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Die Entstehung des Anspruchs als Anknüpfungspunkt für den Beginn der Verjährung

von Oliver Koos (Autor:in)
©2022 Dissertation 152 Seiten

Zusammenfassung

Der Beginn der Verjährung hängt entscheidend von der Entstehung des Anspruchs ab. Das Gesetz sagt allerdings an keiner Stelle, was es unter Entstehung des Anspruchs versteht. In Betracht kommen ganz verschiedene Auslegungen. Umso erstaunlicher ist es, dass es dazu heute eine fast einhellige Auffassung gibt: Sie lautet, dass es grundsätzlich auf die Fälligkeit und den Zeitpunkt ankommen soll, in dem der Anspruch erstmals geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. Ob diese Auffassung zutreffend ist, wird in der vorliegenden Arbeit eingehend untersucht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung und Problemstellung
  • I. Die praktische Bedeutung der Verjährung
  • II. Die allgemeine gesetzliche Regelung des Verjährungsbeginns
  • III. Problemstellung
  • B. Überblick über den aktuellen Meinungsstand
  • I. Rechtsprechung
  • II. Literatur
  • III. Kritik
  • C. These
  • D. Die Kriterien der Auslegung von Vorschriften des Verjährungsrechts
  • I. Die einzelnen Kriterien der Auslegung
  • II. Besondere Auslegungskriterien für das Verjährungsrecht?
  • E. Auslegung des Begriffs der Entstehung des Anspruchs
  • I. Wortlaut
  • 1. Allgemeiner Sprachgebrauch
  • a. Entstehung
  • b. Anspruch
  • 2. Besonderer juristischer Sprachgebrauch
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Regelungszusammenhang
  • 1. Regelungen im Allgemeinen Teil des BGB
  • a. Abschnitt 3 (Rechtsgeschäfte)
  • b. Abschnitt 5 (Verjährung)
  • aa. Titel 1
  • bb. Titel 2
  • cc. Titel 3
  • dd. Zwischenergebnis
  • 2. Regelungen im Recht der Schuldverhältnisse des BGB
  • a. Abschnitt 1 bis 7 („Allgemeines Schuldrecht“)
  • b. Abschnitt 8 (Einzelne Schuldverhältnisse)
  • 3. Regelungen im Sachenrecht des BGB
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Regelungsabsicht des Gesetzgebers bei der Schuldrechtsreform
  • 1. Entwurf: Verjährungsbeginn ab Fälligkeit
  • 2. Rückkehr zur Anknüpfung an die Entstehung des Anspruchs
  • 3. Wille des Gesetzgebers zur Auslegung des Begriffs der Entstehung des Anspruchs
  • a. Aufhebung des § 201 S. 2 a.F.
  • b. Änderung des § 202 a.F.
  • 4. Zwischenergebnis
  • 5. Die Bedeutung des Willens des Gesetzgebers für die Auslegung
  • IV. Rechtslage vor der Schuldrechtsreform
  • 1. Gesetzliche Regelung vor der Schuldrechtsreform
  • 2. Rechtsprechung
  • a. Bundesgerichtshof
  • b. Reichsgericht
  • 3. Literatur
  • a. Entstehung bereits mit Verwirklichung des Tatbestands
  • b. Entstehung mit Klagemöglichkeit bzw. Fälligkeit
  • 4. Wortsinn
  • 5. Regelungszusammenhang
  • 6. Kurzüberblick zum Verjährungsrecht vor Einführung des BGB
  • a. Klagenverjährung
  • b. Entwicklung zur Anspruchsverjährung
  • c. Zwischenergebnis
  • 7. Entstehungsgeschichte der fraglichen Regelungen des BGB
  • a. Motive
  • aa. § 158 Abs. 1 E I
  • (1) Entwurfsfassung
  • (2) Begründung
  • (3) Stellungnahme
  • bb. § 162 E I
  • (1) Entwurfsfassung
  • (2) Begründung
  • (3) Stellungnahme
  • cc. Zwischenergebnis
  • b. Protokolle
  • aa. § 158 Abs. 1 E I und § 165 E II
  • (1) Änderungsanträge
  • (2) Entscheidung und Neufassung
  • (3) Begründung
  • (4) Stellungnahme
  • bb. § 162 E I und § 168 E II
  • (1) Änderungsanträge
  • (2) Entscheidung und Neufassung
  • (3) Begründung
  • (4) Stellungnahme
  • cc. Zwischenergebnis
  • c. Denkschrift
  • aa. § 165 E II und § 193 E III sowie § 198 BGB
  • bb. § 168 E II und § 197 E III sowie § 202 BGB
  • cc. Stellungnahme und Zwischenergebnis
  • d. Zwischenergebnis
  • 8. Zwischenergebnis
  • V. Objektiv-teleologische Kriterien
  • 1. Schuldnerschutz
  • a. Zeitliche Begrenzung der Ungewissheit
  • b. Schutz vor Beweiserschwernis infolge willkürlich verzögerter Geltendmachung
  • c. Schutz der Regressmöglichkeiten des Schuldners
  • d. Schutz vor nicht oder nicht mehr bestehenden Ansprüchen
  • 2. Öffentliche Interessen
  • a. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit
  • b. Entlastung der Gerichte
  • c. Steuerung der Wirtschaft durch Anreize
  • d. Erziehung und/oder Strafe gegenüber dem Gläubiger?
  • 3. Zwischenergebnis
  • VI. Verfassungskonforme Auslegung
  • VII. Zusammenfassung, Stellungnahme und Zwischenergebnis
  • 1. Zusammenfassung
  • a. Wortlaut
  • b. Regelungszusammenhang
  • c. Regelungsabsicht des Gesetzgebers, Rechtslage vor der Schuldrechtsreform, objektiv-teleologische Kriterien
  • 2. Stellungnahme
  • a. Prozessuale Ansätze
  • b. Fälligkeitsansatz
  • aa. Unklarheit des Fälligkeitsbegriffs
  • bb. Abgrenzung gleichrangiger Tatbestände
  • cc. Bruch mit dem dogmatischen System der Ansprüche
  • dd. Darlegungs- und Beweislast
  • c. Rechtssicherheit aufgrund gefestigter Rechtsprechung?
  • d. Folgen für ausgewählte Sonderfälle
  • aa. Bedingung und Zeitbestimmung
  • bb. Grundsatz der Schadenseinheit
  • cc. Verhaltene Ansprüche
  • 3. Zwischenergebnis
  • F. Die Hemmung der Verjährung bei fehlender Fälligkeit
  • I. Überblick über den Meinungsstand
  • 1. Rechtsprechung
  • 2. Literatur
  • 3. Stellungnahme
  • II. Anfängliche Hemmung?
  • 1. Wortlaut
  • 2. Regelungszusammenhang
  • 3. Regelungsabsicht des Gesetzgebers
  • a. Bei Schaffung des BGB
  • b. Kritik an § 202 a.F.
  • c. Schuldrechtsreform
  • d. Stellungnahme
  • 4. Objektiv-teleologische Kriterien
  • 5. Verfassungskonforme Auslegung
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Vereinbarung eines vorübergehenden Leistungsverweigerungsrechts
  • 1. Wortlaut
  • 2. Regelungszusammenhang
  • 3. Regelungsabsicht des Gesetzgebers
  • 4. Objektiv-teleologische Kriterien
  • 5. Verfassungskonforme Auslegung
  • 6. Zwischenergebnis
  • IV. Wirkung der Hemmung
  • 1. Nachträgliche Hemmung
  • 2. Anfängliche Hemmung
  • 3. Teilweise Hemmung?
  • a. Allgemeines
  • b. Hemmung bis zum Eintritt zukünftiger weiterer Schäden?
  • 4. Zwischenergebnis
  • G. Gesamtergebnis
  • Literaturverzeichnis

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A. Einleitung und Problemstellung1

Die Verjährung hat enorme praktische, vor allem wirtschaftliche Bedeutung und wurde schon früh als eines der wichtigsten Rechtsinstitute bezeichnet.2 Sie wirkt sich nicht nur unmittelbar auf die bestehenden Ansprüche aus, indem sie diese entwertet3 und damit faktisch4 untergehen lässt,5 sondern hat auch Auswirkungen auf den Beweissicherungs- und Dokumentationssaufwand im Geschäfts- und Rechtsverkehr.

I. Die praktische Bedeutung der Verjährung

Schon in den Motiven des BGB war die wirtschaftliche Bedeutung der Verjährung mit erfrischender Aktualität6 beschrieben: Seinerzeit wurde diskutiert, ob eine Abkürzung der Verjährung ein Mittel sein könnte, die Zahlungsmoral zu verbessern:7 Mit dem sog. „Borgsystem“ im Geschäftsleben war ein Kreislauf entstanden, in dem Konkurrenten ihre Außenstände nicht zeitnah eintrieben, was in der Folge allen Betrieben, die keine Kunden an die großzügigere Konkurrenz verlieren wollten, eine zeitnahe Durchsetzung von Forderungen unmöglich machte. Zu dieser Zeit sei schon die Mahnung ein empfindliches Übel für den Schuldner gewesen, die Klageerhebung bedeutete aber grundsätzlich ein ←15 | 16→Ende der Geschäftsbeziehungen. Um dies zu verhindern, sei die Festlegung des Betriebskapitals in Außenständen weithin hingenommen worden. Dies habe zwei Folgen: Der Geschäftsmann könne derart gebundenes Kapital nicht anderweitig gewinnbringend einsetzen. Und er müsse seinerseits von seinen Gläubigern längere Nachsicht bei der Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeiten fordern. Auf diese Weise werde das Problem des Einzelnen auf alle Verkehrskreise übertragen mit der Konsequenz, dass Handel und Gewerbe insgesamt leiden. Dem könne eine kurze Verjährungsfrist entgegenwirken, die dem Gläubiger den Verlust der Forderung androht, denn sie verlange die konsequente Geltendmachung der Forderungen von Gesetzes wegen. So würden der Betriebsfond aufgefüllt und Zinsverluste verhindert. Zugleich nehme die gesetzliche Regelung der zeitnahen Forderungsbeitreibung das Anstößige.8

Den Schwerpunkt der Verjährung legten aber schon die Motive auf einen anderen Aspekt, nämlich die damals sogenannten Rechtspolizeilichen Gesichtspunkte.9 Die Geschäfte des täglichen Lebens seien nämlich zu zahlreich und unbedeutend, als dass sie dem Einzelnen längere Zeit in Erinnerung blieben. Kaum jemals würden Aufzeichnungen solcher Geschäfte erfolgen, der regelmäßig zeitnah erfüllende Gläubiger lasse sich nur selten eine Quittung erteilen und bewahre diese, wenn er eine verlangt und erhalten hätte, nur begrenzte Zeit auf. Deshalb verdunkelten sich die tatsächlichen Ereignisse schon nach kurzer Zeit. Der Schuldner und dessen Erben dürften aber nicht Gefahr laufen, nach Jahren für beglichene Forderungen erneut in Anspruch genommen zu werden, für deren Erfüllung keine Nachweise mehr vorliegen.

Die praktische Bedeutung der Verjährung ist auch heute hoch. Dies belegt nicht nur die Anzahl der dazu ergangenen und ergehenden Gerichtsentscheidungen.10 Gerade auch die Anzahl derjenigen Ansprüche, die aus Gründen der Verjährung nicht weiterverfolgt oder derentwegen aus verjährungsrechtlichen Gründen hemmende Maßnahmen ergriffen werden, sind beachtlich.11 Teilweise wird eine Verjährung in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro zur Zeit der erstmaligen Verjährung nach den Regeln der Schuldrechtsreform ←16 | 17→angenommen.12 Nicht zuletzt besteht die Bedeutung des Verjährungsrechts auch darin, dass es eine der häufigsten Haftungsursachen juristischer Berater ist.13 Die Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von dreißig auf drei Jahre durch die Schuldrechtsreform dürfte die Bedeutung des Verjährungsrechts im Vergleich zur Zeit der Geltung des alten Schuldrechts noch vergrößert haben.14

II. Die allgemeine gesetzliche Regelung des Verjährungsbeginns

Ausgangspunkt einer jeden Verjährungsprüfung ist der Beginn der Verjährung. Das BGB regelt den Beginn der Verjährung allgemein in den §§ 199 bis 201. Ein kurzer Überblick über diese Vorschriften soll daher vorangestellt werden:

So lautet § 199 Abs. 1:

„Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

1.der Anspruch entstanden ist und

2.der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.“

Grundlegende Voraussetzung des Beginns der Verjährung ist damit, dass der Anspruch entstanden ist.

§ 199 Abs. 2 enthält für Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, eine von der Entstehung des Anspruchs unabhängige Verjährungsanknüpfung.

§ 199 Abs. 3 lautet:

„Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren

1.ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und

2.ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.

Maßgeblich ist die früher endende Frist.“

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Ziffer 2 der Regelung soll eine Verjährung von Schadensersatzansprüchen unabhängig von Entstehung oder einem subjektiven Element beim Gläubiger ermöglichen. Zu diesem Zweck knüpft die Regelung allein an die Begehung der Handlung, die Pflichtverletzung oder das sonstige, den Schaden auslösende Ereignis an.15

Die Abs. 3a und 4 des § 199 knüpfen wiederum den Verjährungsbeginn an die Entstehung des Anspruchs. Sie lauten:

„(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.

(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.“

Beide Regelungen haben allein die Entstehung des Anspruchs zum Anknüpfungspunkt.

§ 199 Abs. 5 lautet wie folgt:

„Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.“

Beim Unterlassungsanspruch erscheint die Entstehung des Anspruchs als objektiver Anknüpfungspunkt der Verjährung problematisch. Der Unterlassungsanspruch muss zur Zeit der Zuwiderhandlung bereits bestanden haben, weil die Zuwiderhandlung sonst nur eine Handlung wäre, ohne gegen etwas zu verstoßen. Hier hat der Gläubiger aber solange keinen Anlass, seinen Anspruch geltend zu machen, wie der Schuldner sich Zuwiderhandlungen enthält. Der Gläubiger ist befriedigt. Insofern sind die Verhältnisse gerade umgekehrt wie bei dem auf positives Tun gerichteten Anspruch. Ein Verjährungsbeginn ist deshalb bei Unterlassungsansprüchen erst mit Zuwiderhandlung angebracht.16 Da es insoweit also nicht auf die Entstehung des Anspruchs ankommt, werden Unterlassungsansprüche im Folgenden nicht näher untersucht.

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§ 200 lautet:

Details

Seiten
152
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631879023
ISBN (ePUB)
9783631879030
ISBN (MOBI)
9783631879047
ISBN (Paperback)
9783631875056
DOI
10.3726/b19706
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (April)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 152 S.

Biographische Angaben

Oliver Koos (Autor:in)

Oliver Koos ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main mit Tätigkeitsschwerpunkt im Privaten Baurecht und der Prozessführung. Herr Koos ist Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses und Leiter des Arbeitskreises Internationales Baurecht der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht des Deutschen Anwaltsvereins (DAV), Lehrbeauftragter für Bauvertragsrecht an der Philipps-Universität Marburg und Lehrbeauftragter Immobilienrecht an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Ferner ist er Autor zahlreicher Veröffentlichungen.

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