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Zur Verfassungsmäßigkeit einer Geschlechterquote bei Bundestagswahlen

von Cornelius Woermann (Autor:in)
©2023 Dissertation 256 Seiten

Zusammenfassung

Der Verfasser widmet sich einem aktuellen und viel beachteten Thema des Verfassungsrechts, der Verankerung von Geschlechterquoten im Wahlrecht. Dabei liegt der Fokus auf der Wahl zum Deutschen Bundestag. Zunächst werden mögliche Ursachen für die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik skizziert. Sodann folgt eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer einfachgesetzlichen Quotenregelung und der Änderung der Verfassung. Für diese Prüfung wird eine exemplarische Regelung in Form eines „Musterquotengesetzes" bzw. einer Musterklausel als Satz 2 des Art. 38 Abs. 3 GG zugrunde gelegt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Teil 1 Bestandsaufnahme und Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik
  • A. Statistische Bestandsaufnahme
  • I. Frauenanteil an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland
  • II. Frauenanteil an den Abgeordneten des Deutschen Bundestags
  • III. Frauenanteil an den Abgeordneten der Parlamente der Bundesländer
  • IV. Frauenanteil an den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten
  • 1. Europäisches Parlament
  • 2. Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
  • V. Frauenanteil an den Abgeordneten ausgesuchter Parlamente weltweit
  • B. Erklärungsansätze für die Unterrepräsentation von Frauen
  • I. „Magisches Dreieck“
  • 1. Institutionelle Faktoren
  • 2. Kulturelle Faktoren
  • 3. Sozial-strukturelle Faktoren
  • II. Die Situation in Deutschland
  • 1. Kulturelle Faktoren
  • a) Umfragen zur Gleichstellung der Geschlechter
  • b) Untersuchungen zu Kommunalwahlen
  • 2. Institutionelle und sozial-strukturelle Faktoren
  • a) Rahmenbedingungen für ein ehrgeiziges politisches Engagement
  • aa) Paritätische Besetzung des Bundestags möglich
  • bb) Frauenanteil unter Parteimitgliedern entspricht nicht Frauenanteil unter Kandidatinnen und Kandidaten
  • b) Geringeres Interesse der Frauen an Politik
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Gründe, den Frauenanteil zu erhöhen
  • I. Input-orientierte Begründungen
  • II. Output-orientierte Begründungen
  • III. Emanzipatorische Begründungen
  • IV. Kritik in der Literatur am Konzept einer weiblichen Politik
  • D. Maßnahmen, den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen
  • I. Änderung der Rahmenbedingungen
  • II. Erhöhung der Transparenz
  • 1. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 13. Juni 2014
  • 2. Kritik
  • III. Einführung von Quotenregelungen
  • 1. Systematisierung von Geschlechterquoten bei Wahlen
  • a) Normative Ebene
  • aa) Parteiintern geregelte Geschlechterquoten
  • bb) Gesetzlich geregelte Geschlechterquoten
  • b) Verfahrensabschnitt
  • aa) Nominierungsprozess
  • (1) Mehrheitswahl
  • (2) Verhältniswahl/Listenwahl
  • bb) Verteilung der Sitze im Parlament
  • 2. Geschlechterquoten und Wahlsystem
  • a) Einfache Quote beim Verhältniswahlsystem
  • b) Qualifizierte Quote mit Vorgaben zur Listenreihenfolge beim Verhältniswahlsystem
  • c) Einfache Quote beim Mehrheitswahlsystem mit Einpersonenwahlkreisen
  • d) Einfache Quote beim Mehrheitswahlsystem mit Zweipersonenwahlkreisen
  • e) Einfache Quote beim Mehrheitswahlsystem und Ausgleich über eine Liste
  • 3. Wirksamkeit von Geschlechterquoten
  • a) Quotenregelungen in Deutschland
  • b) Das Parité-Gesetz in Frankreich
  • aa) Inhalt des Parité-Gesetzes
  • Verhältniswahl
  • Mehrheitswahl
  • bb) Sanktionen
  • cc) Bewertung des Parité-Gesetzes
  • (1) Nationalversammlung
  • (2) Gemeinderäte
  • (3) Gründe für den durchwachsenen Erfolg des Parité-Gesetzes
  • 4. Gesetzliche Geschlechterquoten und das personalisierte Verhältniswahlrecht
  • Teil 2 Verfassungsmäßigkeit einer einfachgesetzlich geregelten Geschlechterquote
  • A. Das zu untersuchende Quotengesetz (Muster-Quotengesetz)
  • B. Berücksichtigung des „dritten Geschlechts“
  • C. Begründung des Muster-Quotengesetzes
  • I. Beseitigung struktureller Benachteiligung
  • II. Weibliche Perspektive in der Gesetzgebung und Vorbildfunktion
  • III. Stellungnahme
  • D. Überblick über den Stand der Diskussion zu gesetzlichen Geschlechterquoten bei Parlamentswahlen in Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung
  • I. Stand der Gesetzgebung
  • 1. Brandenburg
  • 2. Thüringen
  • 3. Bayern
  • 4. Sachsen-Anhalt
  • 5. Sachsen
  • 6. Nordrhein-Westfalen
  • II. Stand der Diskussion in der Literatur
  • III. Stand der Rechtsprechung
  • 1. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2020
  • 2. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 26. März 2018
  • 3. Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 15. Juli 2020
  • 4. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteile vom 23. Oktober 2020
  • E. Gesetzliche Geschlechterquoten als Teil des Wahlorganisationsrechts
  • I. Stand der Diskussion in der Literatur und Stand der Rechtsprechung
  • II. Stellungnahme
  • F. Gesetzliche Geschlechterquoten als Ausgestaltung des Demokratieprinzips
  • I. Stand der Diskussion in der Literatur
  • 1. Geschlechterquoten als Ausgestaltung des Demokratieprinzips
  • 2. Geschlechterquoten als Eingriff in das Demokratieprinzip
  • II. Stand der Rechtsprechung
  • III. Stellungnahme
  • G. Kollision des Muster-Quotengesetzes mit verfassungsrechtlich verbürgten Positionen
  • I. Das Muster-Quotengesetz und die Wahlrechtsgrundsätze
  • 1. Wahlbegriff
  • 2. Aktives und passives Wahlrecht
  • 3. Rechtsträger
  • 4. Allgemeine Wahl
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff
  • aa) Wahl nach Landeslisten
  • bb) Wahl in den Wahlkreisen
  • 5. Unmittelbare Wahl
  • 6. Freie Wahl
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff
  • aa) Wahl nach Landeslisten
  • (1) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu sog. starren Listen
  • (2) Muster-Quotengesetz regelt einen anderen Sachverhalt
  • bb) Wahl in den Wahlkreisen
  • 7. Gleiche Wahl
  • a) Schutzbereich
  • b) Eingriff
  • aa) Wahl nach Landeslisten
  • bb) Wahl in den Wahlkreisen
  • 8. Geheime Wahl
  • 9. Zwischenergebnis
  • II. Das Muster-Quotengesetz und die Parteienfreiheit
  • 1. Geltungsbereich
  • 2. Eingriff
  • a) Chancenfreiheit
  • b) Programmfreiheit
  • III. Das Muster-Quotengesetz und das Prinzip der Volkssouveränität
  • 1. Geltungsbereich
  • a) Monistisches Demokratieverständnis
  • b) Pluralistisches Demokratieverständnis
  • 2. Eingriff
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur
  • b) Stellungnahme
  • IV. Das Muster-Quotengesetz und das freie Mandat
  • 1. Geltungsbereich
  • 2. Eingriff
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur
  • b) Stellungnahme
  • V. Das Muster-Quotengesetz und das Diskriminierungsverbot
  • VI. Zwischenergebnis
  • H. Rechtfertigung
  • I. Gleichberechtigungsgebot, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG
  • 1. Verhältnis von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zum Grundsatz der Wahlgleichheit, Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur
  • b) Stellungnahme
  • 2. Verhältnis von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zum Diskriminierungsverbot, Art. 3 Abs. 3 GG
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur und Stand der Rechtsprechung
  • aa) Fördermaßnahme kann keine Diskriminierung rechtfertigen
  • bb) Fördermaßnahme kann Diskriminierung rechtfertigen
  • b) Stellungnahme
  • 3. Rechtfertigung von starren Quoten
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur
  • b) Stellungnahme
  • 4. Beseitigung tatsächlicher Diskriminierung
  • 5. Bezugsgröße für die Feststellung der tatsächlichen Diskriminierung
  • a) Stand der Diskussion in der Literatur
  • aa) Bezugsgröße Bevölkerung
  • bb) Bezugsgröße Parteimitgliedschaft
  • b) Stellungnahme
  • 6. Tatsächliche Diskriminierung
  • 7. Verhältnismäßigkeit
  • a) Geeignet
  • b) Erforderlich
  • aa) Offene Listen mit offenen Tandems in den Wahlbezirken
  • bb) Einflussnahme über Parteienfinanzierung
  • c) Angemessen
  • 8. Zeitliche Dimension
  • 9. Zwischenergebnis
  • II. Zwingender Grund, Art. 38 GG
  • 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschränkung der Wahlrechtsgrundsätze
  • a) Sperrklauseln
  • b) Grundmandatsklausel
  • c) Unterschriftenquoren
  • d) Briefwahl
  • e) Zusammenfassung
  • 2. Das Muster-Quotengesetz als „zwingender Grund“
  • a) Muster-Quotengesetz als von Verfassung wegen legitimierte Maßnahme
  • b) Gesetzliche Geschlechterquote als Maßnahme, die sich mit Wahlrechtsgrundsätzen die Waage hält
  • aa) Stand der Diskussion in der Literatur
  • bb) Stellungnahme
  • (1) Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes
  • (2) Weitere Ziele der Wahl zum Deutschen Bundestag
  • 3. Verhältnismäßigkeit
  • I. Ergebnis
  • Teil 3 Verfassungsmäßigkeit einer grundgesetzlich geregelten Geschlechterquote
  • A. Ausgangslage
  • B. Voraussetzungen einer Grundgesetzänderung
  • I. Formelle Voraussetzungen
  • II. Materielle Voraussetzungen
  • III. Verfassungstheoretische Grundlage
  • C. Auslegung von Art. 79 Abs. 3 GG
  • I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
  • 1. Abhörurteil vom 15. Dezember 1970
  • a) Kernaussage des Urteils zu Art. 79 Abs. 3 GG.
  • b) Exkurs: Entstehungsgeschichte von Art. 79 Abs. 3 GG
  • c) Kritik in Literatur und Rechtsprechung an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
  • 2. Weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
  • a) Bodenreformentscheidung vom 23. April 1991
  • b) Entscheidung zum „Großen Lauschangriff“ vom 3. März 2004
  • c) Lissabon-Entscheidung vom 30. Juni 2009
  • d) Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017
  • 3. Zusammenfassung und Stellungnahme
  • II. Restriktive Auslegung von Art. 79 Abs. 3 GG
  • D. Stand der Diskussion in der Literatur zur Änderung des Grundgesetzes für eine Geschlechterquote bei Wahlen
  • I. Geschlechterquote im Grundgesetz verfassungswidrig
  • II. Geschlechterquote im Grundgesetz verfassungskonform
  • E. Verfassungsmäßigkeit einer Grundgesetzänderung für eine Geschlechterquote bei Wahlen gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • I. Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Wahlrechtsgrundsätze
  • 1. Wahlrechtsgrundsätze als Grundsatzcharakter i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • 2. „Zwingender Grund“ auch Maßstab für Verfassungsänderung?
  • 3. Berühren der Grundsätze gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG im Hinblick auf die Wahlrechtsgrundsätze
  • a) Demokratieprinzip offen für Frauenförderung
  • b) Vergleichbare Regelungen zur Beschränkung der Wahlgrundsätze
  • aa) Wahlalter, Art. 38 Abs. 2 GG
  • bb) Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung, Art. 137 Abs. 1 GG
  • cc) Vergleichbarkeit
  • c) „Deskriptive Elemente“ des Grundgesetzes und des Wahlrechts
  • aa) Privilegierung nationaler Minderheiten
  • bb) Wahlen in Wahlkreisen und über Landeslisten
  • cc) Mitbestimmung der Länder durch den Bundesrat
  • dd) Zusammenfassung
  • d) Historische Betrachtung
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Chancengleichheit und Programmfreiheit der Parteien
  • 1. Chancengleichheit und Programmfreiheit der Parteien als Grundsatzcharakter i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • a) Chancengleichheit
  • b) Programmfreiheit
  • 2. Berühren der Grundsätze gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG im Hinblick auf die Chancengleichheit und Programmfreiheit der Parteien
  • a) Chancengleichheit
  • b) Programmfreiheit
  • III. Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot
  • 1. Allgemeines Diskriminierungsverbot als Grundsatzcharakter i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • 2. Berühren der Grundsätze gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot
  • IV. Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Volkssouveränität
  • 1. Volkssouveränität als Grundsatzcharakter i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • 2. Berühren der Grundsätze gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG im Hinblick auf die Volkssouveränität
  • V. Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Ausübung des freien Mandats
  • 1. Das freie Mandat als Grundsatzcharakter i.S.v. Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG
  • 2. Berühren der Grundsätze gemäß Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 GG im Hinblick auf die Ausübung des freien Mandats
  • VI. Zusammenschau
  • VII. Berücksichtigung weiterer homogener Bevölkerungsgruppen nicht geboten
  • VIII. Rechtsvergleichende und völkerrechtliche Betrachtung
  • 1. Rechtsvergleichende Betrachtung
  • 2. Völkerrechtliche Betrachtung
  • F. Ergebnis
  • Teil 4 Zusammenfassung und rechtspolitischer Ausblick
  • A. Zusammenfassung
  • B. Rechtspolitischer Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • A. Artikel, Kommentare, Festschriften, Monografien, Lehrbücher
  • B. Fachbeiträge aus dem Internet
  • C. Sachverständige Gutachten und Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen
  • D. Gutachten wissenschaftlicher Dienste deutscher Parlamente
  • E. Tages- und Wochenzeitungen

←18 | 19→

Einleitung

Frauen dürfen seit über 100 Jahren wählen und gewählt werden. Vor allem in den vergangenen 40 Jahren haben Frauen beruflich viel in der Politik erreicht. Legislative und Exekutive sind immer weiblicher geworden. Seit Anfang der 80iger Jahre ist der Anteil der Frauen unter den Parlamentariern im Deutschen Bundestag stetig von unter 10 % auf über 35 % gestiegen. Seit Anfang der 1990er Jahre leiten Frauen Landesregierungen. Seit 2005 wird die Bundesregierung von einer Bundeskanzlerin geleitet.

Allerdings ist das erreichte keineswegs stabil. Nach der Bundestagswahl 2017 ist der Frauenanteil unter den Parlamentariern im Deutschen Bundestag auf knapp 31 % gesunken und damit auf den niedrigsten Wert seit 20 Jahren. Bislang haben lediglich sechs Frauen Landesregierungen geleitet; derzeit, im Frühjahr 2021, sind es nur zwei von 16, Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern und Marie-Luise Dreyer in Rheinland-Pfalz. Gemessen am Frauenanteil der Bevölkerung wird die Dominanz der Männer in der Politik offensichtlich. Trotz des jahrzehntelangen Kampfes um die Emanzipation der Frau und die faktische Gleichberechtigung der Geschlechter dominieren Männer zahlenmäßig noch immer die Politik.

Zur Steigerung des Frauenanteils im Deutschen Bundestag verfolgen die Parteien unterschiedliche Maßnahmen. Sie reichen von satzungsrechtlich verankerten verbindlichen Quoten für die Aufstellung von Wahlkandidatinnen und -kandidaten und parteiinternen Gremien (SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Die Linke), über unverbindliche Quoten (CDU) bis hin zur Festschreibung des Ziels ohne Vorgabe einer Quote (FDP). Diese Maßnahmen, die bereits seit Jahrzehnten gelten, haben jedoch nicht zu einer nachhaltigen Angleichung des Frauenanteils im Bundestag an den der Bevölkerung geführt. Dieses Defizit an Frauen unter den Parlamentariern des Deutschen Bundestags führt immer wieder zur Forderung nach einer gesetzlich geregelten Frauenquote bei Wahlen. Das Land Brandenburg hatte als erstes den Schritt gewagt und im Januar 2019 ein Gesetz verabschiedet, das quotierte Wahllisten vorschrieb. Wenig später folgte das Land Thüringen diesem Schritt. Im Sommer/Herbst 2020 wurden die Gesetze jedoch vom Thüringer Verfassungsgerichtshof bzw. vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg wegen Verstößen gegen die jeweiligen Landesverfassungen für nichtig erklärt.

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob eine gesetzlich geregelte Geschlechterquote bei Wahlen verfassungsgemäß ist. Der erste Teil der Arbeit ←19 | 20→enthält eine Bestandsaufnahme zu den Anteilen der Geschlechter in verschiedenen Parlamenten, skizziert die Gründe der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik und untersucht die Wirksamkeit unterschiedlich ausgestalteter Geschlechterquoten. Im zweiten Teil wird anhand einer aufgrund der Ergebnisse des ersten Teils entwickelten konkreten einfachgesetzlichen Quotenregelung geprüft, ob diese verfassungsgemäß ist. Im dritten Teil wird schließlich der Frage nachgegangen, ob das Grundgesetz für eine Geschlechterquote bei Wahlen geändert werden kann, oder ob einer solchen Änderung Art. 79 Abs. 3 GG entgegensteht, sofern das einfachgesetzliche Muster-Quotengesetz gegen Verfassungsrecht verstoßen sollte. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem rechtspolitischen Ausblick.

In der Arbeit wurde die bis zum 15. Mai 2021 veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt.

←20 | 21→

Teil 1 Bestandsaufnahme und Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik

A. Statistische Bestandsaufnahme

„Frauenquote“, „Parité“, „Frauenförderung“ und ähnliche Begriffe rufen in der öffentlichen Diskussion aber auch im wissenschaftlichen Diskurs früher oder später bei fast allen Menschen, aber vor allem bei den (männlichen) Kritikern starke emotionale Reaktionen hervor.1 Allerdings ist ein Punkt unbestreitbar, denn dieser lässt sich mit Zahlen leicht belegen: Der Anteil der Frauen an der Zahl der Mitglieder des Deutschen Bundestags und der Parlamente der Bundesländer entsprach weder in der Vergangenheit, noch entspricht er in der Gegenwart annähernd dem Frauenanteil an der Gesamtbevölkerung. Gleiches gilt für das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

I. Frauenanteil an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland

Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und der Anteil der Frauen hieran haben sich wie folgt entwickelt:

Die Bevölkerung wuchs nach dem 2. Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung von knapp 50 Millionen Menschen im Jahr 1950, von denen circa 25 Millionen (53 %) weiblich waren,2 über etwa 55 Millionen im Jahr 1960, von denen etwa 30 Millionen (54 %) weiblich waren,3 auf etwa 61 Millionen Menschen im ←21 | 22→Jahr 1970, von denen rund 32 Millionen (52 %) weiblich waren.4 Sodann blieb die Bevölkerung bis zur Wiedervereinigung 1990 in etwa konstant.5 Seit der Wiedervereinigung 1990 leben in Deutschland etwa 80 Millionen Menschen, von denen annähernd 41 Millionen (51 %) weiblich sind.6 Diese Bevölkerungszahlen umfassen auch Menschen, die keine Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG sind und damit prinzipiell auch nicht wahlberechtigt sind. Für den Zweck des Überblicks, der hier gegeben werden soll, ist der Anteil der Ausländer jedoch zu vernachlässigen. Er führt zu einer nur unerheblichen Verzerrung, denn der Frauenteil unter den Ausländern entspricht in etwa dem dargestellten Frauenanteil der Gesamtheit.

II. Frauenanteil an den Abgeordneten des Deutschen Bundestags

Frauenanteil im Bundestag zum Beginn einer Wahlperiode7

←22 | 23→Wie die vorstehende Grafik zeigt, lag in den ersten 35 Jahren seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland der Frauenanteil im Deutschen Bundestag regelmäßig zwischen sieben und 10 %. Erst ab dem Jahr 1987 stieg er kontinuierlich an. Ab 2002 stagnierte er sodann bei etwa 32 %. Bei der Bundestagswahl 2013 stieg er auf 36 %, um dann bei der letzten Bundestagswahl 2017 auf den Wert von 1998 zurückzufallen.

CDU

SPD

Grüne

FDP

Die Linke

CSU

AfD

1983

6,9 %

10,4 %

37,0 %

8,6 %

5,6 %

1987

8,6 %

16,1 %

57,1 %

12,5 %

4,1 %

1990

14,6 %

27,2 %

37,5 %

20,3 %

47,1 %

9,8 %

1994

14,8 %

33,7 %

59,2 %

17,0 %

43,3 %

12,0 %

1998

19,7 %

35,2 %

57,4 %

20,9 %

55,6 %

12,8 %

2002

22,6 %

37,8 %

58,2 %

21,3 %

100,0 %

20,7 %

2005

21,1 %

36,0 %

56,9 %

24,6 %

48,1 %

15,2 %

2009

21,6 %

38,4 %

54,4 %

24,7 %

52,6 %

13,3 %

Details

Seiten
256
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631898932
ISBN (ePUB)
9783631898949
ISBN (Paperback)
9783631898505
DOI
10.3726/b20661
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (März)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 256 S., 18 s/w Abb.

Biographische Angaben

Cornelius Woermann (Autor:in)

Cornelius Woermann ist Vorsitzender Richter am Landgericht Duisburg. In den Jahren 2015 bis 2018 war er an die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen abgeordnet und dort als Referent im Justitiariat tätig.

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