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Malaria in Südwest-Afrika Deutsche Kolonialmedizin 1884–1915

von Jan Esse (Autor:in)
Dissertation 332 Seiten

Zusammenfassung

Namibia spielt eine zentrale Rolle in der kolonialen Vergangenheit Deutschlands. Während der deutschen Fremdherrschaft in den Jahren 1884 bis 1915, in der das Land „Deutsch-Südwestafrika" genannt wurde, kam der Bekämpfung und Prävention der Malaria, einer der weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten, eine bedeutende Rolle zu. Anhand umfangreicher Archivbestände und Quellenmaterialien kann eine Zwei-Klassen-Medizin aufgedeckt werden, in der die indigene Bevölkerung deutlich benachteiligt wurde. Der Wandel der wissenschaftlichen Praxis und die politische Instrumentalisierung medizinischer Sachverhalte werden gezeigt. Die durch Robert Koch entsandte Malariaexpedition des Karl von Vagedes und die experimentelle Malariaimpfung von Philalethes Kuhn verdeutlichen die gewonnenen Erkenntnisse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abstract
  • Zusammenfassung
  • 1. Einleitung
  • 2. Die Malaria – ein Krankheitskonzept im Wandel
  • 3. Deutsch-Südwestafrika
  • 3.1 Deutsch-Südwestafrika und die Kolonialzeit
  • 3.2 Deutsch-Südwestafrika geographisch und klimatisch
  • 4. Die Malaria in Deutsch-Südwestafrika
  • 4.1 Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen
  • 4.2 Die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung
  • 4.3 Die Auswirkungen auf die weiße Zivilbevölkerung
  • 4.4 Die Auswirkungen auf die Kaiserliche Schutztruppe
  • 4.5 Die Malaria und die Kolonisation Südwestafrikas
  • 4.6 Die Darstellung in der allgemeinen Publizistik
  • 5. Die Malariaexpedition des Dr. von Vagedes
  • 5.1 Dr. Karl Ferdinand von Vagedes
  • 5.2 Das Koch’sche Prinzip der Malariabekämpfung
  • 5.3 Die Expedition im Überblick
  • 5.4 Die Expedition im Spiegel des Quellenmaterials
  • 5.5 Die Expedition im Kontext Deutsch-Südwestafrikas
  • 5.6 Die Rezeption der Expedition in der Fachliteratur
  • 6. Fazit
  • Anhang
  • Anhangsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Quellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Danksagung
  • Index
  • Reihenübersicht

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Abstract

Objectives

For a long time, the colonial past was not in the focus of public interest in Germany. Negotiations between the German and Namibian governments since 2015 resulted in a recognition of Herero and Nama genocide by Germany in 2021. The central role Namibia plays in Germany’s colonial past requires a differentiated examination of foreign rule during the years 1884 to 1915, when the country was called “Deutsch-Südwestafrika”. To understand the causes and circumstances of the Herero and Nama genocide, the social relations between the indigenous population and the colonists must be examined. In this context the health care of the population, specifically the control and prevention of malaria, one of the world’s most important infectious diseases, plays a central role.

Design and Methods

An overview of political developments, a geo-climatic classification of Deutsch-Südwestafrika, and an examination of malaria concepts from 1884 to 1915 serve as the basis for this study. Using extensive transcribed source material, an evaluation of contemporary scientific discourse, and the available research literature, the epidemiological dynamics of malaria in Deutsch-Südwestafrika are comprehensively reviewed for the first time. The impact on the relevant population groups, which include the indigenous population, the white civilian population, and the “Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika” is focussed. Special attention is given to the prevention and control measures employed. The mutual influence of malaria and German colonization efforts, as well as the evaluation of the underlying processes in general German publicity, are examined. The malaria expedition of Dr. Karl Ferdinand von Vagedes, commissioned by Robert Koch, allows a detailed, summarized examination of the results obtained.

Observations and Results

Regarding the malaria control and prevention measures, there was a clear disparity between the relevant population groups. The indigenous population therefore experienced a significant disadvantage in medical care. The white civilian population was better off in this regard, but also lagged the care provided to the Schutztruppe. The latter was advantaged in this regard because the operational capability of the military was an important factor in colonization. ←7 | 8→Malaria posed a settlement obstacle for the colonists, especially in the northern, rainy areas, while the increasing interconnectedness of the various parts of the country, combined with labor migration, troop movement and the internment of entire populations, ensured that malaria spread rapidly. The active censorship of health reports by the German authorities is evidenced by comparative documents. The malaria expedition of Dr. von Vagedes illustrates Koch’s method of malaria control.

Conclusions

The period considered, from 1884 to 1915, encompasses a change in the concept of malaria beginning with the miasma theory and ending with modern bacteriological findings. Colonization had a drastic effect on the health status of the indigenous population regarding the occurrence and consequences of malaria. Advances in medicine, which were also tested on indigenous population of Deutsch-Südwestafrika, were not used in their favor. The knowledge gained in Deutsch-Südwestafrika, among other things in the context of von Vagedes’s expedition, did not have a major impact on the explanatory and control concepts of malaria, either locally or internationally. However, some of the processes recognized in this context, such as the spread of an infectious disease in the context of increased population mobility, are still valid today.

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Zusammenfassung

Hintergrund und Ziele

Die koloniale Vergangenheit stand in Deutschland lange Zeit nicht im Fokus des öffentlichen Interesses. Seit 2015 geführte Verhandlungen der deutschen und namibischen Regierung resultierten 2021 in einer Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama seitens der deutschen Regierung. Die zentrale Rolle, die Namibia in der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands einnimmt, erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Fremdherrschaft in den Jahren 1884 bis 1915, in der das Land „Deutsch-Südwestafrika“ genannt wurde. Um die Ursachen und Umstände des Völkermordes an den Herero und Nama zu verstehen, müssen die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen der indigenen Bevölkerung und den Kolonisten untersucht werden. Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, im Speziellen die Bekämpfung und Prävention der Malaria, einer der weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten, spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Methoden

Als Grundlage dient ein Überblick über die politische Entwicklung, eine geo-klimatische Einordnung Deutsch-Südwestafrikas und eine Betrachtung des Malariakonzeptwandels von 1884 bis 1915. Anhand umfangreichen transkribierten Quellenmaterials, einer Auswertung des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses und der vorliegenden Forschungsliteratur wird die epidemiologische Dynamik der Malaria in Deutsch-Südwestafrika erstmals umfassend aufgearbeitet. Im Fokus stehen hierbei die Auswirkungen auf die relevanten Bevölkerungsgruppen, welche die indigene Bevölkerung, die weiße Zivilbevölkerung und die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika umfassen. Besondere Aufmerksamkeit wird den angestellten Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen gewidmet. Die gegenseitige Beeinflussung von Malaria und deutschen Kolonisationsbestrebungen, sowie die Bewertung der zugrundeliegenden Prozesse in der allgemeinen deutschen Publizistik werden untersucht. Die durch Robert Koch in Auftrag gegebene Malariaexpedition des Dr. Karl Ferdinand von Vagedes erlaubt eine detaillierte, zusammenfassende Betrachtung der erarbeiteten Ergebnisse.

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Ergebnisse und Beobachtungen

Es wird gezeigt, dass bezüglich der ergriffenen Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung der Malaria ein starkes Gefälle bestand und die indigene Bevölkerung eine deutliche Benachteiligung in der medizinischen Versorgung erfuhr. Die weiße Zivilbevölkerung war in dieser Hinsicht bessergestellt, stand jedoch ebenfalls hinter der Versorgung der Schutztruppe zurück. Letztere wurde diesbezüglich bevorteilt, da die Einsatzfähigkeit des Militärs ein wichtiger Faktor der Kolonisation war. Die Malaria stellte vor allem in den nördlichen, regenreichen Bezirken ein Besiedlungshindernis für die Kolonisten dar, während die zunehmende Vernetzung der verschiedenen Landesteile in Verbindung mit Arbeitsmigration, Truppenbewegung und der Internierung ganzer Bevölkerungsgruppen für eine starke Ausbreitung der Malaria sorgte. Die aktive Zensur von Gesundheitsberichten seitens der deutschen Behörden wird anhand vergleichender Schriftstücke belegt. Die Malariaexpedition des Dr. von Vagedes veranschaulicht die Koch’sche Methode der Malariabekämpfung.

Schlussfolgerungen

Der betrachtete Zeitraum von 1884 bis 1915 umfasst den Wandel des Malariakonzeptes beginnend mit der Miasma-Theorie bis hin zu modernen bakteriologischen Erkenntnissen. Die Kolonisation wirkte sich in Hinblick auf das Auftreten und die Folgen der Malaria drastisch auf den Gesundheitszustand der indigenen Bevölkerung aus. Fortschritte der Medizin, zu deren Erprobung man auch die indigene Bevölkerung Deutsch-Südwestafrikas nutzte, wurden nicht zu deren Gunsten eingesetzt. Die, unter anderem im Rahmen der von Vagedes’schen Expedition, in Deutsch-Südwestafrika gesammelten Erkenntnisse wirkten sich weder lokal noch international in großem Ausmaß auf die Erklärungs- und Bekämpfungskonzepte der Malaria aus. Ein Teil der in diesem Kontext erkannten Prozesse, wie beispielsweise die Ausbreitung einer Infektionskrankheit im Rahmen der gesteigerten Mobilität der Bevölkerung, besitzt jedoch bis heute Gültigkeit.

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1. Einleitung

Die koloniale Vergangenheit Deutschlands war lange Zeit ein tabuisiertes Thema, welches beispielsweise im Schulunterricht vermieden wurde. Aktuelle (Entschädigungs-)Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland rückten diese Thematik seit 2015 jedoch in den Fokus des öffentlichen Interesses. Konkret geht es hierbei um die Aufarbeitung der kolonialen Beziehung, da Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen „Deutsch-Südwestafrika“ unter deutscher Kolonialherrschaft stand.1 Für Konflikte hierbei sorgen insbesondere die Geschehnisse der Jahre 1904 bis 1908 im Rahmen des Aufstandes der Herero und Nama.2 Die deutsche Regierung nutzte in diesem Kontext zwar seit 2015 die Bezeichnung „Völkermord“,3 verwies jedoch darauf, dass der Begriff in diesem Kontext lediglich „historisch-politisch[…]“4 und nicht juristisch zu gebrauchen gewesen wäre. Entsprechende Gesetze seien erst später erlassen worden und nicht rückwirkend anzuwenden. Eine Rechtsgrundlage für Reparationszahlungen habe daher nicht bestanden. Vertreter der Herero und Nama, die dies nicht anerkennen wollten, klagten erstmals 2017 vor einem New Yorker Gericht. Nach einer ersten Abweisung der Klage, aufgrund des Prinzips der Staatenimmunität, wurde Revision eingereicht.5 Am 28.05.2021 verkündete der damals amtierende deutsche Außenminister Heiko Maas den Abschluss der Verhandlungsgespräche mit der namibischen Regierung. An Ergebnissen hervorzuheben sind die offizielle Anerkennung des Begriffs des Völkermordes seitens der deutschen Regierung, die Bitte um Entschuldigung und die Initiierung eines ←11 | 12→Programmes, durch welches vor allem den Nachkommen der Herero und Nama 1,1 Milliarden Euro zwecks Wiederaufbaues und Entwicklung zugutekommen sollen. Die Bundesregierung betonte jedoch erneut, dass sich hieraus keinerlei rechtliche Ansprüche auf etwaige Reparationszahlungen ableiten ließen.6 Einige Vertreter der Herero und Nama lehnen den Vertrag weiterhin als unzureichend ab, da sie von den Verhandlungen ausgeschlossen worden seien und die Höhe der in Aussicht gestellten Zahlungen dem Völkermord nicht gerecht werden würde.7 Unabhängig vom politischen Ausgang der Verhandlungen vergrößerte die in diesem Zusammenhang gestiegene mediale Präsenz das Bewusstsein über die kolonialen Vergangenheit Deutschlands. Infolgedessen kam es in der allgemeinen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit sowie der (Bildungs-)Politik zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit. So sieht der Lehrplan des Schuljahres 2021/22 sowohl für bayerische Realschulen als auch Gymnasien die Beschäftigung mit der Kolonialzeit vor.8 Der Aufstand der Herero und Nama wird hierbei explizit erwähnt: „[…] Auswirkungen imperialistischer Politik auf die betroffenen Völker (z. B. Herero-Aufstand)“.9 Sterbliche Überreste verstorbener Indigener, die zu Kolonialzeiten nach Deutschland gebracht wurden, und Kulturgüter, wie die 1893 nach Deutschland verbrachte und seit 2006 im Deutschen Historischen Museum in Berlin ausgestellte Kreuzkapsäule, wurden an Namibia zurückgegeben.10 Auch Straßennamen, welche zum ←12 | 13→Teil noch immer an umstrittene koloniale Persönlichkeiten erinnern, wurden umbenannt.11

Die Thematik des europäischen Kolonialismus und hier vor allem die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in Namibia, im Folgenden „Deutsch-Südwestafrika“,12 ist demnach nicht nur ein aktuelles (medizin-)historisches Aufgabengebiet, sondern auch gesellschaftspolitisch aktuell.

Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen Wahrnehmung und Umgang der deutschen Kolonialmacht mit der in Deutsch-Südwestafrika endemisch auftretenden Malaria, welche nach Angaben des Robert Koch Instituts gegenwärtig eine der wichtigsten Infektionskrankheiten der Welt ist.13

Die quellenbasierte Verbindung dieser beiden gesellschaftspolitisch und medizinisch relevanten Themen ist daher Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Fragestellungen

Die Erörterung der zugrundeliegenden Fragestellungen soll eingangs durch einen Auszug aus dem Malariaexpeditionsbericht des Militärarztes Dr. Karl Ferdinand von Vagedes (1868–1945)14 aus dem Jahr 1903 veranschaulicht werden:

„Und doch wird die Malaria mit dem Steigen des Verkehrs auch im deutsch-südwestafrikanischen Schutzgebiet eine immer ernstere Bedeutung gewinnen, besonders, wenn durch Bahnverbindungen der fruchtbare aber fieberreiche Norden dem Verkehr näher gebracht worden ist. Auch hier wird die fortschreitende Cultur auf ihren alten Gegner, die Malaria, stossen, der sich überall der Erschliessung fruchtbarer Landstriche in den Colonieen entgegenstellt; es wird dann die Malariabekämpfung eine ←13 | 14→dringende Notwendigkeit werden, und sie wird um so leichter durchführbar sein, je früher man mit derselben beginnt.“15

Hauptanliegen der Arbeit ist es zu untersuchen, inwiefern sich sowohl das Auftreten als auch die Bekämpfung der Malaria und die fortschreitende Kolonisation Deutsch-Südwestafrikas gegenseitig beeinflussten. Die möglichen Wechselwirkungen werden beispielsweise an den malariabedingten Einschränkungen kolonialer Siedlungs- und Agrarbemühungen und der Dynamik und Entwicklung der Malariaverbreitung im Kontext von gesteigerter Mobilität und moderner Infrastruktur geprüft.

Anhand des in Kapitel 2 dargestellten Wandels des Malariakonzeptes wird des Weiteren erörtert werden, inwiefern zeitgenössische tropenmedizinische und bakteriologische Erkenntnisse in Deutsch-Südwestafrika umgesetzt wurden und ob die dortige Forschung zu diesem Prozess beitrug. Für die Darstellung der heutigen Erkenntnisse über die Malaria wird der Fokus auf die zum Verständnis der historischen Begebenheiten notwendigen Informationen gelegt.

Die Auswirkungen der Malaria, und einhergehend auch der genannten Wechselwirkungen, auf die relevanten Bevölkerungsgruppen wird gleichfalls untersucht. Es handelt sich hierbei um die indigene Bevölkerung, die weiße16 Zivilbevölkerung und die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika.17 Es wird die Frage gestellt, ob diese hinsichtlich ethnischer Herkunft, gesellschaftspolitischer Stellung und Zugangsmöglichkeiten zur medizinischen Versorgung sehr unterschiedlichen Gruppen in vergleichbarem Ausmaß durch ←14 | 15→das Auftreten der Malaria betroffen waren, und ob eine Bevorzugung einzelner Gruppen hinsichtlich medizinischer und wirtschaftlicher Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen festzustellen ist. Die Hintergründe etwaiger Unterschiede werden anhand des Quellenmaterials geprüft.

Dabei wird das Aufeinandertreffen grundlegend verschiedener Gesundheitssysteme in Hinblick auf etwaige Interaktionen ihrer Akteure betrachtet. Es gilt einerseits zu hinterfragen, ob die indigene Bevölkerung von der europäischen Medizin profitierte, andererseits aber auch, ob die indigene Medizin wahrgenommen und/oder (an-)erkannt wurde und einen sichtbaren Einfluss auf Erstgenannte ausübte.

Gefragt wird auch, ob sich die Akteure der einschlägigen Berichterstattung über die deutsch-südwestafrikanische Malariasituation gegenseitig beeinflussten. In diesem Zusammenhang wird untersucht, wie die endemische Lage sowohl in der Kolonie als auch in der deutschen Fachgemeinschaft kommuniziert und bewertet wurde.

Die Malariaexpedition des Dr. von Vagedes wird schließlich als Beispiel der wissenschaftlichen Praxis am Wendepunkt des Malariakonzeptes herangezogen und geprüft, wie sich diese in den kolonialen Kontext einordnet. An diesem Beispiel kann die Fragestellung vertieft werden, inwiefern sich die Geschehnisse in Deutsch-Südwestafrika auf den internationalen Forschungsstand hinsichtlich der Malaria auswirkten.

Schließlich wird betrachtet, inwiefern die seinerzeit beobachteten infektionsepidemiologischen Prozesse auch heute noch Gültigkeit besitzen.

Aufbau der Arbeit

In Kapitel 2 „Die Malaria – ein Krankheitskonzept im Wandel“ wird zunächst ein kurzer Überblick über den internationalen Wissenswandel hinsichtlich der Malaria im betrachteten Zeitraum gegeben. Die Darstellung der heutigen Erkenntnisse über die Malaria fokussiert Aspekte, die zum Verständnis und der Einordnung der historischen Erklärungskonzepte notwendig sind. Das Kapitel 3 „Deutsch-Südwestafrika“ bietet einen Überblick über die Hintergründe und Entwicklung der Kolonisation in Deutsch-Südwestafrika. Die Darstellung geographischer und klimatischer Gegebenheiten ermöglicht die Bewertung der dortigen Malariasituation. Kapitel 4 „Die Malaria in Deutsch-Südwestafrika“ beschäftigt sich mit den einleitend skizzierten Aspekten der Malaria-Kolonisations-Interaktion. Eingangs wird untersucht, inwiefern sich der Wandel des Krankheitskonzeptes in den von der Kolonialmacht Deutschland ergriffenen Maßnahmen widerspiegelt. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der anschließend geschilderten Auswirkungen der Malaria auf die ←15 | 16→verschiedenen Bevölkerungsgruppen Deutsch-Südwestafrikas. Diese sind unter anderem auch aus methodischen Gründen, da über sie im Quellenmaterial meist separat berichtet wird, in die drei bereits genannten Gruppen der indigenen Bevölkerung, der weißen Kolonisten und der Schutztruppe eingeteilt. Anschließend folgt die Untersuchung der unmittelbaren Wechselwirkung zwischen der Malaria und dem Kolonisationsprozess. Ein letztes Teilkapitel widmet sich der Frage, wie sich die Berichterstattung über die Malaria gestaltete und inwiefern diese von Seiten der deutschen Regierung gelenkt wurde. Einhergehend hiermit wird beleuchtet, wie die deutsch-südwestafrikanische Malariasituation in Deutschland bewertet wurde.

Den Abschluss dieser Arbeit bildet das Kapitel 5 „Die Malariaexpedition des Dr. von Vagedes“. Zielsetzung und Durchführung der Malariaexpedition des Dr. von Vagedes verdeutlichen den eingetretenen Malariakonzeptwandel. Dieser wird eingehend betrachtet und in den medizinischen und kolonialen Kontext Deutsch-Südwestafrikas eingeordnet.

Die Zusammenfassung verdeutlicht den Bezug der in den vorhergehenden Kapiteln herausgearbeiteten, vielfältigen Wechselwirkungen zwischen der Malaria und der Kolonisation und verweist auf die infektionsepidemiologische Relevanz, die dem Untersuchungsgegenstand in weiten Teilen immer noch zukommt.

Der umfangreiche Anhang enthält ausgewählte Quellenauszüge, die vor allem die Hintergründe der Malariaexpedition zugänglich machen.

Die der Literatur entnommenen Tabellen verdeutlichen die Dynamik der Malariafallzahlen in der deutsch-südwestafrikanischen Schutztruppe. Der Verlauf des monatlichen und jährlichen Regenfalls in ausgewählten Regionen wird anhand von Graphiken dargestellt, welche in Anlehnung an das vorliegende Quellenmaterial18 erstellt wurden. Unter anderem können so die zeitgenössischen klimatischen Rahmenbedingungen der von Vagedes’schen Expedition ausgeführt und Zusammenhänge zwischen den Malariafallzahlen auf der einen, aber auch etwaigen Therapieerfolgen auf der anderen Seite erkannt werden.

Forschungsstand

Mit dem Gesundheitswesen Deutsch-Südwestafrikas befassen sich unter anderem Behrendt19 und Krieger-Hinck20 in ihren Dissertationen. Ein Kapitel ←16 | 17→allgemeiner Art ist dieser Thematik auch in der Dissertation von Kaulich21 gewidmet, dessen Arbeit den Anspruch einer Gesamtdarstellung der namibischen Kolonialgeschichte erhebt. Eckart22 behandelt diese Thematik ausführlich und auch Forster23 geht in einem Überblick über die Entwicklung des namibischen Gesundheitswesens auf die Kolonialzeit ein. Die Äußerungen Krieger-Hincks, dass die Malaria lediglich „bis zum Auftreten des Typhus im Jahre 1897“24 die „wichtigste und häufigste Krankheit“25 gewesen sei und Eckarts, dass „bei der europäischen Bevölkerung des Schutzgebietes Malaria […], vor allem aber Typhus eine besondere Rolle“26 gespielt hätte, da „Typhusepidemien […] besonders 1897/98 viele Opfer“27 gefordert hätten, lassen vermuten, dass diese Autoren dem Typhus28 eine größere Relevanz als der Malaria in der Entwicklung Deutsch-Südwestafrikas zumessen.

Die Malariabekämpfung in einigen anderen ehemaligen deutschen Kolonien ist Gegenstand weiterer Dissertationen. So geht Bauche29 auf die Situation in Kamerun und Deutsch-Ostafrika ein, während Carstens30 die Gesundheitsverhältnisse der Arbeitskräfte in den deutschen Südsee-Kolonien betrachtet.

Die Untersuchungen von Imam31 hinsichtlich der Anwendung und Entwicklung natürlicher Methoden der Malariabekämpfung in Niederländisch-Indien zeigen ebenfalls Überschneidungen mit den in Deutsch-Südwestafrika angestellten Maßnahmen.

Details

Seiten
332
ISBN (PDF)
9783631887752
ISBN (ePUB)
9783631887769
ISBN (Hardcover)
9783631887745
DOI
10.3726/b20085
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Schlagworte
Malariaprävention Malariakonzeptwandel Indigene Medizin Zwei-Klassen-Medizin Malariaexpedition Schutztruppe Kolonialismus Robert Koch Karl von Vagedes Malariaimpfung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 332 S., 5 farb. Abb., 28 s/w Abb., 5 Tab.

Biographische Angaben

Jan Esse (Autor:in)

Jan Esse studierte Humanmedizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Während seiner Weiterbildung im Gebiet Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie promovierte er dort berufsbegleitend. Neben der Geschichte von Infektionskrankheiten liegen seine wissenschaftlichen Interessen unter anderem im Bereich der Epidemiologie.

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