Profile der Germanistik in Mittelosteuropa – Transformationsprozesse und Perspektiven
Zusammenfassung
Neben der Analyse von Dokumenten und Fachliteratur bilden narrative Interviews mit Entscheidungsträgern und Führungspersönlichkeiten, die als Stakeholder und Experten in Funktionsstellen Einfluss auf die Entwicklung der Germanistik in Mittelosteuropa genommen hatten, den Kern der Studie. Diese vermitteln narrativ episodisches Wissen und retrospektive Interpretationen des eigenen Handels sowie prozedurales Wissen über Vorgänge, Abläufe und Einschätzungen bis hin zu Zukunftsvisionen zur Viabilität der Germanistik in Mittelosteuropa.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Tabellenverzeichnis
- Vorwort
- 1. Einleitung
- 1.1. Ausgangssituation und Problemstellung
- 1.2. Zielstellung
- 1.3. Methode
- 2. Deutsch in Mittelosteuropa – geschichtsregionale Einbettung und aktueller Stand in Bildung, Politik und Wirtschaft
- 3. Zeitgeschichtliche Entwicklung der Germanistik in den Referenzländern Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Rumänien in den Jahren 1945–1989
- 3.1. Polen
- 3.2. Tschechische Republik
- 3.3. Slowakei
- 3.4. Ungarn
- 3.5. Rumänien
- 3.6. Entwicklungen im Ländervergleich
- 4. Transformationsprozesse von der Wende bis in die Gegenwart in Mittelosteuropa
- 4.1. Die Wendejahre – politischer Umbruch und Aufschwung der Germanistik
- 4.1.1. Polen
- 4.1.2. Tschechische Republik
- 4.1.3. Slowakei
- 4.1.4. Ungarn
- 4.1.5. Rumänien
- 4.1.6. Entwicklungen im Ländervergleich
- 4.2. Die Jahrtausendwende und die erste Dekade – Bologna-Reform und Globalisierung
- 4.2.1. Polen
- 4.2.2. Tschechische Republik
- 4.2.3. Slowakei
- 4.2.4. Ungarn
- 4.2.5. Rumänien
- 4.2.6. Entwicklungen im Ländervergleich
- 4.3. Die zweite Dekade im neuen Jahrtausend – bildungspolitische Eingriffe und neue curriculare Entwicklungen
- 4.3.1. Polen
- 4.3.2. Tschechische Republik
- 4.3.3. Slowakei
- 4.3.4. Ungarn
- 4.3.5. Rumänien
- 4.3.6. Entwicklungen im Ländervergleich
- 5. Transformationsprozesse – Meilensteine der Entwicklung in den Referenzländern
- 6. Status quo, Tendenzen und Visionen zur Zukunft der Germanistik im Ländervergleich
- 6.1. Polen
- 6.2. Tschechische Republik
- 6.3. Slowakei
- 6.4. Ungarn
- 6.5. Rumänien
- 7. Germanistik in Mittelosteuropa: Bildung und Ausbildung für einen polyvalenten Arbeitsmarkt?
- 7.1. Von Humboldt zur Dritten Mission – Neupositionierungen in der Germanistik
- 7.2. Germanisten in der Wirtschaft
- 8. Germanistik quo vadis?
- Literaturverzeichnis
- Reihenübersicht
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:Anzahl der Fremdsprachenlerner (Deutsch und Englisch) an Grundschulen in Ungarn (1989–2010)
Abb. 2:Anzahl der Fremdsprachenlerner (Deutsch und Englisch) an Gymnasien in Ungarn (1989–2010)
Abb. 5:Deutschsprachige B.A.-Studiengänge nach Fachrichtungen in Rumänien
Abb. 6:Deutschsprachige M.A.-/M.B.A.-Studiengänge nach Fachrichtungen in Rumänien
Abb. 8:Profilwandel der Germanistik in Mittelosteuropa
Tab. 4:Anteil der deutschen Muttersprachler in Ungarn (Knipf-Komlósi 2008: 270)
Tab. 6:Ergebnisse der Umfrage – Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (Šíchová 2011: 66)
Vorwort
Die vorliegende Studie widmet sich der zeitgeschichtlichen Entwicklung germanistischer Profile an Universitäten Mittelosteuropas seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Stand vormals die Bildung von Philologen nach traditionellem Vorbild im Vordergrund, so haben wir es heute mit der Ausbildung von Germanisten für einen polyvalenten Arbeitsmarkt zu tun, die sich kompetenzorientiert an den Bedarfen der Gesellschaft orientiert.
Auch wenn sich dieses Buch ausschließlich auf die Germanistik in Mittelosteuropa bezieht, sind doch mit zunehmender Globalisierung gesellschaftliche Entwicklungen, die Transformationen in Bewegung setzen, nicht mehr auf bestimmte Regionen reduziert, enden nicht an nationalen Grenzen, sondern sind international erfahrbar. Dies gilt überall dort, wo durch Internationalisierung und Globalisierung gesellschaftliche Bedarfe geschaffen werden, denen Universitäten durch Bildung und Ausbildung gerecht werden müssen, wenn sie die Employabilität ihrer Absolventen berücksichtigen.
Zu den großen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gehört neben der Globalisierung, insbesondere im europäischen Raum die Bologna-Reform mit dem Ziel zu mehr Transparenz, Durchlässigkeit und Vereinheitlichung im Bildungsbereich, die nach der politischen Wende eine der großen Herausforderungen an Universitäten in Mittelosteuropa wird.
Die vorliegende Studie widmet sich den sogenannten Big Five in Mittelosteuropa: Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn und Rumänien und untersucht für einen begrenzten Zeitausschnitt von der Nachkriegszeit bis in die 2020er Jahre Transformationen und Entwicklungen der Germanistik in diesen Ländern.
Die gewählte Perspektive ist einerseits durch berufliche Teilhabe und Erfahrung in einigen dieser Länder gekennzeichnet, andererseits durch (m)eine Perspektive von außen begrenzt, die sich auch darin äußert, dass fast ausnahmslos deutschsprachige Quellen benutzt worden sind. Es wird sicherlich in der Wahrnehmung der Ergebnisse unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen geben, die sich wünschenswerterweise in einer ergiebigen Diskussion um die Aufarbeitung der zeitgeschichtlichen Ereignisse niederschlagen werden.
Das Kernstück dieser Studie bilden qualitative Leitfadeninterviews mit Entscheidungsträgern und Führungspersönlichkeiten, die als Stakeholder und Experten in Funktionsstellen Einfluss auf die Entwicklung der Germanistik in Mittelosteuropa genommen haben. Zu diesen Protagonisten gehören ←11 | 12→Staatssekretäre im Bildungsministerium, Vorsitzende von nationalen Verbänden und Leiter von Abteilungen und Studiengängen der Germanistik, denen mein außerordentlicher Dank gilt: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Franciszek Grucza, Prof. Dr. Maria Katarzyna Lasatowicz, Prof. Dr. Jacek Makowski und Prof. Dr. Joanna Szczęk (Polen), Prof. Dr. Ingeborg Fiala-Fürst, Prof. Dr. Lenka Vaňková, Prof. Dr. Renata Cornejo und Prof. Dr. Vit Dovalil (Tschechische Republik), Prof. Dr. Nadežda Zemaníková, Prof. Dr. Michaela Kováčová und Prof. Dr. Ingrid Puchalová (Slowakei), Prof. Dr. Károly Manherz, Prof. Dr. Elisabeth Knipf-Komlósi, Prof. Dr. András Masát, Prof. Dr. Péter Bassola und (Ungarn) sowie Prof. Dr. Dr. h. c. Andrei Corbea-Hoișie, Prof. Dr. Gerhard Konnerth, Prof. Dr. Maria Sass und Prof. Dr. Sorin Gadeanu (Rumänien).
Mein Dank gilt dem Fachgebiet „Deutsch als Fremd- und Fachsprache“ an der TU Berlin und ihrem Leiter Professor Thorsten Roelcke.
Dankbar bin ich vor allem auch Professor Ulrich Steinmüller für fachliche Gespräche, Anregungen und Ermutigung und Professor Doris Sava für Diskussionen, Unterstützung und Zuspruch.
Gewidmet sei dieses Buch posthum meinem Ehemann Axel Brünig, der die Anfänge dieser Arbeit noch erleben konnte.
Ellen Tichy
1. Einleitung
1.1. Ausgangssituation und Problemstellung
Der politische Umbruch 1989/1990 traf die kommunistischen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang unvorbereitet. Versuche der Entstalinisierung hatte es zwar bereits in allen Ländern gegeben, die allerdings in den meisten Fällen lediglich als leichtes „Tauwetter“ in die Geschichte eingegangen sind. Ein Aufbegehren gegen das diktatorische System, der Kampf um Demokratie, war in Ungarn (1956), Polen (1956), Tschechien (1968) und Rumänien (1956) niedergeschlagen worden.
Die Wende markierte den Wechsel von einer marxistisch-leninistischen zu einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, die in allen Lebensbereichen von Politik und Zivilgesellschaft Transformationsprozesse in Gang setzte. Entpolitisierung und Entideologisierung standen in der Wissenschaftspolitik in Mittelosteuropa im Vordergrund. Die Hochschulen erhielten „die Autonomie und die Freiheit der Lehre einschließlich des freien Austausches mit dem Westen wieder zurück. […] und wieder das Recht, Forschung zu betreiben und akademische Titel zu vergeben […].“ (Bachmeier 1995: 39)
In den Nachwendejahren steigen die Studierendenzahlen, neue Universitäten werden gegründet und die westlichen Sprachen sind gefragter wie nie zuvor. Gerade in Ländern mit autochthonen deutschen Minderheitengruppen wie in Ungarn, Rumänien, Tschechien, Polen und der Slowakei avanciert Deutsch innerhalb weniger Jahre zu einer der wichtigsten Fremdsprachen an Schulen und in der universitären Ausbildung. In den Folgejahren wird der Auf- und Ausbau der deutschen Sprache im Bildungsbereich mit Vehemenz vorangetrieben, von einer regelrechten Blütezeit sprechen Protagonisten dieser Zeitperiode. Erst mit der Jahrtausendwende findet diese bedingt durch die demografische Entwicklung und die wachsende Vorrangstellung des Englischen ein Ende.
Aus bildungspolitischer Perspektive bestreitet allerdings die Bologna-Reform den nachhaltigsten Einfluss am europäischen Bildungsmarkt. Der Grundstein wird mit der Bologna-Erklärung vom 19. Juni 1999 gelegt. Zu den wichtigsten Zielen gehören die Vergleichbarkeit von Studienstrukturen, die mit der Stufung zu Bachelor- und Masterstudiengängen in die Praxis umgesetzt wird (später auch PHD), die Modularisierung von Studieninhalten, die Schaffung von mehr Transparenz u.a. durch die Einführung des European Credit Transfer System (ECTS), die Verbesserung der Mobilität von Studierenden und ←13 | 14→Hochschulangehörigen, die Förderung des lebenslangen Lernens und eine verbesserte Beschäftigungsbefähigung („Employability“) von Absolventen.
Neben anderen Ländern der EU werden auch in Mittelosteuropa u.a. in Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn und Rumänien die Vorgaben der Bologna-Erklärung in die Praxis umgesetzt.
Die damit einhergehende – längst überfällige – Vergleichbarkeit von Studienstrukturen und -abschlüssen und die Anrechenbarkeit bzw. Akzeptanz von im Ausland erworbenen Studienabschlüssen sowie die Förderung der Mobilität und eine intensivere Vernetzung insbesondere auf der Ebene des wissenschaftlichen Austausches wird positiv wahrgenommen, auch weil durch diesen Prozess Fachinhalte und Konzepte der Germanistik überdacht, Internationalisierung intensiviert und in Curricula regionalspezifische Profilierungen neu gesetzt werden können. Diese Vorteile können jedoch andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, mit welchen Schwierigkeiten die Umsetzung der neuen Studienstrukturen bzw. Curricula verbunden waren und teils immer noch sind. Fast einheitlich berichten Protagonisten der genannten Referenzländer über die mangelnde inhaltliche Vorbereitung, die dem außerordentlichen Zeitdruck geschuldet war. Die Curricula von Diplom- und Lizenzstudiengängen mit einer durchschnittlichen Dauer von vier teils auch fünf Jahren sollten in die neuen Studienstrukturen in 3 + 2 (Bachelor und Master) überführt werden. Die Vorgaben von Praxis- und Arbeitsmarktorientierung einerseits und der Wunsch, traditionelle Kerndisziplinen der Germanistik nicht aufgeben zu wollen, führten fast immer zu einer Überfrachtung von Curricula, die genau das Gegenteil dessen bewirkten, was mit der Bologna-Erklärung gefordert wurde – eine Verschulung des Studiums. Auch wenn in den Referenzländern nicht dezidiert von einer Bildungspolitik Humboldt’scher Prägung berichtet wurde, so verweisen die Curricula aus der Zeit vor der Bologna-Reform doch auf Strukturen traditioneller Teildisziplinen der traditionellen Germanistik: (Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Mediävistik), die sich häufig eng an den Curricula bundesdeutscher Universitäten orientierten. Universitäten waren Bildungsstätten mit traditionellem Selbstverständnis und zugleich Ausbildungsstätten für die Bedarfe des lokalen Marktes. Auch dies trifft auf alle Referenzländer zu.
Details
- Seiten
- 222
- Erscheinungsjahr
- 2022
- ISBN (PDF)
- 9783631865156
- ISBN (ePUB)
- 9783631865163
- ISBN (Hardcover)
- 9783631853344
- DOI
- 10.3726/b18887
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2022 (Februar)
- Schlagworte
- Curriculare Entwicklung Meilensteine Germanistik Germanistik MOE Bildungspolitische Eingriffe Mittel-, Ost-, Südosteuropa Polyvalenter Arbeitsmarkt Germanisten in der Wirtschaft Neupositionierung der Germanistik
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 222 S., 8 s/w Abb., 6 Tab.
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