Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive
Akten des XIV. Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) (Bd. 3) - Jahrbuch für Internationale Germanistik - Beihefte
Zusammenfassung
Ländern behandelt.
Der dritte Band enthält Beiträge zu folgenden Themen:
- Kulturrealia in Paralleltexten als didaktischer Fokus trans- und interkultureller Germanistik;
- Textmuster und „Lernmuster“ – Perspektiven auf professionelles und wissenschaftliches Schreiben in der L2 Deutsch;
- Inter- und transkulturelles Lernen beim Schüleraustausch im Bereich Deutsch (als Fremdsprache);
- Portfolio und Mehrsprachigkeit;
- Motivation zum Deutschlernen – zum Stellenwert des Sprachenlernens für die internationale Germanistik;
- Interaktionsforschung in Daf;
- Unterrichtsmitschnitte in der Aus- und Fortbildung von DaF-Lehrenden;
- Lehrerqualifizierung – Lernen für die Praxis
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Kulturrealia in Paralleltexten als didaktischer Fokus trans- und interkultureller Germanistik
- Einleitung (Nikolina Burneva (Veliko Tarnovo), Marianne Hepp (Pisa), Annegret Middeke (Göttingen))
- Von der Transferdifferenz zur Konzeptuellen Kompetenz – Visualisierte Metaphern als Paralleltexte im Modell der Kognitiven Sprachdidaktik (Jörg Roche (München))
- Vergangenheitsperspektive(n) in Tourismustexten. Anregungen für den Übersetzungsunterricht (Lyudmila Ivanova (Veliko Tărnovo))
- Paralleltexte als Basiseinheiten für den Wissenstransfer: sprachliche Vermittlungsstrategien bei wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Textpaaren (Marianne Hepp (Pisa))
- Der Einsatz von parallelen Bilderbüchern in der bilingualen Alphabetisierung in Südtirol (Katharina Salzmann (Trient))
- Paralleltexte in der Übersetzerausbildung (Maria Grozeva (Sofia))
- Kulturrealia als lexikographische Herausforderung in zweisprachigen Wörterbüchern (Adriana Hösle Borra (Vermont), Luisa Giacoma (Aosta))
- Fortschreitende Räude oder „Wortlatrie“? Wie experimentelle Dichtung mit den Sprachstrukturen umgeht: Deutsch und Italienisch im Vergleich (Donatella Mazza (Pavia))
- Der DaF-Unterricht als Kunst zu verstehen und verstanden zu werden (Olivera Durbaba (Belgrad))
- Parallelitäten in der malaysischen Sprachumgebung (Jin Zhuo Lee (Sepang))
- Multimodale Parallelität in der Textsorte Videokonferenz (Matthias Jung (Düsseldorf), Annegret Middeke (Göttingen))
- Deutsche Klassiker, multimedial (Nikolina Burneva (Veliko Tarnovo))
- Kollektivität versus Perspektivität: Zwischen Punk und Präsident – Das Tag-Nachtasyl als tschechisch-österreichischer Erinnerungsort (Johannes Köck (Brno))
- Textmuster und „Lernmuster“ – Perspektiven auf professionelles und wissenschaftliches Schreiben in der L2 Deutsch
- Vorwort (Sabine Dengscherz (Wien), Ilona Feld-Knapp (Budapest), Carmen Heine (Wien))
- Wortverbindungen in Paraphrase und Argumentation: Eine Untersuchung an Texten von Studierenden mit L2 Deutsch (Birgit Huemer (Luxemburg))
- Verfassen deutscher Abschlussarbeiten von chinesischen Studierenden mit dem Ziel eines Doppel-Bachelors: Probleme und Lösungsstrategien (Zhuo Tao, Sibylle Seyferth, Jing Guo, Yu Chen (Shanghai))
- Sprachmittlungskompetenz angehender mehrsprachiger Englisch-Deutsch-Lehrpersonen mit L1 Ungarisch (Gabriella Perge (Budapest))
- Schreiben über das Studium. Überlegungen zur Textsorte Reflexion sowie zur Reflexionskompetenz der DaF-Lehramtsstudierenden an der Eötvös Loránd Universität Budapest (Ilona Feld-Knapp (Budapest))
- Textsorten als didaktischer Hebel auf dem Weg zur Schreibkompetenz (Sonja Kuri (Udine))
- Inter- und transkulturelles Lernen beim Schulaustauschaustausch im Bereich Deutsch (als Fremdsprache)
- Inter- und transkulturelles Lernen beim Schulaustauschaustausch im Bereich Deutsch (als Fremdsprache) (Sylwia Adamczak-Krysztofowicz (Poznań), Ute K. Boonen (Duisburg-Essen), Sabine Jentges (Nijmegen), Paul Sars (Nijmegen))
- Portfolio und Mehrsprachigkeit
- Vorwort (Bärbel Kühn (Darmstadt/Bremen), Maria Gabriela Schmidt (Tokyo))
- Förderung von Mehrsprachigkeit im DaZ-Unterricht multikultureller Grundschulklassen unter besonderer Berücksichtigung der Herkunftssprachen (Jutta Wolfrum (Bamberg))
- Vom Wunsch zum (ökologischen) Portfolio – Über Trans-Genre-Portfolios (TGPs) (Alexander Imig (Nagoya))
- Zur Förderung der Lernerautonomie, Lernerreflexion und Mehrsprachigkeit in authentischen Kommunikationskontexten – Das European University Tandem-Projekt (Christian Moßmann (Exeter), Katharina Müller (Frankfurt am Main))
- Europäisches elektronisches Sprachenportfolio – Woher und Wohin (Bärbel Kühn (Darmstadt/Bremen))
- Wie lässt sich Mehrsprachigkeit in Japan mit Portfolios fördern? Am Beispiel eines elektronischen Schreibportfolios im DaF-Unterricht an einer japanischen Universität (Nancy Yanagita (Tokyo))
- Portfolioarbeit für die Behandlung von Nationalstereotypen im DaF-Unterricht in Spanien (Laura Arenas (Alcalá de Henares) )
- „Das Fundament ist gelegt“ – Mit dem Sprachenportfolio zu Empowerment (Astrid Buschmann-Göbels (Bremen), Christine Rodewald (Bremen))
- Unterrichtstagebücher als kontextuelle Anpassung eines Sprachenportfolios (Maria Gabriela Schmidt (Tokyo))
- Motivation zum Deutschlernen – zum Stellenwert des Sprachenlernens für die internationale Germanistik
- Einführung in die Kongressakten der Sektion (Claudia Riemer (Bielefeld), Yuan Li (Hangzhou), Maciej Mackiewicz (Poznań))
- (Keine?) Sprachen- und Regionenspezifik in der L2-Motivationsforschung. Überblick über den Stand der Forschung (Claudia Riemer (Bielefeld))
- Die Entwicklung der Motivation hinsichtlich des Deutschlernens bei chinesischen Germanistikstudierenden in Bezug auf L2MSS – eine empirische Studie (Yuan Li, Yawen Zheng (Hangzhou))
- Produktion als Motivation. Motivation nach dem Produktionsorientierten Modell (POA-Modell) im Deutschunterricht an chinesischen Hochschulen (Nannan Ge (Beijing))
- Einstellungen und Wahrnehmungen zum Deutschen im Baltikum: Eine Studie an der Deutschen Schule Riga (Heiko F. Marten (Riga))
- Interkulturelle Motivation der polnischen Germanistik-Studierenden (Maciej Mackiewicz (Poznań))
- Facetten der Motivation zum Deutschlernen in Oberschlesien – Ergebnisse der Fragebogenerhebung unter polnischen DaF-Lernenden an einer Oberschule (Mariusz Jakosz (Katowice))
- Local, (trans)national, global? The communities of affiliation of university students of German, Italian and English studies (Riccardo Amorati (Melbourne))
- Zur Dynamik von Motivationsprozessen beim Spracherwerb im mehrsprachigen Studien- und Lebenskontext. Eine longitudinale Studie über internationale Studierende in englischsprachigen Masterstudiengängen an einer deutschen Universität (Mareike Rotzal (Bielefeld))
- Deutsch lernen im akademischen Kontext: intrinsische und extrinsische Motivation brasilianischer Lernender (Rogéria Costa Pereira (Fortaleza))
- Interaktionsforschung in DaF
- Einführung in die Sektion „Interaktionsforschung in DaF“ (Sabine Hoffmann (Palermo), Makiko Hoshii (Tokyo), Karin Aguado (Kassel))
- The Language of Europe is Mediation: Sprachmittlung in mehrsprachigen (Arbeits-)Situationen (Ulrike Arras (Bochum))
- Rethinking Disfluencies in der Lernersprache – Selbstkorrekturen und Verzögerungen in der monologischen Produktion und in der Interaktion (Makiko Hoshii (Tokyo), Nicole Schumacher (Berlin))
- Sprachhandlungen Modellieren für Deutsch als Fremdsprache – Ergebnisse einer korpuslinguistisch-frequenzbasierten Studie zur Distribution und Verkettung sprechaktindizierender Muster (Joachim Scharloth (Tokyo))
- Bildungsziel Mehrsprachigkeit: Klusionsmarker und translinguale Räume (Silke Tork (Florenz))
- Unterrichtsmitschnitte in der Aus- und Fortbildung von DaF-Lehrenden
- Einführung in die Sektion „Unterrichtsmitschnitte in der Aus- und Fortbildung von DaF/DaZ-Lehrenden“ (Věra Janíková (Brno), Michael Schart (Jena), Karen Schramm (Wien))
- Systemische Beratung in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit (Alexis Feldmeier García (Münster/Fribourg))
- Der Einsatz von Unterrichtsmitschnitten zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung für den Bereich des lexikalischen Lernens (Ralf Gießler (Wuppertal))
- Video Enhanced Observation (VEO) – innovative Videografie zur Unterstützung der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften (Mareike Oesterle, Götz Schwab (Ludwigsburg))
- Unterrichtsvideographie im DaZ-Unterricht: multimodale Analysen lehrerseitiger Paraphrasierungen (Christine Stahl, Kristina Peuschel (Augsburg))
- Lehrerqualifizierung – Lernen für die Praxis
- Lehrerqualifizierung – Lernen für die Praxis (Michael K. Legutke (Gießen))
- Einsatz von Videosequenzen im Rahmen des DLL-Fortbildungsprogramms in der Lehrerfortbildung (Blaženka Abramović (Zagreb))
- Umgang mit Heterogenität im Fremdsprachenunterricht – eine Herausforderung für Lehrkräfte (Anna Jaroszewska (Warszawa), Mariola Jaworska (Olsztyn))
- Übung macht den/die Meister*in?! (Dinah Krenzler-Behm (Tampere))
- Mental Health: Selbstmanagement als Konzept in der Fremdsprachenlehrer*innenbildung (Magdalena Rozenberg (Gdańsk))
- Aktionsforschung im Hochschulkontext? Überlegungen zu einer stärkeren Praxisorientierung von Deutschstudiengängen am Beispiel Brasiliens (Paul Voerkel (Jena), Liane Scribelk (Curitiba/ Leipzig))
- Digitales Lehr-Lernsetting als Praxisorientierung in der Lehrpersonenqualifizierung (Theres Werner (Jena))
- Reihenübersicht
Einleitung
Was sind Kulturrealia und welchen Stellenwert finden sie im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache? So lautete das Leitmotiv der Sektion Kulturrealia in Paralleltexten als didaktischer Fokus trans- und interkultureller Germanistik auf dem XIV. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik, der unter dem Motto Wege der Germanistik in transkulturellen Perspektiven an der Universität Palermo (26. Juli–2. August 2021) stattfand. Sizilien als melting point einer geschichtsträchtigen multikulturellen Tradition war der richtige Ort für dieses anregende internationale wissenschaftliche Ereignis, und in der Sektion, die sich gerade der germanistischen Betrachtung von sprachvergleichenden und kultursoziologischen Aspekte widmete, konnten Dozentinnen und Dozenten mit reicher beruflicher Erfahrung im Bereich der Auslandsgermanistik und der interkulturellen Beziehungen aus Aosta, Basel, Belgrad, Brno, Düsseldorf, Göttingen, Moskau, München, Nottingham Malaysia, Pavia, Pisa, Sepang, Sofia, Trient, Veliko Tarnovo, Vermont – ob präsent oder virtuell – sich über ihre methodischen Ansätze in Forschung und Lehre austauschen. In den vier Arbeitssitzungen wurden 14 Beiträge angeboten, die im Hinblick auf ihre methodische Leitidee in drei Gruppen gebündelt werden dürften: das wären die in dieser Materialiensammlung angebotenen Artikel zur Kognitiven Linguistik, die pragmalinguistisch und translatologisch fokussierten Erörterungen und die Artikel, die sich mit transmedialen und diskursiven Aspekten befassen.
Dieser philologischen Gruppierung ist die Reihenfolge der Artikel in der vorliegenden Sammlung mit den Sektionsbeiträgen verpflichtet. Sie ist allerdings nur als heuristische Stütze zu verstehen, denn selbstverständlich überschneiden sich die methodischen Ansätze in den einzelnen Beiträgen, sind doch die Verfasser:innen als erfahrene Wissenschaftler:innen schon lange geübt, interdisziplinär zu denken und zu argumentieren. Thematisch gesehen sind ebenfalls gemeinsame Schwerpunkte zu erkennen: das Interesse an der Beziehung zwischen Sprache und Weltbild(-ern), die daraus resultierende Perspektive auf die metaphorische und common sense stiftende Funktion von Aussagen, die Mehrsprachigkeit als nicht nur deklarative Floskel, sondern als eines der Prinzipien demokratischer Gemeinschaften, die inter-/intrakulturelle Dynamik der rezeptionsästhetischen Transformationen von Paralleltexten, die Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse im Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache (v.a. an Hochschulen im nicht-deutschsprachigen Ausland).
←13 | 14→In einem einleitenden Beitrag stellt Jörg Roche „die Grundlagen eines mehrstufigen Modells einer Kognitiven Fremdsprachendidaktik“ vor. Um grammatische Konzepte zugänglicher zu machen, erweisen sich Animationen als handliche und einprägsame Visualisierungen, die sich assoziativ an archetypische, mentale Strukturen anschließen. Interesse ruft dabei der Vergleich zwischen mehreren Sprachen hervor, an dem sowohl allgemeine Prinzipien der Selbsterfahrung des Menschen als auch relativierende Reflexe der jeweiligen soziokulturellen Umgebung sichtbar werden. Daraus lassen sich didaktische Strategien ableiten, durch welche gerade im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts die Fähigkeit der Lernenden zur adäquaten Anwendung von Sprachnormen in Handlungskontexten gefestigt werden soll.
Einen kongruenten methodischen Ansatz vertritt der Beitrag von Lyudmila Ivanova, deren Untersuchung am Korpus von Paralleltexten im Tourismus erfolgt. Auf den ersten Blick handelt es sich hier um kritikwürdige Übersetzungen aus dem Bulgarischen ins Deutsche, in der Tiefenstruktur der Betrachtungen geht es aber um viel mehr – um die oft verkannte oder aus Bequemlichkeit übergangene Notwendigkeit, beim Transfer aus der Muttersprache in eine Fremdsprache die Frage nach dem bezeichneten Sachverhalt angemessen tiefgründig zu reflektieren, um eine adäquate Über-Setzung der Aussage zu erzeugen. Der Gemeinplatz, dass Genanntes nicht immer und keineswegs überall deckungsgleich mit dem Gemeinten ist, wird nicht einfach als didaktisches Dogma behauptet, sondern auf der Basis kritischer Analyse konkreter Paralleltexte im Bereich Tourismus kommentiert. Die vielseitige und oft sehr dynamische, konträr-komplementäre Spannung zwischen Ausgangs- und Zielsprache veranschaulicht die Notwendigkeit, kulturelle Kompetenz ins Zentrum der didaktischen Konzepte zu rücken.
Einem grundlegenden kultursoziologischen Aspekt geht auch Marianne Hepp nach. Sie betrachtet sprachlich-textuelle Erscheinungen des Wissenstransfers anhand eines prototypischen wissenschaftlich-populärwissenschaftlichen Textpaars aus dem Bereich der Psychologie. Die Verfasser:innen der beiden unmittelbar zusammenhängenden Textexemplare stammen aus derselben Wissenschaftsgruppe, wodurch die sprachlich-textuellen Umformungsprozesse besonders deutlich in Erscheinung treten. Eine Betrachtung dieser Art kann zur Förderung von Sprach- und Textbewusstsein auch im universitären DaF-Bereich dienen. Gleichzeitig unterstützt das gewählte Thema „Wissenstransfer“ die Herausbildung und Festigung sozialer Kompetenzen der Lernenden: durch das Bewusstwerden der Notwendigkeit, neben der Fachkommunikation zwischen Expert:innen stets auch einem interessierten Laienpublikum das Recht und den Zugriff auf spezifische fachliche Erkenntnisse und aktuelle Information zu gewähren.
Katharina Salzmanns Anliegen ist, anhand eines dreisprachigen Paralleltextes (Deutsch, Italienisch und Englisch) bestimmte grammatische ←14 | 15→Strukturen im Sprachvergleich zu analysieren, um die Vorzüge einer mehrsprachig angelegten Textdidaktik hervorzuheben. Ausgewählte Aspekte der Textkohärenz sowie die Personen- und Zeitreferenz bieten die Bezugsmomente, an denen die Vernetzung von typischen lexikalischen Einheiten und textgrammatischen Strukturen im mentalen Lexikon gefördert wird, was wiederum zur Sprachen übergreifenden Textbewusstheit und metasprachlichen Einsichten der Lernenden führt. Bemerkenswert ist auch die Wahl eines englischsprachigen, reichlich bebilderten Kinderbuchs in Versen neben zweifach übersetzten Fassungen in Deutsch und Italienisch, woran sich der Stellenwert schöngeistiger Literatur mit ihren spezifischen Stilmitteln und höherem ästhetischen Anspruch erkennbar macht.
Der pragmalinguistische Fokus auf Originaltexte und deren Übersetzung in Fremdsprachen vereint eine zweite Gruppe der Beiträge. Maria Grozeva trägt der noch nicht festgelegten theoretischen Erfassung von Parallelität als philologisches Phänomen Rechnung und geht der Frage nach, inwiefern ein „weicher“ Begriff (im Foucaultschen Sinne) diesen Terminus analytisch produktiver macht. Als Paralleltexte und Parallelkorpora listet sie eine Reihe von ausgewiesenen lexikologischen Korpora auf und kommentiert sie mit Blick auf die übersetzerische Arbeit am prekären Verhältnis zwischen Zeichenträger/n, Designaten und Interpret:innen. Grozevas eigene Erfahrung als Übersetzerin und Professorin für Sprachwissenschaft und Translatologie begründet ihre Kritik an der Didaktik der übersetzungswissenschaftlichen Fächer im universitären Bereich sowie die nachdrückliche Empfehlung, diesbezügliche Curricula laufend zu aktualisieren und die schon reichlich vorhandenen, virtuellen Technologien als neue Kriterien für die Evaluation von Fachleuten und Produkten einzusetzen.
Auch Adriana Hösle Borra und Luisa Giacoma stoßen sich an der nicht genau festgelegten Referenzialität – in diesem Fall von Kulturrealia – und gehen das Problem zunächst scheinbar anekdotisch an: „Gehen deutsche Muttersprachler davon aus, ein auf den ersten Blick simples Alltagswort wie ‚Kaffeeʻ sei mit ‚caffèʻ adäquat übersetzt und umfassend verstanden, berühren sie nur die Oberfläche der beiden Sprachwelten.“ Die Verfasserinnen konzentrieren sich auf den gastronomischen Bereich und führen mehrere konkrete Beispiele aus dem von Luisa Giacoma und Susanne Kolb erstellten Wörterbuch an, um die zwei-/mehrsprachige lexikologische Adäquanz als gespanntes und dynamisches Wechselspiel zwischen Identität und Alterität zu kommentieren. Anhand der theoretischen Überlegungen und der praktischen Anwendungen erscheint das Stichwort Kulturrealia hauptsächlich durch das Defizit an vollständiger Deckungsgleichheit definiert, d.h., durch die kritische Beziehung zwischen Homogenitäten und Divergenzen. Somit leitet die eingangs als lexikologisch begründete Untersuchung in die Forderung nach einer ←15 | 16→Anerziehung (inter-)kultureller Kompetenzen über, die den sprachlichen Ausdruck soziologisch angemessen kontextualisiert.
Prinzipielle Ausdrückbarkeit in jeder Sprache und durch Sprache gesetzte Grenzen der Welt sind zwei Prämissen in Donatella Mazzas Artikel über die kreativen Impulse innovativen Sprachgebrauchs, welche die Problematik der Unfähigkeit zum Ausdrücken von Gedanken hervorbringt. Auch sie hat die Beziehung von schöngeistiger Wortkunst (Lyrik) und Linguistik im Visier, und wie bei Katharina Salzmanns Kinderbilderbuchanalyse ist auch hier das Textkorpus aus nicht konventionellen Textsorten bzw. Genres zusammengesetzt. Der experimentelle Charakter der konkreten Poesie bezeugt, dass tiefgründige linguistische Reflexionen an „schrägen“ Perspektiven interessiert sind, weil diese aus den Defiziten wirkungsträchtiges Potential und aus den (gewollten) Defekten unerwartete Effekte entwickeln.
Ein weiteres Herangehen an das Problem der Verstehbarkeit von Aussagen liegt dem Artikel von Olivera Durbaba zugrunde. In Anlehnung an die Lakunen-Theorie unternimmt sie eine Analyse der Konstituierung „kultureller Hybridität in den postmodernen, von ununterbrochener Migration gekennzeichneten Gesellschaften“ am Beispiel autobiografischer Prosa. Auch dieser Artikel bezieht sich auf ein abgeschlossenes Forschungsprojekt und dessen Anwendung im DaF-Unterricht und arbeitet wichtige didaktische Vorschriften heraus: die stärkere interaktive Einbeziehung der Lernenden in die Arbeit am Text, die Bewusstmachung von möglichen Konfliktpunkten in der Kommunikation mit Menschen aus anderen Ländern, letztendlich die Sensibilisierung für Andersartigkeit und die Relativierung des Eigenen. Durbaba setzt sich für die Aufnahme des Themas „Migration“ in den Unterricht von Deutsch als Fremdsprache ein, wobei sie dem sozialen und ethischen Aspekt des Problemkreises mehr Bedeutung zumisst als der ästhetischen Qualität des Textes. Lakunen wird dadurch die Funktion des tercium comparationis der interkulturellen Erkenntnisstrategie zugeschrieben, die das fortschreitende Selbststudium unterstützen und auch in mehreren beruflichen Positionen hilfreich sein können.
Malaysia als ein Ort der bildungspolitisch vorgeschriebenen dreisprachigen Kompetenz (Malaiisch, Chinesisch und Tamilisch) nebst Englisch als lingua franca erscheint im Artikel von Jin Zhuo Lee unter dem Zeichen einer Normalität, die sehr vielen Leser:innen ungewohnt sein wird. Der soziologische Blick auf Aneignung und Ausübung der administrativen Förderung der Mehrsprachigkeit im Land deckt Probleme und mögliche Lösungen auf, die in der gegenwärtigen globalisierten Welt von transnationalem Interesse sein dürften. Dementsprechend ist code switching ein zentrales Motiv im Deutschunterricht, wenn die schon erworbenen Fremdsprachenkenntnisse als tragfähige Grundlage für neue linguistische Information dienen sollen, aber zugleich durch diverse Interferenzmomente hinderlich sind. Die vergleichende Analyse ←16 | 17→von Paralleltexten (Auszug aus malaysischem Märchen im Original und zwei Übersetzungen ins Deutsche) empfiehlt Lee als ein Verfahren bewusster und kritischer Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Problemen der linguistischen Komparatistik, besonders wenn es sich um Sprachen so weit voneinander entfernter Herkunft handelt. Auch hier wird die kulturwissenschaftliche Kompetenz als unerlässliche Qualifikation des Spracherwerbs gesetzt.
Neuere Technologien im Bereich der Datenverarbeitung und -kommuni- kation haben in den letzten Jahrzehnten fast alle Bereiche der öffentlichen und fachspezifischen Informationsvergabe rasant verändert. Diesem Prozess trägt der Artikel von Mattias Jung und Annegret Middeke Rechnung, in dem die veränderten Parameter öffentlicher Fachveranstaltungen im Format „Multimodale Konferenz“ untersucht werden. Letztere verstehen Jung und Middeke als „Videokonferenz mit für ein Publikum freigeschaltetem, d.h. sichtbarem und von diesem genutzten Parallelchat, der mit der Hör-/Seh-Kommunikation des Referenztextes im Video eine Einheit bildet“. Das Interessante an dieser neuen Textsorte ist die Verknüpfung einer „Hör-/Seh-Kommunikation in Echtzeit mit einem simultanen schriftlichen Chat“, welche die Verfasser:innen mit Hinblick auf die Architektonik des kommunikativen Raumes, die notwendige digitale Kompetenz von wechselseitig sich verändernden Rollen von Sprecher:innen und Rezipient:innen, d.h., der Multi-Tasking-Kompetenz aller Teilnehmenden analysieren. Es ist ein prinzipiell neues Untersuchungsfeld, das an konkreten Beispielen für kommunikative Funktionen der Parallelchats betrachtet wird. Die Ausführungen begründen die Prognose von der Langlebigkeit dieser multimedialen Technologie der Kommunikation und eröffnen somit den Horizont für Fragestellungen, die einen sehr weiten Textbegriff vor Augen haben.
Dem Artikel über Multi-Tasking-Kompetenz und polymediale Texte schließt sich Nikolina Burnevas Beitrag an, der Kulturrealia aus dem angestammten Bereich universitärer Germanistik aufgreift – der deutschen Literatur. Am Beispiel einer klassischen Ballade werden traditionelle Rezeptionsmuster und die gleitenden Transformationen des lyrischen Textes in der (post-)modernen Informationskultur gesichtet. Das Hauptaugenmerk fällt nicht auf die literaturwissenschaftliche Analyse, sondern auf die allmähliche Erweiterung der Textur in jeder folgenden Verarbeitung von Sujet und nur verbalem Originalwerk. Immer komplizierter wird sie durch die Aufnahme von musikalischen bzw. akustischen, visualisierenden, filmischen Techniken sowie durch die Collage von Ausgangstext und dessen Überschreibungen in Lied und Video durch die jeweiligen Nachfolger. Hervorgehoben wird die Umwertung der Aussage in der klassischen Ballade anhand der Überführung des plots in die Stilistik der Pop-Art. Die Kommentare begründen die prinzipielle Schlussfolgerung, dass die DaF-Didaktik ihre Gegenstände und ihr methodisches Instrumentarium gründlich umzuwerten und zu aktualisieren ←17 | 18→hat, um den veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten und ästhetischen Ansprüchen der Studierenden von heute gerecht zu werden.
Eine wiederum andere Perspektive auf Kulturrealia in ihrer Rolle für die kollektive Identität bietet sich den Leser:innen im Beitrag von Johannes Köck. Der „Text“, dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte hier ausgelegt wird, ist tatsächlich entgrenzter Natur, insofern sich in diskursanalytischer Weise ein Standort subversiver Migranten(sub)kultur, eine dynamische kulturgeschichtliche Periode und mehrere Aussagen und Publikationen von Augenzeugen zum intrikaten Assoziogramm der erlebten sozialpolitischen Geschichte verflechten lassen. Als Paralleltexte im engeren Sinne des Wortes können die zitierten Interviews und Erörterungen betrachtet werden, doch ist die Überlagerung der vielstimmigen Kommentare durch das Narrativ der dynamischen Verwandlungen des Prager Cafés als Erinnerungsort geschichtsträchtiger Prozesse das eigentlich Wesentliche des betrachteten Objekts. Dessen Brisanz macht die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis aus, die es auch zur Vorlage für einen kulturwissenschaftlich fundierten Deutschunterricht werden lässt. Dieses und ähnliche Objekte eignen sich als Diskussionsimpulse zur Herausbildung von kritisch-analytischer Urteilskompetenz der Lernenden, dank derer sie die Konstruiertheit von Erinnerungen aufzeigen und die Archäologie ihrer Motivation nachvollziehen können.
Alle hier gesammelten Beiträge beziehen sich auf unterschiedliche und sich gegenseitig ergänzende Weise auf das Rahmenthema „Kulturrealia in Paralleltexten“. Beide Schlüsselwörter in dieser Formulierung wurden annähernd angegangen, ohne dabei jedoch eine festgelegte und normativ gemeinte Definition anzustreben. Ohne eine vorab getroffene Festlegung hat jede/r der Verfasser:innen explizit oder stillschweigend vorausgesetzt, dass die Zeit der definitiven Bestimmungen vorbei ist und in der Dynamik kulturhistorischer Semantiken beide Begriffe erneut auszuhandeln sind.
Die Artikel selbst dürften als Paralleltexte aufgefasst werden, indem sie die vielfache Perspektivität auf das Thema in einem Bezugssystem der Kulturrealia erfassen. Sie alle sind sich des gespannten Verhältnisses zwischen Objekt und Konstrukt bewusst und legen nahe, auch im Fremdsprachenunterricht ein Interesse am Gemacht-Sein von Sprache, Kultur und Diskurs zu wecken und zu stärken. Wenn auch nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, sei hier kurz der von Nikolina Burneva und Annergret Middeke konzipierte, ursprünglich als Podiumsdiskussion1 geplante, aber schnell als ungezwungenes Expert:innengespräch sich ereignete Abschluss der Kongressvorträge erwähnt, an dem sich – ob mit statements oder spontan, persönlich anwesend oder online zugeschaltet – mehrere Kolleg:innen beteiligten, um sich zum ←18 | 19→alle bewegenden Thema „Curricula – zwischen Marktorientierung, Bildungsinhalten und Wertevermittlung“ auszutauschen. Auch hier ergab die Konkurrenz zwischen pragmatischen und zweckfreien Motiven im Erlernen von Deutsch als Fremdsprache anwendbare Orientierungspunkte: Germanistik und verwandte deutschsprachige Kurse sollten im universitären Bildungsbereich als Subsystem der Informationsgesellschaft eine direkt erkennbare wirtschaftliche Effizienz aufweisen, um als administrativ förderungswürdig zu gelten. Zugleich ist deren Leistung für die Vermittlung und Stärkung nachhaltiger humaner social skills immer wieder hervorzuheben und anzuerkennen. Nicht mehr zu verdrängen als didaktisches Ziel ist die Frage nach der möglichst weiten und vielseitigen Medien- und Softwarekompetenz der Lernenden, woraus sich ihr unverrückbarer Stellenwert in den DaF-Curricula der unterschiedlichen Fachrichtungen und Unterrichtsprogramme ergibt. Die in Palermo angestoßene Diskussion wurde einen Monat später auf den „Sommerlichen FaDaF-Literaturtagen“ mit einem Schwerpunkt auf die philologische Teildisziplin „Literatur und Literaturwissenschaft“ fortgeführt.2
Bevor wir allen Leser:innen eine gute Lektüre wünschen, an dieser Stelle noch ein formaler Hinweis: Bezüglich einer geschlechtergerechten Sprache (Binnen-I, Schräg- oder Unterstrich etc.) gab es von Seiten der Tagungsleitung und der Herausgeber:innen keine Vorgaben; in den Beiträgen spiegeln sich die unterschiedlichen sprachpolitischen Positionen bzw. Präferenzen der Autorinnen und Autoren wider. Als Herausgeberinnen hoffen wir, dass das Thema Kulturrealia und Paralleltexte, in Verbindung mit dem ständigen Blick auf die universitäre Vermittlungsebene, das Interesse der Leser: innenschaft zu wecken vermag.
Im Februar 2022
Nikolina Burneva, Marianne Hepp, Annegret Middeke
Von der Transferdifferenz zur Konzeptuellen Kompetenz – Visualisierte Metaphern als Paralleltexte im Modell der Kognitiven Sprachdidaktik
Abstract: Der Beitrag skizziert die Grundlagen eines mehrstufigen Modells einer Kognitiven Fremdsprachendidaktik, die sich stark an den Prämissen, Prinzipien und Erkenntnissen der Kognitiven Linguistik und der kognitiven Erwerbsforschung orientiert und meist mediale Realisierungen (Animationen) zur Sichtbarmachung der grammatischen Konzepte nutzt. So wird die Grammatik als ein konzeptuell motiviertes System symbolischer Strukturen verstanden, das allgemeine Wahrnehmungsprinzipien widerspiegelt und sich nach konzeptuellen Archetypen aus körperlichen Erfahrungen (Bewegung, Kraft, Raum etc.) organisiert. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die konzeptuelle Struktur der Grammatik im Kontext der Sprachvermittlung auch anhand von solchen konkreten Erfahrungen anschaulich gemacht werden kann. Aufgabe des Lerners ist, die konzeptuellen Differenzen der erworbenen und zu erwerbenden Sprachen, die sich in der Semantik und der Grammatik der Sprachen manifestieren, zu überbrücken. Die Lernaufgabe und die didaktische Herausforderung besteht in der Überbrückung der „Transferdifferenz“. Die Beherrschung einer Sprache zeigt sich folglich vor allem in konzeptueller Kompetenz.
Keywords: Kognitive Linguistik, Kognitive Sprachdidaktik, Konzeptuelle Metaphern, grammatische Metaphern, Embodiment, konzeptuelle Kompetenz, Animationen.
1. Einleitung
Im Fremdsprachenunterricht wird oft versucht, die unzugänglich erscheinenden Regeln der Grammatik anhand von bildhaften Darstellungen anschaulicher zu machen. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel Präpositionen mit entsprechenden Bildern und Pfeilen oder Genuszuordnungen der Artikel mit bunten Farben dargestellt. Obwohl sich viele Lehrkräfte einen Mehrwert davon versprechen, führen diese methodischen Unterrichtsmaßnahmen in den meisten Fällen lediglich zu einer leichteren Wahrnehmung der sprachlichen Strukturen. Die Beliebigkeit der Visualisierungen kann jedoch den Lernern nicht verborgen bleiben. Daher ist es sinnvoll, die Beziehung von Sprache und Bildern genauer zu betrachten, vor allem im Bereich der konzeptuellen Metaphern (hierzu ausführlicher Roche/Suñer 2017). Damit werden gleichzeitig die wichtigsten Grundlagen eines kognitionslinguistischen Paradigmenwechsels ←21 | 22→in der Fremdsprachendidaktik behandelt, der unter der Bezeichnung „Kognitive Sprachdidaktik“ zusammengefasst ist.
2. Körperlichkeit und Bilder in der Sprache
Die Kognitive Linguistik geht bekanntlich davon aus, dass sich viele Aspekte der Sprache und der Grammatik anhand von Organisationsprinzipien der allgemeinen Perzeption sowie körperlicher Erfahrungen erklären lassen. So werden meteorologische Phänomene wie der Regen oder die Sonne im Deutschen vorwiegend als Behälter konzeptualisiert (im Regen, in der Sonne etc.), während sie in romanischen Sprachen, dem Russischen und dem Arabischen als Ereignisse unter einer Art Dach konzeptualisiert werden (bajo el sol, bajo la lluvia, sous le soleil, sous la pluie).
Solche körperlichen Erfahrungen und mentalen Bilder werden zwar in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich verwendet, allen Sprachen ist jedoch der Prozess der Metaphorisierung gemeinsam, nach dem ein bestimmter konzeptueller Inhalt von einer Quellendomäne auf eine Zieldomäne übertragen wird. Oft bilden die Quellendomänen konkrete Konzepte ab, wie zum Beispiel Druck, Kraft, Vertikalität etc., und die Zieldomänen – abstrakte Konzepte und ihre assoziativen Felder, wie zum Beispiel der Druck durch Terminstress. Daraus lässt sich schließen, dass jeder Sprecher durch entsprechende konzeptuelle Prozesse auch neue Metaphern schaffen und bereits vorhandene weiter entwickeln kann, selbst wenn diese in der Fremdsprache vorkommen. Metaphern sind also dynamisch und produktiv und können sich in allerlei Kontexten als ein wichtiges Mittel zum Ausdruck komplexer abstrakter Sachverhalte erweisen. Da aber beim Verstehen solcher metaphorischen Konstrukte auch der soziokulturelle und der pragmatische Kontext eine wichtige Rolle spielen, kann ihre erfolgreiche Erschließung nicht alleine durch konzeptuelle ←22 | 23→Prozesse sichergestellt werden (Kövecses 2015: 15; de Cock/Suñer 2018). Vielmehr situieren sich unbekannte Metaphern auf einem Kontinuum, das einerseits aus universellen körperlichen Erfahrungen und andererseits aus kontextbedingter Variation besteht (Kövecses 2015: 14). Für eine erfolgreiche Erschließung sollte also der konzeptuelle Inhalt der Metapher mit beiden Polen, der Universalität und der Kontextspezifik, vereinbar sein.
Aus der körperlichen Bewegung, der Manipulation von Objekten, der Wahrnehmung von Druck und externen Kräften etc. leiten wir Bildschemata ab, die uns dann als eine Art von Vorlage zur Strukturierung konzeptueller Inhalte zur Verfügung stehen. Da diese Bildschemata ihren Ursprung in den sensorischen Erfahrungen haben, behalten sie auch die entsprechenden modalitätsspezifischen Informationen und können durch Prozesse des bildlichen Denkens wie die mentale Simulation als sensorische Repräsentationen abgerufen werden. Tabelle 1 zeigt die wichtigsten Bildschemata (rechts) und die wichtigsten Basisdomänen, die unsere Wahrnehmung steuern.
RAUM |
OBEN-UNTEN; VORNE-HINTEN; LINKS-RECHTS; NAH-ENTFERNT; ZENTRUM-PERIPHERIE; KONTAKT; GERADE; VERTIKALITÄT |
BEHÄLTNIS |
BEHÄLTER; DRAUSSEN-DRINNEN; OBERFLÄCHE; VOLL-LEER; INHALT |
BEWEGUNG |
IMPULS/EIGENDYNAMIK; URSPRUNG-WEG-ZIEL |
GLEICHGEWICHT |
ACHSEN GLEICHGEWICHT; WAAGE-GLEICHGEWICHT; GLEICHGEWICHTSPUNKT; EQUILIBRIUM |
KRAFT |
DRUCK; BLOCKIERUNG; GEGENKRAFT; ABLEITUNG; ENTFERNUNG VON; ANZIEHUNG; WIDERSTAND |
UNITÄT; MULTIPLIZITÄT |
FUSIONIERUNG; SAMMLUNG; TRENNUNG; WIEDERHOLUNG; TEIL-GANZES; ZÄHLBAR-UNZÄHLBAR; VERBINDUNG |
IDENTITÄT |
ANPASSUNG; ÜBERLAGERUNG |
EXISTENZ |
ENTFERNUNG; BEGRENZTER RAUM; ZYKLUS; OBJEKT; PROZESS |
3. Prinzipien der Kognitiven Sprachdidaktik
Die Kognitive Sprachdidaktik versucht, die Körperlichkeit im Symbolsystem Sprache transparent und greifbar zu machen, d.h. zu konkretisieren. ←23 | 24→Diese Verdeutlichung lässt sich mit visuellen Mitteln besser erreichen, als es gewöhnlich im Unterricht geschieht oder gar vermutet wird. Der gewünschte Effekt entsteht aber eben nicht durch die Bilder an sich, sondern zum einen durch die Passung mit verwandten Symbolsystemen und – wo möglich – durch eine Passung mit der Semantik der visuellen Kodierung. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich – trotz oder wegen seines komplexen theoretischen Hintergrunds – ganz plausibel darstellbar. Die gleiche Körperlichkeit, die sprachliche Symbole motiviert, findet sich auch in anderen symbolischen Handlungssystemen, z.B. im Sport. Auch hier geht es um Kraft, Widerstand, Energietransfer, Bewegung, Vorgangsarten etc. Wenn man diese geschickt kombiniert, wird Sprache greifbar, wie etwa bei den Stellungsregeln im Fußball, die sich leicht auf Vor-, Mittel- und Nachfeld, Nachspielzeiten und Abseits und weiteres übertragen lassen. Wenn sich dazu die passenden Visualisierungen entsprechend kodieren lassen, wie etwa Zustandsverhältnisse in der Sprache durch statische Bilder oder Bewegungen in der Grammatik (haben/sein, Wechselpräpositionen) durch Animationen, dann entstehen additive Synergieeffekte aus der Integration verschiedener Symbolsysteme und Kodierungen. Derartige Visualisierungen wirken als Paralleltexte nicht nur in der Zielsprache, sondern auch in der Ausgangssprache der Lerner, weil sie ihnen gleichzeitig die Systematiken ihrer anderen Sprachen vor Augen führen (Roche 2014).
Das Potenzial kognitionslinguistischer Ansätze für die Grammatikvermittlung beruht vor allem auf der hohen Nachvollziehbarkeit der verwendeten Beschreibungsparameter vor dem Hintergrund allgemeiner Kognitionsprozesse. Die konzeptuelle Motiviertheit von Grammatik wird nämlich anhand von allgemeinen Wahrnehmungs- und Konzeptualisierungsprinzipien sowie Prozessen des menschlichen Denkens erklärt und erfahrbar gemacht, sodass jeder Lerner fast unabhängig von seinem sprachlichen Vorwissen einen konzeptuellen Zugang zu den scheinbar abstrakten Strukturen der zielsprachlichen Grammatik finden kann. Das darauf basierende Modell einer Kognitiven Sprachdidaktik unterscheidet insgesamt vier Ebenen, die hier am Beispiel verschiedener Grammatikanimationen veranschaulicht werden: 1. Ebene der Kognitiven Linguistik, 2. Ebene der Transferdifferenz, 3. Ebene der grammatischen Metapher, 4. Ebene der Darstellung und Vermittlung.
←24 | 25→Die Ebene der Kognitiven Linguistik berücksichtigt die Instrumente und Prinzipien zur Beschreibung von Grammatik und Grammatikerwerb, die nicht nur eine hohe Vereinbarkeit mit den bisherigen Erkenntnissen aus den Kognitionswissenschaften anbieten, sondern auch die bisher vorherrschenden formalistischen Begriffe auflösen.
Alle Sinneseindrücke sind Bestandteile der mentalen Repräsentation von Konzepten und sind daher mit der entsprechenden Sprachform im mentalen Lexikon eng verbunden. Die Vernetzung der Sprache über unterschiedliche Sinnesmodalitäten und in mehreren Richtungen kommt durch die mögliche Mitaktivierung dieser Sinneseindrücke in den Prozessen des Sprachverstehens, der Sprachproduktion sowie der ausführenden Handlungen zum Vorschein.
Die Perspektivierung bezieht sich auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Sprecherinnen durch ihr „mentales Auge“ die Ereignisse sprachlich strukturieren (vgl. Langacker 2008: 73). So liegen den Beispielsätzen Die Tür öffnete sich und er kam ins Zimmer und Er öffnete die Tür und ging ins Zimmer jeweils eine interne und eine externe Perspektive zugrunde, wobei die Position des Sprechers in Bezug auf die wahrgenommene Szene als Origo fungiert. Bei perfektiven Verben im Englischen werden beispielsweise Anfangspunkt und Endpunkt des Prozesses durch die Nutzung des progressiven Aspektes ←25 | 26→(be+Verb-ing) aus der Szene ausgeblendet, so dass nur eine einzelne Komponente des Prozesses fokussiert wird.
Details
- Seiten
- 744
- ISBN (PDF)
- 9783034345675
- ISBN (ePUB)
- 9783034345682
- ISBN (MOBI)
- 9783034345699
- ISBN (Paperback)
- 9783034336574
- DOI
- 10.3726/b19956
- Open Access
- CC-BY-NC-ND
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2023 (Januar)
- Schlagworte
- Didaktik der deutschen Sprache aus trans- und interkultureller Sicht Professionelles und wissenschaftliches Schreiben in der L2 Deutsch Stellenwert des Sprachenlernens für die internationale Germanistik
- Erschienen
- Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 744 S., 89 s/w Abb., 37 Tab.