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Die Verteilung von Sondernutzungsrechten

Zum Umgang mit konkurrierenden Sondernutzungsbegehren im öffentlichen Straßenraum

von Kriemhild Ottensmeier (Autor:in)
©2022 Dissertation 234 Seiten

Zusammenfassung

Seit einiger Zeit konkurrieren Gewerbetreibende zunehmend darum, den öffentlichen Straßenraum für kommerzielle Zwecke in Anspruch nehmen zu dürfen. In diesen Konkurrenzsituationen sieht sich die zuständige Behörde mit der Frage nach der sachgerechten Verteilung des dazu erforderlichen Sondernutzungsrechts konfrontiert. Ausgehend von einer verteilungsspezifischen Perspektive beleuchtet die Arbeit den verfassungs-, unions- und einfachrechtlichen Rahmen der Vermittlung eines entsprechenden Sondernutzungsrechts durch Sondernutzungserlaubnis oder öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dabei geht sie auch auf die Konstellation ein, in der Kommunen Dienstleistungen, zu deren Ausführung die Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums erforderlich ist, beschaffen wollen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • § 1 Einleitung
  • A. Gegenstand der Untersuchung
  • I. Problemaufriss
  • II. Erkenntnisinteresse
  • B. Gang der Untersuchung
  • § 2 Die kommerzielle Straßenbenutzung im System des Straßenrechts
  • A. Die kommerzielle Benutzung der öffentlichen Straßen
  • I. Die öffentlichen Straßen
  • II. Die kommerzielle Benutzung
  • B. Die kommerzielle Straßenbenutzung im Spannungsverhältnis von Gemeingebrauch, Sondernutzung und Straßenanliegergebrauch
  • I. Die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung
  • 1. Abstrakter Gemeingebrauch
  • 2. Individueller bzw. konkreter Gemeingebrauch
  • 3. Der Verkehrszweck als maßgebliches Abgrenzungskriterium
  • a.) Verkehr im engeren Sinne
  • b.) Verkehr im weiteren Sinne (kommunikativer Verkehr)
  • aa.) Inhalt und Reichweite des kommunikativen Verkehrs
  • (1) Der Erlaubnisvorbehalt als Grundrechtseingriff
  • (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
  • (aa) Spontane Grundrechtsausübung
  • (bb) Geringfügige Beeinträchtigung des Straßengebrauchs anderer
  • bb.) Differenzierung nach betroffenem Grundrecht
  • cc.) Zusammenfassung
  • c.) Die kommerzielle Straßenbenutzung als kommunikativer Verkehr
  • aa.) Der Erlaubnisvorbehalt als Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG
  • bb.) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
  • d.) Zusammenfassung
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Anliegergebrauch
  • § 3 Konkurrierende Sondernutzungsbegehren im Kontext kommerzieller Nutzungsabsichten
  • A. Die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen als Verteilungsproblem
  • I. Konkurrierende Sondernutzungsbegehren als Ausgangspunkt einer Verteilungssituation
  • 1. Verteilungsobjekt und Verteilungssubjekte
  • 2. Knappheit und knappheitsbedingte Konkurrenzsituation
  • 3. Abgrenzung zur schlichten Zuteilung
  • II. Die Erlaubniserteilung als Verteilungsentscheidung
  • 1. Erlaubnisverfahren
  • a.) Konkurrenten als Verfahrensbeteiligte?
  • b.) Verfahrensermessen
  • 2. Materielles Ermessen
  • a.) Zulässige Ermessenserwägungen
  • b.) Ermessensausübung in straßenrechtlichen Verteilungssituationen
  • aa.) Ermessensreduzierung auf Null als Voraussetzung für die Entstehung der Verteilungssituation
  • bb.) Auswahlermessen
  • cc.) Zusammenfassung: Struktur der materiellen Ermessensentscheidung
  • c.) Ermessensausübung im Falle eines öffentlichen Unternehmens als konkurrierendes Verteilungssubjekt
  • d.) Unterschied zur klassischen Verteilungssituation und -entscheidung
  • 3. Zusammenfassung
  • B. Rechtlicher Rahmen der Verteilung
  • I. Verfassungsrechtlicher Rahmen
  • 1. Betroffene Grundrechtsfunktionen
  • a.) Sondernutzung: Freiheit oder Teilhabe?
  • b.) Verteilung im Lichte einer abwehrrechtlichen Betroffenheit
  • c.) Querschnittsfunktion: Grundrechtsschutz durch Verfahren
  • 2. Betroffene Grundrechte
  • a.) Art. 3 Abs. 1 GG
  • aa.) Rechtfertigungsmaßstab
  • bb.) Anforderungen an die Verteilung
  • (1) Verteilungskriterien
  • (aa) Materielle Verteilungskriterien
  • (bb) Formale Verteilungskriterien
  • (cc) Vorrang materieller Verteilungskriterien
  • (2) Verteilungsverfahren
  • b.) Art. 12 Abs. 1 GG
  • c.) Zusammenfassung
  • II. Unionsrechtlicher Rahmen
  • 1. Grundfreiheiten
  • a.) Verteilungskriterien
  • b.) Verteilungsverfahren
  • 2. Unionsgrundrechte
  • 3. Art. 106 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 102 AEUV
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Einfachgesetzlicher Rahmen
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Konkurrenz durch kommunale Unternehmen
  • I. Verfassungsrechtlicher Rahmen
  • II. Unionsrechtlicher Rahmen
  • III. Zusammenfassung
  • D. Rechtsschutz
  • I. Sondernutzungserlaubnis
  • II. Öffentlich-rechtlicher Vertrag
  • § 4 Sondernutzung als Bestandteil einer Dienstleistungskonzession
  • A. Sondernutzungsrecht und Dienstleistungskonzession
  • I. Vertrag zwischen Konzessionsgeber und Unternehmen
  • II. Betrauung bzw. Beschaffung einer Dienstleistung
  • III. Einräumung eines Verwertungsrechts und Übergang des Betriebsrisikos
  • B. Rechtlicher Rahmen der Vergabe
  • I. Verfassungsrechtlicher Rahmen
  • II. Unionsrechtlicher Rahmen
  • III. Einfachgesetzlicher Rahmen
  • 1. Vergaberecht
  • 2. Haushaltsrecht
  • 3. Kartellrecht
  • a.) Der Konzessionsgeber als Unternehmen i.S.d. § 19, 18 GWB?
  • b.) Marktbeherrschende Stellung
  • aa.) Marktabgrenzung
  • (1) Sachlich relevanter Markt
  • (2) Räumlich relevanter Markt
  • (3) Zwischenergebnis
  • bb.) Beherrschende Stellung auf diesem Markt
  • c.) Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung
  • d.) Zusammenfassung
  • C. Konkurrenz durch kommunale Unternehmen
  • I. Pflicht zur Beschaffung?
  • 1. Verfassungsrecht
  • 2. Unionsrecht
  • 3. Vergaberecht
  • 4. Kartellrecht
  • 5. Zusammenfassung
  • II. Privilegierung kommunaler Unternehmen bei der Beschaffung
  • 1. Verfassungsrechtlicher Rahmen
  • 2. Unionsrechtlicher Rahmen
  • 3. Einfachgesetzlicher Rahmen
  • a.) Vergaberechtliche Maßgaben
  • b.) Kartellrechtliche Maßgaben: Privilegierung als missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung?
  • aa.) Kartellrechtliche Irrelevanz kommunalwirtschaftsrechtlicher Unzulässigkeit
  • bb.) Zulässigkeit der Privilegierung kommunaler Unternehmen als konzernverbundene Unternehmen?
  • 4. Zwischenergebnis
  • D. Rechtsschutz
  • § 5 Fallgruppen
  • A. Außengastronomie
  • I. Verteilungssituation
  • II. Rechtlicher Rahmen
  • 1. Verteilungskriterien
  • 2. Verteilungsverfahren
  • III. Rechtsschutz
  • B. Carsharing
  • I. Verteilungssituation
  • II. Rechtlicher Rahmen
  • 1. Verteilung nach § 18a StrWG NRW
  • 2. Verteilung in den Bundesländern ohne Regelung
  • III. Rechtsschutz
  • C. Veranstaltung von Märkten und Festen
  • I. Verteilungssituation
  • II. Rechtlicher Rahmen
  • 1. Dienstleistungskonzession
  • 2. Einfaches Sondernutzungsrecht
  • III. Rechtsschutz
  • D. Außenwerbung
  • I. Verteilungssituation
  • II. Rechtlicher Rahmen
  • 1. Dienstleistungskonzession
  • 2. Einfaches Sondernutzungsrecht
  • III. Rechtsschutz
  • E. Aufstellen von Abfallcontainern
  • I Die abfallrechtliche Ausgangslage
  • II. Verteilungssituation
  • III. Rechtlicher Rahmen
  • 1. Einfaches Sondernutzungsrecht
  • 2. Dienstleistungskonzession
  • IV. Rechtsschutz
  • § 6 Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

BT Bundestag

CsgG Gesetz zur Bevorrechtigung des Carsharing

Dienstleistungs-RL Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt

Drs. Drucksache

EnWG Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung

EUV Vertrag über die Europäische Union

FStrG Bundesfernstraßengesetz

GewO Gewerbeordnung

GG Grundgesetz

GO NRW Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

JustG NRW Gesetz über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen

KomHVO NRW Verordnung über das Haushaltswesen der Kommunen im Land Nordrhein-Westfalen

Konzessions-RL Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe

KonzVgV Verordnung über die Vergabe von Konzessionen

KrWG Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen

LAbfG NRW Abfallgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen

LT Landtag

StrWG NRW Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen

UVgO Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte

VwVfG NRW Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen

VwGO Verwaltungsgerichtsordnung

Wegen weiterer Abkürzungen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Auflage, 2018.

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§ 1 Einleitung

In weiten Teilen der öffentlichen Verwaltung ist die Frage nach der sachgerechten Verteilung knapper Güter allgegenwärtig. Immer dann, wenn mehrere Personen die Zuteilung eines knappen Gutes begehren, wegen seiner Knappheit aber nicht alle Bewerber berücksichtigt werden können, sieht sich die Verwaltung in die Lage versetzt, eine Auswahl unter ihnen treffen zu müssen. Dieser Auswahlvorgang, der hier mit Verteilung gemeint ist, tritt dabei in der Verwaltungspraxis so zahlreich auf, wie dessen potenzielle Verteilungsobjekte heterogen sind. So reicht die Bandbreite von öffentlichen Ämtern und Studienplätzen über öffentliche Einrichtungen, Standplätze auf Volksfesten, Genehmigungen im Taxenverkehr und öffentliche Aufträge bis hin zu Frequenzen im Bereich des Telekommunikations- und Rundfunkrechts.

In Anbetracht dieser Fülle an Sachverhalten überrascht es nicht, dass immer wieder auch die Gerichte mit dieser Verteilungsproblematik konfrontiert wurden. Besonders hervorzuheben ist dabei die erste Numerus-Clausus-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1972 zur Verteilung von Studienplätzen, die später vielfach als Anknüpfungspunkt zur Diskussion um die sachgerechte Verteilung knapper Güter dienen sollte.1 Aber auch im Schrifttum existieren zahlreiche Abhandlungen, die sich entweder mit einer spezifischen Verteilungsproblematik beschäftigen oder aber Verteilungsfragen auf abstrakter Ebene mit dem Ziel erörtern, allgemeingültige Aussagen treffen zu können, oft dann unter anschließender Bezugnahme auf bestimmte Referenzgebiete.2

A. Gegenstand der Untersuchung

In letzter Zeit ist zunehmend auch der öffentliche Straßenraum als „knappes Gut“ ausgemacht worden.3 Dabei fällt auf, dass sich vor allem Personen aus einem wirtschaftlichen Umfeld immer häufiger diesen Raum zunutze machen wollen. Auch wenn seit jeher anerkannt ist, dass die öffentlichen Straßen weit mehr sind als nur ein Bindeglied zwischen zwei Orten, sie vielmehr durch ihre ←21 | 22→Multifunktionalität geprägt werden, so lässt sich doch beobachten, dass der öffentliche Straßenraum immer mehr auch als Ort wirtschaftlicher Betätigung begriffen wird.4 Zunehmend finden sich in den Innenstädten Verkaufsstände (namentlich auch in neueren Erscheinungsformen, wie etwa der des „Foodtrucks“) oder Märkte und Feste zu den unterschiedlichsten Themen. Immer häufiger werden dort Carsharingflächen und Fahrradmietstationen eingerichtet. Und auch das Aufstellen von Abfallcontainern und Außenwerbung oder der Betrieb einer Außengastronomie sind weitere Formen einer kommerziellen Straßenbenutzung, die tendenziell stärker das Stadtbild prägen als noch vor einigen Jahrzehnten.

Oft aber ist der öffentliche Straßenraum, der für diese kommerziellen Nutzungen in Frage kommt, begrenzt. Dies führt dazu, dass vielerorts die zur Verfügung stehenden Straßenflächen nicht (mehr) ausreichen, um die Nachfrage nach ihnen zu decken – zumal eine parallele Nutzung in aller Regel aus tatsächlichen Gründen ausscheidet. Handelt es sich bei der beabsichtigten kommerziellen Nutzung zugleich auch um eine Sondernutzung, so bedarf sie der vorherigen Erlaubnis durch die zuständige Behörde (so z.B. in NRW nach § 18 Abs. 1 S. 2 StrWG NRW). Bei ihrer Erteilung muss dann im Falle einer Kapazitätserschöpfung zwingend auch eine Auswahlentscheidung getroffen werden. Insofern kommt es dazu, dass die an der Nutzung des öffentlichen Raums interessierten Personen darum konkurrieren, die für die jeweilige Tätigkeit geeigneten Flächen für sich beanspruchen zu dürfen. Aus ihrer Sicht erscheint der öffentliche Straßenraum daher nicht nur als Wirtschafts-, sondern vielmehr auch als Wettbewerbsraum in dem Sinne, dass sie hinsichtlich der Frage, wer von ihnen den betreffenden Raum nutzen darf, in Konkurrenz zueinander treten.5 In Anbetracht der Knappheit sehen sich demgegenüber die zuständigen Behörden in der Situation, unter allen Bewerbern eine Person, die zur Nutzung berechtigt werden soll, auswählen zu müssen. Durch die knappheitsbedingte Konkurrenzsituation entsteht also ein Verteilungskonflikt, den es von den Behörden zu bewältigen gilt.6

Das Recht zur Sondernutzung ist dabei für die Bewerber von nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Relevanz. Auch wenn viele Formen der ←22 | 23→kommerziellen Straßenbenutzung grds. auch auf privaten Grundstücken möglich wären, so sind diese doch aus unternehmerischer Sicht in den meisten Fällen nicht in gleichem Maße geeignet. Denn im Vergleich zu privaten Räumen hat der öffentliche Straßenraum den Vorteil, dass Gegenstände dort schneller wahrgenommen werden, er grds. einem unbestimmten Personenkreis zugänglich ist und seine Benutzung – auch wenn eine Sondernutzungsgebühr erhoben werden kann – i.d.R. nicht so hohe Kosten verursacht wie die Anmietung privater Räume, zumal dies ohnehin erst einmal die Bereitschaft Privater zur Vermietung voraussetzt.7 Das Sondernutzungsrecht ist daher für die Ausübung der hier in Rede stehenden Tätigkeiten zwar rechtlich gesehen keine Voraussetzung, gleichwohl ist der öffentliche Straßenraum aber aus unternehmerischer Sicht so attraktiv, dass dem Benutzungsrecht enorme wirtschaftliche Bedeutung zukommt.

Damit einhergeht, dass die zuständige Behörde durch die Erteilung einer entsprechenden Sondernutzungserlaubnis zum Teil erheblichen Einfluss auf bestimmte Dienstleistungsmärkte nehmen kann. Denn auch wenn das Sondernutzungsrecht keine Marktzugangsvoraussetzung ist (die Dienstleistungen können ja auch auf privaten Flächen angeboten werden) so hat doch derjenige, der berechtigt ist, seine Dienstleistung auch im öffentlichen Straßenraum zu erbringen, auf bestimmten Märkten eine deutlich bessere Marktstellung als seine Wettbewerber. So hat z.B. ein Alttextilsammler, der seine Container, oder ein Werbeunternehmen, das seine Werbeflächen auch im öffentlichen Straßenraum platzieren darf, eine erheblich bessere Wettbewerbsposition als seine Konkurrenten.

I. Problemaufriss

Während also das Bestehen und die Bedeutung dieses Verteilungskonflikts nicht von der Hand zu weisen ist, erscheint im Umgang mit ihm aber noch einiges unklar. Namentlich die Rechtsprechung, die sich in der jüngeren Vergangenheit immer mal wieder mit dieser Problematik zu beschäftigen hatte, gibt Anlass dazu, sich genauer mit der Frage auseinanderzusetzen, wie das Gut „öffentlicher Straßenraum“ in einer knappheitsbedingten Konkurrenzsituation verteilt werden muss.

So wurde dort vor allem darüber diskutiert, welche Ermessenserwägungen die zuständige Behörde bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ←23 | 24→in einer derartigen Konkurrenzsituation zugrunde legen darf.8 Nur solche mit straßenrechtlichem Bezug, wie es § 40 VwVfG NRW9, nach dem das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben ist, nahelegen würde? Und würde dies der Einbeziehung von Erwägungen entgegenstehen, die in erster Linie auf die Lösung der Konkurrenzproblematik (z.B. nach dem Kriterium der „Leistungsfähigkeit“, „bekannt und bewährt“ oder mithilfe des Zufalls- oder Prioritätsprinzips) gerichtet sind? Fraglich ist auch, welche Bedeutung hier der sog. Wirtschafts- und Wettbewerbsneutralität des Straßenrechts zukommt und ob sie dazu führt, dass Konkurrenzerwägungen gänzlich außen vor zu bleiben haben.10

Dies unterstellt wäre das Straßenrecht nur eingeschränkt in der Lage, den dargestellten Verteilungskonflikt zu bewältigen. Sind ihm Konkurrenzerwägungen tatsächlich fremd, so kann es nur spezifisch straßenrechtliche Lösungen finden, bei denen der Konkurrenzproblematik aber jedenfalls keine eigenständige Bedeutung zukäme. Insofern schiene es so, als würde es speziell für die Auflösung des Verteilungskonflikts an rechtlichen Maßgaben fehlen. Dann aber würden Umstände, die die Beziehungen der Beteiligten untereinander entscheidend prägen, auf rechtlicher Ebene ignoriert werden.

Anders also als in vergleichbaren Verteilungssituationen, wie etwa beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen (z.B. nach § 8 Abs. 2 GO NRW) oder bei der Teilnahme an einer Veranstaltung nach § 70 Abs. 1 GewO, bei denen die Anwendung bestimmter Verteilungskriterien bzw. -verfahren (wie etwa das Zufallskriterium beim Losverfahren) im Grundsatz anerkannt ist, gilt dies nicht für die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis. Im Unterschied zu diesen Konstellationen besteht auf ihre Erteilung aber auch kein Anspruch, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. ←24 | 25→Die Verteilungssituation ist hier also schon im Ausgangspunkt insofern anders, als dem unterlegenen Bewerber lediglich etwas nicht zu gesprochen wird, auf das er ohnehin keinen Anspruch gehabt hätte.

Während sich also einerseits die Einordnung der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis als Verteilungsproblem aufdrängt, erscheint andererseits doch unklar, wie vor allem im Rahmen der Ermessensausübung mit ihm umzugehen ist, zumal zu bekannten Verteilungskonflikten zum Teil offensichtliche Unterschiede bestehen. Im Rahmen dieser Untersuchung soll diesen Inkonsistenzen auf den Grund gegangen werden. Es gilt zu hinterfragen, ob bzw. inwiefern bei der Ermessensausübung tatsächlich keine Konkurrenzerwägungen berücksichtigt werden dürfen.

Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob sich ein Konkurrent unter bestimmten Voraussetzungen gegen die einem anderen erteilte Sondernutzungserlaubnis zur Wehr setzen kann. Fraglich ist dies deshalb, weil das Straßenrecht (bzw. die Vorschrift zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis) im Grundsatz nicht drittschützend ist.11 Unter der Prämisse, dass das Straßenrecht tatsächlich wirtschafts- und wettbewerbsneutral in dem Sinne ist, dass Konkurrenzerwägungen nicht einbezogen werden dürften, könnte es freilich auch nicht dem Schutz der unterlegenen Bewerber dienen. Gerade aber vor dem Hintergrund, dass es sich in den dargestellten Konkurrenzsituationen aus der Sicht der unterlegenen Bewerber um eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG handelt und zudem möglicherweise auch ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen ist, erscheint dieses Ergebnis aber fragwürdig. Die Problematik bedarf daher auch mit Blick auf etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten der näheren Untersuchung.

Und auch aus vergaberechtlicher Sicht ergeben sich Fragestellungen, die noch nicht vollends geklärt sind. So kommt es vor, dass Kommunen Dienstleistungen am Markt nachfragen, zu deren Ausführung die Benutzung des öffentlichen Straßenraums erforderlich ist. Auch in diesen Fällen konkurrieren Personen darum, diese Dienstleistungen übernehmen zu dürfen. Dabei ist vor allem fraglich, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen diese Tätigkeit als Vergabe einer Dienstleistungskonzession einzuordnen wäre. Sofern dies im Einzelfall bejaht werden müsste, würden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen im Vergleich zur schlichten Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis insofern entscheidend verändern, als dann auch das Vergabe- und das Kartellrecht zur Anwendung ←25 | 26→kämen. Sondernutzungen im Kontext von Beschaffungen sollen daher ein weiteres Problemfeld sein, das im Rahmen dieser Untersuchung behandelt wird.

Dabei sollen diese besonders deutlich hervorgetretenen Fragestellungen Grund und Anlass zur umfassenden Untersuchung dieser Problematik sein. Sie beleuchten das Sondernutzungsrecht als Gegenstand eines Verteilungskonflikts. I.d.R. wirkt sich die Vermittlung eines Sondernutzungsrechts nur im Verhältnis von Antragsteller und Straßenbaulastträger (hier i.d.R. die Gemeinde) aus, worauf augenscheinlich auch die Vorschriften zur Erlaubniserteilung ausgelegt sind. In Verteilungssituationen aber steht nicht die bipolare, sondern eine multipolare Rechtsbeziehung unter zusätzlicher Beteiligung aller Konkurrenten im Mittelpunkt. Dieser verteilungsspezifische Blickwinkel soll dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden. Die Frage ist, ob bzw. auf welche Weise das Straßenrecht und die Verteilungsproblematik zusammengeführt werden können und ob bzw. inwiefern sich daraus ergibt, dass die möglicherweise betroffenen Rechte der unterlegenen Konkurrenten bei der Vermittlung eines Sondernutzungsrechts zu berücksichtigen sind.

II. Erkenntnisinteresse

Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme ist das Anliegen dieser Untersuchung darauf gerichtet, herauszufinden, welche rechtlichen Maßgaben die zuständige Behörde bei der Vermittlung eines Sondernutzungsrechts in einer knappheitsbedingten Konkurrenzsituation zu beachten hat und ob den unterlegenen Bewerbern bei Missachtung dieser Rahmenbedingungen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Grundlegend zu unterscheiden sind dabei zwei Ausgangslagen: Einerseits der Fall, dass die Sondernutzung vonseiten privater Akteure aus begehrt wird, und andererseits der, in dem die Sondernutzung als Dienstleistung auf Nachfrage der öffentlichen Hand erfolgen soll.12 Diese unterschiedlichen Ausgangssituationen prägen ganz entscheidend die rechtlichen Rahmenbedingungen der Verteilung. Denn im ersten Fall wird das Sondernutzungsrecht durch eine Erlaubnis bzw. einen öffentlich-rechtlichen Vertrag vermittelt, wobei die Erteilung der Erlaubnis bzw. der Abschluss des Vertrags im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde liegen. In der zweiten Konstellation handelt es sich dagegen um einen Beschaffungsvorgang, der teils anderen, teils zusätzlichen rechtlichen Maßgaben unterliegt als Verwaltungsakte oder den an ihrer Stelle geschlossenen ←26 | 27→öffentlich-rechtlichen Verträgen. Und auch mit Blick auf etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen Unterschiede von solchem Gewicht, dass eine Trennung dieser beiden Sachverhalte unumgänglich erscheint.

Details

Seiten
234
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631879962
ISBN (ePUB)
9783631879979
ISBN (MOBI)
9783631879986
ISBN (Paperback)
9783631877692
DOI
10.3726/b19741
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Mai)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 234 S.

Biographische Angaben

Kriemhild Ottensmeier (Autor:in)

Kriemhild Ottensmeier studierte Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld.

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