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Gott denken - Wunschdenken?

Religionsphilosophie im Gespräch mit Holm Tetens

von Raphael Weichlein (Autor:in)
©2022 Monographie 190 Seiten
Reihe: Berliner Bibliothek, Band 11

Zusammenfassung

Agnostisch in der Frage nach Gott zu sein, liegt im Trend. Der Glaube an Gott hingegen scheint eher Produkt infantilen Wunschdenkens zu sein, für viele vergleichbar mit dem Glauben an Märchen. Umso überraschender, wenn auch professionelle Philosophen die Frage nach Gott in der Gegenwart neu stellen. Dies tut in zahlreichen Veröffentlichungen der Berliner Philosoph Holm Tetens. In intensiver Auseinandersetzung mit ihm sowie Willard V. Quine, John Henry Newman und William James geht das Buch Argumentationsmustern für einen rational verantworteten Gottesglauben nach.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Thomas Brose: Geleitwort
  • 1 Hinführung
  • 1.1 Gott denken – Wunschdenken?
  • 1.2 Zur vorliegenden Studie
  • 2 Holm Tetens und dessen Bezugnahme auf die Quinesche Regel
  • 2.1 In Philosophisches Argumentieren (2004)
  • 2.2 In jüngsten Beiträgen
  • 2.3 Quines Aufsatz Two Dogmas of Empiricism (1951)
  • 2.4 Zwischenfazit I
  • 3 Das voluntative Moment im weltanschaulichen Kontext
  • 3.1 John H. Newman: Letzter Brief an William Froude (1879)
  • 3.2 William James: The Will to Believe (1896)
  • 3.3 Zwischenfazit II
  • 4 Epistemische Rechtfertigung
  • 4.1 Was bedeutet epistemische Rechtfertigung?
  • 4.2 Nochmals Tetens und die Quinesche Regel: Perspektivismus ≠ Relativismus
  • 4.3 Wenn unterschiedliche Perspektiven zusammentreffen: Rechtfertigungspluralismus ≠ Wahrheitspluralismus
  • 4.4 Wunschdenken und weltanschaulicher Dialog
  • 5 Zusammenschau
  • 5.1 Ergebnisse
  • 5.2 Fundamentaltheologische Würdigung
  • 5.3 Weiterführende Fragen
  • Anhang 1: Skizzen einer rationalen Soteriologie im Anschluss an Holm Tetens
  • Anhang 2: Zur Diskussion um Holm Tetens’ rationale Theologie. Ein Literaturbericht
  • Literaturverzeichnis
  • Namensregister
  • Reihenübersicht

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Vorwort

Im Wintersemester 2014/15 habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin aus einem eher allgemeinen Interesse heraus an der Lehrveranstaltung Naturalismus, Dualismus, Idealismus als Gaststudent teilgenommen. Diese wurde als gemeinsames Seminar von Prof. Dr. Olaf Müller (Humboldt Universität) und Prof. Dr. Holm Tetens (Freie Universität Berlin) durchgeführt. Beide kannte ich vorher nicht.

Dabei traf nicht nur die von beiden Hochschullehrern formulierte Skepsis gegenüber naturalistisch-materialistischen Positionen mein Interesse. Jeder von ihnen plädierte unterschiedlich für alternative philosophische Theorierahmen: Olaf Müller trat für einen Körper-Geist-Dualismus ein, während Holm Tetens den Idealismus zu plausibilisieren versuchte. Insbesondere Letztgenannter verteidigte im besagten Seminar auch die Rationalität des Gottesgedankens, womit ich in diesem Kontext nicht gerechnet hätte.

Es hat sich gefügt, dass jene Lehrveranstaltung nicht nur die letzte in Holm Tetens’ Laufbahn als aktiv lehrender Philosophieprofessor in Berlin gewesen ist, sondern deren Ende im Frühjahr 2015 praktisch zeitgleich mit der Veröffentlichung seines Buches Gott denken einherging. Was daraufhin in den kommenden Monaten und Jahren bei mir folgte, war eine intensive Beschäftigung mit zahlreichen Fachbeiträgen Tetens’, deren erste Ergebnisse die vorliegende Publikation bündelt. Zugleich verbunden war damit ein persönlicher Gedankenaustausch, der für mich Anregung und Ehre zugleich war. Etwaige Fehldeutungen in der vorliegenden Studie habe indes allein ich selbst zu verantworten.

Prof. Dr. Thomas Brose ist Religionsphilosophie insbesondere im Berliner Kontext seit Jahrzehnten ein Herzensanliegen. Ihm danke ich für die freundliche Aufnahme dieser Studie in die Buchreihe Berliner Bibliothek.

 November 2022 Raphael Weichlein  

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Aufschrift auf einem Haus in der Schwarnweberstraße in Berlin-Friedrichshain(c) Raphael Weichlein

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Thomas Brose: Geleitwort

1. Berlin als Synonym: Von der Schwierigkeit, Gott heute zu denken

Kosmopolitisch, multikulturell und weltoffen – so möchte das seit 1989/90 wiedervereinigte Berlin auf dem Globus wahrgenommen werden. „Wir wollen die Ausstrahlung unserer Stadt und die Marke Berlin erhalten: als Ort der Freiheit, der Toleranz, Offenheit und Kreativität“, so wirbt das Marketing von visitBerlin für das „Gesamtkunstwerk“ und die „Must-see-Destination“, in der Kunst und Kultur zentralen Stellenwert besitzen.

Außerdem macht eine Vielzahl von Universitäten und akademischen Einrichtungen – im Wintersemester 2021/2022 waren knapp 200.000 Studierende an Hochschulen eingeschrieben – den urbanen Raum an der Spree zu einer der bedeutendsten Wissenschaftsregionen Europas. Aber wie keiner anderen deutschen Metropole wird Berlin von Kommentatoren unterschiedlicher Couleur auch bescheinigt, eine Stadt ohne Gott zu sein für die alles, was die philosophisch-theologische Tradition mit „Theismus“ bezeichnet, eine Terra incognita zu sein scheint. Lange Zeit blieb die Hegemonie des Naturalismus im fachphilosophischen Diskurs der Hauptstadt unangefochten. Deshalb gilt „Berlin“ für viele Geisteswissenschaftlerinnen und Publizisten weiterhin als Synonym für die Schwierigkeit, den Glauben an Gott als sinnvolle Option (Charles Taylor) zu denken.

Darum verdient es gesteigerte Beachtung, dass sich Raphael Weichlein in der Universitätslandschaft der Großstadt auf den Weg gemacht hat, das Basistheorem von Religionsphilosophie und Theologie zu prüfen und die Frage zu diskutieren, inwieweit der Glaube an Gott – wie von den „Klassikern der Religionskritik“ behauptet – auf Projektion und Wunschdenken beruht oder ob es sich dabei um eine angemessene, rational zu rechtfertigende Möglichkeit der Weltdeutung handelt.

Dass der Autor dieser Forschungsstudie im Wintersemester 2014/15 bei einer Lehrveranstaltung an der Humboldt-Universität Zeuge einer tiefgreifenden Zäsur im Denken von Holm Tetens wurde, prägte ihn nachhaltig. Die Begegnung mit dem bedeutenden zeitgenössischen Philosophen, der seinerzeit gerade dabei war, seine Position als ehemaliger Religionskritiker zu korrigieren, hatte für den angehenden Wissenschaftler richtungsweisende Bedeutung. Mit dem hier vorgelegten Band, der insbesondere die erkenntnistheoretische Rechtfertigung des ←13 | 14→voluntativen Moments im weltanschaulichen Kontext – im Anschluss an Willard Van Orman Quine (1908–2000) unter Bezugnahme auf vorausgegangene Aussagen von John Henry Newman (1801–1890) sowie William James (1842–1910) – untersucht, leistet der Autor einen beachbeachtlichen Beitrag, die Rationalität religiösen Glaubens vom Makel bloßen Wunschdenkens zu befreien.

Das Buch dokumentiert darüber hinaus zwei Aufsätze, die den Blick auf Tetens’ Gesamtwerk weiter schärfen und erweitern: Anhänge 1 und 2.

2. Unentbehrliches Weiterfragen: Zur Bedeutung des Metaphysischen

„Wenn ich nach der ‚metaphysischen Quintessenz‘ der Naturwissenschaften gefragt werde, antworte ich mit dem Satz: Der Mensch ist sowohl als Individuum wie als Gattungswesen eine vorübergehende und äußert randständige Episode in einem unermesslichen und sinnlosen Universum, für welches das Glück und die Moralität der Menschen vollkommen gleichgültig sind.“, konstatierte der damalige Professor für Theoretische Philosophie an der Freien Universität Berlin, Holm Tetens, im Jahr 2010; er fügte hinzu, der „inhaltlich so ganz andere religiöse Glaube meiner Kinder- und Jugendtage“ sei für ihn unwiederbringlich dahin.1

Der für seine Kompromisslosigkeit im Umgang mit der „Gottesfrage“ bekannte Denker erregte Aufsehen, als er 2015 die Studie Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie2 vorlegte. Mit seinem Traktat zur Sinnhaftigkeit des Glaubens sorgte der einstige Agnostiker für eine Art Sensation, die von den „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ (Friedrich Daniel Schleiermacher) deutlich wahrgenommen wurde. Seine theistische Wende führte zu einer Erschütterung im analytischen „Lager“. Zutreffend charakterisiert Godehard Brüntrup dieses Ereignis als „Erdbeben in der philosophischen Zunft“3. Entsetzt über das, was ihnen als intellektueller Verrat4 erschien, reagierten überzeugte ←14 | 15→Antimetaphysiker dezidiert ablehnend auf den von der Fahne eines dogmatischen Antidogmatismus gegangenen Philosophen-Kollegen. Andererseits würdigten Vertreterinnen und Vertreter aus der Scientific Community zugleich Tetens’ Versuch, der trostlosen Metaphysik des Naturalismus die tröstliche Metaphysik des Theismus gegenüberzustellen.

Gilt „Metaphysik“ im Kontext analytischer Philosophie, angefangen bei David Hume, als suspekter, rein dogmatisch fundierter Begriff, gibt der Verfasser diesem Ausdruck in seinem schmalen Buch eine positive Wendung: Metaphysik frage nämlich „nach der besonderen Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, und sie fragt danach vor dem Hintergrund der Suche des Menschen nach dem Glück und einem gelingenden Leben. Diese Leitfrage verlangt von der Philosophie, sich darüber im klaren zu werden, welche grundlegenden Arten von Gegenständen es gibt und wie diese so miteinander zusammenhängen, dass sie Bestandteile ein und derselben Welt bilden. Es ist die Metaphysik, die auf die Frage nach den grundlegenden Arten und nach ihrem Zusammenhang in ein und derselben Welt zu antworten versucht.“5 Damit revidiert der analytische Philosoph seinen Ansatz grundlegend. In Gott denken regt er dazu an, „metaphysische Probleme“ auf neue Weise zu diskutieren. Der Autor gibt sich nach eigener Überzeugung keineswegs mit Gegenständen ab, die „jenseits“ des philosophisch Zugänglichen liegen; es geht ihm nicht darum, einen unwiderlegbaren Gottesbeweis zu führen. Tetens geht vom gegenwärtig dominanten naturalistisch-materialistischen Weltbild aus. Er stellt Vergleiche an, um zu zeigen, dass sich der Theismus gegenüber dem agnostizistischen Naturalismus rational gut behaupten kann.

Die Metaphysik, so der Autor, beanspruche seit alters her, die fundamentalsten Aussagen über die Wirklichkeit als Ganze abzugeben. Insofern müsse auch der Naturalismus als Spielart der Metaphysik verstanden werden. Denn dieser sei angetreten, über das Ganze der Wirklichkeit und die Stellung des Menschen darin Auskunft zu geben. Überzeugte Naturalisten sollten darüber reflektieren, ob sie nicht in der Gefahr stünden, sich Tabus eines philosophischen Dogmatismus zu eigen zu machen, wenn sie angesichts der Unterbestimmtheit empirischer Daten (Quine) Möglichkeiten des Denkens von vorn herein ausschließen: Angesichts der Übel und Leiden in der Welt, so Tetens nach seiner Wende, halte er es für sinnvoll, gemäß einer theistischen ←15 | 16→Perspektive auf Begriffe wie „Hoffnung“ und „Erlösung“ zurückzugreifen, um die Wirklichkeit „tiefer“ zu verstehen. Es könne „keine Rede davon sein, dass die Erlösungshoffnung zutiefst irrationales Wunschdenken ist, während die Desillusionierung jedes Erlösungsgedankens im Geiste des Naturalismus überlegen vernünftig ist.“6

Den Anfang von Gott denken markiert ein Text von Max Horkheimer7. Mit diesem Eingangszitat, wonach der Gedanke „ungeheuerlich“ sei, dass unschuldiges Leiden in alle Ewigkeit unbeachtet im Dunkeln bleibe, sendet der Autor ein Signal und macht damit auf die Zielsetzung seines Essays aufmerksam: Darin geht es ihm nicht in erster Linie um Beiträge zur Erkenntnistheorie, sondern in zentraler Weise um ethische bzw. existentielle Dimensionen des Menschseins. Er reagiert auf das drohende Verschwinden und Vergessen-Werden vor allem der Verlierer der Geschichte mit „Mut zum Sein“ (Paul Tillich).

Am Ende seines Traktats schließt sich der Kreis, wenn Tetens schreibt: „Um die Philosophie wird es erst dann wieder besser bestellt sein als gegenwärtig, wenn Philosophen mindestens so gründlich, so hartnäckig und so scharfsinnig über den Satz ‚Wir Menschen sind Geschöpfe des gerechten und gnädigen Gottes, der vorbehaltlos unser Heil will‘ und seine Konsequenzen nachdenken, wie Philosophen zur Zeit pausenlos über den Satz ‚Wir Menschen sind nichts anderes als ein Stück hochkompliziert organisierter Materie in einer rein materiellen Welt‘ und seine Konsequenzen nachzudenken bereit sind.“8

Details

Seiten
190
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631880517
ISBN (ePUB)
9783631880524
ISBN (MOBI)
9783631880531
ISBN (Hardcover)
9783631880494
DOI
10.3726/b20535
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Dezember)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 188 S., 1 farb. Abb.

Biographische Angaben

Raphael Weichlein (Autor:in)

Raphael Weichlein ist Priester des Erzbistums Berlin. Er studierte Philosophie und katholische Theologie in München und am Priesterseminar Redemptoris Mater in Berlin. Nach einem Aufbaustudium an der Universität Innsbruck wurde er mit dem Preis ‚Meritum philosophiae‘ ausgezeichnet. Er ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Augsburg tätig.

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Titel: Gott denken - Wunschdenken?
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