelbarer Relevanz ist, ermöglicht die Börse als Handelsplattform daneben auch einen ebenso bedeutsamen Sekundärmarkt für den Handel mit Aktien als standardisiertes Handelsgut.7 Angebot und Nachfrage werden effektiv und zentralisiert zusammengeführt und Transaktionskosten durch umfassende Informationen gesenkt. Anleger erhalten neben dem festgestellten Aktienkurs durch zahlreiche Transparenzvorschriften für den Emittenten weitreichenden Einblick zur persönlichen Bewertung ihres Investments, der sie in die Lage versetzt, informierte Entscheidungen über das Ob und den Zeitpunkt von Investition und Desinvestition treffen zu können.8

Neben der Partizipation an der Unternehmensentwicklung über Dividenden wird den Anlegern durch die Börse grundsätzlich die Möglichkeit einer schnellen und einfachen Auflösung ihres Investments und der unmittelbaren Realisierung von Kursgewinnen verschafft. Diese Funktion der Börse als Sekundärmarkt ist nicht nur für die Anleger, sondern mittelbar auch für den Emittenten von erheblicher Bedeutung, da durch eine spätere effektive und kurzfristige Desinvestitionsmöglichkeit regelmäßig erst die Voraussetzungen für die initiale Anlagebereitschaft während des Börsengangs der Emittenten geschaffen werden.9

Auch für Unternehmen gilt jedoch die Börsenweisheit „die Börse ist keine Einbahnstraße“10: Rückzüge von der Börse sind – wenn auch in der Regel weniger im Fokus der Öffentlichkeit als die prestigeträchtigen Börsengänge – in Deutschland gerade in der jüngeren Vergangenheit keine Seltenheit. Herauszustellen ist eine regelrechte Börsenflucht zwischen dem 8. Oktober 2013 und dem 7. September 2015, als insgesamt 74 Emittenten einen Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung ankündigten.11 Dieses Phänomen ist als Reaktion auf eine Rechtsprechungsänderung zu verstehen, die es den Emittenten zwischenzeitlich erlaubte, besonders kostengünstig die Börse zu verlassen, bevor es Ende 2015 erneut zu einer Änderung ←24 | 25→der rechtlichen Rahmenbedingungen kam.12 Im Anschluss an dieses Zeitfenster waren erwartungsgemäß zunächst deutlich weniger Börsenrückzüge zu verzeichnen, da davon ausgegangen werden kann, dass die meisten potentiellen Rückzugskandidaten die günstige Gelegenheit zuvor bereits genutzt hatten. Doch auch in den Jahren 2016 und 2017 waren weiterhin Abschiede aus den verschiedenen Handelssegmenten der Börse zu beobachten, wenngleich den regulierten Markt in dieser Zeit aus den dargelegten Gründen insgesamt nur sieben Emittenten verließen.13

Für den Emittenten, der sich zu einem Rückzug von der Börse entschließt, kann dieser Schritt verschiedenste Gründe haben; an dieser Stelle seien exemplarisch lediglich die mit der Börsennotierung verbundende Kostenlast sowie der Wegfall des Bedarfs an Eigenkapitalaufnahme über den Primärmarkt genannt.14 Auf der Gegenseite bedeutet der Börsenrückzug des Emittenten für Anleger den Verlust der Börse als Handelsplattform des Sekundärmarktes. Daneben fallen mit dem Verlust der Börsenzulassung zahlreiche besondere Schutz- und Transparenzvorschriften weg, auf die gerade kleinere Anleger, die mit ihrer Beteiligung lediglich finanzielle Interessen verfolgen, zwingend angewiesen sind, um die Informationen zu erlangen, die notwendig sind, um rationale Entscheidungen betreffend ihre Beteiligung zu ermöglichen und ein Mindestmaß an Kontrolle der Unternehmensleitung und eines vorhandenen Großaktionärs zu gewährleisten. Der regelmäßig enger mit der Geschäftsführung verbundene Großaktionär, der überwiegend strategische Ziele mit seinem Engagement verfolgt, ist demgegenüber meist weder auf die Funktion der Börse als Handelsplatz noch auf den Aspekt der höheren Informationsdichte aufgrund der Börsenzulassung angewiesen.

In den späten 90er-Jahren begann aufgrund dieser widerstreitenden Interessen eine Diskussion über den Anlegerschutz im Rahmen eines Börsenrückzugs. Diese gipfelte zunächst im Jahr 2002 in einer rechtsfortbildenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die seitdem die rechtlichen Voraussetzungen des Anlegerschutzes verbindlich absteckte. Nach über zehn Jahren wurde diese Rechtsprechung im Jahr 2013 durch den Bundesgerichtshof als Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben und die Debatte um einen angemessenen Anlegerschutz beim Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten nahm nicht nur in der juristischen Literatur erneut rasant an Geschwindigkeit auf. Diese Entwicklung führte letztlich dazu, dass sich der Gesetzgeber der Thematik annahm und Ende 2015 einen neuen gesetzlichen Rahmen für den Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten schuf.

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Die vorliegende Arbeit nimmt diese Entwicklung zum Anlass, sich kritisch mit den einschneidenden Änderungen des Anlegerschutzes beim Börsenrückzug in der Vergangenheit sowie der darauf bezogenen Diskussion in Wissenschaft und Praxis auseinander zu setzen. Diverse Argumentationsstränge und Feststellungen in diesem Zusammenhang können auch für die Bewertung der heute geltenden Rechtslage im Anschluss bei der umfassenden wertenden Betrachtung der geltenden Rechtslage nutzbar gemacht werden. Die Arbeit hat es schließlich zum Ziel, auf diesem Wege einen Beitrag zur gesetzlichen Ausgestaltung einer interessengerechten Regelung zu leisten.

I. Begrifflichkeiten und verschiedene Wege des Börsenrückzugs

Bereits die Terminologie rund um den Börsenrückzug ist vielfältig und häufig wenig trennscharf. So bezeichnen verschiedene Autoren den Rückzug von der Börse als „Delisting“, „Börsenaustritt“15, „Going Private“16 oder „P2P“ („Public to Private“), wobei diese Begriffe teilweise als Synonyme, teilweise für die Beschreibung verschiedener Wege, die Börse zu verlassen, verwendet werden.17 Es soll deshalb zunächst eine kurze Erläuterung des in der Literatur vorherrschenden und auch hier verwendeten Begriffs des „Delistings“ gegeben werden, woran sich eine Darstellung der verschiedenen Gestaltungsformen des Börsenrückzugs und der für die jeweilige Form verwendeten Begrifflichkeiten anschließt.

1. Der Begriff des Delistings

Der Begriff „Delisting“ stammt von dem englischen Wort „Listing“ ab, welches im deutschen Sprachgebrauch für die Zulassung zum Börsenhandel gemäß § 32 BörsG verwandt wird.18 „De-Listing“ bezeichnet folglich den umgekehrten Vorgang, also den Wegfall der Börsenzulassung oder der Börsennotierung.19 Der Gesetzgeber verwendet den Begriff „Delisting“ in der Gesetzesbegründung zum Dritten Finanzmarktförderungsgesetz für die Beendigung der Zulassung zum Börsenhandel.20 Mit Blick auf die umfangreichen Zulassungsfolgepflichten, die durch ←26 | 27→die Börsenzulassung, und nicht etwa durch die Notierung, bedingt werden, ist die Anknüpfung an die Beendigung der Zulassung zu begrüßen.21 Diese kann danach allgemein als Delisting bezeichnet werden, unabhängig davon, ob sie auf Antrag des Emittenten oder auf anderem Wege eingeleitet wird und ob eine Zulassung zum Freiverkehr verbleibt.22 Da jedoch mit der Zulassung auch die Börsennotierung endet, kann für die Folgen des Delisting daneben auch auf diese abgestellt werden.

2. Erscheinungsformen des Delisting

Zunächst kann es ohne Antrag oder Initiative des Emittenten zu einem Delisting durch den Widerruf der Börsenzulassung nach § 39 Abs. 1 BörsG kommen.23 Man spricht insoweit von einem „Zwangsdelisting“.24

Daneben kann aus Sicht des Emittenten eine erstrebte Beendigung der Zulassung auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Neben dem „regulären“ (oder „echten“) Delisting auf Antrag des Emittenten nach § 39 Abs. 2 BörsG25 und dem „kalten“ (auch „unechten“ oder „cold“) Delisting durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen26 besteht für den Emittenten die theoretische Möglichkeit, absichtlich ein Delisting von Amts wegen nach § 39 Abs. 1 Fall 3 BörsG herbeizuführen. Man spricht insofern auch von einem „provozierten Zwangsdelisting“.27 Schließlich wurde früher teilweise eine Beendigung der Börsenzulassung im Wege des Verzichts durch den Emittenten erwogen.28

a) Zwangsdelisting

Beim sogenannten „Zwangsdelisting“ kann die Zulassung zum regulierten Markt als Verwaltungsakt ohne Zutun des Emittenten nach allgemeinem Verwaltungsrecht, §§ 48, 49 LVwVfG, widerrufen bzw. zurückgenommen werden, § 39 Abs. 1 Fall 1 BörsG. Daneben bestehen zwei börsenrechtsspezifische Ausprägungen des Zwangsdelisting durch einen Zulassungswiderruf von Amts wegen. Die Börsengeschäftsführung kann zum einen auf die Situation reagieren, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Notierung ←27 | 28→im regulierten Markt eingestellt wurde, § 39 Abs. 1 2. Alt. BörsG, zum anderen auf diejenige, dass der Emittent seine aus der Zulassung resultierenden Pflichten auch nach einer angemessenen Frist nicht erfüllt, § 39 Abs. 1 Fall 3 BörsG.

In einigen Fällen sind die Grenzen zu den Erscheinungsformen des kalten Delistings fließend, wenn aufgrund gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierung ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet ist und die Börsenaufsicht aufgrund dessen die Zulassung zum regulierten Markt nach § 39 Abs. 1 2. Alt. BörsG widerruft. Diese Fälle werden im Rahmen der Ausführungen zum kalten Delisting näher behandelt.29

b) Delisting auf Initiative des Emittenten
aa) Reguläres Delisting

Das „reguläre Delisting“ ist in § 39 Abs. 2 BörsG börsenrechtlich geregelt. Es beschreibt den auf Antrag des Emittenten erfolgenden öffentlich-rechtlichen Widerruf der Zulassung zum regulierten Markt durch die Börsengeschäftsführung (§ 15 Abs. 1 BörsG).30 Die Widerrufsentscheidung der Geschäftsführung stellte jedenfalls bis zur gesetzlichen Neuregelung im November 201531 nach ganz herrschender Meinung eine Ermessensentscheidung dar und darf dem Schutz der Anleger gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG nicht widersprechen.32 Genaueres regeln Abs. 2 Satz 3 und die Absätze 3 bis 6. Der Widerruf ist als „actus contrarius“ zur Zulassung wie diese als Verwaltungsakt zu qualifizieren; er beendet das durch die Zulassung begründete öffentlich-rechtliche Nutzungsverhältnis zwischen der Börse und dem Emittenten.33

bb) Kaltes Delisting

Als „kaltes Delisting“ wird die Beendigung der Zulassung zum regulierten Markt aufgrund gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen bezeichnet.34 Diese vollzieht sich entweder durch das Erlöschen der Börsenzulassung nach § 43 Abs. 2 LVwVfG kraft Gesetz oder durch den Widerruf der Zulassung nach § 39 Abs. 1 ←28 | 29→BörsG ohne das Erfordernis eines Antrages des Emittenten.35 Zu unterscheiden sind dabei wiederum verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten des kalten Delistings.

(1) Formwechsel

Wechselt eine Aktiengesellschaft in eine Gesellschaft anderer Rechtsform, so führt dies mit Eintragung der neuen Rechtsform in das Register nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG dazu, dass der formwechselnde Rechtsträger in der neuen Rechtsform weiterbesteht. Zwar bleibt die Beteiligung der Anteilsinhaber trotz des Formwechsels bestehen, jedoch richtet sich diese nun nach den für die neue Rechtsform geltenden Vorschriften.36 Die Aktien als Form der Mitgliedschaft bestehen damit nicht mehr und der Verwaltungsakt der Zulassung dieser zum regulierten Markt erledigt sich nach § 43 Abs. 2 LVwVfG.37 Das Erlöschen der Börsenzulassung tritt folglich ipso iure ein.38

(2) Verschmelzung

Ferner kann eine börsennotierte Aktiengesellschaft nach den §§ 2 ff. UmwG auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft verschmolzen und dadurch die Beendigung der Zulassung herbeigeführt werden. Der Verschmelzungsvertrag wird dabei nur wirksam, wenn die Anteilsinhaber der beteiligten Rechtsträger ihm durch Beschluss mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, zustimmen, § 13 Abs. 1 UmwG i. V. m. § 65 Abs. 1 UmwG. Die Verschmelzung einer Gesellschaft auf eine andere führt mit der Eintragung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UmwG zum Erlöschen des übertragenen Rechtsträgers. Dies hat gleichzeitig den Untergang der Anteile am übertragenden Rechtsträger zur Folge.39 Wie im Falle des Formwechsels erledigt sich in diesem Fall die Börsenzulassung der untergehenden Anteile nach § 43 Abs. 2 LVwVfG und erlischt ipso iure.40

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(3) Aufspaltung

Ein weiterer Fall des kalten Delistings ist in der Aufspaltung einer börsennotierten Aktiengesellschaft in nicht börsennotierte Gesellschaften nach § 123 Abs. 1 UmwG zu erblicken. Mit Eintragung der Aufspaltung kommt es nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG zum Erlöschen des aufgespaltenen Rechtsträgers und damit ebenfalls zum Untergang der Mitgliedschaftsrechte an diesem.41 Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft führt das Erlöschen der Mitgliedschaftsrechte in Form der Aktien dazu, dass die Zulassung gegenstandslos wird und die Erledigung nach § 43 Abs. 2 LVwVfG eintritt, ohne dass dafür eine Entscheidung der Börsenaufsicht erforderlich wäre.42

(4) Mehrheitseingliederung

Ebenso kann die Mehrheitseingliederung gemäß § 320 Abs. 1 AktG als Variante des kalten Delistings ausgestaltet werden, indem eine börsennotierte Aktiengesellschaft in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft eingegliedert wird. Erforderlich für die Mehrheitseingliederung ist, dass 95 % des Grundkapitals der einzugliedernden Gesellschaft in der Hand der zukünftigen inländischen Hauptgesellschaft vereinigt sind.43 Zusätzlich bedarf es eines zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses der einzugliedernden Gesellschaft, für den eine einfache Stimmenmehrheit benötigt wird.44 Mit der Eintragung der Eingliederung gehen gemäß § 320a AktG die Aktien der außenstehenden Aktionäre auf die Hauptgesellschaft über.45 Dadurch ist ein Handel der Aktien an der Börse nicht mehr gewährleistet. Zwar kommt es anders als in den zuvor behandelten Fällen nicht zu einem Erlöschen der Börsenzulassung ipso iure nach § 43 Abs. 2 LVwVfG46, da Hauptgesellschaft und Hauptaktionär die Aktien jederzeit ohne Einschränkung veräußern können und damit von dem Verwaltungsakt der Zulassung weiterhin Rechtswirkungen ausgehen, die einer Erledigung entgegenstehen.47 Die Zulassung ist jedoch regelmäßig von Amts wegen gemäß § 39 Abs. 1 BörsG durch die Börsengeschäftsführung zu widerrufen, ←30 | 31→da ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Geschäftsführung die Notierung im regulierten Markt einstellt.48

(5) Squeeze-out

Den in der Vergangenheit am häufigsten beschrittenen Weg eines kalten Delistings stellt die Durchführung eines aktienrechtlichen Squeeze-outs nach den §§ 327a ff. AktG dar, bei dem die Aktionärsminderheit durch den Mehrheitsgesellschafter ausgeschlossen wird.49 Dieser kann nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG bei einer Beteiligung am Grundkapital von mindestens 95 % die Hauptversammlung auf sein Verlangen mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf ihn beschließen lassen.50 Ähnlich wie die Mehrheitseingliederung führt der Squeeze-out nach § 327e Abs. 3 Satz 1 AktG dazu, dass sich alle Aktien der Gesellschaft in der Hand des Hauptaktionärs vereinigen. Wie bei der Eingliederung hat dies das Erliegen des Börsenhandels der Aktien zur Folge, so dass die Börsengeschäftsführung die Zulassung gemäß § 39 Abs. 1 BörsG von Amts wegen widerruft.51 Eine Erledigung der Börsenzulassung nach § 43 Abs. 2 LVwVfG liegt mit Blick auf die theoretische Möglichkeit des Hauptaktionärs, die Aktien zu veräußern, wiederum nicht vor.52

Im Ergebnis Gleiches gilt auch für den übernahmerechtlichen Squeeze-out nach § 39a WpÜG. Dieser eröffnet dem Hauptaktionär nach Durchführung eines Übernahme- oder Pflichtangebots die Möglichkeit, noch verbliebene Aktionäre gegen eine angemessene Abfindung auf Antrag auszuschließen, wenn ihm Aktien in Höhe von 95 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft gehören.53 Die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Gegenleistung ist gemäß § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter auf Grund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 Prozent des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat. Kommt es zur Übertragung der ←31 | 32→restlichen Aktien, so erlischt die Börsenzulassung zwar nicht ipso iure, jedoch ist der Widerruf der Zulassung nach § 39 Abs. 1 BörsG von Amts wegen zu erwarten.

cc) Provoziertes Zwangsdelisting

Eine Möglichkeit für den Emittenten zur Beendigung der Börsenzulassung stellt in der Theorie auch das sogenannte „provozierte Zwangsdelisting“ dar. Dabei kommt der Emittent seinen Zulassungsfolgepflichten absichtlich nicht nach, um so einen Widerruf der Zulassung nach § 39 Abs. 1 Fall 3 BörsG zu erreichen.54 Da eine solche Verletzung von Zulassungsfolgepflichten in den meisten Fällen als Ordnungswidrigkeit geahndet wird und nicht selten auch zivilrechtliche Haftungsansprüche nach sich zieht, ist diese Möglichkeit in der Praxis seit Einführung des Widerrufs auf Antrag des Emittenten nach § 39 Abs. 2 BörsG jedoch ohne Relevanz55 und soll deshalb in der vorliegenden Arbeit nicht näher behandelt werden.

dd) Delisting durch Verzicht

Vor Einführung der Möglichkeit des Zulassungswiderrufs auf Antrag des Emittenten war streitig, ob dieser eine Beendigung der Zulassung auch durch einseitigen Verzicht herbeiführen könnte.56 Teilweise wurde dies mit dem Argument bejaht, dass aus der Belastung mit erheblichen Publikations-, Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten, die für die börsennotierte Gesellschaft erhebliche Kosten verursachen, geschlossen werden müsse, dass es für den Emittenten eine Möglichkeit geben müsse, aus dem begründeten Leistungsverhältnis wieder entlassen zu werden.57 Da nach der Einführung eines gesetzlichen Marktentlassungsverfahrens durch den Gesetzgeber im heutigen § 39 Abs. 2 BörsG eine solche Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen ist, ist neben dem Börsenrückzug durch Stellung eines Antrages auf Widerruf der Börsenzulassung ein ungeordneter Rückzug durch einseitigen Verzicht ohne Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Geschäftsführung oder des Zulassungsausschusses weder notwendig noch zulässig.58

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c) Partielles Delisting und Downlisting

Bezogen auf seinen Umfang kann zwischen dem „vollständigen Delisting“ und dem „partiellen Delisting“ unterschieden werden. Der Begriff des vollständigen Delistings (auch „Going Private“59) wird dabei verwendet, um den kompletten Rückzug von allen in- und ausländischen organisierten Märkten im Sinne des § 2 Abs. 11 WpHG zu beschreiben.60 Bleibt hingegen nach Beendigung der Zulassung an einem Börsenplatz mindestens eine Börsenzulassung im In- oder Ausland bestehen, so liegt ein partielles Delisting (auch „Börsenpräsenzreduktion“61 oder „Teil-Delisting“62) vor.63

Zu unterscheiden ist weiterhin der vollständige Rückzug vom Markt von dem Wechsel in ein niedrigeres Marktsegment oder an einen Handelsplatz mit weniger strenger Regulierung, der als „Downlisting“ (teilweise auch als „Downgrading“) bezeichnet wird.64 Hierbei muss wiederum zwischen dem Wechsel innerhalb des regulierten Marktes65 und dem Wechsel aus dem regulierten Markt der §§ 32 ff. BörsG in den qualifizierten oder einfachen Freiverkehr des § 48 BörsG unterschieden werden. Nur der letztgenannte Fall stellt einen Fall des Delistings dar, da nur in diesem die Zulassung zum regulierten Markt endet.66 Kein Fall des Delistings im eigentlichen Sinne liegt mangels Beendigung der Zulassung am regulierten Markt auch bei einem Segmentwechsel innerhalb des Freiverkehrs und beim Verlassen des Freiverkehrs vor, mögen die Auswirkungen auch teilweise mit denen eines Delistings vergleichbar sein.

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II. Klassische Motive für den Börsenrückzug

1. Vor- und Nachteile der Börsennotierung

a) Gründe für einen Börsengang
aa) Finanzierung

So vielfältig sich die Erscheinungsformen des Delistings darstellen, so sind es auch die Motive, aus denen sich das Management einer Aktiengesellschaft für den Schritt weg von der Börse entscheidet. Zu beachten ist dabei, dass meist nicht ein einzelner Aspekt den Ausschlag gegen eine weitere Börsennotierung gibt, sondern vielmehr nach den konkreten Verhältnissen einer Gesellschaft abzuwägende Faktoren in ihrem Zusammenspiel die Entscheidung für das Delisting tragen.

Um zu verstehen, welche Faktoren typischerweise eine solche Delisting-Entscheidung beeinflussen, muss man daher nicht nur die Nachteile der Börsennotierung betrachten, sondern sich zunächst vor Augen führen, warum eine Gesellschaft ursprünglich den Schritt an die Börse vollzieht. Im Vordergrund steht bei der Entscheidung für den Börsengang in der Regel die Verbreiterung der Eigenkapital- und Liquiditätsbasis.67 Neben der regelmäßig unmittelbar mit dem Börsengang verbundenen Eigenkapitalaufnahme durch eine Kapitalerhöhung eröffnet die Börsennotierung der Gesellschaft auch in der Folge weitere effiziente Wege der Finanzierung. So entsteht mit der Börsennotierung auch für die Zukunft ein vereinfachter Zugang zu Eigenkapital in Form der Durchführung einer erneuten Kapitalerhöhung mit einer Platzierung im Kapitalmarkt.68 Durch die Börsennotierung können dabei die grundsätzlich divergierenden Interessen von Investoren und Gesellschaft hinsichtlich der Dauer einer Investition zusammengeführt werden. Während für die Gesellschaft regelmäßig eine langfristige Finanzierung im Vordergrund steht, ist für Investoren naturgemäß eine kurzfristige Kapitalbindung von Interesse. Durch die Börsennotierung wird beiden Seiten Rechnung getragen: Anleger können ihr Investment in der Regel aufgrund der effektiven Zusammenführung von Angebot und Nachfrage über die Plattform Börse zu transparenten Preisen jederzeit veräußern, während die durch die Kapitalerhöhung gewonnene Kapitalbasis der Gesellschaft unangetastet bleibt.69

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Zusätzlich zu dieser Möglichkeit kann die börsennotierte Gesellschaft zur Kapitalgewinnung effektiver auf die Ausgabe weiterer Finanzinstrumente wie Options-, Gewinn- oder Wandelanleihen gemäß § 221 Abs. 1 AktG zurückgreifen, deren Inhaber die Möglichkeit haben, erworbene Aktien über die Börse zu veräußern.70

Häufig steht auch der vor dem Börsengang unter Umständen noch versperrte Weg zu weiterem Fremdkapital in Form der Kreditaufnahme nach der Gewinnung von zusätzlichem Eigenkapital über die Börse und der damit einhergehenden Steigerung der Kreditwürdigkeit der Gesellschaft wieder offen.71 Dieser Aspekt wird noch verstärkt durch die erhöhte Transparenz einer börsennotierten Gesellschaft72, die eine leichtere Bewertung des Kreditrisikos durch potentielle Kreditgeber ermöglicht und so oftmals zur Steigerung der Kreditwürdigkeit beiträgt.73

Details

Seiten
318
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631810934
ISBN (ePUB)
9783631810941
ISBN (MOBI)
9783631810958
ISBN (Paperback)
9783631801536
DOI
10.3726/b16506
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Delisting Macrotron Frosta Anlegerschutz BörsG Aktieneigentum Börsenrückzug
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 318 S., 1 Tab.

Biographische Angaben

Benjamin Marc Schmitz (Autor:in)

Benjamin Marc Schmitz, Jahrgang 1988, absolvierte das Studium der Rechtswissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Im Jahr 2014 schloss er sein Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen ab. Im Jahr 2017 folgte der juristische Vorbereitungsdienst im Bezirk des OLG Köln und das zweite juristische Staatexamen im Frühjahr 2019.

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Titel: Die Entwicklung des Anlegerschutzes beim regulären Delisting in Deutschland
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