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Informationsfluss und Geheimnisschutz bei Tarifverhandlungen

Eine Analyse potentieller Restriktionen der Informationsweitergabe in (Sanierungs-)Tarifverhandlungen im Abgleich mit der Due Diligence

von Tillmann Vitt (Autor:in)
©2023 Dissertation 360 Seiten

Zusammenfassung

Gegenstand der Arbeit ist der Informationsfluss und die damit verbundene Frage nach dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen bei Tarifverhandlungen. Exemplarisch werden anhand der Verhandlung eines Sanierungstarifvertrags potentielle Restriktionen der Informationsweitergabe an Gewerkschaft und Arbeitgeberverband untersucht. Dabei wird die Due Diligence bei Unternehmenskäufen als Referenzmaterie herangezogen. Es wird beleuchtet, ob die dort geltenden Weitergabebeschränkungen übertragbar sind. Die Arbeit widmet sich zudem der Frage, wie Arbeitgeberverband und Gewerkschaft mit den offengelegten Informationen umgehen müssen. Sind die Sozialpartner dazu verpflichtet, besondere organisatorische Sicherungsmaßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit zu ergreifen?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Einführung
  • A. Gegenstand der Untersuchung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1: Rahmenbedingungen bei Verhandlung von Tarifverträgen
  • A. Rechtsrahmen und Interessenlage bei Tarifverhandlungen
  • I. Verfassungsrechtliche Vorgaben
  • II. Einfachrechtliche Ausgestaltung
  • III. Rückschlüsse für die Verhandlungsphase
  • 1. (Vor-)vertragliches Schuldverhältnis zwischen den Tarifpartnern
  • a. Firmentarifvertrag
  • b. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag
  • c. Zwischenergebnis
  • 2. Folge: Entstehen von Rücksichtnahme- und Schutzpflichten
  • a. Umfang der gegenseitigen Pflichtenbindung
  • aa. Kriterien zur Bestimmung des Pflichtenkatalogs
  • bb. Informationspflicht über die wirtschaftliche Lage?
  • (1) Allgemeine Kriterien zur Begründung einer Informationspflicht
  • (2) Anwendung auf reguläre Tarifverhandlungen
  • b. Berücksichtigung der besonderen Sanierungssituation
  • aa. Besonderheiten bei Bestimmung der Pflichtenbindung
  • bb. Informationspflicht der Arbeitgeberseite
  • c. Vereinbarkeit mit dem Arbeitskampfrecht?
  • aa. Vorvertragliche Schutzpflichten im Arbeitskampf?
  • bb. Zwischenergebnis
  • IV. Interessenlage der beteiligten Akteure in der Sanierungssituation
  • 1. Gewerkschaft
  • 2. Arbeitgeberverband
  • 3. Geheimhaltungsinteresse des notleidenden Unternehmens
  • V. Faktoren bei der Wahl des Sanierungsinstruments
  • 1. Verbandsinterne Schranken
  • 2. Verwendete Bezugnahmeklausel des Arbeitgebers
  • 3. Strukturelle Schwächen und Risiken des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags
  • B. Konfligierende Interessenlage bei Due Diligence Prozessen im Rahmen von M&A Transaktionen als vergleichbare Situation?
  • I. Begriffsklärung
  • II. Ziele und Funktionen der Due Diligence
  • III. Interessenlage der Parteien
  • C. Übertragbarkeit auf den Informationsfluss bei Tarifverhandlungen?
  • D. Ergebnis
  • Kapitel 2: Restriktion der möglichen Informationsquellen der Gewerkschaft durch gesetzliche Verschwiegenheitspflichten
  • A. Grundlegend: Arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflichten
  • 1. Herleitung der Verschwiegenheitspflicht
  • 2. Gegenstand der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht
  • a. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach der Rechtsprechungsformel
  • aa. Anknüpfungspunkt der Geheimnisdefinition: unternehmensbezogene Tatsachen
  • bb. Eng begrenztem Personenkreis bekannt und deshalb nicht offenkundig
  • cc. Objektiv manifestierter Geheimhaltungswille
  • dd. Berechtigtes Geheimhaltungsinteresse
  • ee. Zwischenergebnis
  • b. Neuordnung des Geheimnisschutzes durch GeschGehG
  • aa. Europarechtliche Vorgaben
  • bb. Umsetzung ins deutsche Recht durch das GeschGehG
  • cc. Voraussetzungen für die Einordnung nach dem GeschGehG
  • (1) Fehlende Offenkundigkeit
  • (2) Wirtschaftlicher Wert
  • (3) Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen
  • (a) Abweichung zur bisherigen Geschäftsgeheimnisdefinition
  • (b) Geheimhaltungsmaßnahmen im Einzelnen
  • (aa) Perspektive für die Beurteilung der Angemessenheit
  • (bb) Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit im Einzelnen
  • (cc) Herkunft und Zweck des Merkmals
  • (dd) Relativität der angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen
  • (c) Zwischenergebnis
  • (4) Berechtigtes Geheimhaltungsinteresse
  • dd. Folgen für die arbeitsvertragliche Schweigepflicht
  • (1) Angleichung der Geheimnisdefinition?
  • (2) Arbeitsvertragliche Nebenpflicht als angemessene Geheimhaltungsmaßnahme ausreichend…
  • (3) … aber nur, wenn sie durch den Arbeitgeber auf eine Information hinreichend konkretisiert wird.
  • (4) Komplettierung des angemessenen Geheimhaltungsniveaus über organisatorische und technische Maßnahmen
  • (5) Handlungsbedarf: Konkretisierung und Implementierung organisatorischer und technischer Maßnahmen
  • ee. Zwischenergebnis und Fazit
  • c. Nebenpflicht nicht auf das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen beschränkt
  • 3. Befugte Offenlegung an die Gewerkschaft?
  • a. Arbeitsvertragliche Ebene
  • b. Ausstrahlungswirkung von § 5 GeschGehG?
  • 4. Zwischenergebnis
  • B. Die Geheimhaltungspflichten des Betriebsrats
  • I. Verschwiegenheitspflicht des Betriebsrats
  • 1. Materielles Geheimnis
  • a. Übereinstimmende Definition mit § 17 UWG a.F.
  • b. Gleichlauf mit Geschäftsgeheimnisbegriff des GeschGehG?
  • c. Weiterhin offen: Abwägung des berechtigten Geheimhaltungsinteresses mit konfligierenden Arbeitnehmerinteressen?
  • aa. Meinungsstand
  • bb. Stellungnahme
  • (1) Zweistufige Prüfung
  • (2) Allerdings: Fehlende Anknüpfung für konfligierende Offenlegungsinteressen
  • (3) Analoge Anwendung von § 5 GeschGehG
  • (4) Zwischenergebnis
  • 2. Formelles Geheimnis
  • a. Information kommt vom Arbeitgeber selbst
  • b. Informationserlangung im Rahmen der Amtstätigkeit durch andere Quellen
  • 3. Kenntnisnahme in Funktion als Betriebsratsmitglied
  • II. Erlaubte Offenlegung gegenüber der Gewerkschaft
  • 1. Einschränkung der Informationsrechte des Betriebsrats in der Tarifauseinandersetzung
  • 2. Grundsatz: § 79 BetrVG gilt auch gegenüber der Gewerkschaft
  • 3. Erlaubte Offenlegung gegenüber der Gewerkschaft nach § 5 GeschGehG?
  • a. Offenlegungsinteressen des Betriebsrats
  • b. Arbeitgeberseitige Interessen
  • c. Ergebnis: Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen
  • 4. Zulässige Weitergabe außerhalb des Anwendungsbereichs von § 79 BetrVG?
  • a. Weitergehende Restriktion aus dem Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit?
  • b. Neutralitätspflicht des Betriebsrats
  • 5. Ergänzender Schutz über arbeitsvertragliche Schweigepflicht
  • III. Ergebnis: Betriebsrat darf Informationen nicht weitergeben
  • C. Wirtschaftsausschuss
  • I. Umfang der Informationspflicht
  • 1. Rechtzeitige und umfassende Unterrichtung
  • 2. Unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen
  • 3. Begrenzung durch Geschäftsgeheimnisschutz
  • a. Arbeitgeber auch als Tarifpartei geschützt…
  • b. … aber kein Verweigerungsrecht
  • II. Zwischenergebnis
  • D. Gewerkschaftsvertreter im Betrieb
  • I. Teilnahme und Beratung durch einen Gewerkschaftsvertreter
  • 1. Antrag
  • 2. Geheimhaltung
  • II. … dennoch keine Weitergabe an die Gewerkschaft
  • E. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat
  • I. Aufgabe des Aufsichtsrats und weitgehende Informationsrechte
  • II. Kehrseite der weitgehenden Informationsrechte: Strenge Geheimhaltungspflicht
  • 1. Gegenstand der Geheimhaltungspflicht: Geheimnisse und vertrauliche Angaben
  • a. Aktienrechtlicher Geheimnisbegriff
  • aa. Abweichend von § 17 UWG a.F. rein objektiv zu bestimmen
  • bb. Dennoch Anpassung an die Legaldefinition des GeschGehG?
  • b. Vertrauliche Angabe
  • 2. Grenzen der Geheimhaltungspflicht
  • III. Informationsweitergabe an die Gewerkschaft durch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat?
  • 1. Einschränkung der Geheimhaltungspflicht?
  • 2. Informationsweitergabe an die Gewerkschaft im Unternehmensinteresse?
  • 3. Kompetenz zur Informationsweitergabe?
  • IV. Aufsichtsratsmitglieder scheiden als Informationsquelle aus
  • F. Restriktion des Informationsflusses durch die Marktmissbrauchsverordnung
  • I. Art. 10 i.V.m. Art. 14 lit. c) MAR
  • 1. Verbotsadressat: Insider
  • 2. Begriff der Insiderinformation
  • 3. Offenlegung gegenüber einer anderen Person
  • 4. Befugnis zur Offenlegung
  • a. Offenlegung im normalen Rahmen der Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben
  • b. Konkretisierung der Anforderungen durch Grøngaard/Bang-Entscheidung
  • c. Interessenabwägung
  • aa. Legitimer Zweck
  • bb. Geeignetheit
  • cc. Erforderlichkeit
  • dd. Angemessenheit
  • (1) Weitergabeinteresse des Emittenten
  • (2) Informationseindämmungsinteresse des Marktes
  • 5. Zulässigkeit der Informationsweitergabe an die Gewerkschaft
  • a. Gleichlauf mit arbeitsvertraglicher Verschwiegenheitspflicht
  • b. Weitergabe von Insiderinformationen durch den Betriebsrat
  • aa. Weitgehende Parallelität zwischen Offenlegungsverbot und Schweigepflicht des Betriebsrats
  • bb. … auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 79 BetrVG keine befugte Offenlegung
  • cc. Einschränkungen hinsichtlich der Zuziehung von Gewerkschaftsvertretern?
  • c. Weitergabe von Insiderinformationen durch den Aufsichtsrat
  • II. Zwischenergebnis
  • G. Quintessenz
  • Kapitel 3: Weitergabebeschränkungen des Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft und gegenüber dem Arbeitgeberverband
  • A. Restriktionen bei Zulassung einer Due Diligence
  • I. Arbeitgeber ist in Rechtsform einer GmbH organisiert
  • 1. Zulassung der Due Diligence als außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme
  • 2. Gesellschafterbeschluss erforderlich
  • 3. Zwischenergebnis
  • II. Arbeitgeber ist in Rechtsform einer Aktiengesellschaft organisiert
  • 1. Zuständigkeit des Vorstands
  • 2. Unternehmensinteresse als Grund und Grenze der Verschwiegenheitspflicht
  • a. Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft
  • aa. Besondere Gewichtung?
  • bb. Bestimmung der Geheimhaltungsinteressen
  • b. Offenbarungsinteresse der Gesellschaft
  • c. Abgestufte Vorstandsentscheidung
  • d. Neuer Aspekt: Implementierung eines Geheimnis-Managements
  • aa. Geheimnis-Management als Teil der Sorgfaltspflicht des Vorstands
  • bb. Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen bei Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen innerhalb der Due Diligence
  • 3. Zwischenergebnis: Zulässigkeit der Due Diligence
  • 4. Kapitalmarktrechtliche Restriktionen
  • a. Befugte Offenlegung von Insiderinformationen im Rahmen einer Due Diligence
  • b. Zwischenergebnis
  • c. Ad-hoc-Publizitätspflicht
  • aa. Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR
  • (a) Berechtigtes Interesse
  • (b) Keine Irreführung des Markts
  • (c) Sicherstellung der Geheimhaltung für die Dauer, in der der Emittent von der Publizitätspflicht befreit ist
  • bb. Ad-hoc-Pflicht bei Offenlegung gegenüber Dritten
  • cc. Verhältnis von Art. 17 Abs. 8 und Art. 17 Abs. 1 MAR
  • dd. Bedeutung für den Informationsfluss innerhalb der Due Diligence
  • B. Restriktionen bei der Informationsweitergabe an die Gewerkschaft bei Verhandlung eines Firmensanierungstarifvertrags
  • I. Übertragung auf die Informationsweitergabe bei Verhandlung eines Tarifvertrags?
  • 1. Arbeitgeber ist in Rechtsform der GmbH organisiert
  • a. Informationsweitergabe an die Gewerkschaft
  • b. Ergebnis
  • 2. Arbeitgeber ist in Rechtsform der Aktiengesellschaft organisiert
  • a. Gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht
  • aa. Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft
  • bb. Offenlegungsinteresse der Gesellschaft
  • cc. Implementierung von Risikobegrenzungsmechanismen
  • dd. Geheimnis-Management-Pflicht
  • ee. Zwischenergebnis
  • b. Befugte Weitergabe von Insiderinformationen?
  • aa. Vorliegen von Insiderinformationen?
  • bb. Gesetzliche Informationspflichten
  • cc. Offenlegung gegenüber der Gewerkschaft nach Grøngaard/Bang Kriterien
  • (1) Ansicht von Kumpan/Grütze
  • (2) Bewertung und eigene Ausführungen
  • c. Ad-hoc-Publizitätspflicht
  • II. Ergebnis
  • C. Restriktionen bei der Informationsweitergabe an den Arbeitgeberverband bei Verhandlung eines unternehmensbezogenen Verbandssanierungstarifvertrags
  • I. Gesetzliche Restriktionen bei Informationsbeschaffung durch den Arbeitgeberverband vom Arbeitgeber
  • 1. Gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflichten
  • a. GmbH
  • b. Aktiengesellschaft
  • aa. Neubewertung der Missbrauchsrisiken beim unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag
  • bb. Rückschlüsse für die Ermessensentscheidung des Vorstands
  • cc. Risikobegrenzungsmaßnahmen
  • dd. Zwischenergebnis
  • 2. Kartellrechtliche Grenzen: Informationsübermittlung innerhalb des Arbeitgeberverbands als Verstoß gegen § 1 GWB / Art. 101 AEUV?
  • a. Offenlegung der Unternehmensinformation als „abgestimmte Verhaltensweise“
  • aa. Verbotene Verhaltensweisen
  • bb. Informationsoffenlegung als partielle Aufhebung des Geheimwettbewerbs
  • (1) Abgestimmte Verhaltensweise
  • (2) Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
  • (a) Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
  • (b) Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
  • (aa) Marktbezogene Kriterien
  • (bb) Informationsbezogene Merkmale
  • (cc) Marktanteile
  • cc. Zwischenergebnis
  • b. Informationsaustausch im Transaktionskontext als vergleichbare Situation
  • aa. Offenlegung wettbewerbsrechtlich sensibler Informationen?
  • bb. Teleologische Reduktion des Kartellverbots / Nebenabrededoktrin
  • cc. Übertragbarkeit auf Transaktionskontext?
  • (1) Anwendbarkeit der Nebenabrededoktrin auf die Due Diligence?
  • (2) Erfüllt die Due Diligence die Voraussetzungen der Nebenabrededoktrin?
  • (3) Zwischenergebnis
  • dd. Folgen für die Transaktionspraxis
  • (1) Beschränkung der Immanenzausnahme durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip
  • (2) Implementierung kartellrechtlicher Risikobegrenzungsmaßnahmen
  • ee. Zwischenergebnis
  • c. Rückschlüsse für die Situation bei Tarifverhandlungen
  • aa. Verhältnis von Kartellrecht und Tarifvertrag
  • (1) Grundlegend: Die Albany Entscheidung des EuGHs
  • (a) Sozialpartnereigenschaft
  • (b) Vereinbarung im Rahmen von Tarifverhandlungen
  • (c) Inhaltliche Reichweite
  • (aa) Funktionale Interessenabwägung
  • (bb) Unionsrechtsautonome formal-gegenständliche Abgrenzung
  • (cc) Rückverweisung auf Art. 9 Abs. 3 GG…
  • (dd) … Kein direkter Zugriff auf das Unternehmerverhalten
  • (ee) Zwischenergebnis
  • (2) Kartellrechtswidrigkeit tariflicher Regelungen außerhalb von Albany?
  • (a) Tatbestandliche Anknüpfung
  • (b) Fehlende Wettbewerbsbeeinträchtigung durch die Regelung selbst
  • (3) Fazit
  • bb. Wettbewerbsrechtlich bedenklicher Informationsaustausch?
  • cc. Erlaubnis des vorbereitenden Informationsflusses
  • (1) Extensive Auslegung von Albany?
  • (2) Ansatz von Andritzky
  • (a) Unbeeinflusste Betätigungsfreiheit aufgrund von Art. 9 Abs. 3 GG
  • (b) Kritik: Primärrechtliche Ebene ausschlaggebend
  • (3) Anwendung der Immanenztheorie
  • (4) Rückschlüsse für die Tarifverhandlungen in der Sanierungssituation
  • d. Fazit
  • 3. Verstoß gegen das Offenlegungsverbot von Insiderinformationen gem. Art. 10 i.V.m. Art. 14 lit. c) MAR?
  • a. Offenlegung von Insiderinformationen?
  • b. Befugte Offenlegung
  • II. Ergebnis
  • D. Kernaussage
  • Kapitel 4: Infomationsverwaltungspflichten des Arbeitgeberverbands
  • A. Geheimhaltungspflichten im Arbeitgeberverband
  • I. Geheimhaltungspflicht des Vorstands
  • II. Konfliktpotential: Vereinsrechtliche Auskunftsansprüche
  • 1. Kollektiver Auskunftsanspruch innerhalb der Mitgliederversammlung
  • a. Inhalt und Voraussetzungen der Informationspflicht
  • b. Grenzen der Informationspflicht
  • aa. Meinungsstand
  • bb. Stellungnahme
  • c. Rückschlüsse für Informationsgesuche im Arbeitgeberverband
  • 2. Auskunftsanspruch des individuellen Verbandsmitglieds?
  • a. Individuelles Auskunftsrecht innerhalb der Mitgliederversammlung
  • b. Außerhalb der Mitgliederversammlung
  • c. Grenzen des individuellen Auskunftsrechts
  • d. Rückschlüsse
  • 3. Zwischenergebnis: Absicherung der Geschäftsgeheimnisse gegenüber den Auskunftsansprüchen mitorganisierter Unternehmen
  • III. Schweigepflicht der Verbandsvertreter
  • 1. Außergerichtliches Rechtsberatungsprivileg des Arbeitgeberverbands
  • 2. Anwendung rechtsberatungsspezifischer Schweigepflichten?
  • a. Verbandsvertreter fällt nicht unter die BRAO…
  • b. … und auch nicht unter § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB
  • 3. Transformation in das Rechtsberatungsverhältnis?
  • 4. Folge für die Sanierungstarifverhandlungen
  • B. Informations-Compliance im Arbeitgeberverband
  • I. Herleitung: Allgemeine Pflicht zur Verbands-Compliance
  • 1. Interne Compliance-Pflicht
  • 2. Externe Compliance-Pflicht
  • II. Inhalt der allgemeinen Compliance-Pflicht
  • 1. Legalitätskontrollpflicht im Innenverhältnis
  • 2. Pflicht zur gehörigen Aufsicht
  • III. Geheimnisschutz-Compliance als Teil der Compliance-Pflicht des Verbands?
  • 1. Risikoanalyse
  • a. Geschäftsgeheimniseigenschaft der offengelegten Informationen?
  • b. Gefahr erheblicher Rechtsverstöße im Kernbereich der Verbandstätigkeit
  • c. Schadensersatzansprüche aus der Geheimhaltungsvereinbarung
  • d. Gefahr von Reputationsverlusten
  • e. Geheimnisschutz als compliance-relevanter Bereich der Verbandsarbeit
  • 2. Organisatorische Regelungen zur Sicherstellung der Geheimhaltung
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Kartellrechtliche Vorgaben für die Verbandsarbeit
  • 1. Risikoanalyse
  • a. Kartellrechtliche Grenzen des Informationsflusses
  • b. Haftungsrisiko für den Verband
  • 2. Risikominimierung durch den Verband
  • 3. Zwischenergebnis
  • V. Insiderrechtliche Haftungsrisiken
  • 1. Risikoanalyse
  • a. Insiderrechtliches Offenlegungsverbot
  • b. Sanktionsrisiko für den Arbeitgeberverband
  • aa. Verstöße von Leitungsorganen
  • bb. Verstöße nachgeordneter Mitglieder
  • (1) § 30 OWiG i.V.m. der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung
  • (2) Haftung über Aufsichtspflichtverletzung
  • 2. Risikominimierung durch organisatorische Maßnahmen
  • VI. Ergebnis zur Informations-Compliance im Arbeitgeberverband
  • C. Ergebnis
  • Kapitel 5: Informationsverwaltungspflichten der Gewerkschaft
  • A. Grenzen des gewerkschaftlichen Informationsflusses
  • I. (Vor-)vertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflichten
  • 1. Entstehen der schuldrechtlichen Sonderverbindung
  • 2. Konkretisierung des Pflichtenkatalogs
  • 3. Verschwiegenheitspflicht der Gewerkschaft
  • II. GeschGehG
  • 1. Geschäftsgeheimniseigenschaft
  • a. Vom Arbeitgeber offengelegte Informationen
  • b. Verhandlungsstand und vorläufige Verhandlungsergebnisse
  • aa. Geheimnisinhaberschaft der Arbeitgeberseite
  • bb. Kenntnis eines begrenzten Personenkreises und daraus resultierender Wert der Information
  • cc. Angemessene Geheimhaltungsmaßnahme
  • dd. Geheimhaltungsinteresse an vorläufigen Informationen?
  • 2. Berücksichtigung der Koalitionsfreiheit im Rahmen von § 5 GeschGehG
  • a. Beeinträchtigung der gewerkschaftlichen Koalitionsfreiheit
  • aa. Innergewerkschaftlicher Informationsfluss und Mitgliederbetreuung
  • bb. Gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit
  • cc. Einsatz im Arbeitskampf?
  • dd. Zwischenergebnis
  • b. Geheimhaltungsinteressen des Arbeitgebers
  • c. Interessenabwägung
  • aa. Offenlegung der sensiblen Informationen zum Zwecke der Verhandlung
  • bb. Offenlegung des aktuellen Verhandlungsstands
  • 3. Zwischenergebnis
  • III. Kapitalmarktrechtliche Grenzen
  • 1. Vorliegen von Insiderinformationen
  • a. In den Verhandlungen offengelegte Insiderinformationen
  • b. In den Verhandlungen entstehende Insiderinformationen
  • aa. Aufnahme von Verhandlungen und aktueller Verhandlungsstand
  • bb. Abschluss und Umsetzung des Sanierungstarifvertrags
  • 2. Weitergabeverbot von Insiderinformationen
  • a. Innergewerkschaftlicher Informationsfluss
  • b. Gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit
  • IV. Ergebnis
  • B. Haftungsrisiken und organisatorische Risikovermeidung
  • I. Herleitung der gewerkschaftlichen Compliance-Pflicht
  • II. Haftungsrisiken im Umgang mit den sensiblen Informationen
  • 1. Haftungsrisiken aus dem GeschGehG?
  • 2. Haftung der Gewerkschaft aus Kapitalmarktbußgeldrecht
  • III. Geeignete organisatorische Maßnahmen
  • C. Ergebnis zum gewerkschaftlichen Umgang mit den Geschäftsgeheimnissen des Verhandlungspartners
  • Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
  • Literaturverzeichnis

Einführung

A. Gegenstand der Untersuchung

Gegenstand dieser Arbeit ist der Informationsfluss und die damit verbundene Frage nach dem Schutz von sensiblen Informationen und Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Tarifverhandlungen. Ziel der Arbeit ist es, die Informationsweitergabe zwischen Unternehmen, Arbeitgeberverband und Gewerkschaft aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und ein Bewusstsein für etwaige Risiken in diesem Bereich zu schaffen. Exemplarisch sollen anhand der Verhandlung eines Sanierungstarifvertrags potentielle Restriktionen der Informationsweitergabe zwischen den beteiligten Akteuren untersucht werden. Wie aufzuzeigen sein wird, erlangt die Gewerkschaft in der Sanierungssituation Zugang zu sensibelsten Unternehmensinterna. Der umfassende Informationszugang der Gewerkschaft folgt dem Umstand, dass sich Sanierungstarifverhandlungen maßgebend von „normalen“ Verhandlungen über einen Flächentarifvertrag unterscheiden. Dies macht vorab eine Abgrenzung erforderlich. Für die Zwecke dieser Arbeit liegt dem Begriff des Sanierungstarifvertrags folgendes Verständnis zugrunde: Ein Sanierungstarifvertrag ist ein Firmentarifvertrag oder ein unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag, mit dem die Tarifparteien zum Zweck der finanziellen Entlastung des Unternehmens von einem geltenden Tarifvertrag abweichen.1 Weitere normative Einschränkungen wie etwa das tatsächliche Vorliegen einer insolvenznahen Krisensituation sind indes nicht erforderlich, sodass auch die präventive Verbesserung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit von dem Begriff umfasst wird.2 Wesentliches Merkmal eines Sanierungstarifvertrags ist also, dass eine zeitlich befristete Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer eines einzelnen Unternehmens angestrebt wird.

Im Kern handelt es sich bei einem Sanierungstarifvertrag um ein Austauschgeschäft bestehend aus materiellen Konzessionen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Gegenstand des Sanierungstarifvertrags ist die Abweichung vom normativ geltenden Flächentarifvertrag zum Nachteil der Arbeitnehmer: Es geht anders als in der Situation von Flächentarifverträgen nicht um die Verbesserung, sondern um die zeitlich befristete Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der gewerkschaftsangehörigen Belegschaft.3 Regelmäßiger Inhalt der arbeitnehmerseitigen Zugeständnisse sind etwa die Reduktion von Arbeitszeit, die Absenkung des regelmäßigen Entgelts oder der Verzicht auf Sonderzahlungen.4 Neben diesen Sanierungsopfern der Arbeitnehmerseite finden sich spiegelbildlich auch Zugeständnisse der Arbeitgeberseite im Sanierungstarifvertrag. Häufig handelt es sich dabei um Regelungen zur Beschäftigungssicherung, etwa mittels des Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen für einen bestimmten Zeitraum.

Allerdings enden die arbeitgeberseitigen Konzessionen nicht mit dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Die materiellen Konzessionen der Arbeitgeberseite erstrecken sich vielfach auch auf unternehmerische Maßnahmen. Beispielsweise finden sich in Sanierungstarifverträgen regelmäßig Vereinbarungen zum Erhalt und Ausbau bestimmter Standorte.5 Durch diese Vereinbarung soll eine Betriebsschließung für die Zukunft unattraktiv gemacht werden. Langfristiges Ziel dieser Standortsicherungsvereinbarungen ist es, den Erhalt des Betriebes und damit auch der dortigen Arbeitsplätze für die Zukunft abzusichern. Weitergehend werden Investitions- und Innovationsvereinbarungen zwischen den Tarifparteien als schuldrechtliche Gegenleistung für die Sanierungsopfer vereinbart.6 Mit diesen Investitions- und Innovationszusagen verpflichtet sich das Unternehmen, an Standorten Investitionen in den Betrieb zu tätigen und bspw. neue Produkte und Fertigungstechnologien einzuführen.7

B. Gang der Untersuchung

Hinsichtlich seines Inhalts unterscheidet sich ein Sanierungstarifvertrag maßgebend von regulären Tarifverträgen. Angesichts dieser atypischen Situation bei Sanierungstarifverträgen gilt es zuvörderst, die Rahmenbedingungen bei Verhandlung eines Tarifvertrags allgemein und speziell in der Sanierungssituation zu untersuchen. Dies umfasst neben den allgemeinen rechtlichen Vorgaben auch die beteiligten Parteien sowie deren Interessenlage und vor allem deren Informationsbedürfnis. Wie aufzuzeigen sein wird, ist in der Sanierungssituation aufgrund der atypischen Interessenverteilung als Ausgangslage der Vertragsverhandlungen das gewerkschaftliche Informationsbedürfnis an nicht öffentlich zugänglichen Wirtschaftsdaten des notleidenden Unternehmens deutlich erhöht. Die Gewerkschaft benötigt diese unternehmensspezifischen Informationen, um die wirtschaftliche Situation des Unternehmens einschätzen zu können. Diese Einschätzung ist erforderlich, um mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe über die gegenseitigen materiellen Konzessionen verhandeln zu können.

Dieses erhöhte Informationsinteresse der Gewerkschaft in der Sanierungssituation ist kein singuläres Phänomen. Gerade im Bereich Mergers & Aquisitions – insbesondere bei Unternehmenskäufen – (im Folgenden „M&A Transaktionen“) hat der Kaufinteressent eines Unternehmens ein maßgebliches Interesse an sensiblen Unternehmensinterna. Das Informationsinteresse potentieller Erwerber bei einer M&A Transaktion wird über das Instrument der Due Diligence befriedigt. Dabei handelt es sich um ein verselbständigtes Institut zur Auflösung von Informationsasymmetrien. Für die Situation der Tarifverhandlungen fehlt es an einem vergleichbaren Instrument der Informationsbeschaffung. Weiterhin unterliegt die unternehmerische Leitung bei der Weitergabe von sensiblen unternehmensbezogenen Informationen im Rahmen der Due Diligence gesetzlichen Schranken. Die Frage, ob und welchen Schranken die Informationsweitergabe an Gewerkschaft und Arbeitgeberverband in Tarifverhandlungen unterliegt, ist – soweit ersichtlich – noch nicht untersucht worden. Dies wirft die Frage auf, ob die zur Due Diligence entwickelten Restriktionen auf den Informationsfluss zwischen den beteiligten Akteuren von (Sanierungs-)Tarifverhandlungen übertragbar sind.

Eine Übertragung der Wertungen und Restriktionen setzt allerdings die Vergleichbarkeit beider Situationen voraus. Prägend für die Situation der Due Diligence ist dabei, dass der Erwerbsinteressent bzgl. der Informationsbeschaffung auf die Gegenseite angewiesen ist. In einem logischen Vorschritt ist folglich zu klären, ob die Gewerkschaft neben der Arbeitgeberseite auch Informationsquellen aus ihren eigenen Reihen bedienen kann, um so ihr Informationsbedürfnis zu befriedigen. Zu denken ist etwa an die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer im Betrieb, den Betriebsrat, sowie etwaige Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Kann die Gewerkschaft auf diesem Wege die sensiblen unternehmensbezogenen Informationen erlangen, ist sie nicht auf die Arbeitgeberseite als Informationsquelle angewiesen. Stünden der Gewerkschaft diese Informationsquellen offen, so würde sich die Situation maßgeblich von der einer transaktionsbezogenen Due Diligence unterscheiden. Eine Übertragung der Wertungen müsste dann ausscheiden.

Während die Informationsweitergabe bei der Verhandlung eines Haussanierungstarifvertrags regelmäßig direkt an die Gewerkschaft erfolgt, ist bei unternehmensbezogenen Verbandstarifverträgen der Arbeitgeberverband als weiterer Akteur beteiligt. Arbeitgeberverbände sind in aller Regel als Idealvereine mit der besonderen Zwecksetzung der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG organisiert. Ist ein Arbeitgeberverband nach dem Branchenprinzip organisiert, so sind im Arbeitgeberverband auch aktuelle oder potentielle Konkurrenten des notleidenden Unternehmens organisiert. Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Informationsweitergabe an den Arbeitgeberverband zulässig ist und wie der Arbeitgeberverband mit den offengelegten Informationen umgehen muss. Ist der Arbeitgeberverband dazu verpflichtet, besondere organisatorische Sicherungsmaßnahmen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit zu ergreifen? Gleiches ist spiegelbildlich für den gewerkschaftlichen Umgang mit den sensiblen Unternehmensdaten zu untersuchen.


1 Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 19; Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2362; Hoffmann-Remy in Röger, § 8 Rn. 480; Moll in Henssler/Moll/Bepler, Teil 12 Rn. 2.

2 Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 26.

3 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2366.

4 Löwisch/Rieble, § 1 TVG Rn. 2366.

5 Eine Vielzahl möglicher arbeitgeberseitiger Konzessionen finden sich etwa im sog. „Opel Master Agreement“ aus dem Jahr 2010. Im Volltext abrufbar unter: https://archiv.labournet.de/branchen/auto/gm-opel/allg/master-agreement.pdf (zuletzt abgerufen am 15.12.2022).

6 Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 48 ff.

7 Beck, Der Sanierungstarifvertrag, S. 52 ff.

Kapitel 1: Rahmenbedingungen bei Verhandlung von Tarifverträgen

In einem ersten Schritt sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei Tarifverhandlungen zu bestimmen, bevor eine Analyse potentieller Restriktionen bei der Informationsweitergabe erfolgen kann. Dies macht eine weitere Untergliederung anhand der potentiellen Tarifvertragsparteien erforderlich. Zum einen kann ein Sanierungstarifvertrag direkt zwischen der Gewerkschaft und dem notleidenden Unternehmen als Haussanierungstarifvertrag abgeschlossen werden.8 Tarifvertragsparteien in dieser Konstellation sind der einzelne Arbeitgeber und die Gewerkschaft. Daneben ist auch der Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandssanierungstarifvertrags möglich, dessen Parteien der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft sind.9 Diese beschränken den betrieblichen, personellen, räumlichen Geltungsbereich des geschlossenen Verbandstarifvertrags auf die Geltung nur für das notleidende Unternehmen.10 Anhand dieser Untergliederung gilt es nun die Rahmenbedingungen der Verhandlung, sowie die Interessenlage der jeweils beteiligten Akteure zu bestimmen. Die so herausgearbeiteten Interessen sind sodann in einem zweiten Schritt mit der Interessenlage bei der Informationsweitergabe im Rahmen einer Due Diligence zu vergleichen.

A. Rechtsrahmen und Interessenlage bei Tarifverhandlungen

Bei Untersuchung der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen ist die hervorgehobene Rolle der Tarifparteien innerhalb der Verfassung zu berücksichtigen.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Maßgebend ist die zentrale Norm des Art. 9 Abs. 3 GG. Diese gewährleistet über die individuelle Koalitionsfreiheit des Einzelnen hinaus auch eine kollektive Komponente: Art. 9 Abs. 3 GG schützt neben der individuellen Koalitionsfreiheit auch die Betätigungsfreiheit der Koalitionen als Kollektiv.11 Seit Aufgabe der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unstreitig, dass die kollektive Betätigungsfreiheit alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen zur Verfolgung der koalitionsmäßigen Zwecke, namentlich der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, erfasst.12 Diese Wahrnehmung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen setzt voraus, dass die Sozialpartner dazu in der Lage sind, ihre gegenläufigen Interessen ungestört in Einklang zu bringen. Insoweit gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG mit der Tarifautonomie den Koalitionen einen Freiraum zum autonomen Interessenausgleich.13 Die Tarifautonomie ist dabei zentraler Bestandteil der kollektiven Betätigungsfreiheit der Koalitionen.14 Diese ist darauf angelegt, das Aushandeln von Arbeitsbedingungen von der individualvertraglichen Ebene auf die kollektive Ebene zu verlagern, um eine Verhandlung auf Augenhöhe zu ermöglichen.15 Zur Gewährleistung dieses Verhandelns auf Augenhöhe, sprich der Verhandlungsparität in den Tarifverhandlungen, können die Tarifparteien auf Arbeitskampfmittel zurückgreifen, um ihre Verhandlungsposition zu stärken.16 Art. 9 Abs. 3 GG garantiert insoweit, dass die Koalitionen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch eine privatautonome Einigung gestalten können.17 Folglich umfasst die kollektive Betätigungsfreiheit der Koalitionen insbesondere auch den Vorgang der Tarifverhandlung als vorgesehenes Instrument zur Harmonisierung widerstreitender Interessen zwischen den sozialen Gegenspielern.18 Das freie Aushandeln von Tarifverträgen gehört nach der Rechtsprechung des BVerfG zu den wesentlichen Zwecken der Koalitionen.19 Der Staat muss sich im Betätigungsfeld der Koalitionen grundsätzlich zurückhalten, um ein freies Aushandeln der Regelungen über die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gewährleisten.20

Indes schützt Art. 9 Abs. 3 GG nur partiell eine natürliche Freiheit.21 Die Tarifvertragsfreiheit bedarf – ähnlich der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG – einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung.22 Daraus resultiert eine verfassungsrechtliche Garantie eines Vertragssystems, welches die autonome Festlegung der Arbeitsbedingungen zwischen den Tarifparteien gewährleistet.23 Aus der Tarifautonomie leitet sich zudem das Prinzip der Chancengleichheit ab. Dieses schützt die Tarifvertragsparteien davor, dass das Verhandlungsgleichgewicht zuungunsten einer Tarifvertragspartei verschoben wird. Die Verhandlungsparität zwischen den Tarifvertragsparteien stellt eine Schranke für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Tarifparteien dar.24 Hierdurch wird sichergestellt, dass nicht eine der Tarifvertragsparteien der anderen von vorneherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern annähernd gleiche Verhandlungschancen bestehen.25

II. Einfachrechtliche Ausgestaltung

Wesentliche Ausgestaltungen dieser verfassungsrechtlichen Garantie eines Vertragssystems stellen die Regelungen des TVG dar. Dort finden sich unter anderem Regelungen zu den möglichen Parteien, Inhalt und Wirkung des Tarifvertrags. Indes finden sich dort keine Regelungen zum genauen Ablauf der Tarifverhandlungen.26 Es fehlen speziell für die Tarifvertragsparteien geltende Regelungen. Aufgrund dieser fehlenden Vorgaben für das Verfahren von Tarifverhandlungen ist ein Rückgriff auf die Regelungen des allgemeinen Zivilrechts erforderlich.27 Trotz seiner normativen Wirkung stellt der Tarifvertrag in erster Linie einen privatrechtlichen Vertrag dar.28 Teilweise müssen die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen aufgrund der besonderen Stellung der Tarifvertragsparteien und der Außenwirkung des Tarifvertrags modifiziert werden.29 Die Rechte und Pflichten zwischen den Tarifparteien innerhalb der Vertragsverhandlungen richten sich grundsätzlich nach dem allgemeinen Vertragsrecht des BGB.30

Zwischen den Tarifparteien gilt dabei insbesondere auch § 242 BGB, mit der Folge, dass sie die jeweiligen Belange der anderen Tarifpartei berücksichtigen müssen.31. Der Große Senat formulierte bereits 1967 in seiner Entscheidung zur Unzumutbarkeit von Differenzierungsklauseln: „Im Verhältnis zwischen Koalitionen gilt § 242 BGB mit dem gleichen Gewicht wie im individuellen Rechtsverkehr. § 242 BGB verbietet es, sich einfach über die Belange des anderen hinwegzusetzen und die eigenen Interessen in einer für den anderen unzumutbaren Weise durchzusetzen“.32 Auch wenn sich mittlerweile das Verständnis der Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln gewandelt hat33, kommt der Aussage des Großen Senats zu § 242 BGB weiterhin Geltung zu.

III. Rückschlüsse für die Verhandlungsphase

Dem folgend können die verhandelnden Tarifparteien die Abläufe bei den Verhandlungen durch Tarifvertrag innerhalb der Grenzen des allgemeinen Vertragsrechts frei regeln. Gem. § 1 Abs. 1 TVG regelt der Tarifvertrag als Schuldverhältnis auch die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien untereinander.34 Neben den tarifvertragsimmanenten Pflichten können die Tarifparteien etwa Verhandlungs- Schlichtungs- oder Informationspflichten im Tarifvertrag regeln.35 In der hier zu untersuchenden Situation des Informationsflusses bei Tarifverhandlungen ist noch kein sanierender Tarifvertrag zwischen den Parteien geschlossen worden, welcher die Rechte und Pflichten der Tarifparteien zueinander regelt. Allerdings kann zwischen den Parteien bereits ein regulärer Flächen- oder Haustarifvertrag bestehen. Aus diesem Tarifvertrag können sich für die Tarifparteien wechselseitige Rücksichtnahme- und Schutzpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB ergeben.36 Eine Ausnahme gilt dann, wenn sich der Tarifvertrag im Nachwirkungsstadium nach § 4 Abs. 5 TVG befindet. Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG beschränkt sich auf den normativen Teil des Tarifvertrags. Die schuldrechtlichen Pflichten zwischen den Tarifvertragsparteien sind der Nachwirkung nicht zugänglich.37 Unabhängig davon geht mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen eine erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf die gegenseitigen Rechtsgüter einher. Für diese Situation sieht das allgemeine Zivilrecht in §§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB vor, dass eine schuldrechtliche Sonderbeziehung zwischen Vertragsparteien bereits im vorvertraglichen Bereich entstehen kann. Insgesamt kann aus der schuldrechtlichen Sonderbeziehung eine gegenseitige Pflichtenbindung der Tarifparteien entstehen, welche den Rahmen der Tarifverhandlungen bestimmt.

1. (Vor-)vertragliches Schuldverhältnis zwischen den Tarifpartnern

§ 311 Abs. 2 BGB normiert, dass ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1); die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut (Nr. 2), oder ähnlichen geschäftlichen Kontakten (Nr. 3) entstehen kann. Liegt bereits ein wirksamer Tarifvertrag zwischen den Parteien vor, so folgt die Pflichtenbindung nach § 241 Abs. 2 BGB unmittelbar aus dem Tarifvertrag.

Ziel des vorvertraglichen Schuldverhältnisses ist es, die potentiellen Vertragspartner vor Schäden an ihren Rechtsgütern zu schützen.38 Der mit der Vertragsanbahnung bzw. Aufnahme von Vertragsverhandlungen verstärkten Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtspositionen der Gegenseite, wird so Rechnung getragen. Sie wird um korrespondierende Rücksichtnahme- und Schutzpflichten ergänzt. Diese Rücksichtnahme- und Schutzpflichten führen dazu, dass die potentielle Vertragspartei in gesteigertem Maße auf die Wahrung ihrer Interessen durch die Gegenseite vertrauen kann.39 Für die Rahmenbedingungen bei Tarifverhandlungen bedeutet dies, dass sich aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses konkrete Pflichten ergeben können.

Parteien des (vor-)vertraglichen Schuldverhältnisses sind diejenigen, die Partei des in Aussicht genommenen Vertrages wären, bzw. Vertragsparteien sind.40 Für die beiden möglichen Vertragskonstellationen – den Haustarifvertrag und den unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag – ist zu untersuchen, zwischen welchen Parteien ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande kommt.

a. Firmentarifvertrag

In dem Fall, indem das Unternehmen selbst Tarifpartei eines Firmentarifvertrags werden soll, entsteht das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft, als (potentiellen) Vertragspartnern.41 In der Kontaktaufnahme zwischen den beiden Tarifparteien liegt regelmäßig die Aufnahme von Vertragsverhandlungen im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB.42 Überdies liegt in der Kontaktaufnahme zwischen Unternehmen und Gewerkschaft die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt.43 Wie noch aufzuzeigen sein wird, besteht gerade in der Sanierungssituation eine verstärkte Einwirkungsmöglichkeit auf bestimmte Rechtsgüter des Arbeitgebers. Diese erhöhte Einwirkungsmöglichkeit rechtfertigt das Entstehen korrespondierender Verhaltens- und Schutzpflichten zwischen den Parteien.

b. Unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag

Anders liegen die Dinge beim Abschluss eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags: Dieser ist zwar hinsichtlich seines betrieblichen, personellen und räumlichen Geltungsbereichs auf das Unternehmen beschränkt. Allerdings ändert dies nichts an seiner Rechtsnatur als Verbandstarifvertrag. Das Unternehmen wird nicht Vertragspartner der Gewerkschaft, sondern der Arbeitgeberverband. Demnach entsteht durch die Aufnahme der Tarifverhandlungen das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen dem Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft und nicht mit dem verbandsangehörigen Unternehmen.44

Freilich kommt die Einbeziehung des verbandsangehörigen notleidenden Unternehmens nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – wie er in § 311 Abs. 3 BGB45 angedeutet ist – in Betracht.46 Dieses Institut führt dazu, dass schutzbedürftige Dritte, welche nicht Partei des Schuldverhältnisses sind in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses mit einbezogen werden. Voraussetzungen für die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses sind im Einzelnen: Die Schutzbedürftigkeit des Dritten, die Leistungs- und Gläubigernähe, sowie die Erkenn- und Zumutbarkeit für die andere Vertragspartei.47

Diese Voraussetzungen sind bei Verhandlung eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags in aller Regel erfüllt. Dem Unternehmen fehlt ein eigener vertraglicher Anspruch gegen die Gewerkschaft, sodass die Schutzbedürftigkeit gegeben ist.48 Da der Geltungsbereich des Verbandstarifvertrags auf das Unternehmen beschränkt wird, liegt auch die erforderliche Leistungsnähe vor: Das Unternehmen kommt bestimmungsgemäß mit der Leistung des Sanierungstarifvertrags in Berührung.49 Aufgrund der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband besteht ein besonderes Näheverhältnis zum Gläubiger, welches für die Gewerkschaft erkennbar ist.50 Zudem steht die Tatsache, dass der sanierende Tarifvertrag noch nicht abgeschlossen wurde, der Einbeziehung des Unternehmens in den Schutzbereich des vorvertraglichen Schuldverhältnisses nicht entgegen: Die Schutz- und Fürsorgepflicht stellen den maßgeblichen Inhalt des vorvertraglichen Schuldverhältnisses dar, und der Vertragspartner schuldet diese vor wie nach Vertragsschluss.51

c. Zwischenergebnis

Sind die Verhandlungspartner bereits durch einen geltenden Tarifvertrag verbunden, ergeben sich daraus wechselseitige Schutz- und Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB. Besteht keine Sonderbeziehung, dann entsteht durch die Aufnahme von Tarifverhandlungen zwischen den Beteiligten ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Bei Verhandlung eines Haustarifvertrags entsteht dieses vorvertragliche Schuldverhältnis direkt zwischen dem Unternehmen und der Gewerkschaft, während bei Verhandlung eines unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft entsteht. In diesem Fall ist das Unternehmen über die Grundsätze des vorvertraglichen Schuldverhältnisses mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in das vorvertragliche Schuldverhältnis einbezogen. Diese schuldrechtliche Sonderbeziehung ist für die Bestimmung der Rahmenbedingungen bei Tarifverhandlungen wesentlich. Aus ihr leiten sich bereits im Verhandlungsstadium konkrete Pflichten zwischen den Parteien ab.

2. Folge: Entstehen von Rücksichtnahme- und Schutzpflichten
a. Umfang der gegenseitigen Pflichtenbindung
aa. Kriterien zur Bestimmung des Pflichtenkatalogs

Wie dargestellt, besteht zwischen dem notleidenden Unternehmen und der Gewerkschaft eine schuldrechtliche Sonderverbindung. Dies gilt unabhängig davon, ob ein unternehmensbezogener Verbandstarifvertrag oder ein Haustarifvertrag verhandelt wird. Dieses (vor-)vertragliche Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten, § 241 Abs. 2 BGB.

Den konkreten Umfang der Nebenpflichten bestimmt § 241 Abs. 2 BGB nicht, sondern belässt dem Rechtsanwender Wertungsspielräume. Maßgebend für die Konkretisierung des Pflichtenkatalogs im Einzelfall sind unter anderem die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter der Gegenseite, Zumutbarkeit der Rücksichtnahme- und Schutzpflichten für die jeweilige Partei, sowie der Grad des wünschenswerten Vertrauens innerhalb der Sonderbeziehung.52 Diese Anknüpfung an die Natur des Schuldverhältnisses macht es möglich, den Pflichtenkatalog an den Besonderheiten der schuldrechtlichen Beziehung auszurichten. Bei der Bestimmung der gegenseitigen Pflichten sind auch die Grundrechte aufgrund ihrer mittelbaren Drittwirkung zu beachten.53 Der unbestimmte Umfang der gegenseitigen Pflichtenbindung dient als Einfallstor für die verfassungsrechtlichen Wertungen der Grundrechte.54 Insgesamt können auch die Charakteristika von Tarifverhandlungen im Verhältnis zu regulären Vertragsverhandlungen angemessen berücksichtigt werden.

Allgemein ist für die Situation der Tarifverhandlungen zu beachten, dass sich die Verhandlungspartner nicht gegenseitig aussuchen können: Die Tarifpartner können nicht dadurch Druck ausüben, dass sie drohen, das Geschäft mit einer anderen Partei abzuschließen.55 Die Tarifparteien sind enger als typische Vertragsparteien aneinander gebunden und in gesteigerter Hinsicht auf einen redlichen und loyalen gegenseitigen Umgang angewiesen.56 Übereinstimmend zu diesen Grundgedanken schlägt Mikosch für die gegenseitigen Pflichten bei Tarifverhandlungen vor, konkrete Verhaltens-, Schutz- und Loyalitätspflichten aus der Enge des schon bestehenden Kontakts zwischen den Tarifvertragsparteien zu ermitteln, also letztlich danach wieweit eine Einflussnahme auf die gegenseitigen Interessen möglich ist, und inwieweit etwaige Vertragsverhandlungen schon fortgeschritten sind.57 Weitergehend können aus der Art der Beziehung zwischen den Tarifparteien, also letztlich aus der Natur des Schuldverhältnisses, unterschiedliche Verhaltenspflichten hergeleitet werden.

bb. Informationspflicht über die wirtschaftliche Lage?

Hinsichtlich des untersuchungsgegenständlichen Informationsflusses bei Tarifverhandlung stellt sich die Frage, ob zwischen den Tarifvertragsparteien auch Informationspflichten bezüglich der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens als Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entstehen können.58

(1) Allgemeine Kriterien zur Begründung einer Informationspflicht

Im Ausgangspunkt steht die Eigenverantwortlichkeit der Vertragsparteien: Grundsätzlich trägt jede Vertragspartei ihr eigenes Informationsrisiko und hat sich selbstständig die für ihre Vertragsentscheidung maßgeblichen Informationen zu beschaffen.59 Abweichend von diesem Grundsatz erkennen Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend an, dass aus § 241 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben Informationspflichten resultieren können.60 Voraussetzung für das Entstehen einer Informationspflicht ist nach der Rechtsprechung: „[…] dass der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind.61

Mit anderen Worten muss zwischen den Verhandlungsparteien bezüglich der erkennbar verhandlungserheblichen Informationen ein Informationsgefälle bestehen.62 Der eine Teil muss ein berechtigtes Informationsbedürfnis haben und die Informationen dürfen nicht anderweitig beschaffbar sein.63 Diese Informationsasymmetrie muss im Ergebnis unbillig erscheinen.64 Inhalt und Umfang der geschuldeten Informationserteilung ist anhand einer wertenden Gesamtabwägung zu ermitteln.65 Die Annahme einer Informationspflicht darf der vertragstypischen Eigenverantwortlichkeit und Risikoverteilung nicht widersprechen oder aus anderen Gründen unzumutbar sein.66

(2) Anwendung auf reguläre Tarifverhandlungen

Details

Seiten
360
Jahr
2023
ISBN (PDF)
9783631903636
ISBN (ePUB)
9783631903643
ISBN (Hardcover)
9783631897928
DOI
10.3726/b20923
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Juli)
Schlagworte
Confidential Information Trade Unions Restrictions and Regulations
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 360 S.

Biographische Angaben

Tillmann Vitt (Autor:in)

Tillmann Vitt studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Er absolvierte zudem den Masterstudiengang Wirtschaftsrecht (LL.M.) an der Universität zu Köln. Seit Dezember 2021 ist er Rechtsreferendar am Landgericht Bonn.

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Titel: Informationsfluss und Geheimnisschutz bei Tarifverhandlungen
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