Lade Inhalt...

Der finanzgerichtliche Prozessvergleich

von Elisabeth Catherine Wöhrle (Autor:in)
©2024 Dissertation 374 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit befasst sich mit der seit jeher umstrittenen Frage nach der Zulässigkeit der Vergleiche im Steuerrecht; dies im Schwerpunkt mit der gänzlich unbeantworteten Frage nach der Zulässigkeit von Vergleichen vor der Finanzgerichtsbarkeit. Das Feld für den finanzgerichtlichen Prozessvergleich ist weit. Die Möglichkeiten zur konsensualen Streitbeilegung innerhalb der Finanzgerichtsbarkeit sind, trotz der, im Vergleich zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit überproportional konsensual erledigten Fälle, unterausgeprägt. Unter empirischen Gesichtspunkten zeigt sich, dass einvernehmliche Verfahrensbeendigungen im finanzgerichtlichen Verfahren die Mehrheit der erledigten Fälle bilden, obschon deren rechtliche Möglichkeiten unter verfahrensvergleichenden Gesichtspunkten eingeschränkt sind. Diese Arbeit macht es sich unter anderem zum Gegenstand zu prüfen, welche nationalen und internationalen Auswirkungen die Einführung eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs mit sich bringt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Kapitel 1: Konsensuales Verwaltungshandeln im Steuerrecht
  • A. Einleitung
  • I. Problemaufriss
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Das kooperative Besteuerungsverfahren
  • I. Typologie des kooperativen Besteuerungsverfahrens
  • II. Begriffsbestimmungen und Abgrenzung der konsensualen Handlungsformen
  • 1. Der Vergleichsvertrag in der deutschen Rechtsordnung
  • 2. Abgrenzung des Vergleichsvertrages zu anderen öffentlich-rechtlichen Verträgen und vertragsähnlichen Handlungsformen
  • 3. Abgrenzung des Vergleichsvertrages zu privatrechtlichen Verträgen
  • III. Die sog. tatsächliche Verständigung
  • 1. Rechtsnatur der sog. tatsächlichen Verständigung und Rechtsgrundlage für deren Bindungswirkung
  • a) Meinungsstand des BFH
  • b) Meinungsstand der Literatur
  • c) Stellungnahme
  • 2. Zulässigkeit und Voraussetzungen der tatsächlichen Verständigung
  • Kapitel 2: Die Vergleichsfähigkeit und der Vergleichsbedarf im materiellen Steuerrecht
  • A. Notwendigkeit einer weiteren materiellen Handlungs- und Rechtsform und Phänomenologie des kooperativen Besteuerungsverfahrens
  • B. Der Vergleichsvertrag im Verwaltungsrecht als Grundlage für die Entwicklung des steuerrechtlichen Vergleichsvertrages
  • I. Voraussetzungen des Vergleichsvertrages
  • 1. Ungewissheit über den Sachverhalt oder die Rechtslage
  • a) Ungewissheit über den Sachverhalt
  • b) Ungewissheit über die Rechtslage
  • c) Ungewissheit bei verständiger Würdigung
  • 2. Gegenseitiges Nachgeben
  • 3. Pflichtgemäßes Ermessen
  • II. Voraussetzungen des Austauschvergleichsvertrages
  • C. Argumente für und wider die Zulässigkeit eines materiellen Vergleichsvertrages
  • I. Entwicklungsstand der Rechtsprechung
  • 1. Rechtsprechung des RFH und BFH
  • 2. Rechtsprechung der Finanzgerichte
  • 3. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
  • II. Meinungsstand der Literatur
  • III. Die Postulate der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit in anderen Gebieten des Verwaltungsrechts
  • IV. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung als Maßstab für Verwaltungshandeln (Art. 20 Abs. 3 GG, § 85 S. 1 AO)
  • 1. Die Fiktion des einzig richtigen Ergebnisses
  • 2. Das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Steuer
  • 3. Das Privileg gesteigerter Unempfindlichkeit gegenüber Gesetzesverletzungen
  • 4. Unterscheidung zwischen Rechtsform und Inhalt des Verwaltungshandelns
  • 5. Handlungsspielräume der Verwaltung, Dispositionsbefugnisse und gesetzliche Beweismaßreduktion im Steuerrecht
  • a) Ermessen und Konkretisierungsspielräume
  • b) Gesetzliche Dispositionsbefugnisse und gesetzliche Beweismaßreduktion
  • c) Zwischenergebnis
  • 6. Gebundene Verwaltung: Pflichtgemäßes Ermessen der Verwaltung
  • a) Vergleiche über die Steuerpflicht der Höhe nach
  • b) Vergleiche über die Steuerpflicht dem Grunde nach
  • V. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung als Maßstab für Verwaltungshandeln (Art. 3 Abs. 1 GG, § 85 S. 1 AO)
  • VI. Der Untersuchungsgrundsatz im Besteuerungsverfahren
  • 1. Finanzbehördliche Aufklärungspflicht in der Massenverwaltung
  • 2. Der Untersuchungsgrundsatz und die Strukturprinzipien der Verifikation und Kooperation im Rahmen der Massenverwaltung
  • a) Verifikation und Untersuchungsgrundsatz
  • b) Kooperationsmaxime und Untersuchungsgrundsatz
  • aa) Überblick zur Kooperationsmaxime
  • bb) Kooperation als gemeinsame Zusammenarbeit
  • cc) Kooperationsmaxime und Tax-Compliance-Strategie
  • 3. Der steuerrechtliche Vergleichsvertrag als Instrument der Massenverwaltung
  • VII. Das allgemeine Vertragsformverbot im Steuerrecht
  • 1. Erörterungstermine als Argument für die Fortbildung des Verfahrensrechts (§§ 201 AO, 364a AO, § 79 Abs. 1 S. 2 FGO)
  • a) Die Schlussbesprechung (§ 201 AO)
  • b) Gerichtliche und außergerichtliche Erörterungstermine
  • 2. Punktuelle Normierung von Verträgen im Steuerrecht
  • 3. Besondere Vertragsformverbote
  • a) § 155 Abs. 1 S. 1 AO
  • b) § 191 Abs. 1 AO
  • D. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Kapitel 3: Der materielle steuerrechtliche Vergleichsvertrag
  • A. Einführung des Vergleichsvertrages in die AO: Lösungsmöglichkeiten
  • I. Möglichkeit einer analogen Anwendung der §§ 54 ff. VwVfG, §§ 53 ff. SGB X
  • 1. Planwidrige Regelungslücke?
  • a) Die Rechtsfortbildung einer weiteren Handlungsform in der AO
  • b) Entgegenstehen des VwVfG
  • c) Steuern, die durch die Gemeinden verwaltet werden und Kommunalabgaben
  • 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage
  • II. Entgegenstehen des Gesetzesvorbehalts oder des Parlamentsvorbehalts?
  • B. Erscheinungsformen eines steuerrechtlichen Vergleichsvertrages im Besteuerungsverfahren
  • I. Der steuerrechtliche Vergleichsvertrag nach Verfahrensstadien
  • 1. Der steuerrechtliche Vergleich im Erhebungsverfahren
  • 2. Der steuerrechtliche Vergleich über vollstreckungsrechtliche Regelungen
  • a) Inhalt einer vollstreckungsrechtlichen Vergleichsvereinbarung
  • b) Rechtswegeröffnung für Streitigkeiten aus dem Vergleich
  • 3. Der steuerrechtliche Vergleich im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren
  • a) Der Vergleichsbeitrag der Finanzbehörde
  • b) Der Vergleichsbeitrag des Steuerpflichtigen
  • II. Der steuerrechtliche Austausch(vergleichs-)vertrag
  • C. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Kapitel 4: Der finanzgerichtliche Prozessvergleich
  • A. Konsensuale Streitbeilegung im finanzgerichtlichen Verfahren
  • I. Bestandsaufnahme der erledigten Verfahren vor den Finanzgerichten im Vergleich mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit
  • II. Phänomenologie der prozessualen konsensualen Streitbeilegung
  • 1. Erörterungstermine
  • 2. Übereinstimmende Erledigungserklärung
  • 3. Mediation und Güterichtermodell
  • III. Notwendigkeit der Anerkennung des finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • 1. Änderungs-/Aufhebungszusagen der Finanzbehörde und übereinstimmende Erledigungserklärung
  • 2. Die Änderungs-/Aufhebungszusage der Finanzbehörde unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung und Aussetzungszinsen
  • 3. Die Mediation und Güterichtermodell als angemessene Mittel zur Streitbeilegung?
  • 4. Stellungnahme
  • B. Argumente für und wider die Zulässigkeit eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • I. Entwicklungsstand der Rechtsprechung
  • II. Meinungsstand der Literatur
  • III. Prozessrechtliche Argumente
  • 1. Der finanzgerichtliche Untersuchungsgrundsatz
  • a) Der Untersuchungsgrundsatz in der Erstinstanz
  • b) Der Untersuchungsgrundsatz im Revisionsverfahren
  • c) Mitwirkungspflichten im finanzgerichtlichen Verfahren
  • 2. Die Dispositionsmaxime im finanzgerichtlichen Verfahren
  • a) Inhalt der finanzgerichtlichen Dispositionsmaxime
  • b) Die Dispositionsmaxime des Steuerpflichtigen
  • c) Ausprägungen der Dispositionsmaxime für die Finanzbehörde
  • aa) Die Besonderheit des § 100 Abs. 2 S. 2 FGO
  • bb) Verhinderung von BFH-Entscheidungen
  • 3. Die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit
  • 4. Der Prozessvergleich in Abstimmung mit bestehenden Regelungen der FGO
  • IV. Materiell-rechtliche Argumente
  • 1. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG, § 85 S. 1 AO)
  • 2. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG, § 85 S. 1 AO)
  • V. Korrelation zwischen materiellem Recht und dem Prozessrecht?
  • 1. Auswirkungen der fehlenden prozessualen Normierung des Vergleichs
  • 2. Antizipation des Verfahrensrechts
  • 3. Einführung einer reinen prozessualen Lösung
  • VI. Das finanzgerichtliche Anerkenntnis- und Verzichtsurteil
  • C. Einführung eines Prozessvergleichs in die FGO: Lösungsmöglichkeiten
  • I. Möglichkeit einer analogen Anwendung der § 106 VwGO, § 101 Abs. 1 SGG
  • 1. Anwendbarkeit der zivilprozessualen Vergleichsvorschriften
  • 2. Planwidrige Regelungslücke
  • 3. Vergleichbarkeit der Interessenlage
  • II. Regelung durch den Gesetzgeber oder richterliche Rechtsfortbildung
  • D. Voraussetzungen eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • I. Prozessuale Voraussetzungen
  • II. Die Voraussetzung der „Verfügungsbefugnis“
  • 1. Begriffliche und inhaltliche Einordnung der „Verfügungsbefugnis“
  • 2. Gespaltene „Verfügungsbefugnis“ im Drittverhältnis und behördliche Mitwirkungspflicht
  • III. Materiell-rechtliche Voraussetzungen
  • 1. Gegenseitiges Nachgeben
  • 2. Ungewissheit über die steuerrechtliche Rechtslage
  • a) Auswirkungen von Nichtanwendungserlassen für die Ungewissheit der Rechtslage
  • b) Auswirkungen von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften für die Ungewissheit der Rechtslage
  • c) Auswirkungen von Pauschalierungs- und Typisierungsrichtlinien für die Ungewissheit der Rechtslage
  • d) Auswirkungen von Ermessensrichtlinien für die Ungewissheit der Rechtslage
  • e) Auswirkungen von Ermessensentscheidungen für die Ungewissheit der Rechtslage
  • f) Zwischenergebnis
  • 3. Ungewissheit über die steuerrechtliche Sachlage
  • a) Unangemessener, unzumutbarer oder unmöglicher Aufklärungsaufwand
  • aa) Auswirkungen der Beweislast für die Sachverhaltsungewissheit
  • bb) Bestimmung des Umfangs der Ermittlungen
  • (i) Umstände des Einzelfalls, Abs. 1
  • (ii) Wahrheitsgemäße Aufklärung des Sachverhalts, Abs. 1
  • (iii) Neutralitäts-, Objektivitäts- und Vollständigkeitsgebot
  • cc) Verfahrensermessen
  • (i) Verhältnis der verfahrensermessensleitenden Vorgaben
  • (ii) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
  • (iii) Wirtschaftlichkeitsgrundsatz
  • (iv) Zweckmäßigkeitsgrundsatz
  • (v) Allgemeine Verwaltungserfahrungen
  • b) Sachverhaltsaufklärung als Mitwirkungspflicht im Rahmen des Vergleichsvertrages
  • c) Mehrere Sachverhaltsvarianten und gesetzliche Beweismaßreduktion
  • d) Pflichtgemäßes Ermessen
  • E. Inhalt und Erscheinungsformen eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • I. Vergleichseignung der Prozessmaterie?
  • II. Erscheinungsformen des finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • III. Inhalt finanzgerichtlicher Prozessvergleiche
  • 1. Umsetzung der Einigung
  • 2. Belastende Steuerverwaltungsakte als Vertragsbestandteil
  • 3. Begünstigende Steuerverwaltungsakte als Vertragsbestandteil
  • 4. Öffentlich-rechtliche Verträge als materieller Vertragsbestandteil des Prozessvergleichs
  • 5. Ausgewählte Anwendungsfälle
  • a) Aufteilungen, Abgrenzungen, (Be-)Wertungen, Schätzungen
  • b) Vergleiche in Insolvenz und Restrukturierung
  • aa) Das Verhältnis von Steuer- und Insolvenzrecht
  • bb) Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Dispositionsbefugnis der Finanzbehörde
  • cc) Besonderheiten der föderalen Verwaltungskooperation im Insolvenzverfahren
  • dd) Parteien des Vergleichs
  • ee) Besonderheiten der außergerichtlichen Schuldenbereinigung
  • ff) Besonderheiten bei Restrukturierungsplan und Sanierungsvergleich
  • c) Inhalt und Ausgestaltung möglicher Vertragsklauseln
  • aa) Abgeltungsklauseln
  • bb) Abwicklungsmodi, Fälligkeitsbestimmungen und Verfallklauseln
  • cc) Klauseln über ein etwaiges Rückgewährschuldverhältnis
  • dd) Feststellungen
  • F. Umfang, Reichweite und Grenzen eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • I. Auswirkungen der Prozessfürsorgepflicht auf den Prozessvergleich
  • II. Der fehlerhafte steuerrechtliche Vergleichsvertrag
  • 1. Nichtigkeitsregeln für den steuerrechtlichen Vergleichsvertrag
  • a) § 59 Abs. 1 VwVfG, § 58 Abs. 1 SGB X
  • b) § 59 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, § 58 Abs. 2 Nr. 3 SGB X
  • c) Koppelungsverbot, § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, § 58 Abs. 2 Nr. 4 SGB X
  • aa) Anwendbarkeit im Steuerrecht
  • bb) Inhalt und Ausprägungen im Steuerrecht
  • 2. Analoge Anwendung der Korrekturvorschriften der AO
  • 3. Materiell-rechtliche Grenzen des steuerrechtlichen Vergleichsvertrages
  • a) Allgemeine Grundsätze des öffentlichen Rechts und des Steuerrechts
  • aa) Die Grenze des Rechtsmissbrauchs
  • bb) Inhaltliche Evidenzkontrolle des Vergleichsvertrages
  • b) Unionsrechtliche Grenzen
  • c) Zwischenergebnis
  • III. Anfechtbarkeit von vergleichsweise abgegebenen Willenserklärungen
  • IV. Anpassung und Kündigung des Vergleichsvertrages
  • V. Umfang und Reichweite der Vertragsbindung
  • 1. Zeitliche Grenzen der Vertragsbindung
  • 2. Steuerübergreifende Vergleichsverträge
  • a) „Paketlösungen“ innerhalb einer Steuerart
  • b) Steuerartübergreifender Vergleichsvertrag
  • G. Vollstreckbarkeit des finanzgerichtlichen Prozessvergleichs
  • I. Bestimmung der für die Vollstreckung relevanten Normen
  • II. Rückgriff auf bestehende Institute: Verpflichtungsklage oder Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens
  • III. Rückgriff auf VwGO, SGG oder eine Lösung de lege ferenda?
  • 1. Vollstreckung einer Verpflichtung zum Erlass eines Steuerverwaltungsaktes oder einer Geldforderung
  • 2. Vollstreckung einer Verpflichtung zu einem sonstigen Verwaltungshandeln
  • 3. Vollstreckung bei Abänderung oder Bestätigung des angefochtenen Steuerverwaltungsaktes
  • H. Verhältnis des (Prozess-)Vergleichsvertrages zum Steuerverwaltungsakt und etwaigen weiteren Vergleichsverträgen
  • I. Verhältnis, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Handlungsformen
  • II. Verwaltungsaktvorbereitender Vergleichsvertrag und nachfolgender oder vorhergehender Steuerverwaltungsakt
  • 1. Rechtswidriger Vergleichsvertrag und nachfolgender Steuerverwaltungsakt
  • 2. Nichtigkeit des Vergleichsvertrages und nachfolgender Steuerverwaltungsakt
  • 3. Vertragswidriger Steuerverwaltungsakt
  • 4. Änderung eines Steuerbescheides durch nachfolgenden Vergleichsvertrag?
  • III. Prozessvergleich und nachfolgender (Vergleichs-)Vertrag
  • IV. Zwischenergebnis
  • V. Prozessvergleich und vorhergehender im Ausland geschlossener Vertrag
  • 1. Rechtsfolgen eines im Ausland geschlossenen Steuervertrages auf das nationale materielle Recht
  • 2. Rechtsfolgen ausländischer Steuerverträge für nationale Gerichte
  • I. Verhältnis des innerstaatlichen Prozessvergleichsvertrages zu internationalen Streitbeilegungsverfahren
  • I. Regelungsgehalt der verschiedenen Streitbeilegungsverfahren
  • II. Verhältnis von Verständigungsverfahren zu nationalen Verfahren und Prozessvergleichen
  • III. Verhältnis von Verständigungsverfahren zum steuerrechtlichen Vergleichsvertrag
  • 1. Verzicht auf Verständigungsverfahren im Rahmen nationaler Einigungen („audit settlements“)
  • 2. Divergierende Sachverhaltsfeststellungen auf nationaler und internationaler Ebene und Rechtsfolgen verständigungswidriger Verwaltungsakte
  • 3. Divergierende Einigungen über Rechtsfragen auf nationaler und internationaler Ebene
  • J. Verfahrenskosten
  • I. Rechtsanwalts- und Steuerberatergebühren
  • II. Gerichtskosten
  • III. Das Bestehen einer Kostenregelung im Prozessvergleich
  • IV. Das Fehlen einer Kostenregelung im Prozessvergleich
  • V. Die Kosten des Vorverfahrens
  • VI. Der Mehrwert eines Prozessvergleichs und dessen kostenrechtliche Auswirkungen
  • K. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • L. Gesamtzusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Abkürzungshinweis
  • Literaturverzeichnis
  • Series Index

Kapitel 1: Konsensuales Verwaltungshandeln im Steuerrecht

A. Einleitung

I. Problemaufriss

Eine eigenständige Finanzgerichtsbarkeit gibt es in Deutschland seit hundert Jahren. Und fast seit Beginn ihrer Errichtung beschäftigen sich Gerichte und Literatur1 mit dem Problem der Vergleiche2 im Steuerrecht, so dass die Frage um deren Zulässigkeit keine neue ist. Bereits 1925 hat der II. Senat des RFH3 geurteilt, dass Vergleiche über Steueransprüche unzulässig seien, weil diese im Widerspruch zur Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung stünden. Gleichsam seien die Steuerfestsetzungsbehörden vielfach zu „tatsächlichen Verständigungen“ genötigt, „um in der Veranlagung voranzukommen“. Auch der BFH urteilt überwiegend, dass steuerrechtliche Vergleiche mit Blick auf die Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung unzulässig sind4. Dieses Verdikt der Nichtigkeit wird vor allem für das Verwaltungsverfahren und teilweise auch für den Finanzprozess seit langer Zeit vertreten. Eine tiefergehende dogmatische Begründung durch Rechtsprechung und Literatur ist für den prozessualen Vergleich indes bisher kaum erfolgt, so dass diese Arbeit insoweit einen Mehrwert zu verschaffen vermag.

Der Prozessvergleich ist ein vor dem Gericht geschlossener Vertrag mit Doppelwirkung5. Neben den prozessualen Anforderungen an die Zulässigkeit und Wirksamkeit des Vergleichs als Prozesshandlung unterliegt der Prozessvergleich den materiell-rechtlichen Anforderungen an Vergleichsverträge.

Es entspricht seit jeher der täglichen Praxis des Besteuerungsverfahrens und des Finanzprozesses, dass sich Steuerpflichtiger und Finanzbehörde bei unklarer Sach- oder Rechtslage durch gegenseitiges Nachgeben einigen6. Wenngleich das praktische Bedürfnis der kooperativen Handlungsformen allein die Zulässigkeit nicht indizieren kann, ist schon seit längerer Zeit ein Wandel vom konfrontativen zum kooperativen Steuerstaat zu konstatieren7. Die Praxis zeigt sogar, dass im Besteuerungsverfahren viel mehr Verständigungen getroffen werden als auf allen anderen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts8. Dasselbe gilt für den Finanzprozess9.

Die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung sind hochrangige Postulate des materiellen Steuerrechts, welchen Verhältnismäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsgrundsätze nicht gleichgestellt werden können. In der Diskussion um steuerrechtliche Vergleiche wird aber häufig verkannt, dass es sich dabei nicht nur um verbotene Vereinbarungen über die nicht disponible Höhe des Steueranspruchs handelt, sondern diese vielmehr engen Grenzen unterliegen. Vielfach wird zudem übersehen, dass die Dispositionsbefugnisse der Finanzbehörden bereichsspezifisch zu konkretisieren sind. Dem strengen Gesetzmäßigkeitsdogma liegt ferner die fehlerhafte Idealvorstellung des einzig richtigen rechtlichen Ergebnisses zugrunde und die irrige Annahme, die richtige Steuer wäre aus dem Gesetz abzulesen10. Vielmehr ist es jedoch so, dass es „die“ materiell richtige Steuer nicht gibt und auch das strikte Gesetzmäßigkeitsprinzip durch Handlungsspielräume der Verwaltung11 und Wertungsspielräume im Verfahrensrecht12 modifiziert sein kann. Die a priori punktgenau gesetzlich vorgegebene Determination wird in der Realität durch eine Bandbreite vertretbarer Entscheidungen ersetzt. Die Finanzbehörde ist im Rahmen vertretbarer Auslegungsmöglichkeiten insoweit nicht nur strikt gesetzesgebunden, sie ist vielmehr gesetzesdirigiert13.

Die Verwaltungsbehörden sind in allen Verwaltungsverfahren gleichsam an das Gesetz gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG, so dass der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz allein nicht gegen die Zulässigkeit der steuerrechtlichen Vergleichsverträge sprechen kann. Damit die Grundsätze der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung als Argument für die Annahme eines allgemeinen Vertragsformverbots herangezogen werden können, müssten diese einen spezifischen steuerrechtlichen Gehalt besitzen, welchen die Arbeit untersuchen möchte14. Die pauschale Annahme, dass dem materiellen Steuerrecht ein allgemeines Vertragsformverbot zugrunde liegt, ist nicht mehr haltbar. Dies nicht nur, weil im materiellen Steuerrecht Vergleichsbedarf besteht, sondern das materielle Steuerrecht ist auch, wie zu zeigen sein wird, vergleichsfähig15. Die Annahme eines allgemeinen Vertragsformverbots bedarf auch im Hinblick auf die Anerkennung der sog. tatsächlichen Verständigung besonderer Überprüfung. Seit der Grundsatzentscheidung des BFH vom 11.12.1984 sind sog. tatsächliche Verständigungen im Steuerrecht grundsätzlich zulässig16. Durch diese anerkannte Handlungsform können bei Sachverhaltsungewissheiten Verständigungen zur Vorbereitung eines Steuerverwaltungsaktes getroffen werden. Doch die Unterscheidung zwischen Sachverhalts- und Rechtsfragen ist oft nur oberflächlicher Natur, so dass die Einordnung in Tatsächliches oder Rechtliches häufig von einem entsprechenden Formulierungsgeschick der Parteien abhängen wird17. Der BFH leitet die Bindungswirkung der sog. tatsächlichen Verständigung meist aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ab18. Letztlich handelt es sich bei der sog. tatsächlichen Verständigung jedoch um nichts anderes als einen (Tatsachen-) Vergleich. Obgleich das reine Überspannen der rechtlichen Grenzen etablierter Handlungsformen nicht als Rechtfertigung für die Anerkennung einer neuen Handlungsform genügen kann, so hat sich der Rechtsanwender doch einzugestehen, dass Vergleiche unter dem Deckmantel der Verständigung geschlossen werden und das strikte Festhalten an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung – zu Gunsten klarer, einheitlicher und rechtssicherer Lösungen – insoweit zu überdenken ist.

Der Gesetzgeber hat im VwVfG und im SGB X den öffentlich-rechtlichen Vertrag normiert, ohne diesen in die gleichzeitig erlassene AO 1977 zu übernehmen. Die AO wiederholt teilweise wörtlich die Vorschriften des VwVfG, lässt aber die Normen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag aus. Auch die FGO hatte das Ziel das Prozessrecht weitgehend zu vereinheitlichen. Daher wurden zahlreiche Vorschriften aus der VwGO übernommen, der Prozessvergleich blieb indessen unberücksichtigt. Aufgrund dessen werden Zweifel an der Absicht des Gesetzgebers geäußert, den Vergleich im Steuerrecht zuzulassen. Die Arbeit möchte daher überprüfen, ob die analoge Anwendung der verwaltungsrechtlichen und verwaltungsprozessualen Normen möglich ist19. Es wird zudem geprüft, ob die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung eingehalten werden können oder ob insoweit der Gesetzgeber de lege ferenda gefragt ist20.

In Verfahren unter dem Anwendungsbereich der FGO, wo die Dispositionsmaxime gilt und die Verfahrensbeteiligten in der Verfügung über ihren Streitgegenstand freier sind, muss das Unzulässigkeitsdoma steuerrechtlicher Vergleiche besonders kritisch hinterfragt werden. Kläger und Beklagter können über das Verfahren frei disponieren, Klagen zurücknehmen, für erledigt erklären und Steuerverwaltungsakte ändern. Anders als im Besteuerungsverfahren besteht im finanzgerichtlichen Prozess insoweit eine Gleichordnung zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem, weil sie im Hinblick auf das Klagebegehren dem Richterspruch unterworfen sind. Diese Gleichordnung ist nicht in dem Sinne misszuverstehen, dass das Subordinationsverhältnis zwischen den Beteiligten aufgehoben wird, die Behörde begibt sich nur insofern auf die gleiche Ebene mit dem Steuerpflichtigen21. Es herrscht eine prozessuale Waffengleichheit.

Die Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bedürfen auch und vor allem im Hinblick auf den Prozessvergleich einer Untersuchung. Die Situation im Besteuerungsverfahren einerseits und im Finanzprozess andererseits ist differenziert zu betrachten. Dies vor allem aufgrund dessen, weil die Steuer bereits festgesetzt wurde und es nicht primär um ein „Feilschen“ über deren Höhe geht22. Der Finanzprozess ist durch die Dispositionsmaxime geprägt. Zudem wirkt am Vergleich im Finanzprozess das zuständige Prozessgericht und damit die richterliche Kontrollinstanz mit. Die Nichtigkeitsnormen, die sonst für Vergleichsverträge von zentraler Bedeutung sind, sind in einem Gerichtsverfahren im Ergebnis nur von theoretischer Relevanz. Das Gericht arbeitet im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf eine gesetzmäßige Einigung hin23.

Das Feld für den finanzgerichtlichen Prozessvergleich ist weit24. Die Möglichkeiten zur konsensualen Streitbeilegung innerhalb der Finanzgerichtsbarkeit sind, trotz der, im Vergleich zur allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit überproportional konsensual erledigten Fälle, unterausgeprägt. Unter empirischen Gesichtspunkten zeigt sich, dass einvernehmliche Verfahrensbeendigungen im finanzgerichtlichen Verfahren die Mehrheit der erledigten Fälle bilden, obschon deren rechtliche Möglichkeiten unter verfahrensvergleichenden Gesichtspunkten eingeschränkt sind25. Selbst im Strafprozess ist die Verständigung normativ verankert. Die finanzprozessuale Prozessmaterie weist überdies eine ausgeprägte Vergleichsgeeignetheit auf und ist Einigungen in einem besonderen Maße zugänglich26. Auch im Besteuerungsverfahren ist, im Vergleich zum allgemeinen Verwaltungsrecht, durch die Erörterungstermine, §§ 201, 364a AO, eine besondere normative Verankerung eines Einigungsgedankens erkennbar.

Zwar sind in der FGO Möglichkeiten zur konsensualen Streitbeilegung vorgesehen, die Arbeit macht es sich aber zur Aufgabe, zu beweisen, dass diese in ihrem Umfang und ihren Rechtsfolgen, hinter denen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zurückbleiben. Durch die sog. tatsächliche Verständigung in Kombination mit einer übereinstimmenden Erledigungserklärung wird die Wirkung eines Prozessvergleichs (nur) nahezu herbeigeführt. Aufgrund dieser etablierten und am häufigsten gewählten Praxis der Verfahrensbeendigung werden berechtigte Zweifel an der behaupteten Unzulässigkeit des Prozessvergleichs geäußert27. Die Arbeit möchte nachweisen, dass die FGO de lege lata kein angemessenes – das heißt sowohl kläger- als auch beklagteninteressenwahrendes – Mittel zur einvernehmlichen Streitbeilegung vorsieht28. Die Arbeit stellt die These auf, dass die Rechtsprechung letztlich ein „prozessvergleichsähnliches Institut“ geschaffen hat, welchem aber eine unlängst größere Gefahr für gesetzwidrige Einigungen anhaftet29. Dieses Institut mag aufgrund seiner im Kern bestehenden normativen Legitimation die Gesetzmäßigkeit seines Inhalts suggerieren, entzieht sich aber gleichwohl der richterlichen Kontrolle30, denn durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien beenden diese den Prozess ex nunc, ohne dass es auf eine materielle Erledigung ankäme31.

Die vorliegende Arbeit macht es sich unter anderem zum Gegenstand zu prüfen, welche Auswirkungen die Anerkennung eines finanzgerichtlichen Prozessvergleichs mit sich bringt. Neben der Frage nach Umfang und Inhalt32 ist insbesondere das Verhältnis zum Steuerverwaltungsakt und etwaigen weiteren Vergleichsverträgen zu beleuchten. Diese Untersuchung erhält ihre Komplexität aus den unterschiedlichen Fehlerfolgenregimen des Verwaltungsaktes und des Vertragsrechts und ihre Legitimation unter anderem durch den im Steuerrecht anzutreffenden verwaltungsaktvorbereitenden Vergleichsvertrag33. Weitgehend unbeantwortet sind die Auswirkungen internationaler Verständigungsverfahren und im Ausland geschlossener Steuerverträge auf deutsche Gerichtsverfahren. Aufgrund zunehmender Internationalisierung der Geschäftsbeziehungen haben internationale Verständigungsverfahren in den letzten Jahren eine noch größere Bedeutung erlangt34. Die Komplexität im steuerrechtlichen Dauerschuldverhältnis steigt durch grenzüberschreitende und jurisdiktionsübergreifende Rechtsfragen nicht unerheblich. Für die offenen Rechtsfragen der normativen Einordnung der Vollstreckbarkeit35 und der Verfahrenskosten36 des Prozessvergleichs werden ebenfalls Antworten gesucht.

II. Gang der Untersuchung

Diese Arbeit beschäftigt sich in den Anfangskapiteln zunächst überwiegend mit den subordinationsrechtlichen Vergleichsverträgen im Veranlagungsverfahren, um die Grundlage für den materiellen Teil des Prozessvergleichs zu schaffen und widmet sich sodann dem finanzgerichtlichen Vergleich im prozessualen Schwerpunkt. Die jeweiligen Ausführungen stehen indes nicht isoliert zueinander, weil Charakteristikum des Prozessvergleichs seine Doppelnatur ist, so dass neben prozessualen Voraussetzungen stets die des materiellen Vergleichs kumulativ hinzutreten müssen. Die ausführliche Erörterung der Legitimation materieller Vergleiche erfüllt überdies keinen Selbstzweck, sondern dient dem Verständnis der Herausarbeitung prozessualer Besonderheiten in der Vergleichssituation. Im Einzelnen: Im einleitenden Kapitel dieser Arbeit wird die Typologie des kooperativen Besteuerungsverfahrens als Grundlage für die nachfolgende Untersuchung analysiert. Im zweiten Kapitel werden die Vergleichsfähigkeit und der Vergleichsbedarf des materiellen Steuerrechts bewiesen. Hierzu prüft die Arbeit – unter Grundlage des Entwicklungsstands von Rechtsprechung und Literatur – die Argumente für und wider die Zulässigkeit der Vergleiche im Steuerrecht. Kapitel 3 widmet sich dem materiellen steuerrechtlichen Vergleich und der Vorfrage wie dieser Eingang in die AO finden kann, um im Nachfolgenden untersuchen zu können, wie der Prozessvergleich in der FGO etabliert werden könnte. Anschließend steht in Kapitel 4 der Prozessvergleich im Schwerpunkt der Betrachtung. Die Ergebnisse der vorhergehenden Kapitel werden für die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit des prozessualen Vergleichs herangezogen und aufbauend auf den Anfangskapiteln werden die Besonderheiten des Prozessvergleichs entwickelt. Die Arbeit sieht ihre Aufgabe nicht in einer fundierten Auseinandersetzung mit der sog. tatsächlichen Verständigung und materiellen außergerichtlichen Vergleichen, sondern geht auf diese nur insoweit ein, als es für den prozessualen Vergleich zweckdienlich oder erforderlich ist.

B. Das kooperative Besteuerungsverfahren

I. Typologie des kooperativen Besteuerungsverfahrens

Wenngleich das Steuerrecht als gesetzgebundenes Eingriffsrecht a priori den Anschein erweckt, der Besteuerungszugriff des Staates beruhe auf rein einseitigem hoheitlichem Handeln, sind Kooperation und Konsens dem Steuerecht nicht wesensfremd. Konsensuale Handlungsformen sind im Steuerrecht zulässig, ja sogar notwendig und haben in den letzten Jahrzehnten eine enorme Bedeutung erlangt37. Der Verwaltungsakt (§ 118 S. 1 AO) ist schon lange nicht mehr die einzige Handlungsform im Steuerrechtsverhältnis38. Galt das Abgabenrecht lange Zeit als der klassische Bereich für einseitig-hoheitliches Handeln, so bedurfte es „zunächst der verwaltungswissenschaftlichen Entdeckung des informalen Verwaltungshandelns, um kooperative Handlungsformen im Besteuerungsverfahren […] aufzuspüren“39. Die Analyse der Rechtsprechung und insbesondere die Entwicklung der tatsächlichen Verständigung zeigen, dass konsensuales Handeln im Steuerrecht längst nicht mehr auf Informalität beschränkt ist40. Dennoch sind die Möglichkeiten und Grenzen der faktisch bestehenden Kooperation seit jeher umstritten41, obgleich die kooperative Verwaltung mitnichten ein neues Phänomen ist42. Der Begriff der „Kooperation“ ist deutungsoffen. Er bedeutet in seinem Ausgangspunkt schlicht eine Zusammenarbeit oder Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Akteuren43. Für öffentlich-rechtliche Verträge als Rechte und Pflichten begründende Verwaltungsrechtsschuldverhältnisse liegt die kooperative Struktur auf der Hand44. Die Terminologie des kooperativen Verwaltungshandelns ist vielseitig und teilweise auch uneinheitlich: Vereinbarung, Verständigung, Vergleich, Vertrag, Vorvertrag, Absprache, Abrede, Zusage, Zusicherung, unverbindliche Mitteilungen, Ankündigungen, Arrangement oder Agreement45. Nur die Begriffe Vertrag, Vergleich, Zusage und Zusicherung sind dabei als echte Rechtsbegriffe im nationalen Verwaltungshandeln einzuordnen. Dem nationalen kooperativen Steuervollzug zuzuordnen sind zudem Verfahren zur Erteilung einer verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO i.V.m. StAuskV), einer verbindlichen Zusage (§§ 204 ff. AO) und der Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung46. Faktische Absprachen werden unterschiedlich als informelles, kooperatives oder schlichtes Verwaltungshandeln bezeichnet oder als Realakte klassifiziert47.

II. Begriffsbestimmungen und Abgrenzung der konsensualen Handlungsformen

1. Der Vergleichsvertrag in der deutschen Rechtsordnung

Der Vergleichsvertrag ist im Verwaltungsverfahren bzw. Verwaltungsprozess, in der Sozialgerichtsbarkeit und im Zivilrecht bzw. Zivilprozess gesetzesübergreifend normiert und definiert48. Im Strafprozess ist die Möglichkeit eines Vergleichs nicht vorgesehen, gleichwohl aber die Möglichkeiten der Verständigung, § 257c StPO und der Erörterung §§ 160b, 212, 257b StPO. Der Vergleichsvertrag ermöglicht der Behörde und dem Bürger, eine Regelung zu finden, die nicht der Rechtslage entsprechen muss, um umfangreiche Ermittlungen und Rechtsbehelfsverfahren zu vermeiden, die außer Verhältnis zum Regelungsgegenstand stünden49. Der Vergleich ist folglich ein Mittel um – bei Zweifeln über eine bestimmte Sach- oder Rechtslage – die Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben zu beseitigen50. Er dient der Verfahrensökonomie, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip51 und dem Beschleunigungsgebot52. Zudem ist er Ausdruck eines effektiven, rechtsstaatlichen Verfahrens53. Der Kernbegriff des Vergleichs hat seinen Ursprung im Zivilrecht54. Der Vergleich ist in § 779 Abs. 1 BGB definiert als ein Vertrag durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. In § 55 VwVfG, § 54 Abs. 1 SGB X wird der Vergleich definiert als öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 54 S. 2 VwVfG, § 53 Abs. 1 S. 2 SGB X, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird55. Der öffentlich-rechtliche Vergleichsvertrag lehnt sich eng an den Prozessvergleich, § 106 VwGO, § 101 Abs. 1 SGG und den zivilrechtlichen Vergleich nach § 779 Abs. 1 BGB an, unterscheidet sich von ihnen aber in einigen Punkten, so dass jede Vergleichsform einer differenzierten Betrachtung bedarf. Der zivilrechtliche Vergleichsvertrag ist vor allem durch den Grundsatz der Privatautonomie geprägt, während der öffentlich-rechtliche Vergleichsvertrag unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu sehen ist56. Je nach betroffenem Verfahrensstadium lassen sich drei Untergruppen aufteilen: Vergleiche im (ursprünglichen) Verwaltungsverfahren, Vergleiche im Widerspruchsverfahren und Vergleiche im Verwaltungsprozess.

2. Abgrenzung des Vergleichsvertrages zu anderen öffentlich-rechtlichen Verträgen und vertragsähnlichen Handlungsformen

Vom Vergleichsvertrag abzugrenzen sind einfache öffentlich-rechtliche Verträge, § 54 S. 1 VwVfG, § 53 Abs. 1 S. 1 SGB, Austauschverträge, § 56 VwVfG, § 55 SGB X und das Rechtsinstitut der sog. tatsächlichen Verständigung. Im Rahmen der einfachen öffentlich-rechtlichen Verträge ist zwischen dem koordinationsrechtlichen und dem subordinationsrechtlichen Vertrag zu unterscheiden. Diese Unterscheidung knüpft an das Verhältnis der Vertragsparteien an57. Koordinationsrechtlich sind alle Verträge zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung untereinander, zwischen solchen und Bürgern oder auch zwischen Bürgern untereinander im Bereich des öffentlichen Rechts, bei denen hinsichtlich des Gegenstands des Vertrages kein Vertragsteil einem anderen übergeordnet ist, sondern eine Gleichrangigkeit besteht58. Subordinationsrechtliche Verträge hingegen sind nach der in § 54 S. 2 VwVfG, § 53 Abs. 1 S. 2 SGB X enthaltenen Legaldefinition Verträge, die eine Behörde mit einem Partner schließt, an den sie ansonsten „einen Verwaltungsakt“ richten würde, erfasst sind demnach Regelungen im Über-/Unterordnungsverhältnis59. Vergleich- und Austauschverträge kommen als koordinationsrechtliche und als subordinationsrechtliche Verträge vor. §§ 55, 56 VwVfG, §§ 54, 55 SGB X nehmen auf § 54 S. 2 VwVfG, § 53 Abs. 1 S. 2 SGB X Bezug und regeln nur die dort genannten subordinationsrechtlichen Verträge. Die koordinationsrechtlichen Verträge sind indes nicht ausgeschlossen, unterliegen aber nicht unmittelbar den dort genannten Einschränkungen60.

Ein Austauschvertrag i.S.d. § 56 VwVfG, § 55 SGB X ist ein Vertrag, in welchem sich die eine Seite zu einer Leistung im Hinblick darauf verpflichtet, dass sie von der anderen Seite ebenfalls eine Leistung erhält61. Typischerweise stehen Leistung und Gegenleistung im einen Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma)62. Möglich ist es ebenso, dass eine Seite eine Leistung unter den Voraussetzungen verspricht, dass sie von der anderen eine Leistung erhält, zu der sich diese aber nicht verpflichtet (sog. hinkender Austauschvertrag)63. Der Austauschvertrag kann auch Vergleichsvertrag sein, wenn die Sach- oder Rechtslage ungewiss scheint und beide Seiten bei den Verhandlungen nachgeben64.

Die sog. tatsächliche Verständigung ist nach der herrschenden Auffassung der Literatur ebenfalls ein öffentlich-rechtlicher Vertrag65. Kein öffentlich-rechtlicher Vertrag, sondern eine einseitige Handlungsform, ist die Zusage. Die in § 38 Abs. 1 VwVfG legaldefinierte Zusicherung, ist die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Zusicherung ist ein Unterfall der Zusage66. Zusage und Zusicherung enthalten in erheblichem Umfang auch kontraktuelle, vertragsähnliche Elemente67. Die Vertragsnähe von Zusage und Zusicherung hat vor allem für die Abgrenzung zum Zusagevertrag Bedeutung68. Die Differenzierung wirkt sich insbesondere beim Fehlerfolgenregime der unterschiedlichen Handlungsformen aus69. Für die Abgrenzung ist der, anhand objektiver Indizien festzustellende, Wille der Beteiligten ausschlaggebend70. Der Begriff der Absprache wird im allgemeinen Verwaltungshandeln verwendet, um informelles konsensuales Verwaltungshandeln zu bezeichnen. Charakteristisch für die Absprache ist es, dass auf beiden Seiten kein Rechtsbindungswillen besteht71.

3. Abgrenzung des Vergleichsvertrages zu privatrechtlichen Verträgen

Wie die öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Verträgen abzugrenzen sind, ist strittig72. Es bietet sich an, die allgemeinen Kriterien für die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht heranzuziehen (insbesondere die sog. Sonderrechtstheorie)73. Nach der Rechtsprechung ist ein Vertrag dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sich sein Gegenstand auf einen von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich geregelten Sachverhalt bezieht74. Auch privatrechtliche Verträge können einen steuerrechtlichen Inhalt haben. In einem vom BGH zu beurteilenden Fall verpachtete eine Gemeinde in einem privatrechtlichen Vertrag ein Grundstück unter der Verpflichtung, die betrieblichen Verhältnisse so zu gestalten, dass die in dem Unternehmen anfallende Gewerbesteuer ausschließlich der Gemeinde zufließt75. Eine derartige Ausweitung der Steuerpflicht mit privatrechtlichen Mitteln ist unzulässig76. Möglichkeiten zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages nach der AO bieten § 48 Abs. 2 AO77 sowie die Steuerbürgschaft nach §§ 241 Abs. 1 Nr. 7, 244 AO. Auch § 192 AO nennt den Begriff des Vertrages78.

III. Die sog. tatsächliche Verständigung

Nach jahrelanger Duldung ist die tatsächliche Verständigung durch das Grundsatzurteil des BFH vom 11.12.198479 zu einem eigenen richterrechtlich begründeten Rechtsinstitut entwickelt worden. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung80 und Verwaltungsauffassung81 sind sog. tatsächliche Verständigungen im Steuerrecht folglich grundsätzlich zulässig. Die Terminologie der „tatsächlichen Verständigung“ ist allerdings schief, weil letztlich „Verständigungen über Tatsächliches“ gemeint sind82. Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es, hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuer notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S.v. § 88 Abs. 1 AO einvernehmlich festzulegen83. Die tatsächliche Verständigung beseitigt Unsicherheiten in der Sachverhaltsermittlung und dient sowohl der Förderung und Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens als auch allgemein dem Rechtsfrieden84. Eine tatsächliche Verständigung ist in jedem Stadium des Veranlagungsverfahrens, auch anlässlich einer Außenprüfung und während des Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsverfahrens, möglich85.

1. Rechtsnatur der sog. tatsächlichen Verständigung und Rechtsgrundlage für deren Bindungswirkung

Umstritten seit jeher zwischen und innerhalb Literatur und Rechtsprechung ist die Rechtsgrundlage für die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung. Einigkeit besteht dahingehend, dass es sich bei der tatsächlichen Verständigung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, so dass dessen Wirksamkeitsvoraussetzungen nur im Verfahren über die Anfechtung des hierauf gestützten Festsetzungs- oder Feststellungsbescheid inzident geprüft werden können86.

Obschon Stimmen der Literatur der Auffassung sind, der Streit über die Rechtsnatur der tatsächlichen Verständigung wäre nur theoretischer Natur und hätte keinerlei praktische Auswirkungen87, hat diese Auseinandersetzung für die vorliegende Arbeit einen Mehrwert. Dieser liegt darin, dass die erarbeitete Rechtsgrundlage als Argument gegen ein allgemeines Vertragsformverbot im Steuerrecht herangezogen werden kann. Die Tatsache, dass die etablierte tatsächliche Verständigung die Rechtsnatur eines Tatsachenvergleichsvertrages aufweist88, ist als Argument für die Anerkennung des Vergleichsvertragsrechts in AO und FGO fruchtbar zu machen. Denn diejenigen Stimmen in der Literatur und Rechtsprechung, welche sich gegen Vergleichsverträge vehement wehren und ein allgemeines Vertragsformverbot annehmen, müssen dann konsequenterweise auch die fehlende Vertragsqualität der tatsächlichen Verständigung begründen. Eine abweichende Terminologie vermag jedoch nicht über den wahren rechtlichen Charakter hinwegzutäuschen. Wieso letztlich eine tatsächliche Verständigung aber kein Tatsachenvergleich statthaft sein soll, lässt sich nicht begründen89.

a) Meinungsstand des BFH

Der BFH äußerte sich unterschiedlich zur Rechtsnatur der tatsächlichen Verständigung und zur Rechtsgrundlage für ihre Bindungswirkung. Nach der überwiegenden Rechtsprechung haben tatsächliche Verständigungen ihre Grundlage in dem bestehenden, konkreten Steuerrechtsverhältnis zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen. Die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung wird aus dem Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben abgeleitet, wonach sich die Akteure nicht in Widerspruch zum eigenen Verhalten setzen dürfen (venire contra factum proprium)90. Andererseits hat der BFH die vertragliche Bindung in verschiedenen Entscheidungen zur tatsächlichen Verständigung anerkannt91. Dass er teilweise schon die Vereinbarung wegen ihres Vertragscharakters isoliert für verbindlich hält, wird dadurch ersichtlich, dass er etwa im Urteil vom 5.10.1990 ausführt, die Bindung an die tatsächliche Verständigung ergebe sich „auch“ aus dem Grundsatz von Treu und Glauben92. In anderen Entscheidungen wurde ausdrücklich offengelassen, ob es sich bei der tatsächlichen Verständigung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag oder um eine anderweitige, am Grundsatz von Treu und Glauben zu messende, Übereinkunft handelt93. Dies solle offenbleiben können, weil der Grundsatz von Treu und Glauben gebiete, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt, auf das der andere Teil vertraut und im Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat94. Hält man die tatsächliche Verständigung für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, folge die Bindung unmittelbar aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen95. Es drängt sich insgesamt der Eindruck auf, dass der BFH den Begriff „Vergleich“ schlicht vermeiden will96. Das bewusste Vermeiden von Terminologien und klaren rechtlichen Einordnungen von Instituten führt letztlich dazu, dass uneindeutige Begriffe verwendet werden97, ohne auszusprechen, um was es eigentlich geht.

b) Meinungsstand der Literatur

Die tatsächliche Verständigung ist nach der herrschenden Meinung in der Literatur ein öffentlich-rechtlicher Vertrag98, der die Beteiligten nach dem Grundsatz pacta sunt servanda bindet. Hinsichtlich der Art der vertraglichen Einordnung besteht keine Einigkeit. Teilweise wird ausdrücklich angenommen, dass es sich bei der tatsächlichen Verständigung um einen Vergleichsvertrag i.S.d. § 55 VwVfG, § 54 Abs. 1 SGB X handelt99. Nach anderer Auffassung der Literatur sei diese als einfacher subordinationsrechtlicher Vertrag einzuordnen, § 54 S. 2 VwVfG100. Nach wiederum anderer Meinung soll eine tatsächliche Verständigung nur ein „gewöhnlicher“ öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.d. § 54 S. 1 VwVfG und kein subordinationsrechtlicher Vertrag i.S.d § 54 S. 2 VwVfG sein101. Zwar würden tatsächliche Verständigungen mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen getroffen. Sie würden jedoch nicht der Verfahrensbeendigung dienen, wollen eine endgültige Entscheidung lediglich vorbereiten und seien daher keine subordinationsrechtlichen Verträge i.S.d. § 54 S. 2 VwVfG102.

Nach weiteren Stimmen in der Literatur soll dieses Argument – der bloßen Verwaltungsaktvorbereitung – den klassischen Vertragscharakter gänzlich ausschließen oder modifizieren. Es handele sich daher um einen Vertrag sui generis103 oder um eine reine übereinstimmende Wissenserklärung104. Diese Literaturansichten setzen sich jedoch nicht ausreichend mit der Auslegung des Wortlauts von § 54 S. 2 VwVfG, § 53 Abs. 1 S. 2 SGB X auseinander. Ein subordinationsrechtlicher Vertrag wird nach dem Gesetzeswortlaut „anstelle eines Verwaltungsaktes“ erlassen. Die Bedeutung „anstelle eines Verwaltungsaktes“ ist zwar umstritten. Eine enge Anlehnung an den Wortlaut ist indessen nicht erforderlich. Es genügt, dass die Behörde anstelle des Vertragsschlusses den Vertragsgegenstand auch durch Verwaltungsakt oder andere einseitig hoheitliche Maßnahme hätte regeln können. Nicht erforderlich ist, dass ein Verwaltungsakt mit genau demselben Inhalt hätte erlassen werden können. Abzustellen ist vielmehr auf die Frage, ob ein Über-/ und Unterordnungsverhältnis in Bezug auf den Vertragsgegenstand vorliegt105.

c) Stellungnahme

Der überwiegenden Literaturauffassung ist zuzustimmen. Zum einen sind die Grundsätze von Treu und Glauben tatbestandslos und unbestimmt106. Dasselbe gilt für den Begriff des „konkreten Steuerrechtsverhältnis“107. Es handelt sich bei einem Rückgriff auf diese Grundsätze um einen „Nothelfer“108. Hinzukommt, dass der aus dem Vertragsrecht stammende Rechtssatz pacta sunt servanda ein Gebot darstellt, das wie „kaum ein zweites den Rechtsgedanken von Treu und Glauben verkörpert“109. Die Herleitung einer Bindungswirkung aus Treu und Glauben überzeugt auch deshalb nicht, weil der BFH die Bindungswirkung aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage entfallen lassen will. Er lässt dabei offen, ob die zivilrechtlichen Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, anwendbar sind oder ob stattdessen § 60 VwVfG entsprechende Anwendung findet, weil beide Vorschriften insoweit inhaltsgleich auszulegen seien110. Beide Normen setzen aber ein Vertragsverhältnis voraus. Das Entfallen der Bindungswirkung hätte normativ auch in den Grundsätzen von Treu und Glauben verankert werden können111. Dasselbe gilt für die entsprechende Anwendung der Anfechtungsvorschriften, §§ 119, 123 BGB, so dass ersichtlich wird, dass die tatsächliche Verständigung nach der Rechtsprechung nicht gänzlich ohne einen Rückgriff auf das Verwaltungsvertragsrecht auskommt.

Zum anderen weist die tatsächliche Verständigung letztlich die Merkmale eines Vertrages auf. Die Rechtsprechung begründet die Rechtsbindung allein aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, wohingegen sie bei der verbindlichen Zusage eine Bindung nur anerkennt, wenn der Steuerpflichtige im Hinblick auf diese bereits Dispositionen getroffen hat112. Die tatsächliche Verständigung bindet die Beteiligten schon aus der Übereinkunft, unabhängig davon, ob bereits Dispositionen getroffen wurden113. Aus dieser Bindungswirkung folgt, dass alle Elemente des Vertrages vorhanden sind114. Bei der tatsächlichen Verständigung handelt es sich somit im Ergebnis um nichts anderes als einen (Tatsachen-)Vergleich.

2. Zulässigkeit und Voraussetzungen der tatsächlichen Verständigung

Die tatsächliche Verständigung soll einen Verwaltungsakt, § 118 AO, vorbereiten, diesen aber nicht ersetzen. Voraussetzung einer tatsächlichen Verständigung ist es, dass sich die Verständigung auf Sachverhalts- und nicht auf Rechtsfragen bezieht, die Sachverhaltsermittlung muss erschwert sein und die tatsächliche Verständigung darf zu keinem unzutreffenden Ergebnis führen115. Von einer erschwerten Sachverhaltsermittlung ist auszugehen, wenn sich tatsächliche Ungewissheiten nur mit einem nicht mehr vertretbaren Zeit- oder Arbeitsaufwand beseitigen lassen. Dabei kann auch auf das Verhältnis zwischen dem voraussichtlichen Arbeitsumfang und dem erwarteten steuerlichen Erfolg abgestellt werden und auf die Belastung des Finanzamts durch ein etwaiges finanzgerichtliches Verfahren116. Fallgruppen verständigungseröffnender Beweismaßreduzierungen ergeben sich im Zusammenhang mit der Bewertung von Wirtschaftsgütern/Leistungen, bei zukunftsorientierten Sachverhalten, bei Aufteilungen/Abgrenzungen gemischt-veranlasster Bezüge/Aufwendungen, bei Pauschalierungen und bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO117. Eine tatsächliche Verständigung darf sich nach dem Grundgedanken der Rechtsprechung nur auf Sachverhaltsfragen und nicht auf Rechtsfragen beziehen118. Tatsachen und Rechtsfragen stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind fast immer eng miteinander verwoben, die klare Unterscheidung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen, wie sie aus dem Prozessrecht bekannt ist, kann im materiellen Steuerrecht nicht ohne Weiteres durchgehalten werden119. Die Beschränkung der Verständigung auf Tatsachen ist meist nur vordergründig120. Der BFH hat die strikte Trennung zwischen Sachverhalts- und Rechtsfragen inzwischen relativiert. Er akzeptiert nun eine Verständigung über Rechtsfragen, wenn diese in einem so engen Zusammenhang mit Tatsachen stehen, dass sie nicht in sachgerechter Weise auseinandergerissen werden können121. Er hält z.B. eine tatsächliche Verständigung über die Angemessenheit einer Geschäftsführer-Gesamtvergütung für zulässig und beiderseits bindend122. Deutlich wird die Verflechtung von Tatsachen und Rechtsfragen ebenso in der Bewertung von Steuersachen123. Bei der Bewertung gehen Tatsachen und Rechtsfragen ineinander über, jeder Bewertung liegt ein Vergleich zugrunde, so dass sie von den Vergleichsmöglichkeiten abhängt, die dem Bewerter zugänglich sind124. Obschon reine Rechtsfragen nicht Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung sein dürfen, sieht die finanzgerichtliche Wirklichkeit oftmals anders aus125. Die Literatur ist teilweise der Auffassung, dass jeder qualifizierte Finanzbeamte bzw. Berater in der Lage sei, jedwede Verständigung auch „auf den Sachverhalt zu verlagern“, wenngleich eigentlich eine Rechtsfrage streitig ist126. Aufgrund der Unsicherheiten des Umfangs der tatsächlichen Verständigung und des Auseinanderfallens des rechtlichen Dürfens und des verwaltungspraktischen Handelns wird in der Literatur die gesetzliche Normierung der tatsächlichen Verständigung gefordert127.


1 Schon 1959, 1965 und 1967 haben sich etwa Maassen, Ehlers und Schick zu dieser Thematik und Vergleichen im Steuerrecht geäußert. Sogar der vielzitierte Otto Mayer erwähnte 1924 den steuerrechtlichen Vergleich. Seer widmete 1996 seine Habilitationsschrift der sog. tatsächlichen Verständigung. Öffentliche-rechtliche Verträge und die sog. tatsächliche Verständigung im Steuerrecht wurden bereits mehrfach monographisch erschlossen. So etwa: Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht, 1987; Eich, Die tatsächliche Verständigung im Steuerverfahren und Steuerstrafverfahren, 1992; Pflaum, Kooperative Gesamtbereinigung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, Die Verbindung von steuerrechtlicher- und strafprozessualer Verständigung, 2010. Ein Beispiel für die nach wie vor bestehende Aktualität des Themenkomplexes ist die Jahrestagung der DStJG im September 2022 zur „Streitvermeidung und Streitbeilegung im Steuerrecht“.

2 In den § 55 VwVfG, § 54 Abs. 1 SGB X, § 106 VwGO, § 101 Abs. 1 SGG, § 779 Abs. 1 BGB ist der Vergleich definiert, als ein Vertrag, durch den die Ungewissheit über den Sachverhalt oder die Rechtslage durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird. Auch der Entwurf der Verwaltungsprozessordnung, mit dem eine gemeinsame Prozessordnung für die Verwaltungs-, Finanzgerichts- und Sozialgerichtsbarkeit geschaffen werden sollte, sah eine Vorschrift über den Prozessvergleich nach dem Vorbild der § 106 VwGO und § 101 Abs. 1 SGG vor.

3 RFH, Urt. v. 20.10.1925 – II A 453/25, RFHE 18, 92.

4 Exemplarisch BFH, Urt. v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354, juris Rn. 31 ff. S. zum Entwicklungsstand der Rechtsprechung unter Kap. 3 C. I. dieser Arbeit für den materiellen Vergleich und unter Kap. 4 B. I. dieser Arbeit für den prozessualen Vergleich.

5 S. dazu etwa BSG, Urt. v. 17.5.1989 – 10 RKg 16/88, SozR 1500, § 101 Nr. 8; Löwer, VerwArch. 1965, 142, 145; Schröder, Der Prozeßvergleich in den verwaltungsgerichtlichen Verfahrensarten, S. 32 ff.; Meyer-Hesemann, DVBl. 1980, 869, 871 f.; Eisenlohr, Der Prozeßvergleich in der Praxis der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 1; Nielsson in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 54 Rn. 36; Engelmann in Schütze, SGB X, § 54 Rn. 3; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 18; Hau in Staudinger, BGB, § 779 Rn. 195 (Juli 2021).

6 S. nur Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 340; Seer, StuW 1995, 213, 225; Eckhoff, StuW 1996, 107, 108; Boochs, DStR 2006, 1062, 1063; Maassen erkannte ein Auseinanderfallen von Theorie und Praxis und forderte schon 1959 ein Aufarbeiten des Themas durch die Rechtswissenschaft, s. Maassen, Regelungen mit dem Finanzamt, S. 3; kritisch zur konsensualen Verwaltung (noch) Tipke in Tipke/Lang, Steuerrecht, 12. Auflage 1989, Rn. 3.132; Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 186 ff.; Söhn in FS Selmer, S. 911, 916; Isensee verortete Verständigungen in das „publizitätsferne Hinterzimmer des Rechts“, Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 191, was nicht (mehr) der tatsächlichen Praxis im Finanzamt und vor den Finanzgerichten entspricht.

7 Exemplarisch Eckhoff, StuW 1996, 107; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 1 ff., 176 ff.; Drüen, FR 2011, 101; aktuellere Ausprägungen des kooperativen Steuerstaates sind etwa Maßnahmen zur Steigerung der Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen durch sog. Tax Compliance.

8 Martens, JuS 1978, 607, 610; Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, Rn. 340; Streck, StuW 1993, 366.

9 Zur empirischen Betrachtung im Finanzprozess s. unter Kap. 4 A. I. dieser Arbeit.

10 Dazu unter Kap. 2 C. IV. 3. dieser Arbeit.

11 S. zu Handlungsspielräumen der Verwaltung, Dispositionsbefugnissen und der gesetzlichen Beweismaßreduktion im Steuerrecht unter Kap. 2 C. IV. 5. dieser Arbeit.

12 S. zum Verfahrensermessen der Finanzbehörde bei der Sachverhaltsermittlung unter Kap. 4 D. III. 3. dd) dieser Arbeit. Insbesondere können allgemeine Verwaltungserfahrungen oder Zweckmäßigkeitserwägungen berücksichtigt werden.

13 Dazu m.w.N. unter Kap. 2 C. IV 1. dieser Arbeit.

14 Dazu unter Kap. 2 C. III. dieser Arbeit.

15 Der besondere Vergleichsbedarf und die Vergleichsfähigkeit des materiellen Steuerrechts resultieren unter anderem aus den Besonderheiten des Steuerrechts, welche sich in den Bedürfnissen des Dauerschuldverhältnisses im Massenverfahren zeigen können. Aus der Komplexität des Steuerrechts und den oftmals bestehenden Rechtsunsicherheiten folgt ein ausgeprägtes Rechtsschutzbedürfnis und Rechtssicherheitsbedürfnis der Beteiligten.

16 BFH, Urt. v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354, juris Rn. 32 ff. Dieses Grundsatzurteil dient der Arbeit als Ausgangspunkt der Rechtsprechungsanalyse.

17 Dazu unter Kap. 2 B. III., Kap. 2 A. dieser Arbeit.

Details

Seiten
374
Jahr
2024
ISBN (PDF)
9783631910641
ISBN (ePUB)
9783631910658
ISBN (Hardcover)
9783631910610
DOI
10.3726/b21320
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2024 (Februar)
Schlagworte
Kooperatives Besteuerungsverfahren AO FGO öffentlich-rechtlicher Vertrag Prozessvergleich tatsächliche Verständigung Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Untersuchungsgrundsatz übereinstimmende Erledigungserklärung Mediation
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2023. 374 S.

Biographische Angaben

Elisabeth Catherine Wöhrle (Autor:in)

Elisabeth Wöhrle studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolvierte ihr Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk München. Ihre Promotion legte sie am Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht bei Prof. Dr. Drüen ab. Derzeit ist sie als Rechtsanwältin tätig.

Zurück

Titel: Der finanzgerichtliche Prozessvergleich