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Ein Jahrhundert Roboter. Karel Čapeks «R.U.R.» (1920/21)

Beiträge zum 13. Bohemicum Dresdense 02.07.2022

von Holger Kuße (Band-Herausgeber:in)
©2023 Sammelband 142 Seiten

Zusammenfassung

1920 erschien Karel Čapeks Drama R.U.R. Rossum’s Universal Robots, das bereits im Januar 1921 uraufgeführt wurde und innerhalb von zwei Jahren Übersetzungen in dreißig Sprachen und weltweit Aufführungen erlebte. Seitdem ist nicht nur das Wort Roboter in der Welt. Die Inhalte des Dramas wie die Machtübernahme einer durch Menschen erdachten Künstlichen Intelligenz und die Frage, was den gezeugten Menschen von der menschenähnlichen (‐gleichen?) Maschine unterscheidet, bilden bis heute den Gegenstand dystopischer Zukunftsphantasien und futurologischer Diskussionen. Aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums von R.U.R. war das 13. Bohemicum Dresdense am 02. Juli 2022 Čapeks Drama, seinen Robotern und ihren Folgen und Nachfolgern gewidmet. Der Band dokumentiert die Beiträge der Tagung.

Inhaltsverzeichnis


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Grußwort der Geschäftsführerin des Zentrums Mittleres und Östliches Europa der Technischen Universität Dresden

Annette Teufel

Das 13. Dresdner Bohemicum ist dem 102. Geburtstag des Roboters gewidmet, und darum ist es hier, direkt neben der Ausstellung Künstliche Intelligenz. Maschinen – Lernen – Menschheitsträume im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, am exakt richtigen Platz. Denn Karel Čapeks Drama R.U.R. – Rossum’s Universal Robots (1920) hat der künstlichen Intelligenz nicht nur ihren modernen Namen gegeben – eben Roboter –, sondern den Menschheitstraum von einem künstlichen Helfer wirkungsmächtig mit den Ängsten und dem ‚Unbehagen in der Moderne‘ zusammengedacht. Erfunden hat es den Traum freilich nicht – er ist vielmehr (auch) eine spezifische Prager Tradition. Die Prager Golem-Legende, ein offenkundiger Intertext von Čapeks ‚Utopischem Kollektivdrama‘, war zu dessen Entstehungszeit noch ein allgegenwärtiges Thema – etwa bei Egon Erwin Kisch oder Paul Wegener, der zwischen 1915 und 1920 gleich drei Golem-Filme drehte. Karel Čapek indes denkt das Thema neu: Er versetzt es erstens aus dem mittelalterlichen Prag an einen utopischen Ort in der Zukunft und verleiht zweitens dem künstlichen Menschen einen neuen und zeitgemäßen Charakter: War der Golem, zumindest in seiner ursprünglichen Form, ein braver Diener seines Herrn – der vom Hohen Rabbi Löw erschaffene Retter der Prager Judenheit, der nach getaner Arbeit gewissermaßen ent-lebendigt wurde –, so sind Karel Čapeks Roboter Wunsch- und Alptraum zugleich: Die vermeintlichen Arbeitssklaven emanzipieren sich, sagen den Schöpfern den Kampf an und vernichten sie am Ende sogar. Eben diese Ambivalenz des künstlichen Menschen schreibt sich von Čapek bis in die Gegenwart fort. Darum ist Čapeks R.U.R. auch heute noch unbedingt lesenswert und auf verstörende Weise modern.

Als Zentrum Mittleres und Östliches Europa der TU Dresden haben wir den Plan, Čapeks hellsichtiges Drama mit einer Tagung zu würdigen, ausdrücklich begrüßt – interessieren wir uns doch für die Kultur und die Geschichte der Staaten in Mittel- und Osteuropa, die wir aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive heraus erforschen. Gleichzeitig liegen uns Kontakte mit unseren unmittelbaren Nachbarn aber besonders am Herzen – und das nicht nur aufgrund der geografischen Lage. Bereits die Vorgängereinrichtung, das MitteleuropaZentrum der TU Dresden, begann im Jahr 2000 ihre Arbeit mit einer Wanderausstellung Tripolis Praga – Die Prager Moderne um 1900, die ←9 | 10→an 11 Orten in Deutschland und der Tschechischen Republik präsentiert werden konnte, und die jüngste Ausstellung Krabat. Otfried Preußler – Die Wege eines Zauberlehrlings war 2019–2021 an sechs Orten in der sächsisch-böhmischen Grenzregion zu sehen. Aktuell entwickeln wir gemeinsam mit der Universität Ústí nad Labem und der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Dresden das Literarische Informationssystem Böhmisch-sächsische Literaturlandschaft (lis-map.eu) dank einer Förderung durch den „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung“ (Interreg SN/CZ) weiter zu einer digitalen Spiel- und Lernplattform, die die Aneignung von kulturgeschichtlichem Wissen über die Grenzregion für Schülerinnen und Schüler im wörtlichen Sinn zum Kinderspiel machen soll.

Der Zuschnitt dieser Projekte macht zugleich deutlich, dass sich das Zentrum Mittleres und Östliches Europa nicht allein der Forschung verpflichtet sieht. Es ist uns vielmehr ein Anliegen, Wissen, das fundiert und überprüfbar ist, in die Öffentlichkeit zu transferieren, weshalb wir gern und intensiv mit Kultur- und Bildungsträgern aus der Stadt Dresden, im Raum Sachsen und in der Tschechischen Republik zusammenarbeiten.

Auch darum haben wir die Initiative der Euroregion Elbe/Labe und des Instituts für Slavistik der TU Dresden zu dieser Veranstaltungsreihe sehr begrüßt und uns gerne daran beteiligt. Herzlich danken möchten wir der Euroregion Elbe/Labe zudem für die freundliche Förderung des 13. Dresdner Bohemicums.

Ich wünsche Ihnen und uns eine gelungene Tagung und zahlreiche spannende Begegnungen mit menschlichen und mit künstlichen Intelligenzen.

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Einleitung
Roboter machen, fürchten und austricksen.

Ein Jahrhundert seit Karel Čapeks R.U.R.

Holger Kuße

Resumé: Úvod – Roboti – jejich výroba, strach z nich a jak je přelstít. Století od vydání Čapkova R.U.R.

V úvodu jsou představeny literární a filmové vize robotů od Čapkova R.U.R. a jeho premiéry slova robot. Již u Čapka a po něm ve stále nových variacích jsou ve fikčním prostoru hlavní dvě otázky: Jsou roboti pouze stroje, nebo mohou být také lidmi, a pokud ano, jakého druhu? Mohou roboti ovládnout nebo dokonce zničit lidi, a pokud ano, jak tomu zabránit? Pozornost je věnována fenoménu tvrdohlavosti robotů, tj. jejich nutkání dodržovat program, což omezuje komunikaci mezi lidmi a roboty – bez ohledu na to, zda jsou roboti pro lidi užiteční, nebo agresivní a ohrožující. Tyto otázky a poznatky jsou zkoumány ve třech částech úvodu. Ve čtvrté části jsou příspěvky této publikace představeny jednotlivě.

1 Ein Jahrhundert Roboter

Als am 2. Januar 1921 im ostböhmischen Hradec Králové Karel Čapeks R.U.R. – Rossum’s Universal Robots uraufgeführt wurde, war für diejenigen Besucherinnen und Besucher des Premierenpublikums, die die 1920 in Prag erschienene Druckfassung des Dramas noch nicht gesehen hatten, auch das Wort Robot eine Premiere. Auf dem Plakat zur Aufführung1 war es erstmalig im öffentlichen Raum – außerhalb von Buchläden und Bibliotheken – zu lesen und dann in der ersten Szene, dem Vorspiel (Předehra) des Stücks, erstmalig zu hören: im Diktat des Generaldirektors Domin, der eine Reklamation wegen Beschädigung mit dem Argument zurückweist, ein verwendetes Frachtschiff sei für den Transport von Robotern nicht geeignet gewesen: „loď je nezpůsobilá k dopravě Robotů“ (Čapek 1994: 5). Als nächsten Vorgang bestätigt er eine Bestellung (objednávka) ←11 | 12→von 15. Tausend Robotern. Damit ist klar, was Roboter sind: Gegenstände – oder besser: Maschinen, die als Waren von einer Firma kommerziell produziert und vertrieben und von Verbrauchern genutzt werden. Im Gespräch mit der Werksbesucherin Helena Gloryová, die noch während der Geschäftsvorgänge die Szenerie betritt, wird jedoch die Besonderheit der von Rossum’s Universal Robots hergestellten Produkte mit einem für die Problematik des Phänomens Roboter in seiner nunmehr über hundertjährigen Geschichte entscheidenden Begriff bezeichnet: künstliche Menschen. Domin lädt Helena ein, sich ihre „Werksproduktion von Menschen“ anzusehen: „podívat se na naši tovární výrobu lidí“ (ebd.: 6), und bemerkt zwei Sätze später, dass die „Produktion von künstlichen Menschen“ ein Betriebsgeheimnis sei: „Výroba umělých lidí, slečno, je tovární tajemství“ (ebd.). Als Mensch sieht der Roboter sein Publikum auch in der bekannten Zeichnung Josef Čapeks an, in der der Erfinder des Wortes Robot seinen Bruder Karel als Roboter karikierte. Das Datum der Premiere am Prager Nationaltheater, der 25. Januar 1921, prangt dem künstlichen Menschen in der Zeichnung stolz auf der Brust.2

Abb. 1: Plakat der Uraufführung

Abb. 2: Zeichnung von Josef Čapek

Was sind Roboter also: Waren, Geräte, Maschinen oder doch – wenn auch nicht gezeugte, sondern geschaffene, künstliche – Menschen? In der tschechischen Kultur- und Literaturgeschichte gibt es dafür ein berühmtes Vorbild im Prager Golem, der in der Legende des Judah Löw aus dem 16. Jahrhundert aus Lehm geformt und magisch belebt wurde, um die Juden der Stadt vor ihren Feinden zu schützen. Auf diese Figur wies bereits am Anfang der Tagung Annette Teufel vom Zentrum Mittleres und Östliches Europa in ihrem Grußwort hin, und auch in der Ausstellung „Künstliche Intelligenz. Maschinen lernen Menschheitsträume“ im Deutschen Hygiene-Museum wurde im ersten Saal an den Golem erinnert (siehe Teufel, Grußwort: in diesem Band; Ksekintepe/Wo-schech 2021: 34).

Details

Seiten
142
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631896976
ISBN (ePUB)
9783631896983
ISBN (Paperback)
9783631888063
DOI
10.3726/b20552
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Mai)
Schlagworte
Roboter Robotik Künstliche Intelligenz Philosophie Tschechisch Slavistik Kulturwissenschaft Theater Buchumschlag 1920er Jahre
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 142 S., 7 farb. Abb.

Biographische Angaben

Holger Kuße (Band-Herausgeber:in)

Holger Kuße ist Professor für Slavische Sprachgeschichte und Sprachwissenschaft an der Technischen Universität Dresden mit den Forschungsschwerpunkten Argumentations-, Diskurs- und kulturwissenschaftliche Linguistik. Seit 2006 veranstaltet er das Bohemicum Dresdense.

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