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Schreiben im Ingenieurberuf

Eine qualitative Langzeitstudie

von Christian Kux (Autor:in)
©2023 Dissertation 328 Seiten
Reihe: Textproduktion und Medium, Band 21

Zusammenfassung

Welche Auswirkungen haben Domäne, Zeitraum und Berufserfahrung auf das berufliche Schreibverhalten von Ingenieuren? Basierend auf der Analyse von Experteninterviews, die über einen Zeitraum von 18 Jahren in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft durchgeführt wurden, zeigt die Studie eine deutliche ausgeprägte Domänenspezifik. Die Art des Schreibens verändert sich im Laufe der Zeit unterschiedlich intensiv und schnell, abhängig von der jeweiligen Fachrichtung. Dabei sind die Veränderungen in wirtschaftlichen Bereichen stärker ausgeprägt als in wissenschaftlichen. Gleichzeitig beeinflusst die berufliche Erfahrung das Schreibverhalten maßgeblich, jedoch variieren diese Auswirkungen je nach Fachgebiet. Des Weiteren werden disruptive Ereignisse wie die Corona-Pandemie betrachtet, die nicht nur negative Konsequenzen haben, sondern auch die Entstehung neuer Entwicklungen begünstigen oder die Beschleunigung bzw. Hemmung von Entwicklungstrends bewirken können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Schreiben am Arbeitsplatz
  • 2.1 Schreiben und Textproduzieren
  • 2.1.1 Modelle des Schreibens und Textproduzierens
  • 2.1.1.1 Allgemeine Textproduktionsmodelle
  • 2.1.1.2 Domänenspezifische Textproduktionsmodelle
  • 2.1.2 Schreibstrategien
  • 2.2 Schreiben am Arbeitsplatz der Forschungsbereich
  • 2.2.1 Entwicklung des Forschungsbereichs
  • 2.2.2 Forschungsbefunde zu beruflichem Schreiben
  • 2.2.2.1 Einfluss des Berufes auf textproduktives Handeln
  • 2.2.2.2 Berufliches Schreiben als situiertes Handeln
  • 2.2.2.3 Funktionen, Komplexität und Umsetzungsformen
  • 2.2.2.4 Digitalisierung beruflichen Schreibens
  • 2.2.2.5 Der Aachener Forschungsschwerpunkt zu Schreiben am Arbeitsplatz
  • 2.2.3 Schreiben in ingenieurwissenschaftlichen Kontexten
  • 2.2.3.1 Ingenieurwissenschaftliche Berufsfelder
  • 2.2.3.2 Der Stellenwert schriftlicher Arbeitsanteile
  • 2.2.3.3 Schreibaufgaben
  • 2.2.3.4 Vorgehen beim Bearbeiten schriftlicher Arbeitsanteile
  • 2.2.4 Erwerb von Schreibexpertise in den Ingenieurwissenschaften
  • 2.2.5 Sich verändernde Arbeitswelten
  • 2.3 Zwischenfazit
  • 3 Methodisches Design
  • 3.1 Gesamtüberblick
  • 3.2 Design und Stichprobe der ersten Studie
  • 3.3 Design und Stichprobe der zweiten Studie
  • Stichprobenbeschreibung
  • 3.4 Desig und Stichprobe der dritten Studie
  • 3.4.1 Die erste Corona-Erhebung
  •  Stichprobenbeschreibung
  • 3.4.2 Die zweite Corona-Erhebung
  •  Stichprobenbeschreibung
  • 4 Domänenspezifik im Langzeitvergleich 2004–2018 (Studie 1)
  • 4.1 In der Wirtschaft tätige Ingenieure
  • 4.1.1 Schriftliche Arbeitsanteile: Aufgaben und Textsorten
  • 4.1.2 Motive und Anlässe textproduktiven Handelns
  • 4.1.3 Relevanz schriftlicher Arbeitsanteile
  • 4.1.4 Zeitlicher Anteil am Arbeitsalltag
  • 4.1.5 Kontextbedingungen: Vorgaben und Vorlagen
  • 4.1.6 Schreiben im Team und Feedback
  • 4.1.7 Individuelle Konzepte, Sozialisation und Weiterbildungsbedarf
  • 4.1.8 Zusammenfassung
  • 4.2 In der Wissenschaft tätige Ingenieure
  • 4.2.1 Schriftliche Arbeitsanteile: Aufgaben und Textsorten
  • 4.2.2 Motive und Anlässe textproduktiven Handelns
  • 4.2.3 Relevanz schriftlicher Arbeitsanteile
  • 4.2.4 Zeitlicher Anteil am Arbeitsplatz
  • 4.2.5 Kontextbedingungen: Vorgaben und Vorlagen
  • 4.2.6 Schreiben im Team und Feedback
  • 4.2.7 Individuelle Konzepte, Sozialisation und Weiterbildungsbedarf
  • 4.2.8 Zusammenfassung
  • 4.3 Domänenspezifik im Langzeitvergleich (Studie 1)
  • 5 Entwicklungen in der Domäne Wirtschaft 2019 (Studie 2)
  • 5.1 Befunde im Jahr 2019
  • 5.2 Veränderungen in der Zeit
  • 5.2.1 Unterschiede im Langzeitvergleich
  • 5.2.2 Sozialisationsbedingte Unterschiede im Kurzzeitvergleich
  • 5.3 Subjektive Trendeinschätzungen
  • 5.3.1 Subjektiv wahrgenommene Veränderungen im Arbeitsalltag
  • 5.3.1.1 Verlagerung von Arbeitsaufgaben durch Digitalisierung
  • 5.3.1.2 Zunahme des Informationsumfangs und des Qualitätsanspruchs
  • 5.3.1.3 Zunahme schriftlicher Arbeitsanteile
  • 5.3.1.4 Nutzung digitaler Schreibwerkzeuge
  • 5.3.2 Subjektive Annahme zur Zukunft schriftlicher Arbeitsanteile
  • 5.3.2.1 Zunehmende Digitalisierung
  • 5.3.2.2 Mehr Schreibaufgaben
  • 5.3.2.3 Anforderungen an Schreiber
  • 5.4 Fazit und Diskussion der Ergebnisse
  • 6 Disruptive Kontextveränderungen – die Coronajahre (Studie 3)
  • 6.1 Das Coronajahr 2020
  • 6.1.1 Befunde im Jahr 2020
  • 6.1.2 Veränderungen in der Zeit
  • 6.1.3 Subjektive Trendeinschätzungen
  • 6.1.3.1 Subjektiv wahrgenommene Veränderungen im Arbeitsalltag
  • 6.1.3.2 Subjektive Annahme zur Zukunft schriftlicher Arbeitsanteile
  • 6.1.4 Zusammenfassung
  • 6.2 Das Coronajahr 2021
  • 6.2.1 Veränderungen während der Corona-Krise
  • 6.2.2 Subjektive Annahmen zu der Zeit nach der Corona-Krise
  • 6.2.3 Zusammenfassung
  • 7 Abschließende Diskussion sowie Ableitung von Handlungsbedarf
  • 7.1 Berufliches Schreiben bei Ingenieuren
  • 7.2 Der Einflussfaktor Domäne
  • 7.3 Der Einflussfaktor Zeit
  • 7.4 Der Einflussfaktor Berufserfahrung
  • 7.5 Handlungsbedarf aus Sicht der Forschung
  • 7.6 Handlungsbedarf für die Praxis
  • Literaturverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Anhang
  • Sachregister

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zum Forschungsfeld Schreiben am Arbeitsplatz. Sie greift das Berufsfeld von Ingenieuren auf und untersucht, wie Personen mit gleichem Ausbildungshintergrund in unterschiedlichen Domänen agieren, wenn sie schriftliche Arbeitsanteile bearbeiten. Die Arbeit ordnet sich ein in die Arbeiten des Aachener Schwerpunkts zum Schreiben am Arbeitsplatz. Sie nutzt Daten aus dem Aachener Korpus, die durch eigene Erhebungen ergänzt werden, um das Schreiben von Ingenieuren am Arbeitsplatz in Wirtschaft und Wissenschaft vergleichend in einer Langzeitstudie zu betrachten. Der theoretische Rahmen ergibt sich aus dem Verständnis von Schreiben am Arbeitsplatz als domänenspezifisch geprägtem Handeln, das über verschiedene Größen beschreibbar ist. Als übergeordneter Rahmen zur Einordnung dient das Kontextmodell von Jakobs 2007 bzw. Jakobs und Spinuzzi (2014a). Es beschreibt Rahmenbedingungen als Faktorenbündel (Schreiber, Arbeitsplatz, Organisation, Domäne, Kulturraum), die das berufliche Schreiben beeinflussen. Bezogen auf das Modell werden insbesondere drei Größen betrachtet: der Einfluss von Domäne, Zeit und Berufserfahrung auf den Vollzug schriftlicher Arbeitsanteile.

Die Untersuchung gliedert sich in vier zentrale Forschungsfragen:

  • Forschungsfrage 1: Wodurch zeichnet sich das Bearbeiten schriftlicher Arbeitsanteile bei Ingenieuren aus und welchen aktuellen Herausforderungen der Textproduktion müssen sie sich stellen?
  • Forschungsfrage 2: Wie wirken sich Domänen, Zeiträume und Berufserfahrung auf Phänomene des beruflichen Schreibens bei Ingenieuren aus?
  • Forschungsfrage 3: Wie werden Ingenieure auf die Bewältigung schriftsprachlicher Arbeitsanteile vorbereitet bzw. dabei unterstützt?
  • Forschungsfrage 4: Welchen Einfluss nehmen disruptive Ereignisse auf textproduktives Handeln bei Ingenieuren?

Die qualitativ angelegte Studie umfasst 229 Interviews mit Ingenieuren, die in der Wirtschaft oder Wissenschaft arbeiten. Die Interviews wurden zwischen 2004 und 2021 geführt.

Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut. Kapitel 2 beschreibt den Stand der Forschung zum Schreiben am Arbeitsplatz. In Kapitel 3 werden das methodische Design und die Stichproben der dieser Arbeit zugrunde liegenden Studien beschrieben. Studie 1 betrachtet anhand zweier Domänen (Wirtschaft und Wissenschaft), wie sich Domäne, Zeit und Berufserfahrung auf die Wahrnehmung und die Bearbeitung schriftlicher Arbeitsaufgaben auswirken (vgl. Kapitel 4). Studie 2 fokussiert die Domäne Wirtschaft (vgl. Kapitel 5). Sie untersucht anhand neuerer Daten in einem ersten Schritt, welche der in Studie 1 eruierten Phänomene konstant bleiben, welche sich wie verändern und ob bzw. wie schnell sich sozialisationsbedingte Phänomene wandeln (vgl. Kapitel 5.2). In einem zweiten Schritt werden subjektiv wahrgenommene Änderungen der letzten Jahre und Erwartungen an zukünftige Entwicklungen untersucht (vgl. Kapitel 5.3). Studie 3 konzentriert sich auf die Domäne Wissenschaft (vgl. Kapitel 6) und wurde zu zwei Erhebungszeitpunkten während der Corona-Krise durchgeführt: Teil 1 (vgl. Kapitel 6.1) in der Anfangsphase der Corona-Krise (2020), Teil 2 (vgl. Kapitel 6.2) ein Jahr später (2021). In Teil 1 wird untersucht, wie sich disruptive Ereignisse auf das Verhältnis von Kontinuität und Wandel des beruflichen Schreibens auswirken können; in Teil 2, welche Phänomene sich ändern oder verstetigen und welche Erwartungen an die Zukunft gestellt werden. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse bezogen auf die Fragestellung und das Kontextmodell von Jakobs (2007) diskutiert und eingeordnet. Der letzte Teil ist dem Handlungsbedarf in Forschung und Praxis gewidmet.

Zur besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulinum verwendet, womit alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

2 Schreiben am Arbeitsplatz

2.1 Schreiben und Textproduzieren

Schreiben und Textproduzieren sind zentrale Begriffe für die Zwecke dieser Arbeit. Sie werden deshalb im Folgenden bezogen auf den Fokus dieser Arbeit und die vorliegende Literatur vorgestellt und es wird dargelegt, welches Verständnis von Schreiben und Textproduzieren der Arbeit zugrunde liegt. In Kapitel 2.1.1 werden Textproduktionsmodelle, insbesondere Textproduktion als problemorientiertes Handeln, beschrieben. Kapitel 2.1.2 ist Schreibstrategien gewidmet.

2.1.1 Modelle des Schreibens und Textproduzierens

Die vorliegende Arbeit betrachtet Schreiben in einem weiten Sinn, d.h. in der Gesamtheit aller Prozesse, die zur Erzeugung von Texten unterschiedlicher Komplexität nötig werden. Mit der Frage, wie Texte produziert werden, befassen sich Forscher unterschiedlicher Disziplinen. Ein wesentliches Anliegen von Modellierungsversuchen ist es, Komponenten des Textproduktionsprozesses zu identifizieren und in ihrem Bezug darzustellen. Die Ansätze unterscheiden sich historisch, abhängig von disziplinären Interessen sowie je nach Betrachtungsrahmen (allgemeine versus spezifische Modelle, Jakobs 1999). In den frühen Phasen der Schreibforschung in den 1980er Jahren dominieren allgemeine Modelle. Später entwickeln sich spezielle Modelle, die ausgewählte Bereiche des Schreibens und Textproduzierens betrachten und modellieren.

Die Ausgangspunkte der Modellbildung sind unterschiedlich. Ein früher Ansatz von Antos (1982) z.B. nähert sich dem Gegenstand aus linguistischer Sicht. Er betrachtet Textproduktion als Informationsverarbeitung oder als kommunikativ relevantes Handeln. Krings (1992) nähert sich dem Schreibprozess dagegen aus psycholinguistisch inspirierter Sicht; ihn interessiert die Ontogenese eines Textproduktes und Möglichkeiten ihrer Erfassung. Der Schreibprozess wird durch die Wahrnehmung einer vorgegebenen oder selbstgewählten Schreibaufgabe initiiert und endet mit der endgültigen Form des Textproduktes. Was als endgültig gilt, obliegt der subjektiven Wahrnehmung des Textproduzenten (Krings 1992: 47) (zu Modellen der Schreibprozessforschung der 1980er Jahre Krings 1992; zu eher didaktischen Ansätzen Hofer 2006). Insbesondere kognitiv orientierte Ansätze gründen auf dem Konzept von Textproduktion als Form des Problemlösens.

Textproduktion als Problemlösen: Die internationale Forschung beschreibt das Verfassen von Texten schon früh – angeregt durch die Arbeiten der Gruppe um John Hayes und Linda Flower in den USA – als Form des Problemlösens. Die vorliegende Arbeit folgt diesem Ansatz. Nach Dörner (1976) ist Problemlösen ein Prozess, der drei Komponenten umfasst – einen unerwünschten Ausgangszustand (Ist-Zustand), einen erwünschten Endzustand (Soll-Zustand) und eine Barriere, die die Transformation des Ist- in den Soll-Zustand erschwert oder verhindert (Dörner 1976: 10). Problemlösen besteht darin, den Ist-Zustand gegen Barrieren oder Widerstände durch (meist bewusste) Denkprozesse in einen Soll-Zustand zu überführen. Wiederholt auftretende Probleme erfordern die Entwicklung von Problemlösestrategien. Beispiele für Problemlösestrategien des Überarbeitens beschreiben u.a. Hayes et al. (1987) (zu Strategien des revidierenden Formulierens vgl. Wrobel 1992). Das Problem und der Problemtyp sind maßgeblich für die Art und Weise des Problemlösens (Dörner 1976: 96; Antos 1982: vor allem Kapitel 4.3).

Problemtypen: Die Literatur unterscheidet zwischen gut und schlecht strukturierten Problemen des Verfassens von Texten (Antos 1982: 140 f.). Bei gut strukturierten Problemen ist dem Textproduzenten bewusst, was er schreiben will, er hat eine klare Zieldefinition und eine klare Vorstellung, wie das fertige Produkt aussehen soll, und er kennt die Mittel zum Erreichen seiner Ziele. Schlecht strukturierte Probleme liegen vor, wenn der Textproduzent zwar weiß, was er schreiben will und klare Zielkriterien hat, aber nicht oder nur zum Teil die Mittel kennt, um das gewünschte Endprodukt herzustellen. Der Textproduktionsprozess wird stark erschwert und mühselig, wenn der Textproduzent weder genau weiß, was er will, also unklare Zielkriterien hat, noch die Mittel zum Erreichen des Endzustandes kennt. In diesem Fall liegt eine dialektische Barriere vor. Beim Verfassen von Texten werden Probleme (Barrieren) sukzessive bearbeitet und gelöst (u.a. Antos 1982).

2.1.1.1 Allgemeine Textproduktionsmodelle

Das oft als „Urmodell“ bezeichnete Modell des Textproduzierens von Hayes und Flower (1980) setzt bei Problemlösetheorien an und beschreibt den Produktionsprozess als Problemlöseprozess. Das Interesse der beiden Forscher richtete sich darauf, Schreibstrategien als Formen des Problemlösens zu identifizieren und diese für die Entwicklung von Lernkonzepten zu nutzen. Im Verlauf des Textproduktionsprozesses werden schrittweise Ist-Zustände des entstehenden Textes in Soll-Zustände überführt. Dabei auftretende Barrieren können unterschiedliche Gründe haben, sie können beispielsweise durch Aspekte der Aufgabenumgebung entstehen, z.B. thematischer Art sein oder motivationaler. Der Textproduzent muss die Barrieren wahrnehmen, reflektieren und entscheiden, wie er damit umgeht. Häufig treten mehrere Probleme und Herausforderungen zugleich auf, die der Textproduzent bewältigen muss („juggling constraints(Flower/Hayes 1980)). Die Autoren unterscheiden im Wesentlichen drei Typen von Prozessen: Planen (Ziele setzen, Inhalte aus dem Gedächtnis abrufen und organisieren), Übersetzen (Überführen kognitiver Inhalte in Formulierungen) und Überarbeiten (durch Lesen und Editieren), die intern durch einen Monitor kontrolliert werden. Das Ganze vollzieht sich in einer Aufgabenumgebung, die das Thema, die Zielgruppe und motivationale Aspekte enthält sowie den bisher geschriebenen Text. Über den Vollzug von Tätigkeiten entscheiden u.a. das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Wissen des Schreibers zum Thema und zur Zielgruppe sowie zu Schreibplänen. Da das Modell hinlänglich oft in der Literatur beschrieben wurde, wird an dieser Stelle auf eine weitere Beschreibung verzichtet.

Hayes (1992) entwickelt das Urmodell etwas mehr als ein Jahrzehnt später weiter. Das Individuen-Umwelt-Modell unterscheidet nur noch zwei wesentliche Komponenten: Aufgabenumgebung (1992: 248) und Individuum. Die Aufgabenumgebung umfasst die soziale Umgebung (z.B. Lehrkräfte) sowie die materielle Umgebung (bisher produzierter Text und Medium). Das Modell reagiert auf die sich in den späten 1980er Jahren vollziehende sozialkonstruktivistische Orientierung der Schreibforschung. Postuliert wird, dass Textproduzenten soziale Beziehungen eingehen, die das Vorgehen beim Schreiben und den Ort des Schreibens (z.B. Textproduktion am PC) beeinflussen. Die Komponente Individuum bildet drei Komponenten ab: die Motivation des Schreibers, sein Wissen und seine Kenntnisse sowie die kognitiven Prozesse des Textproduzierens, die Problemlöseprozesse beinhalten.

Die dritte Variante ist das Modell von 1996 (Hayes 1996). Es fokussiert kognitive und sprachliche Ressourcen des schreibenden Individuums, sein Arbeits- und Langzeitgedächtnis (mit Wissen über Aufgaben, Welt, Adressaten und Textmuster), motivationale und affektive Faktoren (u.a. Einstellungen zum Schreiben, das Selbstkonzept, Aufwand-Nutzen-Einschätzungen). Das Modell erfasst (meta-) kognitive Prozesse, insbesondere Leseprozesse sowie die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Schreibprozesses und der eingesetzten Schreibstrategien.

Das 2012 erneut überarbeitete Modell (Hayes 2012) umfasst drei Ebenen und betont Aspekte der Schreibkompetenz durch den Fokus auf personenbezogene Fertigkeiten. Dazu zählt Hayes: Ressourcen (sprachlicher und kognitiver Art), Kontrolle (als aktualisierte Ressourcen, etwa Motivation, Anstrengung und Aufmerksamkeit) sowie den Schreibprozess inklusive Verschriften und Schreibtechnologie (vgl. Abbildung 2.1) .

Abbildung 2.1:Layer-Modell nach Hayes (2012: 371)

Abbildung 2.1:Layer-Modell nach Hayes (2012: 371)

Bachmann und Becker-Mrotzek (2017) kritisieren an derartigen Modellierungsversuchen, dass der Anteil und Stellenwert sprachlicher Ressourcen unzureichend berücksichtigt werden. Sie schlagen eine andere Modellierung vor, die sprachliche Ressourcen stärker und ausführlicher berücksichtigt (vgl. Abbildung 2.2). Im Zentrum steht der (entstehende) Text. Er wird gerahmt durch die Interaktion von Lese- und Schreibaktivitäten. Das Basismodell beschreibt (über das äußere Dreieck) grundlegende Bedingungen des Textproduktionsprozesses (die außerhalb der Person des Textproduzenten liegen, wie den Schreibanlass oder weitere, in den Schreibprozess involvierte Personen), personelle Komponenten (Voraussetzungen, Ressourcen) für die Bearbeitung der Schreibaufgabe (z.B. Weltwissen sowie sprachliches und strategisches Wissen mit Werkzeugcharakter) sowie den Bereich Monitoring mit steuernder und evaluierender Funktion (z.B. für Formulierungsprozesse und ihre Überprüfung). Das innere Dreieck erfasst wichtige Aspekte der Schreibkompetenz, wie die Aktivierung von Wissen um prototypische Schreibaufgaben und Textmuster, das für die Bearbeitung der aktuellen Aufgabe aktiviert wird und in der Interaktion mit der konkreten Schreibsituation und -aufgabe zu einem adaptierten Muster führt. Wesentliche Teilaspekte wie Aufgabentypisierung und Textmusterauswahl werden genauer in Teilmodellen beschrieben. Der Fokus richtet sich auf die routinierte Anwendung sprachlichen Musterwissens als wesentliche Komponenten des Textproduktionsprozesses.

Abbildung 2.2:Basismodell nach Bachmann und Becker-Mrotzek (2017: 42)

Abbildung 2.2:Basismodell nach Bachmann und Becker-Mrotzek (2017: 42)

2.1.1.2 Domänenspezifische Textproduktionsmodelle

In den 1990er Jahren verschiebt sich das Forschungsinteresse von der Analyse und Beschreibung generischer Textproduktionsprozesse hin zur Untersuchung des Schreibens für bestimmte Zwecke, z.B. domänenspezifisches Schreiben. Der Begriff und die dazugehörigen Konzepte wurde in Deutschland vor allem durch die Gruppe um Eva-Maria Jakobs vorangetrieben (vgl. Jakobs 1997; Adamzik et al. 1997). Der Ansatz domänenspezifischen Schreibens stützt sich auf die Grundannahme, dass sich Bereiche (Domänen) des lebensweltlichen Kontextes (Öffentlichkeit, Militär, Verwaltung) in ihren Werten, Normen und Präferenzen für Ausdrucksformen unterscheiden.

Das erste deutsche Modell für domänenspezifisches Schreiben modelliert Prozesse und Faktoren, die typisch sind für professionelles wissenschaftliches Schreiben in verschiedenen Disziplinen (Jakobs 1999). Das Modell entstand ein Jahr vor dem Erscheinen des Modells von Hayes (1996) als Teil ihrer Habilitationsschrift „Von dem Umgang mit den Texten anderer. Beziehungen zwischen Texten im Spannungsfeld von Produktions-, Reproduktions- und Rezeptionsprozessen“ (Jakobs 1995). Die empirisch basierte Modellbildung führt Ansätze und Einsichten der psycho-linguistischen und linguistischen Schreibforschung (u.a. Herrmann/Grabowski 1992; Wrobel 1992; Keseling 1993) zusammen. Der Fokus richtet sich auf wissenschaftliches Schreiben als epistemisch-heuristisches Handeln (Molitor 1984; Molitor-Lübbert 1989, 1991) unter Rückgriff auf das Wissen anderer. Die zentrale Frage lautet, wie Wissenschaftler die Arbeiten anderer Kollegen für Zwecke ihrer eigenen Theoriebildung erschließen und in ihre Darstellungen inkorporieren.

Details

Seiten
328
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631897409
ISBN (ePUB)
9783631897416
ISBN (Hardcover)
9783631897393
DOI
10.3726/b20982
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (September)
Schlagworte
Textproduktionsforschung Experteninterviews berufliches Schreiben Wirtschaft Berufserfahrung Ingenieurwesen Digitalisierung Corona-Pandemie
Erschienen
Peter Lang – Lausanne · Berlin · Bruxelles · Chennai · New York · Oxford. 2023. 328 S., 80 S/W-Abb., 17 Tab.

Biographische Angaben

Christian Kux (Autor:in)

Christian Kux studierte Technik-Kommunikation (Maschinenbau) an der RWTH Aachen University, wo auch seine Promotion erfolgte. Dort lehrt und forscht er seit 2012 überwiegend in den Bereichen Unternehmenskommunikation, Usability, Textlinguistik und wissenschaftliches Schreiben.

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