Heinrich Heine. Ein Intellektueller erobert Europa
Biographie
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autoren-/Herausgeberangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Das letzte europäische Ereignis von Rang
- Saloppe Gauklerpose
- Jüdische Komplikationen
- Zunächst war Düsseldorf
- Mein Kind, wir waren Kinder
- Die ersten Hamburger Aufenthalte
- „Wirklich habe ich geliebt nur Tote oder Statuen“
- Student in Bonn und Göttingen
- Berlin und die große Freiheit
- Über Polen
- Studienabschluss in Göttingen. Harzwanderung
- Reisebilder: Die Harzreise
- Der getaufte Heine
- Die Wildheit des Meeres
- Buch der Lieder
- Schickt keinen Poeten nach London!
- Die göttliche Bosheit in Bayern
- Italien – Flucht aus München
- Letzte Erfahrungen in Deutschland
- Paris: „Spitze der Welt“
- Im Kessel der Pariser Elite
- Mathilde: Der Venusberg
- Heine und Marx: Zwischen Realität und politischer Legende
- Der Entfremdungsprozess: Ludwig Börne
- Der neue Zeitgeist: Politische Lyrik, Zeitgedichte
- Der Publizist wird wieder Dichter
- Zwischen Romantik und Zeitkritik: Atta Troll
- „Deutschland. Ein Wintermärchen“
- „Madame, Sie sollen meine Küche loben“
- Neue Gedichte
- Die Matratzengruft. Das lyrische Testament auf dem Prüfstand
- Agonie und Abschiedsklänge
- Geständnisse und Memoiren: „Ich will nicht behandelt sein als Rekrut“
- Elise Krinitz: Die „Mouche“ – Mystifikation einer Lotosblume
- Montmartre
- Epilog
- Zeittafel
- Bibliographie
- Reihenübersicht
Das letzte europäische Ereignis von Rang
War Heinrich Heine tatsächlich „das letzte europäische Ereignis von Rang“, wie man auf einer Grafik von Horst Jansen im Düsseldorfer Restaurant Schnabelewopski lesen kann, das heute an Stelle des Geburtshauses des Dichters steht? Auch wenn wir Jansens leichte Übertreibung ignorieren, denn schließlich hatte die deutsche Literatur mehrere Schriftsteller von europäischem Rang – Franz Kafka, Thomas Mann, Bertolt Brecht, Günter Grass –, dann müssen wir dennoch zugeben: seine Erscheinung, abgesehen von unglaublichen Kontroversen und Zustimmungen zugleich – der poetische und politische Heine, der jüdische und philosophische, der besonders von rechts skandalträchtige und gelegentlich von republikanischen Vertretern hoch gelobte Dichter, hat seine Lebendigkeit im deutschen Identitätsdiskurs behalten, denn die „Wunde Heine“ ist nicht vernarbt, dank eines, man könnte meinen, unglaubwürdigen Widerspruchs, dass die Faszination der Deutschen über den „Dichterjuden“ auf einer geistig-künstlerischen Zerrissenheit dieses Autors beruht, um nur seinen Kampf mit der Zensur, die Konflikte mit deutschen Burschenschaften und sein „hin und her“ zwischen Republikanern und Monarchisten in Frankreich zu erwähnen. Das Bild runden wir ab, wenn wir an seine Mahlzeiten bei Rothschild und freundschaftliche Dispute über soziale Veränderungen mit Ferdinand Lassalle und Karl Marx erinnern. In diesem Kosmos bewegte sich das Genie Heine auf höchstem intellektuellem Niveau, obwohl er immer, wie es jemand formulierte, den Blick eines staunend naiven Kindes behalten hat. „Immer wieder diese – durchaus jüdischen – Spannungen zwischen Geschichte und Zukunft, Rückblick und Vision, Realismus und Fantasie, Tradition und Moderne. Heinrich Heine lebte im wahren Sinn des Wortes zwischen den Zeitaltern, Völkern, Denkweisen, Ästhetiken, Kulturen, strebte das letztlich Unvereinbare an zwischen »es war« und »noch nicht«“ (J. Trilse-Finkelstein).
Erstaunlich flexibel bewegte er sich zwischen Poesie, moderner Prosa und Publizistik, der zwar von der Romantik lernte, aber sich zwischen Ancien Régime und der noch nicht voll mündigen Moderne bewegte und sich sicher fühlte, denn das, was für die einen das „europäische Ereignis“ war, war ← 11 | 12 → für die anderen ein „deutscher Skandal“, hinter dem wir (leider), samt der diffamierenden Literatur, einen verkappten Antisemitismus wittern.
Die stereotypen Aburteilungen, die dauerhaften Schmähungen (von Gesinnungslosigkeit eines vaterlandslosen Gesellen bis zum charakterlosen Juden) begannen zu seinen Lebzeiten und dauern, Gott sei dank nur teilweise, bis heute. Dennoch haben viele Kritiker eindeutig bewiesen (Marcel Reich-Ranicki, Wolfgang Hädecke, Klaus Briegleb, Kersten Decker, Lew Kopelew, Fritz Raddatz, u.a.), dass um Heine eine „feindliche Wirkungsgeschichte“ (K. Briegleb) mit einem dicken Katalog von Urteilsklischees entstanden ist. Gelegentlich wird in seinem Kontext von Zerstörungslust, Zynismus, maßlosem Hohn, Boshaftigkeit, Zotenhaftigkeit und vernichtender Ironie gesprochen. Ein provinzioneller Redakteur aus Posen, gar nicht sein Erzfeind, wie etwa Platen oder Döllinger, nannte ihn, eine „Schmeißfliegennatur“.
Heinrich Heine – ein deutsch-jüdischer Dichter der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den man nicht nur in der deutschen Literatur „kopieren“ könnte. Bedacht mit allen Schmähungen, die dem Menschen zur Verfügung stehen, mit einem fast „sensationellen“ Lebenslauf war er ein europäisches Ereignis ohnegleichen. Natürlich sind Literaturschmähungen so alt wie die Literatur selbst. Provokante und kontroverse Dichter hat jede Epoche genügend. Mit unterschiedlichem Timbre und raffinierten Spitzfindigkeiten versuchte man den „Anderen“ (Juden?) nicht nur in Toledo im Mittelalter zu desavouieren. Schließlich kein anderer als Goethe hat festgestellt, dass die Barbarei darin besteht, das Vortreffliche nicht anzuerkennen. Dass Heinrich Heine mit besonderer Drastik bedacht wurde, dürfte uns ebenfalls nicht wundern, wenn wir uns die Geschichte des Antisemitismus und das ewige antijüdische Stereotyp mit jenem wie ein Bumerang zurückkehrenden foetor judaicus näher anschauen, der als „Wunderwaffe“ der christlichen Orthodoxie und Intoleranz immer wieder neue Dienste leistet. Der „Streit um Heine“, auch wenn er noch heute unbequem erscheinen sollte, muss nochmals das historisch bedingte Heine-Bild mit neuen Erfahrungen und modernen Untersuchungsmethoden auf den Prüfstand stellen. Die Geschichte einer fast 200-jährigen Heine-Forschung von Adolf Strodtmann bis Hädecke, Hinck, Kopelev, Briegleb, Raddatz, Peters, um nur einige zu nennen, umspannt einen farbigen und beachtenswerten Weg dieser Forschung. ← 12 | 13 →
Selbstverständlich gelten heute „Argumente“, die seinerzeit Graf Platen gegen Heine gerichtet hatte, als archaisch und überholt, doch ganz verschwunden sind sie nicht. Heute empfinden wir die ganze Komik (aber auch Bedrohlichkeit), wenn in Heines Disputation der Christ sein „Glaubensbekenntnis“ ablegt. Im Prolog zu seinem Buch Heinrich Heine. „Dichterjude“. Die Geschichte einer Schmähung erinnert Paul Peters an Heines Disputation.
Judenvolk, du bist ein Aas,
Worin hausen die Dämonen;
Eure Leiber sind Kasernen
Für des Teufels Legionen.
Judenvolk, ihr seid Hyänen,
Wölfe, Schakals, die in Gräbern
Wühlen, um der Toten Leichnam’
Blutfraßgierig aufzustöbern.
Ihr seid Vipern und Blindschleichen,
Klapperschlangen, gift’ge Kröten,
Ottern, Nattern – Christus wird
Eu’r verfluchtes Haupt zertreten.
Der Aufklärer Heine lässt in seiner Drastik nicht nach, jede Orthodoxie ist ihm fremd und Donna Blanka spricht in den letzten Versen die bezeichnenden Worte:
Welcher recht hat, weiß ich nicht –
Doch es will mich schier bedünken,
daß der Rabbi und der Mönch,
Daß sie alle beide stinken.
Übrigens hat Paul Peters die Barbarei in der Kultur am Beispiel der Schmähung des Dichters in einer faszinierenden Form gezeigt und – wie der Verlag will – „eine Art Kriminalroman der deutschen Geistesgeschichte geschrieben […] Die Geschichte der Schmähung des Dichters führt nicht nur in die Niederungen des gewöhnlichen Antisemitismus, sondern auch in – unvermutete – intellektuelle Höhen“.
Details
- Seiten
- 190
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631786789
- ISBN (ePUB)
- 9783631786796
- ISBN (MOBI)
- 9783631786802
- ISBN (Hardcover)
- 9783631785607
- DOI
- 10.3726/b15484
- Open Access
- CC-BY-NC-ND
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (Mai)
- Schlagworte
- Lyrik Prosa Journalismus Deutsche Schriftsteller Jüdische Herkunft Romantik Lebensgeschichte
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 190 S.