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Lexikalische Variation in Patientenbriefen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts

von Sabrina Freund (Autor:in)
©2024 Monographie XX, 390 Seiten

Zusammenfassung

Diese soziolinguistische Arbeit erforscht anhand von vorwiegend süddeutschen Patientenbriefen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus dem Corpus of Patient Documents, wie externe Einflussfaktoren und die Fähigkeit zu strategischer Variation auf der sprachlichen Ebene der Lexik zusammenwirken. Die aus sechs Studien bestehende Untersuchung basiert auf rund 700 Egodokumenten von 80 Schreibern aus unterschiedlichen sozialen Gruppen. Dabei wird der Einfluss von Geschlecht, Alter, im Berufsleben erworbener Schreibroutine und psychischer Erkrankung sowie die Wirkung vielerlei Kommunikationssituationen und Textsorten auf Lexik wie Fremdwörter, Emotionswortschatz oder Personennamen analysiert. Der Einbezug von Textsorten unterschiedlicher Formalität und einer bisher kaum beachteten Schreibergruppe trägt so zum Ausbau einer Sprachgeschichte „von unten" bei.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Danksagung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • KAPITEL 1 Einleitung
  • 1.1 Fragestellung und Ziele
  • 1.2 Vorgehensweise
  • KAPITEL 2 Forschungsstand
  • 2.1 Perspektive: Historische Soziolinguistik und Sprachgeschichte „von unten“
  • 2.2 Determination und Flexibilität
  • 2.3 Briefe als Quelle der historischen Soziolinguistik
  • 2.4 Die lexikalisch-semantische Ebene
  • 2.5 Soziolinguistische Studien zu historischer Lexik und Semantik
  • KAPITEL 3 Datengrundlage und Methodik
  • 3.1 Umstände der Textentstehung und Datenerhebung
  • 3.2 Text- und Schreiberstatistiken
  • 3.3 Transkriptionsrichtlinien, Annotation und Zitierweise
  • 3.4 Methodik: Kombination quantitativer und qualitativer Analysen
  • 3.5 Schreiberauswahl für Subkorpora
  • KAPITEL 4 Lebensalter und intraindividuelle Veränderungen der Lexik
  • 4.1 Forschung zu Sprache und Alter
  • 4.2 Untersuchung der Entwicklung von Lexik bei Langzeitpatienten
  • 4.3 Flexibles Schreiben: Strategische Stilisierung von Alter
  • KAPITEL 5 Psychische Erkrankung und lexikalische Variation im Emotionswortschatz
  • 5.1 Krankheit und Sprache – Patholinguistik aus historischer Perspektive
  • 5.2 Das historische Krankheitsbild der „Melancholie“
  • 5.3 Erforschung sprachlicher Auswirkungen psychischer Erkrankung
  • 5.4 Vorgehensweise
  • 5.5 Unterschiede im Gebrauch der Wortfelder „Emotion“ und „Tod“
  • 5.6 Einflüsse anderer psychischer Erkrankungen auf die Lexik in historischen Patientenbriefen
  • KAPITEL 6 Schreibroutine und Fremdwortgebrauch
  • 6.1 Fremdwörter im metasprachlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts
  • 6.2 Methodik und Untersuchungskorpus
  • 6.3 Beeinflussende externe Faktoren: Schreibroutine
  • 6.4 Analyse der Fremdworttokens von Einzelschreibern
  • 6.5 Strategischer Fremdwortgebrauch und Identitätsprojektion
  • KAPITEL 7 Adressatenspezifische Variation im Origobezug
  • 7.1 Origobezug als Merkmal distanz- und nähesprachlicher Konzeption
  • 7.2 Methodik: Subkorpus aus Briefen an den König und Annotationskategorien
  • 7.3 Ergebnisse
  • KAPITEL 8 Strategische und adressatenspezifische Variation von Personennamen
  • 8.1 Forschungsstand: Stilistische und kommunikative Funktionen von Namen
  • 8.2 Vorgehen bei der Analyse von Namenvariation
  • 8.3 Ergebnisse der Untersuchung zur Variation von Namenarten
  • KAPITEL 9 Sprachliche Flexibilität und lexikalische Selbstkorrekturen
  • 9.1 Selbstkorrekturen als Indikatoren für Sprachbewusstsein
  • 9.2 Korrekturkategorien und Analysemerkmale
  • 9.3 Motive und Faktoren für lexikalische Selbstkorrekturen
  • 9.4 Lexikalische Selbstkorrekturen in Kommunikationsstrategien
  • KAPITEL 10 Zusammenfassung
  • 10.1 Grundlagen: Daten und Theorien
  • 10.2 Determination durch außersprachliche Faktoren
  • 10.3 Grenzen der Determination und Möglichkeiten sprachlicher Flexibilität
  • 10.4 Fazit: Fortschritte und Erkenntnisse
  • 10.5 Ausblick: Möglichkeiten für zukünftige Forschung
  • Literatur
  • Patientenaktenregister
  • Sachregister

Danksagung

Nach dem Abschluss meiner Promotion ist es mir an dieser Stelle ein Anliegen, meine Anerkennung und meinen Dank den vielen Personen auszudrücken, die mich durch dieses Projekt hindurch und auch schon vorher begleitet und unterstützt haben.

Zu Beginn möchte ich meinen Eltern danken, die mich von Anfang an bei all meinen Entscheidungen und vor allem bei meinem Studium immer unterstützt haben. Prof. Dr. Mechthild Habermann möchte ich dafür danken, dass sie mein Interesse für die historische Sprachwissenschaft früh geweckt hat und mir während meines Studiums und der Promotion immer als Mentorin mit wertvollen Ratschlägen zur Seite stand.

Größter Dank gebührt PD Dr. Markus Schiegg, der durch die Entdeckung der Patientenbriefe als Quelle und die Etablierung der vom Elitenetzwerk Bayern dankenswerterweise großzügig geförderten Nachwuchsforschungsgruppe „Flexible Schreiber in der Sprachgeschichte“ und den damit verbundenen Aufbau des Corpus of Patient Documents die Arbeit mit diesen Sprachdaten in meinem Teilprojekt erst durchführbar machte. Seine hervorragende Betreuung und hilfreichen Hinweise während der gesamten Arbeitsphase und die Ermöglichung von Chancen wie Publikationen oder Besuchen von Konferenzen schafften optimale Bedingungen für das Gelingen meines Projekts.

Besonderer Dank gilt auch meinen Kolleginnen und Kollegen; der starke freundschaftliche Zusammenhalt und die fachliche und emotionale Unterstützung von Franziska Eber-Hammerl und Monika Foldenauer haben die Phase der Promotion deutlich angenehmer gemacht, die Gespräche mit Joachim Peters haben mich stets motiviert, inspiriert und aufgebaut.

Für fachliche Förderung, interessante Vorträge und spannenden Austausch bin ich den Mitgliedern des Historical Sociolinguistics Network sehr dankbar, deren Konferenzen und Summer Schools mir wichtige Einblicke in aktuelle Fragestellungen und Anschluss meiner Arbeiten an die internationale Forschung gestatteten.

Zuletzt möchte ich mich herzlich bei Franziska Eber-Hammerl, Monika Foldenauer, Katharina Gunkler-Frank, Timo Kunert, Sofia Ramisch, Julian Mader und Luzia Pätzel für ihre nützlichen Hinweise, konstruktiven Gespräche und Korrekturlesungen bedanken. Monika Foldenauer bin ich darüber hinaus für ihre Hilfe bei statistischen Berechnungen und Visualisierungen dankbar.

Die Arbeit wurde im April 2022 an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg unter dem Titel „Zwischen Determination und Flexibilität. Variation auf lexikalisch-semantischer Ebene bei Schreibern des 19. Jahrhunderts“ als Dissertation angenommen und dank der hilfreichen Gutachten von PD Dr. Markus Schiegg und Prof. Dr. Mechthild Habermann für die Drucklegung geringfügig überarbeitet.

Für das Aufnehmen der Arbeit in die Reihe Historical Sociolinguistics. Studies on Language and Society in the Past danke ich den Herausgebern und dem Peter Lang Verlag sowie Laurel Plapp, die die Publikation der Arbeit betreute.

Erlangen, im Mai 2023 Sabrina Freund

KAPITEL 1

Einleitung

Darum wird er verzeihen, daß ich mich durch das Latein mit dem Gewande der Gelehrtheit umkleidet, welches in Wahrheit aber nicht der Fall ist.

Haushälterin Sophie S. (Dor-96), an ihre Nichte (undatiert, ca. 1895–1909)

Diese Aussage aus einem Brief der Haushälterin Sophie S. (Dor-96) an ihre Nichte illustriert anschaulich den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Die Schreiberin reflektiert hier ihren Gebrauch von Fremdwörtern (in diesem Brief z. B. Concept, Reminicenzen, contrastieren, Exkuse) und Zitaten auf Latein und bittet die Empfängerin um Verzeihung, dass die lateinische Sprache den Eindruck hoher Bildung erweckt, während sie jedoch ihrer eigenen Ansicht nach nicht wirklich gebildet ist. Das Zitat zeigt, wie Schreiber sich zur Projektion bestimmter Eigenschaften oder Identitäten intentional verschiedener Codes oder Sprachformen bedienen können, um gegebenenfalls selbst Einfluss auf die entsprechenden Kommunikationssituationen zu nehmen, obwohl die außersprachlichen Gegebenheiten wie bspw. ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppierung oder ihr Bildungsgrad nicht mit der projizierten Persönlichkeit übereinstimmen.

Das sprachlich flexible Agieren ist jedem Sprecher und jeder Sprecherin in einem gewissen Umfang möglich, sodass die interindividuelle Variation, die durch extralinguistische soziale, mentale und physische Faktoren verursacht sein kann, immer auch zusammen mit intraindividueller Variation vorliegt, wie bspw. die Arbeit von Macha (1991) zeigte. Das Betrachten dieser intraindividuellen Variation erlaubt ein detaillierteres Bild von stilistischer Variation innerhalb einer Sprache und stellt das Primat der sozialen Struktur zugunsten einer individuellen Handlungsfähigkeit der Sprecher in Frage. Obgleich in den letzten Jahren Studien zu intraindividueller Variation in der Historischen Soziolinguistik häufiger werden, liegen trotz des zu erwartenden Erkenntnisgewinns kaum ausführlichere Untersuchungen zu diesem Phänomen für historische Daten vor. Daher führt Schiegg (2022) nach seinem bedeutenden Archivfund von tausenden Egodokumenten von Patienten psychiatrischer Anstalten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Studien zu intraindividueller Variation auf Grundlage dieser neuen Quelle umfassend und unter der Entwicklung eines Modells zur Auswertung derselben durch.

Ein sehr großes Desiderat im Bereich der intraindividuellen Variation besteht aber unter anderem auf der lexikalisch-semantischen Ebene, obwohl lexikalische und semantische Kategorien für die Variation zwischen verschiedenen Codes oder Varietäten und deren Differenzierung essenziell sind und in beträchtlichem Ausmaß an der (bewussten) Variation zwischen Codes teilhaben. Die vorliegende Arbeit soll sich folglich nun dezidiert der Erforschung von Variation auf der lexikalischen Ebene widmen.

1.1 Fragestellung und Ziele

Um das eben skizzierte Forschungsinteresse zu bearbeiten, werden empirische Analysen mit drei Teilzielen vorgenommen:

Details

Seiten
XX, 390
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9781803742724
ISBN (ePUB)
9781803742731
ISBN (Paperback)
9781803742717
DOI
10.3726/b21036
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2023 (Dezember)
Schlagworte
Linguistik Soziolinguistik Historische Sprachwissenschaft Variationslinguistik Sprachgeschichte Deutsch Lexik Semantik Intraindividuelle Variation 19. Jahrhundert 20. Jahrhundert Patientenbriefe Briefquellen Süddeutschland Sprachgebrauch Lexikalische Variation in Patientenbriefen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Sabrina Freund
Erschienen
Oxford, Berlin, Bruxelles, Chennai, Lausanne, New York, 2024. XX, 390 S., 2 farb. Abb., 53 s/w Abb., 12 Tab.

Biographische Angaben

Sabrina Freund (Autor:in)

Sabrina Freund promovierte am Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und ist dort derzeit am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen historische Soziolinguistik, Variationslinguistik und Psychiatriegeschichte.

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