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Die kompetenzrechtliche Reichweite des Kartellrechts in landesrechtlich determinierten Bereichen

von Christian Schwepcke (Autor:in)
©2023 Dissertation 290 Seiten

Zusammenfassung

Das Verhältnis des bundesrechtlich geregelten Kartellrechts zu Teilbereichen der Rechtsordnung, die in die Zuständigkeit der Länder fallen, ist eine seit Jahrzehnten nur unvollständig aufbereitete Fragestellung. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die insoweit bestehende, mitunter diffuse, Gemengelage zu entwirren. Dabei werden anhand verschiedener Beispiele aus dem Bereich des Rundfunkrechts, des Glücksspielrechts sowie der kommunalen Daseinsvorsorge kompetenzrechtliche Erosionen offengelegt und sodann auf ihre Vereinbarkeit auf den grundgesetzlichen Kompetenzrahmen analysiert. Dabei wird auch eine unionsrechtliche Überlagerung des Kartellrechts untersucht. Anschließend wird geprüft, ob die hierbei offen zu Tage tretende Erosion der bundesstaatlichen Kompetenzordnung vor dem Hintergrund anderer Rechtsgrundsätze, etwa dem Grundsatz der Bundestreue, oder sogar einer grundsätzlich vorzugswürdigeren Passform des Kartellrechts zur Regelung der fraglichen Bereiche gerechtfertigt erscheint. Die sich aus der Untersuchung ergebenden Ergebnisse sind anschließend zusammengefasst.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • A. Erosionen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung
  • I. Rundfunkrecht
  • 1. Hintergrund: Der Diskurs um die regulatorische Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit
  • 2. Beschluss vom 27.08.1987 – Globalvertrag Sportrechte
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • 3. Beschluss vom 18.07.1989 – WDR Beteiligung Rahmenveranstalter
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • 4. Beschluss vom 19.01.2006 Fusion ProSiebenSat1/Springer
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Prüfung des Bundeskartellamtes/Entscheidung der KEK
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • aa. Kartellgerichtliche Verfahrenshistorie
  • bb. Verwaltungsgerichtliche Verfahrenshistorie
  • 5. BGH Rechtsprechung Einspeiseentgelte
  • a. Sachverhalt der Entscheidungen
  • b. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • aa. Kartellrechtliche Verfahrenshistorie
  • bb. Verwaltungsgerichtliche Verfahrenshistorie
  • 6. Zwischenergebnis: Würdigung kompetenzrechtlicher Grenzen des Katellrechts im Rundfunkrecht
  • II. Glücksspielrecht
  • 1. Hintergrund: Der Diskurs um das Glücksspielmonopol
  • 2. Beschluss vom 22.11.1995 – Deutscher Lotto- und Totoblock
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • aa. KG, Beschluss vom 11.12.1996
  • bb. BGH, Beschluss vom 19.03.1999 – Lottospielgemeinschaft
  • 3. Beschluss vom 23.08.2006 – Lottoblock
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • aa. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2007
  • bb. BGH, Beschluss vom 14.08.2008
  • 4. Beschluss vom 29.11.2007 – Lotto Rheinland-Pfalz GmbH
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • 5. Zwischenergebnis: Würdigung kompetenzrechtlicher Grenzen des Katellrechts im Glückspielrecht
  • III. Kommunale Daseinsvorsorge
  • 1. Hintergrund: Der Diskurs um die effiziente Daseinsvorsorge
  • a. Dekommunalisierung
  • b. Rekommunaliserung
  • c. Sonderfall Wassergebühren
  • aa. BGH, Beschluss vom 02.02.2010 – Wasserpreise Wetzlar
  • bb. BGH, Beschluss vom 18.10.2011 – Niederbarnimer Wasserverband
  • 2. BGH-Rechtsprechung zur Rekommunaliserung von Stromnetzen
  • a. Sachverhalt der Entscheidungen
  • b. Kartellrechtliche Prüfung des BGH
  • 3. Beschluss vom 28.01.2015 – Stadtwerke Titisee-Neustadt
  • a. Sachverhalt der Entscheidung
  • b. Kartellrechtliche Prüfung des Bundeskartellamts
  • c. Gerichtliche Verfahrenshistorie
  • 4. Zwischenergebnis: Würdigung kompetenzrechtlicher Grenzen des Katellrechts im Recht der kommunalen Daseinsvorsorge
  • IV. Ein kompetenzrechtliches Problem?
  • 1. Der Meinungsstand im Rundfunkrecht
  • 2. Der Meinungsstand im Glücksspielrecht
  • 3. Der Meinungsstand im Kommunalrecht
  • 4. Zwischenfazit: Kein Ausnahmebereich von den bundesrechtlichen Normen des GWB durch landesrechtliche Normen?
  • a. Die Funktionstauglichkeit der kartellrechtsimmanenten Grenze
  • aa. Grundsatz: wirtschaftliche Betätigung
  • bb. Ausnahme: schlicht hoheitliches Handeln
  • cc. Bewertung anhand der Anwendungsfälle
  • (1) Rundfunkbereich
  • (2) Glücksspielbereich
  • (3) Kommunalrecht
  • dd. Zwischenergebnis
  • b. Die kompetenzrechtlichen Grenzen des Kartellrechts
  • aa. Prüfungsgegenstand
  • bb. Prüfungsverlauf
  • (1) Kompetenzabgrenzung
  • (2) Kompetenzverletzung
  • (3) Kompetenzeffizienz?
  • B. Kompetenzrahmen
  • I. Grundgesetzliche Kompetenzordnung, Bundesstaat und Demokratieprinzip
  • 1. Staatsrechtliche Ordnung des Bundesstaates
  • 2. Demokratische Legitimation
  • 3. Verantwortungszurechnung
  • 4. Freiheitssicherung durch Entscheidungsbeteiligung
  • 5. Zusammenfassung
  • II. Die Kompetenzverteilung in den betrachteten Bereichen
  • 1. Art. 31 GG als taugliche Kompetenzabgrenzungsnorm?
  • 2. Art. 30 GG als allgemeine und umfassende Kompetenzzuordnungsklausel
  • a. Regel
  • b. Ausnahme
  • 3. Landeskompetenzen
  • a. Rundfunk
  • aa. Kulturhoheit der Länder, Art. 70 GG
  • bb. Regulierungsrahmen der Rundfunkhoheit
  • cc. Exekutivkompetenz
  • b. Glücksspiel
  • aa. Lotteriehoheit als Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Art. 70 GG
  • bb. Regulierungsrahmen der Lotteriehoheit
  • cc. Exekutivkompetenz
  • c. Daseinsvorsorge
  • aa. Kompetenz zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
  • bb. Kommunalrecht als Hausgut der Länder, Art. 70 GG
  • cc. Regulierungsrahmen des Landesgesetzgebers
  • dd. Organisation der Daseinsvorsorge – notwendige wirtschaftliche Betätigung
  • 4. Kompetenzen des Bundes
  • a. Rundfunk
  • b. Glücksspiel
  • c. Kommunale Daseinsvorsorge
  • d. Kartellrecht
  • aa. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
  • bb. Allumfassender Regelungszugriff
  • e. Exekutivkompetenzen
  • aa. Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG
  • bb. Organisation der Kartellbehörden
  • cc. Grenze der Verwaltungskompetenzen
  • III. Verhältnis der Kompetenzen
  • 1. Doppelzuständigkeiten
  • a. Kompetenzqualifikation – Kompetenzausübung
  • b. Bewertung
  • 2. Irrelevanz von Grundrechtsschranken
  • 3. Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des objektiven Regelungsgegenstandes
  • 4. Keine unbegrenzte „Mitregelung“ landesrechtlicher Sachverhalte
  • a. Übertragbarkeit auf Rundfunkbereich?
  • b. Sonderfall privater Rundfunk
  • 5. Kompetenzrechtliche Überlagerung durch unionales Kartellrecht?
  • a. Grenzen des unionalen Anwendungsvorrangs
  • aa. Grundrechtsvorbehalt
  • bb. Kompetenzvorbehalt
  • cc. Identitätsvorbehalt
  • b. Anerkennung der Vorbehalte durch den EuGH
  • c. Zuständigkeit der Union
  • aa. Grundsätze der Unionalen Kompetenzverteilung
  • bb. Konkrete Kompetenzverteilung im AEUV hinsichtlich der behandelten Anwendungsfälle
  • (1) Kompetenz für den Binnenmarkt
  • (2) Kompetenz zur Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln
  • (3) Einwirkung der Grundfreiheiten
  • d. Unionsrechtliche Determination der betrachteten Bereiche
  • aa. Unionsrechtliche Determination des Rundfunkrechts
  • (1) Kein unionsrechtlicher Anwendungsvorrang im Rundfunkrecht
  • (2) Keine unionale Regelung zur Pluralismussicherung
  • (3) Keine unionale Regelung der Programmbeschaffung
  • (4) Keine unionale Regelung der Einspeiseentgelter
  • (5) Zwischenergebnis
  • bb. Unionsrechtliche Determination des Glücksspielsektors
  • cc. Unionsrechtliche Determination der Kommunalen Daseinsvorsorge
  • (1) Kein unionsrechtlicher Anwendungsvorrang im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge
  • (2) Einwirkungsbereich und -grenzen des Primärrechts
  • e. Sonderfall „diagonale Kollision“
  • aa. Parallele/Alternative Anwendung von deutschem und unionalem Kartellrecht
  • bb. Parallelität beim Verwaltungsvollzug
  • cc. Auflösung bei „diagonalen Kollisionen“
  • f. Zwischenergebnis: kein Einfluss des Europarechts
  • 6. Ergebnis Kompetenzabgrenzung
  • C. Kompetenzverletzung
  • I. Rundfunkrecht
  • 1. Beschluss vom 27.08.1985 – Globalvertrag Sportrechte
  • 2. Beschluss vom 18.07.1989 – WDR Beteiligung Rahmenveranstalter
  • 3. Beschluss vom 19.01.2006 Fusion ProSiebenSat1/Springer
  • 4. BGH Rechtsprechung Einspeiseentgelte
  • 5. Entscheidend: Der Wettbewerb der Rundfunkanstalten als Mittelpunkt des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums der Landesgesetzgeber
  • 6. Grundsatz des bundestreuen Verhaltens
  • 7. Zwischenergebnis
  • II. Glücksspielrecht
  • 1. Beschluss vom 28.02.1996 – Deutscher Lotto- und Totoblock
  • 2. Beschluss vom 23.08.2006 – Lottoblock
  • 3. Beschluss vom 29.11.2007 – Lotto Rheinland-Pfalz GmbH
  • 4. Entscheidend: Der Wettbewerb der Lottogesellschaften als Mittelpunkt der Gefahrenprognose des Landesgesetzgebers
  • a. Wettbewerb der Länder als bundesstaatlicher Widerspruch
  • b. Gefahrenprognose durch Staatsverträge bestätigt
  • 5. Grundsatz des bundestreuen Verhaltens
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Die kommunale Daseinsvorsorge
  • 1. BGH Rechtsprechung zur Rekommunaliserung von Stromnetzen
  • 2. Beschluss vom 28.01.2015 – Stadtwerke Titisee-Neustadt
  • 3. Entscheidend: keine Konzessionsvergabe im Markt – keine Vergabe i.S.d. Vergaberechts
  • a. Konzessionsvergabe als Quasi-Vergabe
  • b. Kein Vergaberecht in diesem Bereich der Daseinsvorsorge
  • 4. Grundsatz des bundestreuen Verhaltens
  • 5. Zwischenergebnis
  • IV. Ergebnis der kompetenzrechtlichen Untersuchung
  • D. Kartellrechtliche Rekonstruktion landesrechtlicher Zielsetzungen
  • I. Was Märkte nicht leisten
  • 1. Marktversagen im Rundfunk
  • 2. Marktversagen im Lotteriebereich
  • 3. Marktversagen im Bereich kommunaler Daseinsvorsorge
  • II. Die Reichweite des Kartellrechts
  • 1. Verbotsnormen und Wettbewerbprinzip
  • a. Keine kartellrechtliche Rekonstruktion der publizistischen Vielfaltssicherung
  • b. Keine kartellrechtliche Rekonstruktion von Suchtpräventation und Kanalisierung
  • c. Keine kartellrechtliche Rekonstruktion der kommunalen Daseinsvorsorge
  • 2. Paradigmenwechsel durch „more economic approach“
  • a. Begriff „More economic approach“
  • b. Neue Verfahrensinstrumente der Kartellbehörde
  • 3. Kompetenzrechtliche Folgen des Paradigmenwechsels
  • a. Kritik am Ansatz
  • b. Untauglichkeit des „more economic approach“ am Beispiel des Rundfunkrechts
  • 4. Zwischenergebnis
  • E. Fazit und Thesen
  • Literaturverzeichnis

A. Erosionen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung

„Lebens- und Urlaubsqualität sind die Aushängeschilder von Titisee-Neustadt. Rund 12.000 Einwohner und Millionen von Kurgästen und Tagestouristen finden in und um Titisee-Neustadt alle Attribute für ein angenehmes Leben oder einen attraktiven Urlaub.“ Mit diesem selbstbewusst formulierten Banner wirbt die kleine Gemeinde auf ihrer Internetpräsenz. Jedenfalls in der rechtlichen Fachpresse war es jedoch weniger die Lebens- und Urlaubsqualität, sondern ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem Titisee-Neustadt jüngst von sich reden machte. Die Gemeinde hatte im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde die Feststellung der Verfassungswidrigkeit verschiedener, aus ihrer Sicht in der kartellrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck kommender Verbote beim Abschluss von Wegenutzungsverträgen nach § 46 EnWG beantragt, nachdem das Bundeskartellamt gegen sie selbst ein Verfahren auf Grundlage von §§ 19, 20 GWB eingeleitet hatte.1

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 22.08.2016 aus formellen Gründen zwar nicht zur Entscheidung angenommen, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, Fachgerichte seien dazu angehalten,

in den ihnen zur Entscheidung vorgelegten Verfahren sowohl der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung, die dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, und die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung, Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG, den Ländern jedoch die Zuständigkeit für das Kommunalrecht zuweist, als auch der besonderen Bedeutung der den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und ihrer Konkretisierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, um bei der Auslegung und Anwendung des Energiewirtschaftsgesetzes wie auch des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen der Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zur Wirksamkeit zu verhelfen.2

Die Sorge des Gerichts um Erosionen der grundgesetzliche Kompetenzverteilung ist im Grunde selbsterklärend, nachdem im selben Satz die sich im Spannungsverhältnis gegenüberstehenden Gesetzesmaterien – das landesrechtliche Kommunalrecht auf der einen, das bundesrechtliche Energiewirtschaftsgesetz sowie das ebenfalls bundesrechtliche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung auf der anderen Seite – angesprochen sind.

Die deutliche Mahnung des Bundesverfassungsgerichts kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass sich das Verfahren „Stadtwerke Titisee-Neustadt“ in eine beträchtliche Anzahl von Fällen einreiht, in denen Kartellbehörden und Gerichte seit Jahrzehnten wettbewerbsrechtliche „Fehltritte“ von Akteuren gerügt oder untersagt haben, die zugleich von landesrechtlichen Normen reguliert waren. Kompetenzkonflikte des Kartellrechts sind dabei insbesondere3 mit dem Rundfunkrecht, dem Glücksspielrecht und dem die kommunale Daseinsvorsorge regulierenden Kommunalrecht zu Tage getreten:

I. Rundfunkrecht

Eine gewisse „Vorreiterrolle“ hinsichtlich der Anwendung des Kartellrechts in landesrechtlich determinierten Lebensbereichen nimmt der Rundfunksektor ein.4 Bereits Mitte der 1980er Jahre rückten rundfunkrechtliche Protagonisten in das Blickfeld des Bundeskartellamts. Gleichzeitig zeigen aber auch jüngere Beispiele die Aktualität der Fragestellung für den Rundfunkbereich.

1. Hintergrund: Der Diskurs um die regulatorische Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit

Das landesrechtliche Rundfunkregime ist nicht unumstritten. Insbesondere die explosionsartige Vermehrung des Informationsangebots durch das Internet und die zunehmende Konvergenz von Presse, Telemedien und Rundfunk haben den Rechtfertigungsdruck der sektorspezifischen Regulierung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöht.5 Auch die Emanzipation des Internets von einer bloßen Ergänzung der klassischen Medien hin zu einer führenden Rolle im Medien- und Meinungsmarkt wirft die Frage nach der Aktualität und Passform, aber auch der Legitimation rundfunkrechtlicher Regulierung auf.6

Die durch die medienrechtliche Regulierung bestehenden Handlungsspielräume der Rundfunkanstalten und der privaten Rundfunkveranstalter wurden in den vergangenen Jahrzehnten jedoch spürbar durch Anwendungsfälle des Kartellrechts verändert. Dabei hatten Kartell- und Rundfunkrecht bis zum technologiepolitisch bedingten Entwicklungsschub zu Beginn der 1980er Jahre keinerlei Berührungspunkte, waren „verschiedene Welten“.7 Die Gestaltung der Rundfunkordnung der Nachkriegszeit hatte sich, nicht zuletzt stimuliert durch die Erfahrungen mit der Wehrlosigkeit der Weimarer Rundfunkordnung, weitgehend am Vorbild der British Broadcasting Corporation (BBC) orientiert und daher eine öffentlich-rechtliche Rechtsstruktur gewählt, die mit dem Recht zur Selbstverwaltung bei nur beschränkter Rechtsaufsicht zugleich frei von Einflussnahme durch Regierungen oder politische Parteien sein sollte.8 Hinzu kam, dass das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem zweiten Rundfunkurteil die Unzulässigkeit eines reinen Marktmodells betont hatte, da der Rundfunk wegen seiner weitreichenden Wirkungen und Möglichkeiten sowie der Gefahr des Missbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflussnahme auf die öffentliche Meinung nicht dem „freien Spiel der Kräfte“ überlassen werden könne.9

Die Frequenzknappheit, die das Gericht unter anderem zu diesem Schluss bewegte, wurde dann aber durch technische Neuerungen egalisiert: insbesondere die sich aus den USA und Japan verbreitende Breitband- und Satellitentechnologie brachte neue Kapazitäten für Kommunikations- und Rundfunkdienste und mit ihnen für entsprechende gesellschaftliche Interessengruppen.10

Damit wurde auch die Frage nach der Tauglichkeit von publizistischem und wirtschaftlichem Wettbewerb zur „dualen Ordnung des Rundfunks“ aufgeworfen.11 Insbesondere die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass Markt und Wettbewerb im Rundfunkbereich nicht funktionieren könnten, sahen manche Autoren wegen der Veränderungen auf der rechtstatsächlichen Ebene und der damit verbundenen Anreize der Rundfunkveranstalter i.S. eines „more economic approach“ widerlegt.12

Schnell wurde ein Paradigmenwechsel im Rundfunkrecht hin zu einer Ordnung durch den Markt und damit das Kartellrecht ins Gespräch gebracht.13 Energische Vorstöße aus der Kartellrechtsliteratur sprachen sich für ein Marktrundfunk-Paradigma und damit zugleich eine stärkere Überprüfung der Vorgänge auf dem Rundfunkmarkt durch das Bundeskartellamt aus.14 Auch die (ökonomische) Sonderrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geriet stärker in den Fokus der Kritik. Möschel meint etwa mit Blick auf die Besitzstands- und Entwicklungsgarantie, einem Wettbewerbsrechtler müsse „sich dabei jedes Haar einzeln sträuben“.15 Dass dieser wissenschaftliche Diskurs durchaus auf die Zunahme wirtschaftlicher Interessen in diesem Sektor zurückzuführen war, liegt auf der Hand.16

So überrascht es nicht, dass die Frage der Anwendbarkeit kartellrechtlicher Normen auf rundfunkrechtliche Sachverhalte mitunter als Vorentscheidung für die Zuordnung des gesamten Rundfunksystems zu einer Markt- oder einer Kommunikationsordnung eingeordnet wurde.17

Das Bundeskartellamt nahm die Anregungen aus der Literatur durchaus ernst und ging in der Folge, wie Püttner es beschreibt, gegenüber ARD und ZDF in eine Position „mit gesenkten Hörnern“.18

Nach ersten Pilotversuchen der Länder zur Erprobung von Technik, Organisation und Inhalten eines Kabelfernsehens präzisierte schließlich das Bundesverfassungsgericht im sog. FRAG-Urteil die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Liberalisierung und Privatisierung des Rundfunks.19 Dabei stellte das Gericht hohe Anforderungen an den privaten Rundfunk auf und hielt – unabhängig von der Frequenzknappheit – an der besonderen staatlichen Ausgestaltungsverantwortung fest, da der Wettbewerb allein das Ziel eines unverkürzten Meinungsmarktes nicht hinreichend sicher gewährleiste.20

Nachdem 1984 auch politisch der Durchbruch für die Etablierung des privaten Rundfunks erfolgt war, wurde am Beispiel der Änderung der Landesmediengesetze auch die Diskrepanz der kompetenziellen Kleinräumigkeit der Regelungszuständigkeit der Länder und der technisch wie wirtschaftlich angelegten Großräumigkeit des Rundfunks offenkundig.21 Die Kritik am landesrechtlichen Rundfunkgesetzgeber hatte also auch durch Öffnung des Rundfunkmarktes eher zu- als abgenommen. Auch den Europäischen Gerichtshof hat das deutsche Rundfunkwesen zuletzt beschäftigt: in seinen Schlussanträgen hat Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona am 26.09.2018 dem EuGH jedoch vorgeschlagen, festzustellen, dass die Änderung des Kriteriums für die Entstehung des Beitrags zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland keine rechtswidrige, staatliche Beihilfe darstellt.22

Aktuellstes Beispiel der Debatte um die Reichweite des Kartellrechts im Rundfunkbereich ist die Forderung, sogar die Auftragsvergabe von Filmproduktionsleistungen durch die Rundfunkanstalten kartellrechtlich zu überprüfen und ggf. zu ahnden, da rundfunkrechtlich insoweit ein faktisches Kontrollvakuum entstanden sei.23

Der Ende Juli 2018 von den Ländern als Diskussionsentwurf zur Weiterentwicklung des Rundfunkstaatsvertrages (RStV)24 vorgelegte Medienstaatsvertrag ist zum 07.11.2020 in Kraft getreten.25

2. Beschluss vom 27.08.1987 – Globalvertrag Sportrechte

Bereits kurz nach der Etablierung des privaten Rundfunks kam es zu einem ersten „Aufeinandertreffen“ der Kompetenzträger im Kartell- und Rundfunkrecht. Mit Beschluss vom 27.08.1987 hat das Bundeskartellamt einen zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern und einer Vielzahl von Spitzensportverbänden abgeschlossenen Globalvertrag für unwirksam erklärt.26

a. Sachverhalt der Entscheidung

Zu dieser Zeit hatten private Rundfunkanbieter im Markt Fuß gefasst und das durch sie entstandene duale Rundfunksystem hatte erste Konturen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erlangt.27 Das scheinbar größte Hindernis dieses neuen Geschäftsmodells war aber nach wie vor die strukturelle und wirtschaftliche Überlegenheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Am 29.06./03.09.1985 hatten der Deutsche Sportbund und ein großer Teil der ihm angeschlossenen Spitzenverbände mit den in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Rundfunkanstalten (ARD) zusammengeschlossenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie dem ZDF einen Vertrag über die rundfunkmäßige Verwertung von Sportveranstaltungen in Bild und Ton abgeschlossen.28 Durch diesen sogenannten „Globalvertrag“, der rückwirkend zum 01.01.1985 mit einer Laufzeit von fünf Jahren in Kraft getreten war, war den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten das Recht zur ausschließlichen Verwertung der von dem Vertrag erfassten Sportveranstaltungen eingeräumt worden. Zur Abgeltung aller vertraglichen Leistungen der Spitzenverbände und sämtlicher einzuräumenden Rechte und Befugnisse hatten sich die Rundfunkanstalten verpflichtet, für jedes Jahr eine von Anfang an festgelegte Gesamtsumme zu zahlen. Dem Globalvertrag nicht beigetreten waren der Deutsche Fußball-Bund, der Deutsche Eishockey-Bund, der Deutsche Motoryacht-Verband, der Deutsche Tanzsportverband, der Deutsche Golf-Verband, der Deutsche Segel-Surfverband, der Hauptverband für Traberzucht und Rennen und das Direktorium für Vollblutzucht und Rennen.

b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts

Diesen Globalvertrag hat das Bundeskartellamt mit Beschluss vom 27.08.198729 für unwirksam erklärt, da er gegen Kartellrecht verstoße. Die vertragliche Beschränkung der Spitzenverbände, Fernsehrechte für die Übertragung der vertragsgegenständlichen Sportveranstaltungen an private Fernsehveranstalter zu vergeben, stelle eine unbillige Marktzutrittsbeschränkung i.S.v. § 18 Abs. 1 lit. b. GWB a.F. dar.30

Die Programmbeschaffung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sei eine unternehmerische Tätigkeit, da sie anders als die Sendetätigkeit, die vom Bundesverfassungsgericht als hoheitliche Tätigkeit qualifiziert werde, gerade nicht für die Erfüllung ihres öffentlichen Sendeauftrages erforderlich sei. Zudem könne die Rechtsprechung des BGH31 zur Anwendbarkeit des UWG auf die Sendetätigkeit der Rundfunkanstalten entsprechend herangezogen werden: wegen der wettbewerblichen Auswirkungen ihres Verhaltens im Bereich des Programmangebots seien sie grundsätzlich auch insoweit nicht der Anwendung des GWB entzogen.32

c. Gerichtliche Verfahrenshistorie

Das KG33 hat die Beschwerden, die die Vertragsparteien des Globalvertrags gegen den Beschluss des Bundeskartellamts eingelegt haben, zurückgewiesen und dabei lediglich einzelne Akzentuierungen in der kartellrechtlichen Prüfung verändert: So sei etwa der relevante Markt für Sportübertragungen nicht von einem gesonderten Markt für Fußballübertragungen zu trennen.34 Mit ihren zugelassenen Rechtsbeschwerden haben die Vertragsparteien daraufhin ihren Antrag auf Aufhebung des Beschlusses weiter verfolgt. Der BGH hat jedoch die Einschätzung des KG bestätigt und daher die Rechtsbeschwerden als unbegründet zurückgewiesen.35

Im Ergebnis sei die Auffassung der Vorinstanz, das Bundeskartellamt sei für den Erlass der Verfügung zuständig gewesen, zutreffend.36 Allerdings könne die Zuständigkeit des Bundeskartellamts nicht weiter gehen, als die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Kartellrecht als äußerste Grenze seiner Verwaltungsbefugnisse reiche. Verfügungen des Bundeskartellamts seien aber nicht „von vorneherein ausgeschlossen“, weil sie sich auch auf Bereiche der Rundfunkordnung auswirken würden, deren gesetzliche Gestaltung in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder liege.37 Programmbeschaffung und -gestaltung der Rundfunkanstalten würden auch den wirtschaftlichen Wettbewerb beeinflussen. Aufgrund des Kompetenztitels aus Art. 74 Nr. 16 GG könne der Bund aber kartellrechtliche Regelungen auch auf Gebieten erlassen, selbst wenn keine umfassende Bundeskompetenz bestehe. Dies sei nicht zuletzt für die Rechtsverhältnisse der Presse vom Bundesverfassungsgericht anerkannt.38 Nach denselben Grundsätzen seien auch Verfügungen zulässig, die sich ihrem Wesen nach auf die Verhütung wirtschaftlicher Machtstellung richten und sich nur „als Nebenfolge“ auf die Rundfunkordnung auswirkten.39 Die vorliegenden Verfügungen des Bundeskartellamts würden aber allein die Beseitigung von Beschränkungen privater Fernsehveranstalter im Wettbewerb mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bezwecken und daher den Zwecken der Rundfunkordnung dienen.

Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Verfügungen seien gegeben:40 Der Globalvertrag sei ein Vertrag, den die Rundfunkanstalten als Unternehmen im Sinne des GWB über die Rechte zur rundfunkmäßigen Verwertung von Sportveranstaltungen und damit über gewerbliche Leistungen i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB.F. geschlossen hätten. Dass sich die Programmbeschaffung der Rundfunkanstalten im öffentlichen Bereich vollziehe, schließe ihre Einordnung als Unternehmen i.S.d. Wettbewerbsrechts nicht aus.41 Die Rechtsprechung zum UWG, wonach dieses auf die Rundfunkanstalten Anwendung finde, sobald diese in einem Wettbewerbsverhältnis mit privaten Unternehmen stünden,42 sei auf das GWB übertragbar.43

Der Vertrag beschränke die vertragsbeteiligten Spitzenverbände darin, die Rechte zur rundfunkmäßigen Verwertung derjenigen Sportveranstaltungen, die von den Rundfunkanstalten nicht für ihre Berichterstattung ausgewählt worden seien, an andere Fernsehveranstalter zu vergeben. Dadurch würde das für den publizistischen Zweck notwendige Maß an Exklusivität überschritten und die privaten Rundfunkveranstalter in ihren Bezugsmöglichkeiten bei der Programmbeschaffung unbillig beschränkt.44

Zuletzt habe das KG, wenn auch nicht im Rahmen der gem. § 18 Abs. 1 lit. b GWB a.F. vorzunehmenden Interessenabwägung, der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Rundfunkfreiheit ausreichend Rechnung getragen.45 Die angefochtene Verfügung des Bundeskartellamts, die der Freiheit des wirtschaftlichen Wettbewerbs dienen solle, stünde aber nicht im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit, sondern diene dieser vielmehr durch eine Förderung der Vielfalt der Information.

3. Beschluss vom 18.07.1989 – WDR Beteiligung Rahmenveranstalter

Wenig später, am 18.07.1989, hat sich das Bundeskartellamt erneut in den Wirkungskreis der Rundfunkunternehmen eingeschaltet.46

a. Sachverhalt der Entscheidung

Der Beschluss betraf den geplanten Erwerb der Radio NRW GmbH durch den Westdeutschen Rundfunk (WDR).

Geschäftszweck der Radio NRW GmbH zum Zeitpunkt der geplanten Übernahme war die Erstellung eines Rahmenprogramms, das von zahlreichen lokalen Hörfunkveranstaltern in Nordrhein-Westfalen kostenlos verwendet werden konnte. Das Rahmenprogramm hatte dazu gedient, eine vom nordrhein-westfälischen Gesetzgeber geforderte Organisationsstruktur, in der lokale Rundfunkprogramme möglichst auf Ebene der Kreise und Städte ermöglicht werden sollten, finanziell abzusichern:47 Hintergrund dieser Struktur war die Prognose des Landesgesetzgebers, dass sich auf der Ebene der lokalen Sender eine programmliche Vielfalt nicht durch den Wettbewerb einer Vielzahl von Rundfunkveranstaltern erreichen lasse.48

Das Verbreitungsgebiet dieser lokalen Rundfunkveranstalter war daher gesetzlich auf 600.000 Einwohner begrenzt, § 31 LRG NW, was den Rundfunkveranstaltern aufgrund der damit verbundenen Begrenzung der Werbereichweite erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten einbrachte. Zur Lösung dieses Problems bot sich die Bereitstellung eines landesweiten Rahmenprogramms an, da hierdurch zum einen die Kosten der lokalen Sender reduziert und zum anderen die Werbeeinnahmen aufgrund der größeren Reichweite des Rahmenprogramms erhöht werden konnten.49 Dementsprechend war in § 30 LRG NW verfassungsgemäß50 die Möglichkeit der Veranstaltung eines landesweiten Rahmenprogrammes fixiert und zugleich in § 6 Abs. 2 LRG NW bestimmt worden, dass sich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten im Rahmen der für sie geltenden Bestimmungen mit insgesamt bis zu einem Drittel der Kapital- und Stimmanteile an einer Veranstaltergemeinschaft des landesweiten Rahmenprogramms beteiligen dürfen.

Flankierend dazu räumte das Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk (WDR-G) dem WDR die Möglichkeit ein, sich an einem Rahmenprogrammgestalter zu beteiligen, insbesondere wenn damit die Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des lokalen Rundfunks bezweckt ist.51 Zudem privilegierten LRG NW wie WDR-G Rahmenveranstalter mit einer Beteiligung des WDR bei der Erteilung der Rundfunklizenz sowie bei den Werbeeinnahmen.

b. Kartellrechtliche Würdigung des Bundeskartellamts

Die geplante Fusion hat das Bundeskartellamt untersagt, weil die Beteiligung des WDR den Zusammenschlusstatbestand des § 23 Abs. 2 Nr. 2a GWB a.F. erfülle.52 Dabei erkannte die Behörde durchaus den Widerspruch der Untersagung mit den landesrechtlichen Normen, meinte aber, das GWB setze der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Rundfunkfreiheit und der rundfunkrechtlichen Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers Grenzen.

Die Vorschriften des GWB seien auch auf Gründungen von Rundfunkunternehmen anzuwenden, die dem nordrhein-westfälischen Rundfunkrecht unterlägen, da die Normen in keinem Widerspruch zueinander stünden und ein Ausschluss der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die unternehmerisch handelnden Rundfunkanstalten durch Landesrecht ohnehin „verfassungsrechtlich unzulässig (Art. 31 GG)“ sei.53 Dem Landesgesetzgeber stünde auch keine aus seiner Rundfunkkompetenz ableitbare Kompetenz kraft Sachzusammenhang oder gar eine Annexkompetenz für einen Ausschluss der Fusionskontrolle zu, da er auch so von seiner Kompetenz für die Sachbereiche Gebrauch machen könnten. Im Niedersachen-Urteil habe das Bundesverfassungsgericht eine in vollem Umfang anwendbare Fusionskontrolle im Bereich des Rundfunks und sogar eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bundesgesetzgebers zur Ergänzung der Fusionskontrolle auf bestimmte Bereiche des Rundfunks angenommen.54

c. Gerichtliche Verfahrenshistorie

Mit Beschluss vom 26.06.199155 hat das KG die Untersagung des Kartellamts bestätigt. Besonderes Augenmerk legte auch das Gericht auf die Frage, ob das Kartellrecht auf vorliegend Sachverhalt anwendbar, das Bundeskartellamt mithin zuständig gewesen sei.

Die Grenzen der Zuständigkeit ergäben sich zwar aus dem Umfang der bundesrechtlichen Gesetzgebungskompetenz. Gleichzeitig sei aber verfassungsgerichtlich anerkannt, dass die auf Art. 74 Nr. 16 GG gestützten Vorschriften zur Fusionskontrolle auch Anwendung finden dürften, wenn dies Auswirkungen auf ein Sachgebiet habe, dass in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt.56 Soweit die Beschwerdeführerin eben diese Rechtsprechung zu ihren Gunsten geltend mache, verkenne sie die Tragweite der Entscheidungsgründe.

Auch bestehe kein Konflikt zwischen Bundes- und Landerecht, da nicht die Zielvorstellungen und Ordnungswünsche der Landesregierung, sondern allein der in den Rundfunkgesetzen konkretisierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich sei: diese enthielten weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Befreiung des WDR von der Fusionskontrolle, da insbesondere § 6 Abs. 2 LRG NW eine Beteiligung der Rundfunkanstalt an den Rahmenprogrammveranstaltern nicht ausdrücklich anordne.57 Die dort geschaffene Beteiligungsschranke ergänze das Kartellrecht, indem es publizistischen Wettbewerb innerhalb der Veranstaltergemeinschaften sicherstelle.

Schließlich müsse im Falle des Widerspruchs von LRG NW und GWB Art. 31 GG zur Anwendung kommen, wenn nicht zwingende grundrechtliche Erfordernisse ausnahmsweise dem Landesrecht Vorrang einräumen würden. Es könne aber davon „nach Lage der Dinge keine Rede sein“, dass die Beteiligung des WDR notwendig wäre, um die mit der Einführung des lokalen Rundfunks in Nordrhein-Westfalen beabsichtigte Steigerung der Medienvielfalt zu gewährleisten; schließlich hätte sonst die notwendige Beteiligung in § 6 Abs. 2 LRG NW fixiert werden können.58

Auch die kartellrechtliche Subsumtion des Kartellamts, durch die Beteiligung am Rahmenprogrammveranstalter würde die marktbeherrschende Stellung des WDR verstärkt, hat das KG bestätigt: Die Rundfunkveranstalter seien Unternehmen i.S.d. GWB, wenn sie in Wettbewerbsbeziehungen zu privaten Unternehmen träten. Auch das Gebührenaufkommen des WDR sei für die Toleranzgrenze des § 24 Abs. 8 Nr. 1 GWB a.F. heranzuziehen, da sie die wesentliche Basis des Marktgewichts der Rundfunkanstalt darstelle.59 Da der WDR durch die Beteiligung an der Radio NRW GmbH in die Lage versetzt würde, das wettbewerbliche Verhalten eines Wettbewerbers zu bestimmen oder zumindest auf dieses einfacher zu reagieren, würde hierdurch seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Hörfunkwerbung in Nordrhein-Westfalen verstärkt.60

4. Beschluss vom 19.01.2006 Fusion ProSiebenSat1/Springer

Die dargestellten Verfahren haben dazu geführt, dass eine Anwendung des Kartellrechts auf den Rundfunk, insbesondere im Rahmen der Fusionskontrolle, zur allgemeinen Praxis geworden ist. Die kompetenzrechtliche Spannung des „Nebeneinander“ von Kartellrecht und Rundfunkrecht ist erst wieder im Jahre 2006 anhand der Fusion ProSiebenSat1/Springer massiv in den Vordergrund gerückt.

a. Sachverhalt der Entscheidung

Durch den Dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrag aus dem Jahr 1996 wurde die rundfunkspezifische Konzentrationskontrolle in einen neuen rechtlichen Rahmen gefasst: Gem. § 26 Abs. 1 Halbs. 1 RStV durfte jedes (zugelassene) Medienunternehmen grundsätzlich eine beliebige Anzahl von Fernsehprogrammen veranstalten. Diese Veranstalterfreiheit stand allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Programmveranstaltung die angestrebte Meinungsvielfalt nicht durch „vorherrschende Meinungsmacht“ beeinträchtigt, § 26 Abs. 1 Halbs. 2 RStV.61 Die Verwendung des Begriffs der „vorherrschenden Meinungsmacht“. In dem Verbotstatbestand beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Verhinderung von „vorherrschender Meinungsmacht“ ein maßgebliches Ziel der positiven Rundfunkordnung darstellt.62 Zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „vorherrschender Meinungsmacht“, den die ebenfalls neu geschaffene Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), ein von allen Ministerpräsidenten berufenes, unabhängiges Sachverständigengremium,63 bereits als eigenständigen Tatbestand begreift,64 enthielt § 26 Abs. 2 RStV insgesamt drei an die Zuschaueranteile anknüpfende Vermutungsregeln.65

Durch Einführung dieser rundfunkspezifischen Konzentrationskontrolle kam schnell Streit um die grundsätzliche Kontrolle der Medienkonzentration auf. Hierzu wurde vorgeschlagen, entsprechende Entscheidungen ausschließlich von der Behörde treffen zu lassen, die qua Gesetz dazu berufen ist, marktbeherrschende Positionen einzelner Unternehmen zu verhindern: vom Bundeskartellamt.66

Bereits lange vor Verabschiedung des Dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrages hatte die Monopolkommission für sog. Crossmediale Zusammenschlüsse angemahnt, dass der Wettbewerb zwischen den Medien Presse und Rundfunk zu sichern sei und daher die Fusionskontrolle selbst bei der Vergabe von Rundfunklizenzen eingreifen müsse.67 Auch in der Folge hat die Monopolkommission ihre Kritik an der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle stets wiederholt und erneuert.68

Zum Schwur kam es schließlich bei einem Zusammenschlussvorhaben, das ab der Jahreswende 2005/2006 wegen seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung das öffentliche Interesse auf sich gezogen hatte: Der größte deutsche Zeitungsverlag, die Axel Springer AG, plante den Erwerb sämtlicher Anteile an der ProSiebenSat.1 Media AG, welche seinerzeit als führender nationaler privater Fernsehveranstalter die Fernsehsender ProSieben, Sat. 1, Kabel 1 und den Nachrichtensender N24 betrieb. Der Zusammenschluss hätte zu einem zweiten „crossmedialen Riesen“ neben der Bertelsmann-Gruppe geführt.69 Aufgrund dieser potentiell weitgehenden Vermachtung des Mediensektors erachtete mancher Beobachter sogar die marktwirtschaftliche Ordnung insgesamt für gefährdet.70

b. Kartellrechtliche Prüfung des Bundeskartellamtes/Entscheidung der KEK

Das Zusammenschlussvorhaben hat das Bundeskartellamt mit Beschluss vom 19.01.2006 untersagt, da im Falle des Zusammenschlusses eine Verstärkung sowohl der bestehenden marktbeherrschenden Stellung der Axel Springer AG auf dem bundesweiten Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen als auch der bestehenden marktbeherrschenden Stellung des Duopols von ProSiebenSat.1 Media AG und Bertelsmann AG (RTL-Sendergruppe) auf dem bundesweiten Fernsehwerbemarkt zu erwarten sei.71 Obwohl die Zusammenschlussbeteiligten auf verschiedenen, nicht verbundenen Märkten tätig waren, nahm das Bundeskartellamt an, sog. „marktübergreifende bzw. crossmediale Effekte“ könnten die bereits bestehenden, marktbeherrschenden Stellungen der Unternehmen weiter absichern.72

Bereits vor der Entscheidung des Bundeskartellamtes hatte die KEK am 10.01.2006 gem. § 26 RStV, erstmal seit ihrer Bildung,73 der ProSiebenSat1 die Erteilung der medienrechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung ebenfalls zum Zwecke der Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht verweigert.74 Nach der Berechnung der KEK hätte die Springer AG mit Übernahme der ProSiebenSat.1 Gruppe über „vorherrschende Meinungsmacht“ i.S.v. § 26 Abs. 1 RStV verfügt, da die Meinungsmacht von ProSiebenSat.1, auch bei einem geringeren Zuschaueranteil von 25 % bzw. 30 % i.S.v. § 26 Abs. 2 RStV, zusammen mit der Stellung der Springer AG auf einer Vielzahl medienrelevanter verwandter Märkte einem Zuschaueranteil von über 42 % entsprochen hätte.75

Details

Seiten
290
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631887684
ISBN (ePUB)
9783631887691
ISBN (MOBI)
9783631887707
ISBN (Paperback)
9783631883631
DOI
10.3726/b20083
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Juli)
Schlagworte
Kartellrecht Öffentliche Dienstleistungen Zuständigkeit der Staaten
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023.

Biographische Angaben

Christian Schwepcke (Autor:in)

Christian Schwepcke ist Rechtsanwalt und Partner einer deutschlandweit tätigen Anwaltskanzlei in München. Bereits während seines Studiums, von 2010 bis 2014, aber auch im Anschluss war er an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie von Herrn Prof. Dr. Peter M. Huber tätig. Parallel hierzu sammelte er Berufserfahrung bei mehreren international tätigen Anwaltskanzleien, darunter auch der Kartellrechtspraxis einer führenden US-amerikanischen Transaktionskanzlei.

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